Tanith Lee – Herr der Illusionen

Ein Spiel von Liebe, Tod und Wahnsinn

In jenen Zeiten, da die Erde eine Scheibe ist und die Götter das Universum noch nicht umgebildet haben, ist das Menschengeschlecht ein Spielball der unsterblichen Herren.

Chuz, Herr des Wahnsinns und der Illusionen, wütet am grausamsten unter ihnen. Die Welt dient ihm als Tummelplatz seiner abartigen Gelüste; Akteure und Akteurinnen aus Fleisch und Blut stehen ihm zur Verfügung. Das verwerfliche Spiel, das er mit einer schönen Frau, einem eitlen König und einer ruhmreichen Stadt treibt, ruft schließlich Asrharn auf den Plan, den Herrn der Nacht.

Ein Äonen dauernder Kampf entbrennt zwischen den Göttern, und Männer wie Frauen werden zu gepeinigten Werkzeugen. (Verlagsinfo)

Die Autorin

Die englische Autorin Tanith Lee, geboren 1947, gestorben 2015, arbeitete zunächst für die British Broadcasting Corporation, besser bekannt als BBC. Ihr gelang 1971 nach ihrem Debüt „The Dragon Hoard“, einem Jugendbuch, mit der Birthgrave-Trilogie (siehe unten) der internationale Durchbruch. Darin erzählt sie von den letzten Überlebenden der Alten Rasse, die vor Äonen die Erde beherrschte – es ist eine Erde, in der die heutige Zivilisation längst untergegangen und von wilden Stämmen abgelöst worden ist. Diese epische Fantasy steht gleichwertig neben der von Katherine Kurtz und C. J. Cherryh.

Birthgrave-Zyklus (Birthgrave):

Im Herzen des Vulkans (1979; The Birthgrave, 1978)
Vazkor (1979, Vazkor, Son of Vazkor, 1978)
Die weiße Hexe (1980, Quest for the White Witch, 1978).

Weitere Werke und Infos siehe unten.

Handlung

Prolog: „Der Turm von Baybhelu“

Der junge König Nemdur hat den Thron des Königreichs Sheve bestiegen, und eine seine wichtigsten Amtshandlungen ist die Sicherung seiner Nachfolge, also braucht er eine Gattin. Er erwählt die sechzehnjährige Jungfrau Jasrin, die sich sehr geehrt fühlt. Sie erfreut sich der Liebe und Beachtung des Königs bis zu dem Tag, an dem sie seinen Sohn gebiert, danach hat er keine Verwendung mehr für sie. Er benutzt lieber andere, jüngere Frauen, und schon bald grämt sich Jasrin und beginnt, ihr Kind zu hassen.

Um es loszuwerden, wickelt sie es in unauffällige Gewänder, entreißt es der Amme und trägt es durchs Stadttor hinaus zu den Karawanen der Händler. Sie legt es in eine der Krippen, doch weil die Wachhunde der Hirten bellen, tritt sie angstvoll den Rückzug an. Sie erfährt erst von Nemdur, dass die Wachhunde das fremde Kind in Stücke gerissen haben. Jasrin aber verbannt er in einen einsamen Turm außerhalb der Stadtmauern. Weil ihre übrige Dienerschaft der wahnsinnig werdenden Herrin nicht mehr gehorcht, hat sie bald nur noch eine alte Frau und ein junges Mädchen, um sie zu bedienen. Allnächtlich richten sie sie für den Besuch eines Königs her, der nie kommt, und es folgen Wut und Tränen.

Eines Abends erscheint ein fünfter Wächter am Eingang, ein dunkler Herr mit zwei Gesichtern. Er spricht erst mit Jasrin, die sich an einen Kinderknochen klammert. Dann spricht er mit Nemdur, der mit seinem Schicksal und mit Jasrin hadert. Doch wer ist schuld an diesem Schicksal, wenn nicht die Götter selbst? Das sieht der König ein und beschließt, wie vorgeschlagen, einen gewaltigen Turm zu errichten, der bis zum Fußboden des Götterhimmels reichen soll.

So geschieht es, und just als die zweite Frau Nemdurs hinaufsteigt, geht der Mond auf. Endlich sehen die Götter, was sie da angreift und schlagen zurück. Der Turm stürzt wegen des Erdbebens ein und begräbt Nemdur unter sich. Doch weil Nemdurs zweite Frau die Götter angebetet und angefleht hat, trägt ein schwarzer Adler sie hinaus aus der Katastrophe und in Sicherheit, in Jasrins Turm. Dort umarmen sich die beiden Frauen und spenden einander Trost.

Chuz jedoch wird vom Herrn der dämonischen Heerscharen zur Rede gestellt. Asrharn will wissen, ob dies nicht alles ein schlechter Scherz und eines Fürsten der Finsternis unwürdig gewesen sei. Chuz, dem Herr des Wahnsinns, hat jedoch das Ergebnis seines Spiel gefallen und er antwortet mit einem Satz, der einer Kriegserklärung gleichkommt.

Teil 1: „Die Frucht wird sauer“

Sheve, die schöne Stadt des Königs, ist nicht mehr. Stattdessen errichten die Menschen, um den Göttern besser zu gefallen, eine weitaus schönere Stadt aus weißem Marmor und Alabaster, und den Altar des Tempels schmücken sie mit blitzendem Gold. Die Gläubigen, die aus aller Herren Länder zu der neuen Stadt Belsheved pilgern, staunen ob des Wunders, dass nach all den Meilen der Wüste hier ein türkisblauer Teich vorzufinden ist, ein Quell des Lebens, der wahrlich eine Gunst der Götter sein muss. Philosophen, Weise, Priester und Akoluthen eilen durch Straßen und Gassen dieser Stadt der Wunder, wohin Brunnen und Alleen die Gläubigen führen.

Als jedoch ein dunkel gekleideter Mann, der sein Gesicht verhüllt, den Sinn und sogar den Grund dieser Religion infragestellt, hetzen junge Männer hinter ihm her, um ihn auszupeitschen. Doch statt eines Peitschenhiebs in sein Gesicht erhält der jüngste der drei einen Anfall von Ekstase als Belohnung. Der älteste Bruder findet im Wüstensand drei Rubine von seltener Pracht, doch er ahnt, dass dies die Blutstropfen dieses Ketzers mit den zauberischen Kräften sind und bedeckt sie lieber mit Sand.

Dann holt Asrharn zu seinem größten Streich gegen die Pilger aus: Zu seinen „Werken der Nacht“ zählt die Neuerschaffung des Baybhelu-Turms mitten in der Nacht. Die Pilger fühlen sich emporgehoben zur Spitze dieses Wunders, doch dort erscheint ihnen eine Illusion nach der anderen: Ungeheuer, Kurtisanen und schließlich Dämonenfürst in vielerlei Gestalt. Als sie am Ende dieser Show erkennen, dass es sich nur um Illusionen handelt, betrachten sie die Symbole ihres Glaubens mit neuen Augen. Sie werden ungläubig – sie flehen um Bosheit, Hass und Gier – und verlassen die Lager, die Belsheved, die angeblich so heilige Stadt, umringen, um nach Hause zu gehen.

Teil 2: „Die Seele des Mondes“

Doch Asrharn ist mit Belsheved noch nicht fertig. Als Panther umkreist er das Heiligtum 49 Mal, bis schließlich eine schöne weiße Dame erscheint: eine Priesterin. Diese Inkarnation der Schönheit fleht den Dämonenfürsten um Gnade für ihre Stadt an. Da sie sich selbst als Opfer anbietet, könne er diese Gnade wohl kaum verweigern, oder? Sie ließe sich auch bereitwillig foltern und so weiter. Kaum hat er ihr in Wolfsgestalt eine Wunde zugefügt, heilt er sie wieder mit seinem eigenen Blut. Nun ist sie Blut von seinem Blute und braucht sich nicht mehr zu opfern.

Dunizel

Ein Mädchen, das seinen Verstand verloren hat, trifft in einem Dorf auf ein wenig Gnade und darf in einem Verschlag dahinvegetieren. Doch als eines Tages ein Magier das Haus auf dem Hügel über dem Dorf bezieht, schaut sich dessen skrupelloser Diener nach etwas Vergnügen um. Nach mehreren Fehlschlägen stößt er auf das schwachsinnige Mädchen und nimmt es mit in die Keller und Höhlengänge, die sich unter dem Hügel erstrecken, bis sie an einen unterirdischen Fluss stoßen. An dessen Ufer fesselt er das Mädchen und benutzt es fortan fleißig für seine lustgesteuerten Zwecke. Die Folgen bleiben nicht aus.

Doch der Magier hat einen bestimmten Grund gehabt, auf diesen Hügel zu ziehen: Er erwartet die Ankunft eines Kometen in 109 Tagen. Da der Komet segensreiche Strahlen aussendet, will er sie mithilfe einer Zaubermaschine einfangen, speichern und für seine Zwecke verwenden. Als der Tag der Ankunft des Kometen gekommen ist, steht auch das Idiotenmädchen kurz vor seiner Niederkunft. Weil aber ihr Benutzer von den Dorfbewohnern aufgeschnappt hat, dass der furchteinflößende Komet bereits drei Fehlgeburten verursacht habe, kommt ihm die brillante Idee, dass die unerwünschte Leibesfrucht seiner Hure mithilfe des Kometen abgetrieben werden könne.

Am D-Day kommt indes alles ganz anders als geplant: Die belebenden Strahlen des Kometen erwecken nicht nur die Natur, sondern auch den Verstand des Mädchens zu regem Leben…

Teil 3: „Bittere Freude“

Dunizel ist im siebten Monat schwanger und spricht bereits mit ihrer ungeborenen Tochter. Doch die wurde nicht auf natürlichem Wege durch Beischlaf von Asrharn gezeugt, sondern aus einem Stück Dunkelheit, wie es einem Dämonen angemessen erscheint. Es dauert nicht lange, bis auch Chuz von dieser Empfängnis Kenntnis bekommt und er ihr ein dämonisches Geschenk machen will. Er wird von Asrharn sofort zurückgewiesen. Stattdessen schmückt Ashrarn die Sterbliche, die ihn liebt, mit eigenen Juwelen. Sie werden blass, sobald sie Sonne ihr Licht auf sie wirft.

Dunizel lebt unbehelligt in Belsheved, bis eine Schar von 400 Sterblichen an die Tore klopft und behauptet, von den Göttern gesandt worden zu sein. Die Priester gewähren ihnen keinen Einlass. Die ganze Aufregung des Pöbels dreht sich um 17 junge Frauen, die ihre Gatten umgebracht haben – ein Gott hatte ihnen Liebe versprochen, sollten sie dies tun. Doch nun enthüllt ihnen ein anderer Gott, wer sie betrogen hat: Asrharn selbst es gewesen, denn er habe ja schon eine Braut, und die (nämlich Dunizel) sei schwanger. Chuz verführt Zhahet, die am nächsten Morgen gehenkt werden soll, ihm zu vertrauen und zu folgen. Sie gehen zum Tor, und mit List und Tücke „überzeugt“ Chuz das Tor, dass es eigentlich nicht sicher ist, ob es offen oder geschlossen ist – es entriegelt sich. Zhahet und die anderen 16 Mörderinnen folgen ihm in den Tempel…

Mein Eindruck

Die Spielbälle der beiden dämonischen Gattern sind nicht nur die Männer – diese haben meist keine Namen, sondern nur Funktionen -, sondern vor allem Frauen. Jasrin, Dunizel, Zhahet und wie sie alle heißen. Denn mit den Emotionen dieser Frauen kennt sich die Autorin offenkundig am besten aus: Fast alle durchlaufen die ganze Bandbreite der Gefühle, deren eine Frau fähig ist. So etwa auch Kinderliebe, und das ist etwas, was Asrharn überhaupt nicht verstehen kann, denn in seiner Unterwelt der Dämonen werden Nachkommen nicht geboren, sondern gemacht. Aber auch Chuz, Herr des Wahnsinns, weiß mit einer weiblichen Emotion überhaupt nichts anzufangen: „Was ist Liebe?“ fragt er am Schluss.

Diese Dämonenfürsten mögen also zwar allmächtig erscheinen, doch ihnen fehlen Eigenschaften, die sie nicht nur außerhalb der Menschheit stellen, sondern sie auch verwundbar machen. Beispielsweise möchte Asrharn die Stadt Belsheved dem Erdboden gleichmachen, weil deren Bewohner seine „Geliebte“ Dunizel gesteinigt haben. Doch auf der Flachen Erde ist der Tod nicht endgültig, und für Dämonen schon gleich gar nicht: Dunizels Seele kehrt zurück. Sie erfleht von ihrem Herrn und Geliebten, dass er Belsheved verschonen möge. Dafür ist sie bereit, sich selbst endgültig zu opfern. Das erinnert an die Bitte Jesu von Nazareth, sein göttlicher Vater möge die Erdlinge verschonen: „…denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Asrharn bringt es nicht über sich, ihre aufopferungsvolle Bitte zu ignorieren.

Belsheved hat viel von Jerusalem an sich: Es ist eine Pilgerstadt, ein wichtiger Tempel steht darin, viele Pilger und Händler aus nah und fern kommen zu Besuch – und sie ist umgeben von Wüste, was der Gegend etwas Todesnahes und Nacktes verleiht: sehr nah zu den Göttern. Aber weil hier Glaube gelebt wird, kann sich auch Wahnsinn Bahn brechen, und das nutzt Chuz aus, als er mit Zharet in den Tempel eindringt. Den Wahnsinn des Glaubens erfährt auch Dunizel: Zunächst als Braut eines Gottes und Mutterfigur verehrt, lässt sich ihr Ansehen leicht durch Schmähreden Zharets beschmutzen. Im Handumdrehen wird aus Verehrung fanatischer Hass: Sie wird gesteinigt.

Dunizel hinterlässt eine kleine Tochter namens Soveh, doch Asrharn missachtet seine Tochter und gibt sie so seinem Widersacher Chuz preis. Es dauert nicht lange, bis Dunizels Vermächtnis auf dem Spiel steht: Wird Soveh Chuz‘ Versuchung erliegen und seinen Zauberwürfel akzeptieren? Oder wird sich Asrharn nach Dunizels Opfertod seiner Tochter erinnern?

Die Erzählform ist die einer Sammlung von Legenden. Keine der Geschichten erhebt Anspruch auf Realismus. Obwohl die Geschehnisse ziemlich phantastisch sind, werden sie doch in Form einer Chronik präsentiert: „Man sagt“, heißt es da häufig, „es ging das Gerücht“, so als wäre die Berichterstatterin lediglich die Überbringern von ziemlich unwahrscheinlichen Geschichten und Märchen, die sie nur vom Hörensagen kenne.

Dies steht im Gegensatz zu den biblischen Themen, die hier verhandelt werden. Die Bibel besteht aus dem Alten und dem Neuen Testament, hatte aber vor gar nicht so langer Zeit (seit dem Konzil von Nicäa zur Kaiser Konstantins Zeiten im 4. Jahrhunderts AD) eine ganze Reihe von Büchern mehr: die Apokryphen, das Buch der Könige, die Predigten der Propheten (Jeremias, Elias und viele weitere) und natürlich die Psalmen.

In der Parallelwelt der Flachen Welt handeln und lieben vormenschliche und menschliche Wesen auf eine Weise, die an biblische Figuren erinnern. Dunizels Opfertod wurde bereits erwähnt, der Zweikampf zwischen zwei Teufeln ebenfalls, die heilige Stadt gleicht Jerusalem, zu dem Gläubige pilgern. Doch es gibt keinen Obergott, nicht einmal Uhlum, den Herrn des Todes würde man dafür bestimmen können. Und deshalb nimmt der Kosmos diese Stelle ein: Erscheinungen wie Kometen erweisen sich als schicksalhaft (etwa für Dunizel), die Sonne ist eine gewaltige Macht, der die Dämonenfürsten aus dem Weg gehen. Letzteren gehört die Nacht, mit ihren Sehnsüchten, Träumen, Wahnvorstellungen und Täuschungen, von denen viele zu seltsamen Verwandlungen führen.

Die Übersetzung

Jürgen Langowski übersetzt bis heute, aber damals, vor rund 40 Jahren, stand er noch am Anfang. Und er hatte offenbar nicht viel Zeit, was die zahllosen Flüchtigkeitsfehler erklären könnte. Ich liste nur die schwersten Fehler auf und lasse falsche Endungen unerwähnt.

S. 14: „starr[t]en sie an“: Das T fehlt.

S. 25: „Mag sagt“: Korrekt muss es „Man sagt“ heißen.

S. 25: „Du wirst zweif[e]llos glauben“: Das E fehlt.

S. 29: „größer als Summi ist Nemdur“: Doch wenige Zeilen zuvor wird ein „Simmu“ erwähnt.

S. 43: „geheimnsivoll“ statt „geheimnisvoll“.

S. 50: „dann er ist es auch“ sollte „denn er ist es auch“ heißen.

S. 52: „die Gande der Götter“ sollte besser „Gnade der Götter“ heißen, um Sinn zu ergeben.

S. 75: Es fehlt eine Leerzeile vor dem Satz, der mit „Der alte Philosoph“ beginnt. Der plötzliche Wechsel von Figur und Schauplatz verwirrt, weil er drucktechnisch nicht angezeigt wird.

S. 81: „grau[m]sam verstümmelt“: Das M ist überflüssig.

S. 86: „auf dieser Schwä[r]ze saße zehn Millionen Lichter.“ Das R fehlt.

S. 96: Zwei Fehler ist nur einem Satz, das ist heftig. „Erst Jahre später, als die Folgen von Tod und Verstümmelung schon schwer auf diesem unglücklichen Volk lastete[n], offenba[h]rten sie einander…“: Das N fehlt, das H ist überflüssig.

S. 160: „ein sch[w]arzes Feuer“: Das W fehlt. Die Autorin liebt solche widersprüchlichen Ausdrücke.

S. 177: „während sie mir ihren blutigen Waffen“: Korrekt sollte es „mit“ statt „mir“ heißen.

S. 240: „sonsern ein Grabgesang“: Korrekt sollte es „sondern“ heißen.

Unterm Strich

Ich wollte die Romanreihe um die Fürsten der Flachen Erde weiterführen, nachdem mit „Herr der Nacht“ gut zu unterhalten wusste. Statt mit dem ziemlich umfangreichen Roman „Herr des Todes“ weiterzumachen, wählte ich den nur halb so umfangreichen Roman „Herr der Illusionen“. Das war ein Fehlgriff, und die holprige Übersetzung erschwerte die Lektüre zusätzlich.

Ich habe für dieses verwickelte Garn über ein Jahr gebraucht – mit vielen Pausen, versteht sich. Denn weil es sich um eine Art Spiel zwischen zwei Fürsten der Unterwelt handelt, sind erst die Spielregeln unklar (sie werden nie erklärt), zweitens ändert sich laufend das Personal, vor allem das weibliche. Denn dieser Roman ist von einer Frau für Frauen geschrieben worden. Können Frauen gegen die Mächte des Bösen bestehen, scheint sie zu fragen, und wenn ja, auf welche Weise? Wie sich zeigt, spielen dabei Liebe, Glaube und Fortpflanzung wesentliche Rollen.

Wer Action sucht, wird woanders besser. Blut fließt zwar, aber sehr begrenzt. Zwar gibt es auch Männer, die in gewaltsame Konflikte geraten, doch sie haben alle keine Namen. Sie erfüllen nur Funktionen, so etwa die drei Brüder, die 400 Pilger, die 80 Anhänger der Sekte der Steine und viele mehr. Sie scheinen nur der Veranschaulichung eines Prinzips oder einer Glaubensrichtung zu dienen.

Schuld an dieser umfassenden Verallgemeinerung von Rollen ist die Form der Legendenchronik. Hier ist Psychologie nur insofern wichtig, als sie beispielsweise eine Glaubensrichtung repräsentiert, aber nicht als die eines Individuums. Somit ist die ganze Geschichte sehr weit entfernt von dem, was wir als „Realismus“ bezeichnen. Immer wieder kam ich mir vor wie in einem Märchen aus tausendundeiner Nacht, das mit Stellen aus dem Alten Testaments verknüpft worden ist.

Da von einem dramatischen Aufbau wie in der Tragödie keine Rede sein kann, basiert der Roman auf Episoden, die Schicksale erzählen. Das war schon in „Herr der Nacht“ (siehe unten) zu sehen, aber wesentlich stringenter. Hier strebt der Roman jedoch keiner Krise entgegen, keiner Katastrophe. Der spielerische Zweikampf zwischen Ashrarn und Chuz könnte ewig so weitergehen, bis die Sonne erlischt. Vermutlich kann eine weibliche Leserin durch Einfühlung in das Schicksal der weiblichen Figuren Jasrin, Dunizel, Zharet und so weiter mehr anfangen, als mir das gelingen wollte.

Die Autorin

Tanith Lee (verheiratet Tanith Lee Kaiine, * 19. September 1947 in London; † 24. Mai 2015 in East Sussex) war eine britische Science-Fiction- und Fantasy-Autorin.

Nach ihrer Schulausbildung hatte sie mehrere Jobs und besuchte ein Jahr lang eine Kunsthochschule, bis sie ihre Berufung im Schreiben fand. 1968 veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichte, bestehend aus nur 90 Wörtern. 1971 kam ihr Jugendroman „The Dragon Hoard“ heraus, doch der Durchbruch gelang ihr erst 1975 mit „The Birthgrave“ („Im Herzen des Vulkans„), der im selben Jahr für den Nebula Award als bester Roman nominiert wurde. Für diesen Roman fand sie keinen britischen Verleger; schließlich wurde der Roman beim amerikanischen Verlag DAW publiziert.

Seit 1976 widmete sich Tanith Lee ausschließlich der Schriftstellerei. Sie schrieb vorwiegend Fantasy-Romane, hat jedoch mit „Don’t Bite the Sun“ (1976) und „Drinking Sapphire Wine“ (1977) zwei außergewöhnliche und weit beachtete Science-Fiction-Romane veröffentlicht.

Werke

1) Zyklen

Die Zyklen sind nach dem Erscheinungsjahr des ersten Teils geordnet.

Vazkor-Zyklus (Birthgrave)

The Birthgrave (1975)
Deutsch: Im Herzen des Vulkans. 1979, ISBN 3-453-30525-6.
Vazkor, Son of Vazkor (1978)
Deutsch: Vazkor. 1979, ISBN 3-453-30550-7.
Quest for the White Witch (1978)
Deutsch: Die weiße Hexe. 1980, ISBN 3-453-30607-4.

Four-Bee-Zyklus

Don’t Bite the Sun (1976)
Deutsch: Beiß nicht in die Sonne. 1982, ISBN 3-8118-3585-8.
Drinking Sapphire Wine (1977)
Deutsch: Trinkt den Saphirwein. 1978, ISBN 3-442-23296-1.

Anackire-Zyklus (Wars of Vis)

The Storm Lord (1976)
Deutsch: Herr der Stürme. 1980, ISBN 3-453-30662-7.
Anackire (1983)
Deutsch: Anackire. 1986, ISBN 3-453-31331-3.
The White Serpent (1988)
Deutsch: Aztira. 1990, ISBN 3-453-04500-9.

Burg-der-Dunkelheit-Zyklus (Castle of Dark)

1 The Castle of Dark (1978)
Deutsch: Die Burg der Dunkelheit. 1988, ISBN 3-453-03129-6.
2 Prince on a White Horse (1982)
Deutsch: Der Prinz auf dem weißen Pferd. 1988, ISBN 3-453-02783-3.
Dark Castle, White Horse (1986, Omnibus 1+2)

Zyklus von der flachen Erde (Tales of the Flat Earth)

1 Night’s Master (1978)
Deutsch: Herr der Nacht. 1981, ISBN 3-453-04499-1.
2 Death’s Master (1979)
Deutsch: Herr des Todes. 1983, ISBN 3-453-30949-9.
3 Delusion’s Master (1981)
Deutsch: Herr der Illusionen. 1990, ISBN 3-453-31186-8.
4 Delirium’s Mistress (1986)
Deutsch: Die Herrin des Deliriums. 1989, ISBN 3-453-03165-2.
5 Night’s Sorceries (1987, Sammlung)
Deutsch: Nächtliche Zauber. 1989, ISBN 3-453-03477-5.

Sabella-Zyklus (Blood Stone)

Kill the Dead (1980)
Deutsch: Das Lied des Exorzisten. 1983, ISBN 3-404-20050-0.
Sabella or the Bloodstone (1980)
Deutsch: Sabella oder der letzte Vampir. 1982, ISBN 3-404-20045-4.

Die Geheimnisse von Paradys (The Secret Books of Paradys)

The Book of the Dead / Paradys (1986)
The Book of the Damned (1988)
Deutsch: Die Verdammten. 1991, ISBN 3-442-24507-9.
The Book of the Beast (1988)
Deutsch: Der Prinz der Dämmerung. 1991, ISBN 3-442-24508-7.
The Book of the Mad (1993)

Tanaquil-Trilogie (Unicorn)

Black Unicorn (1991)
Deutsch: Das schwarze Einhorn / Das Mädchen und das schwarze Einhorn. 1994, ISBN 3-404-20237-6.
Gold Unicorn (1994)
Deutsch: Das goldene Einhorn.
Red Unicorn (1997)
Deutsch: Das rote Einhorn.
Black Unicorn / Gold Unicorn / Red Unicorn (1991)
Deutsch: Die Macht des Einhorns. 2002, ISBN 3-453-21423-4 (Sammelband).

Scarabae-Trilogie (Blood Opera)

Dark Dance (1992)
Deutsch: Unstillbares Verlangen. 1993, ISBN 3-453-53401-8.
Personal Darkness (1993)
Deutsch: Unheimliche Ferne. 1994, ISBN 3-404-13888-0.
Darkness, I – Third in the Blood (1994)
Deutsch: Ägyptische Nacht. 1995, ISBN 3-404-13646-2.

Secret-Books-of-Venus-Zyklus

Faces Under Water (1998)
Saint Fire (1999)
A Bed of Earth (2002)
Venus Preserved (2003)

Claidi-Journals-Zyklus

Laws of the Wolf Tower (1998)
Deutsch: Das Gesetz des Wolfsturms. 2003, ISBN 3-570-12629-3.
Wolf Star (2000)
Queen of the Wolves (2001)
Wolf Wing (2002)

Lionwolf-Zyklus

Cast a Bright Shadow (2004)
Here in Cold Hell (2005)
No Flame but Mine (2007)

S.I.L.V.E.R.

The Silver Metal Lover (1981)
Deutsch: Liebhaber in Silber. 1984, ISBN 3-404-22067-6.
Metallic Love (2004)

Piratica

Piratica: Being a Daring Tale of a Singular Girl’s Adventures upon the High Seas (2004)
Piratica II: Return to Parrot Island (2006)
Piratica III: The Family Sea (2007)

Einzelromane

Betrothed (1968)
The Dragon Hoard (1971, Jugendbuch)
Deutsch: Der Drachenschatz. 1988, ISBN 3-7941-2985-7.
Animal Castle (1972)
Companions on the Road (1975)
East of Midnight (1977, Jugendbuch)
Deutsch: Östlich von Mitternacht. 1984, ISBN 3-453-31079-9.
The Winter Players (1976)
Deutsch: Das Winterspiel. 1976, ISBN 3-453-31052-7.
Volkhavaar (1977)
Deutsch: Volkhavaar, der Magier. 1979, ISBN 3-404-01269-0.
Electric Forest (1979)
Deutsch: Im elektrischen Wald. 1986, ISBN 3-404-24081-2.
Shon the Taken (1979, Jugendbuch)
Deutsch: Der Besessene. 1985, ISBN 3-453-31137-X.
Day by Night (1980)
Deutsch: Tagtraum und Nachtlicht. 1984, ISBN 3-404-24063-4.
Lycanthia – The Children of Wolves (1981)
Deutsch: Die Kinder der Wölfe. 1984, ISBN 3-453-44068-4.
Sung in Shadows (1983)
Deutsch: Romeo und Julia in der Anderswelt. 1986, ISBN 3-404-13045-6.
Tamastara – The Indian Nights (1984)
Deutsch: Indische Nächte. 1987, ISBN 3-404-13111-8.
The Beautiful Biting Machine (1984)
Days of grass (1985)
Deutsch: Tage des Grases. 1994, ISBN 3-453-07774-1.
Madame Two Swords (1988)
A Heroine of the World (1989)
The Blood of Roses (1990)
Deutsch: Der dunkle Engel. 1995, ISBN 3-453-08528-0.
The Blood of Roses (1990)
Deutsch: Der Gott des Waldes. 1995, ISBN 3-453-08529-9.
Voyage of the Basset: Islands in the Sky (1990)
Into Gold (1991)
Heart-Beast (1992)
Louisa the Poisoner (1992)
Elephantasm (1993)
Eva Fairdeath (1994)
Raining Cats and Dogs (1995)
Vivia (1995)
When the Lights Go Out (1995)
The Gods Are Thirsty (1996)
Deutsch: Wenn die Götter dürsten.
White as Snow (2000)
Mortal Suns (2003)
34 (2004, als Esther Garber)
Death of the Day (2004)
L’Amber (2006)
Wolf Star Rise (2006)

Taschenbuch: 254 Seiten.
O-Titel: Delusion’s Master, 1981
Aus dem Englischen von Jürgen Langowski.
ISBN-13: 9783453311862

www.heyne.de

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