Tanith Lee – Im Herzen des Vulkans (Birthgrave-Trilogie 1)

Frühe feministische Fantasy

Die Angehörige einer beinahe verschwundenen Rasse von Superwesen erwacht im Herzen eines Vulkans. Draußen wird sie aufgrund ihrer übermenschlichen Kräfte als Göttin verehrt. Sie stellt erstaunt fest, dass nicht nur ihre Berührung, sondern allein ihr Name heilen können. Denn ein Dämon im Vulkan hat ihr vorausgesagt, dass sie überall das Böse verbreiten werde.

Sie entdeckt, dass es noch weitere Abkömmlinge der alten Rasse auf der Welt gibt. Doch sie wird von ihnen nur benutzt, als Frau wie als Zauberin. Sie wird versklavt und gedemütigt, aber sie nicht auf bei ihrer Suche nach ihrem Ursprung und ihrer Bestimmung. (aus der Verlagsinfo)

Mit dieser Trilogie hat sich die Engländerin Tanith Lee (geb. 1947, gest. 2015) auf Anhieb den Ruf erworben, neben C. J. Cherryh und Katherine Kurtz die wichtigste Vertreterin der gehobenen epischen Fantasy zu sein. (ergänzte Verlagsinfo)

Die Autorin

Die englische Autorin Tanith Lee, geboren 1947, gelang nach ihrem Debüt, einem Jugendbuch, mit der Birthgrave-Trilogie (siehe unten) der internationale Durchbruch. Darin erzählt sie von den letzten Überlebenden der Alten Rasse, die vor Äonen die Erde beherrschte – es ist eine Erde, in der die heutige Zivilisation längst untergegangen und von wilden Stämmen abgelöst worden ist. Diese epische Fantasy steht gleichwertig neben der von Katherine Kurtz und C. J. Cherryh. Tanith Lee starb im Mai 2015 im Alter von 67 Jahren.

Birthgrave-Zyklus (Birthgrave):

1) Im Herzen des Vulkans 1979 (The Birthgrave, 1975)
2) Vazkor, 1979 (Vazkor, Son of Vazkor, 1978)
3) Die weiße Hexe, 1980 (Quest for the White Witch, 1978)

Handlung

Die Frau erwacht in Finsternis, die von rotem Licht durchleuchtet wird. Sie kennt weder ihren Namen, ihre Herkunft noch ihre Stellung. Durch die Höhle zum Licht schreitend betritt sie einen Tempel. In einem Spiegel erblickt ein hässliches Gesicht sie: Es ist ihr eigenes. Der Dämon im Spiegel nennt sich Karrakaz und prophezeit ihr, dass ein Fluch auf ihr liege, fortwährend Böses zu erschaffen. Sie tritt aus der Höhle und dem Tempel über eine steile Treppe, durch eine schmale Tür hinaus ans Licht, denn hinter ihr beginnt die Lava des Feuerbergs zu kochen und emporzusteigen.

Göttin

Das grüne Land liegt ahnungslos vor, die Dörfer im Sonnenschein. Frauen und Kinder entdecken die nackte fremde Frau, die aus dem Berg kommt, und zeigen mit Fingern auf sie. Unangenehm berührt sucht sich die Frau eine Höhle, die einen Schrein beherbergt, einen kleinen Tempel. Sie verspürt, anders als alle Menschen um sie herum, keinen Drang, Nahrung zu sich zu nehmen. Im Gegenteil: Der Gedanke an Essen bereitet ihr Übelkeit.

Als die Frauen kommen, um ihre Kinder und Kranken heilen zu lassen, erscheint ihnen die Frau mit einer Maske vor dem Gesicht, um ihre Hässlichkeit zu verbergen. Doch nicht die Berührung genügt für die Heilung, sondern der Glaube an sie, die man „die Göttin“ nennt.

Dieser Zustand findet ein abruptes Ende, als der Räuber Darak mit seiner Truppe das Dorf übernimmt und die „Göttin“ herausfordert. Sie ist auf Abstand bedacht, doch den gewährt ihr der Hauptmann nicht, und als eine seiner Frauen, Shullath, ihr heimlich den Jadestein klaut, den sie um den Hals trug, als sie dem Vulkan entstieg, fällt sie wütend über Shullath her, um ihn ihr wieder abzunehmen. Nur Darak zeigt sie ihr hässliches Gesicht – fortan lässt er sie unangetastet.

Hexe

Die Feindschaft zwischen der Dorfbevölkerung und der Räuberbande gegenüber der „Göttin“, die zunehmend als Hexe tituliert wird, beginnt sich zu vertiefen. Darak beschließt, nach Süden zu ziehen, in ein Tal voller Camps. Doch kaum ist er fort, geht der Ärger von vorn los. Als eine junge Frau, die von Darak ein Kind erwartet, wegen einer Fehlgeburt Schmerzen leidet, bringt Shullath sie zu der Hexe. Doch die kann der Leidenden nur die Hand auf den Kopf legen und ihrem Geist Linderung schicken, soweit, dass die Frau den Geist aufgibt.

Fortan verleumdet Shullath die Hexe als Mörderin und sinnt selbst auf Mord. Kaum ist Darak zurück, beginnt Shullath und das mit ihr verbündete Frauenvolk den rhetorischen Angriff auf die Hexe. Dabei bleibt es nicht: Shullath geht mit dem Messer auf die Feuergeborene los. Ein kurzer Griff, als hätte sie dies schon x-mal getan, und Shullaths Genick ist gebrochen. Indem er Shullaths verbrannten Körper als den der „Hexe“ ausgibt, glättet er die Wogen des Zorns. Mit einer als Junge verkleideten „Hexe“ zieht er weiter nach Süden.

Der Süden

In Städten wie Sogotha und Ankurum leben große Lords, deren Truppen mit Daraks kleiner Bande von Räubern kurzen Prozess machen. Wider Erwarten bedauert die Hexe den Verlust von Darak, doch sie muss sich mit einem der hohen Lords in Ankurum arrangieren. Sie erfährt, dass es hier rechtlose Sklaven von dunkler Hautfarbe gibt, aber es liegt irgendwie nicht in ihrem Wesen, sich ihrer anzunehmen und ihr hartes Los ein wenig zu erleichtern. Intrigen bedrohen ihr Leben. Wenig später gelingt es ihr, durch einen langen Tunnel unter dem Palast zu entkommen und sich einer Karawane anzuschließen, der sie als magiebegabte Heilerin dient.

Ezlann

Der Tunnel endet jenseits der Berge in den Hügeln über einem riesigen Strom namens Aluthmis, der die bekannte Welt in zwei Hälften teilt. Doch wie soll sie den Strom überqueren, fragt sie sich, als sie die Karawane verlässt. Eine Fähre bringt sie ans jenseitige Ufer, doch dort wird sie von Soldaten gestoppt, die sie bedrohen. Eine kleine Machtdemonstration ihres göttlichen Zorns macht ihnen den Garaus – und erhebt sie in den Augen der überlebenden Offiziere zur Göttin. Oder zumindest zu etwas Ähnlichem. Sie geleiten sie nach Ezlann, der schwarzen Stadt am Rand der Weißen Wüste. Wie schon immer trägt sie eine ihrer Masken, um auf diese Weise ihre Hässlichkeit zu verbergen.

Hier gibt es einen Kult um eine Göttin, die Heilkraft besitzt: Uastis. Mithilfe des Feldherrn Vazkor, der sie eingehend geprüft hat, und des Hohepriesters Oparr gelingt es dem Trio, die Hexe als neue Göttin namens Uastis zu inszenieren, indem sie auf der göttlichen Empore einer riesigen Uastis-Statue erscheint. Das Volk liegt ihr zu Füßen, was dem Feldherrn nur recht sein kann: Er will den Herrscher Asren beseitigen, um selbst Herrscher zu werden und einen Eroberungskrieg gegen die Staaten im tiefen Süden anzuführen. Ein Sieg würde ihm die Oberherrschaft über ein Imperium einbringen, das vom Aluthmis-Fluss bis zum südlichen Ozean reicht – die Hälfte der Welt. Um seine Nachfolge zu sichern, braucht er nur noch ein Kind von der Göttin.

Der Kriegszug

Nachdem er Asren auf mysteriöse Weise aus der Stadt entfernt hat, erzwingt Vazkor als neuer Oberherr der Stadt eine Allianz der Städte an der Weißen Wüste: Ezlann übernimmt den Vorsitz, und warnende Zweifler wie der Bürgermeister von Eshkorek werden kurzerhand mundtot gemacht. Der Krieg kann beginnen, doch der Göttin wird befohlen zurückzubleiben, angeblich um das Kind in ihrem Bauch nicht gefährden. Doch sie ahnt, dass es in Wahrheit darum, die Soldaten und Offiziere nicht zu gefährden. Sie hat sich inzwischen ihre eigene Leibgarde zugelegt, und mit deren Hilfe gelingt es ihr, in Verkleidung am Feldzug teilzunehmen.

Untergang

Auf diese Weise erfährt sie, was Vazkor in Wahrheit tut: Es ist ein Vernichtungsfeldzug, und er nähert sich den Städten im Purpurtal am Ozean. Als sie dies erkennt, entfesselt ihr Zorn ein Unwetter und ein Erdbeben. Vazkors Armee wird unter Felsen begraben, er selbst entkommt nur mit knapper Not. Sein Rückzug führt ihn zur Festung von Eshkorek, wo sie ihn wiedertrifft. In den tiefen kerkern der Festung entdeckt sie ihren geliebten Asren, doch er hat nur noch den Verstand eines Kleinkindes. Jetzt, in der Stunde der Not und des Untergangs, enthüllt ihr Vazkor seine wahre Lebensgeschichte. Er ist keineswegs einer aus ihrer eigenen Rasse, sondern ein sterblicher Emporkömmling und der Sohn einer Sklavin. Während die Kanonen der nachrückenden Feinde die Festung unter Beschuss nehmen, bricht für die Göttin eine Welt zusammen. Sollte sie wirklich die einzige Überlebende der Alten Rasse sein?

Mein Eindruck

Als dieses Buch in der SF-Reihe des Heyne Verlags erschien, waren noch zwei Herausgeber dafür verantwortlich: Wolfgang Jeschke und Herbert W. Franke, welcher dann zu Goldmann ging. Wer letzten Endes für die üppige Ausstattung dieses Debütromans einer bis dato unbekannten britischen Autorin verantwortlich zeichnete, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Diese Ausstattung besteht aus zahlreichen aufwändigen, mitunter doppelseitigen Illustrationen und aus einer doppelseitigen Landkarte – dies ich auch in den beiden Folgebänden findet. Die Frage, die sich der heutige Leser stellen könnte: Warum solch ein Aufwand für eine Newcomerin?

Fantasy-Heldinnen

Ende der siebziger Jahre waren Heldinnen in der Fantasy dünn gesät. Der Grund war einfach: Die Verlage nahmen an, dass es kaum weibliche Leser für heroische Fantasy gab. Action-Fantasy vom Schlage eines John Norman, wie er bei Heyne verlegt wurde, verlangte nach passiven, halbnackten Weibchen, die dem maskulinen helden Vergnügen bereiten sollten – um so die Phantasien des pubertären männlichen Lesers zu erfüllen oder wenigstens zu spiegeln. Die Fantasy von Autorinnen wie Ursula K. Le Guin war im Vergleich dazu gewaltfrei und geradezu intellektuell, so etwa der ERDSEE-Zyklus. Lediglich Joanna Russ ließ ihre Heldin Alyx (dt. bei Knaur) den Männern zeigen, was für Dumpfbacken sie doch sind. Aber Alyx stammt ja auch aus der griechischen Antike und kann nichts dafür. Dass Catherine L. Moore vor dem 2. Weltkrieg mit Jirel of Jhoiry eine tolle Heldin erfunden hatte, war der neuen Generation nicht geläufig. (Diese Storys sind in dem Band „Shambleau“ bei Heyne veröffentlicht worden.)

Dieser Hintergrund erklärt auch halbwegs, warum die Heldin Karrakaz – denn diesen Namen findet sie letzten Endes heraus – die meiste Zeit so passiv ist. Es sei denn, ein Mann erregt ihren Zorn, dann liegt das Gegenüber bald tot auf der Nase. Auf ihrer einjährigen Reise dient sie den jeweiligen Herrschern häufig als Mittel zum Zweck, meist um die Macht zu demonstrieren, die der Mann über die Menschen UND Göttern bzw. Geister hat: Darak, Vazkor und viele andere.

Therapiesitzung

Erst am Schluss erfährt Karrakaz in einer Art Therapiesitzung, die ihre Erinnerungen erschließt, warum sie sich derart hat missbrauchen lassen. Sie hielt sich nicht nur für hässlich (und trug daher ständig eine Maske), sondern auch für minderwertig. Obwohl sie wunderschön ist, sobald sie mal ihre Maske abgenommen hat, bleibt sie voller Angst: Sicher folgt für solchen Frevel bald die verdiente Strafe. Dabei stammt sie aus einer Rasse von Übermenschen, denen vor einer Katastrophe die Welt der Menschen untertan war. Die Katastrophe bestand in einer Seuche, einer Pandemie. Auf der Flucht davor flohen die Angehörigen dieses Gottgleichen tief unter die Erde und lernten, dass sie es waren, die diese Geißel der Götter auf die Welt herabbeschworen hatten. Kurz gesagt: Karrakaz leidet unter dem größten vorstellbaren Minderwertigkeitskomplex.

Emanzipation

Daher sahen die wenigen weiblichen Leser ihrer Romane – die schnell mehr wurden – sich in Karrakaz gespiegelt. Generation um Generation hatte ihnen eingebläut, dass sie dem Mann untertan waren, weil sie schwach, minderwertig und eh nur zum Kinderkriegen gut waren – bis ihr Haltbarkeitsdatum ablief. An eine eigenständige Identität war daher kaum zu denken, es sei denn, eine Frau wurde zufällig in hohen Stand oder Reichtum geboren. All dies änderte sich zum Glück in den sechziger und siebziger Jahren. Frauen und ihre Idole, wie etwa „Barbarella“, durften weiblich, sexy und manchmal sogar selbständig sein. Es war eine Art erste Befreiung. Dieser Prozess dauert bis heute an.

Archetypen

Karrakaz ist ebenfalls ständig auf der Suche nach sich selbst, wenn sie nach Jade sucht, einem angeblichen Angehörigen ihrer verlorenen Rasse. Die Suche nach Jade und ihrem eigenen Ich führt sie zu Männern, die ihre Existenz und Identität definieren. So durchläuft sie verschiedene Rollen, in die überlegene Frauen seit jeher gedrängt worden sind: Göttin, Hexe, Heilerin, Zauberin. Das sind alles Schablonen, um sich nicht mit ihrem individuellen Wesenskern auseinandersetzen zu müssen. Das gilt für Männern wie auch für Frauen. Die Autorin lässt die Hauptfigur also Jungsche Archetypen durchlaufen. Dass sie etwas von Psychoanalyse versteht, verrät eine Bemerkung wie auf S. 322: „mit einem Schwert – ein drohendes phallisches Symbol“. Hier mischt sich die Autorin in die Erzählung ihrer eigenen Chronistin ein, und zwar auf modern interpretierende Weise. Das ist ziemlich erzählerisch ungeschickt, weil eine solche intellektuelle Interpretation nicht zur Naivität ihrer erst 19 Jahre jungen Hauptfigur passen will.

Die heutige Leserin

Damit wären wir bei der modernen Aufnahme einer solchen Hauptfigur angelangt. War Karrakaz vor 46 Jahren (1975) noch eine herausfordernde Rebellin im Fantasy-Genre, wirkt sie heute als schwach, naiv, passiv und häufig intellektuell unterlegen. Immer wieder findet sich der verräterische Satz: „Mir fiel nichts ein, was ich hätte antworten/fragen können.“ Man sollte ihr aber zugutehalten, dass sie noch sehr jung ist, völlig ahnungslos, was die Welt ringsum anbelangt und mit einem Minderwertigkeitskomplex belastet ist. Weil sie sich für hässlich hält, trägt sie stets eine Maske, was ihre wahre Identität kaschiert. Letztere muss sich erst noch entwickeln.

Eine Ermittlung

Die Queste der Hauptfigur funktioniert wie in klassischer Krimi: Die Heldin wird mit Amnesie in die Welt geworfen, die sie nicht versteht. Umgekehrt gilt das Gleiche: Wer ist diese mächtige Frau, die mit einem Gedanken töten und Botschaften übermitteln kann? Dies ist der umfassende Spannungsbogen, der diesen Roman stützt. Kleinere Spannungsbögen umfassen jede Beziehung zu einem dominanten Mann, sei es Darak, sei es Vazkor. Dementsprechend ließe sich der Roman nur in die drei vorhandenen „Bücher“ unterteilen, sondern in noch kleinere Einheiten. Der Text ist feinsäuberlich in unzählige Kapitel und Unterkapitel aufgeteilt, so dass der Leser stets das Gefühl hat, er könne sich stets zurechtfinden und den langen Text ohne Mühe bewältigen. Dieses Strukturprinzip finden sich in praktisch jedem der zahlreichen Romane dieses enorm produktiven Autorin.

Sex

Dieser Stil in der Kontrolle des Textes stimmt mit der Sprache überein. Hier fehlen entsprechende ausschmückende Adjektive sowie hochemotionale Wörter wie etwa „Liebe“ oder „Zärtlichkeit“. So etwas wäre bei einer Figur, die unter Amnesie und einem Minderwertigkeitskomplex leidet, auch wenig angebracht. Das heißt aber nicht, dass Karrakaz nicht zu Zuneigung und Bindung fähig wäre; es wird nur eben selten ausgedrückt. Der Eindruck entsteht, dass die Erzählerin auf ihr früheres, unerfahrenes Ich zurückschaut und sich so objektiv wie möglich beurteilt. Von „Romantasy“ bzw. Romanze kann also keine Rede sein.

John-Norman-Fans kommen aber ebenfalls nicht auf ihre Kosten. Hier wird die Hauptfigur weder gejagt noch wiederholt vergewaltigt. Wenn Männer mit Frauen Sex haben, so geschieht dies in der Regel einvernehmlich. Sexszenen werden nicht genüsslich geschildert, sondern beiläufig erwähnt. Die Benutzung durch mächtige Männer ist etwas, dass Frauen eben widerfährt. Das heißt aber im Fall von Karrakaz nicht, dass sie Vergnügen an Sex hat – ihr fehlt vor allem die Achtung und der Respekt, die einem menschlichen Wesen und vor allem einer Frau zustehen. Karrakaz ist insofern vielleicht eine Ausnahme, als sie das Kind, das ihr Vazkor gemacht hat, verabscheut, ablehnt und nach der Geburt weggibt (s.o.). Das ist ihr Statement zu ihrem Liebhaber.

Humor

Humor glänzt in diesem Buch durch Abwesenheit. Jeder Leser, der auch nur ein Fünkchen Humor sucht, wird bald frustriert aufgeben. Aber es gibt Ironie. Immer wieder halten die Menschen sie für eine Frau, die sie nicht ist. Aufgrund dieser Verwechslungen wird sie zu der Heilerin mit dem Namen Uasti, zu einer Göttin mit dem Namen Uastis, zu einer Sklavin und vielem mehr. Das lässt den Schluss zu, dass die Menschen solche Archetypen brauchen. Und da sie selbst (noch) keine Identität besitzt, lehnt sie es nicht ab, ihnen diesen Wunsch nach einer mächtigen Person zu erfüllen. So gesehen, ist dieser Roman auch eine Komödie der Irrungen und Wirrungen, ohne dass dies irgendwo in den Vordergrund gestellt würde.

Die Übersetzung

Thomas Schlück, mittlerweile ein erfolgreicher Literaturagent (z.B. von A. Eschbach), war während der siebziger, Anfang der achtziger Jahre auch ein fleißiger Übersetzer von Action-Fantasy. Ihm kommt das zweifelhafte Verdienst zu, die meisten Gor-Romane um bis zu 50 Prozent gekürzt zu haben – wohl auf Anweisung des Verlags. Auch im vorliegenden Roman hat er sich nicht unbedingt stilistisch verausgabt, aber dafür scheint der Text einigermaßen vollständig zu sein, außer in den Sexszenen.

S. 34: „Trau der Dirne nicht.“ Hier wohl im Sinne von „Frau von zweifelhaftem Ruf“.

S. 78: „Die purpurne Nebenwolke“: Gemeint ist wohl eine „Nebelwolke“.

S. 207: „Vazkar“ statt „Vazkor“.

S. 220: „und als alles vorbei war“: Hier ist wohl keine Sexszene auf plumpe Weise verschleiert. Sex mit Vazkor kommt erst später.

S. 240: „Winterfeldzüge in die Kriegsmarsch hatte es noch nicht oft gegeben.“ Ein rätselhafter Satz, den der Leser entschlüsseln muss. Gemeint ist wohl folgendes: „Winterfeldzüge, in denen ein Kriegsmarsch stattfand, hatte es noch nicht oft gegeben.“ Sicherlich ist aber nicht das Gelände einer Marsch gemeint, denn was hätte die marsch mit einem Krieg zu tun?

Die Illustrationen von Hubert Schweizer

Hubert Schweizer hat eine große Anzahl von Zeichnungen beigetragen. Meist ist die Hauptfigur darin abgebildet, so etwa in ihrer Begegnung mit einem Drachen. Die doppelseitige Illustration auf den Seiten 128 / 129 ist besonders eindrucksvoll gelungen. Mir ist als Laien ist nicht bekannt, welche spezielle Technik der Künstler verwendet hat, aber der Eindruck eines Holzschnitts ist dabei entstanden.

Die Karte von Erhard Ringer

Diese stilisierte Karte hilft dem Leser, den Weg nachzuvollziehen, dem die Hauptfigur folgt, vom Landesinneren über Wüsten und Berge bis zur Küste.

Unterm Strich

Auch innovative, feministische Fantasy kann rasch altern. Nach 46 Jahren wirkt dieser frühe feministische Roman innerhalb der heutigen Frauengeneration wahrscheinlich nicht nur völlig überholt, sondern auch schon auf beschämende Weise erzkonservativ. Das liegt vor allem Verhalten der weiblichen Frauenfigur, die nach heutigen Maßstäben beurteilt wird. Allerdings gilt es dabei einiges zu beachten.

Als Tanith Lee ihre Heldin Karrakaz erfand, versah sie diese mit einer eigenen, individuellen Vergangenheit, die sich nicht auf andere Frauen übertragen lässt. Karrakaz hat keine Erinnerung, keine Identität, hält sich für hässlich und obendrein für verflucht. Im Verlaufe eines Jahres schafft sie es, zumindest ein paar dieser Handicaps abzustreifen. Ja, sie bringt sogar ein Kind zur Welt – nur um es sogleich wie ein Kuckucksmutter in das „Nest“ einer fremden Mutter zu legen. (Dieses Kind ist Vazkor, Vazkors Sohn, die Hauptfigur des Folgebandes.)

Und in der Therapiesitzung am Schluss dieses Bandes erfährt sie die Wahrheit über sich selbst. Man kann sie mit Fug und Recht als psychisch krank einstufen. Wenn heutige Leserinnen Karrakaz beurteilen, sollten sie auch diese individuellen Züge berücksichtigen. Sie sind der Grund, warum der Roman bis heute immer noch mit gewinn und Vergnügen lesbar ist. Die Frage lautet nämlich: Was stellt eine Frau an, die weiß, dass sie über die Macht verfügt, andere mit einem Gedanken zu töten? Von „Romantasy“ bzw. Romanze kann keine Rede sein.

Taschenbuch: 383 Seiten
Originaltitel: The Birthgrave, 1975
Aus dem Englischen von Thomas Schlück.
ISBN-13: 9783453305250

www.heyne.de

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