Thomas Harris – Cari Mora. Thriller

Der Goldschatz des Verderbens

In Pablo Escobars Haus in Miami Beach müssen sich 25 Millionen Dollar in Kartellgold befinden. Viele Männer haben danach gesucht, aber keiner ist so skrupellos und furchterregend wie der Drogen- und Menschenhändler Hans-Peter Schneider. Er hat sich darauf spezialisiert, die gewalttätigen Phantasien anderer, wohlhabenderer Männer zu erfüllen.

Das Haus der leider inzwischen verblichenen Drogenbarons wird von Caridad Mora, der Haushälterin, in Schuss gehalten. Die Kolumbianerin ist der Terrormiliz FARC entflohen und lebt in Miami Beach zusammen mit Tante und Cousine, geduldet mit einer zeitweiligen Aufenthaltsgenehmigung. Sie bekommt es nicht nur mit Schneider zu tun, der ein Auge auf sie geworfen hat, sondern mit weiteren Dieben, die alle hinter dem Gold her sind. Bald müssen alle ihre Gegner feststellen, dass Cari über überraschend viele Überlebenstechniken verfügt – und sie zögert keine Sekunde, sie einzusetzen…

Der Autor

Thomas Harris arbeitete zunächst als Journalist, der über Verbrechen in den USA und Mexiko berichtete. Anschließend war er Reporter und Redakteur bei der Nachrichtenagentur Associated Press.

Seine Romane:

1975: Schwarzer Sonntag (Black Sunday; in Deutschland 1975)
1981: Roter Drache (Red Dragon; in Deutschland 1988)
1988: Das Schweigen der Lämmer (The Silence of the Lambs; in Deutschland 1990)
1999: Hannibal
2006: Hannibal Rising
2019: Cari Mora

Handlung

Der Drogenbaron Pablo Escobar vom Medellin-Kartell ist zwar tot, aber seine noble Hütte in Miami Beach steht immer noch. Sie wird von einer kleinen Truppe in Schuss gehalten. Da ist der Poolboy Antonio, der angeblich den Swimming Pool sauber hält. Da ist der alte Benito, der alle zwei Woche die Hecken und Sträucher der Villa schneidet. Und schließlich ist da Caridad Mora, die kolumbianische Haushälterin, die drinnen nach dem Rechten sieht. Es ist nur einer ihrer Jobs, mit denen sie sich über Wasser hält, um sich, ihre Cousine, der Baby und ihre alte Tante zu ernähren. Sie hat nur eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung und eine tödliche Angst vor der Zoll- und Einwanderungsbehörde ICE. Folglich will sie nicht auffallen und keinen Ärger verursachen.

Die Sucher

Das ist auch Hans-Peter Schneider klar, der ein Auge auf das Haus geworfen hat, nicht um darin zu wohnen oder angebliche Dreharbeiten zu erledigen, sondern um nach Pablo Escobars Gold zu suchen. 25 Millionen Dollar in Gold, so hat ihm sein kolumbianischer Auftraggeber gesagt, würden sich irgendwo im Keller in einem großen Tresor befinden. Man muss nur entschlossen genug danach suchen. Weil er weiß, dass die Rivalen nicht weit sein können, hat er mit Umberto und Bobby Joe zwei Profi-Killer engagiert.

Der Wächter

Zusammen zwingen sie den Verwalter Felix dazu, ihnen nicht nur das Haus zu öffnen, sondern auch, in der Höhle unter dem Rasen zu suchen. Die Entdeckung der Höhle kommt etwas überraschend, aber offenbar hat das Meer unermüdlich den Boden unter dem Haus untergraben und sich unter dem Rasen vorgearbeitet. Nach ein paar unerfreulichen Zwischenfällen mit Antonio und Benito drängt Schneider den Verwalter dazu, in der Höhle nachzuschauen und lässt ihn an einem Seil in die Tiefe. Die Helmkamera zeigt einen Tresor, der größer als ein normalen Kühlschrank ist – und die angefressene Hälfte eines Hundes. Etwas schießt aus dem Meerwasser hervor, das die Höhle ausfüllt, packt Felix und beißt ihn in zwei Hälften. Offenbar hat das Gold einen tierischen Bewacher.

Vergeltung

Nun will Antonio sein Glück versuchen. Er ist Caridad nicht unsympathisch, aber wie so viele Machos sehr von seinen Fähigkeiten überzeugt. Er schnorchelt in die Höhle, wird aber von Umberto und Bobby Joe entdeckt, die ihn an Land ziehen. Cari, die vergeblich in seinem Wagen auf Antonios Rückkehr gewartet hat, begibt sich auf den Weg, um nach seinem Verbleib zu forschen. Als sie an der Villa herumschleicht, stößt sie auf seine Leiche. Sie hat keinen Kopf mehr. Da taucht Bobby Joe in der Tür auf, der die Leiche entsorgen will. Cari zögert keine Sekunde und feuert mit ihrer mitgebrachten Pistole.

Doch die Schüsse rufen auch Umberto auf den Plan. Als er sieht, wie ein Mensch durchs Meer vor der Villa schwimmt, stürzt er sich im Taucheranzug ins Wasser. Auf einmal fühlt sich Cari am Bein gepackt und in die Tiefe gezogen. Der Taucher will sie ertrinken lassen. Doch Cari hat in ihrem jungen Leben bereits viele Schrecken erlebt, denn sie wurde für die kolumbianische Befreiungsarmee FARC rekrutiert, als sie erst zwölf Jahre alt war. Sie denkt nicht daran, jetzt aufzugeben und zieht ihre Pistole erneut…

Mein Eindruck

In Miami Beach treffen Nord- und Südamerika gewalttätig aufeinander. Der Brennpunkt des Interesses ist der Goldtresor. Wie ein Piratenschatz ist er ein Überbleibsel aus einer versunkenen Ära des Erfolgs: Damals war Pablo Escobar der ungekrönte König des Medellín-Kartells und des Drogenschmuggels. Der Spielfilm „Bobby Seal“ mit Tom Cruise verschafft einen sehr guten Eindruck vom Anfang des Schmuggels – ein Schmuggel, der von der CIA angeleiert wurde, um mit den ungeheuren Gewinnen (Bobby Seal bekommt in Arkansas seinen eigenen Tresorraum) die Waffen für die antikommunistischen „Freiheitskämpfer“ zu kaufen. Wie diese Kämpfe dann im einzelnen abliefen, hat Lucius Shepard in seinen zahlreichen Geschichten erzählt, etwa in „Salvador“.

Der Psychopath

Um den Tresor kämpfen mindestens zwei verschiedene Gruppen, die zwei rivalisierenden Drogen-Capos dienen. Was die Schatzsuche nun noch benötigt, ist ein fieser Psychopath und sein auserkorenes Opfer. Der Psychopath ist eine Art „Hannibal Lecter“ light: Schneider handelt mit Mädchen und ihren Organen, verschmäht wohl selbst nicht den einen oder anderen Happen…

Cari

In Cari findet er wider Erwarten einen ebenbürtigen Gegner. Sie ist eine ausgebildete FARC-Kindersoldatin aus dem kolumbianischen Dschungel. Sie weiß, wie man eine AK-47 Maschinenpistole in weniger als 60 Sekunden zusammensetzt und schussbereit macht, hat selbst schon ihren Commandante umgelegt: Sie hat ihren Sinn für Gerechtigkeit bewahrt. Cari hat keine Furcht vor Sprengstoff oder irgendwelchen angeheuerten Ganoven mit Kanonen: Sie weiß, dass sie schneller ist. Ihr Land der Freiheit, die USA, weiß sie Schritt für Schritt zu erobern: Erst eine Hütte für vier, dann ein leerstehendes Haus, dessen Dach sie reparieren muss, dann das College, um einen Beruf zu erlernen.

Polizei

Und das Auge des Gesetzes? Das taucht in Gestalt eines Polizeibeamten namens Robles auf, der auf der Suche nach einer ganz bestimmten Pistole ist. Ihm wurde seine geliebte Frau getötet, als sie beide gemütlich in ihrem Haus schliefen. Es war ein unerklärlicher Anschlag, verübt von einem Typen, den Robles hinter Gitter gebracht hatte und der sich rächen wollte. Die forensische Spur der Waffe führt ihn direkt zu Caridads Türschwelle.

Wächter

Die Villa Pablo Escobars liegt direkt an der Felsklippe, die vom karibischen Meer um- und unterspült wird. In der ausgewaschenen Höhle darunter findet Antonio nicht nur den Tresor, sondern auch den Tod. Ein Hai treibt hier als Wächter des Schatzes (wie weiland der Drache Fafnir beim Nibelungenschatz) sein Unwesen. Doch wenn die Natur den Menschen bedroht, so gilt das Gleiche auch umgekehrt: Menschliche Hinterlassenschaften bedrohen die tierische Umwelt und verschmutzen das Wasser.

In einer symbolischen Szene befreit Cari, die Tierschützerin, einen großen Vogel, der sich in einer Fangleine verfangen hat und nun kopfüber von einem Baum hängt. In der finalen Szene ist Cari selbst an Händen und Füßen gefesselt und wird gerade auf einem Boot einem Sklavenhändler zugeführt. Es ist offensichtlich, dass sie ein Schicksal wie jener hilflose Reiher erleiden soll. Jede andere Frau würde vielleicht aufgeben, doch nicht so Cari: Mit ein paar eindrucksvollen Tricks entledigt sie sich ihrer Fesseln und macht den Wächter unschädlich. Nun muss sie es noch mit der Verkörperung des (roten) Drachen aufnehmen, dem Psychopathen Hans-Peter Schneider…

Der Tresor

Um an den Geldschrank heranzukommen, ist einiger Aufwand vonnöten. Das Riesending ist in den Untergrund unter der Villa einbetoniert und lässt sich nur schwer bewegen. Um die Tür des Tresors öffnen zu können ist sogar ein Bauplan erforderlich. Den braucht der Tresorknacker Favorito, um die Schaltungen und Kabel zu vermeiden, die die Sprengladungen zünden würden, von denen die Goldbarren umgeben sind.

Auf der amerikanischen Originalausgabe, die mir vorliegt, ist das Madonnenbild abgedruckt, das Favorito und Cari auf der Tür des Tresor vorfinden. Es spielt eine entscheidende Rolle. Diese spezielle Madonna nennt sich Nuestra Senora de Caridad de Cobre: die Madonna des Kupfers. Denn alle zwölf Segmente und Sternen des Strahlenkranzes, der Krone und des Regenbogens darüber sind aus purem Kupfer. Fehlt auch nur ein Stern oder Zacken usw., so könnte dies auf eine Falle hinweisen, die der raffinierte Konstrukteur der Sprengstofffalle gebaut hat. Fasvorito braucht einen Bauplan, den sich ein Anwalt gut bezahlen lassen will. Wie sich herausstellt, ist allein Cari genug, die Falle unschädlich zu machen. Man sieht also, dass die Handlung durchaus spannend ist.

Unterm Strich

Beurteilt man das Buch nach seinem Umfang, so entsteht nicht der Eindruck, es handle sich um einen kompletten Thomas-Harris-Roman, jedenfalls nichts vom Kaliber eines „Roter Drache“, „Schweigen der Lämmer“ oder „Hannibal“. Vielmehr scheint es sich allenfalls um eine Novelle von vielleicht 150 bis 200 Seiten zu handeln. Durch ein großes Druckbild und zahlreiche leere Seiten zwischen Kapiteln hat der Penguin-Verlag den Buchumfang auf 300 Seiten aufgepumpt. Dafür verlangte der Verlag ursprünglich etwa 15-20 US-Dollar (auf meiner Ausgabe steht der englische Preis von happigen 13,99 Pfund Sterling).

Umfangsmäßig ist der Autor zu seinem frühen Thriller „Schwarzer Sonntag“ (dt. bei Heyne ) zurückgekehrt. Der Verlag wirbt trotzdem unverdrossen mit den Bestsellern der Hannibal-Reihe. Dieser Werbung sollte man nicht auf den Leim gehen. Es mag sich immer noch um einen Thriller – siehe oben – handeln, doch die ganze Konstruktion ist doch eher leichtgewichtig. Derlei könnte man locker an einem Tag auslesen. Danach hätte man trotzdem das Gefühl, einen Tag für nichts verschwendet zu haben, denn sie Bedeutung der Story bewegt sich eher auf dem Niveau einer Fußnote: Hinterlassenschaften und Nachwehen einer großen Ära mit großen Männern (wie Pablo Escobar), um die sich nun die Geier streiten.

Taschenbuch: 309 Seiten plus Lesepreobe von „Roter Drache“
Originaltitel: Cari Mora
Aus dem US-Englischen von Imke Walsh-Araya.
ISBN-13: 9781785152191

www.penguin.co.uk

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