Thomas Vaucher – Winterhelden: Die Schlacht um Yrnis

Geschichtsstunde in Romanform

„‚Sechshundert gegen zehntausend‘, wiederholte Teiling und drehte sich um seine eigene Achse, um sich die Männer in der Gaststube anzusehen. ‚Sechshundert gegen zehntausend! Lasst es euch auf der Zunge zergehen, denn morgen werden wir kämpfen! Sechshundert gegen zehntausend! Und Hans Viol, dieser kleine Bergführer, Dichter und Sänger wird ein Lied darüber schreiben. Ein Lied, wie wir den zehntausend Lombarden den Arsch versohlen! Ein Lied, wie wir sie weinend und heulend wir kleine Kinder zurück nach Mailand schicken!'“

Man schreibt das Jahr 1490 und für eine tägliche warme Mahlzeit berichtet der zu einem Säufer heruntergekommene ehemals zu den gefürchtetsten und besten Kämpfern Europas zählende Hans Sturm dem Chronisten Etterlin von seinem Freund Hans Teiling. Dieser hatte zwölf Jahre zuvor mit Hilfe von Ortskenntnis und einer cleveren List ein Heer von 10.000 lombardischen Kämpfern mit einer vergleichsweise kleinen Truppe von nur 600 Schweizern und Livinern in die Flucht geschlagen und damit das Livinental vor der Übernahme gerettet. Rückblickend erzählt nun also der Söldner Sturmhans ihre gemeinsame Geschichte beginnend damit, wie „Frischhans Teiling“ ihm bei einer Anklage wegen Mordes zur Seite gestanden und ihn vor dem sicheren Tod gerettet hat, über die Suche nach dem wahren Mörder und der Begegnung mit Maria, der Frau, welche die Liebe ihre beider Leben wird, sowie der im heutigen Geschichtsbewusstsein kaum präsenten Schlacht bei Yrnis (Giornico) bis hin zum empörenden Tod des Helden durch den Henker. Dabei gelingt es ihm auch, seine Gedanken zu ordnen und sein eigenes Leben wieder wertzuschätzen, um schließlich das tun zu können, was sein Freund von ihm erwartet hätte.

Der Autor Thomas Vaucher, der bereits Veröffentlichungen im historischen und fantastischen Bereich vorzuweisen hat, greift für seinen Roman „Winterhelden“ auf ein wenig bekanntes Kapitel Schweizer Geschichte zurück. Wie im umfangreichen Anhang erklärt wird, hat es Hans Teiling, den Helden von Giornico tatsächlich gegben. Doch nicht alles hat sich genauso zugetragen, wie es in „Winterhelden“ erzählt wird. In seiner Mischung aus Fakten und fiktivem Material schildert Vaucher vor dem militärischen Hintergrund des Kampfes mit den Mailändern auch die Freundschaft zwischen den zwei tapferen Söldnern, die sich nicht nur auf dem Schlachtfeld angesichts des Todes, sondern auch durch Verzicht in der Liebe bewähren muss.

Mit dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Raubein Sturmhans hat Vaucher einen wenig emotionalen oder gar beschreibenden Erzähler geschaffen. Abgesehen vom Dichter Viol sind auch die meisten anderen Charaktere wenig sprachgewandte Söldner. Daher rührt der einfache, berichtende Stil. Im Gespräch mit dem Chronisten Etterlin werden sogar gelegentlich der Raffung wegen geschichtsbuchartig Fakten refereriert. Der Liebeskonflikt um Maria und der Verrat durch ihren Vater hätten konflikt- und wortreicher gestaltet werden können. Beides wird für einen Roman sehr zivilisiert gelöst. Sturmhans verzichtet ein wenig im Inneren mit sich hadernd auf die Frau und der aggressive Vater wird lediglich tot aufgefunden, statt beispielsweise in einer Zweikampfszene auf dem Schlachtfeld gebührend dafür bestraft zu werden, dass er zum Feind übergelaufen ist. An solchen Stellen verschenkt der Autor Spannung und Dramatik. Allerdings ergeht er sich auch bei Schlachten oder bei der Behandlung von Angeklagten im Mittelalter, wo andere Autoren historischer Stoffe gern in Blut und Schmerzen waten, nicht in ausufernden Gewaltfantasien, sondern verlässt sich auf die Allgemeinbildung seiner Leser und der unmittelbaren Schilderung des Ich-Erzählers, der relativ nüchtern wiedergibt, was in seiner Umgebung geschieht.

Die Aufmachung des Buches, mit fast zwanzigseitigem Anhang an Hintergrundwissen und informativem Kartenmaterial auf den inneren Umschlagseiten unterstützen den Eindruck eines Buches, das vielmehr Geschichtsbuch als fabulierende Fiktion sein möchte. Am fesselndsten sind trotzdem beschreibende Passagen wie die der gefahrvollen Überquerung des Monte Sancti Gutardi, bei der sich die Freunde durch Eis und Schnee schlagen müssen und Steigeisen kennen lernen, die ihnen bei der späteren Schlacht den Hals retten werden. Die gute Recherche und die schlüssige Komposition machen den Roman trotz kleinerer Kritikpunkte lesenswert.

Hardcover: 210 Seiten
ISBN 978-3727213618

www.staempfliverlag.com
www.thomasvaucher.ch

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