Tim Curran – Skull Moon

In einem Wild-West-Nest kommen 1878 zwielichtige Bürger bizarr zu Tode. Ein US-Marshall untersucht den Fall und muss feststellen, dass eine uralte, böse Kreatur geweckt wurde, um ein bitteres Unrecht zu rächen … – Bis es zum großen, besonders gewalttätigen Finale kommt, bleibt dem Verfasser genug Raum, um detailreich die Zergliederung diverser Pechvögel zu schildern. Interessant ist die gänzlich pathosfreie Darstellung eines wahrlich wilden = nur oberflächlich ‚zivilisierten‘ Westens: ein interessanter Zwitter aus Western- und Horrorroman.

Das geschieht:

Im Winter des Jahres 1878 wird US-Marshall Joseph Smith Longtree in die kleine Bergarbeiterstadt Wolf Creek geschickt. Sie liegt im Montana-Territorium der immer noch jungen Vereinigten Staaten und wird von Sheriff Bill Lauters eher gewalttätig als juristisch korrekt kontrolliert. Der ‚Gesetzeshüter‘ ist deshalb gar nicht begeistert, als man ihm Longtree schickt, doch die in und um Wolf Creek begangenen Verbrechen sind so brutal, dass sie sogar in dieser nicht gerade zimperlichen Ära für Aufsehen sorgen.

Immer wieder werden Einwohner des Städtchens nicht einfach umgebracht, sondern in Stücke gerissen und aufgefressen. Man ging zunächst von einem menschenfressenden Wolfsrudel oder einem unzeitig aus dem Winterschlaf erwachten Bären als Täter aus, doch die Umstände lassen darauf schließen, dass jemand mit Verstand die genannten Untaten begeht. Die wenigen Spuren weisen zudem auf eine Kreatur hin, die an Größe und Kraft jedes bekannte Raubtier übertrifft.

Die winterliche Witterung erschwert die Ermittlungen nicht so sehr wie die Tatsache, dass Sheriff Lauters dem Kollegen wichtige Informationen verschweigt. Allerdings fällt es in der Tat schwer, die aktuellen Morde mit einem Ereignis in Verbindung zu bringen, das im Vorjahr für Aufregung gesorgt hat. Damals kam es in Wolf Creek zu Viehdiebstählen und schließlich zu einem Frauenmord. Als Hauptverdächtiger galt Red Elk, Angehöriger des Stamms der Blackfoot, die unweit der Stadt leben. Zwischen „Weißen“ und „Roten“ herrscht wenig Eintracht, seit Red Elk von einem Mob aus dem Gefängnis geholt und gehängt wurde. Lauters hat gute Gründe, seine Rolle in diesem bösen Spiel zu vertuschen. Jetzt fragen er und die Rädelsführer des Lynchmords sich, wer so gezielt jene abschlachtet, die hinter dem Tod von Red Elk stecken. Sie würden gern einen Krieg mit den Indianern vom Zaun brechen und diesen die Schuld zuschieben, was Longtree verhindern und gleichzeitig das Monster ausschalten will …

Spuk im Wilden Westen?

Horror und Wilder Westen – Wie passt das zusammen? Eigentlich ist es eine müßige Frage, denn wieso sollte gerade diese Ära von Ereignissen frei sein, die anderenorts zuverlässig übernatürliche Einmischung hervorrufen? Zudem fehlt es nicht an Gewalttaten, die sich ideal als Quellen für Spukphänomene eignen.

Zeitgenossen hatten deshalb kein Problem damit, die Welt der Cowboys, Outlaws und Indianer mit Geistern zu ergänzen. Hier ist u. a. Ambrose Bierce (1842-1913/14) zu nennen, der selbst im damals noch „wilden“ Westen ansässig war und sehr genau erkannte, wo es wieso umgehen könnte. Berühmt ist Bierce für seine noch heute harten Storys aus bzw. über den Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865), der das ‚industrielle‘ Töten durch eine Hightech-Kriegsmaschinerie begründete. Auch sonst ließ es Bierce mächtig umgehen, was sich in diesem Ambiente so ausgiebig lange niemand mehr traute: Der Mythos des Wilden Westens und seine Entdeckung durch das Kino sorgten für eine Stimmung, die das Negative dieser Epoche erst einmal ausblendete.

Gesetzlosigkeit, Umweltzerstörung, Völkermord: Erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde die Glorifizierung der US-Frühgeschichte relativiert. Zunächst wurde realhistorisches Unrecht thematisiert. In seinem Gefolge kehrte auch das Grauen zurück – der „Weird West“ wurde geboren. Er zehrt von einer konfliktreichen Vergangenheit, wobei die mythologisch geprägte Welt der indianischen Ureinwohner eine Primärquelle für Geister darstellte. Was findige Autoren aus dem Jenseits erscheinen ließen, entstammte oft einer lebendigen, über bleichgesichtige Übergriffe ergrimmten Natur, die nunmehr rachsüchtig Gestalt/en annahm.

Aufbruchsstimmung ohne Rücksicht auf Verluste

Joe R. Lansdale, S. Craig Zahler und nun Tim Curran (sowie im Comic Jonah Hex): Dies sind nur einige Autoren, die sich den grabdunklen Seiten des Wilden Westens widmen. „Skull Moon“ ist ein gutes Beispiel für jenen Hintergrund, der zur Bühne schauerlicher Geschehnisse wird. Selbstverständlich sollte man historische Präzision nur bedingt voraussetzen; im Vordergrund steht eine Atmosphäre, die sowohl Spuk als auch allgegenwärtige Gewalt vermitteln soll.

Wolf Creek ist kein Heim, sondern eine Ansiedlung gieriger Menschen, die dem Boden seine Schätze buchstäblich entreißen und dabei keine Rücksicht walten lassen. Man schuftet verbissen, während sich eine Infrastruktur gebildet hat, die nur solange existiert wie die Bergarbeiter bleiben. Fast ebenso fern wie Sitte und Moral ist das Gesetz, das deshalb gern in die eigenen Hände genommen und abgekürzt wird: Strolche hängt man kurzerhand auf, wobei niemandem graue Haare wachsen, sollte sich herausstellen, dass man versehentlich einen Unschuldigen erwischt hat. Curran bevölkert Wolf Creek mit verschrobenen, psychisch labilen und angeschlagenen, latent stets bedrohlichen Zeitgenossen, wobei er Frauen nicht ausspart; so ist die örtliche Leichenbestatterin Wynona Spence – die zudem ein ganz besonders düsteres Geheimnis hütet – eine erinnerungswürdige Figur!

Skrupellose ‚Macher‘ bestimmen, was in Wolf Creek geschieht, während die Mehrheit ängstlich bzw. feige hofft, unbehelligt zu bleiben. Solidarität ist in diesem Umfeld ein Fremdwort, was einerseits den „Skull-Moon“-Schrecken überhaupt erst weckt, während es andererseits einen effizienten Kampf gegen das Grauen verhindert: Niemand fühlt sich verantwortlich und will den Kopf hinhalten, bis pure Verzweiflung einen Widerstand hervorbringt, der aufgrund planloser Unfähigkeit die Opferzahl erst recht in die Höhe schnellen lässt.

Harte Männer für harte Jobs

Genretypisch liegt die ‚Lösung‘ des Problems darin, jemanden zu präsentieren, der noch brutaler ist als die Lumpen, die zwar in der Mehrzahl sind und deshalb ihre Mitmenschen bisher problemlos terrorisieren konnten, aber nun feststellen müssen, dass bewährte Methoden – Drohen, Verprügeln, Anschießen aus dem Hinterhalt – nicht greifen.

Mit Joseph Smith Longtree lässt Autor Curran einen ‚Gesetzeshüter‘ auf Wolf Creek los, dem der weder Unhold noch Monster nicht gewachsen ist. Als wir ihn kennenlernen, hängt er an einem Baum: Waffendiebe, die er verfolgen sollte, haben Longtree erwischt und aufgeknüpft. Ein des Weges daherkommender Indianer kann ihn in letzter Sekunde losschneiden; kurz darauf löscht Longtree seine Peiniger aus und macht sich sogleich daran, seinen nächsten Auftrag zu übernehmen.

Ansonsten handelt es sich bei diesem eisenharten Mann um ein „Halbblut“, was ihn gleichermaßen in der ‚weißen‘ wie der ‚roten‘ Welt verankert, aber auch zum Fremdling macht. Longtree ist weniger dem geschriebenen Gesetz als der Gerechtigkeit verpflichtet, weshalb er der richtige Mann für Krisensituationen ist, in denen prüfende Vorgesetzte weit sind und Improvisation bzw. der rechtzeitige Griff zur Waffe einen Fall ‚löst‘.

Das Ding im Schnee

Wie üblich stellt ausgerechnet das Monster, um das sich dieses Garn dreht, einen Schwachpunkt dar. Was ist es, das aus einem uralten Grab heraufbeschworen wurde und nun durch den winterlichen Wald schleicht? Lange belässt es Autor Curran klug bei kurzen, verschwommenen Auftritten und wird nur dort deutlich, wo es darum geht zu beschreiben, was sich mit Superkräften und bösen Gedanken einem Menschenkörper antun lässt.

Irgendwann muss das Geheimnis doch gelüftet werden – allerdings nicht an dieser Stelle, um potenziellen Lesern das Vergnügen nicht zu verderben. Immerhin sei angemerkt, dass Curran es bei jener Vordergründigkeit belässt, die „Skull Moon“ generell kennzeichnet. Hier nimmt keine großartige mystische Kreatur Rache – das Böse ist ernüchternd profan. Deshalb sterben die Bürger von Wolf Creek ebenso wie die Indianer, die das Wesen aus seiner Grabgefangenschaft entlassen hatte. Letztlich siegt nicht die Gerechtigkeit: Blanke, blutige, menschenopferreiche Gewalt bezwingt den Skullhead, der auch deshalb stirbt, weil er seine Zeit überlebt hat und außerstande ist, dies zu begreifen und Konsequenzen zu ziehen.

Als sich der Rauch verzieht – selbstverständlich geht Wolf Creek in Flammen auf; weshalb sollte Curran auf diesen dramatischen Effekt verzichten? – ist zumindest die Ordnung auf US-amerikanische Weise wiederhergestellt: Alle, die mit Skullheads Wüten zu tun haben, sind wie das Monster mausetot (und die Kollateralschäden außerordentlich). Eine Ausnahme stellt nur unser ‚Held‘ Longtree dar, der sogar eine (schöne) Lebensgefährtin gefunden hat und nunmehr neuen Abenteuern entgegenzieht. Niemand hat etwas gelernt, aber der Leser hat sich hoffentlich unterhalten: Auch Tim Curran hat seinen Auftrag erfüllt.

Autor

Tim Curran (geb. 1963) hält sich zumindest in Sachen Privatleben bedeckt. Er lebt mit Ehefrau und drei Kindern im US-Staat Michigan und ist kein Vollzeit-Autor, sondern arbeitet hauptberuflich in einer Fabrik.

Auf seiner Website weicht er einer ‚ordentlichen‘ Biografie aus und schreibt stattdessen über seine Kinder- und Jugendjahre und wie er die Liebe zur Phantastik entdeckte. Curran schätzt die Altmeister wie Lovecraft ebenso wie den zynisch-groben Horror der EC-Comics aus den 1950er Jahren.

Taschenbuch: 334 Seiten
Originaltitel: Skull Moon (Hobart/Tasmania : Severed Press 2014)
Übersetzung: Nicole Lischewski
www.corpseking.com
https://luzifer.press

E-Book: 3479 KB
ISBN: 978-3-95835-138-7
https://luzifer.press

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