Tony Hillerman – The Shape-Shifter (Navajo Tribal Police 18)

Der Teppich der Tränen & der Gestaltwandler

Lt. Joe Leaphorn ist eigentlich schon (seit Band 13) in Rente, doch er will nur die Bitte einer möglichen Witwe erfüllen: Ihr Mann, Leaphorns Academy-Kollege, wollte einen berühmten Navajo-Teppich suchen, der überraschend wieder aufgetaucht ist, doch seitdem ist er verschwunden. Tappt Leaphorn in eine raffinierte Falle?

Der Autor

Tony Hillerman (27.5.1925 bis 26.10.2008) war ein vielfach ausgezeichneter amerikanischer Kriminalschriftsteller und Autor von Sachbüchern über das Indianerland im Südwesten. Zu seinen bekanntesten Werken gehören die Krimis um die Stammespolizei der Navajos. Sie wurden regelmäßig verfilmt.

Die „Leaphorn und Chee“-Reihe:

1) The Blessing Way (1970) ISBN 0-06-011896-2
2) Dance Hall of the Dead (1973) ISBN 0-06-011898-9
3) Listening Woman (1978) ISBN 0-06-011901-2
4) People of Darkness (1980) ISBN 0-06-011907-1
5) The Dark Wind (1982) ISBN 0-06-014936-1
6) The Ghostway (1984) ISBN 0-06-015396-2
7) Skinwalkers (1986) ISBN 0-06-015695-3
8) A Thief of Time (1988) ISBN 0-06-015938-3
9) Talking God (1989) ISBN 0-06-016118-3
10) Coyote Waits (1990) ISBN 0-06-016370-4
11) Sacred Clowns (1993) ISBN 0-06-016767-X
12) The Fallen Man (1996) ISBN 0-06-017773-X
13) The First Eagle (1998) ISBN 0-06-017581-8
14) Hunting Badger (1999) ISBN 0-06-019289-5
15) The Wailing Wind (2002) ISBN 0-06-019444-8
16) The Sinister Pig (2003) ISBN 0-06-019443-X
17) Skeleton Man (2004) ISBN 0-06-056344-3
18) The Shape Shifter (2006) ISBN 978-0-06-056345-5
19) Spider Woman’s Daughter (2014) von Anne Hillerman

Filmographie:

1) The Dark Wind (1991)
2) Skinwalkers (2002)
3) Coyote Waits (2003)
4) A Thief of Time (2004)
5) Skinning the Night: American Mystery (DVD)

Die Übersetzungen der Krimis erscheinen bei Rowohlt, die Hörbücher bei Edel.

Handlung

Lt. Joe Leaphorn ist eigentlich schon längst in Rente, doch er lässt sich breitschlagen, die Bitte einer möglichen Witwe erfüllen: Ihr Mann, Leaphorns Academy-Kollege Bork, wollte einen berühmten Navajo-Teppich suchen, der überraschend wiederaufgetaucht ist, doch seitdem ist er verschwunden. Und was noch mehr ist: Mrs. Bork hat sogar einen anonymen Drohanruf erhalten, sie solle die Sache gefälligst auf sich beruhen lassen, sonst könnte ihr etwas „zustoßen“. Sie ist entsprechend alarmiert. Leaphorn braucht sie nicht lange zu bitten.

Allerdings wird die Geschichte schnell richtig kompliziert. Der jetzige Besitzer dieses Erzähl-Teppichs, der eine wertvolle Antiquität darstellt, ist ein reicher Mann namens Delos, der in der Nähe von Flagstaff, Arizona, lebt. Als guter Ermittler macht sich Leaphorn allerdings vorher über die Geschichte des Teppichs schlau.

Angeblich wurde der Teppich nämlich aus der Kunstgalerie eines gewissen Totter gestohlen, bevor selbige Galerie samt Laden – die Leaphorn einst bestens gekannt hatte, niederbrannte – mit der Leiche eines vom FBI dringend gesuchten Mörders darin. Dennoch gelangte der Antiquitätenhändler Tarkington in Flagstaff in den Besitz des guten Stücks und verkaufte es an Delos.

Wie jetzt? Handelt es sich um eine Kopie, sogar eine Fälschung, fragt sich Leaphorn. Etwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Und auch der Brand des Ladens damals war kein Zufall: Er wurde gelegt. Aber zu welchem Zweck? Und warum ausgerechnet dieser Teppich und kein anderer der vielen Erzählteppiche der Dineh, die heute Navajo genannt werden?

Die Geschichte des Teppichs

Der Teppich wurde in aller Heimlichkeit zu einer Zeit gewoben, als die Dineh das größte Unglück ereilte, das man sich nur vorstellen kann: Die US-Armee trieb sie 1863 von ihrem angestammten Land in Arizona über 450 km zum Rio Pecos, steckte sie 1863-1868 in Bosque Redondo in ein Konzentrationslager und ließ sie dort im eisigen Elend verrecken – zusammen mit ihren Erzfeinden, den Mescalero-Apachen. (Vgl. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Bosque_Redondo.)

Nur wenige der 9000 Indianer, die nicht aus dem Reservat flohen, schafften es, diese Zeit des Grauens zu überstehen – und sie hielten ihre Geschichte im Erzähl-Teppich fest. Wer auch immer diesen Teppich besitzt, sollte in den Augen Joe Leaphorns ganz genau wissen, was er da besitzt: ein Stück Geschichte aus dem dunkelsten Kapitel der Dineh. (Der Teppich ist auf der Titelseite der US-Ausgabe abgebildet.) Federn, Buschbruchstücke, Schlangenhaut – lauter Dinge aus dem KZ sind in den Teppich eingewoben.

Das Seltsamste darin sind die vielen Symbole für Gier. Gier widerspricht dem Weg der Harmonie, dem die Dineh folgen. Kein Wunder also, dass die Schamanen diesen Teppich mehrfach verflucht haben. Er ist nämlich so ketzerisch, diese Giersymbole mit dem Regenbogenmann aus der Mythologie zu kombinieren, dem Spender der Harmonie. Wie soll das zusammenpassen?

Der Jäger

Jason Delos, der aktuelle Besitzer des Teppichs, ist ein siebzigjähriger Großwildjäger. Er lebt in seinem Anwesen oberhalb Flagstaffs zusammen mit einer Art Butler namens Tommy Vang, der aus Kambodscha oder Laos stammen könnte. Mel Bork, der verschwundene Detektiv, hatte diese beiden Herrschaften vor seinem Verschwinden besucht. Er hatte den Teppich gesucht, nachdem er dessen Foto in einer Lifestyle-Zeitschrift entdeckt hatte, und bei Delos gefunden. Wie kam ein Teppich, der im Jahr 1965 verbrannt sein musste, in dieses Haus? Versicherungsbetrug? Delos gibt Erklärungen, die ihn unschuldig erscheinen lassen.

Doch am gleichen Abend wird Mel Borks Leiche gefunden. Sie steckt in seinem Wagen am Grunde einer Schlucht in den Bergen. Merkwürdig nur, dass Bork diese Strecke wie seine Westentasche kannte immer sehr vorsichtig fuhr. Leaphorn findet es zudem bemerkenswert, als er die zuständigen Cops anruft, dass Bork von Tommy Vangs Obstkuchen gegessen hatte. Genau jenem Obstkuchen, den ihm Delos mehrfach aufzudrängen versucht hatte.

Es ist vielleicht an der Zeit, diesen Obstkuchen mal genauer untersuchen zu lassen. Allerdings hat jemand anders bereits exakt den gleichen Gedanken gehabt …

Mein Eindruck

Die Navajo kennen mehrere Arten von Hexenwesen, so etwa den „skinwalker“, der unserem Werwolf entspricht, und den „shape-shifter“, den Gestaltwandler. Schamanen sind üblicherweise nötig, um solche Hexenwesen auszutreiben, und Jim Chee, Leaphorns Freund und ehemaliger Lehrling, will solch ein Schamane werden. Allerdings erweist es sich in Leaphorns Abenteuer, dass diesmal nur zwei Kugeln nötig sind, um den Gestaltwandler zur Strecke zu bringen. Die knifflige Frage ist natürlich: wer und warum?

„Jason Delos“ ist natürlich nicht Jason Delos. Selbst ein Blinder würde das kapieren. Und ein Profi wie Leaphorn sowieso. Die Kunst besteht darin herauszufinden, wie viele Identitäten dieser mysteriöse alte weiße Mann überhaupt besitzt. Es sind weitaus mehr, als das alte Schlitzhorn Leaphorn erwartet hätte. Aber diese Gestaltwandlungen erklären die Verwirrung, die in seinem Kopf herrscht. So dauert es eine ganze Weile, bis er halbwegs durchblickt.

Der Schlüssel dazu sind der Obstkuchen und Tommy Vang, der Koch und Butler von Jason Delos. Delos hat Tommy den Auftrag gegeben, den Obstkuchen, der er Leaphorn mitgegeben hat, wiederzubeschaffen. Das misslingt Tommy zweimal. Beim zweiten Mal nimmt ihn der Expolizist ins Gebet. Indem er ihm von seiner eigenen Mythologie, wie die Welt entstand, erzählt, gewinnt er das Vertrauen des Mannes, der Ende 30, Anfang 40 sein dürfte.

Vietnam & Laos

Tommy Vang stammt aus Laos und gehört dem Volksstamm der Hmong an. (Sie treten auch in Clint Eastwoods Film „Gran Torino“ auf.) Die Hmong wurden immer wieder vertrieben, bis sie schließlich nur in den hohen Bergen an der chinesischen Südgrenze leben konnten. Dort bewahrten sie ihre eigenen Traditionen, ihre eigene Schöpfungsgeschichte und Mythologie.

Bis Mitte der sechziger Jahre die Amerikaner kamen. „Jason Delos“ war damals ein CIA-Agent, der die Hmong-Männer dazu einsetzte, gegen die Nordvietnamesen und die laotische Befreiungsarmee zu kundschaften. Die Verluste durch die Feinde waren hoch, Frauen und Kinder mussten sich in Berghöhlen verstecken. Als auch noch die amerikanischen Bomber auf das Hmong-Dorf Napalm warfen, wurden Tommy und seine Familie heimatlos. Nur „Jason Delos“ bot dem zehnjährigen Tommy eine Chance, Laos zu verlassen. Fortan sah er in ihm nicht nur seinen Retter, sondern Ersatzvater. Kein Wunder also, dass Tommy bis zum heutigen Tag tut, was „Jason Delos“ ihm aufträgt.

Showdown mit dem Gestaltwandler

Es ist für Tommy ein langer Weg zu der Erkenntnis, dass „Jason Delos“ ihn seit jeher nur benutzt hat: als Butler, Koch, Reiseagent, Mädchen für alles. Aber war „Jason Delos“ dies wert? Diese Frage muss Tommy selbst entscheiden, und Leaphorn kann ihm dabei nur helfen. Als sie einen weiteren Mann aus „Jason Delos'“ Vergangenheit einweihen, ergibt sich die Chance, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verknüpfen und herauszufinden, ob dieser „Jason Delos“ ein guter oder ein böser Mensch ist.

Doch kann ein „shape-shifter“ jemals ein guter Mensch sein? Joe Leaphorn und seine zwei Gefährten geraten in eine lebensgefährliche Lage…

Unterm Strich

Wohl demjenigen Leser, der die ersten hundert Seiten bewältigt, ohne frustriert das Handtuch zu werfen! Denn der Autor erzählt quasi drei Geschichten gleichzeitig: die des Teppich, die von Totters Brand und die eines gewissen Ray Shawnack, der bei diesem Brand umgekommen sein soll. Da dies alles bereits 25 Jahre her ist, muss Leaphorn zahlreiche Fäden neu aufnehmen und versuchen, sie miteinander zu verknüpfen. Wer nicht geduldig ist und genau aufpasst.

Nach hundert Seiten gerät Leaphorn in ruhigeres Fahrwasser. Er hat nun begriffen, dass er in einer gewissen gefährlichen Zeit lebt, denn die durch Shawnacks Schuld ins Gefängnis gekommenen „Komplizen“ sind mittlerweile wieder auf Bewährung entlassen worden. Zwei der drei haben das Zeitliche gesegnet, aber Nr. 3 ist umso gefährlicher.

Der Teppich

Aber sie alle haben nichts mit dem Teppich zu tun. Wie es scheint, ist dieser, sosehr er auch für die Geschichte der Navajos wichtig ist, lediglich eine Art MacGuffin, ein Dingsymbol, das für die Unterdrückung der Eingeborenen durch die US-Armee steht. Im Verlauf der Geschichte Tommy Vangs (s. o.) aus Laos, ergibt sich allerdings eine Parallele zwischen Navajo und Hmong: Es liegt im Wesen der amerikanischen Regierung, ihrer Soldaten und Agenten, andere, schwächere Völker nur zu benutzen und dann zu vernichten. Wie groß das dadurch angerichtete Leid ist, belegen der „gewebte Kummer“ des alten Teppichs und Tommy Vangs Lebensgeschichte.

Botschaft

Diese politische Botschaft muss der Leser selbst herausfinden und sein Urteil darüber fällen. Der Autor gibt dazu kein Urteil ab. Aber er arrangiert seine Geschichte so geschickt, dass einem intelligenten Leser, der nicht bloß die vordergründige Krimihandlung sieht, die Parallelen auffallen müssen. „Jason Delos“, der Gestaltwandler, ist die Verkörperung des Bösen an sich, und er ist zeit seines Lebens Agent der US-Regierung gewesen – wenn er nicht gerade in die eigene Tasche wirtschaftete.

Die Austreibung

Leaphorn hat an dieser verworrenen Geschichte vor allem deshalb Anteil genommen, weil er nicht nur ein Ex-Cop, sondern ein Navajo ist. Die Navajo-Mythologie erzählt, wie die Vormenschen, Geistwesen, wegen ihrer Sünden vom Schöpfer aus drei Welten vertrieben wurden: Sie haben immer gegen den Kodex der Harmonie verstoßen, indem sie Gier und Boshaftigkeit nachgaben.

Nun sind sie in der aktuellen „Glitzernden Welt“ gelandet. Hier scheint es halbwegs friedlich zuzugehen, doch der böse Geist holt aus der vorigen Welt wieder die Wurzel des Bösen: Dinge, mit denen sich Geld machen lässt. Und Geld, das wissen die Navajo, erzeugt Gier, Streit, Neid und viele weitere Übel mehr, die gegen den Weg der Harmonie verstoßen. „Jason Delos“, der Gestaltwandler, verkörpert den Ungeist des Bösen. Aber wird es dem Navajo Leaphorn gelingen, ihn auszutreiben? Wie sich zeigt, braucht er dazu sehr viel Hilfe.

Meine Lektüre

Wie gesagt, waren die ersten hundert Seiten nicht leicht zu bewältigen. Aber danach sieht Leaphorn seinen Weg und findet in Tommy Vang den Schlüssel zu den vielen Rätseln eines Falles, der aus keinerlei Beweisen, sondern nur aus Ungereimtheiten besteht. Dennoch ist der Showdown, zu dem er mit Tommy und dem Exhäftling aufbricht, vom Feinsten, den sich ein Thriller- oder Krimifreund nur wünschen kann.

Sehr viel Humor und Ironie kommen ebenfalls zur Geltung. Natürlich fragen sich Jim Chee und seine frischgebackene Frau Bernadette, wer denn nun die Schuld hat und ob man Tommy Vang einfach außer Landes gehen lassen sollte. Aber auch für diese Fragen hat das alte Schlitzohr eine verschmitzte Antwort parat. Nach 25 Jahren kann er diesen Fall nicht nur ad acta legen, sondern auch noch einer geschädigten Urgroßmutter Wiedergutmachung leisten. Sie nennt ihn „junger Mann“. Ha!

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Taschenbuch: 352 Seiten
Sprache: Englisch
ISBN-13: 978-0060563479

www.harpercollins.com