Torkil Damhaug – Feuermann

Das geschieht:

1974 will und soll Khalid Chadar für sich und die im Pandschab zurückbleibende Großfamilie im fernen Norwegen sein Glück machen. Der junge Mann, den die jahrhundertealten Wertvorstellungen seiner pakistanischen Heimat prägen, erlebt einen heftigen Kulturschock. Oslo erscheint ihm als Hort ungläubiger Heiden, die seine Grundsätze und Sitten ignorieren oder verlachen. Als Khalid, der als Knecht auf einem Pferdehof Arbeit findet, die jüngere Tochter der Eigentümer kennen- und lieben lernt, endet die Affäre fatal; er wird davongejagt, sein Sohn als leibliches Kind der älteren Schwester ausgegeben.

2003 soll der Journalist Dan-Levi Jacobsen über einen Fall von Brandstiftung berichten: Ein Pferdehof unweit von Oslo wurde angesteckt. Kommissar Roar Horvath, der mit der Aufklärung des Falls betraut wurde, ist ein Freund des Reporters, der ahnungslos in die Fortsetzung der Tragödie von 1974 gerät: Er hat zufällig das Haus gekauft, in dem der Täter einst von einer Pflegefamilie mehr schlecht als recht großgezogen wurde. Dort wuchs ein Psychopath heran, der seinen Zorn auf die Welt durch das Legen von Brandsätzen abreagiert. Die Abstände werden immer kürzer, der Einsatz immer höher, und bald gibt es den ersten Toten.

In der Nachbarschaft der Jacobsens lebt der junge Karsten Clausen, der sich in seine Mitschülerin Jasmeen verliebt hat. Doch die muslimische Familie ist strikt gegen diese Beziehung und bedroht den Jugendlichen. In seiner Not wendet sich Karsten nicht an seine Eltern, sondern an Adrian Wilkins, der an seiner Schule als Referendar arbeitet und den er für seine Stärke bewundert. Adrian rät zu notfalls gewaltsamen Widerstand und bringt Karsten mit einigen neonazistischen Freunden zusammen. Wenig später ist Karten verschwunden.

2011 nimmt seine inzwischen erwachsene Schwester Synne die Spur des Bruders, den die Polizei nie finden konnte, wieder auf – und erschreckt damit diejenigen, die nur zu gut weiß, was acht Jahre zuvor geschah, weshalb eine Aufklärung um jeden Preis verhindern werden soll …

Vom schönen zum hässlichen Mord

Kurz bevor der Kriminalroman offiziell ‚geboren‘ wurde, schrieb der englische Autor Thomas de Quincey (1785-1859) den Essay „On Murder Considered as One of the Fine Arts“ (1827; dt. „Der Mord als eine der schönen Künste betrachtet“). In geschliffener Prosa und ebenso ironisch wie zutreffend beklagte der Autor die Einfallslosigkeit des realen Kapitalverbrechens, die sich häufig in der Fiktion widerspiegele, obwohl gerade die Literatur die ideale Möglichkeit biete, dem Mord buchstäblich unterhaltsame Seiten abzugewinnen.

De Quinceys Text wurde als geschmacklos verdammt aber eifrig gelesen. Viele Schriftsteller kamen ins Grübeln und gaben ihm Recht. Zu ihnen gehörte Edgar Allan Poe (1809-1849), der in seinen C.-Auguste-Dupin-Geschichten (1841-1844) de Quincey auf den Punkt brachte. Spätestens Sherlock Holmes ließ 1887 die Dämme bersten: Bis heute wird „schön“, d. h. möglichst raffiniert gemordet, was Polizisten, Detektive oder kluge Laien vor die intellektuelle Herausforderung einer Auflösung stellt, der sich der Leser mit Unterstützung des Autors anschließen kann.

Natürlich gab es immer auch jene, die das Kapitalverbrechen nicht als Auslöser für spannende Feierabendlektüre, sondern primär oder ausschließlich als Schande betrachteten. Auch sie schrieben Kriminalromane, die sich jedoch an der Realität orientierten. Diese Verbrechen waren hässlich und gemein. Sie wurden in ihr Umfeld eingebettet und als Ausfluss politischer und gesellschaftlicher Missstände interpretiert. Deshalb sollten sie nicht als „schöne Kunst“ unterhalten, sondern aufrütteln und empören.

Dieser ‚realistische‘ Kriminalroman besitzt seine eigenen Traditionen und Regeln. Trotz des relativen Ernstes, mit dem sich seine Autoren ihren Reizthemen widmen, vergessen die Profis unter ihnen keineswegs, dass auch gut gemeinte Warnungen und Mahnungen Unterhaltungswert besitzen müssen: Nur Fanatiker lieben ausschließlich die Predigt.

Kälte, Regen, soziales Eis

Krimis mit Botschaft entstanden bzw. entstehen dort, wo es die erwähnten Missstände gibt: also in allen Ländern dieser Welt. Skandinavien gilt als eine Hochburg des engagierten, ‚politischen‘ Kriminalromans. Zwischen 1965 und 1975 veröffentlichen die schwedischen Autoren Maj Sjöwall (*1935) und Per Wahlöö (1926-1975) insgesamt zehn Romane, die über die klassischen „police procedurals“ weit hinausgriffen. Die Verklammerung mit deutlicher Gesellschaftskritik machte Schule. Nicht nur in Schweden und den skandinavischen Nachbarländern folgten zahlreiche Schriftsteller dem Vorbild. So ist es bis heute geblieben, und in dieser Tradition steht auch Torkil Damhaug.

Die Literaturkritik liebt eher den gesellschaftsrelevanten als den rein unterhaltsamen Thriller, weshalb „Feuermann“ u. a. mit einem „Rivertonprisen“ (ausgeführt als vergoldeter belgischer Armeerevolver der Marke Nagant) für das beste kriminalliterarische Werk des Jahres 2011 ausgezeichnet wurde. Als Krimi ist „Feuermann“ ein komplex geplotteter und geschickt entwickeltes Werk, das in der Auflösung hinkt bzw. in einem ‚dramatischen‘ Finale gipfelt, das eher abgedroschen wirkt.

Demgegenüber erlaubt sich der Verfasser in seiner Darstellung einer modernen Alltagswelt, die bestimmte Verbrechen quasi provoziert, keine Schwächen. Das Thema ist schwierig bis ungemütlich. Es geht um Rassismus und Ausgrenzung, wobei Damhaug das Phänomen als zweischneidiges Schwert schildert: Das Unrecht geht keineswegs ausschließlich von ausländerfeindlichen Norwegern aus. Die drangsalierten ‚Ausländer‘ sträuben sich ihrerseits gegen eine Integration, die sie mit dem Kappen ihrer kulturellen Wurzeln gleichsetzen, wobei sie die eigenen Werte wie selbstverständlich über die ihrer Gastkultur setzen. Schon Khalid Chadar ist Opfer und Täter zugleich. Ihm gelingt es nie, das ‚alte‘ mit dem ‚neuen‘ Leben abzugleichen. So bleibt Khalid zeit seines Lebens ein Fremder, der seine Vorurteile auch deshalb pflegt, weil sie ihm in Norwegen eine Identität geben.

Zwischen den Welten

Im 21. Jahrhundert hat sich am grundsätzlichen Kommunikationsproblem nichts geändert oder gar gebessert. Während ‚Einheimische‘ und ‚Immigranten‘ vor allem von der Politik beschönigend als ‚Bürger‘ vereinheitlicht werden, haben sich tatsächlich Gettos gebildet, in denen ausgegrenzte Gruppen leben. Vorurteile, Chauvinismen, Hierarchien werden hier von Generation zu Generation konserviert.

Als ‚Besucher‘ dieser Schattenreiche wählt Damhaug den jungen Karsten Clausen. Er gerät in einen Sog, der ihn zwischen Hammer und Amboss enden lässt. Die junge, harmlose Liebe zum Muslim-Mädchen Jasmeen führt zur reflexhaften Ablehnung durch deren Familie, um die sich umgehend gleichgesinnte ‚Moralwächter‘ scharen. Unter ihnen sind junge, ungeduldige Männer, die zornig auf eine Gesellschaft sind, deren Regeln sie überfordern und ausschließen. Sie tun sich zusammen, um notfalls mit Gewalt jene Ohnmacht zu überwinden, in der sie sich gefangen fühlen.

Auf der ‚anderen Seite‘ ist es paradoxerweise ähnlich: Die Neo-Nazis, unter die Karsten gerät, sind ebenfalls ins gesellschaftliche Abseits geraten. Ihre hilflose Wut projizieren sie auf ‚Feinde‘, die ihnen als solche nie begegnet sind, weil es sie gar nicht gibt. Diese Extremisten werden weder die ‚schwache‘ Regierung entmachten oder die ‚Immigranten‘ unterdrücken und vertreiben. Dazu fehlen ihnen Verstand und Solidarität. Die Gefahr geht nach Damhaug von denen aus, die ihre Intelligenz zur Durchsetzung persönlicher Ziele skrupellos einsetzen, um angebliche Gesinnungsgenossen zu täuschen und zu manipulieren.

Sprung in der Geschichte

Mit Karstens Verschwinden bricht die Handlung ab, um erst acht Jahre später neu einzusetzen. Aus dem gesellschaftskritischen Thriller wird ein ‚echter‘ Kriminalroman, was den Knick im Spannungsbogen nicht wirklich ausgleichen kann. Es geht nun darum, Karstens Schicksal zu klären. Dabei stellt sich heraus, dass den Mörder keine politischen Ziele umtreiben. Damhaug kehrt zum Kern allen Übels zurück: zur Familie.

Vernachlässigung und Missbrauch haben einen Psychopathen heranwachsen lassen, der seiner Wut auf klassische Weise auslebt. Er schließt sich keiner Gruppe an, sondern tötet als Einzelgänger aus dem Hinterhalt, um sich als Meister über Leben und Tod zu gerieren. Die Spannung wird durch die Erkenntnis geschürt, dass die Familie des Mörders noch weitere dysfunktionale Mitglieder hervorgebracht hat, die ebenfalls mit Karstens Verschwinden zu tun haben.

Was in den seit damals vergangenen acht Jahren allmählich zur Ruhe gekommen war – selbst der Mörder hatte seine Attentate aufgegeben -, wird durch Synne Clausen wieder aufgerührt. Auch dies ist krimitypisch: Der neugierige Schnüffler rührt an einem alten Verbrechen und gerät dabei in Lebensgefahr. Die Auflösung stellt einerseits zufrieden, ist andererseits jedoch wie schon angemerkt ein wenig zu tricky geraten.

Die Übermacht der Psychologie

Zum Realismus dieser Geschichte trägt die ‚Menschlichkeit‘ der Figuren bei. Man redet aneinander vorbei, enttäuscht trotz guter Absichten, begeht Fehler, irrt sich: Das wirkliche Leben ist ein Durcheinander aus Wollen und Tun, wie Damhaug ebenso überzeugend wie deprimierend deutlich zu machen weiß.

„Feuermann“ ist generell keine fröhlich stimmende Lektüre. Der Autor hat sein Anliegen. Obwohl er es in der Regel der Handlung unterordnet, gerät ihm doch hin und wieder statt der Feder die moralische Keule zwischen die Schreibfinger. Zudem zieht sich das Geschehen im Mittelteil phasenweise recht zäh in die Länge. Ständig gibt es Nackenschläge für alle Beteiligten, während unaufhörlich der Regen fällt: Nordische Tristesse ist nicht grundlos zu einem Klischee geworden.

„Feuermann“ spielt in einer Serienwelt, die locker durch die Figur des Kommissars Viken zusammengehalten wird. Er spielt in diesem Roman keine tragende Rolle, sondern findet nur kurz Erwähnung. Ohnehin ist „Feuermann“ kein „police procedural“. Die Polizei – hier verkörpert vom glücklosen Kommissar Roar Horvath – fischt hilflos in jenem trüben Sumpf, in dem sich verbohrte Fanatikern suhlen.

In Deutschland hat der Skandinavien-Krimi ein festes und kopfstarkes Publikum, was ihn für den Handel interessant macht. Mit Torkil Damhaug soll nach Möglichkeit ein neuer Henning Mankell/Jo Nesboe/Stieg Larsson etc. aufgebaut werden. „Feuermann“ wird deshalb als seitenstarkes Paperback zum verlockend günstigen „Entdeckerpreis“ angeboten. Zwar gibt es sicherlich Werke, die einen solchen Push eher verdienen, doch ist „Feuermann“ zum „Entdeckerpreis“ nichtsdestotrotz ein Angebot, das man annehmen kann!

Autor

Torkil Damhaug wurde 1958 in Lillehammer, einer Kleinstadt in Norwegen, geboren. Ausgewachsen ist er in einem Vorort Oslos, der Hauptstadt des Landes. Damhaug studierte Medizin und Psychologie und arbeitete in der Provinz Akerhus als Psychiater. 1994 ließ er sich erneut und dieses Mal dauerhaft in Oslo nieder und begann Thriller zu schreiben, die einerseits in der menschlichen Psyche wurzeln und andererseits politische und gesellschaftliche Missstände kritisieren. Ein erster Ronan („Flykt, måne“) erschien bereits 1996, doch erst mit „Se meg, Medusa“ (dt. „Die Bärenkralle“), dem ersten Roman einer Krimiserie, die in Oslo spielt, gelang Damhaug auch international der Durchbruch.

Paperback: 637 Seiten
Originaltitel: Ildmannen (Oslo : Cappelen Damm 2011)
Übersetzung: Knut Krüger
www.droemer-knaur.de

eBook: 668 KB
ISBN-13: 978-3-426-42330-1
www.droemer-knaur.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)