Ursula K. Le Guin – Das ferne Ufer (Erdsee 3)

Geds dunkelste Stunde: Verlockung der Unsterblichkeit

Die beiden ersten Romane des Erdsee-Zyklus wurden mit „Das ferne Ufer“ fortgesetzt, einem eigenständigen Roman, in dem Ged die Hauptrolle spielt. Dieser dritte Roman ist eher angespannt statt spannend, eher weise und nachdenklich machend statt emotional berührend. „Die Geschichten sind maßgeblich von der Philosophie des Daoismus beeinflusst. Das Gleichgewicht der Dinge und das Prinzip des Nicht-Handelns spielen in den Romanen eine wesentliche Rolle.“ (Wikipedia)

Die Autorin

Ursula Kroeber Le Guin, geboren 1929 als Tochter des berühmten Anthropologen Kroeber, ist eine bessere Schriftstellerin als C.S. Lewis (was etwa Jugend-Fantasy angeht), mit einem klareren Stil als Alan Garner (GB), origineller als Susan Cooper oder Joy Chant und schreibt flüssiger als alle ihre amerikanischen Nachahmer.

Am bekanntesten wurde sie durch ihren verfilmten Erdsee-Zyklus, in dessen Universum sie immer neue Romane spielen lässt. Aber da sie von Haus aus einen anthropologischen Hintergrund hat (s.o.), spielen ihre frühen SF-Geschichten verschiedene Szenarien für die Weiterentwicklung des Menschen oder von alternativen Kulturen durch. Dazu gehört der frühe Hainish-Zyklus, der Roman „Die Geißel des Himmels“ und die preisgekrönten Romane „Die linke Hand der Dunkelheit“ (1969) sowie „Der Planet der Habenichtse“ (1974). In „Linke Hand“ beschreibt sie eine Kultur, die nicht von zwei verschiedenen Geschlechtern und deren determinierter Sexualität beherrscht wird. „Habenichtse“ entwirft die große Utopie der Anarchisten: keine Herrschaft, keine sozialen Unterschiede, nur Nächstenliebe und Freiheit – in Armut.

In zahlreichen Storysammlungen hat sich Le Guin sowohl in der Fantasy wie auch in Mainstream und SF als scharfsinnige Theoretikerin und Beobachterin erwiesen. Zu diesen Collections gehören besonders „Die zwölf Striche der Windrose“, „Die Kompassrose“, „Ein Fischer des Binnenmeeres“, „Four Ways to Forgiveness“ und zuletzt „Changing Planes“ (2005).

Le Guin hat auch Gedichte und Kinderbücher geschrieben, mit der Norton Anthologie zur Science Fiction erwies sie sich als wichtigste – und umstrittene – Initiatorin weiblicher Science Fiction in den siebziger Jahren. Eine interessante und aktuelle Würdigung ihres Werks findet sich in Thomas M. Dischs Sachbuch „The dreams our stuff is made of. How science fiction conquered the world“ (1998). Diese kritischen und kenntnisreichen Essays werden sukzessive im „Heyne SF Jahr“ veröffentlicht. Relevant zu Le Guin sind die Kapitel „Can girls play too? Feminizing science fiction“ und „The third world and other alien nations“. Le Guin starb 2018.

Der Erdsee-Zyklus

„Der Magier von Erdsee“ setzte einen sehr hohen Maßstab. Neben Tolkiens Werk (1954/55), das sich nicht explizit an Jugendliche richtete und mit christlichen Motiven überfrachtet ist, ist „Wizard“ das klassische Fantasy-Abenteuer für junge Leser. Auch die Frauenbewegung in der Fantasy schätzte „Wizard“ und seine Folgebände sehr. Werke wie „Die Traumschlange“ von Vonda McIntyre erinnern daran.

Die Erdsee-Romane

A Wizard of Earthsea. 1968 (Der Magier der Erdsee. 1979)
The Tombs of Atuan. 1970 (Die Gräber von Atuan. 1979)
The Farthest Shore. 1972 (Das ferne Ufer. 1979)
Tehanu: The Last Book of Earthsea. 1990 (Tehanu. 1992)
The Other Wind, 2001 (Rückkehr nach Erdsee. 2003)

Kurzgeschichten

The Word of Unbinding. 1964 (Das lösende Wort. In: Die zwölf Striche der Windrose. 1980)
The Rule of Names. 1964 (Die Namensregel. In: Die zwölf Striche der Windrose. 1980)
Dragonfly. 1997 (Schwebender Drache. In: Das Vermächtnis von Erdsee. 2001)
Darkrose and Diamond. 1999 (Schattenrose und Diamant. In: Das Vermächtnis von Erdsee. 2001)
The Finder. 2001 (Der Finder. In: Das Vermächtnis von Erdsee. 2001)
The Bones of the Earth. 2001 (Die Gebeine der Erde. In: Das Vermächtnis von Erdsee. 2001)
On The High Marsh. 2001 (Im Hochmoor. In: Das Vermächtnis von Erdsee. 2001)
The Daughter of Odren. 2014 (Die Tochter des Fürsten von Odren. In: Erdsee: Die illustrierte Gesamtausgabe. 2018) Inhalt
Firelight. 2018 (Feuerschein. In: Erdsee: Die illustrierte Gesamtausgabe. 2018)

Magie in Erdsee

„Wichtiges Element der Welt von Erdsee ist die Magie. Die Ausübung der Magie liegt bei den Menschen, die mit magischen Kräften geboren werden. Wer offiziell Magier werden möchte, absolviert oft ein Studium an der Zauberschule auf Rok, eine Art Universität. Neben den Magiern gibt es auch Frauen mit magischen Kräften. Da sie jedoch aufgrund der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur der Welt nicht zu Magierinnen ausgebildet werden, können sie lediglich Hexen mit geringeren Fähigkeiten und noch geringerem Ansehen in der Bevölkerung werden.

Zusätzlich gibt es auch Zauberer, die, anders als die Magier, keine vollständige Ausbildung hinter sich brachten und somit an Macht nie einem Magier nahekommen könnten. Hauptkriterium der Magie ist, dass jedes Objekt einen wahren Namen in der Ursprache hat, der sich von dem Namen in der Umgangssprache unterscheidet. Wer den wahren Namen eines Objektes kennt, kann dieses beeinflussen. Den wahren Namen, den ein jeder Mensch selbst erhalten hat, hält dieser geheim, denn seine Kenntnis bedeutet Macht über seinen Träger. Ihn jemandem mitzuteilen, gilt als großer Vertrauensbeweis.“ (Wikipedia)

Handlung

Ged, der inzwischen Erzmagier von Roke und der mächtigste Mann des Erdsee-Inselreiches ist, bricht mit dem jungen Arren, Prinz von Enlad, zu einer Suche auf, bei der er herausfinden will, weshalb die Magie ihre Macht zu verlieren scheint.

Nach seltsamen Abenteuern im fernen Süden werden sie zu den Inseln der Drachen geführt; und auf Selidor, der westlichsten von ihnen, führt ihre Suche sie ins Reich des Todes, das trockene Land der Dunkelheit. Dort finden sie den Zauberer Cob, der die Wand zwischen Leben und Tod eingerissen hat, um selbst Unsterblichkeit zu erlangen.

Ged beraubt Cob seiner Macht und verschließt die Wunde in der Welt, aber dabei verbraucht er seine gesamte eigene Macht. Arren, der den Thron von Erdsee erben wird, welcher seit 500 Jahren verwaist ist, holt Ged ins Leben zurück. Der Drache Kalessin trägt sie beide nach Roke, wo Ged Arren als den neuen König begrüßt; dann bringt Kalessin Ged nach Hause auf die Insel Gont.

„Die Autorin beschreibt zwei mögliche Enden: Im einen segelt Ged nach der Krönung Arrens allein in den Ozean, man hört nie wieder von ihm. In der anderen Darstellung kehrt Ged in den Wald seiner Heimatinsel Gont zurück. Im Jahre 1990, siebzehn Jahre nach der Veröffentlichung von The Farthest Shore, entschied sich Le Guin für das zweite Ende, das sie in Tehanu fortsetzt.“ (Wikipedia)

Mein Eindruck

Die Drachen spielen in diesem Band eine tragende Rolle. Dass Kalessin, einer der größten und ältesten Drachen, Ged nach Hause bringt, deutet eine Wiederversöhnung zwischen Menschen und Drachen an. Diese Verbindung wird in „Tehanu“ (Band 4) weiter ausgebaut. Einst gab es wohl eine Zeit, in der Menschen und Drachen eins waren, aber nun sind sie seit langem getrennt und verfeindet.

Das angeborene Sprachidiom der Drachen ist die Sprache des Schöpfens, in der allen Dingen ihre wahren Namen gegeben werden. Diese Sprache zumindest ansatzweise zu beherrschen, ist von entscheidender Bedeutung für die Ausübung der Magie unter Menschen. Obwohl Magie eine Gabe ist, mit der manche schon geboren werden, muss sie doch auch wie eine Kunst oder Wissenschaft gelernt werden. Erst wenn eine Hexe oder ein Magier den wahren Namen einer Sache oder Person lernen, erhalten sie Macht darüber. Diese Macht jedoch kann man natürlich zum Guten wie zum Bösen verwenden. Über die rechte Anwendung wachen die Zauberer von Roke.

Cob wendet die Zaubermacht zum Bösen, weil er Unsterblichkeit haben will, und dies nur für sich. Unsterblichkeit aber geht über die natürlichen Grenzen der Wesen, die leben, hinaus. Sein widernatürliches Streben beeinträchtigt das Wirken der Magie, und nicht nur die Magier, sondern auch die Drachen bemerken das. Dankbar für den Sieg über Cob bringt daher Kalessin Ged nach Hause.

Unterm Strich

In diesem Band zeigt die Autorin auf, welche Versuchungen sich einem mächtigen Zauberer bieten und was man an Kraft aufbringen muss, um der Versuchung nicht zu erliegen bzw. ihren Schaden wiedergutzumachen. Das ist schon ein ziemlich erwachsenes Thema.

In diesem Roman beeindruckt die Autorin weniger durch Action als vielmehr durch Philosophie, die in realistische Gedanken und Handlungen umgesetzt wird. Deshalb kommen Actionfans hier nicht auf ihre Kosten. Auch ich habe eine ganze Weile gebraucht, um das Buch zu bewältigen. „Tehanu“ ist in puncto Lesbarkeit nicht viel besser.

Hinweis

1992 und 2001 erschienen mit „Tehanu“ und „Rückkehr nach Erdsee“ Fortsetzungen des Erdsee-Zyklus, aber noch lange nicht die letzten Geschichten. In Robert Silverbergs Fantasy-Anthologie „Der 7. Schrein“ (1998) veröffentlichte Ursula LeGuin mit „Drachenkind“ eine weitere wunderbare Erzählung, die auf der Zaubererinsel Roke spielt. Sie ist in der Sammlung „Das Vermächtnis von Erdsee“ (2001) enthalten.

Die Erdsee-Trilogie gibt es auch bei S. Fischer, Piper und Carlsen in sehr schönen Ausgaben (und als E-Book). Die „illustrierte Gesamtausgabe“ bei Tor/Fischer ist um zwei neue ERDSEE-Erzählungen erweitert worden.

Taschenbuch: 220 Seiten
Originaltitel: The Farthest Shore, 1972/73;
Aus dem Englischen von Margot Paronis.
ISBN-13: 9783453305960

www.heyne.de

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