Val McDermid – Das Gesetz der Serie (Kate Brannigan 6)

Der Fluch der Kristallkugel: der Wahrsagerin früher Tod

Gloria Kendal, Star der Seifenoper „Nordlichter“, erhält plötzlich aggressive Drohbriefe. Kate Brannigan als Leibwächterin soll ihr Schutz bieten. Genervt von der Egomanie der schauspielenden Zunft und den langweiligen Dreharbeiten, will Kate schon hinschmeißen – doch da ist bereits die erste Leiche im Kasten! (Verlagsinfo)

Die Autorin

Die 1955 geborene Val McDermid wuchs in Kirkcaldy, einem schottischen Bergbaugebiet nahe St. Andrews, auf und studierte dann Englisch in Oxford. Nach Jahren als Literaturdozentin und als Journalistin bei namhaften englischen Zeitungen lebt sie heute als freie Schriftstellerin in Manchester und an der Nordseeküste. Sie gilt als eine der interessantesten neuen britischen Autorinnen im Spannungsgenre – und ist außerdem Krimikritikerin. Ihre Bücher erscheinen weltweit in 20 Sprachen. Für „Das Lied der Sirenen“ erhielt sie 1995 den Gold Dagger Award der britischen Crime Writers‘ Association. (Verlagsinfo)

Kate Brannigan-Fälle (in chronologischer Reihenfolge):

1) Abgeblasen (1992)
2) Luftgärten (1993)
3) Skrupellos (1994)
4) Das Kuckucksei (1996)
5) Clean Break (1997)
6) Das Gesetz der Serie (1998)

Handlung

Kate Brannigan ist eigentlich Privatdetektivin, folglich ermittelt sie. Aber sie ist empfohlen worden – ausgerechnet an Gloria Kendal, den Star einer Seifenoper namens „Nordlichter“. Die in UK weithin bekannte Gloria ist zwar schon über vierzig und ein wenig überkandidelt, aber aus hartem Holz geschnitzt. Sie weiß, wenn sie Drohbriefe bekommt, dann sollte sie etwas dagegen unternehmen.

Obwohl sie sich bereits auf ein – ha! – geruhsames Weihnachtsfest mit ihrem Schatz Richard gefreut hat, lässt Kate sich breitschlagen, als Glorias Leibwächterin zu fungieren und ihre Umgebung im Auge zu behalten: Sie kann die Kohle gut gebrauchen. Mit „Umgebung“ ist natürlich das jeweils vor Ort agierende Drehteam gemeint: Make-up, Beleuchtung, Catering, ach ja: und eine Kamera gibt’s auch.

Als Star der Serie hat Gloria ihren eigenen Wohnwagen und macht Kate mit allerlei Leuten bekannt. Dazu gehört leider auch der Produzent John Turpin, ein richtiger Stinkstiefel mit zwielichtigem Finanzgebaren, wie Kates hauseigener Hacker Gizmo herausfindet. Turpins Firma soll ans Kabel- und Satellitenfernsehen verkauft werden, was hinsichtlich des Aktienwertes doch einiges erhoffen lässt, beispielsweise einen Riesenreibach.

Deshalb passt es für Kate überhaupt nicht ins Bild, dass erstens regelmäßig die Handlung der nächsten Episode über dunkle Kanäle in die Regenbogenpresse gelangt und zweitens, dass die bei der TV-Truppe allseits beliebte Wahrsagerin Dorothea Dawson mausetot in ihrem eigenen Wohnwagen aufgefunden wird. Jedermanns Verdacht fällt natürlich sofort auf jene Frau, die Dorothea zuletzt gesehen hat: Gloria Kendal. Doch welches Motiv sollte Gloria haben, ihre eigene beste Freundin ins Jenseits zu befördern?

Firlefanz! Detective Inspector Jackson, ein übellauniger Macho, fackelt nicht lange und lässt Gloria festnehmen. Jetzt ist es an Kate, ihre Klientin mit wasserdichten Beweisen wieder aus der Bredouille zu holen. Sie schaltet ihre liebste Anwältin und Geschäftspartnerin (siehe („Kuckucksei“) Ruth Hunter ein. Als Jacksons Kollegin, die in Kates Augen stark unterprivilegierte Linda Shaw, diesen Namen vernimmt, entfährt ihr ein deftiges „Au Scheiße!“

Mein Eindruck

Die Autorin hatte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Romans wohl bereits selbst einige Erfahrungen an Drehorten und mit Filmteams sowie Produzenten gesammelt. Alles, was sie schreibt, wirkt stimmig. Da Gloria nicht die erste Schauspielerin für Kate ist, mit der sie es zu tun bekommt, kennt sie die Tücken des Milieus sowie die Gesetze einer TV-Serie. Sie hat Cassie kennengelernt, die früher mal ein „Kevin“ war. Als dies publik wurde, ging ein Aufschrei durch die Fangemeinde, während die Produktionsfirma zwar zunächst Kevin/Cassie den Rücken stärkte, aber klammheimlich bereits ihren Abgang vorbereitete.

Diese moralische Doppelzüngigkeit sieht Kate nicht ohne Grund auch in John Turpin verkörpert. Sie fragt sich, wozu ein Produzent fähig wäre, um seine Gans, die goldene Eier legt, vor Schaden zu bewahren? Wäre er zu einem Mord fähig? Aber es gibt noch andere Kandidaten für die Bluttat. Darunter befindet sich der Make-up-Künstler Freddie Littlewood, dem Gloria seltsamerweise anvertraut, dass sie Drohbriefe erhalten hat und dass Kate ihre Leibwächterin sei. Am nächsten Tag posaunen die Gazetten diese beiden Infos hinaus in die Welt. Wenn man ein Leck sucht, braucht man also nicht weit zu suchen. Diese Tatsache ist derart sonnenklar, dass die Autorin sie keiner Erwähnung für nötig hält. Erst als Freddies Wurzeln viel weiter zurückreichen als gedacht, wird er verdächtig.

Die Horoskope

Dorothea Dawson ist nicht bloß eine Wahrsagerin und Astrologin, sondern quasi das Ideal eines, äh, Beichtvaters: stets verständnisvoll, stets verzeihend – aber alles hörend. Könnte sie etwa ebenfalls Geheimnisse gewinnbringend verhökert und dafür mit dem Leben bezahlt haben, fragt sich Kate. Die jedem Kapitel vorangestellten Horoskope mit seltsamen Titeln wie „Sonne im Trigon mit dem Mond“, „Venus im Quadrat mit Neptun“, „Mars am Imum Coeli“ und „Sonne-Pluto-Konjunktion“ (wobei auffällt, dass Pluto der sonnenfernste Planet ist – zu einer Konjunktion gehört also ein Riesenzufall).

Die Aussagen, die Dorothea daraus ableitet, sind einfach nur lachhaft. Sie bestehen aus austauschbaren Worthülsen wie „impulsiv“, „zwanghaft pedantisch“ und dergleichen mehr, stets gemünzt auf Frauen. Ob sich das erste wirklich auf Kate anwenden lässt, muss jede Leser für sich selbst herausfinden. Klar wird: Dorothea ist eine Scharlatanin. Aber irgendwo muss sie herstammen, und als Kate in Dorotheas Vergangenheit wühlt, stößt sie nicht nur auf ein tragisches Schicksal, sondern auf zwei.

Dennis the Menace

Zu Kates bevorzugten Freunden gehört Dennis, der Profi-Einbrecher. Seitdem er im Knast war, will er ein „ehrliches leben“ führen, doch leider versteht er davon nichts. Er macht eine krumme Tour, indem er einen leerstehenden Laden für kurze Zeit besetzt – quasi in der Grauzone des Rechts. Und prompt wird er wegen Mordes angeklagt. Ein Knochenbrecher aus dem Sozialghetto hat bei ihm den Tod gefunden. Aber es gibt einige Ungereimtheiten, und so sieht Kate eine winzige Chance, Dennis wieder rauszuhauen – wenn Linda Shaw mitspielt (und Gizmo ein paar „Beweise“ türken kann).

Donovan in Nöten

Als würde diese Nebenhandlung nicht schon für genug schwarzen Humor sorgen, trägt auch Donovan, der Sohn von Kates Büroleiterin Shelley, sein Scherflein bei. Eigentlich soll er bloß Vorladungen zustellen, doch er wird ständig verhaftet. Kate muss erkennen, dass die braven Bürger in Manchesters Villenvororten Rassisten reinsten Wassers sind. Schlimmer: Die Cops eifern ihnen nach, wenn es darum geht, ein jungen männlichen Schwarzen in einem reichen Wohnviertel von Weißen zu verknacken. Auf lange Sicht, so Kates traurige Erkenntnis, ist Donovan als Glorias Leibwächter vielleicht besser eingesetzt – falls Gloria ihre gierigen Finger von ihm lässt…

Die Übersetzung

Die Übersetzung von Sabine Messner erschien 1999 im einschlägig vorbelasteten Argument-Verlag, wo bekanntlich alles, was spannend und phantastisch ist, verlegt wurde, solange in den Texten lesbische Liebe vorkam. Und die kommt bei einer Tabubrecherin wie McDermid allenthalben vor: Kate Brannigans beste Freundin Alexis ist in einer lesbischen Beziehung.

Sprachlich gefällt mir die schnoddrige Ausdrucksweise Kate Brannigans (= Val McDermids) sehr, stilistisch die vielen deutschen Redewendungen, die den Text wie ein einheimisches Produkt wirken lassen. Saubere Arbeit. Leider haben sich ein paar Druckfehler eingeschlichen. Dumm nur, dass ich mir auf der Zugfahrt, als ich das Buch las, keine Notizen machen konnte – ich musste zu häufig umsteigen. Aber schon auf den ersten Seiten ist da ein „zu“ zuviel gewesen.

Unterm Strich

Die vielsträngige Handlung wartet mit einer Menge Abwechslung auf, und wer Kates Art von schnoddrigem Humor mag, wird ihre Darstellung der Ereignisse sehr unterhaltsam finden. Ich musste mehrmals auflachen. Neu ist diesmal, dass eine zerstückelte, aber im Rückblick zusammenhängende Rückblende in eine Jahrzehnte zurückliegende Zeitebene stattfindet. Diese beleuchtet das tragische Schicksal von Dorothea Dawson und ihrem Sohn: Sie wurde nämlich in die Nervenheilanstalt eingewiesen und ihr Sohn zur Adoption freigegeben. In den fünfziger und sechziger Jahren hatten Frauen mit unehelichen Kindern nichts zu lachen.

Für den Mord an Dorothea kommen also eine Menge Leute infrage, zumindest jene, die über sie Bescheid wussten sowie das verschwundene Adoptivkind. Und wer weiß? Vielleicht wusste ja auch Dorothea zuviel und wurde für immer zum Schweigen gebracht, wenn auch auf eine etwas brachiale Weise. Um der Sache auf den Grund und einem Verdacht nachzugehen, bricht Kate mit Dennis, dem Profi-Einbrecher, bei Produzent Turpin ein. Er ertappt sie um ein Haar auf frischer Tat, denn sein Alarmsystem ist besser als Dennis erwartet hat. Es besteht Hoffnung auf ein wenig Action…

Weitere Seitenhiebe der Autorin betreffen den Chauvinismus der männlichen Cops, ihren latenten Rassismus und das Netzwerk an illegalen Informationsweitergaben, dessen sich die Journalisten in Manchester bedienen. Diesbezüglich spricht die Autorin aus eigener Erfahrung, wie sie in ihrem Vorwort vorausschickt – und sie hat sich bei ihren Schilderungen der diversen Milieus des Beistands von gleich drei Rechtsberaterinnen versichert. Zwei Agentinnen, zwei Lektorinnen und eine Standesgenossin gingen mit einem feinen Kamm über den Text. Da konnte ja fast nichts schiefgehen.

Und wer TV-Serien wie „Coronation Street“ oder „East Enders“ – was bei uns der „Lindenstraße“ etc. entspricht – angesprochen sieht, der befindet sich mit der Autorin auf einer Wellenlänge. Auch sie ist Serien-Fan. Es muss ihr einen Heidenspaß bereitet haben, die Serie „Nordlichter“ auseinanderzunehmen. Hoffentlich hat der Leser ihres Krimis ebenso viel Spaß.

Taschenbuch: 384 Seiten
Info: Star Struck, 1998
Aus dem Englischen von Sabine Messner
www.droemer-knaur.de

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