Val McDermid – Luftgärten (Kate Brannigan 2)

Das Geheimnis der verschwundenen Wintergärten

Kate Brannigan ermittelt wieder: An mehreren Einfamilienhäusern verschwinden buchstäblich über Nacht die eben erst angebauten Wintergärten. Eine kleine Ermittlung, denkt die toughe Privatdetektivin, und doch weckt der sonderbare Fall ihre Neugier. Schon bald stellt sich heraus, dass er gefährliche Dimensionen annimmt und Kate in Lebensgefahr bringt… (Verlagsinfo)

Die Autorin

Die 1955 geborene Val McDermid wuchs in Kirkcaldy, einem schottischen Bergbaugebiet nahe St. Andrews, auf und studierte dann Englisch in Oxford. Nach Jahren als Literaturdozentin und als Journalistin bei namhaften englischen Zeitungen lebt sie heute als freie Schriftstellerin in Manchester und an der Nordseeküste. Sie gilt als eine der interessantesten neuen britischen Autorinnen im Spannungsgenre – und ist außerdem Krimikritikerin. Ihre Bücher erscheinen weltweit in 20 Sprachen. Für „Das Lied der Sirenen“ erhielt sie 1995 den Gold Dagger Award der britischen Crime Writers‘ Association. (Verlagsinfo)

Kate Brannigan-Fälle (in chronologischer Reihenfolge):

1) Abgeblasen (1992)
2) Luftgärten (1993)
3) Skrupellos (1994)
4) Das Kuckucksei (1996)
5) Clean Break (1997)
6) Das Gesetz der Serie (1998)

Handlung

Nur weil sich ihre Sekretärin, die schwarzhäutige Shelley, für Ted Barrow so einsetzt, zieht Kate Brannigan dessen Anliegen überhaupt in Betracht. Der Mann ist eine Art Bauunternehmer und errichtet Wintergärten an Eigenheimen in den Vorstädten von Manchester. Ted ist ein richtiger Schrank von einem Kerl, doch sehr sanftmütig, und als er ihr sein Leid klagt, erweicht es Kates Herz: Immer mehr seiner schönen Wintergärten verschwinden über Nacht.

Kate schließt gerade einen Fall von Unterschlagung in der Pharmazie ab, hat also etwas Luft. Ein kleiner Besuch bei seiner Firma offenbart, dass Ted wirklich kreativ ist: Er bietet vier verschiedene Arten von Wintergärten an den spartanischen, den modernen, den viktorianischen und den verspielten. Kate weiß aus eigener Erfahrung, wie sinn- und wertvoll so ein Anbau ist. Nicht nur erweitert er die nutzbare Wohnfläche, er kann auch zwei aneinandergrenzende Häuser miteinander verbinden. So kommt es, dass ihr eigener Wintergarten ihres und das von ihrem Freund Richard verbindet – neutraler Boden für die Liebe.

Ted hat nicht gelogen: Die Wintergärten haben an allen angegebenen Adressen eine Spur hinterlassen. Aber was Kate richtig stutzig macht: Die Bewohner dieser Häuser lebten dort offenbar nur vorübergehend. Sie mieteten das Haus vom Eigentümer, der nicht ganz zufällig den gleichen Nachnamen wie sie trug. Eine neugierige und aufgeweckte Nachbarin klärt Kate über so einen Fall auf. Der wird immer merkwürdiger.

Als sie bei der entsprechenden Makleragentur vorspricht, erhält sie zum Glück keine Abfuhr, sondern Hilfe. Gleichzeitig macht sich aber eine betucht aussehende Dame sofort bei Kates Anblick aus dem Staub. So schlimm sieht Kate doch wirklich nicht aus: kastanienbraunes Haar auf einem Chassis von 1,57 Metern Höhe. Normalerweise gelingt es ihr, mit dem guten Aussehen und einem Mundwerk wie ein Revolver alle Männer und Damen herumzukriegen.

Ausgetrickst

Aber Kate kann Freundinnen einfach keine Bitte abschlagen. Alexis, die Journalistin bei der Tageszeitung, ist so eine Freundin. Sie ist lesbisch und will mit ihrer Freundin, der Architektin Chris, ein Haus auf dem Lande bauen. Die Parzelle hätten sie schon gesehen und einem Bauunternehmer namens Tom Harris eine Anzahlung von 5000 Pfund geleistet, erzählt Alexis. Aber als Chris sich die Parzelle nochmal anschauen wollte, sei sie auf weitere Vermesser gestoßen – das Land war ein zweites Mal verkauft worden. Und ihr Geld sei wohl futsch, oder?

Nicht wenn es nach Kate geht. Sie hängt sich auch in diesen Fall rein und schon bald beginnt sie, das Land zu hassen. Die Adressen sind falsch, die Anwälte windig, und der eigentliche Verkäufer des Grundstücks entpuppt sich als Bauer, der ihr eine Schrotflinte unter die Nase hält und zwei Dobermänner mit gefletschten Zähnen in Bereitschaft hält. Kate liebt das Land – solange es menschenleer ist.

Immerhin konnte ihr der Bauer eine Verkaufsurkunde vor die Glubschaugen halten, und darauf steht der Name des Käufers: Thomas Richard Harris. Mit anderen Worten Tom, Dick und Harry alias Hinz und Kunz. Als sie auf dem Grundbuchamt nach den Wintergartenadressen und der Adresse von Thomas Richard Harris (TRH) fragt, muss sich erkennen, dass das Amt derartig langsam arbeitet, dass TRH das Land, das Alexis und Chris wollen, locker drei- oder viermal hätte verkaufen können – solange ein korrupter Anwalt mitspielt, der Nachfragen beim Katasteramt unterdrückt. Und den meint Kate in Martin Cheetham gefunden zu haben.

Noch hat Kate nicht alle Fakten beisammen, aber ein Bild beginnt sich zu formen. Fröhlich fährt sie gerade auf der Autobahn und trällert mit den Pet Shop Boys im Radio mit, als ein weißer Lieferwagen sie von der Straße drängt. Sie donnert in die Leitplanke, genau auf einer Kanalbrücke, unter der 30 Meter tiefer dunkles Wasser dräuend auf den Aufprall lauert…

Mein Eindruck

Zwar wacht Kate erst einmal im Krankenhaus auf, doch sie lässt sich nicht unterkriegen: Jetzt erst recht! In der zweiten Hälfte des Doppelfalles setzt Kate weniger auf persönlichen Einsatz und mehr auf die Wunder der Technik. Sie ist eine Hackerin – was ihr im Jahr 1993 nicht allzu schwerfällt. Und sie verfügt über jede Menge Wanzen und Abhörvorrichtungen.

Schon bald hat sie ein Trio infernale ausgemacht, dessen eine Ecke der Anwalt Martin Cheetham bildet. Seltsamerweise kreuzt vor Cheethams Haus auch ihre Freundin Alexis auf. Das Ganze wird immer verwirrender, und als Kate durch eines der Fenster auf der Rückseite späht, fällt ihr Blick auf ein Paar baumelnder Beine, die frei im Treppenhaus pendeln…

Dieser Doppel-Fall ist ungewöhnlich verzwickt und verlangt vom Leser einiges Mitdenken. Doch auch die gute Kate hat ihre Mühe, alle Fakten und Details zusammenzukratzen. Bis zum letzten Kapitel müht sie sich, um noch letzte Aussagen und Beweise zu besorgen, damit zumindest der Fall Cheetham & Co. lückenlos der Polizeiinspektorin Della Prentice übergeben werden kann.

Bei Ted Barlows Fall sieht die Sache etwas anders aus: Sie muss ihm schonend beibringen, dass er von seinem eigenen Spitzenverkäufer hintergangen wird und der sich gerade aus dem Staub machen will. Der gute Ted, ein Bär von einem Kerl, würde am liebsten Kleinholz aus dem Gauner machen. Doch Kates Silberzunge beseitigt die Gefahr, dass sich Ted selbst in den Knast manövriert.

Elint

Kate setzt jede Menge „Elint“ ein, also „electronic intelligence“: Abhörgeräte, das ein CIA-Agent vor Neid erblassen würde. Dennoch muten die Wanzen, die so groß wie „das erste Glied meines Daumens“ sind, hoffnungslos veraltet an. Gleichzeitig tut sie sich auch als Hackerin hervor: Cheethams Computer ist so alt, dass er das Betriebssystem erst von Diskette laden muss, dann noch die Programme und die Nutzdaten. Was hier vorsintflutlich klingt, hat aber auch einen klaren Vorteil: Die Diebe lassen die Disketten mit dem Betriebssystem mitgehen, vergessen aber die Nutzdaten – und dort findet Kate einen Datenschatz. Er ist zwar noch passwortgeschützt, aber ein Passwort hat noch keinen echten Hacker aufgehalten. Sobald Kate Cheethams geheimes Privatleben entdeckt hat, ist das Wort klar.

Weiblein oder Männlein?

Eines der auffallendsten Merkmale der Brannigan-Romane ist das Durchbrechen der Geschlechterdefinitionen. Männlein, Weiblein – schon klar, aber wann und wo und wieviele? Da ist das lesbische Pärchen Alexis und Chris auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist da der Transvestit, der in der Makleragentur Kate so bestürzt angesehen hat und dann Reißaus nahm (aus gutem Grund). Kate hat sich täuschen lassen: Der Kerl sah aus wie eine echte Dame.

Und dann wird Kate noch von einem Geschlechtsumwandler darüber aufgeklärt, welches traurige Schicksal einen Transsexuellen (transgender) erwartet, der ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerät. So sei es einem Kevin gegangen, der jahrelang friedlich und erfolgreich als Dame in der TV-Serie „Northerners“ (Nordlichter) aufgetreten sei. Als ihn ein Klatschreporter unter großem Trara enttarnt hatte, beeilte sich die Produktionsgesellschaft zu erklären, die Frau würde weiterhin beschäftigt werden, denn schließlich würden Mann und Frau gleichberechtigt behandelt. Wie merkwürdig aber, dass eben diese Rollenfigur zwei Monate später einen tödlichen Unfall erlitt.

Von wegen Gleichheit: Was nicht hetero ist, wird abgesägt. Das war sicherlich anno 1993 so, doch in vielen Ländern besteht auch im 21. Jahrhundert noch längst keine Toleranz gegenüber Homo- und Transsexuellen, etwa in Russland.

Die Übersetzung

Die Übersetzung durch Brigitta Merschmann erschien erstmals 1995 bei S. Fischer, dann im einschlägig vorbelasteten Argument-Verlag, wo bekanntlich alles, was spannend und phantastisch ist, verlegt wurde, solange in den Texten lesbische Liebe vorkam. Und die kommt bei einer Tabubrecherin wie McDermid allenthalben vor: Kate Brannigans beste Freundin Alexis ist in einer lesbischen Beziehung.

Sprachlich gefiel mir sehr die schnoddrige Ausdrucksweise Kate Brannigans, stilistisch die vielen deutschen Redewendungen, die den Text wie ein einheimisches Produkt wirken lassen. Saubere Arbeit. Leider haben sich Grammatik- und Druckfehler eingeschlichen.

S. 103: „die Per Shop Boys“ sollten wohl besser „Pet Shop Boys“ (die Jungs von der Zoohandlung) heißen.

S. 150: „meinet er und klang aufrichtig.“ Klassischer Buchstabendreher. „meinet“ sollte „meinte“ heißen“.

S. 163: „einen Brunch aus Hash Browns, Omelette und Bohnen“. Was sind „Hash Browns“, mag sich der Leser verwirrt fragen? (Denn in einem Detektivroman zählt bekanntlich JEDES Wort.) Es handelt sich um kleingehackte Bratkartoffeln. Insgesamt handelt es sich also um einen recht deftigen Brunch.

S. 169: „Fiberoptiktechnologie“. Eine eins-zu-eins-Übersetzung aus dem original. Die Technologie ist bei uns als Glasfasertechnik oder -optik bekannt.

S. 280: „Kachel Lieberman“. Ulkig –wenige Seiten zuvor hieß die hilfreiche Maklerin noch „Rachel Lieberman“. Ein recht peinlicher Fipptehler.

Unterm Strich

„Luftgärten“ bietet kurzweilige Krimiunterhaltung, bei der man allerdings scharf mitdenken muss. Die beiden Betrügereien im Immobiliengewerbe sind knifflig und mit zahlreichen Faktendetails versehen. Kate tut sich als Lauscher und Hacker hervor, dass sie Stasi vor Neid erblasst wäre. Allerdings entgeht sie dem vorzeitigen Ableben selbst nur um Haaresbreite. Das macht sie indes nur um so entschlossener.

Die Brannigan-Fälle erfordern vom Leser Toleranz gegenüber sexueller Selbstbestimmung, die anders lautet als „hetero von der Wiege bis zur Bahre“. Brannigans Freundinnen sind lesbisch, ihre Klientinnen transsexuell, die Gauner mitunter Transvestiten. Richtig sympathisch ist die Detektivin, wenn die geneigte Leserin mit ihr die inbrünstige Abneigung gegen „das Land“ teilt: mordlüsterne Bauern mit Schrotflinten, Straßen, die mehr aus Schlaglöchern als Asphalt bestehen, und Hotels, die kaum diesen Namen verdienen. Country life, go home!

Taschenbuch: 304 Seiten
Info: Kick Back, 1993
Aus dem Englischen von Brigitta Merschmann
www.droemer-knaur.de

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