Vandenberg, Philipp – Akte Golgatha, Die

Dem Münchener Chirurgen Gregor Gropius stirbt nach einer Lebertransplantation der Patient weg: ein Kunstfehler? Keineswegs! Es war Mord: Die Leber war vergiftet. Wie sich zeigt, war der Tote ein ganz besonderer Patient: Er hatte das Grab Jesu gefunden …

_Der Autor_

Philipp Vandenberg, geboren 1941 in Breslau, landete gleich mit seinem Debütroman „Der Fluch der Pharaonen“ einen Bestseller. Viele seiner Romane und Sachbücher beschäftigen sich mit Archäologie. Vandenberg lebt mit seiner Frau abwechselnd in einem oberbayerischen Dorf oder in der Burganlage von Burghausen.

Weitere Titel: Der Pompejaner; Sixtinische Verschwörung; Das Pharaokomplott; Das fünfte Evangelium; Der grüne Skarabäus; Der Schatz des Priamos; Der Fluch des Kopernikus; Der Spiegelmacher; Purpurschatten; Der König von Luxor; Der Gladiator.

_Handlung_

Gregor Gropius, ein gut verdienender Chirurg an einem Münchner Klinikum, gerät schwer in die Bredouille, als ihm bei einer Leberverpflanzung der Patient stirbt. Gropius kann es nicht fassen, als sich herausstellt, dass die von einem anonymen Spender stammende Leber mit einem Insektizid vergiftet worden war. Obwohl man ihm einen Mord nicht zutraut, wird der Professor erst einmal beurlaubt. Schließlich will man keine anderen Patienten beunruhigen.

Zunächst hat Gropius seinen Oberarzt Dr. Fichte nicht im Verdacht, mit dem Mord etwas zu tun zu haben, aber das ändert sich, als er einen Privatdetektiv einschaltet. Der gesteht ihm, zuvor für seine Frau Veronique Gregors Leben ausspioniert zu haben, um ihr einen Scheidungsgrund zu liefern. Der Detektiv ertappt Dr. Fichte mit Dr. Plasskow, einem Golfkollegen Gropius‘. Er folgt den beiden nach Prag, wo sich zeigt, dass sie einen schwunghaften Organhandel betreiben und illegale Transplantationen durchführen. Und Fichte befindet sich in Begleitung von … Veronique. Macht das „geldgierige Frauenzimmer“ Geschäfte mit der tschechischen Organmafia?

Nach einigen unbequemen, aber ergebnislosen Fragen von Seiten der Münchener Sonderkommission kann sich Gropius einem anderen Kontakt widmen. Die Witwe des Ermordeten, die Kunstmaklerin Felicia Schlesinger, steht der Hinterlassenschaft ihres Gatten etwas hilflos gegenüber. Ihr Mann Arno war Archäologe und führte sein eigenes Leben an den diversen Grabungsstätten. Dort, in Israel, hatte er auch eine Geliebte, wie Felicia zu ihrer Erbitterung erfährt. Gropius besucht Felicia in ihrem Haus am Tegernsee, bemerkt, dass ihr eine Bombe geliefert wurde und transportiert diese mit seinem Wagen weg – mit knapper Not entkommt er dem Anschlag.

Für ihn (und den Bundesnachrichtendienst) stellt sich die Frage, wem der Anschlag galt: ihm oder Felicia? War es eine Warnung, da Felicia kurz vor der Detonantion angerufen wurde? Um jeden Zweifel auszuräumen, beschließt Gropius, die Spur aufzunehmen, die in Arno Schlesingers Vergangenheit. Diese führt zunächst nach Berlin und Turin, wo er jedoch gefangen genommen wird. Einen Tag später ist Professore de Luca, der Wissenschaftler, den er besuchen wollte, ebenfalls tot. Gropius entkommt nur, weil sein Tod den Hintermännern nichts nützen würde. Vielleicht führt er sie auf weitere Spuren.

Nun will es Gropius, der allmählich an seiner Aufgabe wächst, wirklich wissen. Während er sich zunehmend von Felicia Schlesinger entfremdet, erweist sich die Italienerin Francesca Colella, die er in Berlin und Turin antraf, als große Hilfe. Als die Bombenleger auch noch ihren Mann töten, hält sie sich an Gropius, denn er scheint zu wissen, wo’s langgeht.

In Israel stößt er endlich auf entscheidende Hinweise: Schlesinger hatte dort die Gebeine eines gewissen „Jeshua Sohn von Joseph Bruder von Jakobus“ gefunden, besser bekannt als Jesus von Nazareth. Kurz nachdem er die katholische Kirche damit erpresst hatte, erfolgte der Anschlag, der ihm die Leber zerriss. Kurz darauf landete er auf Gropius‘ OP-Tisch, doch die Gebeine Jesu wurden von einer weiteren Bombe vernichtet …

Nun meint der Vatikan, Gropius besitze die Forschungsergebnisse Schlesingers: die „Akte Golgatha“. Gropius‘ Gegner ist jedoch nicht nur die mächtige Kurie des Vatikans, sondern auch eine christliche Geheimorganisation, deren rätselhaftes Kürzel IND den Bundesnachrichtendienst in Verwirrung gestürzt hat: In nomine domini – „im Namen des Herrn“.

_Mein Eindruck_

Diesen Medizin-, Archäologie- und Religionsthriller mit Dan Browns Bestsellern „Sakrileg“ und „Illuminati“ zu vergleichen, liegt nahe. Doch der Versuch erweist sich schon bald als fruchtlos. Während Brown die geheime Geschichte des Religionsgründers erfindet und die des Abendlandes umschreibt (bzw. sich dazu früherer Autoren bedient), dienen Jesu Gebeine lediglich als Aufhänger für einen ganz normalen Thriller. Gropius‘ Erkenntnisse, die er sich stets mühsam in persönlichem Einsatz erkämpfen muss, führen zwar wie bei einer Schnitzeljagd zu weiteren Anhaltspunkten und Informationsquellen, verändern aber sein Weltbild nicht. Für Brown ist das alte Europa nur ein Palimpsest, das überschrieben wird – für Gropius ist es sein Lebensmilieu, über dessen Tellerrand er nicht hinausblickt.

Dennoch stellen Gropius und sein Erfinder Vandenberg am Schluss ein wenig verwundert fest, dass sich die Figur ganz schön verändert hat. Das ist auch für den Leser recht interessant, denn es lehrt eine Erfahrung, die man nicht aus Geheimschriften entziffert: Die Liebe des Lebens muss man sich erkämpfen.

Die erste Frau hat sich Gropius quasi gekauft, mit Reichtum an Finanzen und Wissen. Vroni, Veronika oder Veronique – schon bald entfremdete er sich von ihr. Er nahm sich die hübsche, geile Rita, eine Röntgenassistentin am Klinikum, die stets kam, wenn er sie rief: ein Betthase.

Doch die Schlesinger-Katastrophe ändert alles. Weder mit entfremdeten Gattinnen noch mit Betthasen lassen sich umfassende Probleme lösen wie das, vor dem Gropius jetzt steht: dem drohenden Ende seiner Karriere aufgrund einer ungeklärten Mordanklage. Leider erweist sich auch die Witwe Schlesingers nur begrenzt als hilfreich: Sie mag zwar gut im Bett sein, doch das Wissen, betrogen worden zu sein, macht sie verbittert.

Doch die Welt ist bekanntlich voll hübscher Frauen. Aber welcher kann Gropius trauen? Der Geliebten Schlesingers, Sheba Yadin, wohl kaum. Aber dann ist da noch die junge, attraktive Witwe Francesca Colella. Sie erweist sich als Gefährtin, die mit Gropius durch dick und dünn geht – bis zum Schluss. Sie ist sowohl mutig, schlagfertig als auch verständnisvoll. Als Italienerin hat sich auch ein großes Herz. Und sie kann warten, bis Gropius endlich auch seine Gefühle für sie zulässt.

Alles in allem hat dieser Roman zwar mehr mit echten Menschen zu tun, weil er den Figuren eine Tiefe und Breite zugesteht, die man in rasanteren Thrillern à la USA vermisst. Doch andererseits ist auch dieser Roman verpflichtet, den Leser zu unterhalten. An Vandenberg ist kein Wellershoff oder Schlink verlorengegangen: Sein Held Gropius ist kein Grübler, sondern mehr und mehr ein James Bond, der aus so mancher Falle herauslaviert und sogar mehreren Explosionen entgeht. Dass seine Bettgefährtinnen alles andere unansehnlich sind, schadet seinem Image gewiss nicht.

_Unterm Strich_

Ich konnte diesen Roman in wenigen Tagen lesen, da er nicht sonderlich anspruchsvoll ist. „Die Akte Golgatha“ ist ein einigermaßen spannend erzählter Thriller, der sich in den Bereichen Medizin (Organmafia), Archäologie (Israel) und Religion (Vatikan, IND-Orden) tummelt – allesamt Themen, die in Mode sind (spätestens seit „Jesus-Video“). Was den Leser wie den Helden verwirrt, ist die Verquickung all dieser Bereiche. Man fragt sich zunächst, wohin dies alles führen soll. Doch die Lösungen der Rätsel werden bis zur letzten Seite geliefert. Es bleiben keine losen Fäden zurück. Das nenne ich saubere Arbeit.

Angesichts der Fülle erotischer Begegnungen liegt der Vergleich mit James Bond nahe. Doch bei Bond gehören hübsche Frauen mit zwielichtigen Absichten gewissermaßen zum obligaten Inventar. Gropius hingegen – der nur auf Gattin und Geliebte zurückblicken kann – muss erst einmal seine Erfahrungen sammeln. Und das gestaltet sich interessanter als befürchtet. Diese Frauen sind keine Abziehbilder, sondern ebenbürtige Mitspielerinnen.

Merkwürdig ist jedoch, dass es keineswegs um das Schicksal der Welt oder wenigstens um den Untergang des Abendlandes geht. Zwar beißt hier und da jemand ins Gras, schon klar, aber die Eskalation reicht nicht in allerhöchste Ränge und aus den Liebesaffären werden keine Melodramen. Das macht die Geschichte ein klein wenig glaubwürdiger: Sowas könnte jedem von uns passieren (das nötige Kleingeld vorausgesetzt).

|Anmerkungen zur Sprache|

Damit die Figuren zum Leben erwachen, muss sich der Autor der richtigen Sprache befleißigen, sowohl in den Dialogen wie auch in den Beschreibungen. Doch schon für meine Generation der Sechziger- und Siebziger-Jahre-Männer klingen manche Satzkonstruktionen des 1941 geborenen Autors zu gestelzt. Das mag man in München ja anders sehen, wo man Latein noch in Ehren hält, doch in anderen Gegenden und Käuferschichten dürfte das auf weniger Verständnis stoßen. Mehrmals konstruiert Vanderberg Konditionalsätze, die statt ein „wenn/falls“ voranzustellen, ein „so“ benutzen. Das klingt nach Kanzleisprache.

Auch mit seinen Sprachbildern habe ich meine Mühe gehabt. Sprachbilder bestehen aus Redewendungen, Redensarten, Sprichwörtern, Vergleichen usw. Von manchen hat man völlig den Ursprung vergessen. Um solche geht es.

Als die Witwe Schlesinger erstmals auf Seite 59 auftritt, verwendet sie für ihr Aussehen den Ausdruck „in Schutt und Asche“ statt „Sack und Asche“. Das ist natürlich völliger Unsinn, denn in Schutt und Asche können nur Gebäude und dergleichen liegen. Viele Seiten später verwendet der Autor den Ausdruck korrekt. Es war also nur ein Ausrutscher. Aber der Lektorin Daniela Bentele-Hendricks fiel er nicht auf.

Bauchschmerzen bereitete mir auch der Ausdruck „im Trüben fischen“. Dies tut ausgerechnet die honorige Sonderkommission Schlesinger in München. Meistens wird dieser Ausdruck mit zwielichtigen Organisationen in Verbindung gebracht. Ich hätte lieber den Ausdruck „im Dunkeln tappen“ (S. 344) verwendet, um eindeutig klarzumachen, was gemeint ist: dass nämlich die Polizisten nichts herausgefunden haben. „Im Trüben fischen“ geht auf eine Fabel von Aesop zurück und bedeutet im eigentlichen Sinne, sich aus einer unklaren Lage einen Vorteil zu verschaffen (der Fischer wirbelt den Schlamm im Wasser auf, um dieses zu trüben, damit ihm die Fische leichter ins Netz gehen).