Verne, Jules – Jagd auf den Meteor; Die. Originalfassung

_Originalgetreu: eine langwierige Jagd_

Ein Meteor aus reinem Gold nähert sich der Erde. Zwei Hobbyastronomen entdecken ihn zur gleichen Stunde und beanspruchen die Ehre jeweils für sich selbst, so lange, bis ihre Familien entzweit sind. Als endlich klar wird, wo der Meteor abstürzen wird, setzt ein Wettrennen vieler Staaten und Mächte nach dem 4000 Milliarden Francs teuren Klunker ein – im hohen Norden geht die Jagd zu Ende.

_Der Autor_

Jules Verne wurde 1828 in Nantes geboren und starb 1905 in Amiens. Bereits während seines Jurastudiums schrieb er nebenher, manchmal mit einem Freund, Theaterstücke und Erzählungen. Sein erster Erfolgsroman „Fünf Wochen im Ballon“ erschien 1863. Seine großen Romane waren in der Folge Bestseller. Heute wird er neben H. G. Wells als einer der Begründer der modernen Science-Fiction-Literatur angesehen.

Mit „Die Eissphinx“ schrieb er eine Fortsetzung von E. A. Poes Horrorerzählung [„The Narrative of Arthur Gordon Pym“. 781 Sein erster Zukunftsroman „Paris im 20. Jahrhundert“ lag lange Zeit verschollen in einem Tresor und wurde erst vor ca. 20 Jahren veröffentlicht. Die Lektüre lohnt sich, auch wegen der erhellenden Erläuterungen der Herausgeberin.

|Zur Ausgabe|

„Die Jagd nach dem Meteor“, geschrieben 1901, erschien erst nach Vernes Tod im Jahr 1908, allerdings in einer verstümmelten Fassung. Erst 1986 erschien die vollständige Fassung auf französisch. Mit der |Piper|-Ausgabe liegt die erste und einzige vollständige deutsche Ausgabe vor, noch dazu mit Kommentaren. Das Vorwort von Andreas Eschbach erhellt die Zusammenhänge auf leicht verständliche Weise.

_Handlung_

Die meiste Zeit spielt die Handlung in der braven Stadt Whaston im US-Bundesstaat Virginia. Das genaue Jahr ist unbestimmt, doch es gibt einen kleinen Hinweis: Die US-Flagge hat zu diesem Zeitpunkt nur 45 Sterne statt der heutigen 50. Und es ist Frühling. März, um genau zu sein.

|Prolog|

Obwohl es wenig zur Haupthandlung beiträgt, sei doch erwähnt, dass die Geschichte mit einer Blitztrauung am 27. März in Whaston beginnt. Miss Arcadia Walker, 24 und ebenso schön wie wohlhabend, heiratet Seth Stanfort, einen ebenso gutbetuchten Globetrotter, und zwar vor dem Haus des ehrenwerten Friedensrichters John Proth – zu Pferde. Will heißen, keiner der beiden Brautleute fühlt sich bemüßigt, vom Ross zu steigen. Im Pferdeland Virginia werden diese Dinge eben pragmatisch erledigt. Es kann aber auch ganz anders laufen. Im späteren Verlauf der Handlung begegnen wir den beiden wieder, so etwa bei ihrer – ebenso rasch erledigten – Scheidung. Richter John Proth fällt eine wichtige Rolle im nun folgenden Drama zu.

|Die Entdeckung des Meteors|

Das bis dato noch friedliche Whaston beherbergt zwei Hobbyastronomen: Dean Forsyte, 45, und Dr. Stanley (an wenigen Stellen auch „Sidney“ genannt) Huddleson, 47. Forsytes Neffe Francis Gordon, 23, gedenkt am 31. Mai die hübsche Jenny, Huddlesons Tochter, zur Frau zu nehmen. Durch die Ereignisse an und nach diesem 2. April scheint sich dieses freudige Ereignis jedoch in ernster Gefahr zu befinden, niemals stattfinden zu können. Morgens um sieben beobachten die beiden Astronomen unabhängig voneinander einen Meteor, der die Erde umkreist.

Nach dieser epochalen Beobachtung gehen dem Direktor der Sternwarte von Pittsburgh am 9. April zwei Briefe beinahe identischen Inhalts zu: Sowohl Forsyte als auch Huddleson beanspruchen das Recht, den Meteor entdeckt zu haben, jeweils für sich. Diese Tatsache ist auch umgehend Gegenstand eines Artikels in der Lokalzeitung Whastons. Noch bleibt alles friedlich, wenn sich auch die beiden Entdecker und ihre wachsende Schar von Anhängern bald nicht mehr grün sind. Schon bald macht sich die Satirezeitschrift „Punch“ über ihren Ruhmeseifer lustig, und das heizt die Gemüter noch stärker an.

|Goldrausch|

Die Lage ändert sich, als die Sternwarte von Boston in alle Welt hinausposaunt, der gesichtete Meteor bestehe aus purem Gold. Natürlich nicht in geschmolzener Form, sondern durchsetzt mit Löchern und Rissen. Zunächst schätzen die Amateure einen falschen Durchmesser, doch dann entscheidet Boston: Wenn die Masse des Himmelskörpers bei einem Durchmesser von 50 m 126.436 Tonnen beträgt, so liegt sein Goldwert bei nicht weniger als 3907 Milliarden Francs!

|Milliardäre|

Sofort erklären sich Forsythe und Huddleson zum Besitzer des Meteors und zu Multimilliardären. Wäre die Bevölkerung von Whaston nicht schon längst in zwei Parteien zerfallen, spätestens jetzt gingen der Streit und die Schlägereien los. Wenigstens kommt keiner der beiden an das Gold heran, sonst wäre alles noch viel schlimmer. Aber jeder fragt sich jetzt: Wo wird der Meteor abstürzen? Der eine sagt: Japan, der andere sagt: Patagonien. Die Sternwarte Boston mischt sich ein und sagt: Alles Blödsinn!

Für die Besitzansprüche der Astronomen auf noch nicht abgestürzte Flugkörper erklärt sich das Whastoner Gericht unter dem wackeren Richter John Proth nicht zuständig, ganz einfach deswegen, weil es sich um einen Himmels- und nicht um einen Erdkörper handle. Und wer wisse zu sagen, wem der Grund und Boden der Absturzstelle gehöre? Dessen Nation werde wohl auch Besitzansprüche erheben.

Huddleson und Forsyte sehen sich veranlasst, alle Beziehungen ihrer Familien abzubrechen. An die Hochzeit von Francis und Jenny am 31. Mai ist somit – vorerst? – nicht mehr zu denken: König Chaos regiert. Aber noch lassen die Verlobten die Hoffnung nicht fahren, denn irgendwann MUSS der Meteor doch fallen, oder?

|Der Tag des Absturzes|

Unterdessen ist eine internationale Konferenz einberufen worden, die entscheiden soll, wie mit dem zu erwartenden Goldsegen zu verfahren sei. Da verkündet Boston, der Meteor werden etwa am 19. August bei Uppernarvik in Westgrönland niedergehen. Dänemark, die Kolonialmacht Grönlands, jubelt und entsendet als Bevollmächtigten Erich von Schnack ins Polargebiet.

Innerhalb weniger Wochen finden sich trotz schneidender Kälte rund 3000 Ausländer in dem kleinen Städtchen ein. In Boston steigt auch Seth Stanfort zu, um sich die Zeit zu vertreiben. Er freut sich, Miss Arcadia Walker wiederzutreffen. Alle erleben eine Überraschung: Uppernarvik liegt auf einer Insel und ist ringsum von Meer umgeben, das bis in eine Tiefe von über 1000 Metern reicht. Was, wenn der himmlische Goldklumpen von dieser winzigen Insel ins Wasser fiele? Huddleson, Forsyte und alle Abenteurer, die sich hier eingefunden haben, beginnen nervös und trotz der Kälte zu schwitzen.

Doch sie bleiben nicht lange allein. Nach dem Absturz des Meteors um exakt 6:57:35 Uhr am 4.8. finden sich unvermittelt mehrere Kriegsschiffe aller wichtigen Nationen des Erdballs ein. Da wird Herr von Schack viel protestieren müssen. Doch man stelle sich seine Überraschung vor, als er mit einer Horde von 3000 Neugierigen (darunter den Erstentdeckern) durch Eis, Wind und Schnee zur Absturzstelle eilt – und von einer Hitzewelle gestoppt wird, die die Annäherung an den glühenden Goldklumpen unmöglich macht …

_Mein Eindruck_

„Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles!“ Mit diesem Goethevers ließe sich die Handlung, die Verne in einem seiner letzten Romane ausgearbeitet hat, im Groben umschreiben. Es ist nicht nur eine Kritik an der verbreiteten Gier nach materialistischer Werten. Verne starb 1905, als sich die Nationalstaaten nicht nur Westeuropas so ziemlich den ganzen Rest der Welt angeeignet hatten. Nur noch neun Jahre bis zum großen Knall, dem Ersten Weltkrieg. Der Roman lässt sich als Warnung auffassen.

Was Verne voraussah, waren der Zank um den Besitz fremder Menschen, Völker oder Länder, der sich im Zuge des Kolonialismus über die ganze Welt ausgebreitet hatte. Überall sah er Zwist statt Einigkeit, sogar auf den internationalen Konferenzen, von denen er eine in seinem Roman stattfinden lässt und die ergebnislos im Sande verläuft, da die Teilnehmer hoffnungslos zerstritten sind.

|Die Parabel|

Er braucht für seine warnende Parabel nur noch zwei Faktoren: ein Ding von ungeheurem Wert und jemanden, der es sich zu beschaffen weiß. Schon geht das schönste Wettrennen los, wie es die Welt anlässlich des Goldrausches in Alaska anno 1890 erlebt hatte. Und was, wenn sich jemand diesen Reichtum mit Hilfe einer genialen Erfindung unter den Nagel reißen könnte? Würde er mit seinem Fang glücklich werden? Kaum ist der Goldmeteor abgestürzt, fällt nämlich der Goldpreis um drei Viertel!

Dies ist der Makrokosmos, doch der Mikrokosmos eines Gemeinwesens wie Whaston kann ebenso in Mitleidenschaft gezogen werden. Der Astronomenstreit spaltet die Stadt ebenso wie die Familien und lässt Francis‘ und Jennys Vermählung zunehmend unwahrscheinlich erscheinen. Auf einmal ist die private Zukunft unmittelbar gefährdet: Es ist eine andere Art von Krieg, die hier stattfindet, die aber dennoch eine klare Folge hat: Zwar nicht den Tod von Menschen (noch ist niemand bei den Schlägereien zu Tode gekommen), aber zumindest das Ausbleiben von Nachwuchs. Und was wird dann aus den Alten?

|Die Figuren|

Sprachlich ist der Text recht einfach gehalten, er weicht auch in Sachen Charakterisierung nicht von Vernes Methode ab, seine Figuren kurz und knapp zu definieren (es fehlen nur noch die Playmate-Maße von Jenny Huddleson und Arcadia Walker). Aber durchweg ist Vernes geradezu sarkastischer Humor zu spüren, wenn er die Figuren einem Wechselbad von Gefühlen aussetzt. Jenny und ihre Schwester weinen „Wasserfälle“, und selbstredend raufen sich die Entdecker die ergrauenden Haare. Es geht sehr emotional zu, besonders als sich die Entdecker dem Objekt ihrer Begierden und Träume selbst gegenübersehen und ob der glühenden Hitze des Meteoriten schier verzweifeln.

|Die Urfassung|

Doch in dieser echten, unbearbeiteten Fassung fehlt von dem dandyhaften Erfinder Zephyrin Xirdal jede Spur. Diese Figur hatte Vernes Sohn Michel auf Wunsch des Verlegers Hetzel hineinmontiert. Doch Xirdal ist kein Wissenschaftler, sondern ein Magier, allerdings ohne irgendwelche Legitimation oder Autorität – einfach lächerlich und ärgerlich. Bei der Gelegenheit des „Überarbeitens“ strich Michel Verne auch viele philosophische und charakterisierende Passagen, die das menschliche Drama zwischen den Familien Huddleson und Forsyth beleuchten. Dadurch verlagerte Verne junior das Schwergewicht von der menschlichen Komödie zu einer letztlich sinnlosen Actionjagd.

|Das Vorwort|

Andreas Eschbach beleuchtet diesen Krimi von Entstehung (1904), Verstümmelung (1908) und Wiederentdeckung (1978) bzw. Wiederveröffentlichung (1986) mit lebendigen Bildern und anschaulichen Sätzen, so dass wir beurteilen können, wie dieser Vorgang zu bewerten ist. Er erklärt auch, warum es für den |Piper|-Verlag nötig war, zwei Seiten mit Anmerkungen anzuhängen. Die Diskrepanzen, die im unfertigen Manuskript des Romans vorhanden waren, werden erst dadurch erklärlich. Damit muss der Leser der Originalfassung zurechtkommen, ob er nun will oder nicht.

Dass Eschbach ein paar sachliche Fehler in seinem Vorwort unterlaufen, verzeihe ich ihm gern, denn hier handelt es sich um Details, über die sich nur Experten streiten. Die drei Details finden sich allesamt auf Seite 7 des Buches.

Es ist richtig, dass Mary Shelley ihren Roman [„Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ 2960 bereits 1816 verfasste, aber veröffentlichen konnte sie ihn erst 1818. Es ist aber unzutreffend, dass „sie es bei diesem Ausflug dahin [in die SF] belassen“ habe. Die Dame veröffentlichte 1826 einen klassischen Post-Holocaust-Roman mit dem Titel „The last man“, der auch ins Deutsche übersetzt wurde (als Taschenbuch bei |Bastei Lübbe|).

Dass der Begriff der Science-Fiction erst „über drei Jahrzehnte“ nach Vernes Tod anno 1905 erfunden worden sein soll, nehme ich Eschbach nicht ab. Standardwerke wie die „Encyclopedia of Science Fiction“ und John Clutes „Science Fiction – Die illustrierte Enzyklopädie” (Heyne) sind sich einig, dass 1926 mit „Amazing Stories” das erste SF-Magazin erschien, und schon 1925 gab es den Begriff „Scientifiction”, ebenfalls erfunden vom Verleger Hugo Gernsbach bzw. Gernsback, einem Luxemburger Einwanderer, der schon 1911 einen ersten SF-Roman veröffentlicht hatte. Ich empfehle Andreas Eschbach wärmstens die Lektüre dieser Standardwerke, zusätzlich auch die von Brian W. Aldiss‘ SF-Historie „The Trillion Year Spree“ (deutsch bei |Bastei Lübbe|).

_Unterm Strich_

Verne fragt ganz einfach: „Was würde die Menschheit tun, wenn sie wie Sterntaler einen Goldsegen empfinge und könnte alle Armut und Elend verbannen?“ Die Antwort fällt pessimistisch aus: Die Gier wird immer siegen und dieses Utopia verhindern, denn die Besitzgier ist stärker als der schönste Altruismus. Die Dänen möchten lieber ihre 1866 an Deutschland verlorene Provinz Schleswig-Holstein zurückkaufen, als ihren Reichtum verschenken – so ihr Plan. Er geht natürlich nicht auf, wie auch kein anderer.

Auch eine warnende Satire wie „Die Jagd nach dem Meteor“ kann Spaß machen, wenn sie richtig erzählt und dargeboten wird. Ob dies nun auch wirklich der Fall ist, wie uns Andreas Eschbach versichert, wage ich zu bezweifeln. Denn die zu erwartende Freude darüber, den Roman vollständig und restauriert vorliegen zu haben, hielt sich mit meiner von Ärgernissen getrübten Leseerfahrung die Waage.

Nicht einmal die vielen, bereits erwähnten Abweichungen in Namensgebung, Daten, Entfernungsabgaben usw. fallen so sehr ins Gewicht – sie werden alle durch die Anmerkungen erklärlich. Es sind vielmehr die behäbig erzählten häuslichen und zwischenmenschlichen Szenen, die engstirnigen Auseinandersetzungen zwischen den grob gezeichneten Astronomen und ihren Familien, die mich zunehmend gelangweilt und genervt haben.

Der Humor in ihnen ist sehr zeitspezifisch (oho, die Bediensteten begehren gegen den allmächtigen Hausherrn auf!), und wenn der Leser kein Gespür für jene versunkene Epoche mitbringt, so bedeuten sie ihm rein gar nichts, vielmehr scheinen sie ihnen nur davon abzuhalten, zu erfahren, was denn als nächstes geschieht. Das halbe Buch ist schon vorbei, als wir erfahren, der Meteor sei aus Gold und Unsummen wert.

Auch an der Absturzstelle droht keineswegs der Weltkrieg auszubrechen, sondern alles geht sehr friedlich und gesittet zu. Ja, sogar die beiden frisch Geschiedenen Miss Walker und Mr. Stanfort finden wieder zueinander. So endet das Buch zwar mit einer Antiklimax auf der Actionseite, aber mit einem dicken Plus auf der Seite menschlichen Miteinanders: Es gibt nicht nur eine, lange geplante Hochzeit, sondern gleich zwei.

Ich habe immer wieder Seiten überschlagen, so etwa die Beschreibungen der Eskimos oder die Kalkulationen über das Gewicht des Himmelskörpers. Ich kann durchaus nachvollziehen, welche Gründe den Verleger bewogen, die Handlung zu entschlacken und zu beschleunigen. Doch die Mittel dafür lagen in den falschen Händen, denn Michel Verne war ein literarischer Stümper. In dieser Einschätzung hat Andreas Eschbach völlig Recht. Aber auch die Originalfassung konnte mich nicht begeistern. Wollte ich wirklich wissen, dass ein literarischer Pionier wie Jules Verne auch nur mit Wasser kochte und etliche Fehler beging, wie die Endnoten belegen? Eigentlich nicht. Beide Fassungen lassen mich unzufrieden zurück.

Dennoch hat das Buch als erste deutsche Veröffentlichung der Originalfassung seine Berechtigung. Aber es scheint mir eher ein Kandidat für Universitätsbibliotheken und Literaturseminare zu sein als für die Unterhaltung von Durchschnittslesern. Die fühlen sich bei Eschbach und Crichton sicher besser aufgehoben.

|Originaltitel: La chasse au météore, 1908 u. 1986
280 Seiten
Aus dem Französischen von Gaby Wurster|
http://www.piper.de