Daniela Wakonigg – Mythos & Wahrheit: König Artus. Eine Spurensuche mit Musik und Geräuschen

Artuslegenden mit hohlem Pathos

Der große König Artus von England gilt in der gesamten abendländischen Welt als Inbegriff eines ebenso starken und siegreichen wie gerechten Königs. Seine Geschichte und die der Ritter seiner Tafelrunde – eine Geschichte voll Heldenmut, Liebe und Verrat, voll mystischer Abenteuer um den heiligen Gral, geheimnisvolle Feen und Zauberer – fesselt die Menschen seit Jahrhunderten.

Wer war dieser außergewöhnliche Mann? Hat es ihn je gegeben? Warum erzählt man sich seine Geschichte noch heute? Und was genau ist eigentlich seine Geschichte? (abgewandelte Verlagsinfo)

„Eine Spurensuche mit Musik und Geräuschen“ nennt der Verlag seine Produktion. Es handelt sich also um ein Sach-Hörbuch.

_Die Inszenierung_

Die Sprecher und ihre Rollen
Bodo Primus: Erzähler
Josef Tratnik: König Artus
Hans-Gerd Kilbinger: Merlin
Hans Holzbecher: Sir Geoffrey of Monmouth/Wace/Lord Alfred Tennyson

Regie führte die Übersetzerin und Redakteurin Daniela Wakonigg. Die Musik trug Peter Harrsch bei, der auch die Tontechnik steuerte, und beide sorgten fürs Sounddesign.

_Inhalte_

Ein König hält eine anfeuernde Ansprache an seine Ritter: Sie sollen wider die Angeln und Sachsen ziehen, die die Ostküste erobern wollen. Diesen Verteidigungskampf sollen die Ritter nicht etwa für Ruhm und Ehre führen, sondern für das Land und für Gott. Und sollten sie dabei ihr Leben verlieren, so sei dies ein Opfertod in der Nachfolge Christi. Man sieht also, dass dieser König ein Christ war. Angeblich war sein Name Artus. Wirklich? Die Ritter jedenfalls jubeln ob dieser glorreichen Aussichten auf einen frühen Tod.

Aber wer war dieser König Artus überhaupt? Hat es ihn je gegeben? Warum erzählt man sich seine Geschichte noch heute? Und was genau ist eigentlich seine Geschichte? Tja, und hier fangen die Schwierigkeiten an. Es gibt DIE Historie, und es gibt die vielen, vielen GESCHICHTEN.

Der Name „Artus“ für einen heldenhaften Feldherrn (keinen König!) aus dem 6. Jahrhundert taucht erstmals bei Nennius und die Schlachten in den „Annales Cambriae“ auf. Im 9. und 10. Jahrhundert taucht der Name zudem in walisischen Legenden und pseudohistorischen Schriften auf. Die Schriften verraten wenig über ihn und es ist äußerst fragwürdig, ob sie eine historische Figur beschreiben.

Das ändert sich im Jahr 1136. Mit seiner „Historia Regum Britanniae“, der „Geschichte der Könige von Britannien“ liefert der walisische Geistliche Geoffrey von Monmouth die erste richtige Artusgeschichte ab. Er formte in seiner Fiktion die Artusfigur und -legende in ihren Grundzügen, so wie sie auch heute noch bekannt ist. Auch die Figur des Merlin führt er ein und benennt sie nach einem Barden als Myrddin (ein Titel, kein Name) aus dem 6. Jahrhundert.

Merlin tritt in einer Spielszene als Seher auf und fordert König Uther und seine Ritter zum Kampf gegen die Sachsen auf. Nach dem Sieg begehrt Uther jedoch Aegerne, die Frau seines Kollegen Gorlois, des Herzogs von Cornwall. Mit Hilfe eines Gestaltwandels, den Merlin bewerkstelligt, kann er Aegerne verführen und schwängern. Das gibt natürlich mordsmäßig Ärger, und nach Gorlois‘ Tod heiratet Uther die Witwe, die ihm die Geschwister Artus und Anna schenkt.

Artus wird hier noch ziemlich blutrünstig dargestellt, nämlich als Killer von nicht weniger als 470 Sachsen. Er heiratet Guinevey, eine edle römische Frau (die Römer waren ja im 5. Jahrhundert abgezogen), erobert Irland und sogar Island, die Orkneys und „Gotland“. Nach zwölf Jahren des Friedens erobert er halb Europa und bedroht so Ostrom (denn Westrom hörte 476 auf zu existieren). Während daheim seine Königin und ihr Neffe Mordred/Medraut regieren, machen sich Artus und seine Krieger auf die Socken, um auch Rom zu erobern. Doch Mordred fällt ihm in den Rücken, indem er die Königsherrschaft an sich reißt und die Königin schändet. Es muss zu einer Entscheidungsschlacht kommen. Am Bach Camlann tötet Artus seinen Neffen, doch er ist selbst tödlich verwundet. Er wird auf die Insel Avalon gebracht.

Was ist denn Avalon nun wieder? Merlin erklärt es uns: Es handle sich um die Insel der Äpfel, auf der sich eine Schwesternschaft selbst versorge. Diese werden von einer Frau namens Morgan (= Morgaine, Morgause etc.) angeführt, einer mächtigen Heilerin und Gestaltwandlerin, die sogar fliegen könne. Sie wollte den sterbenden Artus heilen. Leider ist das Ende dieser Geschichte offen, und so erwartet man die Rückkehr des Königs bis zum heutigen Tage. Die geschäftstüchtigen Mönche der Abtei Glastonbury reklamierten für sich, das Grab Artus‘ in ihren Mauern zu bergen. Aber das taten sie auch mit den Splittern vom Kreuz Jesu, die ihnen Joseph von Arimathia gebracht haben soll.

Geoffreys Absicht war es offenbar, den von den französelnden Normannen eroberten keltischen Briten eine Vergangenheit zu geben, die möglichst glorreich war. Er stellte die Ureinwohner quasi gegen die anderen vier Völker auf der Insel, nämlich Normannen, Angeln, Sachsen und Pikten. Es ging ihm also um ein keltisches, nicht nationales Kulturerbe. Und da er in seiner Heimat Wales nur Spuren davon fand, schuf er den Rest selbst. Dass ein Autor auch gesellschaftlichen Erfolg haben kann, zeigt seine Erhebung zum Bischof von Winchester. Geoffrey starb 1155, aber sein Werk erlebte einen ungeahnten Aufschwung.

|Bestseller und Ritter|

Die Literatur schlägt Kapriolen: Ein Autor namens Wace übersetzte die heiße Story von Artus ins Normannisch-Französische, und zwar in Versform. Nicht nur entschärfte er die blutigen Details, sondern erfand zugleich die Tafelrunde der Ritter! Daraufhin erfolgte die Rückübertragung ins Angelsächsische der Briten. Die Ritter, die nun an einer Tafelrunde sitzen müssen, werden im 12. Jahrhundert auf Abenteuer ausgeschickt.

Durch Chrétien de Troyes entstanden 1170-90 etliche Rittergestalten, darunter auch Sir Percival  (= der keltische Peredur) und Sir Lancelot du Lac. Schon wieder gibt es etwas Neues: den heiligen Gral! Die Gralssuche um 1200 entspricht den damaligen Kreuzzügen.

Der erste Lanzelot erschien noch in Prosa und zwar von Ulrich von Zazighofen um 1200. Sehr interessant ist neben der bekannten Dreiecksgeschichte mit Guinevey, Artus‘ Gemahlin, auch das Auftreten von Mordred und Sir Galahad, Lanzelots Sohn mit Lady Elaine. In dieser Version wird Lanzelot wahnsinnig und endet als Einsiedler, der als heiliger Mann angesehen wird.

In der Zeit vom 13. bis 15. Jahrhundert wurde das Schwert Excalibur alias Caliburnus erfunden. Artus hat es von einer Wasserfee, der „Herrin vom See“. Diese wird mal positiv, mal negativ geschildert, etwa dann, als Viviane bzw. Nimue ihren Geliebten Merlin verführt und in einen Baum verwandelt. Wie auch immer: Excalibur ist nur ein geliehenes Werkzeug, und Sir Bedivere/Bedwyr muss es der Herrin im See zurückbringen.

Mit zunehmender Verfeinerung der Legende und Geschichten werden die Familienverhältnisse konfuser und immer wieder über den Haufen geworfen. Erst später wird Mordred zu Artus‘ Sohn, den er mit seiner Halbschwester Morgan hat. Darin liegt eine moralische Botschaft über die Reinheit des Herrschers. Sir Thomas Malory wählt im Jahr 1470 die Best-of-Anthologie aus allen Storys aus und macht daraus einen weiteren Bestseller: „La morte d’Arthur“. Die Erfindung des Buchdrucks fördert die Verbreitung dieses Buches in Europa enorm. Überall boomt der Markt für Ritterromane, und so ist es unausweichlich, dass sich ein Schlaukopf eine Parodie einfallen ließ. Sie ist als „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha“ (1605) bekannt.

Die Europäer wurden so gründlich von der Ritterroman-Manie kuriert, dass erst Ende des 19. Jahrhundert Artus wieder gefragt war. Viktorianische Romantiker wie Lord Alfred Tennyson und der Deutsche Richard Wagner verwursteten die Artuslegende, bis wieder einmal eine Satire nötig war, um dem Abhilfe zu schaffen: Mark Twain schrieb 1889 „Ein Yankee aus Connecticut an König Artus‘ Hof“. So dauerte es wieder 60 Jahre, bis sich König Artus aus der Versenkung erhob und Ritterfilme gedreht und -romane geschrieben wurden. |Monty Python| lieferte auch hierzu 1974 die ultimative Parodie „Ritter der Kokosnuss“ (die seit 2005 auch als |Broadway|-Musical und seit Januar 2009 in Köln als deutsche Version läuft), allerdings ohne die Sehnsucht der Europäer und Amis nach Ritterlegenden ersticken zu können. Legenden um Helden sind weiterhin gefragt wie anno 1136.

_Mein Eindruck_

Die Szenen bemühen sich, die legendenhaften Figuren wie Artus, Merlin und Co. zum Leben zu erwecken, doch ich hatte damit meine Probleme. Der Funke wollte einfach nicht überspringen. Ich dachte, das liege wahrscheinlich an meiner Resistenz gegen Pathos und Heldengeschichten. Aber es gibt noch einen weiteren Grund. Es gibt einen Widerspruch in der Darstellung.

Einerseits bemühen sich die Spielszenen, die Faszination der Geschichten herüberzubringen, um die IDEE eines Königs Artus verständlich zu machen. Auf der anderen Seite führt aber die Darstellung der Historie zum gegenteiligen Effekt: zu Ernüchterung, Desillusionierung, sogar Erheiterung ob der frechen Fiktionen, die sich die Herrschaften über eine legendären König einfallen ließen.

|Die Brücke|

Die Redaktion hätte eine Brücke zwischen Historie und Legenden schlagen müssen, um die Darstellung zu retten, doch dies gelingt ihr nur ein einziges Mal: Geoffrey von Monmouth hatte ein klares Anliegen dafür, was er mit seiner Fiktion in seiner realen Zeit bewirken wollte. Er wollte das angeknackste Selbstbewusstsein seiner keltischen, Angelsächsisch sprechenden Nachbarn stärken, die nun nach dem Willen der Normannen Französisch lernen sollten. (Mit Gabeln essen? Pfui Deibel!)

|Legenden|

Aber wozu dienten die Geschichten um Lanzelot, Parzival und Sir Galahad, wozu Geschichten über Zauberinnen und Seher? Dass mit der Gralssuche ein Kreuzzug gemeint war, leuchtet ein, doch das setzt voraus, dass der Hörer das Nötigste über die Kreuzzug-Propaganda weiß. Und warum ist Sir Lanzelots Liebe zur Königin verboten? Natürlich wegen des Ehebruchs. Das juckt zwar heute keinen mehr, aber damals, um 1200, stand wohl die Todesstrafe drauf – für die Frau! Und Männer wurden Einsiedler, was sie wenigstens zu heiligmäßigen Anachoreten machte. In diesen Handlungsverläufen spiegeln sich direkt die Gebote der Moral ihrer Zeit wider.

|Dämonische Frauen|

Interessant ist auch das sich wandelnde Bild der weisen Frauen in der Legende. Aus der kräuterkundigen Heilerin Morgan wird eine männerhassende Zauberin, die mit ihrem Sohn Mordred Rache an ihrem Halbbruder Artus übt. Und Viviane/Nimue verzaubert den weisen Seher Merlin – wie konnte es nur dazu kommen? Aus positiv besetzten Frauen und Feen werden nur Dämoninnen.

Wichtig wäre es gewesen, die Verteufelung der Sinnlichkeit bzw. der unkontrollierten Weiblichkeit durch die christliche Kirche herauszuarbeiten. Aber das wäre den Redakteuren wohl zu religionskritisch vorgekommen. Schade, denn so bleibt der Widerspruch unversöhnt und unverständlich stehen, was Hörer wie mich frustriert hat. Das Pathos klingt hohl, und ich wünschte mir den Auftritt eines „Ritters von der Kokosnuss“ herbei.

Die erwähnte Brücke zwischen Realität und Fiktion wird in [„Mythos & Wahrheit: Frankenstein“ 5579 wesentlich überzeugender geschlagen, so dass der Hörer betroffen zurückbleibt.

|Musik|

In den bisherigen Sach-Hörbüchern von |Stimmbuch| hatte die Musik immer eine illustrierende Funktion: Für die jeweilige Szene lieferte sie quasi das Zeit- und Lokalkolorit mit. Das ist hier auch nicht anders. Jede Szene wird durch die Musikbegleitung in ihrer Zeit verankert. Im Wales Geoffreys erklingen Flöte und Bass, in der späteren, höfischen Kultur jedoch Harfe und Laute.

Selten erklingt mal ein mittelalterlicher Bauerntanz. Auf diese Weise sind die zwei Wurzeln der Artuslegende auch lokal verortet: einerseits die bäuerlichen Kelten, auf der anderen die höfischen Normannen. Es ist eine Legende, die bemerkenswerterweise von einer niederen und einer oberen Klasse benutzt wurde.

|Geräusche|

Geräusche sind die natürlichen Begleiter einer Spielszene. Da klingen die Gläser und knistert das Feuer, schuhut die Eule. Aber was hätte man noch alles aus der Musik- und Geräuschkulisse machen können! Man bedenke nur all die wunderbaren Parodien und Satiren auf Ritterlegenden.

_Unterm Strich_

Wer ein Freund von Fantasy ist, kommt um König Artus und den enormen Legendenkomplex um ihn nicht herum, so sehr man es auch versucht. Inzwischen habe ich die Versionen von Marion Zimmer Bradley, ihrer Kollegin Diana L. Paxson, von T. H. White und Philip Reese [(„Gwyna“) 5521 kennengelernt. Die einen betonen die Legende zu Unterhaltungszwecken, die anderen die Historie die Erbauungszwecken. Reese verleiht der Legende vor dem Hintergrund der Historie einen einleuchtenden Sinn. Sie alle haben ihre Berechtigung, denn verschiedene Generationen wollen unterschiedliche Werte von Artus-Legenden erhalten.

Das Hörbuch versucht eine Gratwanderung zwischen Legende / Fiktion und Historie / Rezeption, scheitert aber meist in dem Bemühen, zwischen beiden eine plausible Brücke zu bauen. Statt langer literaturhistorischer Entwicklungslinien hätte ich mir mehr Erklärungen wie die zu Geoffrey von Monmouth gewünscht. Und dann hätte das Pathos, das mit der Legende unweigerlich einhergeht, einen Sinn erlangt. Doch so klingt es mitunter hohl und wie ein Selbstzweck.

68 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-939932-05-5
www.stimmbuch.de