Wallner, Michael – Blutherz

_Mit Turboschwangerschaft zur Göttin der Vampire_

Die 17-jährige Beinahe-Schottin Samantha verliebt sich in Taddeusz, den ältesten Sohn einer steinreichen Londoner Ärztefamilie. Doch Taddeusz hat ein düsteres Geheimnis: Er entstammt einem Jahrhunderte alten Vampirgeschlecht. Sein jüngerer Bruder Richard versucht, Samantha vor dem gefährlichen Einfluss und der Macht des Clans zu schützen – doch das Mädchen steckt schon mittendrin.

_Der Autor_

Michael Wallner wurde 1958 in Graz geboren und hat als Schauspieler und Regisseur gearbeitet. Er lebt seit 1997 als Roman- und Drehbuchautor in Berlin. Von ihm sind u. a. die Romane „Manhattan fliegt“ (2000), „Cliehms Begabung“ (2000) und „Finale“ (2003) erschienen. International bekannt wurde er durch den bis heute in 24 Länder verkauften |Luchterhand|-Bestseller „April in Paris“ (2006); eine Verfilmung dieses Buches ist in Vorbereitung. Zuletzt erschien von Michael Wallner bei |Luchterhand| der Roman „Zwischen den Gezeiten“ (2007). Sein erster Roman bei |cbj| war [„Zeit des Skorpions“ 5174 (2008).

_Handlung_

Die 17-jährige Samantha Halbrook arbeitet als Lernschwester am Chelsea and Westminster Hospital, einem riesigen Komplex in West-London. Nur der Schwester ihrer Mutter hat sie es zu verdanken, dass die Schülerin aus dem nordenglischen Kaff Lower Liargo überhaupt im mondänen London einen Unterschlupf gefunden hat. Deshalb ist Sam auch bereit, sich im Untergeschoss mit einem besseren Lagerraum als Wohnungsersatz zufriedenzugeben.

Täglich beobachtet sie, wie der Chefarzt Sir Kennock Transplantationen vornimmt oder plant. So etwa beim elfjährigen Andrew, dessen einzige Niere den Dienst quittieren will. Doch Andrew hat eine seltene Blutgruppe und wird so bald keine neue Niere bekommen. Täglich wird sein Blut gewaschen. Hier lernt Sam, dass Blut ein ganz besonderer Stoff ist. Und bei wem es versagt, den fährt man schon bald mit den Füßen voraus in die Leichenlagerhalle …

Um aus ihrem Alltagstrott herauszukommen, besucht der aufgeweckte Rotschopf eine Disco im Stadtzentrum. Sie hat natürlich keine Chance, am Türsteher vorbeizukommen, denn schicke Klamotten kann sich die Lernschwester nicht leisten. Aber ein hochgewachsener Mann, der aus einem Luxusschlitten steigt, nimmt sie einfach höflich am Arm und bittet um ihre Gesellschaft. Er nennt sich Teddy und hat einen gewissen Charme, dem sie nicht widerstehen kann. Schwupps, ist sie drin im Tanzschuppen. Natürlich gehen die Drinks auf ihn. Als ein muskelbepackter Typ Samantha schräg anmacht, wirft ihn Teddy quer durch den Raum. Wow, solche Kraft hätte Sam ihrem Galan gar nicht zugetraut.

Doch leider meldet er sich erst vier Tage später, als sie sich schon ganz in ihn verliebt hat, wieder, um sie zu einem privaten Abendessen einzuladen. In dem schlossartigen Bau am vornehmen Belgrave Square lernt sie Teddys Vater Valerian Koranyi kennen, den sie sehr freundlich findet und der sie den anderen Gästen vorstellt. Sie soll zu Valerians Rechten sitzen, als wäre sie ein Promi. Sam wird ganz nervös. Erst recht, als ein magerer Kerl auftritt, der wie betrunken an die Tafel torkelt und unverständliches Zeug brabbelt. Es ist Richard, Teddys Bruder. Diener bringen ihn weg.

Und hinterher zeigt ihr Teddy, pardon: Taddeusz Koranyi seine Gemächer. Dabei ergibt sich die Gelegenheit, die Standfestigkeit des Himmelsbetts zu testen: Sam schläft mit ihm. Seltsam findet sie allerdings, dass er sie nicht küssen will. Wenige Tage später stellt sie fest, dass ihre Periode überfällig ist. Keiner von ihnen beiden hat daran gedacht, an Verhüterli zu denken. Und da am nächsten Morgen niemand im „Palast“ anzutreffen ist, kann sie Teddy auch nicht darauf ansprechen. Nur Richard liegt in seinem Bett: Er erhält eine Bluttransfusion – in den Hals …

Teddy besucht sie im Hospital. Er bringt ihr ein kleines Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit, hergestellt aus der „Bariactar-Kirsche“, sagt er. Das Zeug riecht zwar wie Ziegenpisse, stärkt sie aber im Nu, als wäre es flüssiges Feuer. Sie solle sparsam damit umgehen. Sie fragt ihren Wohltäter, ob er nicht auch etwas für den armen Andrew tun könne. Wie sich herausstellt, verdienen die Koranyis mit dem Transport von Transplantationsorganen sehr gut. Teddy sagt, er werde Andrew vielleicht eine neue Niere besorgen können. Sam ist froh.

Doch dieser gute Eindruck wird schwer gestört, als Richard in der Klinik auftaucht. Er kann sich kaum auf den Beinen halten, was nicht gerade zu seiner Glaubwürdigkeit beiträgt, aber er ist nicht betrunken, nur schwach. Der junge Mann mit dem blassen Teint und der Sonnenbrille behauptet, einer Familie von Vampiren anzugehören, die alle schon mehrere hundert Jahre alt seien. Wie absurd!, denkt Samantha. Allerdings: Sie hat weder Teddy noch Richard bei Tageslicht gesehen.

Im Internet über Vampire zu recherchieren, ist kinderleicht, findet sie, doch es stellt sich heraus, dass alles, was dort getextet wird, aus Legenden, Hörensagen und Geschwätz besteht. Die einzige Tatsache: Es gab einen angeblichen Urvater der Vampire namens Fürst Vlad III Tzepesz, genannt der Pfähler und Dracul, weil er dem Drachenorden angehörte. Seine Gebeine seien in einem Kloster bei Hermannstadt begraben, sein Kopf aber sei in Konstantinopel ausgestellt worden.

Ein Tag mit Teddy in den Gewächshäusern der Kew Gardens verläuft ohne Zwischenfall, doch Sam muss feststellen, dass sie nach seiner Liebe lechzt. Richard warnt sie eindringlich: Teddy habe sich mit einer speziellen Sonnenschutzcreme gegen die Folgen der Sonnenbestrahlung gewappnet, alles sei nur ein Trick. Inzwischen ist ihre Schwangerschaft sichtbar, was Sam wirklich verblüfft: Sie sieht nach fünf Wochen aus, als wäre sie im fünften Monat! Richard erkennt, dass die Koranyis, also Teddy und sein Vater Valerian, irgend etwas mit ihr und ihrem Kind vorhaben, sonst hätten sie Sam längst zu einer der Ihren gemacht: einer Blutsaugerin. Doch worin könnte dieser Plan bestehen?

Der junge Andrew bringt sie auf eine Idee: Wenn er Sorgen hat, will er zu seiner Mama. Und deshalb fährt Sam mit dem nächsten Zug nach Lower Liargo, nahe beim alten Hadrianswall. Ihr Vater ist hier Vikar, ein Seelsorger von sanftem Gemüt, aber entschlossenem Handeln. Von ihm hört sie zum ersten Mal von den Jüngern Fortrius, die in der Gegend die blutigen Bräuche der alten Pikten wiederaufleben lassen. Hier hat Sam einen schrecklichen Traum voller Omen, der sich auf prophetische Weise erfüllen könnte. Denn darin treten Valerian und der dunkle Gott Fortriu, dem er dient, selbst auf: mit Sam als Opfer …

Doch die Vampire haben nicht mit Sams Einfallsreichtum und Richards Verrat gerechnet. Ein Zeitenwechsel bahnt sich an …

_Mein Eindruck_

Zunächst lässt sich der Roman an wie jede Vampirgeschichte, die seit Bram Stokers Klassiker „Dracula“ geschrieben wurde. Und das ist auch der Teil, der mich am meisten enttäuscht hat. Samantha Halbrook hat zu wenig Individualität, als dass sie wie ein richtiger Mensch erscheint, aber auch nicht zu viel, so dass sich jugendliche Leser um 17 Jahre immer noch mit ihr identifizieren können. Ein erwachsener Leser dürfte sich deshalb wenig von ihrer Geschichte angesprochen fühlen (es sei denn, er sammelt sämtliche Vampirgeschichten, die je geschrieben wurden – das ergäbe eine voluminöse Bibliothek).

|Der hilfreiche Verräter|

Wirklich interessant ist vielmehr Richard, der junge Vampir, der gar keiner sein will. Wir erfahren zwar nicht seinen Grund dafür – was ich sehr bedauere -, aber die Folgen seiner Abstinenzlerhaltung sind für Sam ziemlich positiv: Er wird zu ihrem größten Helfer, und zwar nicht bloß wegen seiner goldenen Kreditkarte. Leider ist er wegen seiner Verweigerungshaltung etwas ungeübt in den Vampirkünsten, insbesondere Verwandlung in Fledermaus, Spinne und Wolf, vom Nebel ganz zu schweigen.

|Die Pikten und Fortriu|

Und Richard ist auch einer der drei Koranyis, der die Verbindung zu Fortriu herstellt. Fortriu, der dunkle Gott aus Transsylvanien, ist der Gott der Pikten, die angeblich aus dieser Gegend, der römischen Provinz Dacia, stammen. Als die Jünger Fortrius nun in Samanthas Heimat Lower Liargo aktiv werden, interessiert dies nicht bloß die drei Koranyis, sondern ganz dringend auch Sam selbst.

Die Pikten saugten offenbar Blut aus ihren Menschenopfern, was schon mal ziemlich vampirisch klingt. Und sie vermischten sich mit den Schotten am Hadrianswall, von denen Sam abstammt. Deshalb finden Teddy und Valerian den Rotschopf so außergewöhnlich attraktiv, um ihre Nachkommen hervorzubringen. (Es gibt noch einen weiteren Grund, aber der darf hier nicht verraten werden, weil er als große Überraschung im Finale präsentiert wird.)

Samantha erkennt ihre strategische wichtige Bedeutung in den Plänen der beiden Vampir-Koranyis, die sie als Mutter des nächsten Erben einnimmt, und nutzt diese Stellung aus. Zudem fällt ihr das leicht, weil sie sich immer mehr als Verbrecher herausstellen: Sie haben das Unfallopfer, dessen Niere der kleine Andrew bekommt, selbst umgebracht. Doch um sich selbst aus der gestellten Falle befreien zu können, muss sie, wie sich herausstellt, nicht nur den Jüngern Fortrius entgehen, sondern auch zurück zu den Ursprüngen des Fortriu-Kults gehen: nach Transsylvanien selbst.

Wie bei Bram Stoker findet hier ein fein eingefädelter Showdown mit Valerian statt, doch die besondere Rolle der „Bariactar-Kirsche“ für Sam erweist sich als segensreich. Erstaunlich, wie eine nach 13 Wochen hochschwangere junge Frau noch kämpfen kann. Ihr prophetischer Traum erfüllt sich auf eine ganz eigene, unvorhergesehene Weise. Und fortan wird für die europäischen Vampire nichts mehr so sein wie zuvor.

_Unterm Strich_

„Blutherz“ klingt zunächst nach einem der handelsüblichen Vampirromane von Wolfgang Hohlbein. Und die ersten zwei Drittel lassen auch keine Eigenständigkeit gegenüber diesem Vorbild erwarten. Das hat mich ziemlich enttäuscht. Doch dann entwickelt die Heldin noch erhebliche Initiative, bis sie im Finale die Oberhand behält. Das klingt schon weniger nach Hohlbein. Auch die Idee, Fortriu selbst, den Obergott der Vampire, auftreten zu lassen, fand ich originell.

Sicher ist es ein sexy Bild, sich eine Hochschwangere nackt auf einem Opferaltar vorzustellen, allerdings keines, das ich einem Minderjährigen zumuten würde. Solche Szenen finden sich gemeinhin eher in Horror-Fantasy-Erzählungen im Internet. Und auch das Inzest-Motiv ist wohl eher etwas für erwachsene Leser. Dagegen spricht aber die Jugend der Heldin und ihres Helfers Richard (der ja auch erst 114 Jahre alt ist, nicht gerade ein biblisches Vampiralter) und ihre beiderseitige, ziemlich sympathische Unerfahrenheit in Sachen Liebe, Schwangerschaft und Autofahren, von Begegnungen mit Göttern ganz zu schweigen. Samantha ist die erwachsen gewordene Version von Bella, Stephenie Meyers keuscher Vampirbraut.

Der Erzählstil Wallners ist anspruchslos, aber kompetent genug, um seine Story voranzubringen. Man merkt, dass er sich nicht für Landschaften und deren Stimmung interessiert, sondern vielmehr für ihre Geschichte. Der Stil ist straff, fast schon zu straff – Hohlbein hätte sicherlich fünfzig Prozent mehr Text produziert, wäre aber dadurch wesentlich langweiliger geworden. So aber konnte ich das Buch im letzten Drittel nicht mehr aus der Hand legen, sondern wollte unbedingt erfahren, wie die Geschichte ausgeht. Das ist eine Empfehlung für spannende Lektüre.

|Empfohlen ab 14 Jahren
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 320 Seiten
ISBN-13: 978-3-570-16046-6|
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