J. M. Walsh – Die Nebelbanditen

_Das geschieht:_

Inspektor Quaile von Scotland Yard ist gut beschäftigt: Im dichten Londoner Nebel treibt eine neue, gut organisierte Räuberbande ihr Unwesen. Die „Nebelbanditen“ schalten ihre Opfer mit Betäubungsgas aus und verschwinden spurlos mit fetter Beute. In der Unterwelt raunt man, dass eine junge Frau als Anführerin über die Halunken gebiete.

Frank Slade, der normalerweise für den Geheimdienst tätig ist und Quaile als Assistent zugeteilt wurde, wird durch private Gefühle von der Ermittlung abgelenkt. Er rettet die junge Lady Anne Sanford, als sie ihm auf der Flucht vor dem Erpresser Lanty vor den Wagen läuft, und verliebt sich in sie. Auch Lord Sanford, Annes Vater, steht unter Druck: Er hat sich an der Börse verspekuliert und wird von seinem Gläubiger, dem finsteren Mr. Ashlin, gedrängt, ihm die schöne Anne als Ehefrau auszuliefern; ein Kuhhandel, den diese energisch ablehnt. Die Situation eskaliert, als die Nebelbanditen Lord Sanford überfallen und ausrauben. Weder Ashlin noch Lanty lassen locker, und als Anne eine Verzweiflungstat unternimmt, treibt sie das noch tiefer in die Fangarme der Schurken.

Quaile und Slade nehmen inzwischen über den Hobby-Detektiv Joseph Mallah den Kontakt zur Londoner Gaunerwelt auf. Sie müssen wohl auf eine heiße Spur geraten sein, denn Slades Auto fliegt in die Luft. Der nur knapp entkommene Polizist und sein Vorgesetzter bringen den Grund für solche Nervosität in Erfahrung: Die Nebelbanditen planen einen grandiosen Coup, neben dem ihre bisherigen Raubzüge bedeutungslos wirken werden …

_London bei Nacht: ein Krimi-Klischee-Kaleidoskop_

Er ist dick und gelb und geradezu sprichwörtlich: der Londoner Nebel, der sich im Winter wie eine Glocke aus Dunst und Abgasen über die Stadt legt und eine Intensität erreicht, welche die Sichtweite auf Null reduzieren und die Lungen mit ätzenden Schwefeldünsten füllen kann. Zumindest für diejenigen Zeitgenossen, die das Tageslicht für ihre Geschäfte scheuen, ist der Nebel freilich hilfreich, wie Autor J. M. Walsh anschaulich darstellt: Räuber und Diebe treiben in seinem Schutz ihr Unwesen; sie schleichen sich unerkannt an ihre Opfer heran und flüchten anschließend erfolgreich, während die verfolgende Polizei blind durch die dichten Schwaden stolpert.

Schon 1932 war dieser Nebel freilich auch zum Klischee degeneriert, denn er wurde als Instrument und Stimmungsmittel in Literatur und Film ausgiebig strapaziert, wobei sich vor allem die Routiniers der Unterhaltungsliteratur allzu gern seiner bedienten.

_Schnell voran, damit niemand nachdenkt!_

Walsh muss zu ihnen gezählt werden: ein Vielschreiber, der nicht nur den Krimi-Markt bediente, sondern auch Abenteuer- und Science-Fiction-Storys verfasste. „Die Nebelbanditen“ ist ein typisches Produkt zeitgenössischer ‚Gebrauchs-Literatur‘. Unterhaltsam sollte die Geschichte sein, während das vernunftgemäße Fundament wacklig sein durfte. Walsh packt in die Handlung, was diese vorantreiben kann, während er sich um das Schürzen des Logik-Knotens offensichtlich erst nachträglich Gedanken macht. Nur so lässt sich das Durcheinander erklären, das zeitweilig die Handlung eher verwirrt als bewegt. Es wird verfolgt, erpresst und gedroht auf Teufel-komm-heraus, was der Übersicht gar nicht zuträglich ist, zumal der Leser sich fragt, was dies denn alles mit den Nebelbanditen zu tun hat.

Grundsätzlich wenig, muss das Urteil lauten. Die angeblich so gefährlichen Verbrecher verschwinden immer wieder für viele Seiten aus dem Geschehen. Machen sie sich bemerkbar, dann künden ihre Untaten eher vom Drang aufzufallen als Beute zu machen.

Das Spektakel ist überhaupt Walshes bevorzugtes Stil- und Stimmungselement. Wie sein Zeitgenosse Edgar Wallace geht er lieber sensationell als schlüssig zur Sache: Gangster im Nebel schleudern Gasbomben oder blenden mit flüssigem Ammoniak; eine Autobombe wird platziert, wo eine Revolverkugel wesentlich effektiver wäre; in geheimen Gängen und unterirdischen Gewölben hausen hoch im 20. Jahrhundert unerkannt Banditen. Man tarnt und täuscht mit einer Vehemenz, die man nur als reinen Spieltrieb werten kann.

Gern verlässt Walsh im Sprung eine allzu rätselhafte Szene und beginnt eine neue Verwicklung. Kehrt er später zur offenen Frage zurück, ist gewöhnlich so viel Zeit verstrichen, dass sich das Problem selbst erledigt hat oder mit einigen Sätzen nebenbei abgehandelt werden kann; die Musik spielt ohnehin wieder an anderer Stelle. Nach bewährtem Prinzip werden die losen Fäden im Finale zusammengefasst, was umständliche Erklärungen über viele Seiten erforderlich macht.

_Feine Leute sind anders_

Dass ein Kriminalroman in die Jahre gekommen ist, muss ihm bekanntlich nicht schaden, sondern kann seinen Unterhaltungswert noch steigern. Der einst normale Lebensalltag ist selbst interessant geworden und bildet eine reizvoll altmodische Kulisse, in die sich auch der viel später geborene Leser gut und gern hineindenken kann. Natürlich ist ein Roman kein dokumentarisches Abbild vergangener Wirklichkeit. Es ist nur erforderlich, dass die genannte Kulisse glaubhaft wirkt. In diesem Punkt fragt man sich, wie die zeitgenössischen Leser „Die Nebelbanditen“ beurteilt haben: Selbst mit dem Zugeständnis einer emotionalen Naivität, die viele Romane und auch Filme dieser Zeit prägt, übertreibt es Walsh maßlos. Das London von 1932 war realiter nicht mehr das London der Königin Victoria.

Lord Sanford spekuliert und gibt sich damit als moderner Zeitgenosse zu erkennen. Trotzdem setzt er seine Gesundheit und das Glück seiner Tochter bedenkenlos aufs Spiel, um den Ruf seiner Familie zu wahren. Die Hartnäckigkeit, mit der Vater und Tochter Sanford sich in diesem Punkt immer stärker in die Bredouille bringen, stört und langweilt heute, was durch Annes prompte Ohnmachtsanfälle in ‚heikler‘ Lage gefördert wird. Ein offenes Wort, und die diversen Erpressungsgespinste würden sich schneller auflösen als der Nebel, was allerdings die Handlung zu einem abrupten Ende brächte.

Sympathie vermag keine der zahlreichen Figuren zu wecken. Inspektor Quaile bleibt farblos, Assistent Slade gibt vor allem den verliebten Gutmenschen, der die Maid in Not nicht nur rettet, sondern letztlich heiratet. ‚Normale‘ Polizisten taugen nur zur Fußarbeit. Zu ihrem Glück ist das Gros der Gauner notorisch dumm und kann deshalb regelmäßig eingefangen werden. Die „Nebelbanditen“ verheddern sich in ihrer eigenen Überschläue, hinter der sich ebenfalls jener Hang zum Scheitern verbirgt, der – so macht Walsh deutlich – dem Bösewicht per se innewohnt: Verbrechen lohnt nicht, und zumindest der geistig schlicht gestrickte Leser durfte sich mit dieser Phrase trösten, wenn er das Buch zuklappte. Das präsentieren die Klassiker des Genres wesentlich raffinierter und eleganter, und deshalb werden ihre Werke noch heute aufgelegt, während J. M. Walsh in Vergessenheit geraten ist.

_Der Autor_

James Morgan Walsh wurde am 23. Februar 1897 in Geelong, einer Kleinstadt im australischen Bundesstaat Victoria, geboren. Schon 1913 erschien eine erste Kurzgeschichte, acht Jahre später der erste Roman. 1925 wanderte Walsh nach England aus, wo er sich als Produzent populärer Trivialliteratur etablierte, dessen Romane und Kurzgeschichten vor allem in den „Pulp“-Magazinen dieser Zeit erschienen. Walsh schrieb vor allem Krimis und Spionage-Thriller, verfasste aber auch Sciencefiction. Zumindest als Fußnote ging er mit seiner Space Opera „Vandals of the Void“ (1931) ein, die ein frühes Beispiel für SF aus Australien ist.

Seine Produktivität war so hoch, dass Walsh auch als H. Haverstock Hill, Stephen Maddock und George M. White veröffentlichte. Er blieb auch nach dem II. Weltkrieg bis zu seinem frühen Tod am 29. August 1952 als Autor ungemein aktiv.

_Impressum_

Originaltitel: Lady Incognito (London : Collins 1932)
Übersetzung: Hans Herdegen
Deutsche Erstausgabe: 1935 (Wilhelm Goldmann Verlag/Goldmann’s Detektiv-Romane)
217 Seiten
[keine ISBN]
Diese Ausgabe: 1953 (Wilhelm Goldmann Verlag/Goldmanns Taschen-Krimi Nr. 17)
219 Seiten
[keine ISBN]