_Ein Mord, doch viele Mörder_
Männer sind Schweine, Frauen auch! So lautet die Moral von der Geschicht, die uns die Krimimeisterin aus England diesmal auftischt – eine Mischung aus Doku-Fiction, Seifenoper und Jane-Austen-Komödie.
_Handlung_
Eines schönen Morgens im August finden zwei Jungen mit ihrem Feldstecher eine unbekleidete Leiche am Strand, irgendwo an der englischen Südküste nahe der Isle of Wight. Es ist die Leiche der jungen Kate Hill-Sumner, der Mutter eines dreijährigen Mädchens. Dieses Mädchen wird wenige Stunden später in der Kleinstadt Poole aufgegriffen, als es durch die Gegend irrt, und zur Polizeiwache gebracht.
Die Polizei ist auch schon bald am Strand, herbeigerufen mit dem Handy eines jungen Mannes namens Steven Harding. Und in Gestalt des sympathisch-energischen Constable Nick Ingram nimmt die Polizei die Ermittlungen auf, um sowohl Vergewaltigung als auch Mord an Kate Hill-Sumner aufzuklären.
Als Täter kommen zunächst zwei Männer in Frage. Der Schauspieler Steven Harding, der „aussieht wie Jean Claude van Damme“, macht sich selbst durch merkwürdige Äußerungen verdächtig. Er hat ständig Frauengeschichten, und zu diesen gehörte offenbar auch die Tote. Als er auch noch eine Einwohnerin, die ihr Pferd ausreitet, angreift und dabei von deren Hund verletzt wird, gerät er noch weiter ins Zwielicht.
Aber das ist noch gar nichts im Vergleich zu dem Verdacht, der auf den Gatten der Ermordeten fällt. William Sumner ist ein verwöhntes Muttersöhnchen, für den Kate eine Art Sexsklavin war, die ihn aber seinerseits nicht an seine Tochter Hannah heranließ, so dass Hannah eine Heidenangst vor ihrem Vater entwickelte. Das sieht natürlich auch sonderbar aus.
Wenn er also sexuell von Kate abhängig war und davon wusste, dass einerseits Hannah nicht von ihm war und Kate andererseits ein Verhältnis mit Steve Harding hatte, kann er eine ganze Latte von Motiven gehabt haben, seine Frau umzubringen – eines davon natürlich Eifersucht. Dummerweise scheint er aber ein wasserdichtes Alibi zu haben: Er war in Liverpool, als die Leiche auftauchte – rund fünf Stunden Autofahrt entfernt.
Die Ermittlungen, die Inspektor Galbraith anstellt und mit Nick Ingrams Hilfe voranbringt, führen in einen wahren Sündenpfuhl, der sich ‚moderne Gesellschaft‘ nennt. Kate war offenbar eine manipulative Lügnerin. Steve selbst ist ein amoralischer Sexprotz und (Menschen-)Schmuggler, doch sein Freund Tony Bridges ist der beste von allen: ein Cannabis kiffender Chemielehrer und gescheiterter Rebell, der leider die meiste Zeit impotent ist und nackt in der verwahrlosten Wohnung rumhängt. Na, die Bullen werden ihn schon aufwecken …
_Mein Eindruck_
Rund 250 Seiten lang bin ich bei diesem Roman nicht warm geworden – eine ziemlich lange Strecke. Denn die gute alte Minette wirft hier mit Protokollen und Memos und Berichten um sich, dass es eine frustrierende Pracht ist. Wo sollen da Sympathien oder Antipathien entstehen, geschweige denn eine menschliche Komödie oder ein Drama? Aber nein, Minette hält eisern an sich und gibt keine Tipps, wem ihre Zuneigung gilt.
Erst anschließend gibt sie uns eine schöne Szene wie aus einem Jane-Austen-Roman (ich denke an das verfilmte „Sinn und Sinnlichkeit“, nicht an „Emma“), und dann entspinnt sich zwischen zwei weiblichen Angehörigen des – inzwischen offenbar völlig verarmten – Landadels (ja, die erwähnte Reiterin) und unserem braven Constable Nick Ingram eine nette, neckische Lovestory wie aus dem Bilderbuch der Antiklischees. Feine Sache! Natürlich verrate ich nicht, ob sie einander kriegen.
Schließlich treten noch Kommissar Zufall und Madame, pardon: Mademoiselle X auf – die Autorin spielt routiniert mit allen erprobten Mitteln des Genres. Die letzten 30 bis 40 Seiten ersetzen die klassischen Plädoyers der Anwälte vor Gericht, wie wir das aus amerikanischen Courtroom-Dramas kennen.
In einer meisterlichen Gegenüberstellung von Verhör- und Erinnerungsszenen stellt sich letztlich heraus, wer Kate Hill-Sumner wirklich umgebracht hat. In diesem Endstadium ist es natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, das Buch aus der Hand zu legen.
|Sex gibt’s auch|
Es mag in diesem Buch viel von Sex die Rede sein, denn das ist offenbar das, was heute die Gesellchaft zusammenhält – neben Geld, versteht sich (leider fehlt in diesem Buch die Besetzung für die illustre Rolle der Prostituierten, aber Kate ist nicht weit davon entfernt).
Doch weitaus mehr Probleme entstehen offenbar durch den Wandel der Werte über die Jahre hinweg. Sowohl Steve Harding als auch Kate kommen aus gestörten bzw. zerfallenen Verhältnissen zu ihren Eltern – und damit fangen die ganzen Probleme an, auch für Kates späteren Mann und ihre kleine Tochter. Die Autorin macht also deutlich, wessen Opfer Kate im Grunde geworden ist. (Steve war nur die ausführende Hand. Selbstverständlich macht ihn das vor dem Gesetz nicht weniger schuldig.)
|Übrigens|
Der Originaltitel „The Breaker“ ist recht vieldeutig. ‚Wellenbrecher‘ ist nur eine Deutung, doch auch „Fingerbrecher“ wäre angemessen: Der Toten wurden alle Finger gebrochen.