Donald E. Westlake – Mafiatod

Ein junger Ex-Soldat will den mysteriösen Mord an seinem Vater aufklären und gerät zwischen die Fronten eines Mafiakriegs, in dem er sich nur mit äußerster Brutalität behaupten kann und trotzdem hintergangen wird … – Früher Reißer des fleißigen Handwerkers Westlake, dessen zeitloser Schwung den unwahrscheinlichen Plot ausgleichen kann: kein Highlight des Genres aber nie langweilig.

Das geschieht:

Nach drei Jahren Militärdienst für die US-Luftwaffe kehrt Ray Kelly, 23 Jahre jung, ins Zivilleben zurück. Vater Willard, ein erfolgreicher Kleinstadt-Anwalt, holt ihn in New York ab. Auf dem Heimweg werden Vater und Sohn aus einem fahrenden Auto beschossen. Willard stirbt, Ray wird schwer verletzt und verliert ein Auge.

Die Polizei ist ratlos, der Fall bleibt ungelöst. Nach langem Krankenhausaufenthalt halbwegs genesen, macht sich Ray deshalb selbst auf die Suche nach den Tätern. Unterstützt wird er von seinem älteren Bruder Bill, der selbst Opfer einer Tragödie ist: Seine Ehefrau wurde von einem Auto überrollt, der Täter beging Fahrerflucht.

Gibt es zwischen den beiden Attacken eine Verbindung? Die Vermutung liegt nahe, als die Brüder recherchieren, dass der verehrte Vater in den 1930er Jahren für das organisierte Verbrechen arbeitete. Doch das liegt drei Jahrzehnte zurück; welches Geheimnis könnte die Mafia nach so viel Zeit noch in mörderische Panik versetzen?

In New York stoßen Ray und Bill auf die Spur des Gangsters Eddie Kapp. Sein Name war das letzte Wort, das dem sterbenden Willard über die Lippen kam. Seit 22 Jahren sitzt Kapp im Gefängnis, nun steht seine Entlassung bevor. Als die Brüder ihn vor dem Gefängnis abfangen wollen, kommen sie gerade rechtzeitig, um Kapp vor einem Mordanschlag zu bewahren. Offensichtlich steht auch er auf der Todesliste der Mafia.

Kapp weiß genau, wieso Willard und seine Schwiegertochter sterben mussten. Die Brüder sehen sich zu ihrem Entsetzen in einen modernen Mafiakrieg verwickelt. Sie werden bedroht, doch vor allem Ray zeigt sich aus hartem Holz geschnitzt. Er will Rache und ist bereit, den Preis dafür zu zahlen …

Rache ist nichts für nette Kerle

Westlake-Helden sind Macher. Sie mögen emotionale Tiefen besitzen, die sie jedoch verbergen, so lange der ‚Job‘ läuft. Der besteht in diesem Fall aus einer Spurensuche mit anschließender Rache. Als die gelungen ist, fühlt sich Ray Kelly keineswegs besser. Da hat er Recht, denn es schließt sich die Geschichte einer gewieften Täuschung an, die abermals Vergeltung erfordert.

Als Donald E. Westlake „Mafiatod“ veröffentlichte, stand er noch am Beginn seiner langen, unerhört produktiven Laufbahn. Der Roman ist schnell, hart und geizt nicht mit Überraschungen, leidet aber an seinem Plot, der daran erinnert, dass die „Hard Case Crime“-Reihe dem Krimi-Pulp gewidmet ist. Westlakes Sicht der Mafia ist reichlich realitätsfern. Das dürfte ihm bekannt gewesen sein. Im Grunde formt der Autor sich seine eigene Mafia. Er bedient sich bestimmter Versatzstücke, die man mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung bringt. In erster Linie ist es die ‚familiäre‘ Struktur der Mafia, die Westlake übernimmt und verfremdet.

Eine nette, schreckliche Familie

Die Familie ist Ray Kelly heilig. Er fühlt sich schon in jungen Jahren entwurzelt und heimatlos. Einzige Fixpunkte seines Lebens sind sein Vater und sein Bruder. Beide wird er binnen kurzer Zeit auf grausame Weise verlieren. Schlimmer noch: Die Erinnerungen, die er mit seiner Familie verbindet, sind falsch. Der eigene Vater, bisher Sinnbild integerer Gerechtigkeit, hat ihn getäuscht.

Kelly verliert seinen Halt. Er verändert sich so stark, dass es seinen älteren Bruder erschreckt: Der Jüngere prügelt Informationen aus Verdächtigen heraus, er bewaffnet sich und kündigt Selbstjustiz an. Bill begreift nicht, wie tief Ray getroffen wurde. Er ist ohnehin untauglich für die Welt, in die sich die Brüder begeben. Bis zuletzt bleibt Bill ahnungslos.

Ray ist härter und geht den gewählten Weg weiter. Das rächt sich, als er auf seine ‚zweite Familie‘ stößt. Die Lüge des Vaters ging sogar noch tiefer. Sie bringt das ohnehin durchlöcherte Fundament seines Selbstverständnisses endgültig zum Einsturz. Plötzlich entpuppt sich Ray als Kronprinz eines ehrgeizigen Mafiafürsten, der ihm harte Wahrheiten offenbart und ihn als wahren Sohn in die Arme schließt. Seinen Seelenfrieden bringt das Ray nicht zurück. Bei näherer Besichtigung bietet ihm die ’neue‘ Familie erst recht keine Heimat. Er zieht sich zurück – und muss feststellen, dass man nicht gedenkt, ihn gehen zu lassen. Schlimmer noch: Während ihn sein ‚erster‘ Vater aus Liebe belog, ist der ‚zweite‘ ein manipulativer Egoist.

Ein junger Mann wird erwachsen

Mit Ray Kelly hat sich die Mafia indes die falsche Person ausgesucht. Er wird körperlich und psychisch gleich mehrfach schwer getroffen, bleibt aber auf den Füßen, bis er abgerechnet hat. Erst dann bricht er zusammen. Das ist natürlich ein Klischee und wird von Westlake als solches ironisch verkauft: |“Für die Hauptpersonen in … Büchern war es leichter. Sie litten, sie ließen sich mit verängstigten und gehetzten Menschen ein, sie gingen mit dem plötzlichen Tod um wie mit einer Flohmarktware. Aber sie gingen unverändert aus allem hervor. Was sie durchgemacht hatten, hinterließ bei allen nicht die geringsten Spuren.“| (S. 163) Das empfindet Kelly anders, doch Westlake, der Sentimentalität gar nicht leiden kann, wringt daraus keine eigene Handlungsebene, wie es im geschwätzig-gefühlsduseligen Mainstream-Krimi der Gegenwart viel zu oft üblich ist, sondern integriert Rays rauen Weg zur Wahrheit ins Geschehen.

Seine Ausgangssituation ist nicht die schlechteste: Als Soldat bringt Kelly das Rüstzeug für seinen Rachefeldzug mit. Wie bei Westlake üblich, bleibt das Gesetz weitgehend außen vor; die Kellys und die Mafia machen es unter sich aus. Für Abschweifungen bleibt dabei keine Zeit. Nach 200 Seiten haben sich die Pulverdampfwolken verzogen. Die Schurken sind tot, der Rächer lebt. Von einem Happy End kann trotzdem keine Rede sein. Mit diesem realistischen Finale rundet Donald E. Westlake einen kleinen und feinen, weil unterhaltsamen und nie aufdringlich tiefsinnigen Roman ab. Solche Krimis möchte man öfter lesen!

Die Erklärung eines seltsamen Originaltitels

Donald E. Westlake gab seinem Roman einen Titel, der sich nicht ohne Erklärung deuten lässt. 1852 veröffentlichte Peter Mark Roget (1779-1869) nach fast fünfzig Jahren der Vorarbeit seinen „Thesaurus“. Roget verfolgte das ehrgeizige Ziel, den gesamten englischen Wortschatz zu erfassen, aufzunehmen und zu kommentieren. „Roget’s Thesaurus“ wurde nicht nur in Großbritannien, sondern auch in den USA zum Standardwerk. Auch nach dem Tod des Herausgebers erschienen immer neue und erweiterte Fassungen. So ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.

Schon der junge Westlake war ein Mann mit hintergründigem Humor. Ausgerechnet einen an Mord & Todschlag reichen Pulp-Thriller betitelte er nach dem ehrwürdigen „Thesaurus“. Unter der Nummer „361“ fand sich dort in der 1962 aktuellen Ausgabe der Eintrag „Killing: Destruction of life; violent death“.

Autor

Donald Edwin Westlake (geb. 1933 in Brooklyn, New York) begann sich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre als Verfasser von Kurzgeschichten einen Namen zu machen. So hoch war sein literarischer Ausstoß, dass er unter diversen Pseudonymen veröffentlichte. 1960 erschien sein erster Roman. „The Mercenaries“ (dt. „Das Gangstersyndikat“); er ließ Westlakes Talent für harte, schnelle Thriller deutlich erkennen.

1962 betrat Parker, ein eisenharter Berufskrimineller, die Bildfläche. „The Hunter“ (dt. „Jetzt sind wir quitt“/„Payback“) verfasste Westlake als Richard Stark. Bis in die 1970er Jahre veröffentlichte „Richard Stark“ neben vielen anderen Büchern neue Parker-Romane, um sie nach 22-jähriger Pause (!) 1997 wieder aufzunehmen. Wie der bärbeißige ‚Kollege‘ Parker schaffte auch Dortmunder den Sprung ins 21. Jahrhundert.

Neben dem Schriftsteller Westlake gibt es auch den Drehbuchautor Westlake. Nicht nur eine ganze Reihe seiner eigenen Werke wurden inzwischen verfilmt. So inszenierte 1967 Meisterregisseur John Boorman das Parker-Debüt „The Hunter“ als „Point Blank“. 1969 mimte ein noch sehr junger Robert Redford John Dortmunder in „The Hot Rock“ (dt. „Vier schräge Vögel“). 1974 inszenierte Gower Champion „Bank Shot“ (dt. „Klauen wir gleich die ganze Bank!“). Dortmunder spielte – seltsamerweise unter dem neuen Rollennamen „Walter Upjohn Ballentine“ – gewohnt fabelhaft George C. Scott. Paul Le Mat übernahm die Rolle 1982 in „Jimmy the Kid“.

Nach einer fünf Jahrzehnte währenden, höchst produktiven und erfolgreichen Schriftsteller-Karriere dachte Westlake keineswegs an den Ruhestand. Auf einer Ferienreise traf ihn am Silvestertag des Jahres 2008 ein tödlicher Herzschlag. Sein Leben und Werk sichert diese Website, die in Form und Inhalt an seine Romane erinnert: ohne Schnickschnack, lakonisch und witzig, dazu informativ und insgesamt unterhaltsam.

Taschenbuch: 206 Seiten
Originaltitel: 361 (New York : Random House 1962)
Übersetzung: Ursula von Wiese/Almuth Heuner
Cover: R. B. Farrell
http://www.rotbuch.de

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