Ein Blick in die Alltagsgeschichte der beiden kampanisch-antikrömischen Hafenstädte Pompeji und Herculaneum, ermöglicht nach deren Konservierung durch eine viele Meter dicke Schicht aus Lava, Geröll und Staub, ausgeschüttet vom Vulkan Vesuv. Die Zeit blieb buchstäblich stehen am 24. August des Jahres 79 n. Chr., Straßen, Gebäude, Inneneinrichtungen, sogar die Bewohner erstarrten im Augenblick des Endes: eine Momentaufnahme der Vergangenheit, eine archäologische Schatzkammer, die schier unergründlich ist.
„Einführung“ (S. 7-21): Pompeji und Herculaneum blickten vor der Katastrophe auf eine mehrhundertjährige Geschichte zurück. Gegründet schon lange vor Entstehung des Römischen Reiches, hatten sie sich – günstig am Golf von Neapel gelegen – zu Drehscheiben im Handel zwischen Italien, Griechenland und Ägypten entwickelt. Um 62 n. Chr. lebten in Pompeji etwa 10.000 bis 15.000 Menschen. In diesem Jahr wurde die Region von einem Erdbeben heimgesucht, das Herculaneum vollständig und Pompeji teilweise zerstörte: eine erste, freilich unverstandene Warnung der Natur, dass man hier auf schwankendem Grund gebaut hatte.
„Kapitel Eins: Das Leben vor dem Tode“ (S. 22-51): Der letzte Tag vom Pompeji – ein minuziöses Protokoll der letzten Stunden, zugleich eine Schilderung typischer Tagesabläufe in einer römischen Provinzstadt. Aufstehen nach der Nachtruhe, Toilette, Frühstück; Hausarbeit, Berufsalltag, Markthandel, Verwaltung, Justiz, Politik; emsiges Schuften der Sklaven, fleißiges Arbeiten der Handwerker, Händler und sonstigen Dienstleister, müßiges Repräsentieren der Oberschicht; in ihrer Kaserne trainieren die Gladiatoren für ihren Kampf in der Arena, Schauspieler proben für den abendlichen Theaterauftritt, in diversen Tempeln leisten Priester Gottesdienste: Der Verfasser schildert das Funktionieren einer alten, aber gar nicht so fremden, sichtlich in sich ruhenden, lebendigen und stabilen Welt.
„Kapitel Zwei: Göttergewalten“ ‚(S. 52-73): In den Mittagsstunden des 24. August 79 n. Chr. kommt es zur Apokalypse. Der Vulkan Vesuv liegt zehn Kilometer von Pompeji und sieben Kilometer von Herculaneum entfernt. So lange die Bewohner zurückdenken können, ist er ruhig geblieben; man hält ihn für erloschen. Doch nun bricht er urplötzlich und mit vernichtender Gewalt aus. Plinius der Ältere, Admiral der römischen Flotte im Hafen von Misenum und der berühmteste Naturwissenschaftler seiner Zeit, lässt sich bis ins Zentrum des Geschehens bringen. Er wird zum Opfer seiner Wissbegier, aber sein gleichnamiger Neffe, der ihn begleitet hat, kann entkommen und liefert einen eindrucksvollen und präzisen Augenzeugenbericht, der inzwischen durch Forschungen ergänzt wurde. Sechs vulkanische Feuer- und Schuttwalzen ebnen Herculaneum völlig ein und begraben Pompeji. Die Bürger haben keine Chance zu entkommen.
„Kapitel Drei: Die Freilegung der versunkenen Städte“ (S. 74-97): Fast ein Dreivierteljahrtausend lagen Pompeji und Herculaneum in ihrem grotesken Dornröschenschlaf und gerieten in Vergessenheit. Kurz nacheinander wurden sie im frühen 18. Jahrhundert „wiederentdeckt“ – und zunächst grob ausgeplündert. Erst allmählich und parallel zur Entwicklung der Archäologie als Wissenschaft bildete sich ein Bewusstsein für den historischen Wert der beiden Städte, der den finanziellen weit übertraf. Allein der Bestand bisher unbekannter Buchwerke der Antike ist eine einmalige Bereicherung des Wissens über diese Zeit. Bis heute werden die systematischen Ausgrabungen fortgesetzt, während die Verfeinerungen der archäologischen Methoden den Erkenntnisstand sprunghaft anwachsen lassen. Pompeji überstand inzwischen auch eine dritte Katastrophe: 1943 wurden seine Ruinen von der US-Luftwaffe bombardiert, die hier deutsche Soldaten verschanzt wähnten …
„Kapitel Vier: Die öffentlichen Gebäude“ (S. 98-139): Etwa sechzig Prozent der sechzig Hektar umfassenden Stadtfläche von Pompeji sind inzwischen freigelegt. Während sich die Ausgräber früher auf die Einzelfunde konzentrierten, weitet sich heute der Blick auf Pompeji in seiner Gesamtheit. Dieses Kapitel beschreibt das Stadtbild mit seinen Straßen, Toren, der Stadtmauer, dem Bewässerungs- und Abwassersystem, informiert über das verwendete Baumaterial, um sich dann den wichtigsten öffentlichen Bauten – Forum, die Tempel des Jupiter, des Apollon, des Vespasian, das Handelshaus der Oberpriesterin Eumachia, der Fisch- und Fleischmarkt, die Thermen (nicht zu vergessen über dreizig Bordelle …) usw. – zu widmen.
„Kapitel Fünf: Die Wohnhäuser“ (S. 140-159): Selten ist es möglich, sich so gut wie in Pompeji oder Herculaneum ein Bild darüber zu machen, wie der „Privatmensch“ in antiken Zeiten wohnte und lebte. In den versunkenen Städten blieben die Innenausstattung – Möbel, Haushaltsgegenstände, Schmuck etc. – und die wunderbaren Wandmosaiken sowie –malereien bewahrt. Für viele Wohnhäuser und Villen ließen sich sogar die Namen ihrer Bewohner ermitteln. Ebenfalls erhalten haben sich eindrucksvolle Gartenanlagen mit Zierbassins und Springbrunnen.
„Kapitel Sechs: Ein Rundgang durch Pompeji“ (S. 160-184): Noch einmal greift der Autor die besonders bedeutenden, schönsten und tragischen Stätten Pompejis auf. Mit kurzen Kommentaren versehen, stellt er sie zu einem Rundgang zusammen, der den heutigen Besucher mit allen Aspekten der antiken Stadtgemeinde vertraut macht. Dazu gibt es einen doppelseitigen Plan, der ein Bild der Topografie insgesamt vermittelt. Abschließend macht ein Glossar mit wichtigen römischen Fachtermini der römischen Stadtgeschichte vertraut. Wer sich intensiver informieren möchte, kann dies mit Hilfe einer Bibliografie tun. Ein Register erleichtert es, bestimmte Namen, Orte und Sachverhalten noch einmal nachzuschlagen.
„Pompeji – The Last Day“ ist das Buch zur gleichnamigen [BBC-Fernsehreihe]http://www.bbc.co.uk/history/programmes/pompeii von 2003, einem jener bemerkenswerten TV-Sachspektakel, die dieser Sender ebenso publikumswirksam wie themenbezogen immer wieder zu entfesseln weiß. Während die Sendung mit perfekter Tricktechnik und enormem Schauspielereinsatz „Geschichte live“ zu bieten versucht, geht das Buch einen anderen Weg: Es beschränkt sich auf die echten Relikte von Pompeji, die sich sehen und anfassen lassen.
Die sind so reich an Zahl, Form und Farbe, dass sich mit ihnen problemlos ein Buch wie dieses nicht nur illustrieren lässt. Stattdessen wird das antike Pompeji wieder lebendig – und zwar als Ort, an dem Menschen lebten, arbeiteten, sich amüsierten. Normalerweise wirken Relikte aus alter Zeit steril, weil sie nur schmale Ausschnitte der Vergangenheit rekonstruierbar machen. In Pompeji ist jedoch jeder Aspekt noch fassbar, wird das (allzu) Menschliche offenkundig.
Auf den Hauswänden stehen Namen, Warnungen („Hüte dich vor dem Hund!“) Wahlkampfparolen, Werbesprüche, anzügliche Graffitis („Netzkämpfer Crescens ist der Herr, der den Mädchen ihre Medizin für die Nacht verabreicht.“), in den Tavernen stehen Trinkgefäße und Knabberzeug noch auf den Tischen – und überall liegen die erschlagenen, verbrannten, erstickten Menschen: Asche und Schutt haben die Hohlformen ihrer verwesten Körper so perfekt erhalten, dass man diese mit eingefülltem Gips dreidimensional im Moment ihres Todes neu erstehen lassen kann; ein beklemmender Anblick, Männer, Frauen und Kinder nach zwei Jahrtausenden noch mit dem letzten Stück Brot, dem Geldbeutel oder dem Enkelkind in den Händen zu erblicken.
„Pompeji – Der letzte Tag“ ist ein hervorragender Einstieg in die Materie. Auf 192 Seiten wird Kompaktwissen vermittelt, ohne dass sich der Leser überfordert fühlt. Dazu trägt die sichtbare Einheit von Wort und Bild bei: Die Abbildungen sind fotografisch und in der Wiedergabe großartig; das gesamte Buch besteht aus qualitätvollen Kunstdruckpapier. Der Verfasser befleißigt sich jenes leichten Erzähltons, der allgemein verständlich ist, ohne darüber die grundsätzlichen Infos jemals vermissen zu lassen. Für veranschaulichende Episoden und Anekdoten ist immer Raum. Aktuell ist das Werk natürlich auch. Es berücksichtigt den derzeitigen Forschungsstand.
(Dr.) Paul Wilkinson ist Klassischer Archäologe. Nach seiner Promotion ging er zwei Jahre nach Pompeji und Herculaneum, um an den dortigen Ausgrabungen und Forschungen teilzunehmen. Da es mit den Berufsaussichten „im Fach“ nicht zum Besten stand, machte sich Wilkinson selbstständig. Er leitet die [Kent Archaelogical Field School]http://www.sedwards.demon.co.uk/kafs/index.html und führt archäologische Reisen und Kurse durch, wobei sich Letztere vor allem mit der praktischen Seite der Archäologie beschäftigen. Ansonsten schreibt Wilkinson für das „BBC History Magazine“, „History Today“ oder die „Sunday Times“ und ist Redakteur von BBC-TV-Serien wie „Time Team“ oder „Pompeji – The Last Day“.