William R. Cox – Die fünf Vogelfreien

Cox Vogelfreie Cover kleinDas geschieht:

Firecreek ist ein winziges Städtchen irgendwo im gebirgigen Teil von Texas. Die wenigen Bürger plagen Existenzängste und Langeweile. Jeder kennt jeden, doch als Gemeinde im solidarischen Einklang kann man diese Menschen nicht bezeichnen. Stattdessen beherrschen Missmut und Uneinigkeit die Szene. Für Galgenvögel ist Firecreek der ideale Schlupfwinkel, zumal als Sheriff nur der Farmer Johnny Cobb amtiert. Er verdient sich damit klägliche zwei Dollar im Monat dazu, die ihm indes seit Monaten vorenthalten werden. Sein ‚Deputy‘ ist der geistig behinderte Stallbursche und Tagelöhner Arthur.

In diesen traurigen Ort kommen an einem heißen Sommertag fünf abgerissene Fremde. Söldner sind es, die ihre beachtliche Feuerkraft an den Meistbietenden verkaufen. Doch in den Weidekriegen von Missouri haben sie gerade den Kürzeren gezogen. Larkin, der charismatische Anführer, ist verletzt und kann seinen wilden Haufen nicht unter Kontrolle halten. Die Männer wollen sich nach langen Wochen der Flucht amüsieren. Sie haben nur das Kriegshandwerk gelernt, und entsprechend ist ihr Auftreten. Von den Bürgern wird ihnen sogleich Misstrauen und Ablehnung entgegengebracht.

Die Situation heizt sich schnell auf. Zwischen allen Stühlen sitzt Cobb, der sich verzweifelt bemüht, die Eskalation zu verhindern. Von den Bürgern ist kein Rückhalt zu erwarten. Stattdessen übt man Druck aus: Cobb wird kategorisch aufgefordert, die Fremden aus der Stadt zu jagen. Der Sheriff weiß genau, dass ihm dies allein nicht gelingen kann. Ihn plagen zudem familiäre Sorgen; seine Frau liegt in den Wehen. So ist Cobb abgelenkt, als das Pulverfass Firecreek schließlich explodiert. Die Desperados wollen die Indianerin Mele vergewaltigen. Der naive Arthur ist der Einzige, der ihr beisteht. Durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle erschießt er einen von Larkins Männer.

Die Überlebenden beginnen die Bewohner von Firecreek zu terrorisieren. Arthur wird brutal gelyncht, ohne dass ihm jemand beisteht. Für den zurückgekehrten Cobb gibt es keinen Ausweg mehr; von den Bürgern weiterhin im Stich gelassen, muss er sich allein den Feinden stellen …

Das Heute im Gestern

Der Western: Vor allem im Film schien dieses Genre sich lange auf den Kampf guter Cowboys mit weißen Hüten gegen böse Schurken mit schwarzen Hüten bzw. gegen blutrünstige Indianer zu beschränken. So simpel ist es natürlich nicht. Was wir den „Wilden Westen“ nennen, kennzeichnet eine sehr reale und prägende Phase der amerikanischen Geschichte. Zwischen 1860 und 1900 wurden die Weichen gestellt für die USA, wie wir sie heute kennen – und das geschah genau dort, wo besagte Cowboys, Schurken und Indianer sich einander zu belauern pflegten.

Natürlich ist diese Geschichte im Laufe der letzten 150 Jahre immer wieder literarisch und später filmisch aufgegriffen worden. Selbstverständlich blieb von der rauen, meist wenig romantischen Realität dieser Epoche dabei lange Zeit wenig übrig. Der Mythos begann früh ein Eigenleben zu führen. Er wurde abstrahiert und instrumentalisiert: Die scheinbar überschaubare Welt des Wilden Westens eignet sich vorzüglich dazu, sehr moderne und aktuelle Geschichten zu erzählen. Sie werden verfremdet und in eine ferne Vergangenheit versetzt. Siehe da, plötzlich lassen sich auch heiße Eisen schmieden, ohne den direkten Zorn der Gegenpartei/en herauszufordern.

Im Film dauerte es eine Weile, bis sich die naiven Cowboy-und-Banditen-Spiele der frühen Jahre in erstaunlich komplexe und vielschichtige Dramen verwandelten. (Der Film-Western steht hier im Vordergrund, weil der Ronan „Die fünf Vogelfreien“ auf dem Drehbuch eines gleichnamigen Films beruht; davon später mehr.) Als in den 1960er Jahren die Scheinidylle der Eisenhower-Ära allmählich endete, wurde auch der Western zeitgemäßer.

Realität gegen Mythos

Plötzlich kamen lange tot geschwiegene Themen zur Sprache: Die Jahrhunderte währende Verfolgung und anschließende Diskriminierung der indianischen Ureinwohner wurde ebenso aufgegriffen wie die Barbarei des Bürgerkrieges und seine nie wirklich überwundenen Folgen, die wahnwitzigen Umweltzerstörungen der Pionierzeit oder die sozialen Konflikte einer nur scheinbar im Rausch der „Frontier“ geeinten Gesellschaft. Ende der 1960er Jahre fanden mehr oder weniger allegorisierte Inhalte wie das Grauen des Vietnamkrieges, die Diskriminierung der Farbigen die Bürgerrechtsbewegung und sogar die Flower-Power-Bewegung ihren Weg in den Western.

Drittes Element des Wandels wurde die eigenständige Weiterentwicklung des klassischen Westerns ausgerechnet im fernen Europa. Der Italo-Western ließ jede filmische Zurückhaltung fahren und präsentierte eine Welt, die von Gier, Brutalität und plakativer Gewalt regiert wurde. Sogar in den traditionell egozentrischen USA verfehlten diese Filme nicht ihren Eindruck auf das jüngere Kino-Publikum, das zudem in den Medien täglich miterleben musste, wie ihre Ideale einer neuen Zeit von der eigenen Regierung buchstäblich mit Füßen getreten und mit Schlagstöcken niedergeknüppelt wurde.

Zwar war (und ist) Hollywood nur selten liberal oder gar revolutionär, doch wurden (und werden) für den allmächtigen Dollar stets Zugeständnisse gemacht. Das Ergebnis sind Filme wie „Die fünf Vogelfreien“, ein Western aus dem Jahre 1968, in dessen Drehbuch praktisch alle Elemente Eingang fanden, die weiter oben beschrieben wurden.

Das Buch schlägt den Film

Die Filmkritik würde dem nur bedingt zustimmen. „Die fünf Vogelfreien“ gilt als mittelmäßiger Vertreter seines Genres. Das liegt an der uninspirierten Regie des TV-Routiniers Vincent McEveety, der außerdem für das Disney-Studio stockreaktionäre, grauenhaft biedere Realspielfilme herunterkurbelte, aber kurioserweise auch an der hochkarätigen Besetzung: Johnny Cobb kann nicht wirklich ein überforderter, zögerlicher und ängstlicher Sheriff sein, wenn er von James Stewart gespielt wird, der in seiner Rolle zudem eindeutig zu alt ist und in einer modisch-brutalen Splatter-Szene, in der er einem der Schurken eine Mistgabel in den Bauch rammt, denkbar unglücklich wirkt. Aber Henry Fonda als Larkin ist noch Meilen entfernt von der echten Bösartigkeit, die ihm Sergio Leone 1969 in „Spiel mir das Lied vom Tod“ zugestehen entlocken konnte.

Der Geschichte von Firecreek funktioniert daher als Roman wesentlich besser als der Film. Auf kaum 160 Seiten und mit trügerischer einfachen Worten entfesselt der ansonsten kaum zu Ruhm und Kritikerehren gekommene Autor William R. Cox ein Pandämonium gescheiterter und enttäuschter Existenzen, betrogener Hoffnungen, bigotter Eiferer, geiler Bürgerstöchter, Feiglinge, Verlierer und Versager, das es in sich hat. Gut und Böse, Schwarz und Weiß gibt es nicht in der Gesellschaft von Firecreek. Die Ankunft von Larkins Bande lässt einen schwelenden Konflikt aufflammen, an dem die Gemeinde – deren Name wohl nicht zufällig die Assoziation an das sprichwörtliche Pulverfass weckt – über kurz oder lang ohnehin zu Grunde gegangen wäre.

Keine Vorbilder, keine Disziplin

Interessant ist die Konfrontation zwischen Jung und Alt: Die Jugend lässt sich keine Vorschriften mehr machen und wird dafür von der harten aber ‚gerechten‘ Strafe ereilt: ein Schreckensszenario, wie es in konservativen Kreisen gern entfesselt wird. Aber diesen Weg will Cox nicht einschlagen. Seine Haltung ist eindeutig: Auch die Älteren haben nichts mehr zu sagen. Als Vorbilder und Ratgeber versagen sie auf der ganzen Linie. ‚Sheriff‘ Cobb drückte sich (zu) lange, bevor er eingreift. Auf der Gegenseite hat der ebenfalls schon ältere = kraftlose, resignierende Larkin seine Bande nicht mehr im Griff. Die Folge ist blanke Anarchie, was viel aussagt über den Blick des (Hollywood-) Establishments auf Amerika im Jahre 1968.

Solche Widerhaken erheben „Die fünf Vogelfreien“ beileibe nicht zu großer Literatur. Das verhindert schon die Drehbuch-Vorlage, die einen Routine-Western ohne besondere Ambitionen mit einem aufgesetzt wirkenden Sieg des „Guten“ enden lässt. Dennoch liest sich der Roman zum Film über weite Strecken wie einer der ‚schmutzigen‘, schwarzen Krimis von Jim Thompson oder James Hadley Chase. Am Ende herrscht endlich Frieden in Firecreek, aber eigentlich ist es eher Totenstille.

Autor

William Robert Cox, geboren am 14. März 1901 im damals wie heute winzigen Städtchen Peapack-Gladstone, US-Staat New Jersey, gehörte zu den fleißigen aber weitgehend unbekannt gebliebenen Autoren, die vor allem für die „Pulp“-Magazine und nach dem Zweiten Weltkrieg für den Taschenbuchmarkt schrieben. Cox verfasste nicht nur Westernstorys und -romane, sondern auch Krimis. Um seinen enormen Ausstoß zu tarnen, verwendete Cox mindestens die Pseudonyme Willard d’Arcy, Mike Frederic, John Parkhill, Joel Reeve, Roger G. Spellman und Jonas Ward.

Cox hatte eine sechsköpfige Familie zu versorgen. Er blieb zeit seines langen Lebens aktiv und starb während der Niederschrift seines 81. Romans am 7. Juli 1988.

Taschenbuch: 158 Seiten
Originaltitel: Firecreek (New York : Bantam Books 1968)
Übersetzung: Walter Brumm
www.randomhouse.de/heyne

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