Wilson, Justine – Blood Angel

Kaum gelingt Nachwuchs-Maltalent Jessamy Shepard aus New York der künstlerische Durchbruch, da stellt sich gleich ein ungebetener „Fan“ ein, der sich einfach nicht abschütteln lässt. Aber Jessamy irrt; kein lästiger Lüstling ist dieser Kai Youngblood, sondern ein prominentes Mitglied der „Sajae“, jener Gruppe fast unsterblichen Wächter, die seit Urzeiten neben den Menschen leben und mit magischen Fähigkeiten die „Traumfelder“ bewachen. Übergänge zwischen diversen Dimensionen sind dies, die immer wieder gern von fiesen Dämonen genutzt werden, die sich auf die Erde schleichen und dort viel Flurschaden anrichten.

Die schlimmste dieser Kreaturen ist Bakal Ashika, genannt Asha. Einst war sie eine junge Sajae-Sklavin, die sich das Wissen ihrer Herren aneignete, dann einen besonders üblen Dämonen ins Hirn lud und die Sajae zu vernichten trachtete. Viele Jahre tobte der Kampf, bis er Anno 1399 mit der Niederlage Ashas endete. Doch sie starb nicht, sondern konnte nur verbannt werden. Jetzt ist sie wieder da und begieriger denn je, die Welt zu zerstören.

Dazu benötigt sie zwei Dinge: die geistige Energie der Nachfolgerin jenes Sajae, der ihr einst den Rest gab, und die Kraft des „Engels“, dessen dieser sich dabei bediente. Die eine schlummert in der ahnungslosen Jessamy, die andere überdauerte im Körper des gedächtnislosen Teenagers Ramsey Doe. Diese beiden Menschen will sich Asha fangen, aber zumindest Jess entkommt ihren Schergen und wird von Youngblood aufgenommen. Mit Unterstützung des „gezähmten“ Dämonen Delkor Lokk bildet er sie in einem Sajae-Crashkurs zum weiblichen Heiland aus, der gegen Asha antreten kann. Doch diese – obwohl wahrlich nicht die Hellste – nutzt die derzeitige Schwäche der Wächter, unter denen zudem ein Verräter wühlt. Trotz verzweifelter Gegenmaßnahmen (die auch die Rekrutierung einer Rotte von den Toten erweckter „Hell’s Angels“-Rocker einschließt) der Verteidiger gewinnt Asha die Oberhand und gibt den Startschuss zum Ende der Welt …

Unbefangenheit ist für einen debütierenden Schriftsteller ein feine Sache. Man schreibt den ersten Roman frech & frei und mit nur vagen Vorstellungen davon, was schief gehen könnte. Gut so, denn wie übel man sich blamieren kann, das lehrt uns die Lektüre von „Blood Angel“, einem Mystery-Thriller, bei dem so ziemlich alles misslungen ist, was misslingen konnte.

Wo soll man anfangen mit der Kritik? Der Rezensent dreht sich im Kreise, zumal dieser „Roman“ sich ihm quasi mit dargebotener Kehle präsentiert. Alle drei Teile von „God’s Army“ gesehen und vom „Exorzisten“ zumindest gehört: Ob das zum Beispiel das Ausmaß der Recherche beschreibt, die Wilson für dieses Machwerk getrieben hat? Statt Vampire und Werwölfe treiben dieses Mal also Engel und Dämonen ihr Unwesen. Ein biblischer Hintergrund kann unter der literarischen Herrschaft von König Dan Brown dem I. (und hoffentlich Einzigen) nie schaden. Das alte Buch der Bücher taugt prima als Steinbruch für pseudo-sakrales Gewese mit Ehrfurchts-Schauder-Garantie.

Aber auch der skeptische Leser will überzeugt werden. Also konstruiert Wilson ein „wissenschaftliches“ Gefüge aus parallelen Welten (Science-Fiction kann den Genremischmasch nur schärfer würzen), in denen besagte Engel, Dämonen und ähnliche Überwesen hausen. Um die Geschichte in Gang zu bringen, postuliert die Verfasserin „Übergänge“ zwischen den Sphären, was allerlei finsteres Gruselpack nutzt, die Erde zu besuchen.

Selbstverständlich gibt es einen uralten Wächterorden, der diese Passagen überwacht und sich dabei so plumpfüßig weihevoll gibt wie die uns bekannten Jedi-Ritter. Auch eine „Macht“ – hier „Maga“ genannt – darf nicht fehlen. Weitschweifig und mit inbrünstigem Eifer erläutert uns Wilson ihr Konzept, das es an Dummschwurbeligkeit mit jedem New-Age-Geschwafel locker aufnimmt. Jedes Blättchen, das die Autorin greifen konnte, wird vom Mythenbaum gepflückt und in den Plotbrei gerührt; es entstand eine fade, geschmacklose Masse mit dicken Klumpen geballter Einfältigkeit, die den Leser würgen lassen.

Die eigentliche „Story“ lässt sich in einem Satz erzählen. Auf mehr als 400 (großzügig bedruckten) Seiten wird sie gnadenlos und absolut ironiefrei breit getreten. Eindimensionale Traumsequenzen, schwafelige Prophezeiungen gar grausiger Ereignisse, die zu Lachstürmen reizen, jämmerlich verdruckste Einschübe „perverser“ Dämonendekadenz und andere Überflüssigkeiten lassen die Handlung zusätzlich immer wieder stocken. Muss hinzugefügt werden, dass Wilsons Finale zwar als beklemmende Vision des Weltendes geplant war, in der Umsetzung jedoch nur ein fundamentalistisches Höllengetöse auf Kasperletheater-Niveau gelang?

Selbstverständlich fehlt nicht das offene Ende: Die böse Asha beißt zwar ins Gras, aber ihr Statthalter entkommt. Auf der letzten Seite sehen wir ihn schon wieder zu neuen Ränken ansetzen. Ob das eine Fortsetzung bedeutet? Das wäre freilich eine Rache, die man der tumben Asha in dieser Grausamkeit nicht zugetraut hätte …

Dem ganz und gar ungeplant schaurigem Getümmel entspricht eine schauderhafte Figurenzeichnung. Da gibt es nur eine halbwegs interessante Person, und das ist ein schleimig-intriganter Dämon, der die ganze Mischpoke der „Guten“ mit Bedacht an der Nase herumführt. Eine Welt, die von blutleeren Langweilern wie den Sajae bewacht wird, hat ihren Untergang allemal verdient. Wenn der weise Kai Youngblood – „sprechende“ Namen, deren Bedeutung wie Zaunpfähle auf des Lesers Schädel niedersausen, sind eine Spezialität Wilsons; so heißt Jessamy, die Rettung der Welt, selbstverständlich „Shepard“ – wieder einmal in kryptischen Andeutungen von „Bestimmung“ und „Schicksal“ faselt, möchte man ihm tüchtig in den Hintern treten, damit er endlich auf den Punkt kommt. Geschieht dies endlich, schafft es auch keine Zufriedenheit, weil da nichts ist, das Geheimnistuerei rechtfertigen würde.

Aus dem Reich der Menschen stoßen als Identifikationsfiguren eine Frau (schön, jung, schön, maßvoll selbstbewusst, schön & “Mr. Right” – und nur ihm! – jederzeit aufgeschlossen) und ein Teenager (schnuckeliger Superskater, aber – oh Weh! – Vollwaise) zu den Sajae. Ausgerechnet in ihren Hinterköpfen rumort leise die Macht, welche der Dämonin den Hals brechen könnte, aber sie muss erst geweckt werden, was viele, viele, viele Diskussionen zwischen „Schüler“ und „Meister“ und endlose Trainingslektionen in Sachen Schweben & Feuerballwerfen zur Folge hat.

Oft tragen in solchen verquasten „New Testament Reloaded“-Storys wenigstens die Bösen zum Unterhaltungswert bei. Da sei hier Wilson vor, die mit Bakal Ashika eine grotesk spießige Weltenzerstörerin ins Feld schickt. Gar fürchterbar will die schöne, aber unerbittliche „Asha“ uraltes Unrecht rächen. Was hat sie dann vor mit der Welt, die sie an sich reißen will? Männer will sie kopfüber an Telegrafenmasten nageln, andere Pechvögel durch das Hinterteil verbluten lassen. So geht das weiter, eine Liste naiver Kinderbibel-Grausamkeiten, die deutlich verraten, dass Asha in den fünf Jahrhunderten ihres Exils rein gar nichts dazugelernt hat und weiter in ihrer infantilen Vorzeithölle haust. In der „Realität“ des 21. Jahrhunderts wirkt sie nicht Furcht erregend, sondern lächerlich, womit sie immerhin – hier schließt sich der Kreis – perfekt in das Ensemble und einen weiteren Schuss-in-den-Ofen-Bestseller passt.

Aus unerfindlichen Gründen erscheint die deutsche Ausgabe von „Blood Angel“ vier Monate vor der nordamerikanischen. Ob dies ein Indiz für die fortschreitende Globalisierung des Buchgeschäfts ist? Oder sollen rasch die europäischen Gruselfreunde abgezockt werden, bevor kritische Stimmen von jenseits des Atlantiks laut werden? Diese werden nicht ausbleiben – und vielleicht lösen sie auch das Rätsel, wieso die Verfasserin (über die weiter nichts bekannt ist oder sein müsste) hierzulande als „Justine Wilson“ verkauft wird, während in den USA „Justine Musk“ auf dem Cover steht. (Es gibt ein Online-„Interview“, das im Auftrag des |Knaur|-Verlags und zu Werbezwecken mit Musk-Wilson geführt wurde. Es lohnt jedoch nicht, einen entsprechenden Link zu legen, da hier mit vielen, vielen Worten rein gar nichts Relevantes berichtet wird außer der Tatsache, dass „Blood Angel“ das Erstlingswerk einer fleißigen Schreibwerkstattbesucherin ist.)