Wolfgang Jeschke (Hg.) – Heyne Science Fiction Jahresband 1991

Sciencefiction und Phantastik vom Feinsten

Der inzwischen in Rente gegangene Herausgeber der Heyne Science Fiction Reihe, Wolfgang Jeschke, pflegte von 1980 bis 2000 eine schöne Tradition: Jedes Jahr präsentierte er seinen Lesern eine Anthologie von guten phantastischen Geschichten zu einem sehr erschwinglichen Preis. Lag dieser 1985 noch bei schlappen 5,80 DM, so war der Preis im Jahr 2000 bereits bei 18,00 DM angelangt – und wäre heute überhaupt nicht mehr bezahlbar. (Man könnte mal die Preissteigerungsrate ausrechnen: Sie ist astronomisch hoch.)

Wie immer jedoch lieferten die SF-Jahresbände Erzählungen, die von der ersten Liga der Autoren und Autorinnen stammte. Stets war ein kleiner Ausreißer dabei, sei es ein Autor aus dem Ostblock – zu dem Jeschke von jeher gute Kontakte pflegte -, oder ein Kurzroman, z.B. von Bruce McAllister oder Connie Willis.

Der Herausgeber

Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für kenner“ im Kichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Science Fiction Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“. Er starb 2015.

Die Erzählungen

1) Gregory Benford: Hinunter zum stürmischen Golf (1986)

Nach einem atomaren Schlagabtausch ist besonders der Süden der Vereinigten Staaten, aus denen der Erzähler stammt, von Radioaktivität und dem Nuklearen Winter betroffen. Erst nach Monaten der Überwinterung in einem Reaktor trauen sich die ersten Überlebenden hervor, um zu einem Rechenzentrum nahe Mobile, Alabama, im tiefen Süden zu gelangen. Es wird eine Fahrt mit abenteuerlichen Zügen, die beinahe in einer Katastrophe endet, aber zu einem vielfältigen Neuanfang führt. Im Epilog sehen wir zwei der Hauptakteure wieder.

Mein Eindruck

Im Nachwort legt der Autor seine Karten auf den Tisch, denn ihm war vorgeworfen worden, ein Plagiat geschrieben zu haben. Tatsächlich hat er Motive aus William Faulkners Texten „Als ich im Sterben lag“ und „Der Bär“ verwendet. Seine Erklärung lässt aber die Weiterentwicklung Richtung Atomkrieg und SDI („Sternenkrieg“) plausibel und vertretbar erscheinen. Es ist eine packende Story, die aber erst nach einem langen Anlauf ins Rollen kommt und somit vom Leser viel Geduld fordert.

2) Connie Willis: Der letzte Winnebago (1988)

Die USA im Jahr 2008. Eine Seuche hat alle Hunde auf der Welt ausgerottet. In der Folge bemüht sich die sogenannte „Humane Gesellschaft“ relevante Taten zu verfolgen, die mittlerweile als Verbrechen eingestuft sind. Zu solchen Verbrechen gehört beispielsweise das Überfahren eines nahen Verwandten der Spezies Hund, nämlich eines Schakals oder Kojoten. Deshalb ist es die Pflicht eines Bürgers, entsprechende Vorkommnisse sofort der „Humanen Gesellschaft“ zu melden, damit die Schuld, falls es eine gibt, festgestellt wird.

Als der Fotoreporter McCombe auf der Schnellstraße einen überfahrenen Schakal sieht, fährt er erst noch ein paar Meilen weiter, um dann die „Gesellschaft“ anzurufen. Dieses Zögern und seine Unterlassung, Name und Adresse anzugeben, lassen ihn tatverdächtig erscheinen. Schon bald wird er Besuch erhalten.

Nach dem Anruf besucht er einen kleinen Zoo in Arizona, wo als Nebenattraktion das letzte Exemplar der Wohnmobile namens „Winnebago“ ausgestellt wird. Darüber soll er seiner Zeitung berichten. Zuerst knipst er mit dem Teleobjektiv, dann dreht er einen Videofilm und schließlich kramt er noch seine Geheimwaffe aus: die Eisenstadt, eine vollautomatische Kamera, die in einer Aktentasche versteckt ist.

Erst Stunden später entdeckt er beim Entwickeln der Tele-Fotos, dass er den Besitzer des Winnebago, Mr. Ambler, dabei aufgenommen hat, wie er seine Stoßstange abwischte…. McCombe könnte nun hergehen, Mr. Ambler zu melden, doch er unterlässt es, sich dadurch zu entlasten. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben mit einem Vorfall aus dem Jahr 1989 zu tun, als es nicht ein Verbrechen war, einen Hund zu töten. Damals kam McCombes Schäferhund Aberfan zu Tode, überfahren von einer Fahranfängerin namens Katie, gerade mal 16 Jahre alt und später McCombes Freundin…

Mein Eindruck

Alle Dinge beginnen und enden, wie es schon in der Bibel steht, doch manchmal überdauert der Schmerz über Verlust und Schuld Jahrzehnte. So geht es auch McCombe, dem schuldbewussten Besitzer von Aberfan und unschuldigen, aber höchst verdächtigen Melder eines überfahrenen Schakals. Alle Hunde sind verschwunden, und die Menschen vermissen sie. Doch auch der letzte der Winnebagos wird bald verschwunden sein, wenn McCombe nichts deswegen unternimmt. Es ist eine elegische Erzählung, die die vielfach ausgezeichnete Autorin auf ihre unnachahmliche Weise vor dem geistigen Auge des Leser entwickelt – ähnlich wie ein Foto, das Tiefen- und Unschärfe aufweist.

Zu dem menschlichen Drama gesellt sich der kleine Krimi um die Strafverfolgung durch die „Humane Gesellschaft“. Wie verdächtig schon allein dieser bemüht unschuldig klingende Name ist! Tatsächlich entpuppt sich die „Gesellschaft“ als ein Verein von Datenschnüffler, der nicht davor zurückschreckt. Die Privatsphäre und den Datenschutz mit Füßen zu treten. McCombe, schlau wie er ist, macht sich einen Spaß daraus, diese agentenähnlichen Typen, die er völlig durchschaut, aufs Kreuz zu legen und ihnen über die Redaktion eins auszuwischen.

3) Sydney J. Van Scyoc: Blaufalke (1969)

In ferner Zukunft gibt es Mischwesen oder Mutanten, die aus Mensch und Tier zusammengesetzt sind und über eigentümliche Fähigkeiten verfügen. Blaufalke hat solange er sich erinnern kann schon immer in der CITY gelebt, und doch ist er hier sehr unzufrieden mit seinem leben. Er schmeißt jeden Job, den ihm die Arbeitsagentur zuweist, schon nach kurzer Zeit hin. Er sehnt sich nach dem Fliegen. Und seine Worte, wenn er sie im Zorn ausspricht – was meist der Fall ist – , klirren wie Kristalle auf die Erde, um dort zu zerfließen. Und das ist keineswegs Einbildung.

Er bekommt eine letzte Chance gewährt. Als Schweberpilot soll er den Sonderbotschafter Drick Ritter, der für die Sonderwesen in der Wildnis namens „America Land“ zuständig ist, zu seiner Frühjahrsmission kutschieren. Ritter, selbst ein Sonderwesen, verfügt über telepathische Kräfte, aber auch über viele Schwächen. Deshalb darf Blaufalke niemals Ritter Füße ansehen oder ihn die Farbe Rot sehen lassen usw. Natürlich ist Blaufalke in seiner Ungestümheit nicht in der Lage, die strengen und absonderliche Gebote einzuhalten.

Aber Ritters wichtigste Eigenschaft besteht darin, dass er es war, der Blaufalke einst als kleines Kind aus der Wildnis in die CITY gebracht hat. Er ist quasi sein väterlicher Mentor. Zwei Dinge tut er für ihn: Er empfiehlt ihm den Kontakt zu einer jungen Frau, die weiß, was Blaufalke mit seinen Kristallwörtern zu sagen versucht. Und zweitens bringt er ihn zu dem Reservat, aus dem Blaufalkes Eltern stammen. Von nun an hat der Sonderling sowohl Wurzeln in der Vergangenheit als auch einen Leitstern für seine Zukunft. Endlich kann seine Seele fliegen…

Mein Eindruck

Die Novelle ist einfühlsam erzählt, voller erstaunlicher Bilder und Einfälle, und sie endet voller Hoffnung, als Blaufalke seinen Platz in der CITY und in America Land findet. Diese beiden Settings hat es bereits zur genüge gegeben; man denke nur an die vielen Post-Holocaust-Geschichten. Doch in „Blaufalke“ kommen sowohl Mutantenschicksal als auch ferne Zukunft auf eine kreative und doch völlig andersartige Weise zusammen. Eine gute Story, die sich wie von selbst liest. Erstaunlich, dass sie die älteste in diesem Sammelband ist.

4) Kate Wilhelm: Doppelgänger (1988)

Gina Ryan ist Dekorateurin in einem Einkaufszentrum in Cincinnati, Ohio. Sie ist geschieden, weil sie ihre Ehe nach einem Unfall, der zu einer Fehlgeburt führte, nicht mehr fortführen konnte. Sie fühlte sich nicht mehr vollständig ohne das Baby. Doch nun sieht sie ein kleines Mädchen aus einem der Läden in der Einkaufspassage kommen und ist wie vom Blitz getroffen. Die Kleine sieht genauso aus wie Gina, als sie klein war. Oder wie ihre Tochter, wenn sie noch am Leben wäre.

Beim nächsten Wiedersehen folgt sie der Kleinen, die nach Hause gefahren wird. Und aus der Haustür tritt eine Frau, die – wie Gina erst später realisiert – genauso aussieht wie Gina selbst. Hat Gina eine Doppelgängerin? Auf diese irre Idee verfällt sie, weil ihr Arbeitgeber Paul Moreno, der aus Brooklyn, New York, stammt, von den Doppelgängern erzählt und was sie anstellen, wenn sie ihr Ebenbild finden. Schon bald beginnt Gina Gespenster aus dem Augenwinkel zu sehen. Als sie sich Stuart anvertraut, beauftragt dieser einen Privatdetektiv, um Ginas Vermutung zu widerlegen.

Dann fährt sie noch einmal zu jenem Haus, in dem das Mädchen verschwand – es steht leer. Sie engagiert ihrerseits Stuarts Privatdetektiv und beschließt, auch ihrer Mutter auf den Zahn zu fühlen. Sie gräbt ein düsteres Familiengeheimnis aus…

Mein Eindruck

Wieder einmal schafft Kate Wilhelm etwas, was ihr kaum jemand nachmachen kann: Sie öffnet den doppelten Boden unserer Realität und lässt ihre Figuren hindurchfallen, bis sie glauben, dem Wahnsinn zu verfallen. In diesem Fall glaubt Gina, die verhinderte Mutter, sie müsse das kleine Mädchen entführen und selbst großziehen. Dazu kommt es zum Glück nicht. Das Familiengeheimnis stellt sich als reines Glück heraus. Aber was wäre, wenn Gina nicht dieses Haus weit fort von Cincinnati aufgespürt hätte?…

5) James Patrick Kelly: Der Blumenfreund (1989)

Faith hat nach 15 Jahren Ehe, als sie ihr Mann sitzenließ, den Glauben an Männer und Liebe verloren. Dass ihre beste Freundin Betty ebenfalls mit einer männlichen Dumpfbacke verheiratet, ermutigt sie nicht gerade, ein neues Date zu suchen. Aber Faith nummt ab, statt sich Kummerspeck anzufressen, und setzt mit neuer Hoffnung ein kurzes Kontaktsuche-Inserat in die Zeitung. Sie suche jemanden, der ganz anders sei, aber irgendwie „mittlerer Durchschnitt“. Was etwas widersprüchlich erscheinen mag.

Sie erhält ein wunderschönes Gedicht von einem gewissen Gardiner Allan, doch da sie nur eine einfache Hausfrau aus New Hampshire ist (dem traditionell konservativsten Staat der USA), antwortet sie ganz pragmatisch, sie wolle etwas mehr von Allan wissen. Was habe er zu bieten? Per Zufall lernt sie ihn im Restaurant kennen. Seltsamerweise kennt er ihren Namen, aber er schließt sofort Freundschaft mit Faiths Sohn Flip, was Faith sowohl imponiert als auch verwirrt: Niemand findet Achtklässler super! Und Flip fängt jetzt sogar an, Shakespeare zu lesen…

Sie haben Dates, wie es sich gehört. An einem Abend gesteht ihr Gardiner, dass er eine Besonderheit habe. Oje, jetzt kommt’s, bangt Faith bereits im Stillen. Ist er ein Perverser, ein Muttermörder, womöglich sogar ein Bettnässer? Nein, nichts davon. Aber er kann mit Blumen sprechen. Er züchtet sie privat und unabhängig. Seine telepathische Begabung beschränkt sich aber nicht nur auf Blumen, sondern kann auch auf Menschen angewendet werden. O nein, er kann meine Gedanken lesen! In Faiths Kopf schrillen sämtliche Alarmglocken. Aber kann er das wirklich?

Mein Eindruck

Die Story von Faith und ihrem neuen, seltsamen Freund der Blumen ist flott und pragmatisch erzählt, ohne Sentimentalitäten, aber mit wundervoller Ironie. Hier schimmert echter Yankee-Geist seitens Faith durch, während Gardiner Allan sozusagen der Rock Moranis der Sensiblen ist. Aber Liebe kreiert bekanntlich seltsame Bettgenossen, und so kommt es auch diesmal zu einem Happyend. Sehr kurzweilig und sehr befriedigend, diese Geschichte.

6) Bruce McAllister: Ihre unsterblichen Herzen (1980)

Der Planet Cattal ist eine Bergwerkswelt, auf der die Bergarbeiter für einen Hungerlohn ein Erz schürfen, das in den Händen der Minenbesitzergesellschaft, der TMG, einen astronomischen Preis erzielt. Es ist nämlich für den Bau von Dimensionstoren, den Raumschleusen, notwendig. Diese ungerechte Verteilung des Reichtums zwischen Arbeitern und Minenbesitzer TM Gaetan, die seit 250 Jahren besteht, will eine neue Untergrundbewegung bekämpfen. Diese Rebellen erhalten nun Unterstützung von unerwarteter Seite.

Mayer Dar tritt als Schauspielerin mit ihrer Truppe in Untergrundtheatern auf. Neben ihrer musischen Gegenspielerin sitzt eines Abends ein bemerkenswerter junger Mann: Er ist blind. Draußen vor dem Theatern begegnet sie ihm wieder, wie er von einem TMG-Agenten verfolgt wird. Der Blinde will sie, Mayer Dar, treffen. Hinter einer Hecke stellt er eine akustische Abschirmung auf und eröffnet ihr, was er will, getarnt als Plan für ein Theaterstück. Dessen Handlung hat offensichtliche Ähnlichkeit mit der Realität auf Cattal. Er sei von drei hohen Persönlichkeiten erwählt worden, mit den Rebellen Kontakt aufzunehmen und den Aufstand in Gang zu setzen. Ein Blinder?! Er überzeugt sie davon, dass ein Blinder ebenso gut kämpfen kann wie ein Sehender, als er ein paar Agenten ausschaltet. Sie hilft ihm, um den Pakt zu besiegeln.

Ein Jahr später beginnt die Revolution, die das Ende der Herrschaft von TMG zum Ziel hat. Mayer Dar lässt sich als künftige Braut des Tycoon auf seiner Party einschleusen, um an ihn herankommen zu können. Natürlich spielt sie dabei die Rolle einer anderen. Dies ist Ave Munee, eine begehrenswerte und unterwürfige Frau, die viel Ähnlichkeit mit TMGs erster Frau hat, die vor Jahrhunderten starb. Als Mayer TMG endlich zu Gesicht bekommt, ist sie erstaunt: Obwohl er vor 300 Jahren anno 1960 geboren wurde, sieht er aus wie ein Fünfzigjähriger. Kann sie diesen Mann wirklich töten – oder ahnt er bereits, was sie vorhat?

Mein Eindruck

Zunächst beginnt die lange Erzählung etwas zäh, und der Leser muss sich mit der unvertrauten Welt Cattal bekannt machen – das ist ja nicht ungewöhnlich in der SF, wo es vor neuen Welten nur so wimmelt. Doch dann entfaltet der Autor ein feingesponnenes Intrigennetz, für dessen Verständnis schon etwas mehr Mühe aufwenden muss. Im zweiten Akt tritt die verwandelte Schauspielerin zusammen mit einem Weltengouverneur auf der Party von TMG auf: unter der Meeresoberfläche in einer rotierenden künstlichen Blase, die rund 1000 Gäste fasst. Hier wird nicht mit dem Mund gesprochen, sondern mit den Fingern – Taubstummensprache.

In den Text sind laufend Ausdrücke aus dem Französischen eingestreut, was die hohe Klasse der Anwesenden unterstreichen soll. Hinzukommt eine unvertraute Sprache, die mit kurzen Begriffen Menschen typisiert, etwa „eine junge Frau mit knabenhaften Formen“ usw. Sobald TM Gaetan im dritten und letzten Akt (der Rest ist Epilog) auftritt, erscheinen eine ganze Reihe von Grafiken aus dem Computer, also etwa Kurven, Statistikdiagramme und dreidimensionale Darstellungen. Diese spielen eine wichtige Rolle für die Handlung, sind also keine Spielerei. Außerdem sind Beispiele von Notationen avantgardistischer Musik eingestreut. Dadurch wirkt der Text multimedial angehaucht. Das passt zu dem Umstand, dass die Novelle zuerst 1980 in einer amerikanischen Zeitschrift für Lyrik erschien.

Der Autor erweist sich als gebildet und kultiviert, auch einfallsreich, doch diese Vorzüge wird nur genießen können, der sich mindestens auf dem gleichen Niveau bewegt, also schon viel Mainstream-Literatur und klassische Musik gehört hat. Dadurch eignet sich die Story wenig für Star-Trek- und Star-Wars-Freunde.

7) James Tiptree jr.: Schlangengleich erneuert die Erde sich (1988)

Eine reiche junge Alleinerbin verliebt sich schwärmerisch in einen Geliebten, verzeiht ihm alles, sucht seine tiefsten Bedürfnisse zu ergründen, um es ihm recht zu machen, lernt alles über ihn, um ihm zu helfen denn es geht ihm gar nicht gut: dem Erdball. Die Umwelt wird zerstört, die Überbevölkerung wächst und so weiter. P., die junge Verliebte, sponsert ökologische Terroristen und Guerillas, doch sie weiß: Das sind alles nur Tropfen auf den heißen Stein. Und der Erdball bestätigt ihr durch Naturphänomene, dass sie recht hat. Eines Tages fühlt sie sich unwiderstehlich nach Norden gezogen, ins ewige Eis es wird eine Reise ohne Wiederkehr, aber mit einer witzigen Pointe.

Mein Eindruck

Auf todernste Weise erzählt James Tiptree jr. (das ist Alice Sheldon, gestorben 1987) hier eine lächerlich-kitschige Romanze nach Art der Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahler.

Die Novelle beginnt zunächst kitschig wie ein Groschenroman, doch dies verbirgt das knallharte ökologische Anliegen, das P hat: die Rettung der Erde. Und zwar auch mit illegalen Mitteln. Man frage sich einfach, was passiert, wenn man diese Erde, die ja einzigartig sein dürfte, wirklich lieben würde. Dann müsste man bereit sein, absolut alles Notwendige dafür zu tun. Tut das aber irgendjemand? Wohl kaum. Die Autorin zeigt uns, was noch alles passieren könnte.

8) Robert Silverbergs „Erster Auftritt: Soldat. Darauf: ein anderer“ (1989)

Im Jahr 2130 haben zwei Amerikaner die Technik perfektioniert, historische (und fiktive) Persönlichkeiten zu simulieren. Doch als sie den Eroberer des Inkareiches, Francisco Pizarro, erschaffen, sind sie erstaunt darüber, dass die Simulation selbständig handelt und denkt. Pizarro erkennt sogar, dass er schlechtes Spanisch spricht. Woher kann die Simulation das wissen? Sie kennt doch nur eingespeiste Daten – oder? Ist Pizarro der erste Soldat, so ist der Athener Philosoph Sokrates der zweite – er musste in den Bürgerkriegen des 5. Jahrhunderts v. Chr. kämpfen. Ein interessanter Disput über die Natur ihrer Realität entspinnt sich, und die beiden beschließen, nach Atahualpa, dem toten Inkakönig, zu suchen.

Mein Eindruck

Diese Story bietet zwar keine Action, aber umso mehr witzig-ironische Seitenhiebe auf Amerikaner, Christen, Philosphen und Religion im allgemeinen. Die Story erhielt 1990 die höchste Auszeichnung des Science Fiction-Feldes, den HUGO Award, den die Leser vergeben. Wolfgang Jeschke hat sie noch einmal in seine Abschieds-Anthologie „Fernes Licht“ (Juni 2000) aufgenommen.

Unterm Strich

Auch dieser dicke und doch relativ preisgünstige Jahresband versammelt wieder eine erstaunliche Vielfalt von phantastischen Erzählungen, die neben ihrem Einfallsreichtum auch durch ihre hohe literarische Qualität erfreuen. Während die etablierten Autoren wie Silverberg, Tiptree, Benford und Wilhelm die üblichen Ansprüche an eine gut erzählte Story erfüllen, so verblüffen die anderen, weniger bekannten Autoren und Autorinnen durch mitunter eingestreute Grafiken und Musiknoten.

Im übrigen fiel mir auf, dass nur eine der Geschichte außerhalb der Erde spielt, nämlich die von Bruce McAllister, aber sie endet auf unserer Welt. Alle anderen Geschichten denken nicht einmal daran, unsere Welt zu verlassen, doch das will nichts heißen: Je weiter man in die Zukunft vorrückt, desto fremdartiger erscheint sie uns, fast wie ein anderer Planet. Und wenn man noch simulierte Welten wie in Silverbergs Erzählung hinzuzählt, so kann man fast auf Abenteuer im Weltraum verzichten.

Dass alle Geschichten sehr gut illustriert worden sind, gehört inzwischen schon zum Standard bei den Jahresbänden. Sammlersollten sich diese Ausgaben sichern, bevor sie vollends aus den Regalen der Antiquariate verschwunden sind.

Taschenbuch: 606 Seiten
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern
ISBN-13: 9783453044777

www.heyne.de

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