Wolfgang Jeschke (Hg.) – Science Fiction Story Reader 15

Classic SF: Das Ende der Welt und andere Unannehmlichkeiten

In dieser Anthologie sind 18 SF-Erzählungen und -Gedichte internationaler AutorInnen vereinigt, darunter:

– die schockierende Geschichte der von den Ayatollahs kontrollierten USA „Einige meiner Freunde sind Amerikaner“ von Francois Camoin;

– „Bitterblumen“ vom mehrfachen HUGO- und NEBUAL-Award-Preisträger George R.R. Martin;

– Stories von Robert Holdstock, Thomas F. Monteleone, Richard D. Nolane, Vernor Vinge und Joe Wehrle sowie

– Stories von den deutschen Autoren Wolfgang Jeschke, Jörn J. Bambeck, Reinmar Cunis, Hermann Jauk, Michael Morgental, Curd Paetzke, Dietrich Wachler, Jörg Weigand und anderen.

Der Herausgeber

Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im Lichtenberg Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Science Fiction Reihe Deutschlands beim Heyne Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und z.T. für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Seine erster Roman ist „Der letzte Tag der Schöpfung“ (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“. Er starb 2015.

Die Erzählungen

1) Jörg Weigand: Objekt der Verehrung (1981)

Etliche Jahrhunderte nach der „Großen Katastrophe“ leben nur primitive Stämme in der Steppe von Elopa. Sie alle verfügen jeweils über Reliquien aus der Zeit davor, die die Existenz einez eines Überwesens beweisen. Diese Beweise werden vom jeweiligen Oberpriester eines Stammes gehütet und zur Ausübung der Religion verwendet.

An bestimmten Tagen müssen die (männlichen) Stammensmitglieder dem „Objekt der Verehrung“ ihrer Reverenz erweisen. Doch der junge Tarak ist nicht der erste, der an der Existenz des Großen R zweifelt und es an Verehrung mangeln lässt. als der Priester Bernar dies bemerkt, ruft er Tarak nach dem Gottesdienst zu sich, um ihm die Beweise zu zeigen: ein verbichenes Foto von drei Männer in Raumanzügen sowie einen Brief aus dem Jahr 1980.

In diesem Brief sagt Friedrich Baumann, 14 Jahre alt, dass er die ersten 50 Ausgaben von PERRY RHODAN in einer feuerfesten Kassette der Ewigkeit anvertraut. Und so geschah es…

Mein Eindruck

Nach dem Motto „Mythen der fernen Zukunft“ könnte man diese kleine Satire als Kritik der aktuellen Popkultur auffassen, wäre da nicht der etwas beunruhigende Umstand, dass diese Popkultur nur durch die Große Katastrophe – vermutlich einen Atomkrieg – nicht kultischen, sondern sogar höchst religiösen Status erringt. Werden also all die Kathedralen im Staub versinken und nur die Begeisterung eines jungen Lesers für den Sieg des „Erben des Universums“ (Rhodans Beiname) sorgen? Der bittere Nachgeschmack lässt einem das Lachen im Halse steckenbleiben.

2) Joe Wehrle, jr.: Der Bandemar (1979)

Im Wald von Narbeke huschen kleine Wesen an Dunkeläugiges Reh vorüber, denn ein Sturm zieht auf. Sie bringt sich vor Wind und Regen in einem hohlen Baum in Sicherheit und schützt so ihre kostbare Ernte aus Klu-Wurzeln, die ihre Sippe dringend zum Überleben braucht.

Eine große Samenschote wird zur Öffnung hereingeweht, und heraus springt ein einäugiger Bandemar. Der Gnom ist für seine Frechheit bekannt, aber auch für seine Gier nach allem, was glänzt. Er hat es auf den blauen Edelstein in Rehs Ohranhänger abgesehen. Sie wechseln kein Wort, denn Reh weiß, dass Bandemars nicht sprechen können.

Kaum ist der Sturm abgeflaut, steht Reh vor der Aufgabe, ihren Weg durch den Wald zu finden. Statt loszugehen, fällt sie unvermittelt in Schlaf. Als sie Sekunden später erwacht, fehlt ihr der blaue Edelstein. Den hat jetzt der Bandemar, und er steckt ihn sich in die leere Augenhöhle. Kann er sie jetzt gefälligst zu ihrem Dorf führen?

Mein Eindruck

Die kleine Fantasygeschichte mangelt es weder an Einfallsreichtum noch an Witz. Unklar bleibt lediglich, warum es diese Geschichte in einen SF-Reader geschafft – oder verschlagen – hat. Gut möglich, dass der Hintergrund auch dieser Erzählung einer des Post-Holocaust ist, so wie in „Objekt der Verehrung“.

3) George R.R. Martin: Bitterblumen (1977)

Die 16-jährige Shawn versucht ihren Vater/Bruder/Liebhaber Lane zu begraben. Er ist ein Opfer der Vampire geworden. Doch der Boden auf dieser kalten Welt ist besonders im Tiefwinter hart wie Stahl, und so kann sie ihn beschämt nur mit dem Holz ihres Unterstandes bedecken – nicht genug Schutz vor den Windwölfen und Vampiren ihrer Welt.

Zwei Wochen dürfte sie für den Rückweg nach Carinhall, ihrem Dorf, brauchen. Ihre Vorräte reichen aber längst nicht so lange. Sie will bereits mit ihrem Leben abschließen, als sie ein helles Licht vom Himmel herabschießen sieht. Sie folgt seiner Spur vorsichtig, stets auf der Hut vor den geflügelten Blutsaugern. Vor dem dreibeinigen, tropfenförmigen Metallgebilde, das sie schließlich erblickt, wächst eine hellblaue Blume. Doch dieses ungewöhnliche Gewächs lässt sich nicht aus dem Boden ziehen. Als ein Vampir schließlich Shawn angreift, wird er vom Schuss einer anderen Waffe getroffen. Shawn verliert das Bewusstsein.

Shawn erwacht im Inneren des dreibeinigen Gebildes auf einem weißen Bett, entkleidet von einer freundlich dreinblickenden Frau, die ihren Namen zu kennen scheint: Shawn aus Carinhall. Sie selbst nennt sich Morgan und eine Zauberin. Sie mag freundlich lächeln, doch nach einer Weile erinnert sich Shawn an eine schlimme Geschichte, die sie einmal hörte: Morgan habe einmal eine Sippe mit Essen aus Träumen und Luft ernährt, bis alle verhungert waren.

Doch Morgan, die freundliche Zauberin, erstickt ihren Protest und zeigt ihr Wunder über Wunder, die alle in einem großen Fenster in der Wand erscheinen. Fremde Welten, fremde Völker, interessante Leute, faszinierende Geschichten. Beinahe ist Shawn versucht, der Zauberin Vertrauen zu schenken. Bis die Sache mit den Bitterblumen, die Shawn draußen vor dem Schiff erblickt hatte, eine fatale Unstimmigkeit offenbart…

Mein Eindruck

Auf den ersten Blick scheint „Bitterblumen“ die scheinbar einfache Story einer Verführung und der Gegenüberstellung zweier gegensätzlicher Frauenfiguren zu sein. Doch viele Dinge bleiben ungesagt. Shawn etwa ist vollständig in ihre Sippe eingebettet und kann ohne sie nicht existieren. Dass sie ihren nächsten Blutsverwandten zum Liebhaber hat, verrät uns, dass der Genpool der Sippe inzwischen derart klein geworden ist, dass Inzest zur Regel erhoben worden ist. Wie lange dies in gesundheitlicher Hinsicht gutgehen kann, steht auf einem anderen Blatt.

Außerdem ist Shawn – jede Shawn – der Göttin Carin versprochen, die in Carinhall verehrt wird. So gelingt es Morgan, der Sternfahrerin, auf Shawn Anspruch zu erheben. Sie sei die Stellvertreterin Carins. Außerdem verdankt Shawn ihr das Leben. Morgan ist sehr von sich eingenommen, obwohl sie sich als Einzelgängerin nur auf die Funktionsfähigkeit ihrer „magischen“ Technik verlassen kann. Sie kennt bestimmt Arthur C. Clarkes Axiom, demzufolge „jede genügend fortgeschrittene Technologie nicht von Magie unterschieden werden kann“. Mit ihrer magischen Technik und den Geschichten von fernen Welten, wo ihre Freunde leben, verführt sie Shawn. Diese ist schließlich versucht, ihr Leben in Morgans Hände zu legen und ihre Eiswelt zu verlassen.

Doch es verläuft ein feiner Riss zwischen der trügerisch magischen Technik und der Realität. Das Trugbild, das Morgan errichtet hat, bekommt durch das Auftauchen der Bitterblumen Risse und wird als solches erkennbar. (Ich verrate nicht, was der Clou daran ist.) Shawn kehrt erstarkt mit viel Glück zu ihrer Sippe zurück und baut dort vieles wieder auf, was am Rande des Ersterbens gelegen hatte. Sie muss allerdings den Ältesten davon überzeugen, dass nicht alles, was sie erzählt, erstunken und erlogen ist. Als Beweis hat sie die Bitterblumen. Die Geschichte endet also gut – und mit einer ironischen Pointe.

Letzten Endes geht es um die erneute Frage, ob es sich lohnt, die Sterne zu befahren, wenn doch die Erde so viel wichtigere Aufgaben bereithält. Und wir erfahren von zahlreichen Gestalten und Namen, die auch in anderen Martin-Erzählungen auftreten. Somit stellt „Bitterblumen“ einen wichtigen Baustein in Martins Future History dar.

4) Vernor Vinge: Mit der Sünde geboren (Original Sin, 1972)

Der Planet Shiman ist seit 200 Jahren von der Erde aus missioniert worden. Aus den gefräßigen Shimanern, die nur einen Lebenszyklus von zwei bis drei Jahren haben, ist eine kooperative Überbevölkerung von 30 Milliarden Individuen geworden, die sich nicht mehr gegenseitig auffressen und ausrotten. Nun haben sie es binnen zweier Jahrhunderte von der Steinzeit zum Dampfzeitalter gebracht. Kein Wunder, dass die Erdregierung über den Planeten Quarantäne verhängt hat, um durch das Unterbinden des Knowhow- und Techniktransfers den Ausbruch der Shimaner von ihrem Planeten ins Imperium zu verhindern.

Samuelson Enterprises ist es jedoch kürzlich gelungen, den Wissenschaftlicher Hjalmar Kekkonen einzuschmuggeln, der den Shimanern einiges über Chemie und Raketenantrieb erzählt hat. Heute lernt er die Polizeioffizierin Tsumo kennen, die sich hat bestechen lassen (für eine fürstliche Summe), Kekkonen durchzulassen. Die Frist sei jedoch abgelaufen, warnt Tsumo: Die Erdpolizei sei im Anflug. Kekkonen müsse sofort mitkommen. Doch erst als ihr shimanischer Fahrer Sirbat sein Gebiss entblößt und die Lage genauer erklärt, rafft sich Kekkonen auf und geht mit.

In einer Kirche sollen Kekkonen und Tsumo ein erstes Versteck bekommen, doch in einer nahen Schule sind shimanische Schüler ausgebrochen und suchen nun etwas Fressbares. Und was wäre leckerer als frisches Menschenfleisch?

Mein Eindruck

Der Autor zeigt diesmal eine Spezies, die noch raubtierhaftere Züge trägt als der Mensch selbst. Die Notlage, in der Kekkonen sich unvermittelt wiederfindet, führt ihm deutlich vor Augen, was passieren würde, wenn er weiter hülfe, den Shimanern zur Raumfahrt zu verhelfen. Die Bedrohung besteht nicht in wirtschaftlicher, sondern in biologischer Hinsicht: Die Shimaner würden die Menschen der Erde einfach als Speisekammer benutzen.

Die Ironie bei der Sache liegt im Transfer der Religion. Die ausgebildeten, also missionierten Shimaner sind Christen und sollten eigentlich ihren Nächsten lieben statt ihn aufzufressen. Leider macht den Shimanern ihre Natur einen Strich durch die Rechnung: Am Ende ihres Lebenszyklus müssen sie ihre tausenden von kleinen Babys irgendwo zur Welt bringen, und sobald sich die Babys durch den Elter hindurchgefressen haben, gehen sie sofort auf Nahrungssuche. Da hilft auch das beste Christentum nichts. Es ist das, was die Bibel unter „Erbsünde“ (original sin, siehe den O-Titel) versteht.

Die Story wechselt ab zwischen Actionszenen und nachdenklichen Einlagen, in denen Tsumo ihren Schützling darüber belehrt, welche Gefahr die Shimaner in Wahrheit darstellen. Die Wirklichkeit des Angriffs bringt ihn zur Vernunft – die Belohnung von Samuelson Enterprises lässt er lieber sausen, solange er noch in einem Stück ist.

5) Richard D. Nolane: Proteine stinken nicht (Les protéines n’ont pas d’odeur, 1979)

Nach dem Großen Krieg steht es mit der Sicherheit in der Republik Kalifornien nicht zum Besten. Der Leichenwagen, der über die Berge nach Raindrop City unterwegs ist, hat eine Panzerung und Bewaffnung wie ein Schlachtschiff. Grund für diese Maßnahme sind die Leichendiebe, die ausgehungert am Wegesrand lauern: Fleisch im Wert von 5000 Dollar lockt sie an.

Der Leichenwagen, den Jeff, der Kommandeur, lenkt, fährt mit Dampf, denn das Benzin ist weltweit längst ausgegangen. Und dieser Dampf gerät auf dem Pass, den Jeff überwinden muss, an seine Grenzen. Prompt eröffnen Leichendiebe das Feuer. „Mehr Dampf!“ befielt Jeff seinem Heizer. Es geht jetzt bergab. Er erspäht zwei weitere Geländewagen, die weiter vorne am Hang Fahrt aufnehmen. Es kommt zu einem Gefecht, in dessen Verlauf Joan, die M-Schützen und Geliebte Jeffs, in den Kopf getroffen wird. Riesensauerei! Aber da muss man durch.

Doch auf dem Friedhof von Raindrop City wartet eine weitere böse Überraschung. Die Kunden können oder wollen nicht zahlen. Gut, dass es eine Alternative gibt: die Leichendiebe. Und statt nur einer Leiche kann ihnen Jeff nun zwei anbieten. Man muss eben sehen, wo man bleibt. Die Proteine stinken nicht…

Mein Eindruck

Die Story liest wie ein „bande dessinée“, wie Comics in Frankreich heißen. Dementsprechend holzschnittartig ist die Charakterzeichnung von Jeff und Joan, den Hauptfiguren. Die Handlung selbst reicht gerade mal für fünf Minuten Action, danach kommt die Pointe – in tiefstem Schwarz. Der Titel bezieht sich auf die römische Redensart „Geld stinkt nicht“ (pecunia non olet). Der Leichenfahrer macht sie sich offensichtlich zueigen.

6) Georges Hausemer: Landung in 10 Phasen (1981)

Der Beobachter, ein kleiner Postbote mit Familie, erwartet das Kommen des Fremden in seinem Mietshaus. Er hält mit seinem Fernglas nach ihm Ausschau, das sogar nachts Bilder liefert, so wie jetzt. Das besondere an dem Fremden: Anstelle von Fingern hat er Saugnäpfe und auf dem Kopf trägt er Antennen. Was das angeht, so bemerkt der Postbote an seinem Hinterkopf metallische Verdickungen. Sie wachsen sich aus und werden zu Antennen. Die Finger verschwinden und werden zu Saugnäpfen. Da erscheint endlich der Fremde. Zusammen machen sie sich auf den, wohin auch immer.

Mein Eindruck

Eine Alien-Invasion der ganz anderen Art: Der vom Fremden Besuchte hat sich dessen Aussehen bereits angepasst, bevor dieser noch erschienen ist. Folglich wird ein Großteil der Geschichte im Futur erzählt, ein Tempus, das man in der Zukunftsliteratur nicht allzu häufig vorfindet – meist wird im althergebrachten Präteritum erzählt, also in der Vergangenheitsform. Eine mögliche Deutung: Schon die Erwartung des Erscheinens des Fremden führt zu einer Verformung und Angleichung des Beobachters, sozusagen als psychologischer (außen = innen!) Quanteneffekt der Verschränkung. Mich hat die Geschichte mit ihrer phantasmagorischen Transformation eher an die Cartoons von Gahan Wilson erinnert.

7) Robert P. Holdstock: Auf der Innenseite (On the inside, 1976)

Der Beamte Andrew Quinn lebt im London des 23. Jahrhunderts in einer kleinen Wohnung, in der ihn allnächtlich Albträume heimsuchen. In ihnen ist er ein anderer. Heute erwacht er, erweist seinen in den Mumienschränken verstauten Ahnen die Reverenz und geht zur Arbeit. Mittagspause: Jedem Bürger dieses Kirchenstaates ist täglich nur eine halbe Stunde Freizeit im Park erlaubt, und die nimmt er mit seinem Passierschein wahr. Er geht immer zum gleichen Baum, denn beim Betreten des Parks überkommt ihn ein unerklärlicher Zwang, dorthin zu gehen und in der Höhlung eines Baumes nach dem Tagebuch zu greifen.

Darin hält er fest, was er erlebt. Eines Tages findet er den Eintrag des anderen darin. Der nennt sich Burton und fragt nach den anderen seiner Mannschaft, nach Stormaway, Pearson und so weiter. Sie waren sechs Astronauten, die auf einer Fernerkundung zum nächsten Fixstern Proxima Centauri flogen, um dort Siedlerwelten zu suchen. Als sie keine fanden, flogen sie zurück. „Aber was passierte bei der Annäherung an die Erde?“, fragt Burton. Quinn weiß es natürlich nicht.

Es dauert nicht lange, bis Burton seinen geistigen Wirt Quinn übernimmt und beginnt, Stormaway zu suchen. Er ist im Tagebuch auf den Namen „Farmer“ gestoßen. An dessen Adresse wird er erst einmal niedergeschlagen und befragt, wer dieser andere sei, der ihm, Farmer, ständig diese Albträume und Visionen verursache. Indem Burton Farmer überlistet, gelingt es ihm, dessen geistigen Gast Stormaway zum Sieg über Farmer zu verhelfen. Endlich können die beiden ehemaligen Astronauten zusammen Pläne schmieden. Die wichtigste Frage lautet natürlich: Wer hat ihre Seelen überhaupt in diese Wirtskörper übertragen – und zu welchem Zweck?

Mein Eindruck

Hier verknüpft Holdstock die Inner-Space-Story von den geistigen Gästen und Wirten mit der Outer-Space-Story von der Expedition nach Proxima Centauri. Doch zunächst ahnt der Leser nichts von dem, was auf ihn zukommt, genauso wenig wie Quinn weiß, dass er schon bald nicht mehr geistig existieren wird. Wie sich herausstellt, gibt es einen Verbindungsmann, der den Ex-Astronauten einige Erklärungen liefert, sich dabei aber wie ein Geheimagent verhält.

Denn der gesellschaftliche Hintergrund ist ein entscheidender Grund dafür, dass die Rückkehrer überhaupt heruntergeladen und in Wirtskörper gesteckt wurden. Die Kirche ist allmächtig geworden und hat einen Gottesstaat errichtet, der streng über die Gedanken und Taten seiner Untertanen wacht. Die Arbeitsbelastung der Angestellten, etwa von Quinn, ist enorm hoch, das Leben total reglementiert. Kämen nun Menschen aus einer früheren Zeit – aufgrund der relativistischen Zeitdehnung handelt es sich um Jahrhunderte – zurück zur Erde, käme es zu schweren Komplikationen. Nur die Untergrundorganisation kann das Leben der Rückkehrer bewahren. Doch um einen Preis.

Der Leser muss sich auf die Geschichte einlassen und sich seinen eigenen Reim darauf machen. Leider habe ich mich am Schluss nicht besonders für meine Geduld belohnt gefühlt, denn so etwas wie einen Knalleffekt gibt es hier nicht. Schade, denn so habe ich die Story gleich wieder vergessen.

8) Dietrich Wachler: Archaeopteryx (1981)

Der Erzähler ist vor den Menschen in die Wildnis geflüchtet. Er lebt am Fluss und wird zum Freund der Fische. In einer Holzhütte, der er, wie er annimmt, an einem See gebaut hat, verwandelt er sich in ein Wassertier. Er bildet Schwimmhäute und ein Fell aus, so dass er sowohl an Land als auch unter Wasser leben kann. Unter Wasser fängt er natürlich Fische und wird ein Gott, vor dem sie fliehen.

Der Wandertrieb überkommt ihn. Er will sehen, was sich auf der anderen Seite des Berges befindet, der jenseits des Sees aus dem Wald emporragt. Doch als er sich auf halber Höhe befindet, ertönen dumpfe Schläge, die lauter werden und näher kommen. Schließlich stürzt der halbe Berg ein und Felsen begraben unseren Erzähler unter sich.

Er erwacht nach einer Weile, doch ihm bietet sich ein Bild der Zerstörung: Der schöne See ist zugeschüttet und eine Schlammpfütze. Die Hütte besteht nur noch durcheinandergeworfenen Balken. Dennoch sind da zwei der verhassten Zweibeiner. Der eine will ihn erschießen, der andere mit einem Netz einfangen. Er will nicht in einem Zoo ausgestellt werden und verjagt beide mit seinem Gebrüll. Höchste Zeit, sich in einen Vogel zu verwandeln und den Himmel zu erkunden. Denn eines ist ihm jetzt klargeworden: Er ist der letzte Zeuge dessen, was einmal Menschenland war…

Mein Eindruck

Der Erzähler vollzieht als Wassertier die Wandlungen der Säugetiere nach, bis er schließlich durch eine Katastrophe, die ein Atomschlag sein könnte, zur Fortsetzung seiner Evolution in Schnellvorlauf gezwungen wird. Die Parallele zu den Sauriern, die von einem Meteoriteneinschlag und seinen verheerenden Folgen (nuklearer Winter usw.) ausgerottet wurden, liegt auf der Hand.

Es gibt jedoch einen Unterschied: Das Wesen, das sich zum Archaeopteryx verwandelt, vermag von einer Zeit zu erzählen, als der Mensch über die Erde herrschte. Diese Zeit ist – dank eines Atomkriegs – vorüber. Nun ist er der letzte Zeuge, falls man ihn noch als menschlich erkennen kann… Merkwürdig ist nur, dass er nicht an der Strahlenkrankheit leidet, die durch den Fall-out erzeugt werden würde. Aber vielleicht hat ihn ja der Berg davor geschützt.

9) Michael Morgental: Späte La-Tène-Zeit (1981)

Fünf Studenten unterhalten sich im Biergarten ihrer Uni-Stadt über Zeitreisen, als ein älterer Herr sich zu ihnen setzt, um sie energisch zu einer echten Zeitreise einzuladen. Unter den Studenten ist auch der weitgereiste Charly, von dem unser Chronist, sein bester Freund, berichtet. Charly und zwei seiner Kommilitonen nehmen die Einladung zur Zeitreise an und treffen den Mann abends an der Statue von Albertus Magnus, der hier einst Bischof war.

Der Mann führt sie sie in ein überraschend modern eingerichtetes Apartment, auf dessen Klingel der Name „Trittheimer“ steht. Zwischen Bücherwänden ist gerade noch Platz für vier Personen, ein Räucherbecken und einen Gong. Der Übertritt in die andere Zeit ist eine Sache von Minuten – oder waren es Stunden? Charly ist nicht sicher. Fest steht nur, dass die Szenerie, die jetzt vor dem Fenstervorhang zu sehen ist, keinesfalls die gute alte Uni-Stadt ist, sondern pure Wildnis…

Mein Eindruck

Eigentlich sollte Charly nur erklären, wie er den kostbaren alten Dolch verloren hat, dessen Fehlen unser Chronist bemerkt. Aber die Geschichte, die Charly als Erklärung auftischt, ist wirklich so unglaublich, dass sie schon wieder stimmen kann. Und schließlich hat Charly unter den merkwürdigsten Umständen seinen geliebten Dolch wiedergefunden: im Historischen Museum, wo er als Prunkstück der Ausstellung gezeigt wird. Wie der Direktor gerne erläutert, belege der Fund dieses Dolch aus dem Gebiet des Van-Sees in der hinteren Türkei, dass es schon damals, in der späten Keltenzeit weitereichende Handelsbeziehungen usw. usf. gegeben habe.

Mithin verbindet der Autor durch seine sehr anschaulich erzählte Story das Motiv der Zeitreise mit einer Satire auf die Geschichtswissenschaft. Die zeitreise selbst funktioniert wie bei Jack Finney („Am anderen Ufer der Zeit“, 1970) und anderen Autoren durch psychologische Einstimmung an die Zielzeit. Der Herausgeber Jeschke hat solche Geschichten bevorzugt gesammelt und veröffentlicht, ja, sogar zwei entsprechende Anthologien in der Heyne SF-Bibliothek publiziert: „Zielzeit“ und „Die Fußangeln der Zeit“ (siehe meine Berichte).

10) Jörn J. Bambeck: Das Interview (1981)

Dirk Holger ist ein Deutscher, der in den USA eigentlich als Musikdirigent arbeitet und sich auf dem Gebiet Musikgeschichte bestens auskennt. Deshalb schreibt er inzwischen auch ausgezeichnete Musikkritiken. Dennoch bittet ihn der Chefredakteur der „Morning Post“ darum, noch am gleichen Tag ein Interview mit einem amerikanischen Kandidaten für den Nobelpreis in ASTRONOMIE führen. Holger kennt sich damit überhaupt nicht aus, sondern denkt allenfalls an Gustav Holsts Suite „Die Planeten“. Weil er der Notnagel ist, schlägt er das Dreifache des üblichen Honorars heraus, macht sich auf die Socken zum Riverside Park und klingt an Robert Lukeys Haus.

Angesichts der Aussicht, ein Viertel der Nobelpreissumme einheimsen dafür zu dürfen, dass er, zusammen mit drei anderen, einen neuen Planeten entdeckt hat, wirkt Lukey jedoch wenig begeistert, ziemlich abgelenkt und antwortet obendrein ausweichend. Als das Telefon klingelt, ist Holger noch keinen Deut weitergekommen, wird aber ziemlich kurz angebunden hinausgeschickt. Immerhin bedingt er sich aus, nochmal anrufen zu dürfen.

Als Antje, die Frau seines Bruders, zu bekommt, erhält Holger endlich Aufklärung, warum das Interview gescheitert ist. Sie ist Psychologin und analysiert das Interview von Anfang bis Ende. Erstens sei dies nur ein Testlauf gewesen: Könne Lukey seinem Interviewer vertrauen? Und zweitens steckt etwas Privates dahinter, das Lukey daran hindert, mit der Wahrheit herauszurücken. Nachdem Holger auch noch ein Buch Lukeys über das Weltall gelesen hat, ist er in einer guten Position, eine zweite Chance zu erbitten. Er bekommt sie gewährt.

Diesmal lässt Lukey die Bombe platzen: Er habe den Planeten Vulkan, der jenseits des Pluto seine Bahn zieht, gar nicht selbst entdeckt, sondern vielmehr sei es sein Computer Idéfix gewesen. Der habe nur drei Jahre gebraucht für eine Aufgabe, an der Dutzende von Wissenschaftlern Jahrzehnte gerackert hätten. Und zweitens? Tja, und deshalb scheint Lukey entschlossen zu sein, den Nobelpreis abzulehnen! In diesem Moment betritt Lucille, Lukeys Frau, das Apartment. Sie ist strikt gegen die Ablehnung und scheint deshalb sehr aufgeregt zu sein, aber warum nur?

Nachdem er vom Chefredakteur das zehnfache Honorar herausgeschlagen hat, befolgt Holger endlich Antjes Rat und schlägt den Namen „Vulkan“, bzw. Vulcanus alias Hephaistos in der Mythologie nach. Au weia! Da ist von der Untreue der Frau des Hephaistos, Aphrodite, mit dem Kriegsgott die Rede. Noch übler ist das Detail, dass Hephaistos ein verkrüppeltes Kind ist, das die pingelige Zeug-gattin Hera aus dem Olymp in die Unterwelt zu Pluto (!) verbannt hatte. Wenn auch nur eine dieser Parallelen zuträfe, so wäre das der Oberhammer.

Aber Holger weiß immer noch nicht den Grund, warum Lukey den neuen Planeten ausgerechnet Vulkan genannt hat. Er braucht unbedingt ein drittes Interview. Doch bevor es dazu kommen kann, verrät Lukeys Assistent Mike McClusky, dass Lukey einen weiteren Himmelskörper entdeckt habe. Dass Mike mit Lucille ein Verhältnis hat, entdeckt Holger ebenfalls zu seinem Leidwesen. Ist diesem Mike zu trauen?

Was Lukey in seinem dritten Interview enthüllt, lässt vor Horror alle Sorgen verblassen: Der Erde bleiben nur noch 18 Monate „Lebenszeit“…

Mein Eindruck

Die routiniert erzählte Geschichte dreht sich beileibe nicht nur um ein Interview, sondern letzten Endes um das Ende der Welt. Das passt zum Generalthema der letzten Beiträge in diesem Band. Gekonnt dreht der Autor mit jedem Interview, das sein Protagonist führt, die Schraube der Spannung weiter. Dass das private Szenario genau zum Vulcanus-Mythos, verwundert nicht, denn Lukey hat den Mythos ja selbst durch seine Namensgebung des neuen Himmelskörpers herbeibeschworen – nicht ohne Grunde, wie Antje ahnt und Holger bestätigt findet.

Am Schluss wird dem Interviewer klar, dass Lukey nicht nur einen, sondern sogar zwei Gründe hat, den Nobelpreis nicht anzunehmen: Erstens hat er Vulkan nicht selbst entdeckt, zweitens will er auch nicht die wahre Natur des nahenden Himmelskörpers enthüllen müssen – was ja bei der Verleihungszeremonie des Nobelpreises unvermeidlich wäre. Nun überlässt er es perfiderweise seinem Interviewer, die Schreckensnachricht zu verbreiten – oder sie zu unterdrücken. Der Leser könnte sich fragen, wie er oder sie in einem solchen Fall entscheiden würde. Darf man die Welt wirklich von heute auf morgen ins Chaos stürzen?

11) Wolf von Barloewen: Das Steigen / Das Fallen (1981)

In „Das Steigen“ wird beschrieben, was ein Mann erleben kann, der mit dem Ballon in die Stratosphäre aufsteigt. Nämlich nichts Gutes. In „Das Fallen“ wird beschrieben, was ein Mann erleben kann, der mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug springt, gerademal 2 km über dem Boden. Auch nichts Gutes.

Mein Eindruck

Die Belanglosigkeit dieser zwei lyrischen Texte wird nur durch den ärger übertroffen, den man heutzutage empfindet, wenn ein Autor „weiblich ermattet“ schreibt und so alle Frauen abwertet, dagegen alle Männer, die ja „stark“ und „aufrecht“ sind, aufwertet. Schade, dass es 1981 noch keine #MeToo-Bewegung gab.

12) Curd Paetzke: Die Reise nach Cleveland oder Der böse Traum (1981)

Ein Geschäftsmann fliegt nach einem erfolgreichen Vertragsabschluss mit seinem Privatjet von New York City nach Cleveland. Der Pilot beruhigt ihn: Es sei noch zeit für ein Nickerchen. Doch bald darauf weckt ihn aufgeregt und macht ihn auf ein riesiges UFO aufmerksam, das vor den Fenstern schwebt und alles in rotes Licht taucht. Plötzlich scheint das Gesicht des Piloten zu schmelzen und sich in den Schädel eines Totenkopfes zu verwandeln.

Von Grauen gepackt, erwacht der Geschäftsmann aus seinem Alptraum. Da stürzt der Pilot auf ihn zu, um ihm das riesige UFO zu zeigen, das vor den Fenstern schwebt und alles in rotes Licht taucht. Das Gesicht des Piloten beginnt zu schmelzen…

Mein Eindruck

Zunächst wirkt die Geschichte wie tausend andere UFO-Stories zuvor, doch dann erhält sie einen Horror-Twist, der einer Vorwegnahme des Horrors folgt. Kaum hat der Leser erleichtert aufgeatmet, beginnt der Horror von Neuem und er weiß, wie übel es wird. Ein netter Trick, dem aber die altertümliche Sprache nicht ganz angemessen ist. Gut möglich, dass der Autor der ersten Generation von PERRY-RHODAN-Autoren angehört hat (unter einem Pseudonym, wie es Usus war?).

13) Thomas F. Monteleone: Der Quacksalber (Curandeiro, 1976)

In Brasiliens Bundesstaat Mina Gerais praktiziert ein gewöhnlicher Landarbeiter auf höchst ungewöhnliche Weise als Chirurg. Manche nennen ihn einen Quacksalber oder gar Kurpfuscher, weil er seine Patienten weder betäubt, wenn er sie operiert, noch desinfiziert er seine Instrumente. Der wahre Grund für die Kritik ist allerdings, dass er kein Honorar nimmt. Das verdirbt die Preise und drängt andere Chirurgen aus dem Geschäft. Sogar deutsche Journalisten wie Herr Bergmann wohnen solchen Operationen bei, können sich aber keinen Reim darauf machen. Eine Krebs-Operation ohne Anästhesie – wie soll das gehen? Und doch haben sie es gesehen.

Der Deutsche will Musante interviewen, doch der lässt ihn abblitzen. Musante, der als Amerikaner auftritt, hat andere, wichtigere Dinge zu tun. Er arbeitet für den Geheimdienst der humanoiden Aliens, deren Schiff sich hinter dem Asteroiden Ikarus versteckt. Sein Funkgerät ist Extraklasse. Seine Mission lautet, einen flüchtigen Verbrecher namens B’jorg gefangenzunehmen und den Behörden zu übergeben. B’jorg ist ein telepathischer Telekinet und missachtet das Gebot, die Schwachen und kranken auszumerzen oder wenigstens ihrem Schicksal zu überlassen. Musante hält es für möglich, dass B’jorg Dario fernsteuert.

Um dies herauszufinden, interviewt Musante Dario im Kreise seiner Familie. Dario behauptet, den Geist eines französischen Arztes namens René Moreau zu empfangen, versteht aber dessen Sprache nicht einmal. Um den Fall zu klären, bittet Musante, Darios Operationen filmen zu dürfen. Dario willigt ein. Doch die Kamera ist ein Detektor, und als B’jorg Dario bei einer Operation fernsteuert, kann Musante ihn aufspüren: Er hat sich in den Bergen versteckt.

Auf der Fahrt dorthin rettet Musante einem kleinen Mädchen, dessen Vater mit seinem Auto verunglückt, das Leben, indem er es zu Dario bringt. Warum hat er das getan? Es ist ein klarer Verstoß gegen die heimatlichen Gesetze. Als er in den bergen anlangt und B’jorgs Raumschiff entdeckt, muss er feststellen, dass ihm der deutsche Journalist unbemerkt gefolgt ist. Und weil B’jorg Wachroboter aufgestellt hat, die ihn schützen, verläuft die beabsichtigte Festnahme ganz anders als geplant…

Mein Eindruck

Musante muss sich zwischen zwei Wertesystemen entscheiden, nämlich dem seiner Heimat und dem der Erde, das von B’jorg geteilt wird. Weil B’jorg ein Verbrecher ist, beginge Musante ebenfalls ein doppeltes Verbrechen, wenn er ihn a) verschonen und b) das Wertesystem der Erde übernehmen würde. Es ist hilfreich, dass B’jorg sich in einer relativ hilflosen Lage befindet: Sein Körper ist seit der Bruchlandung in den bergen gelähmt, doch sein telepathischer Geist ist stark wie eh und je. Seinen Körper zu töten, wäre also ziemlich ehrlos. Das sieht aber Musantes Vorgesetzter Halgian etwas anders…

Der dreiseitige Konflikt (der Deutsche spielt keine Rolle) ist geschickt eingefädelt und die Lösung spannend ausgeführt. Die Beschreibung der Umgebung ist stimmig, aber die der Landbevölkerung heute, rund 45 Jahre später, wohl nicht mehr vertretbar. Jedenfalls steht zu hoffen, dass die Leute auf dem Land bessere Doktoren haben als einen Typen, der Lebertumore ohne Betäubung herausschneidet.

14) Hermann Jauk: In der Versuchsanstalt (1979)

Karl lässt sich mit einer Gruppe durch die Versuchsanstalt führen, die nahe einer Ölraffinerie erbaut worden ist. Der Leiter der Anstalt erläutert, was hier gemacht wird. Hier werde der Mensch der Zukunft gezüchtet, der sowohl chemie- als auch strahlenresistent sein werde. Das „Versuchsgut“ werde zu diesem Zweck vorher einer bislang für giftig gehaltenen Umwelt ausgesetzt, also voller chemischer Aerosole und einer erhöhten Strahlendosis. Das sei nun mal die Umwelt der Zukunft.

Am meisten setzt Karl die Sektion zu, in der der Sauerstoffgehalt nur noch 60 Prozent des üblichen Gehalts beträgt. Atemnot, Husten, Schwindelanfälle und Schweißausbrüche sind die Folge. Erleichterung, als die Ausgangssektion normale Luft enthält. Als er zu seinem Auto geht, erinnert sich Karl, was der Leiter über Flora und Fauna der Zukunft gesagt hatte: Sie müssen eliminiert werden. Denn künftig werde der Chemienebel selbst zur Nahrungsgewinnung dienen. Na, prost. Als er die schwarzen Kondensationstropfen von der Windschutzscheibe seines Wagens vergeblich abkratzen will, ahnt Karl, dass die Zukunft bereits begonnen hat.

Mein Eindruck

Dieser simple Gang durch die Versuchsanstalt, in der die nächste Generation der Menschheit herangezüchtet werden, kann einem kalte Schauer über den Rücken jagen. Wenn man allerdings ein wenig darüber nachdenkt und die Methoden prüft, kommen Zweifel auf. Die „Abhärtung“ zu chemieresistenten und strahlenresistenten Wesen beruht auf der Annahme, dass die Gene diese Anpassung weitergeben. Das ist purer Lamarck (ja, sogar Mengele) und nicht etwa Darwin. Letzter käme zum Zuge, wenn die Versuchswesen – möglichst systematisch – Kinder zeugen würden und diese die nötige Überlebensfähigkeit erwerben und weitervererben würden.

Was uns der Autor verschweigt, ist also das, was die Nazis in den Einrichtungen des Lebensborns vornahmen: Züchtung „arischer“ Nachkommen. Manche dieser damals von Schnittstellen-Männern gezeugten Kinder leben noch. Die hätte der Autor mal vor 40 Jahren fragen sollen, wie damals in den besetzten Gebieten die Mütter ausgewählt wurden… Dass der Text satirisch überspitzt gemeint ist, dürfte auf der Hand liegen. Der Autor prangert die fortschreitende Umweltzerstörung an, die aber schon zehn Jahre zuvor, also 1969, vom Club of Rome Report festgestellt und prophezeit worden war.

15) Richard Radssat: Satania (1981)

Es begann im September, als das „Polenvolk“ überfallen wurde, ein Opfer der „Hirn-Digitale der Politiker“. Doch es endete in „Bombentonnen“, „Flammentatzen“ aus dem Himmel und gefledderten Flüchtlingstrecks. Fazit: Heute wie damals sind die Grenzen von Satania unendlich.

Mein Eindruck

Deutlich bezieht sich der Autor, dessen Nationalität wie die der anderen nicht genannt wird (das ändert sich erst später in den Readern), auf den Zweiten Weltkrieg und dessen schreckliche Folgen für die Millionen Opfer auf allen Kontinenten. Dabei wird der Holocaust an den Juden etc. an keiner Stelle genannt, sondern lediglich die Tat des Angriffs und anschließender Zerstörung von Objekten und der Vernichtung von Menschenleben als „Satania“ bezeichnet.

Die Bildsprache ist eindrucksvoll, nachvollziehbar und angemessen. So verfehlt der Text seine Wirkung nicht. Wer sich fragt, was denn hier „SF-mäßig“ sei, der wird am Schluss darauf aufmerksam gemacht, dass die grenzen von „Satania“ weder in Raum noch in der Zeit gezogen sind. Folglich können die beschriebenen bzw. beschworenen Schrecken dieses Zustandes auch in der Zukunft wieder Realität werden.

16) Reinmar Cunis: Drei Wochen im September (1981)

„Krieg! Es herrscht Krieg!“ Siegfried Herbolsheimer, 47-jähriger Firmenmitbesitzer, packt seine dreiköpfige Familie in die vorbereitete Segeljacht und schippert aus Lübeck gen Schweden. Die ölfördernden Südbund-Staaten haben anno 1999 den ölkonsumierenden Nordstaaten eine Retourkutsche gegeben, den Ölhahn zugedreht und alle Ölvorrate im Norden in die Luft gejagt. Die Stromlosen Rechenzentren brechen zusammen. Die Nigger und Araber sollen bereits in München stehen, teilt er seiner geschickten Frau Elke mit.

Doch Herbolsheimer hat nicht mit den Maßnahmen gerechnet, die die NATO ergreifen würde. Die Flüchtlingsströme stauen sich zwar in Dänemark, die sie halbwegs freundlich aufnehmen, doch dann erklärt die NATO den kleinen Inselstaat zum militärischen Sperrgebiet, und alle Schiffe werden beschlagnahmt, darunter Herbolsheimers Jacht und eine schwedische Fähre voller deutscher Firmenarbeiter. Herbolsheimer versucht, Unterstützung zu erhalten und lässt seine Familie an Bord zurück. Doch das Chaos ist nicht aufzuhalten, sobald das Militär alle vertrieben hat.

Nicole Herbolsheimer, 16 Jahre alt und bislang sehr marxistisch-aufmüpfig eingestellt, erkennt endlich den Ernst ihrer Lage. Sie schließt sich Stefano Lati, 19, an, dem Sohn eines „Gastarbeiters“, doch er wird in Kopenhagen der Lagermiliz zugeteilt. Zwischen Plünderern, Banditen und Antimigranten-Terroristen gelingt es ihr und Stefano als letzte Passagiere das letzte Schiff nach Schweden zu besteigen. Jemand hat ihnen ein herrenloses Baby namens Mine anvertraut. „Wie ernährt man ein Baby?“, fragt sie Stefano, aber der weiß es auch nicht. Hinter ihnen bricht die Cholera aus…

Mein Eindruck

Der allgemeine Zusammenbruch der Zivilisation, der erfolgt, lange bevor noch der erste Feind in Sicht gerät, wird hier anschaulich und detailliert geschildert. Weil das Schicksal der Betroffenen an einzelnen Figuren wie etwa Nicole Herbolsheimer festgemacht wird, kann sich der Leser mit ihrem Schicksal identifizieren und wird von den rasch aufeinander folgenden Schicksalsschlägen angerührt.

Die rund 50 Seiten, deren Handlung für einen Roman ausgereicht hätte, sind allerdings derart stark komprimiert, dass sich das Maß der Plausibilität in grenzen hält. Das Innenleben der Figuren kommt fast gar nicht zum Tragen, daher steht die Action im Vordergrund. Ein besonders krasser Fall von Diskrepanz zwischen Innen- und Außenwelt stellt das Picknick der deutschen Flüchtlinge im dänischen Wald dar. Unter ihnen befindet sich Elke Herbolsheimer, die Hilfe bei einem deutschen Urlauberehepaar gefunden hat. Ein Picknick, das ahnt der Leser, ist so ungefähr die unangemessenste Tätigkeit, die sich unbewaffnete Flüchtlinge in dieser Gegend leisten können. Junge Banditen überfallen und massakrieren alle bis auf einen. Doch der deutsche Urlauber wird an jedem Haus abgewiesen und verreckt in einer Selbstschussanlage…

Diese packende Novelle ist das Vorspiel zu Cunis‘ ausgezeichnetem Roman „Wenn der Krebsbaum blüht“ (1987 bei Heyne SF), der rund 35 Jahre später spielt, aber in jenem Ort in Schweden, zu dem Nicole, Stefano und Mina unterwegs sind: Torsby in Värmland. Die Chronik am Schluss des Romans reicht von 1999, als die Ordnung in den nördlichen Staaten zusammenbricht, bis ins Jahr 2052.

Mancher kann sich fragen, ob dieses Szenario heute genauso realistisch wäre. Erneuerbare Energie würde doch den Ausfall des auffangen, oder? Leider ist dem nicht so, und so dürfte binnen weniger Tage ein kritisches System nach dem anderen zusammenbrechen – und die Kernkraftwerke schmelzen bzw. explodieren lassen. Die Folgen kennt man aus Tschernobyl und Fukushima.

17) Francois Camoin: Manche meiner Freunde sind Amerikaner (1980)

Michael Stein, der Chronist, lebt in den Vereinigten Staaten, die von den Arabern in eine islamische, sozialistische Republik umgewandelt worden sind. Das geschah, nachdem Präsident Grey 1988 die AKWs abschaltete und ermordet wurde. Seitdem werden alle Juden nach Oklahoma in KZs deportiert und Israel erobert. In den USA selbst will keiner mehr blond und blauäugig sein, dafür gibt es spezielle Färbemittel.

Der Polizeistaat des Ayatollah sorgt mit harter Hand und den Strafformen der Scharia dafür, dass verbrechen scharf geahndet werden. heute wohnt Michael Stein, der deutsche Vorfahren hat, einer Hinrichtung bei: Ein Jude wurde in der heiligen Stadt Brooklyn entdeckt und soll enthauptet werden. Berittene irische Polizisten vertreiben die Menge der Zuschauer. Im Durcheinander bringt Michael den Juden harry Landon in Sicherheit und sie werden Freunde.

Dass Harry Jude ist, erfährt er erst nach etlichen Wochen, denn so einfach traut man heute keiner Menschenseele mehr. Erst recht nicht Michael, dem man als überführtem Dieb die linke Hand abgehackt hat. Er hat stets Angst, auch die andere Hand zu verlieren – und somit auch seinen Job in einer Lagerverwaltung. Doch Ende Oktober passt er nicht auf, als er Harry wiedersieht. Er schnappt sich einen daliegenden verschrumpelten Apfel und isst ihn. Die Frucht gehört einem Jungen. Michael wird verurteilt werden, Harry nicht verraten und seine zweite Hand verlieren…

Mein Eindruck

In dieser Erzählung zeigt die Zukunftsliteratur, dass sie auch ziemlich bissig sein kann. Was wäre, wenn die Allianz zwischen Saudis und der US-Regierung dazu führen würde, dass die Amis von den Saudis abhängig würden und letztere die Macht übernähmen? Die Saudis praktizieren bekanntlich den wahhabitischen Islam, der zu den strengsten gehört: Die Scharia bildet die Rechtsgrundlage, Mullahs haben das Sagen. Dies würde auf die USA übertragen werden, und ein schiitischer Ayatollah wie im Iran wäre nur die oberste Instanz, quasi als Papst einer Theokratie.

Der Autor schildert Michael Steins Alltag und Schicksal mit großem Einfühlungsvermögen und eingehender Detailkenntnis. Den sozialistischen Alltag von der Sowjetunion auf die USA zu übertragen, bedarf keiner Mühe. Nein, es sind die Details, die stimmen. Die Story schockiert v.a. deshalb, weil fremde Systeme, die die USA bislang verpönen, auf das Land der Freiheit angewendet werden. Fortan fällt das einst stolze Land unter die Parias: Die Mexikaner lassen keinen Ami mehr über die Grenze und schießen ohne Vorwarnung.

Aber wozu wurde diese Story geschrieben? Ich denke, sie soll uns vor den repressiven Systemen warnen, die bislang in vielen islamischen Ländern existiert haben. Erst der Arabische Frühling hat es geschafft, Freiheiten zu erkämpfen, v.a. in Tunesien. Zum anderen bezieht sich die Warnung auf eine USA, die sich in zu große Abhängigkeit vom Öl der Saudis begeben hat. Dass die AKWs abgeschaltet wurden, wird als verhängnisvoller Fehler bewertet. Darin zeigt sich die Ideologie Frankreichs, wonach all die AKWs den Fortschritt des Landes sichern.

18) Wolfgang Jeschke: Dokumente über den Zustand des Landes vor der Verheerung (1981)

Man schreibt das Jahr 2436 im Jahre der Fleischwerdung Gottes, also genau 442 Jahre nach der „Verheerung des Landes“ anno 1994. Das „Land“ ist wieder auf frühmittelalterliches Niveau herabgesunken, nachdem Strom und Öl, Gas und Kohle sowie Medizin aufgebraucht worden sind. Lediglich Dampfkraft lässt sich noch erzeugen – mit Holz, versteht sich.

Ein kranker Pilger berichtet von einer neuen Seuche im Norden, als er in Österreich am Reschenpass eintrifft. Der Abt von Reschen weist ihm ein Quartier im abgelegenen Hungerturm zu, bei den Mutanten und vermutlich Kranken. Der Reisende namens Heike oder Haike, der von der Saar gekommen ist, hinterlässt ketzerische Schriften aus der Zeit vor der Verheerung. Diese Schriften stammen aus Garching bei München, erstellt von „Mäd saientists“, welche wenig später von Truppen des Bischofs von Freising niedergeworfen und in die Bergwerke von Salzburg verkauft wurden.

Mein Eindruck

Die Dokumente beschreiben, wie es dazu kommen konnte, dass ein mit biologischen Waffen geführter Krieg ausbrechen konnte. Sie beginnen 1972 mit den Vorhersagen und Warnungen des Club of Rome, konzentrieren sich aber auf das Jahr 1980, als die Umweltschutz- und Antiatom-Bewegungen zur Gründung der Grünen führen und extrapolieren dann einen Geschichtsverlauf, der in der Verheerung endet. Viele der Dokumente stammen aus SPIEGEL, ZEIT und VDI-Nachrichten, umfassen aber auch direkte Vorträge und Graffite, ja, sogar ein Zitat aus John Brunners Roman „Morgenwelt“.

Ist das wirklich eine Erzählung, fragt sich der Leser zu Recht. Die Auszeichnung mit dem Kurd-Laßwitz-Preis 1981 muss ja gerechtfertigt gewesen sein. Dazu ist eine Eigenleistung erforderlich. Diese besteht m.E. nicht nur in der Rahmenhandlung, sondern besonders auch in der Auswahl der Texte. Diese beleuchten Probleme wie Überbevölkerung, Energieversorgung (bes. Kriege ums Erdöl), Nahrungsmittel, Gentechnik, Nuklearenergie, Aufrüstung, Umweltverschmutzung usw., also alles Probleme, denen wir uns auch heute noch gegenübersehen, 30 Jahre danach.

Der Aufstieg der Informatik und der Massenkommunikation wird nur in Ansätzen registriert, aber immerhin. Das i-Tüpfelchen sind die letzten Texte, vorgebliche Reden von Amerikanern, die aus den neunziger Jahren datieren – und ergo erfunden sind. Darin lässt der Autor die Nutzung von Solarenergie, die von Weltraumspiegeln zur Erde geleitet wird, als unabdingbar bezeichnen – Stoff für eine Debatte.

Die Rahmenhandlung ist alles andere als skurril. Wenn die Kultur auf den strengkatholischen Glauben und dessen Diktate zurückfällt, dann hat das seinen guten Grund: Schutz und Segen erhoffen sich die wenigen Überlebenden. In dieser Hinsicht ähnelt die Rahmenhandlung Carl Amerys Bestseller „Der Untergang der Stadt Passau“ (siehe meinen Bericht) und Georg Zauners Roman „Die Enkel der Raketenbauer“ (zuletzt in „Das Auge des Phönix“).

Die Übersetzungen

Die meisten Übersetzungen der sieben Übersetzer sind in Ordnung. Aber da diese Anthologie bereits vor 40 Jahren erschien, ergibt sich die Notwendigkeit für ein paar Updates.

S. 143: „Pira[n]ya“: gemeint ist die gefräßige Fischart. Das N fehlt.

S. 161: „E[l]ine junge Frau…“: Das L ist überflüssig.

S. 200: „hiermit geeignete Mitarbeiter zu beauftragen“: Besser wäre es gewesen, „hierfür geeignete Mitarbeiter“ zu schreiben.

S. 209: Hier fehlt ein Wort, eigentlich sogar zwei. „einen Planeten von was weiß [ich] wie vielen Tausenden von Kilometern ((Durchmesser))…“

S. 232: „dass der Lebenswille langsam erlöscht.“ „Erlöscht“ kann man schreiben, sieht aber einfallslos aus, wenn man bedenkt, dass die korrekte Form „erlischt“ lautet.

S. 252: „der am meisten verschmähte Verbrecher seiner Zeit.“ Von wem verschmäht, etwa von den Frauen? Gemeint ist wohl der Ausdruck „geschmäht“, also „verflucht“.

S. 262: „im Gegen[t]eil“: Das T fehlt.

S. 265: „eine Feasibilitystudie“: Gemeint ist eine Machbarkeitsstudie. Hätte man auch gleich so schreiben können.

Die Illustrationen

Die Schwarzweiß-Zeichnungen stammen von Janos Fischer, der schon zuvor mehrere Story-Reader illustriert hatte. Manche Zeichnungen sind „realistisch“, andere eher expressiv bis surreal.

Unterm Strich

Diese 15. Anthologie mit internationalen Erzählungen (deren Erscheinungsbild später gründlich überarbeitet wurde) kann mehrere Generalthemen aufweisen, aber fast immer geht es um eine Ende: das der Welt, des Universums, einer Kultur, einer Ära. In Camoins Erzählung ist das Zeitalter der Pax Americana vorüber, und Jeschke beschreibt in seiner Chronik aus aktuellen und zuweilen fiktiven Zitaten eben diesen Umschwung voraussagt.

Dazu muss der heutige Leser wissen, dass 1980 mit dem Amtsantritt Ronald Reagans eine sehr harte Gangart im Kalten Krieg eingeschlagen wurde: NATO-Doppelbeschluss, Raketenstationierung in Deutschland, Protestmärsche allenthalben, auch gegen geplante AKWs (Brokdorf) und Endlagerstätten (Wackersdorf). Halb Deutschland war in Aufruhr, und mitten darin versucht dieser Story-Reader seine Stimme zu erheben.

Aber der Herausgeber wird an keiner Stelle polemisch, auch nicht in seinem eigenen Beitrag (der auf der Frankfurter Buchmesse separat als Pamphlet verteilt wurde). Er lässt die Autoren sprechen und das Menetekel an die Wand malen. Jörn Bambeck sagt den Weltuntergang voraus, raffiniert kaschiert in einem „Interview“. Reinmar Cunis lässt uns den Zusammenbruch der mitteleuropäischen Zivilisation hautnah „Drei Wochen im September“ miterleben. Und H. Jauk bereitet die Versuchswesen schon auf die Phase vor, die uns durch vergiftete und verstrahlte Luft das Leben schwer machen dürfte.

Eine ganze Reihe von Beiträgen malen die Zeit nach dem Zusammenbruch aus. „Objekt der Begierde“ spielt lange Zeit nach dem Untergang der westlichen Zivilisation, und in „Der Bandemar“ ist die Zukunft so fern, dass sie wie Fantasy aussieht. In „Späte La-Tène-Zeit“ wirft ein Student einen Blick auf die Relativität der eigenen Bedeutung: Sein verlorener Dolch wird im Museum als antike Handelsware ausgestellt. In der Comic-haften Post-Holocaust-Story „Proteine stinken nicht“ verleiht der Autor dem Begriff „Leichentransport“ ein neue, unheimliche Bedeutung.

Die US-amerikanischen Beiträge gehören zu den eindrucksvollsten Erzählungen, lassen sich aber nur schwerlich in das Generalthema einsortieren. „Bitterblumen“, „Mit der Sünde geboren“ und „Der Quacksalber“ haben ihre ganz eigenen Themen. Diese routiniert und ausgefeilt erzählten Geschichten erweitern den Begriff, den der Mensch von der Bedeutung seiner eigenen Existenz hat – und was diese wert ist, insbesondere in ferner Zukunft, auf anderen Welt, während einer Invasion. „Archaeopteryx“ relativiert den Begriff des Menschseins generell und wiederholt quasi die Evolution.

Der Band enthält einige sehr bissige Beiträge, so etwa von Camoin und Nolane, beides Franzosen (Zufall oder Notwendigkeit?), aber auch Jeschke braucht seine Kritik an Reagan, dem geistigen Vorläufer Trumps, nicht unter den Scheffel zu stellen.

Keine Autorinnen

Der einzige Kritikpunkt ist indes schwerwiegend: Es gibt keinen einzigen weiblichen Beiträger. Dabei hätte es anno 1979-1981 mehr als ein halbes Dutzend kompetente US-amerikanische und britische Autorinnen gegeben, deren Beiträge weltzweit in SF-Magazinen abgedruckt wurden. Stattdessen liegt das Schwergewicht auf den – wesentlich preisgünstigeren – deutschsprachigen Beiträgen.

Wo sind James Tiptree jr. (alias Alice Sheldon), Ursula K. Le Guin, Tanith Lee, Joanna Russ und Vonda McIntyre, Joan D. Vinge? Sie finden sich in anderen Sammlungen wieder, so etwa in „Feinde des Systems“ (Vinge), „Hainish“ (Le Guin), „10.000 Lichtjahre von zuhaus“. Wohl dem Leser, der die Heyne-Sammlung schon um diese großartigen Autorinnen ergänzt hat.

Taschenbuch: 367 Seiten
Diverse Übersetzer, illustriert von Janos Fischer.
ISBN-13: 9783453306813

www.heyne.de

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