John Wyndham – Die Triffids

Ein militärisches Missgeschick lässt 99,9% aller Erdmenschen erblinden. Darauf haben die Triffids, genetisch veränderte Nutzpflanzen mit Giftstachel und Wurzelbeinen, nur gewartet: Sie machen Jagd auf ihre hilflosen Herren … – Ein echter Klassiker des Science-Fiction-Katastrophen-Romans, nostalgisch und angestaubt, aber sachlich, hinreißend spannend und immer noch überzeugend zugleich.

Das geschieht:

William Masen verwünscht den Arbeitsunfall, der ihm vorübergehend das Augenlicht raubt, denn er kommt dadurch um den Genuss eines einmaligen kosmischen Schauspiels: Die Erde gerät in den Schweif eines Kometen, und der Nachthimmel färbt sich zum Entzücken vieler Milliarden Zuschauer grün.

Wenige Stunden später sind diese Menschen blind. Das Ende der Zivilisation ist völlig unspektakulär gekommen. Masen, den sein Augenverband vor dem Unglück rettete, findet sich im Chaos wieder. London ist eine Stadt der Hilflosen geworden. Rettung wird nicht kommen, denn überall spielt sich dieselbe Tragödie ab. Die Menschen sterben – an Hunger, aus Verzweiflung, an einer mysteriösen Seuche – und durch die Triffids.

Vor einigen Jahren sind sie erschienen: mutierte oder genetisch erzeugte Pflanzen. Aus ihnen lässt sich hochwertiges Öl gewinnen, aber Triffids können laufen, und sie verfügen über einen giftstachelbewehrten Tentakel, den sie zielsicher einzusetzen wissen. Um des Profits wegen hat man sie trotzdem gezüchtet, ohne sie je wirklich zu erforschen. Das rächt sich jetzt, wie Mason weiß, der auf einer Triffid-Farm gearbeitet hat und schon längst den Verdacht hegt, dass diese Pflanzen über Intelligenz verfügen und sich verständigen können.

Nun schlagen sie zurück. Überall lauern sie in den Städten, vor allem aber auf dem Land auf die Überlebenden. Vor allem sind es jedoch die Menschen selbst, die sich die wahre Hölle auf Erden bereiten. Wie Masen sind sie nicht alle blind geworden. Während sich die Leichen türmen, beginnen Verteilungs- und Machtkämpfe. Mit seiner neuen Gefährtin, der jungen Schriftstellerin Josella Playton, gerät Masen immer wieder zwischen die Fronten selbsternannter Welterneuerer, religiöser Fanatiker, verbohrter Statuswahrer oder simpler Räuber und Mörder. Im Hintergrund warten geduldig die Triffids, und ihr Tag kommt schneller, als ihre abgelenkten Gegner es erwarten …

Apokalypse britisch

Der Tenor ist kühl, der Stil betont sachlich: „Die Triffids“ gleicht über weite Strecken einem Tatsachenbericht. Andererseits wirkt das Buch durch die Distanz, die es vorgeblich zur eigenen Geschichte aufbaut, sogar noch intensiver: Wyndham, der nicht nur Schriftsteller, sondern auch Nachrichten-Fachmann war, weiß genau, welche Knöpfe er drücken muss, um sein Publikum in den Bann zu schlagen. Ganz so einfach ist die Geschichte ohnehin nicht gestrickt, die Alternativen eines Lebens nach einem Atomschlag (s. u.) durchspielt.

Für einen scheinbar simplen Unterhaltungsroman werden grundsätzliche moralische Fragen aufgeworfen und erörtert. Gibt es so etwas wie einen ‚richtigen‘ Weg im Angesicht der definitiven Katastrophe? Ist irgendwann der Moment gekommen, in dem sich jede/r selbst der nächste sein darf – oder muss? Oder sind wir Menschen verpflichtet, in Solidarität unterzugehen? Wyndham drückt sich nicht um solche und viele andere unangenehme Fragen und die noch unangenehmeren Antworten. Er kommt dabei aber nie mit dem erhobenen Zeigefinger daher, sondern bettet seine Thesen in eine straff konstruierte, spannende Handlung ein bzw. ihr unter: Das ist der Stoff, aus dem Klassiker bestehen!

Dazu kommt das in vielen zeitgenössischen Filmen konservierte Bild vom guten, alten England, das von skurrilen, aber liebenswerten Menschen bevölkert wird, die mit einer guten Tasse Tee und dem berühmten britischen Understatement noch jede Katastrophe überstehen: SF-Fachmann (und Landsmann) Brian W. Aldiss nannte Wyndham nicht umsonst den Meister der „gemütlichen Apokalypse“. Aber eigentlich meint er damit wohl die Abwesenheit von Hysterie und plakativer Doomsday-Gewalt, die viele spätere Weltuntergangs-Szenarien prägen. Wyndham deutet das Grauen an. Es wirkt dadurch wesentlich eindringlicher. Hinzu kommt die im II. Weltkrieg unfreiwillig gründlich gelernte Lektion, dass sich der Mensch auch an das Grauen gewöhnen und mit ihm leben kann.

Böse Pflanzen und bösartige Menschen

Die Triffids sind in dieser Geschichte nicht wirklich notwendig, denn die Agonie wird durch sie nur beschleunigt, aber nicht verursacht. Kein Komet, sondern eine Art Vorläufer des in den 1980er Jahren von den USA tatsächlich geplanten „Star-Wars“-Programms hat die Menschheit vergiftet. Der ins All verlagerte Schutzschild entpuppt sich als optimale Methode der Selbstvernichtung: ein seltener Moment, in dem die Science Fiction wirklich kluge Voraussagen für die Zukunft trifft.

Die Triffids bleiben indirekt ein wichtiges Element der Handlung, denn sie personifizieren die Schuld der Menschheit am eigenen Untergang. Wyndham, der den II. Weltkrieg an vorderster Front erlebt hatte, war vom Kalten Krieg und dem damit verbundenen Wettrüsten der Supermächte USA und UdSSR entsetzt. Mit Weitsicht (die allerdings wohl jeder denkende Zeitgenosse für sich hätte reklamieren können) sah er voraus, was daraus entstehen könnte – ein neuer, dieses Mal alles und jeden vernichtenden Weltkrieg.

Jedermann im Ausnahmezustand

William Masen, der klassische Jedermann, der in der Not unbekannte Überlebens-Qualitäten an sich entdeckt: John Wyndham wählt mit Bedacht einen geradlinigen, praktisch denkenden Mann als Hauptfigur seines Dramas aus. Ein bisschen klüger als der Durchschnitt ist er natürlich trotzdem. Als Ich-Erzähler muss Masen in der Lage sein, stellvertretend für seine Leser über das Gesehene und Erlebte zu reflektieren. Wyndham macht aus ihm außerdem einen Naturwissenschaftler, der bereits seine Erfahrungen mit den Triffids gemacht hat. So ist dieser Masen ein Mann, dem man zuhört. Darüber hinaus hegt man keine Gefühle für ihn.

Ähnlich verhält es sich mit der weiblichen Hauptfigur. Josella Playton ist eine passive Person. Man kann es ihr freilich nicht zum Vorwurf machen, denn das ist die Rolle, in die der Zeitgeist sie drängt. Ihre Selbstständigkeit als erfolgreiche Schriftstellerin stellt sie selbst als unweibliche Verirrung dar. Später schlüpft sie erleichtert in ihre angeblich von Gott oder wenigstens den Zeitumständen gewollte Rolle als Ehefrau und Mutter eines zukünftigen Menschengeschlechts.

Als interessantere Figur erweist sich die männliche Nebenrolle. Coker ist ein Praktiker und Idealist, der nicht annähernd so gefasst und ‚vernünftig‘ wie Masen seine blinden Mitmenschen verrecken lassen will, sondern sich ihrer annimmt und um der guten Sache willen den Konflikt nicht scheut. Er scheitert, muss scheitern angesichts des Ausmaßes der Katastrophe, aber er geht daran nicht zugrunde, sondern arrangiert sich unverdrossen mit den Tatsachen und findet einen neuen Weg, mit Anstand zu überleben: Wyndham entlässt seine Leser nicht ohne jeden Hoffnungsschimmer aus der Handlung.

Die Triffids kehren zurück

„The Day of the Triffids“ (1962, dt. „Blumen des Schreckens“), der Film, gehört zu den großen Trash-Klassikern der Kinogeschichte. Von und mit Dilettanten vor und hinter der Kamera praktisch ohne Budget heruntergekurbelt, hält er sich nur rudimentär an die Vorlage und liefert selbstverständlich das obligatorische Kino-Happy-End. Auf technisch höherem Niveau aber auch nicht viel besser geriet 2009 ein aufwendiger TV-Zweiteiler der BBC.

Zum 50-jährigen Jubiläum des Romans verfasste der britische Autor Simon Clark 2001 eine Fortsetzung: „The Night of the Triffids“ spielt 25 Jahre nach dem Untergang. Im Mittelpunkt der (recht wirren) Handlung steht David, der inzwischen herangewachsene Sohn von William Masen. Ihn verschlägt es u. a. in die USA, wo wider Erwarten New York bzw. die Insel Manhattan den Triffids standhielt – um sich in eine noch viel üblere, von Menschen maßgeschneiderte Privathölle zu verwandeln, während John Wyndham auf Höchsttouren im Grab routiert …

Mit „Die Triffids“ nahm übrigens 1960 die ehrwürdige SF-Reihe des Wilhelm Heyne-Verlags – noch innerhalb der „Allgemeinen Reihe“ – ihren Anfang: ein guter Griff, denn dieser Klassiker erreichte bis in die 1980er Jahre eine sechsstellige Auflagenhöhe! Nachdem ein anderer Verlag sich des Klassikers angenommen und ihn 2006 ungekürzt sowie sogar gebunden auf den Buchmarkt gebracht hatte, kehrten „Die Triffids“ 2012 (und ergänzt durch ein allerdings knappes Vorwort des SF-Autoren M. John Harrison) zu ‚ihrem‘ Heyne-Verlag zurück.

Autor

John Wyndham alias John Wyndham Parkes Lucas Beynon Harris (1903-1969): ein britischer SF-Veteran, der schon seit 1925 schrieb. Als Grafiker, Werbefachmann, Verwaltungsangestellter usw. war er hauptberuflich tätig. Seine phantastischen Geschichten erhoben sich nie über das Niveau der hauptsächlich dem Trivialen verhafteten Pulp-Magazine dieser Jahre. Erst die Erfahrungen des II. Weltkriegs, an dem Wyndham aktiv als Mitglied einer Nachrichten-Einheit u. a. an der mörderischen Invasion in der Normandie teilnahm, führte zum Wandel. Invasionen und Weltuntergänge sollten Wyndham ab 1945 beschäftigen.

Auf „Post-Doomsday“-Geschichten, in denen er besonders das von Hitler gezauste britische Inselreich immer wieder nun kosmischen Katastrophen aussetzte, besaß er schließlich eine Art Monopol. Schon der erste Nachkriegsroman „The Day of the Triffids“ (1951; dt. „Die Triffids“) zeigte den ‚neuen‘ John Wyndham, der inhaltliche Relevanz mit formaler Qualität zu verbinden wusste. In den nächsten Jahren entstand eine Reihe von Romanen, die den Schriftsteller als erklärten Gegner des Kalten Krieges und Warner vor der atomaren Apokalypse zeigten. Darüber hinaus zeigte sich Wyndham gewandt auch im Umgang mit dem klassischen Inventar der Science Fiction und schrieb Weltraumabenteuer oder Zeitreisegeschichten, die wiederum eine zutiefst humanistische Weltsicht verrieten.

Unterhaltung und Anspruch kommen wohl in keinem Wyndham-Werk so eindrucksvoll zum Tragen wie in „The Midwich Cuckoos“ (1957; dt. „Es geschah am Tag X“), das wiederum die Geschichte einer heimlichen Invasion schildert und durch eine ebenfalls fabelhafte Erstverfilmung (1958) seinen Klassiker-Status festigen konnte.

Wyndham war ein selbstkritischer Autor, der durchaus einen bereits fertiggestellten Roman („Plan for Chaos“, 2009 postum erschienen) in der Schublade lassen konnte, weil er nicht mit ihm zufrieden war. Einen weiteren Roman („Web“; dt. „Eiland der Spinnen“) schrieb er ausdrücklich mit der Intention, diesen erst nach seinem Tod zu veröffentlichen. John Wyndham starb am 11. März 1969 in Petersfield in der englischen Grafschaft Hampshire.

Taschenbuch: 304 Seiten
Originaltitel: The Day of the Triffids (London : Michael Joseph 1951)
Übersetzung: Hubert Greifeneder (überarbeitet von Inge Seelig)
http://www.randomhouse.de/heyne

eBook: 723 KB
ISBN-13: 978-3-641-07682-5
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