Michal Zamir – Das Mädchenschiff

Der Wehrdienst für Frauen ist in Deutschland erst seit einigen Jahren ein Thema und im Gegensatz zu den Männern, die verpflichtet sind, dem Vaterland in irgendeiner Form zu dienen, steht es den Frauen frei, ob sie zur Bundeswehr gehen möchten oder nicht. In Israel ist das anders. Dort müssen beide Geschlechter jeweils zwei Jahre Dienst ableisten.

So auch die achtzehnjährige Ich-Erzählerin, die ihrer Verpflichtung als Bürokraft auf einem Fortbildungsstützpunkt nachkommt. Sie ist nicht besonders motiviert, obwohl sie sich vorstellen könnte, später Medizin zu studieren. Doch ihre Zukunft interessiert sie nicht sonderlich. Ihr Leben spielt sich momentan in einem kleinen Büro ab, wo sie Kaffee kocht und Gläser spült. Zwischendurch gibt sie sich den Offizieren hin, was in schöner Regelmäßigkeit in Schwangerschaften endet, da sie die Pille nicht verträgt. Nicht immer ist sie dabei mit dem Geschlechtsverkehr einverstanden, aber so läuft das nun mal bei der Armee.

Michal Zamir, die den Wehrdienst ebenfalls abgeleistet hat, behauptet, ihr Debütroman „Das Mädchenschiff“ (dessen Titel eher metaphorisch zu verstehen ist. Das Buch spielt mitnichten auf einem Schiff) wäre nicht autobiografisch. Dennoch ist er sehr intensiv geschrieben, und oft ist man versucht, den Beteuerungen der Autorin keinen Glauben zu schenken. Zu verrückt und gleichzeitig zu authentisch wirken die Erlebnisse der Ich-Erzählerin, deren Name so gut wie nie genannt wird. Dabei gibt es keine großartig spannend konstruierte Handlung. Die Geschichte dreht sich vielmehr um den Alltag auf diesem Stützpunkt, um die verschiedenen Menschen, die die Erzählerin trifft, und deren Schicksale. Themen, die oft behandelt werden, sind die Liebe, die Beziehungen zwischen Menschen (in diesem Buch sind sie meistens kaputt) oder die Vorstellungen, die die Mädchen von ihrem Leben haben. Besonders motiviert wirken die jungen Frauen, allen voran die Erzählerin, dabei nicht, eher desillusioniert.

Zamir beschreibt das Leben auf dem Mädchenschiff als nicht besonders positiv. Die meisten Menschen, vor allem die Männer der hohen Ränge, sind alles andere als reine und gewissenhafte Menschen. Sie betrügen ihre Ehefrauen mit den jungen Wehrdienstleistenden und achten nicht darauf, was diese dabei empfinden. An der einen oder anderen Stelle hat man das Gefühl, Zamir würde vielleicht etwas zu sehr schwarzmalen. Andererseits trifft sie mit ihrem Erzählton und den gut ausgearbeiteten Charakteren, die sich im Verlauf der Geschichte und nicht anhand nüchterner Beschreibungen offenbaren, den Nerv der Jugend. Nach einem unbeholfenen Einstieg, der schon beinahe zu wenig Distanz zwischen Erzählerin und Leser aufbaut, findet man sich allmählich in die Geschichte hinein. In der Mitte des Buches rutscht die Erzählerin mehr oder weniger in den Hintergrund und übernimmt die Aufgabe des bloßen Berichtens, während sie am Ende wieder stärker zum Zuge kommt und die Geschichte zu einem starken Abschluss bringt.

Die Qualität der Handlung schwankt dementsprechend, gleitet aber nie wirklich ins Negative ab. Der Anfang ist insgesamt etwas schwach: Sowohl Hauptperson als auch Handlung als auch Schreibstil können nicht wirklich überzeugen. Es scheint, als ob Zamir nicht so genau wüsste, wie sie beginnen sollte. Glücklicherweise geben sich diese Startschwierigkeiten mit der Zeit und es kristallisiert sich ein überraschend guter Schreibstil heraus. Ist man anfangs noch versucht, „Das Mädchenschiff“ in die Reihe von Büchern junger Autoren, die sich hauptsächlich auf ihre orientierungslosen Charaktere stützen, einzuordnen, rückt man letztendlich von dieser Kategorisierung ab. Abgesehen davon, dass Zamir Jahrgang 1964 ist und damit nicht mehr in dem Alter genannter junger Autoren, entwickelt ihr Debütroman eine viel zu starke Erzählkraft. Es steckt weit mehr dahinter als bloßes, flapsiges Dahererzählen und der exzessive Gebrauch von modern angehauchten Metaphern. Zamir schreibt einfach, aber sehr ausdrucksstark. Ihr Wortschatz ist nicht besonders gehoben, sondern alltäglich, aber sie wählt ihre Ausdrücke sehr treffsicher aus und benutzt sie im passenden Kontext. Manchmal wird sie dabei ein wenig ironisch oder benutzt verkürzte Sätze, was gut zur negativen Einstellung der Erzählerin passt, sie übertreibt es aber nicht. Gleiches gilt für Stilmittel. Die Autorin setzt zwar immer wieder Bilder und Metaphern ein, verheddert sich aber nicht darin.

Insgesamt ist „Das Mädchenschiff“ ein Buch, das keinen guten Start hinlegt, sich dann aber zu einem sehr erzählstarken Buch mausert, dessen Protagonistin dem Leser mit der Zeit ans Herz wächst. Das hängt vor allem damit zusammen, dass durch die Ich-Perspektive ein direkter Zugriff auf Gedanken und Gefühle der Erzählerin möglich ist und Michal Zamir diese entsprechend aufzubereiten weiß. Was daneben besonders heraussticht, ist ihre Art und Weise, die Einstellung der Hauptfigur mittels dezenter Ironie und der Wahl der Worte so authentisch herüberzubringen, dass man am Ende das Gefühl hat, sie persönlich zu kennen. „Das Mädchenschiff“ ist beachtlicher Debütroman, bei dem letztendlich die positiven Seiten mehr als überwiegen. Wer Alexa Lange von Hennig mag, wird Michal Zamir lieben. Und wer Lange von Hennig manchmal zu pubertär-nervig findet, der hat mit „Das Mädchenschiff“ einen probaten Ersatz in der Hand.

Hardcover: 220 Seiten
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