Eigentlich hatte Arthur gedacht, dass er jetzt, wo er Herrn Montag besiegt und die Seuche gebannt hatte, für die nächsten Jahre Ruhe hätte. Aber schon am nächsten Morgen, der sinnigerweise ein Dienstag ist, klingelt das Telefon, welches das |Vermächtnis| ihm aufgedrängt hat! Arthurs Herrschaftsbereich, |Das Untere Haus|, ist sozusagen bankrott, und nun droht der Gläubiger, nicht nur das gesamte Vermögen des Unteren Hauses zu beschlagnahmen, sondern auch alles, dessen er in Arthurs Welt Herr werden kann, vornehmlich natürlich das Eigentum von Arthurs Familie. Und natürlich ist der Gläubiger kein anderer als der |Grimmige Dienstag|!
Arthur bleibt nichts anderes übrig als in |Das Haus| zurückzukehren. Doch das ist gar nicht so einfach. Nicht nur, dass Arthur angegriffen wird, kaum dass er die Nase aus der Tür gesteckt hat, er muss auch erst einmal einen Eingang finden, und das ohne die Hilfe des Uhrzeigers, den er dem |Vermächtnis| überlassen hat. Prompt erwischt er eine Einwegtür, die ihn genau da hinführt, wo er am allerwenigsten hin will …
_Dramatis personæ_
Arthurs Gegner ist diesmal etwas hartgesottener als im ersten Band. Während Herr Montag ein schlapper Faulpelz war, der die meisten Anstrengungen seinen Untergebenen überließ und nur dann selbst etwas tat, wenn es absolut unumgänglich war, ist Lord Dienstag ein höchst geschäftiger Kerl. Sein Herrschaftsgebiet hat er in jahrhundertelanger Arbeit nahezu komplett ausgehöhlt auf der Suche nach Nichts. Die Rohstoffe, Maschinen und Kunstwerke, die er daraus erschafft, verkauft er an die anderen Wochentage für gutes Geld oder Arbeitskräfte. Dienstag ist ein Sklaventreiber der übelsten Sorte. Gleichzeitig ist er ziemlich unfähig. Er kann nichts Neues erschaffen, nur bereits Existierendes kopieren, was ihn ziemlich wurmt. Umso gieriger rafft er alles an sich, was er erreichen kann.
Natürlich hat auch Lord Dienstag ein Stück des Vermächtnisses versteckt. Dieser zweite Vermächtnisteil in Gestalt eines Bären ist allerdings nicht so aktiv wie der erste, der sich selbst befreit hat. Einerseits ist er träge, andererseits feige. Entscheidungen zu treffen, ist nicht sein Ding, es sei denn, er ist nach allen Seiten abgesichert. Aber Risiko? Bloß nicht! Lieber geht die Welt unter! Abgesehen davon ist er ziemlich hochnäsig.
Der verbale Schlagabtausch zwischen dem Vermächtnisbären und Arthur samt Freunden ist wirklich hochamüsant zu lesen. Und auch sonst ist Garth Nix wieder einiges eingefallen. Flügel hatten wir ja bereits, nur handelt es sich diesmal um eine besondere Form, die ausschließlich aufsteigen kann, also auch nicht bremst, wenn man oben ist, was zu einigem Stress führt. Außerdem gibt es magische Saugnäpfe, eine verselbständigte Augenbraue, die zur haarigen Riesennacktschnecke geworden ist, einen glasummantelten Gefängnisturm mit Wetterhahn, eine Zahnschmerzen verursachende Harpune und eine Sammlung von Buddelschiffen, von denen eines ein Raumschiff ist, sowie ein paar neue Formen von Nichtlingen.
_Die Handlung_ ist diesmal allerdings nicht ganz so turbulent wie im ersten Band. Möglicherweise liegt das daran, dass der Leser sich inzwischen ein wenig auskennt, sodass Das Haus nicht mehr ganz so chaotisch wirkt wie zu Anfang. Auch Arthur kennt sich besser aus, hat weniger Fragen und weiß diesmal, wo er Antworten herbekommt. Andererseits hatte ich doch auch den Eindruck, dass diesmal alles ein wenig glatter ging als bisher. So kamen Susi und Arthur erstaunlich problemlos bis zur Spitze von Dienstags Turm. Da hätte ich mehr Schwierigkeiten erwartet, zumal im Prolog extra erwähnt wurde, wie gefährlich das Fliegen in den Fernen Weiten ist.
Dafür hat der Autor diesmal einen interessanten Ausblick auf die Fortsetzungen eröffnet. Die Tatsache, dass da irgendwo ein Nichtling herumkraucht, der zur Hälfte wie Arthur aussieht, birgt enorm viele Möglichkeiten für Verwicklungen und Verzwickungen, und außerdem würde ich allmählich doch gern erfahren, zu wem diese beiden besonders akkurat gekleideten Herren gehören, die in den Prologen beider Bände auftauchten, und was ihr Auftraggeber für ein Ziel verfolgt. Das alles natürlich zusätzlich zu der Tatsache, dass der nächste Wochentag zur Abwechslung eine Frau ist, deren Gebiet offenbar ein Meer ist! Welche Form wohl ihr Schlüssel besitzt? Klingt auf jeden Fall sehr vielversprechend!
_Kurzum_: Ich habe auch den zweiten Band der |Schlüssel zum Königreich| mit dem gleichen Vergnügen gelesen wie den ersten. Und ich bin jetzt schon neugierig auf die Fortsetzung.
_Garth Nix_ ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. „Schwarzer Montag“ ist der erste Band des Zyklus |Keys to the Kingdom|, der im englischen Original inzwischen bis Band fünf gediehen ist. Außerdem stammt |Seventh Tower|, ein weiterer Jugendbuchzyklus, aus Nix‘ Feder sowie die Trilogie |Das alte Königreich|.
http://www.ehrenwirth.de/
|Siehe ergänzend dazu:|
[„Schwarzer Montag“ 3719 (Keys to the Kingdom 1)
[„Schwarzer Montag“ 3172 (Hörbuch)
[„Sabriel“ 1109 (Das alte Königreich 1)
[„Lirael“ 1140 (Das alte Königreich 2)
[„Abhorsen“ 1157 (Das alte Königreich 3)
Kate lebt in Manchester, zusammen mit ihrem Vater, der allerdings nicht gerade das ist, was man als treusorgend bezeichnen könnte. Wenn er nicht gerade betrunken ist oder versucht, Kate die Welt zu erklären, ist er mit der Suche nach einem Mittel zur Erlangung der Unsterblichkeit beschäftigt. Kein Wunder, dass Kates Leben alles andere als geregelt verläuft, sodass sie sich gezwungen sieht, an einem Projekt über die Zeit der Pest teilzunehmen, um ihre vielen Fehlzeiten in der Schule auszugleichen. Wer will schließlich schon mit dem Sozialamt zu tun haben?
Nur, was hat es mit der seltsamen Frau auf sich, die Kate seither immer wieder begegnet, und die dann plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist? Was ist so besonders an dieser seltsamen, unfertigen Engelsstatue in der Kathedrale von Manchester, und warum fühlt Kate sich in der Krypta so extrem unwohl?
Als dann auch noch ihr Vater verschwindet, beschließt Kate, dass sie etwas unternehmen muss …
|Die Charaktere|
Im Grunde beschreibt dieser kurze Abriss allerdings nur die Rahmenhandlung, denn die eigentliche Geschichte spielt im Mittelalter. Sie erzählt von Marie und ihrem Sohn Simeon, der so wunderschön singen kann, von Kit, dem Waisenkind und besten Schüler des College mit Aussicht auf ein Stipendium in Oxford, und von Dr. Dee, dem weitgereisten Gelehrten und jetzigen Kirchenvorsteher mit dem schlechten Ruf.
Simeon ist ein ungewöhnlicher Junge. Die meisten Leute halten ihn für blöde, aber im Grunde ist er nur anders. Man könnte ihn als übersensibel bezeichnen. Er ist tief verbunden mit der Natur – selbst im Lärm und Gedränge der Stadt kann er die Mäuse auf den Feldern wahrnehmen – und mit seiner Mutter, deren Herzschlag er beständig neben seinem eigenen spürt. Simeon besitzt die Fähigkeit, die Wahrheit hinter der Fassade zu erkennen. Er als Einziger erkennt, dass Kit ein Geheimnis hat, und auch den bedrohlichen Schatten hinter dem Kirchenvorsteher, dessen wahre Natur er erkennt, ohne die weitergehende Bedeutung dieser Tatsache zu begreifen. Simeon lebt schlicht in einer anderen Welt!
Kit dagegen ist nicht nur klug, sondern auch mutig. Niemand sonst, nicht einmal die Erwachsenen, trauen sich, dem Kirchenvorsteher offen in die Augen zu sehen. Außerdem zeichnet sich das Kind katholischer Eltern durch Anpassungsfähigkeit – immerhin lebt es in einer anglikanischen Schule – und durch Verantwortungsbewusstsein aus. Sein Gefühl für Recht und Unrecht sorgt dafür, dass es sich um Simeons Willen mit seinem besten Freund Chugg überwirft und sogar duelliert.
Dr. Dee (basierend auf der Person des Universalgelehrten und Mystikers [Dr. John Dee)]http://de.wikipedia.org/wiki/John__Dee dagegen ist der Prototyp des mittelalterlichen Alchemisten. Sein ganzes Leben hat er mit Studien und Forschungen verbracht, ohne jedoch eine Antwort auf die eine ihn beherrschende Frage zu finden: wie kann der Mensch unsterblich werden! In seiner Besessenheit erinnert er fast ein wenig an Doktor Faust, nur dass Dr. Dee nicht vom Satan persönlich heimgesucht wird, sondern von einem Dämon in Gestalt seines früheren Partners Kelly, und dass er ein paar Skrupel mehr hat.
Alles in allem ist die Charakterzeichnung recht ordentlich geraten. Das gilt auch für die Nebenfiguren wie die Magd Susan, die Gastwirtin Mrs. Butterworth oder den puritanischen Prediger.
|Handlung & Geschichte|
Gestützt wird die Charakterzeichnung der Hauptpersonen durch den Handlungsverlauf, den ich einerseits als interessant aber auch als gewöhnungsbedürftig empfand. So beginnt das Buch mit Kate, die Ereignisse in diesem ersten kurzen Kapitel wirken allerdings zunächst vor allem verwirrend und ergeben erst einen Sinn, wenn man sich dem Ende des Buches nähert. Der Teil danach widmet sich Simeon, erzählt von seiner Ankunft in Manchester bis zu dem Zeitpunkt, wo seine Mutter ihn in die Schule gibt. Nach einem kurzen Abstecher zu Kate wird im Folgenden von Kit erzählt, und zwar ab dem Zeitpunkt, wo Dr. Dee anbietet, ihm Zusatzunterricht zu erteilen, bis zum Ausgang des Duells mit Chugg, um nach einer erneuten Szene mit Kate von Dr. Dee zu erzählen.
Das Interessante daran ist, dass jedes Mal über ein und denselben Zeitraum berichtet wird, und nur die Perspektive wechselt. Das ist keinesfalls langweilig, denn die Überschneidungen im Leben der drei Beteiligten sind vorerst äußerst gering, dafür aber in der Regel wortgenau identisch, was einen ganz eigenen Effekt ergibt. Erst nachdem alle drei Handlungsstränge sich getroffen haben, wechselt die Perspektive sich ab, während die entstandenen Verwicklungen auf den Höhepunkt zutreiben. Der ist dann kurzzeitig noch einmal etwas verwirrend geraten, da sich hier einiges zeitlich überschneidet, letztlich aber löst sich der Knoten in Wohlgefallen auf.
Vordergründig geht es in der Geschichte um das Streben nach Wissen, etwas, das Kit und Dr. Dee durchaus gemeinsam haben. Nur über die Art des Wissens, nach dem zu streben sich lohnt, können sie sich nicht ganz einigen. Kit teilt Dr. Dees Besessenheit nicht, was dieser darauf schiebt, dass die Jugend noch so viel Lebenszeit vor sich hat – was in jener Zeit so natürlich nicht unbedingt stimmt -, dass sie sich um den Tod nicht kümmert. Kit dagegen kann zwar nicht das erkennen, was Simeon erkannt hat, spürt aber trotzdem deutlich die Bedrohung, die von dem Dämon ausgeht, gegen den Dr. Dee zu kämpfen hat. Dr. Dees Wissen und der Gegenstand seiner Forschung schrecken Kit mehr ab als seine Wissbegierde ihn anzieht. Flankiert von Simeon, dessen Wissen völlig verschieden ist von dem Dees und Kits, und Kate, die mit dem Erlangen von Wissen zunächst einmal überhaupt nichts am Hut hat, ergibt sich daraus eine gewisse Spannung, welche die Geschichte bereits zu einem Zeitpunkt trägt, als der Höhepunkt noch zig Seiten entfernt ist.
Ganz nebenbei hat die Autorin außerdem eine treffende Skizze jener Zeit geliefert. Markttage, Wirtshaustrubel und Schulalltag sind lebendig beschrieben, aber auch historische Details wie das Massaker an den Zigeunern, die nach Schottland kamen, weil ihnen dort Land versprochen wurde, oder das Erstarken der Puritaner, die gut dreißig Jahre später in einem blutigen Bürgerkrieg unter Cromwell an die Macht gelangen werden und dabei solch tiefe Wunden zurücklassen, dass sie nach Cromwells Sturz mit Gewalt unterdrückt wurden und schließlich massenweise auswanderten. Ob allerdings die Maßnahmen dieser Splittergruppe der Anglikanischen Kirche bereits zu diesem frühen Zeitpunkt so ausarteten wie hier beschrieben, weiß ich nicht.
_Mit anderen Worten:_ Wenn man sich erst einmal eingelesen hat, entwickelt sich auch eine ganz eigene Faszination. Ich würde diese Lektüre nicht unbedingt als besonders spannend oder hochdramatisch bezeichnen, aber sie hat ein gewisses Flair und – abgesehen von der Beziehung zwischen Kate und Kit – einen Mangel an Vorhersehbarkeit, der durchaus geeignet ist, den Leser bei der Stange zu halten. Jugendliche, denen diese Art von Thematik zusagt, sind hier sicherlich nicht falsch.
_Livi Michael_ stammt selbst aus Manchester und unterrichtet Englisch und Kreatives Schreiben. Ursprünglich schrieb sie für Erwachsene, wandte sich aber schließlich ihren Kindern zuliebe auch der Jugendbuchsparte zu. Von ihren Büchern, für die sie diverse Preise erhielt, ist auf Deutsch außer „Das Flüstern der Engel“ bisher nur „Die flüsternde Straße“ erschienen.
Eigentlich darf Arthur keinen Sport treiben, denn er ist Asthmatiker. Aber irgendwie kommt seine Erklärung beim Lehrer nicht ganz an, jedenfalls findet Arthur sich kurz darauf bei einem Geländelauf wieder. Und natürlich hat er binnen kurzem den erwarteten Anfall! Das heißt – nicht ganz …
Denn der seltsam gekleidete Mann, der da plötzlich auftaucht, geschoben in einem seltsamen Vehikel von einem noch seltsameren zweiten Mann, drückt ihm einen scharfen Gegenstand in die Hand, der aussieht wie ein Uhrenzeiger, und erwartet nun offenbar, dass Arthur innerhalb der nächsten paar Sekunden den Löffel abgibt! Als Arthur ihm den Gefallen nicht tut, geraten sich der Mann und sein Schiebediener in die Haare, und als Ende vom Lied hat Arthur plötzlich nicht nur den seltsamen Zeiger in der Hand, sondern auch noch ein grün eingebundenes Notizbuch!
Seither scheint er eine Menge Dinge wahrzunehmen, die äußerst seltsam sind, und die außer ihm offenbar niemand sehen kann. Und zu allem Übel gehört zu diesen seltsamen Dingen auch eine Horde von Verfolgern, die den Zeiger und das Notizbuch unter allen Umständen zurückhaben wollen …
_Der Held dieser Geschichte_ hat mit der Legende des Helden schlechthin zwar den Namen Arthur gemein, ansonsten jedoch ist er in jeder Hinsicht durchschnittlich. Er will weder die Welt retten noch die Schöpfung wieder in Ordnung bringen. Sein alleiniges Ziel ist es, die Seuche loszuwerden, die seine Verfolger auf der Suche nach ihm in seine Welt eingeschleppt haben! Und obwohl er anfangs noch eine Menge Hilfe braucht, zeigt er sich der Sache schon bald gewachsen. Sehr zum Leidwesen seiner Ratgeber …
Der erste wird allgemein nur das Vermächtnis genannt. Genau genommen ist es nur eines von sieben Fragmenten eines Papiers, aber es besitzt ein ziemliches Eigenleben. Es ist nicht nur irgendwie aus seinem Gefängnis ausgebrochen, es kann auch andere beeinflussen, und das tut es ziemlich vehement. Denn es will unbedingt die übrigen sechs Fragmente befreien, damit |Das Vermächtnis| als solches eintreten kann. In der Verfolgung dieses Zieles ist es ziemlich rigoros, und auch nicht immer ganz ehrlich. Schließlich ist es auf Arthur angewiesen, der allerdings nicht vorhat, sein Leben der Erfüllung des Vermächtnisses zu widmen …
Der andere ist Montags Abenddämmerung, dem zu trauen allerdings riskant erscheint. Denn Montag ist eigentlich Arthurs Gegner, der Mann, der unbedingt den Zeiger zurückhaben will! Und außerdem hat Abenddämmerung kein Wort über seine eigenen Ziele verloren, während man vom Vermächtnis wenigstens weiß, was es will!
Die einzige Zuverlässige scheint Susi Türkisblau zu sein, eine kleine unbedeutende Arbeiterin in dieser befremdlichen Welt, in die Arthur da geraten ist. Sie kennt sich aus, führt Arthur durch das Labyrinth von Gängen und Aufzügen und unterstützt ihn in jeder Hinsicht. Und dazu gehört eine ganze Menge Mut und Zähigkeit.
Nix hat alle seine Charaktere, ob Haupt- oder Nebenrolle, treffend und klar skizziert, ohne dabei besonders ins Detail zu gehen. Herausgekommen sind Figuren von nicht gerade überwältigender Tiefe, aber dennoch sympatisch und frei von Stereotypen.
_Das Hauptaugenmerk liegt auf der Handlung_ und der Welt, in der sie spielt. Und da ist einiges geboten:
Der Uhrzeiger, der natürlich magisch ist, lindert nicht nur Arthurs Asthma, er führt ihn letztlich auch in eine chaotische und äußerst turbulente Paralleldimension: ein überdimensionales Büro, das entweder zu einem Konzern mit enormem Wasserkopf oder zu einem Amt vom Umfang der UNO oder größer gehören könnte und dementsprechend jede Menge Stoff für Seitenhiebe gegen Bürokratie und Pedanterie bietet.
Gleichzeitig wird hier mit den Dimensionen gespielt. So steht |Das Haus|, der Ort, an den der Uhrzeiger Arthur letztlich führt, mitten in einem Wohnblock in Arthurs Stadt, und Arthurs Gegner Montag trägt seinen Namen nicht von ungefähr. Der Alte, ein mächtiger Riese, ist an eine Uhr gekettet, und ein Raum voller Uhren führt Arthur auch zurück in seine Welt. Die |Unwahrscheinliche Treppe| schließlich setzt dem Ganzen die Krone auf.
In diese Umgebung, in der die Grenzen zwischen Raum und Zeit verwischen, hat Nix eine Menge magischer Artefakte gesetzt, angefangen vom Vermächtnis selbst, das ganz offensichtlich magisch ist und vorerst einen grünen Jadefrosch belebt, über den Uhrzeiger, der eigentlich einer von sieben Schlüsseln ist und öffnen und schließen, binden und lösen kann, bis hin zu Aufzügen, die mal groß, mal klein sind, und einer Einbahnbrücke in Form eines selbstauflösenden Spinnenfadens.
Belebt wird das Ganze von Wesen, die nicht sterblich sind und nur ungerne etwas an dem derzeitigen chaotischen Zustand ändern möchten, aus welchen Gründen auch immer. Sie gebieten sowohl über die Bürokraten und kleinen Arbeiter, wie Susi einer ist, als auch über eine ziemlich hirnlose Art von Polizisten und Wachhunden.
Und zu guter Letzt gibt es noch die Nichtlinge, boshafte Kreaturen, die aus irgendwelchen Gründen immer wieder mal auftauchen und andere angreifen.
_Ganz klar_, dass es in diesem Wirrwarr keine klare Linie geben kann außer der, dass Arthur alle Nase lang in Schwierigkeiten gerät. Egal, wohin er kommt, er wird verfolgt, hängt die Verfolger ab, wird eingeholt, mogelt sich raus, wird doch geschnappt, kommt wieder frei … Turbulent geht es zu in diesem Zyklus! Und natürlich denkt der Autor gar nicht daran, Arthurs Fragen alle sofort zu beantworten.
Heraus kam eine rasante Mischung aus Rätselei, Verfolgungsjagd, Magie und Humor, die den Leser kaum zu Atem kommen lässt. Und natürlich ist klar, dass am Ende des Buches der Montag zwar um ist, aber unmittelbar von einem Dienstag gefolgt wird! Nach dem, was Garth Nix für den Anfang bereits alles eingefallen ist, dürfte der Folgeband noch eine Menge skurriler Überraschungen bereithalten!
_Garth Nix_ ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. „Schwarzer Montag“ ist der erste Band des Zyklus |Keys to the Kingdom|, der im englischen Original inzwischen bis Band fünf gediehen ist. Außerdem stammt |Seventh Tower|, ein weiterer Jugendbuchzyklus, aus Nix‘ Feder sowie die Trilogie |Das alte Königreich|.
http://www.ehrenwirth.de
|Siehe ergänzend dazu:|
[„Schwarzer Montag“ 3172 (Hörbuch)
[„Sabriel“ 1109 (Das alte Königreich 1)
[„Lirael“ 1140 (Das alte Königreich 2)
[„Abhorsen“ 1157 (Das alte Königreich 3)
Ursprünglich war es ein ganz normaler Tag für Kaye, als sie Großvater Sam sein Essen brachte. Doch dann erzählt ihr der alte Mann, dass sein Enkel Will bald nach Hause kommen wird. Will, ihr bester Freund, der seit fünf Jahren im Gefängnis sitzt, weil er den Direktor seines Internats getötet hat. Viel früher als erwartet steht er vor der Tür ihres Ladens, und Kaye stellt erschrocken fest, dass das Wiedersehen ganz anders ist, als sie es sich all die Jahre über vorgestellt hat. Will hat sich sehr verändert …
„Die Grastänzer“ gehört zu den außergewöhnlichsten Bücher, die ich je gelesen habe. Das meiste, was je über Indianer und ihre Kultur geschrieben wurde, stammt aus der Feder von Nicht-Indianern. Mit „Die Grastänzer“ hielt ich zum ersten Mal ein Buch in der Hand, das von einer Indianerin geschrieben wurde.
Aber das war es nicht allein. Als ich versuchte, etwas zu diesem Buch zu schreiben, stellte ich fest, dass ich keinen ordentlichen Inhaltsabriss zustande brachte. Diese Geschichte ließ sich einfach nicht auf gewohnte Weise in Worte fassen. Erst, als ich das Pferd von hinten aufzäumte, war der Sache beizukommen!
_Fangen wir also mit den Charakteren an:_
Zunächst ist da Harley Wind Soldier, ein junger Bursche kurz vor seinem High-School-Abschluss. Harley hat ein Problem mit sich selbst, mit seinem Inneren. Er fühlt sich leer, an der Stelle, wo sein Ich sein sollte, ist nur ein schwarzes Loch.
Harleys Mutter Lydia ist seine einzige Verwandte. Seit Harleys Vater und Bruder bei einem Autounfall ums Leben kamen, hat sie kein Wort mehr gesprochen, nur noch gesungen.
Dann ist da noch Charlene, eine Klassenkameradin von Harley, die ihn ziemlich anhimmelt. Auch sie hat ein Problem, nämlich ihre Großmutter Mercury, die ziemlich besitzergreifend ist.
Mercury hieß früher Anna, hat sich aber irgendwann einfach umbenannt. Sie ist im ganzen Reservat gefürchtet, denn sie besitzt Zauberkräfte, die sie sehr selbstsüchtig einsetzt, nicht zum Wohl der Menschen.
Zu guter Letzt sei noch Red Dress erwähnt. Sie ist eine Vorfahrin von Anna, genau gesagt, ihre Großtante, und eine Kriegerin.
_Die Geschichte_ beginnt in der Gegenwart, genau gesagt 1981, im Reservat der Dakota. Das Buch ist in mehrere Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel trägt eine Jahreszahl und geht in der Historie ein Stück zurück. Es wird sozusagen rückwärts erzählt. Manche Kapitel tragen auch einen Namen, in der Regel den derjenigen Person, von der die Geschichte gerade handelt.
Hauptsächlich ist es Annas Geschichte. Die Geschichte einer erstaunlichen Frau, die zunächst nichts Besonderes zu sein schien, bis sie durch ein Ereignis gewissermaßen zu Stahl gehärtet wurde, und die die oben genannten Personen und noch weitere in ihr Schicksal mit hineinzieht, sich selbst zu ihrem Schicksal macht.
Je weiter man liest, desto mehr erfährt man über das Warum: Man erfährt, warum Harley sich so leer fühlt, warum Lydia nicht mehr spricht, warum Jeanette McVay, die weiße Lehrerin, das Reservat nicht verlassen kann, warum Anna so eine harte, selbstsüchtige Frau ist; aus den Lebensfäden der Personen wird ein Netz von Verstrickungen und Abhängigkeiten, durch die Annas Faden sich zieht wie eine leuchtendrote Linie.
Dadurch, dass die Geschichte von hinten nach vorn erzählt wird, hat man den Eindruck einer Blume. Am Anfang sieht man nur die äußere Hülle der Knospe. Doch je weiter man liest, desto weiter erblüht die Blume, desto mehr innere Blätter kann man erkennen, bis sie schließlich voll erblüht ist, an ihrem Ursprung, bei Red Dress. Und während die Blume erblüht, erblüht auch das Verstehen.
Am Ende kehrt die Geschichte in die Gegenwart zurück, die, wie wir jetzt wissen, unter dem Schatten der Vergangenheit liegt, um zu erfahren, wie die, auf denen der Schatten lastet – Harley, Charlene und Jeanette McVay -, sich daraus lösen, um ihren eigenen Weg zu gehen.
_Faszinierend_ ist aber nicht nur der Erzählverlauf an sich, sondern auch die Sprache, das heißt, die Bilder, die sie entstehen lässt. Es sind Bilder, denen eine andere Weltsicht, eine andere Art zu denken zugrunde liegt. Für die Indianer sind ganz andere Dinge wichtig als für uns, auch ihr Umgang miteinander und mit der Welt im Allgemeinen ist anders. Das mag wie eine Binsenweisheit klingen, trotzdem zeigt sich immer wieder, dass der Weiße Mann diese Tatsache noch immer nicht wirklich begriffen hat. Mag sein, dass er ganze Bücher mit Informationen über die Indianer und ihre Kultur füllen kann; Wissen kann man das aber nicht nennen. Das fängt schon damit an, dass die indianische Kultur ungefähr so einheitlich ist wie die europäische. Deshalb wird in „Die Grastänzer“ auch nicht die Kultur der Indianer lebendig, sondern die der Dakota.
Die Welt der Dakota ist von Geistern erfüllt, denen verstorbener Vorfahren, und anderen. Man kann sie sehen und mit ihnen reden, wenn sie und man selbst es zulassen. Sie sind Mahner, Ratgeber, manchmal auch Helfer zur Erkenntnis sowohl seiner selbst als auch anderer.
Das macht das Buch stellenweise sehr mystisch. Man sollte das aber keinesfalls mit Mystery verwechseln! Hier geht es nicht um die Inszenierung des Geheimnisvollen oder Unerklärlichen, sondern um eine tiefe Verbundenheit der Dakota mit ihrem Volk und ihrem Land, aber auch um die Tatsache, dass diese Verbindung zu einem großen Teil verloren gegangen ist.
Was mich an diesem Buch so gefesselt hat, war, dass all das, was ich bisher aus trockenen Sachbüchern erfahren hatte (und das war leider nicht viel), hier nicht nur durch ganz unerwartete Dinge ergänzt und erweitert wurde, sondern dass all das in diesem Buch zum Leben erweckt wird, eine konkrete Bedeutung erhält, mit Sinn gefüllt wird. Wir lesen nicht das Buch eines Forschers, der niederschrieb, was er wusste oder glaubte zu wissen, sondern wir lesen direkt in den Wolken, im Wasser und im Gras.
Eines darf man allerdings nicht erwarten: Wildwestromantik. Die Indianer und Weißen in diesem Buch sind keine Helden und Schurken, wie wir sie von Karl May oder Cooper kennen, sondern einfach Menschen. Ihr Leben besteht nicht aus dem, was wir unter Abenteuern verstehen, auch nicht im Kapitel von Red Dress. Dies ist die Geschichte des „Wilden Westens“ aus Sicht der Indianer, nicht aus Sicht der Weißen. Diese Geschichte ist auf ihre Art ebenso dramatisch, aber nicht so stilisiert, nicht so idealisiert.
Wer also nostalgisch veranlagt ist und seine Träume von einem Amerika à la Winnetou nicht demontiert sehen will, der lese dieses Buch nicht.
Es bietet keine Spannung im Sinne eines Krimis oder Abenteuerfilmes, es bietet keine große Liebesgeschichte, keine Lacher und auch keinen echten Grusel. Aber es bietet durchaus Dramatik und Gefühl. Jedem, der sich für Menschen und für indianische oder überhaupt für fremde Kulturen interessiert, kann ich das Buch nur wärmstens empfehlen. Einziger Nachteil: Das Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich.
_Susan Power_, geboren 1961 in Chicago, ist eine Standing-Rock-Sioux und Nachfahrin des berühmten Häuptlings Mato Nupa (Two Bears). Schon als Kind hat sie sich intensiv mit der Kultur der Sioux und der benachbarten Cheyenne auseinandergesetzt und studierte schließlich in Harvard Literatur und Kunstgeschichte. Außer „Die Grastänzer“ hat sie einige Kurzgeschichten geschrieben, die u. a. in „The Best American Short Stories“ sowie als Sammlung unter dem Titel „Roofwalker“, allerdings nicht auf Deutsch, erschienen sind.
|Originaltitel: The grass dancer, 1993
Deutsch von Marion Sattler Charnitzky|
Es herrscht Krieg. In einer großen Schlacht besiegt Haradons Heer das der Myrdhanen.
Alasar sitzt wie jeden Sonnenaufgang in den letzten Tagen auf einem hohen Felsen und hält Ausschau nach den Rückkehrern aus der Schlacht, nach seinen Eltern und Brüdern. Doch was er an diesem Morgen heranziehen sieht, ist das Heer der Haradonen! Eilig holt Alasar seine Schwester Magaura und alle Einwohner seines Dorfes, die bereit sind, ihm zu folgen, und führt sie hinauf in die Höhlen der Berge, während die Feinde hinter ihm alles in Schutt und Asche legen. Doch was er mit den Flüchtlingen, die wie er fast ausschließlich Kinder sind, aus dem Nichts aufbaut, ist kein Neuanfang …
Ardhes ist die Prinzessin von Awrahell, die personifizierte Hoffnung der Elfen auf eine Zukunft in dem Land, das einst ihnen gehörte, und aus dem die Menschen sie immer weiter verdrängen. Doch Königin Jale, gebürtige Haradonin, verabscheut die Elfen und hat den Elfenkönig Octaris nur um der Macht willen geheiratet. Sie drängt ihre Tochter dazu, einen Menschen zu heiraten und zu Ende zu führen, was sie selbst begonnen hat: die endgültige Vertreibung der Elfen. Da beobachtet Ardhes zufällig ihre Mutter mit einem Geliebten!
Revyn hat für Krieger und Soldaten nichts als Verachtung übrig. Doch um seiner dunklen Vergangenheit zu entfliehen, schließt er sich ihnen an und lässt sich in Logond, der Hauptstadt Haradons, zum Drachenreiter ausbilden. Der Umgang mit den schönen, mächtigen und unsagbar traurigen Wesen ist der einzige Lichtblick in seinem düsteren Leben. In kürzester Zeit hat er sich einen Namen als begnadeter Drachenzähmer gemacht. Einziger Wermutstropfen ist die Tatsache, dass immer wieder Drachen einfach spurlos verschwinden. Eines Nachts gelingt es einem Mädchen, nahezu sämtliche Drachen zu befreien und aus der Stadt zu führen. Revyn beteiligt sich an der Verfolgung, doch nicht, um das Mädchen einzufangen, sondern um das Rätsel der verschwundenen Drachen zu lösen…
In einem Sog, dem sich keiner der drei entziehen kann, treiben sie aufeinander zu, und ihr Zusammentreffen wird die Welt unwiederbringlich verändern. Denn sie sind Ahirah, Kinder von Ahiris, dem Gott des Schicksals …
Wie schon „Nijura“, so zeigt auch „Das Drachentor“, dass Jenny-Mai Nuyen eine große Begabung für Charakterzeichnungen hat.
Alasar ist der geborene Anführer. Er weiß, wie man andere überzeugt, wie man die Begeisterung in ihnen weckt, die nötig ist, um auch Aufgaben von herkulischem Ausmaß erfolgreich durchzuziehen. Unter seiner Führung hätten die Höhlenkinder zu einer blühenden Gesellschaft werden können. Doch der Krieg hat ihn vergiftet. Verlustängste und der Wunsch nach Rache bestimmen all sein Tun, und sie werden umso stärker, je älter er wird. Er ignoriert die Tatsache, dass die Höhlenkinder erwachsen werden, auch Magaura. Selbst den vernünftigsten Argumenten seines besten Freundes Rahjel ist er schließlich nicht mehr zugänglich, Kritik wird als Verrat gewertet. Alasar ist auf dem besten Weg, ein grausames, kaltherziges Ungeheuer zu werden.
Ardhes ergeht es ähnlich. Jale ist verlogen, intrigant und machthungrig, Octaris dagegen besitzt zwar mächtige Gaben, lässt aber alles um sich herum einfach widerstandslos geschehen. Ardhes verachtet sie beide. Sie fühlt sich ungeliebt und benutzt und reagiert darauf zunächst mit Verweigerung, dann mit Trotz. Dabei verschwendet sie keinen einzigen Gedanken an die Folgen ihres Tuns für andere. Von allen drei Ahirahs zeigt Ardhes am stärksten das Verhalten einer noch unreifen Heranwachsenden, was wiederum nicht verwundert, da sie als Einzige zumindest relativ behütet und sicher aufgewachsen ist.
Revyn dagegen ist ein Kind ohne Wurzeln, nirgendwo fühlt er sich zuhause. Er verabscheut sowohl den Alkohol als auch das Töten, doch sich selbst verabscheut er auch. Erinnerungen und Gewissensbisse verfolgen ihn überall hin. Alles, was er sich wünscht, sind Friede für seine Seele und ein Ort, an den er gehört. Aber all seine Bemühungen, das Richtige zu tun, all seine Versuche der Sühne und Wiedergutmachung scheinen zu seiner wachsenden Verzweiflung nur immer weiter in die Katastrophe zu führen!
Eine gute Portion Einfühlungsvermögen hat diese drei so glaubhaft und lebendig werden lassen, dass man sie förmlich vor sich zu sehen meint. Aber auch die Nebencharaktere wie Königin Jale, König Octaris oder Revyns Kriegskameraden Twit und Capras sind ungemein plastisch und in sich stimmig ausgeführt. Selbst dem König der Myrdhanen, der nur in ein paar kurzen Szenen auftaucht, hat die junge Autorin dieselbe Aufmerksamkeit und Sorgfalt angedeihen lassen wie ihren Hauptfiguren, ohne sich dabei in Details zu verlieren.
Die Geschichte selbst braucht ein wenig Anlaufzeit. Es ist nicht von Anfang an ersichtlich, was die Drachen mit dem Krieg zwischen Haradon und Myrdhan zu tun haben. Erst als zum ersten Mal ein Drache verschwindet, wird dem aufmerksamen Leser die Verbindung deutlich.
Das Hauptaugenmerk des Geschehens liegt zunächst auf einer Prophezeiung, von der Octaris Ardhes erzählt. Wobei Prophezeiung wahrscheinlich nicht unbedingt das richtige Wort ist. Vielmehr handelt es sich um Visionen. Octaris ist ein Seher. Und wenn er nachts zu den Sternen hinaufstarrt, sieht er die Zukunft der Welt, in der die Ahirah eine entscheidende Rolle spielen. Ardhes lauscht diesen Visionen ihres Vaters. Doch wie es bei Visionen oder Prophezeiungen üblich ist, sind sie nicht in klare, eindeutige Worte gefasst. Ardhes ist nicht die Einzige, die aus den Worten ihres Vaters falsche Schlüsse zieht.
Das hört sich jetzt nicht unbedingt neu an. Ist es auch nicht. Aber es ist mit viel Engagement und Herzblut erzählt. Und eines ist tatsächlich ungewöhnlich: Hier gibt es keinen Tyrannen, Zauberer oder finsteren Gott, in dem sich alles Böse konzentriert und den es zu besiegen gilt. Deshalb hat das Buch auch kein Happyend. Es hat überhaupt nur ein halbes Ende, insofern, als der Leser erfährt, was aus zweien der drei Ahirah geworden ist. Doch ein Schicksal bleibt offen.
Auch die Handlung als solche hat nicht den sonst üblichen Abschluss erhalten. Nicht nur, dass der drohende Untergang nicht aufgehalten werden konnte; da es kein personifiziertes Böses gibt, das hätte besiegt werden können, gibt es auch keinen strahlenden Helden, der nach der Schlacht mit dem Wiederaufbau beginnen könnte. Jenny-Mai Nuyen erzählt hier das Ende einer Epoche, ohne einen Blick auf einen Neuanfang zu werfen.
Insofern ist „Das Drachenauge“ für einen Fantasy-Roman unerwartet realistisch. Das Böse ist kein Fremdkörper, der von außen in die bis dahin heile Welt eindringt und mit Heldenmut und Opferbereitschaft wieder vertrieben werden kann. Gut und Böse sind Teil der Welt, waren es immer und werden es immer sein. Sie bleiben von Umwälzungen, von Aufstieg und Fall, völlig unberührt. Trotzdem hat das Buch kein negatives Ende. Denn einer der drei Hauptcharaktere hat eine Wandlung durchgemacht und wirft zumindest ein kleines Hoffnungslicht auf den düsteren Weg ihrer Welt, auf den die Autorin einen Ausblick gegeben hat.
Um es kurz zu machen: Jenny-Mai Nuyen hat die Hoffnungen, die ich in ihr neuestes Buch setzte, voll erfüllt. Ihre Sprache ist nach wie vor bildhaft und ausdrucksstark, sowohl was Stimmungen als auch Landschaften betrifft; ihre Charaktere agieren nicht nur glaubhaft und nachvollziehbar, sie sind voller Leben, als hätte ich sie persönlich gekannt; und auch ihre Ideen, vor allem im Zusammenhang mit der Welt der Drachen, haben mir sehr gut gefallen, auch wenn der Gedanke von Fell bei einem Drachen etwas ungewöhnlich erscheint.
Jemand, der sich langweilt, sobald der Held der Geschichte nicht ununterbrochen von einer unermesslichen Gefahr in die andere stolpert, sollte besser die Finger von dem Buch lassen. Wer dagegen mehr als rasante Action im Sinn hat, dem kann ich das Buch wärmstens empfehlen. Jenny-Mai Nuyen schreibt nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit ihrer Seele. Das ist deutlich zu spüren. Zur Abwechslung mal finde ich das vollmundige Lob von Verlag und Presse, für das ich normalerweise überhaupt nichts übrig habe, durchaus gerechtfertigt.
Jenny-Mai Nuyen stammt aus München und schrieb ihre erste Geschichte mit fünf Jahren. Mit dreizehn wusste sie, dass sie Schriftstellerin werden wollte. „Nijura“, ihr Debüt, begann sie im Alter von sechzehn Jahren. Inzwischen ist sie neunzehn und studiert Film an der New York University. Ihr neuester Roman „Nocturna – Die Nacht der gestohlenen Schatten“ ist für Juli dieses Jahres angekündigt.
Um Haaresbreite ist es Amra, Gorun und Jemren gelungen, mit Lillia den Nraurn zu entkommen. Allerdings sind sie nach ihrer überstürzten Flucht im Norden gelandet. Fast scheint es, als wäre der weite Weg, den Jemren mit Lillia gegangen ist, umsonst gewesen. Dazu kommt, dass sie von Jemrens Landsleuten mit größtem Misstrauen betrachtet werden. Nret, die Klankönigin der Stadt Thárraxi, hält Jemren für einen Verräter, einen Verbündeten der verhassten Südländer.
Da taucht ein weißes Schiff vor der Nordküste der Insel auf, und der Kapitän ruft nach seine Tochter Lillia. Da Lillia ebenfalls die Arme nach dem Schiff ausstreckt, lassen ihre Beschützer sie gehen. Erst im letzten Moment erkennt Gorun die Falle und stürzt hinterher!
Während Gorun von dem Schiff, das Lillia entführt hat, mit auf See hinausgetragen wird, zwingt Nret Jemren, ihr und einer Handvoll Bogenschützen den Weg durch den Scyé zu zeigen, jene tiefe, vulkanische Schlucht, welche die Insel in zwei Teile spaltet. Nur zu bald erfährt Jemren, was Nret in Wahrheit vorhat …
|Charakterentwicklung|
Der zweite Band des Zyklus scheint einer der verblendeten Frauen zu sein.
Die eine ist Nret. Ihr Hass gegen den Süden ist so groß, dass sie trotz Amras Warnung einen Pakt mit den Nraurn schließt. Sie glaubt tatsächlich, dass Kajlyn-Gua, die Königin der Bahak, ihr im Gegenzug für ihre Unterstützung die Stadt Défagos samt Ländereien überlassen wird! Und obwohl die Nraurn eine weit größere Bedrohung für sie und ihr Volk darstellen, wirft sie Jemren Verrat vor, weil er sich mit Südländern angefreundet hat, um das eine Kind zu beschützen. Für ihre Blindheit wird sie einen hohen Preis bezahlen.
Aber Kajlyn-Gua ist kein Deut besser. Offenbar wurden sie und ihre Zwillingsschwester Quinda-Na unter besonderen Vorzeichen geboren, auf die die Autorin jedoch nicht näher eingeht. Aufgrund dieser Vorzeichen ist die Nraurn-Königin davon überzeugt, dass sie auserwählt ist, die Prophezeiung zu erfüllen und die Menschen von der Insel der Stürme zu vertreiben. Zu diesem Zweck ist sie sogar bereit, sich mit dem Dunklen Gott Antiles zu verbünden. In ihrem Hochmut ist sie nicht fähig zu erkennen, dass der Gott sie nur benutzt! Alle Warnungen diesbezüglich schlägt sie in den Wind.
Die Charakterzeichnung dieser beiden Frauen als solche ist nicht unbedingt besonders tiefschürfend, sondern eher knapp, aber dennoch klar ausgefallen. Sie dient vor allem dem Ausbau der Konflikte innerhalb der Handlung:
Nret und ihre Bogenschützen wollen ihrem angestauten Hass und Neid Luft machen und ziehen deshalb in den Krieg gegen den Süden. Der Süden will sich gegen den Norden schlimmstenfalls verteidigen, sein unmittelbarer Feind sind die Nraurn, die seine Existenz bedrohen. Die Nraurn kämpfen sowohl gegen den Norden als auch den Süden, was sie dem Norden gegenüber bisher nur noch nicht zugegeben haben, und übersehen dabei, dass sie im Grunde nicht für ihre eigenes Volk kämpfen, sondern für Antiles. Antiles dagegen kämpft nicht nur gegen Menschen und Nraurn, sondern vor allem gegen die übrigen Götter, die ihn einst von der Insel verbannten. Er will die gesamte Insel zu einem Reich des Todes machen.
|Handlungsfortschritt|
Keine Frage, dass bei diesen Spannungen irgendwann ein Zusammenstoß kommen muss. Und er kommt.
Hat die Autorin die Zerstörung Canáxis bestenfalls gestreift, so schildert sie den Angriff der Nraurn auf Défagos weit ausführlicher. Angenehmerweise verzichtet sie dabei weitestgehend auf grausame, blutige oder unappetitliche Details, ohne dass es der Darstellung des Kampfes Abbruch täte. Die eigentliche Entscheidung fällt letztlich auf ungewöhnliche Weise, ganz ohne Waffen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Nraurn noch immer ein riesiges Heer zur Verfügung haben und Antiles nicht vernichtet ist, dürfte es sich dabei aber wohl eher um einen Vorgeschmack auf das Kommende gehandelt haben.
Aber schon bei diesem Vorgeplänkel geraten auf allen Seiten Beteiligte zwischen die Fronten. Jemren hat in seinem Bemühen, Lillia zu schützen, tatsächlich gegen sein eigenes Volk zur Waffe gegriffen! Dass es sich dabei größtenteils um irregeleitete, sture Narren handelt, macht die Sache für ihn nicht besser. Tenon, Nrets Stellvertreter, hegt zwar die größten Bedenken gegen Nrets Entscheidungen, das hindert ihn aber nicht daran, Jemren für einen Verrat zu hassen, den er selbst genauso begangen hat! Nesyn, der neue Heerführer Kajlyn-Guas, kämpft ebenfalls gegen Bedenken. Er fürchtet den Schatten, mit dem seine Königin sich verbündet hat, und was sie mit dem Körper ihrer Schwester getan hat, empfindet er im höchsten Maße als widernatürlich. Außerdem gehen ihm die Worte des alten Qyon, des Wächters der heiligen Schlucht der Nraurn, nicht aus dem Kopf: „Deine Königin hat mich bestohlen!“
Mit der Erweiterung der beteiligten Parteien hat Heide Solveig Göttner aber nicht nur die Verwicklungen der Handlung ausgebaut, sondern auch den kulturellen Hintergrund. Die Götter der Menschen haben, auch wenn sie bisher so gut wie nicht aufgetaucht sind, eine Identität erhalten. Das erklärt auch ein wenig die ungeheure Machtfülle und gleichzeitig die ungewöhnlichen Charaktereigenschaften von Lillia.
Dafür hält die Autorin sich im Hinblick auf die Prophezeiung noch immer stark zurück. Der genaue Wortlaut taucht nirgendwo auf, im Grunde erfährt der Leser nur, wie die verschiedenen Gruppen sie interpretieren. Auch ist immer noch nicht klar, wo Lillia eigentlich herkommt. Défagos besitzt die größten Türme aller Städte, und doch sagt Lillia, ihr Turm sei noch größer!
|Insgesamt|
„Der Herr der Dunkelheit“ ist damit ein gutes Stück komplexer, als es „Die Priesterin der Türme“ war. Nicht nur, dass er mehr Handlungsstränge bietet. Durch die Ausweitung des Konflikts auf mehrere Gruppen mit jeweils eigenen Interessen, die zudem in sich selbst nicht einheitlich sind – der Norden ist gespalten und Nesyns Loyalität hat die ersten feinen Risse bekommen -, entstand ein Netz aus vielfältigen Verflechtungen, das sich jederzeit und in unterschiedliche Richtungen verändern kann. In Anbetracht dieser Entwicklung verspricht der dritte Band ein interessantes und spannendes Finale.
|Die Autorin|
Heide Solveig Göttner studierte Anglistik und arbeitet als Dozentin für Englisch und Deutsch in Freiburg. Außer einem Faible für archäologische Stätten hat sie eine Vorliebe für Inseln, beides hat sich offenbar in ihrer schriftstellerischen Tätigkeit niedergeschlagen. „Die Priesterin der Türme“ war ihr Debütroman, dessen Fortsetzung „Der Herr der Dunkelheit“ erschien im März dieses Jahres. Leider war der Homepage der Autorin keinerlei Hinweis zu entnehmen, wann der dritte Band erscheinen wird. Mit Blick auf den Abstand zwischen dem Erscheinen der ersten beiden Bände darf der Leser sich wohl auf eine Wartezeit von zwölf Monaten einrichten.
Amra, die junge Totenpriesterin der Stadt Caláxi, trifft auf ihrem Rückweg von einem Bestattungsritus auf einen Fremden. In den unsicheren Zeiten, in denen sie leben, bedeutet jeder Fremde eine Bedrohung. Amra schickt ihm die Reiter der Stadt hinterher. Doch als diese den Fremden eingekreist haben, stellt sich heraus, dass er ein Kind bei sich hat. Ein Mädchen mit türkisfarbenen Augen – ein verlorenes Kind!
Den Prophezeiungen nach wird ein solches Kind einst den Untergang der Türme heraufbeschwören. Die Bürger Caláxis betrachten das Kind und seinen Begleiter deshalb voller Unbehagen. Auch Corun, erster Reiter der Stadt und ihr oberster Hüter, traut dem Fremden nicht über seine eigene Nasenspitze hinaus. Und das hartnäckige Schweigen des Fremden auf jegliche Fragen trägt auch nicht dazu bei, die Lage zu entspannen.
Als die Hohepriesterin Caláxis schließlich verkündet, das Mädchen müsse getötet werden, nehmen die Ereignisse eine dramatische Wendung …
|Charaktere|
Amra ist ein Querkopf. Seit sie erwachsen ist, scheint all ihr Tun aus Widerstand zu bestehen, selbst wenn ihr das gar nicht unmittelbar bewusst wird. Sie überwirft sich mit ihrer Familie, weil sie lieber ein Leben als Unberührbare führt anstatt als angesehene Priesterin der Quelle zu dienen. Und entgegen aller Überlieferungen und Überzeugungen ihrer Stadt setzt sie ihr Leben ein, um das ungewöhnliche kleine Mädchen zu beschützen. Ihre Entscheidungen trifft sie aus dem Bauch, nicht aus dem Kopf. Und das ist nur gut so, denn ihr ausgeprägtes Einfühlungsvermögen und ihre Intuition gehen tiefer als das Offensichtliche.
Gorun dagegen ist ein Hitzkopf. Schon bevor sein jüngerer Bruder einem grausamen Mord zum Opfer fiel, wusste Gorun, dass die Stadt bedroht ist. Jetzt plagen ihn Schuldgefühle und die Angst, in seiner Aufgabe zu versagen. Dass der Fremde, den seine Reiter aufgegriffen haben, ihm keine Antworten auf seine Fragen gibt, reizt ihn zusätzlich. Kein Wunder also, dass auch bei ihm die letzte Entscheidung nicht vom Verstand, sondern von seinem Gefühl getroffen wird. Dabei mag auch seine Achtung vor Amra beigetragen haben, vor allem aber die Tatsache, dass Goruns Wesen in erster Linie darauf ausgerichtet ist, die Hilflosen zu beschützen, nicht zu töten.
Jemren, der Fremde aus dem Norden, dagegen ist die Selbstbeherrschung in Person. Er gibt keine Antwort, verrät keinerlei Gefühle, vor allem nicht Gorun gegenüber. Sein alleiniges Ziel ist es, das Kind zu schützen. Dabei weiß er gar nicht, warum er sich überhaupt mit dem Mädchen eingelassen hat. Jemren ist auf der anderen Seite der Insel aufgewachsen, wo weder die alten Götter noch die alten Lieder und Legenden von Bedeutung sind und Verschlossenheit zu den höchsten Tugenden gehört. Die Menschen sind in diesem kargen, rauen Teil der Insel so mit dem eigenen Überleben beschäftigt, dass sie für niemanden außerhalb ihrer eigenen Stadt etwas übrighaben, nicht einmal für die anderen Städte ihres eigenen Volkes.
Der Autorin ist es gelungen, jedem von den dreien Tiefe und Glaubwürdigkeit zu verleihen, indem sie – ganz ohne Schwarz-Weiß-Malerei – den Kampf ihrer Protagonisten beschreibt, die jeder für sich eine Kluft aus Vorurteilen, Misstrauen und generationenaltem Hass zu überwinden haben, weil sie aufeinander angewiesen sind, um zu überleben.
|Handlung|
Die Handlung ist in drei Ebenen geteilt, geschildert jeweils aus der Sicht eines der drei Hauptprotagonisten.
Der erste Teil erzählt von den Ereignissen in Canáxi. Dieser erste Teil vermittelt vor allem den Eindruck von Verwirrung. Das liegt zum einen daran, dass aus Amras Sicht erzählt wird. Amras Intuition bezüglich des Mädchens widerspricht den alten Überlieferungen, von deren Wahrheitsgehalt Amra nach wie vor überzeugt ist, außerdem versteht sie nicht, was die Kleine ihr so dringend zu erklären versucht. Zum anderen liegt es an dem Chaos, das die Katastrophe in der Stadt anrichtet. Die Autorin hat hier sehr gut die Stimmung in einer Stadt eingefangen, die auf ihren Untergang zusteuert, den die Einwohner auf der einen Seite nicht wahrhaben wollen, auf der anderen aber krampfhaft abzuwehren versuchen, und das mit Mitteln, die nicht wirken können, da niemand die wahre Ursache erkannt hat.
Nach der Zerstörung Canáxis erzählt der zweite Teil von der Hetzjagd durch die Wüste. Jemren versucht, die Kleine nach Osten zu bringen, weil sie dort unbedingt hinwill. Gorun macht ihm dabei das Leben schwer, nicht nur, weil er ihm nicht traut, sondern auch, weil er das Gelände kennt und davon überzeugt ist, dass es dort keine Rettung gibt. Die Flucht durch die Trockenen Hügel wird zur körperlichen Strapaze und gleichzeitig zum zermürbenden geistigen Duell zwischen den beiden Männern, das nur deshalb nicht in einem bewaffneten Zweikampf endet, weil beide keine Halunken sind. Allerdings resultiert aus den nachlassenden Kräften der Fliehenden auch, dass Jemren sich allmählich seinen Begleitern ein Stück öffnet, und damit letztlich auch wachsendes Verständnis füreinander.
Im letzten Teil raufen sich die beiden Männer zusammen, um ihre kleine Gruppe endlich von ihren Verfolgern zu befreien, was die Nraurn etwas mehr in den Vordergrund rückt.
Die Nraurn sind das zweite Volk, das die Insel bewohnt. Was genau sie sind, erfährt der Leser nicht, und die Beschreibung beschränkt sich auf Hörner, Bärte und Mähnen. Ihre Reittiere sind Naur, eine Mischung aus Ziege und Pferd. Die Nraurn sind in viele Stämme gespalten, und der kriegerischste unter ihnen, die Bahan, versucht, die Nraurn zu einen, was einigen der anderen Stämme gar nicht gefällt. Den Bahan sind sie aber offenbar nicht gewachsen.
Die Bahan wollen aber nicht nur die Nraurn einigen, sie wollen auch die Insel von den Menschen befreien. Die Menschen kamen nach ihnen auf die Insel, und die Nraurn empfinden diese als Eindringlinge und Räuber, von denen sie aus den fruchtbaren Regionen in die Wüste abgedrängt wurden. Um die alleinige Herrschaft über die Insel zurückzuerlangen, sind sie bereit, mit dem dunklen Gott des Todes einen Pakt zu schließen. Er soll die Menschen mit Stumpf und Stiel ausrotten. Doch für diesen Gefallen verlangt der Gott einen Preis. Und dieser Preis ist das Mädchen, das verlorene Kind …
Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass das Mädchen, das lediglich seinen Namen Lillia weiß, mehr ist, als selbst die alten Überlieferungen der südlichen Türme besagen. Es besitzt kein Taú, nichts von der innersten Kraft eines Lebewesens, das seine Seele an seinen Körper bindet. Dafür ist es offenbar ein Gefäß uralter und unermesslicher Kräfte, die es zwar einsetzen kann, von denen es aber gleichzeitig keinen Begriff hat. Lillia weiß nichts über alltägliche Dinge, dafür kennt sie Geheimnisse des Universums, von denen sonst niemand etwas weiß. Sie besitzt ungeheure Macht, spricht und denkt aber trotzdem wie ein Kind, und ist genauso verängstigt und schutzbedürftig. Und sie ist der Schlüssel zum Schicksal der Insel … Diese Erkenntnis erreicht letztlich sogar Gorun.
|Insgesamt|
Ich fand das Buch durchaus gelungen. Es strotzt nicht gerade vor Magie: Von den diversen Göttern ist bisher nur der finstere Totengott Antiles aufgetaucht, und der Umfang von Lillias geheimen Kräften dürfte auch noch nicht im vollen Umfang offenbar geworden sein. Dafür hat sich die Autorin mehr auf ihre Charaktere konzentriert, deren Beziehungen zueinander gleichzeitig die Kultur und einen Teil der Historik dieser Welt widerspiegeln und ein realistisches Bild davon zeichnen, wie schwer es ist, einen jahrhundertealten Riss aus Hass und Verbitterung wieder zu kitten, selbst wenn bei einem Misserfolg der völlige Untergang droht.
Auch die Spannung kam nicht zu kurz, lediglich das Versteckspiel in den Trockenen Hügeln zog sich kurzzeitig ein wenig. Die Szenarien der drei verschiedenen Teile boten jedoch genug Abwechslung, um keine echte Langeweile aufkommen zu lassen.
Insgesamt ein gelungener Auftakt, der von seinen Kontrasten lebt, sei es der Konflikt zwischen Gorun und Jemren oder Lillias seltsam zwiespältiges Wesen. Sowohl der historische Hintergrund als auch die Magie bieten noch viele Ausbaumöglichkeiten. Die Kluft zwischen Nord und Süd, die bisher nur innerhalb einer kleinen Gruppe überwunden wurde, bedeutet eine enorme Herausforderung, und die Königin der Nraurn wird in dieser Zeit sicherlich nicht untätig bleiben.
|Die Autorin|
Heide Solveig Göttner studierte Anglistik und arbeitet als Dozentin für Englisch und Deutsch in Freiburg. Außer einem Faible für archäologische Stätten hat sie eine Vorliebe für Inseln, beides hat sich offenbar in ihrer schriftstellerischen Tätigkeit niedergeschlagen. „Die Priesterin der Türme“ war ihr Debütroman; dessen Fortsetzung „Der Herr der Dunkelheit“ erschien im März dieses Jahres. Band 3, „Die Königin der Quelle“, ist für 2008 angekündigt.
Band 1: [„Die sterblichen Götter Tencendors“ 2653
Band 2: [„Die Wächter der Zeiten“ 2947
Den Dämonen ist es gelungen, ihren Anführer Queteb im Körper von Sternenfreudes Sohn wiederzuerwecken. Aber ihr Triumph ist noch nicht vollkommen, denn Drago/Drachenstern ist es gelungen, alle Wesen Tencendors, die noch nicht dem Wahnsinn verfallen waren, in eine Zuflucht zu führen, welche die Dämonen nicht betreten können.
Doch in Isfrael, dem Sohn von Axis und Faraday und König über das Volk der Awaren, schwärt der Zorn. Er hasst die Zuflucht, die er als unnatürlich empfindet, er hasst Faraday, die ihm die Herrschaft über sein Volk streitig macht, und denkt über nichts anderes nach als darüber, wie er seine Macht zurückgewinnen kann …
Drachenstern sucht indes fieberhaft nach einer Möglichkeit, wie er die Dämonen endgültig besiegen kann. Er weiß, dass jeder der Achariten, die Drachenstern einst aus dem Tod zurückgeholt hat, gegen einen von Quetebs Dämonen antreten muss, während er selbst sich Queteb stellen muss. Aber welche Rolle spielt Katie in diesem Kampf? Und welche Rolle spielt Niah?
In der Tat hat Wolfstern, als er das tote Kind, das Zenit bei ihrem Kampf gegen Niah aus ihrem Körper gezwungen hat, auf dieselbe Weise wiederzuerwecken suchte, wie die Dämonen Queteb wiedererweckten, Queteb eine mächtige Waffe in die Hand gespielt!
Sternenfreude ist nicht unbedingt glücklich über die neueste Entwicklung. Seit Queteb wieder einen eigenen Körper hat, lässt die Behandlung durch die Dämonen jegliche Ererbietung vermissen, auf die Sternenfreude Anspruch zu haben glaubt. Als Queteb ihr auch noch verächtlich erklärt, ihr Sohn habe sie gehasst, beschließt sie, die Seiten zu wechseln.
Ich muss gestehen, dass es mich – obwohl ich Sara Douglass‘ Bücher sehr schätze – diesmal Überwindung gekostet hat, das Buch anzufangen, denn ich wusste vorab zwei Dinge: Isfrael wird zum Verräter. Nun, das war mir bereits im zweiten Band klar. Und Tencendor wird untergehen. Eine ziemlich deprimierende Aussicht. Ich hätte es besser wissen sollen.
Isfrael entwickelt sich tatsächlich entsprechend meinen Befürchtungen. Im Laufe der Zeit stellt sich heraus, dass er nicht nur einmal zum Verräter wird, sondern letzten Endes bereit ist, alles und jeden zu verraten, um sein eigenes jämmerliches Leben zu retten. Gleichzeitig ist er tatsächlich dumm genug, sich auf die Versprechungen von Dämonen zu verlassen. Ich konnte wirklich nur den Kopf schütteln! Und ehrlich gesagt: Die weitere Entwicklung hätte ich ihm zwar nicht gewünscht, aber leid tat er mir auch nicht.
Dafür kommt Axis allmählich zu Verstand, sodass an zwischen“menschlichen“ Beziehungen nur noch die Wirrungen zwischen Zenit, Sternenströmer und Wolfstern übrig bleiben. Die bleiben dafür wirr bis zum Ende und darüber hinaus, denn die Autorin liefert keine echte Erklärung für Zenits seltsames Verhalten.
Die Charakterzeichnung wird also, nachdem Isfraels Eskapaden durchgestanden sind, wesentlich erträglicher als bisher. Das ist auch nötig, denn immerhin geht es diesmal sozusagen um die Wurst. Die Handlung rückt in den Vordergrund und lässt nicht mehr so viel Platz für dramatische Seelenzustände. Einzige Ausnahme ist Faraday, doch dazu später noch mehr.
Isfraels Verrat hat die Weichen für die Ausgangsposition der Zweikämpfe gestellt. Zwar ging die Zuflucht verloren, doch mit Hilfe der Urmutter und Eisbärin Urbeth ist es gelungen, sie vorher vollständig zu räumen. Axis und Zared reiten mit Zareds Heer an der Spitze des Konvois, töten jedes der wahnsinnigen Geschöpfe, die dem Hauch der Dämonen nicht entkommen konnten, und schwächen damit Quetebs Macht. Doch besiegen können sie ihn auf diese Weise nicht, ebenso wie Queteb die Kolonne nicht einfach angreifen und vernichten kann. Ein unsicheres Patt.
Die Zweikämpfe selbst waren ungewöhnlich. Nicht nur, dass es keinerlei Schwertergeklirr und Blutgespritze gab – dafür hat die Autorin generell eher wenig übrig -, es waren auch keine typischen magischen Duelle mit Knall, Rauch und Gestank. Wie so oft ist es Sara Douglass auch diesmal gelungen, mit unerwarteten, originellen Ideen aufzuwarten. Dasselbe gilt für den ungewöhnlichen Schutz, der die Kolonne flankiert, während sie Axis durch Tencendor folgt, oder für Ur, die Mutter der Bäume, und ihren Tontopf.
Nicht nur, dass diese Ideen frischen Wind in die Geschichte brachten, sie dienten außerdem als Spannungsregler. Der dritte Band des Sternenzyklus hat einen Spannungsbogen wie eine Achterbahn. Der Leser sieht den Abgrund auf sich zukommen und weiß genau, dass der Sturz unvermeidlich ist, wird dann mittendrin abgefangen, wieder ein Stück hochgetragen, nur um gleich darauf noch einmal abzustürzen und wieder emporgetragen zu werden. Beim ersten Zweikampf wird noch genau festgestellt, zu welchen Bedingungen der Kampf als gewonnen gilt. Bei den übrigen fehlt diese Feststellung, und während man beim zweiten trotzdem noch genau weiß, wer gewonnen hat, ist man sich beim dritten schon nicht mehr so sicher. Beim vierten Zweikampf, dem Duell zwischen Scheol und Faraday, ist sich der Leser nicht einmal mehr sicher, worin eigentlich das Duell besteht. Niemand verliert ein Wort darüber, und letztlich scheint Faraday mehr gegen sich selbst und ihre Erinnerungen zu kämpfen als gegen Scheol.
Letztlich stellte sich also heraus, dass dieser dritte Band nicht so zermürbend war, wie ich befürchtet hatte, im Gegenteil. Der Ärger über Personen wie Isfrael oder Axis hielt sich in Grenzen und das Ende war auch weit weniger deprimierend als erwartet. Die Handlung hielt stets die Balance zwischen Erfolg und Misserfolg, steigender Bedrohung stand immer ein gelöstes Problem oder eine neu gewonnene Fähigkeit oder Einsicht gegenüber. Und es gab genug neue Ideen und unerwartete Wendungen, um dem Buch eigenes Leben zu verleihen.
Trotzdem muss ich sagen, dass mir der Weltenbaumzyklus besser gefallen hat. Nicht allein, weil die Grundstimmung des Sternenzyklus weit düsterer ist, das ließ sich kaum vermeiden. Für die Spannungskurve war eine Bedrohung notwendig, und die musste – um den Eindruck von Wiederholung zu vermeiden – notwendigerweise die aus dem Weltenbaumzyklus übertreffen. Daraus ergab sich unausweichlich ein Szenario, das besonders in der Fantasy immer wieder auftaucht: der universelle Kampf zwischen Gut und Böse, der sich über Äonen durch die Welten bewegt, bis er sich irgendwann an irgendeinem Punkt zur schicksalhaften Entscheidung trifft. Da dieser absolute Endkampf nicht noch weiter getoppt werden kann, war es wohl eine kluge Entscheidung der Autorin, Tencendor untergehen zu lassen.
Es lag auch nicht daran, dass ich mich hier nicht nur über Axis, sondern auch noch über Isfrael ärgern musste. Es ist vor allem so, dass das Flair beider Zyklen ziemlich unterschiedlich ist. Die Atmosphäre des Weltenbaumzyklus ist viel magischer, sei es nun im Hinblick auf Dinge wie das Regenbogenzepter, die Schale der Mutter oder Bornhelds Ring, oder auf Tätigkeiten wie Axis Gesang. Im Sternenzyklus dagegen ist Tencendor vom Sternentanz abgeschnitten, und die einzige Magie – außer der Zerstörungsmacht der Dämonen – ist die der Achariten, die um einiges prosaischer auf Gefühlen und Entscheidungen beruht. Der Sternenzyklus wirkt dadurch schlichter und unserem Alltag wesentlich näher als sein schillernder und geheimnisvoller Vorgänger, auch wenn seine Grundaussage – nämlich dass man das Böse nicht mit seinen eigenen Waffen schlagen kann, ohne selbst böse zu werden – eine unbestreitbare Wahrheit wiedergibt.
Im Übrigen konnte die Autorin sich trotz Tencendors Untergang offenbar ein Hintertürchen nicht verkneifen. Sternenströmer ist in Koroleas gelandet, und auch Drachenstern und Faraday sind offensichtlich noch nicht zur Ruhe gekommen. Tatsächlich greift die neueste Arbeit der Autorin Personen aus den beiden Zyklen wieder auf. Bemerkenswert dabei ist allerdings die erklärte Absicht, auch ihre anderen Werke mit einfließen zu lassen, wie zum Beispiel Escator und König Maximilian („Der Herr des Traumreichs“) oder Asdod („Die Glaszauberin“/“Der Steinwandler“). Ich bin gespannt, wie ihr das gelungen ist.
Sara Douglass arbeitete zuerst als Krankenschwester, bevor sie ein Studium in historischen Wissenschaften begann. Sie promovierte und arbeitete in den folgenden Jahren als Dozentin für mittelalterliche Geschichte. Das Schreiben fing sie nebenbei an, als Ausgleich zum Stress. Nach dem Erfolg ihres |Weltenbaum|-Zyklus stieg sie aus ihrem Beruf aus und konzentrierte sich aufs Schreiben und ihren Garten. Sie lebt in einem Cottage in Bendigo, Australien. Außer dem |Weltenbaumzyklus| und „Tresholder“ schrieb sie diverse Romane und Kurzgeschichten. „The Serpent Bride“, der erste Band des neuen Zyklus |Darkglass Mountain|, erscheint im Mai.
Anwin hat durch eine Krankheit ihr Augenlicht verloren, und nicht einmal ihre Mutter Kelene, die eine Magierin und mächtige Heilerin ist, konnte etwas dagegen tun. Anwins Tatkraft konnte dieser Verlust allerdings nicht bremsen. Als Kelene von ihrer Mutter Gabria die Botschaft erhält, dass ihr Bruder erkrankt sei, setzt Anwin durch, dass sie ihre Eltern zum Khulinin-Treld begleiten darf.
Allerdings hat sie ihrer Mutter nicht gesagt, dass eine geheimnisvolle Stimme sie dazu aufgefordert hat, die ganz sicher von keinem Menschen und auch von keinem Hunuli, einem der besonderen Pferde der Magier, stammte. Nur ihrem Vetter Jamarh vertraut sie sich an, der prompt darauf besteht, ihr zu helfen.
So kommt es, dass die Kinder sich bei Nacht und Nebel davonschleichen, um mit einer Höhlenbärin eine schwierige Aufgabe zu erfüllen, während ihre Eltern sich mit den Eidbrechern herumschlagen, jenen zu Assassinen ausgebildeten Anhängern der dunklen Göttin Krath, die sich seit Jahrhunderten in ihrer Festung verschanzt haben.
Deren neue hohe Priesterin Uthara will Valorians Kinder auslöschen und einen neuen Magierzirkel errichten, der nicht mehr der Göttin Amara, sondern Krath dienen soll. Entgegen der Traditionen der Eidbrecher hat sie sich mit Magie befasst und nebenbei ein heimtückisches Gift entwickelt. Eines, mit dem unter anderem Kelenes Bruder vergiftet wurde …
|Charakterzeichnung|
Anwin ist ein besonderes Kind. Der Verlust ihres Augenlichtes hat sie gezwungen, ihre übrigen Sinne mehr als üblich zu schulen. Sie hat ein ausgezeichetes Gehör und einen guten Geruchsinn, und obwohl sie bisher nicht in Dingen der Magie unterrichtet wurde, kennt sie sich gut mit Kräutern und Pflanzen aus. Außerdem ist sie sehr musikalisch. Seine Blindheit hat das Mädchen einen beachtlichen Teil seiner Selbstständigkeit gekostet, was unter anderem daran liegt, dass seine Mutter es – zumindest ihrer Ansicht nach – zu sehr behütet. Der daraus resultierende Trotz, aber auch ihr Streik als Reaktion auf das Verhalten der Höhlenbärin sind durchaus treffend für einen kindlichen Charakter. Ihr Durchhaltevermögen erschien mir allerdings für eine Achtjärige, die in der Stadt aufgewachsen ist, ein wenig arg hoch. Das gilt in etwas verminderter Form auch für ihren Jamarh, der zwar etwas abgehärteter sein dürfte, von dem ich aber dennoch zumindest so etwas wie eine Erkältung erwartet hätte.
Über Uthara dagegen gibt es nicht viel zu sagen, da sie einem gängigen Typus der Fantasy entspricht: eine Magierin, die ihren eigenen Ehrgeiz für den ihrer Göttin hält und deshalb in deren Namen absoluten Gehorsam fordert, und die skrupellos genug ist, dem Ehrgeiz uneingeschränkt alles zu opfern. Mit wachsendem Erfolg wird sie immer selbstherrlicher, bis sie schließlich im Größenwahn endet. Eine eigene Persönlichkeit aber besitzt sie nicht. Kein Wort wird über ihre Vergangenheit verloren, kein Wort darüber, was sie zu der Überzeugung brachte, Krath spreche zu ihr, oder darüber, woher ihr krankhafter Ehrgeiz gekommen sein könnte.
Elliana und Telerund, die einzigen anderen neuen Charaktere, sind noch weniger deutlich gezeichnet. Da sie eher Nebenrollen spielen, erfährt man von ihnen nur, was für das Verständnis der Geschichte als solcher erforderlich ist. Ihre Gefühle und Gedanken werden zwar festgestellt, es fehlt ihnen aber an Intensität.
Mit anderen Worten, die Charakterzeichnung ließ zu wünschen übrig. Zumal die Autorin bereits bewiesen hat, dass sie so etwas besser kann.
|Handlung|
Auch die Handlung fiel um einiges simpler aus als in den Vorgängerbänden. Der Plot entwickelt sich erstaunlich schnell. Der Aufbruch der Krieger zur Zitadelle der Eidbrecher erfolgt fast zeitgleich mit dem der Kinder. Beide Gruppen werden verfolgt und des Öfteren angegriffen, die Lage verschlechtert sich zusehends. Echte Spannung kommt aber erst auf, als Uthara den Zweck von Anwins Reise herausfindet. Da sind schon fast zu drei Viertel des Buches gelesen.
|Gesamteindruck|
Kein Wunder also, dass „Die dunkle Zauberin“ ein gutes Stück schlanker ist als die ersten beiden Bände. Offenbar hatte die Autorin nicht mehr genug Elan, um in Anwin ebenso viel Sorgfalt und Komplexität zu investieren wie in Gabria und Kelene. Selbst „Valorians Kinder“, das als Prequel und aufgrund seiner besonderen Form (Gabria erzählt diese Geschichte als Legende) ein wenig aus der Reihe fällt, hatte trotz geringerer Seitenzahl wahrscheinlich mehr Inhalt, denn „Die dunkle Zauberin“ ist größer gedruckt.
Ich fand das sehr schade. Nicht, dass das Buch langweilig oder schlecht wäre. Es wirkte nur auf mich, als hätte die Autorin versucht, die Sache so schnell wie möglich abzuhandeln. Hätte sie sich etwas mehr Zeit genommen, wäre das Buch womöglich etwas dicker ausgefallen, vielleicht mit etwas tiefer gehender Charakterzeichnung, vor allem im Hinblick auf Uthara, oder mit ein paar mehr Verwicklungen und Hindernissen, die den Handlungsverlauf etwas weniger geradlinig gestaltet hätten. Platz hätte sie auf jeden Fall noch genug dafür gehabt.
Womöglich kommt auch nochmal was nach. Der Schluss des Buches ließe das zu. Dann hätte der Verlag allerdings besser daran getan, diesen Band auch noch abzuwarten. [„Die letzte Zauberin“ 61 und „Die Tochter der Zauberin“ waren ja auch sozusagen Doppelbände, in denen jeweils zwei der englischen Originale zusammengefasst waren.
So, wie er jetzt ist, würde ich den Band eher in der Jugendbuchkategorie ansiedeln. Das wäre für sich genommen kein Nachteil, in diesem speziellen Fall passt es aber nicht zu dem, was die Leserschaft von der Autorin bisher gewohnt war. Im Vergleich zu den Vorgängern war dieser vierte Band eher eine Enttäuschung. Keine große, aber eine kleine.
„Die dunkle Zauberin“ ist ein echter Nachzügler. Die deutsche Erstausgabe von „Valorians Kinder“ erschien bereits vor fast drei Jahren. Außer dem Zyklus um Gabria und ihre Familie hat Mary H. Herbert Romane der |Drachenlanze| geschrieben sowie an diversen Anthologien mitgearbeitet. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Georgia.
|Originaltitel: Dark Goddess
Aus dem Amerikanischen von Michael Siefener
Paperback, 416 Seiten|
http://www.heyne.de
Claes ist mit Felix, dem Sohn seiner Dienstherrin, und Julius, deren Rechtskonsulent, auf einem Boot unterwegs nach Brügge. An einer Schleuse treffen sie auf ein anderes Boot, beladen mit einem seltsam klobigen, langen Teil sowie mit illustren Passagieren besetzt: ein schottischer Bischof samt Gefolge, eine vornehme Kaufmannstochter auf dem Weg nach Hause und ein recht hochnäsiger Lord mit seinem Hund. Im Verlauf dieses ohnehin schon eher unangenehmen Treffens kommt es zu einem Unfall, infolgedessen die Ladung des wartenden Bootes sinkt. Aber nicht nur die Versenkung der Ladung hat weitreichende Folgen …
Dorothy Dunnetts Geschichte über das bewegte Leben eines jungen Färberlehrlings ist nicht so leicht beizukommen. Schon allein der historische Hintergrund droht den Umfang zu sprengen. Deshalb hier nur das Nötigste:
_1459:_ In England toben die Rosenkriege. Der regierende König Heinrich VI. aus dem Hause Lancaster ist aus vielerlei Gründen in seiner Heimat höchst unbeliebt, nicht zuletzt, weil er den hundertjährigen Krieg gegen Frankreich verloren hat. Außerdem ist er krank.
Der schottische König Jakob II. weiß nicht so recht, auf welche Seite der englischen Bürgerkriegsparteien er sich schlagen soll, York oder Lancaster. Abgesehen davon ist Schottland ohnehin noch vom Unabhängigkeitskrieg geschwächt. Auf jeden Fall aber ist ihm ein Dorn im Auge, dass England noch immer eine letzte schottische Burg besetzt hält, Roxburgh Castle.
Frankreich dagegen weiß genau, wen es unterstützen will. Dem selbst auf eher wackligem Thron sitzenden Karl VII., der überhaupt nur dank Jeanne d’Arc König geworden ist, ist es lieber, in England regiert der schwache Lancaster als ein starker York. Denn Karl VII. hat nicht nur Probleme mit England. Im Königreich Neapel wurde das französische Herrscherhaus der Anjou durch das spanische Haus Aragon ersetzt, was die Franzosen gerne rückgängig machen würden. Außerdem hat der Dauphin, der spätere Ludwig XI., sich mit seinem Vater überworfen und nach Burgund abgesetzt.
Der Herzog von Burgund und Flandern, Philipp der Gute, seinerseits hat sich – obwohl sein Territorium offiziell zu Frankreich gehört! – bereits im Hundertjährigen Krieg auf Seiten Englands geschlagen, da der französische König – damals noch Dauphin – Philipps Vater hat ermorden lassen.
Ferdinand I. von Neapel wehrt sich derweil mit Unterstützung Mailands gegen die Franzosen und ihre Verbündeten, darunter die Venezianer.
Venedigs Stern ist allerdings bereits im Sinken begrifen. Das Osmanische Reich blockiert einen Großteil des Handels mit dem Osten, durch den Venedig groß geworden ist, unabhängig davon hat Portugal inzwischen einen Seeweg nach Indien entdeckt, wodurch Venedig sein Monopol auf den Gewürzhandel verloren hat.
In Mailand regiert Francesco Sforza, der Sohn eines Condottiere, eines Söldnerführers, in Florenz Cosimo di Medici. Beiden ist keineswegs an einer Ausdehnung von Frankreichs Machtbereich gelegen. Gleichzeitig unterhalten sie rege Geschäftsbeziehungen mit dem Dauphin.
Pius II. dagegen scheint es egal zu sein, wer auf welchem Thron sitzt. Er will nur endlich Frieden haben, damit er sowohl England als auch Frankreich finanziell in die Pflicht nehmen kann, denn er will einen neuen Kreuzzug gegen die Osmanen, die 1453 Konstantinopel erobert haben und für den Geschmack des Papstes viel zu begehrliche Blicke nach Westen werfen.
Auf dieses Gewirr aus politischen Bündnissen wurden ein weiteres aus finanziellen Verwicklungen und Beziehungen geflochten. Im Zentrum des Interesses steht dabei das Alaun, ein Mineral, das unter anderem zum Fixieren der Farben beim Stofffärben benutzt wurde. Je reiner das Alaun, desto besser die Wirkung. Alaun wird an verschiedenen Orten gewonnen, doch die ergiebigsten und reinsten Vorkommen liegen in Phökea, das inzwischen zum osmanischen Reich gehört. Da das christliche Abendland mit den Osmanen aus religiösen Gründen nicht Handel treiben darf, haben die Osmanen eine Lizenz an christliche Handelsleute vergeben, die dadurch quasi eine Monopolstellung genießen.
Außerdem spielt natürlich Geld eine Rolle. Das Bankensystem ist neu erfunden und hat geradezu ein neues Universum eröffnet. Gehandelt wird nicht mehr nur mit Waren wie Tuch, Gewürzen oder Edelsteinen, sondern zum ersten Mal auch mit Dienstleistungen. So werden Kriege seit einiger Zeit nicht mehr nur von Rittern geführt, die aufgrund ihres Lehensverhältnisses ihren Herrschern Waffendienste schuldeten, sondern vielfach von Söldnern, die für ihre Dienste ausgerüstet und bezahlt werden. Das gilt vor allem für Italien mit seinen vielen kleinen Stadtstaaten. – Mit der Erfindung des Wechsels können finanzielle Forderungen an Leute weitergegeben werden, die mit dem ursprünglichen Handelsgeschäft gar nichts zu tun hatten. Dadurch wird mehr denn je das Geld auch zum politischen Instrument, was wiederum zur Folge hat, dass Nachrichten zu einer der bestbezahlten Waren gehören, und damit auch Chiffriercodes. Zuverlässige Kurierdienste sind Gold wert!
_Charaktere_
In diesen Kontext setzt die Autorin ihre Hauptfigur. Claes, wie er vorerst genannt wird, ist ein gutmütiger, stets lachender Bursche, der ständig in Schwierigkeiten gerät und für seinen Unfug schon so manche Prügelstrafe aushalten musste. Was erstaunlich ist, denn den Sohn seiner Herrin kann er – meistens zumindest – aus größeren Schwierigkeiten heraushalten. Bei den Mädchen ist Claes äußerst beliebt, aber auch bei den übrigen Arbeitern im Färbergeschäft seiner Herrin, der Witwe Marian de Charetty, denn er besitzt nicht nur Charme, sondern auch Witz und die Gabe, andere Menschen sehr treffend nachzuahmen.
Was die Leute weniger zur Kenntnis nehmen, ist seine ungewöhnliche mathematische Begabung. Claes kann hervorragend mit Zahlen umgehen. Und mit Chiffren … Den meisten seiner Bekannten scheint ebenfalls zu entgehen, dass seine Fähigkeit, Menschen zu parodieren, von einer hervorragenden Beobachtungsgabe herrührt. Und dass sein Erfolg, Felix vom gröbsten Unfug fernzuhalten, daher kommt, dass Claes generell sehr gut mit Menschen umgehen kann.
Der Witwe Charetty entgehen diese Eigenschaften durchaus nicht. Immerhin hat sie ihn von seinem zehnten Lebensjahr an großgezogen. Abgesehen davon scheint sie aber auch noch etwas über ihn zu wissen, was sonst niemand weiß. Es hat mit Claes Herkunft zu tun. Seine Mutter war die Tochter eines Kaufmanns aus Genf. Sein Vater aber, sagt man, sei ein Dienstbote gewesen! Aber ist das wirklich die Wahrheit? Duldet die Witwe Charetty Claes plötzlich erwachendes Interesse am Geschäft nur aufgrund seiner unbestritten nützlichen Fähigkeiten?
Felix jedenfalls scheint ein Problem damit zu haben. Er mochte Claes, so lange dieser der etwas dümmliche, gutmütige Bursche war, mit dem man alles anstellen konnte, ohne dass er je etwas nachtrug. Je mehr Claes allerdings erreicht, desto mehr verändert sich sein Verhalten. Er wird selbstbewusster. Der etwas eitle und gleichzeitig faule Felix beobachtet diese Veränderung mit Skepsis und einer gewissen Portion Neid.
Abgesehen von diesen unmittelbaren Angehörigen der Familie Charetty wartet Dorothy Dunnett mit einer wahren Flut an weiteren Charakteren auf. Ein durchaus nicht kleiner Teil davon ist historisch belegt, so sämtliche Vertreter der Medici, ein Großteil der Kaufleute in Brügge sowie diverse ausländische Personen, angefangen beim Schatzmeister des Dauphin über den Leibarzt des Herzogs von Mailand bis hin zu einem Abkömmling griechischer Fürsten. Die zeitgenössischen Herrscher werden zwar erwähnt, außer dem Dauphin taucht jedoch keiner persönlich auf.
Trotz dieser Masse an Charakteren unterschiedlichster Couleur ist es der Autorin gelungen, ihnen allen ein persönliches Profil zu verleihen. Nicht unbedingt immer von gleicher Tiefe, aber stets so, dass sie nicht plakativ oder hölzern wirken.
_Die Handlung_ dagegen lässt sich zunächst eher träge an. Der Leser erlebt mit, wie aus der Puppe Claes allmählich der Schmetterling Nicholas schlüpft, wobei sich die Autorin dafür viel Zeit nimmt. Obwohl dem Leser recht bald bewusst wird, dass Nicholas von nahezu allen seinen Mitmenschen unterschätzt wird, weiß die Autorin das wahre Ausmaß von Nicholas‘ Aktivitäten bis zum Schluss bedeckt zu halten.
Ansonsten bietet die Handlung eher wenig Bewegung. Die Hauptgewichtung liegt auf Gesprächen, die – vor allem bei geschäftlichen oder politischen Themen – zu einem erheblichen Teil aus Andeutungen bestehen. Ein weiterer zentraler Punkt besteht im Zeit- und Lokalkolorit. Ereignisse, die jährliche Höhepunkte bedeuten – wie die Ankunft der venezianischen Flandern-Galeeren voller Luxusgüter oder der Karneval – werden sehr stimmungsvoll dargestellt; Gewänder und Kopfbedeckungen werden beschrieben, ohne übermäßig ins Detail zu gehen; die Ehe und sämtliche damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge sind ein Thema; und natürlich nicht zu vergessen der Klatsch, der zum Teil gutmütig, zum Teil aber auch äußerst boshaft die Wertvorstellungen und Ansichten aller Bevölkerungsschichten wiedergibt. All das summiert sich zu einem sehr lebendigen, plastischen Bild einer wohlhabenden Kaufmannsstadt zur Zeit der Renaissance.
Da sich die Entwicklung der Ereignisse eher unauffällig vollzieht, hat der Leser allerdings gelegentlich den Eindruck, dass sich im Grunde überhaupt nichts tut. Trotz der malerischen und gelungenen Ausarbeitung des historischen Hintergrunds zieht sich das Geschehen stellenweise doch ziemlich. Zwar bietet der Handlungsverlauf ein paar kleine Höhepunkte – diverse Anschläge auf Claes/Nicholas‘ Leben, einen Werkstattbrand, zwei Duelle und einen kurzen Ausschnitt aus dem Krieg in Italien – doch fast alle bleiben ohne größere Auswirkungen, soll heißen: auf den Verlauf von Nicholas‘ Aufstieg haben sie kaum Einfluss. So etwas wie Spannung kommt folglich erst ganz am Ende auf, als sich herausstellt, was genau Nicholas da eigentlich in Gang gesetzt hat.
Wer also von seiner Lektüre vor allem Action, Spannung oder Dramatik erwartet, der wird sich bei diesem Buch wahrscheinlich langweilen. |Das Haus Niccolò| ist, zumindest was den ersten Band betrifft, eine Geschichte der leisen Töne und entwickelt seine Stimmung nur allmählich. Außerdem braucht man Zeit, um sich einzulesen. Davon abgesehen jedoch bietet „Niccolòs Aufstieg“ ein gelungenes Bild einer bewegten Epoche, viele interessante Charaktere und am Ende eine gewisse Überraschung. Das Rätsel um Nicholas‘ wahre Herkunft dürfte dabei den roten Faden für die folgenden Bände bilden.
_Dorothy Dunnett_ stammte aus Schottland und studierte in Edinburgh und Glasgow. Ihr erster Roman „Das Königsspiel“, Teil I der |Lymond Chronicles|, erschien interessanterweise zuerst in den USA, da das Manuskript von britischen Verlagen abgelehnt wurde. Letztlich wuchs der Zyklus auf sechs Bände an. Zu ihren Werken zählen neben den |Lymond Chronicles| und |Das Haus Niccolò| vor allem „The King Hereafter“, ein Roman über den historischen Macbeth, sowie eine Reihe von Kriminalromanen. Dorothy Dunnet starb 2001 in Dunfermline.
|Originaltitel: The house of Niccolò, Niccolò Rising
Deutsche Erstausgabe 1986 bei |Wunderlich/Rowohlt|, übersetzt von Margaret Carroux und Sonja Schleichert
Neuübersetzung 2006 von Britta Mümmler und
Mechtild Sandberg-Ciletti
736 Seiten,gebunden mit Schutzumschlag, Lesebändchen, farbige Vorsätze, Karten, Lesezeichen mit den Hauptfiguren|
Band 1: „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“
Band 2: „Charlie Bone und die magische Zeitkugel“
Band 3: „Charlie Bone und das Geheimnis der blauen Schlange“
Band 4: „Charlie Bone und das Schloss der tausend Spiegel“
Mitten in der Nacht wird Charlie von einem Klacken am Fenster geweckt. Draußen sitzen die Flammen, die drei feuerfarbenen Katzen des roten Königs. Offenbar haben sie Charlie etwas Dringendes zu sagen, und mit Billys Hilfe erfährt er schließlich, dass sie eine Warnung vor einem Schatten überbringen. Charlie soll auf seine Mutter achten!
Band 1: „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“
Band 2: „Charlie Bone und die magische Zeitkugel“
Band 3: „Charlie Bone und das Geheimnis der blauen Schlange“
Ein neues Schuljahr hat begonnen. Und es wartet gleich als Erstes mit einer unangenehmen Überraschung auf: Manfred ist immer noch da, obwohl Charlie gehofft hatte, der unangenehme Aufsichtsschüler wäre nach seinem Schulabschluss studieren gegangen. Stattdessen ist er jetzt Hilfslehrer am Bloor! Auch Asa ist immer noch da – durchgefallen! Und als Ersatz für Zelda kam nicht nur ein frostiges Zwillingspärchen, sondern auch noch ein Junge namens Joshua, dem es mit Hilfe seiner Gabe gelingt, Tancred auf seine Seite zu ziehen. Jetzt ist das Gleichgewicht im Bloor ernstlich gestört.
Sam Linnfer ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Dass er ständig in schwarzen Klamotten rumrennt, ist dabei eher nebensächlich. Weit auffälliger ist die Tatsache, dass er offenbar nahezu jede Sprache der Welt spricht, und sei sie noch so exotisch. Und dabei sind die toten Sprachen noch gar nicht mitgerechnet. Ein paar gewisse Leute aber wären wohl am meisten an seinen Pässen interessiert: ein britischer, ein deutscher, ein kanadischer, ein russischer und ein schweizer Pass, und das alles auf drei verschiedene Namen!
Tatsächlich taucht eines Tages die Polizei bei ihm auf. Aber nicht wegen seiner Pässe, sondern wegen eines seltsamen Briefes. Der wurde nicht nur gleichzeitig an Sam Linnfer und Luc Satise adressiert – was Sam eher weniger wundert, denn Luc Satise ist einer seiner Decknamen – und enthält einen höchst eigenartigen Hilferuf. Zu allem Übel ist die Verfasserin inzwischen tot. Was die Polizei aber gar nicht hätte merken dürfen!
Kaum sind die äußerst misstrauischen Gesetzeshüter wieder verschwunden, beschließt Sam, der Sache auf den Grund zu gehen. Damit sticht er in ein Hornissennest …
|Personal|
Sam ist ein recht sympatischer Bursche. Das mag daran liegen, dass seine Familie ihn bereits vor Äonen rausgeworfen hat, sodass Sam den größten Teil seines Lebens auf der Erde und in der Hölle zugebracht hat. Offenbar sind dadurch einige höchst menschliche Züge an ihm hängen geblieben, so zum Beispiel die Treue seinen Freunden gegenüber oder auch eine gehörige Portion Mitgefühl für alle, die leiden müssen. Wie er zu seiner Verbitterung feststellen muss, wird diese Tatsachen aber von so gut wie niemandem zur Kenntnis genommen, denn einer seiner Brüder hat Sams Ruf ein für allemal gründlich ruiniert! Dabei ist Sam der Träger der einzigen Waffe, die die Welt noch retten kann: der Träger des Lichts. Lucifer. Das heißt aber nicht, dass er bereit wäre, sich von seinem Vater als Werkzeug benutzen zu lassen!
Angenehm an Webbs Charakterzeichnung ist, dass Sam trotz seiner Fähigkeiten und seiner mächtigen Waffe kein unschlagbarer Superheld ist. Das mag zum einen daran liegen, dass die Waffe selbst so etwas wie ein unangenehmes Rückschlagventil hat, das bei voller Ausnutzung den Tod des Benutzers verursachen wird, oder daran, dass herkömmliche Waffen Sam zwar nicht töten, aber sehr wohl schwer verwunden und damit zumindest längere Zeit außer Gefecht setzen können. Aber auch sonst kann man von Sam nicht sagen, dass er ein unfehlbares Ass wäre. Das sieht man zum Beispiel deutlich daran, dass ihm aufgrund seiner häufigen Abwesenheit die Herrschaft über die Gebiete der Hölle zu entgleiten droht. Eine höchst unangenehme Entwicklung, wenn man bedenkt, dass dort offenbar etwas versteckt ist, was seine Gegner unbedingt haben wollen!
Genau gesagt, suchen sie die Schlüssel der Pandora. Aus den verschiedensten Gründen haben es sich einige seiner Brüder in den Kopf gesetzt, Gier, Hass und Argwohn zu befreien und sie ihren Zielen zunutze zu machen, die allerdings ziemlich unterschiedlich sind. Andererseits spielen diese Unterschiede keine große Rolle angesichts der Tatsache, dass einer von ihnen nach dem vierten Schlüssel sucht! Er will Uranos freilassen, eine Wesenheit, die vor Chronos und seinen Kindern herrschte, von diesen aber weggesperrt wurde. Denn Uranos duldet keine vergehende Zeit, keine Bewegung, keine Veränderung. Uranos ist ein Zustand der Erstarrung, ohne Tod und gleichzeitig ohne Leben. Nur: Wer von Chronos‘ Kindern sollte eine solche Macht befreien wollen? Und wie kann man sie aufhalten? Um das herauszufinden, muss Sam kreuz und quer durch die halbe Welt reisen …
|Kulisse|
Ein wenig erinnert „Lucifer“ an einen James-Bond-Film. Der einzige Unterschied ist, dass Sam erst einmal herausfinden muss, worum es überhaupt geht.
Abgesehen davon ist die Umgebung, in der Sam sich bewegt, wesentlich bunter. Catherine Webb hat ihren Himmel mit so ziemlich sämtlichen Göttern bevölkert, die jemals in einer Kultur angebetet wurden, von ägyptischen über griechische und germanische Götter bis hin zu Buddha. Dazu kommen Inkarnationen wie Licht, Glaube, Frieden und Krieg, Liebe oder Chaos, und eine ganze Menge himmlischer Helfer wie Erzengel und Walküren. Die Hölle ist natürlich voller Dämonen, von denen allerdings nur ein einziger überdurchschnittlich viel Grips zu besitzen scheint, und das ist Beelzebub. Und auf der Erde wimmelt es von Anderen, womit Anderweltbewohner gemeint sind, allerdings nicht beschränkt auf die zugegebenermaßen vielfältigen Varianten des keltischen Kulturraumes, sondern auch Dschinns und andere Geister eingeschlossen. Sie alle können sich – je nach Machtumfang mehr oder weniger frei – zwischen den verschiedenen Ebenen Himmel, Erde und Hölle bewegen, indem sie magische Tore benutzen, was zwar schnell geht, aber dafür nicht unbedingt angenehm ist.
Diese bunte Mischung sorgte dafür, dass ich diese Jagd nach den Schlüsseln, die den Weltuntergang bedeuten, wesentlich amüsanter fand als herkömmliche Agententhriller. Dazu trug auch der lockere Schreibstil der Autorin bei, der unter anderem Sam eine recht menschliche Redeweise in den Mund legt. Die Handlung selbst schreitet zügig voran, und an den Stellen, die hauptsächlich dadurch gekennzeichnet sind, dass Sam mit den verschiedensten Verkehrsmitteln unterwegs ist, sind oft Rückblicke eingestreut, die nicht nur einen Blick auf Sams persönliche Vergangenheit werfen, sondern auch Strukturen und Verhältnisse innerhalb des Himmels klarstellen, sodass es niemals langweilig wird.
_Insgesamt_ empfand ich „Lucifer“ trotz der eher oberflächlichen Charakterzeichnung als angenehme und unterhaltsame Lektüre. Durch den Schwerpunkt auf der Mythologie liegt die Thematik ein wenig außerhalb der üblichen Fantasy-Pfade, die Handlung bietet Rätsel, Verfolgungsjagden, ein paar kurze Zweikämpfe – was sich hier eher auf die Anzahl der kämpfenden Parteien als die der beteiligten Personen bezieht – und sogar ein wenig Familiendramatik. Von der Errettung der Welt mal abgesehen, aber da kommt die Hauptsache ja erst noch …
_Catherine Webb_ gehört mit ihren zwanzig Jahren zur Riege der Jungautoren, ihr erstes Buch veröffentlichte sie 2002. Seither hat sie fünf weitere Romane geschrieben. Auf Deutsch erschienen außer „Lucifer“ bisher „Der Zauberer der Nacht“ und „Die Dämonen der Nacht“. Die Fortsetzung zu „Lucifer“, „Satan“, ist für Ende August dieses Jahres angekündigt.
Tikkirej lebt unter einer Kuppel auf einem radioaktiv strahlenden Wüstenplaneten. Die Welt Karijer ist arm, in fast jeder Hinsicht. Und als seine Eltern ihre Arbeit verlieren und deshalb befürchten müssen, aus der Kuppel vertrieben zu werden, nehmen sie ihr gesetzliches Recht in Anspruch, sterben zu dürfen, und überschreiben ihre verbliebenen Nutzungsansprüche an den Lebenserhaltungssystemen ihrem Sohn.
Aber nachdem seine Eltern fort sind, hält Tikkirej nichts mehr auf diesem Planeten. Entgegen aller guten Ratschläge verdingt er sich als lebendes Modul für den Navigationsrechner auf einem Frachtraumschiff. Schließlich landet er auf Neu-Kuweit, einem erdähnlichen und deshalb ziemlich teuren Planeten. Dort trifft er auf Stasj, einen Raumschiffkapitän, der ihm anbietet, ihn ein wenig zu unterstützen, denn Tikkirej steht finanziell auf äußerst schwachen Beinen. Der Junge ahnt allerdings nicht, dass er damit Hals über Kopf in das Tauziehen zwischen Imperialer Regierung und Putschisten hineinschlittert …
Wer jetzt aus dem letzten Satz geschlossen haben sollte, dass es hier heiß zur Sache geht, der liegt ein Stück daneben. Dieses Buch ist nicht |Star Wars|. Hier gibt’s weder Raumschlachten noch -scharmützel, und auch sonst wird recht wenig geballert. Dafür dürfte sich die Mehrzahl der Leser durch die |Phagen|, einen besonderen Ritterorden, an die Jedi-Ritter erinnert fühlen – zumal die Phagen von ihren Gegnern abwertend |Dshedai| genannt werden, was man wohl als Anspielung verstehen darf. Im Gegensatz zu den Jedi besitzen die Phagen jedoch keine magischen Kräfte und erlangen ihre Fähigkeiten nicht allein durch die Ausbildung, sondern unter anderem auch durch spezielle Genetik. Phagen werden nicht einfach geboren, sie werden geschaffen. Der entscheidende Punkt dabei ist allerdings weniger die Tatsache an sich – auf Tikkirejs Planet war es offenbar üblich, Kinder sozusagen aus dem Katalog zu bestellen -, sondern die Auswahl der Eigenschaften: Einem Phagen ist es genetisch unmöglich, die legitime Regierung des Imperiums zu verraten oder nach größerer Macht für sich selbst zu streben. Keine Chance für Darth Vader …
Trotzdem ist das mit der Genetik – wie mit vielen anderen Errungenschaften auch – eine zweischneidige Angelegenheit. Der Gedanke, eine Person unsterblich zu erhalten, indem man sie über Generationen hinweg immer wieder neu klont, ist an sich schon erschreckend genug. Richtig unerträglich wird die Vorstellung in Lukianenkos Variante, wo der Klon auch noch das Bewusstsein seiner Matrize übernimmt. Man stelle sich vor, ein und derselbe Präsident für alle Ewigkeit … Horror pur! Aber noch steigerungsfähig: Ein derart Unsterblicher nimmt sich vor, eine bessere und sauberere Menschheit zu erschaffen …
Nein, Lukianenkos „Schlangenschwert“ ist kein Horrorroman. Aber Genmanipulation ist heute schon so weit fortgeschritten, dass es schlicht unwahrscheinlich ist, dass sie in der Zukunft keine große Rolle spielen sollte. Und es ist nahezu unvermeidlich, dass bei der Erwähnung dieses Themas in der Science-Fiction auch die Konsequenzen daraus auftauchen, mit all ihren erschreckenden Möglichkeiten. Das lässt sich genauso von der Gehirnwäsche sagen. Die hier verwendete Methode liegt hoffentlich noch in weiter Ferne. Ich zumindest legte keinen Wert darauf, einen Chip hinterm Ohr zu haben, der an mein Gehirn angeschlossen ist! Bei Lukianenko ist das nicht nur Standard, sondern regelrecht lebensnotwendig, zumindest, wenn man einen Beruf ausüben möchte.
Natürlich stellt sich gerade bei SF immer gern die Frage: Wäre das denn technisch überhaupt machbar? Für mein Teil muss ich sagen, dass ich Zeittunnel und Flüge mit Überlichtgeschwindigkeit für nicht machbar und den Transport lebender Menschen in tiefgefrorenem Zustand für höchst unwahrscheinlich halte. Auch dürfte eine Kapsel ohne Steuerung und Antrieb, die aufgrund ihres Anflugwinkels von einer planetaren Atmosphäre abprallt, meines Erachtens nicht einfach hochhüpfen und dann wieder runterfallen, sondern sie müsste ins All davontreiben. Andererseits gestehe ich, dass mir das bei einer solchen Geschichte ziemlich schnuppe ist. Ich bin nicht gerade versiert in diesem Genre und verstehe nicht genug von Technik, um die Möglichkeiten einer Landung in einer Kugel aus hyperstabilem Eis zu beurteilen, aber die Idee als solche fand ich interessant, ebenso wie den Entwurf der Plasmapeitschen, der Lieblingswaffen der Phagen.
Dafür sind mir andere Kleinigkeiten aufgefallen. So zum Beispiel das Argument, mit dem Elli Tikkirej zu dem Attentat auf den Werftbesitzer Bermann regelrecht erpresst. Ich empfand es als völlig unglaubwürdig, dass die Phagen Stasj bestrafen sollten, wenn Tikkirej diesen Auftrag verweigerte. Und eigentlich hätte ich erwartet, dass Tikkirej das ebenfalls auffällt. Aber gut, ein unsicherer Dreizehnjähriger will in einer solchen Situation wohl keinen Irrtum riskieren, vor allem, wenn es um einen Freund geht. Oder die Tatsache, dass die landende Eiskugel nicht ortbar war. Vielleicht wäre sie vor dem geröteten Himmel des Sonnenaufgangs nicht aufgefallen. Aber auf dem Planeten waren ja auch Aufklärungssonden unterwegs. Unwahrscheinlich, dass nicht einmal eine davon zwischen dem Sonnenaufgang und der Eiskugel unterwegs war und den Eindringling vor dem dunklen Nachthimmel bemerkte.
Am störendsten empfand ich aber einige massive sprachliche Schnitzer. Vor allem Zeitfehler sind mir begegnet, die ihre Ursache vielleicht in der Übersetzung aus dem Russischen haben könnten, die man aber durchaus hätte bereinigen können. Und auch Sätze wie „Der Klassenraum war für zwanzig Schüler groß“ sollten keinesfalls so stehen gelassen werden.
Alles in allem hat Lukianenko mit „Das Schlangenschwert“ einen interessanten und intelligenten Roman abgeliefert. Zwar entwickelt sich der Plot eher gemächlich, letztlich kam es der eigentlichen Thematik aber zugute, dass der Autor seine Geschichte nicht in Action ertränkt hat. Er lässt seinem Protagonisten viel Zeit zum Nachdenken und auch zu Gesprächen mit seinem Freund Lion. Und da Tikkirej aufgrund seiner Herkunft ein eher frühreifer und ernsthafter Junge ist, beschäftigen ihn auch seriöse Themen. Das rückt vor allem ethische Fragen in den Vordergrund, die auch in unserer Gesellschaft heiß diskutiert werden: Ist es erlaubt, in das Persönlichkeitsrecht von Menschen derart einzugreifen, dass man ihre eigenen Gedanken und Überzeugungen einfach überschreibt oder verändert, und sei es auch nur, um Gewalttaten oder andere Verbrechen zu verhindern? Ist es erlaubt, die Angehörigen einer Gruppe genetisch so zu verändern, dass ihr freier Wille zumindest teilweise eingeschränkt wird, und sei es auch nur, um das Überlaufen eines Anakin Skywalker zu verhindern? Zumindest auf eine dieser Fragen gibt Lukianenko eine eindeutige Antwort.
_Sergej Lukianenko_ studierte Medizin und arbeitete zunächst als Psychiater, schreibt aber bereits seit Anfang der Achtziger. Zunächst veröffentlichte er vor allem Kurzgeschichten. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit „Wächter der Nacht“; seither hat er eine ganze Liste von Zyklen und Romanen geschrieben und mehrere Preise erhalten. Derzeit ist sein neuester Roman „Spektrum“ bei |Heyne| erhältlich.
[„Wächter der Nacht“ 1766 (Rezension von Dr. Maike Keuntje)
[„Wächter der Nacht“ 1828 (Rezension von Dr. Michael Drewniok)
[„Wächter der Nacht“ 3028 (Hörbuchfassung, Rezension von Meike Schulte-Meyer)
[„Wächter des Tages“ 2390 (Rezension von Dr. Maike Keuntje)
[„Wächter des Zwielichts“ 2910 (Rezension von Dr. Maike Keuntje)
Muhammad al-Idrisi ist ein islamischer Gelehrter aus Sizilien. Gerade kehrt er von seiner letzten Reise zurück, deren Ziel es war, ein umfassendes geographisches Werk zu schreiben, inklusive Landkarten und allem, was sonst noch so dazugehört. Nun ist sein Werk nahezu abgeschlossen, doch er weiß, dass er nicht in dieselbe Welt zurückkehrt, aus der er aufgebrochen ist. Sein Freund und Gönner, Sultan Rujari II. von Palermo, ist krank und dem Tode nahe. Und mit dem Tod des toleranten, weltoffenen Herrschers wird in Sizilien eine Ära zu Ende gehen …
„Der Sultan von Palermo“ ist, wie ich leider erst im Nachhinein feststellte, der vierte Band einer fünfteiligen Romanreihe. Zwar ist das Buch in sich abgeschlossen, außerdem spielt der erste Band „Im Schatten des Granatapfelbaums“ circa dreihundert Jahre später als „Der Sultan von Palermo“. Falls es dennoch irgendwelche Bezüge zwischen den Romanen gibt außer dem offensichtlichen, dass sie stets die Berührungspunkte zwischen Islam und Christentum in einer Zeit des Umbruchs zum Thema haben, dann muss dieser Aspekt hier leider unberücksichtigt bleiben.
Aber auch für sich allein genommen bietet „Der Sultan von Palermo“ einen überraschenden Blick auf eine besondere Welt. Sizilien war zu dieser Zeit ein eigenständiges Königreich, zu dem außer der Insel auch noch Teile in Süditalien gehörten. Die Eroberung durch die Normannen lag gerade mal eine Generation zurück, die Mehrheit der Bevölkerung war noch immer islamisch.
Roger II., der sich selbst gern Rujari nennt, fließend arabisch spricht und trotz seines christlichen Bekenntnisses einen Harem mit mehreren Frauen unterhält, hat ein ausgeprägtes Faible für Kultur und Philosophie. Er nutzte die Wirren des Kirchenschismas, um sich vor der Teilnahme an den Kreuzzügen ins Heilige Land zu drücken, und eroberte stattdessen Gebiete im nördliche Afrika. Unter seiner Herrschaft leben Christen, Moslems und Juden friedlich nebeneinander.
Mit der wachsenden Schwäche des Herrschers wuchs allerdings die Macht der Kirche in Sizilien, damit einher gingen Übergriffe gegen die islamische Bevölkerung. Nur wenige Jahre nach Rogers Tod begann die Vertreibung aller Andersgläubigen, die nicht zum Christentum übertreten wollten.
Vor diesem historischen Hintergrund erzählt Tariq Ali aus dem Leben von al-Idrisi, seinem Familienleben, seinen Interessen und Ansichten.
Al-Idrisi ist gläubiger Moslem. Im Vergleich zu dem, was wir heute unter gläubigen Moslems verstehen, wirkt er allerdings etwas lax. Er geht beileibe nicht jeden Freitag in die Moschee, lässt gelegentlich Gebete ausfallen, wenn er keine Lust hat, und empfiehlt den Bauern auf seinem Gut, zum Christentum zu konvertieren – wenigstens zum Schein -, um sich vor der zunehmenden Bedrohung durch die Nazaräer zu schützen. Er zitiert amüsiert anstößige Verse über Homosexualität, schwärmt für alkoholische Getränke und begeht Ehebruch mit seiner Schwägerin, die eigentlich mit dem Emir von Syrakus verheiratet ist. An einer Stelle erwähnt er sogar, dass der Stellvertreter des Propheten sich gelegentlich überrascht darüber geäußert haben soll, dass seine vertraulichen Ratschläge später öfters als göttliche Offenbarung verkündet wurden, während die Ehefrau des Propheten eine erstaunliche Übereinstimmung der göttlichen Offenbarungen bezüglich der Frauen mit den Wünschen ihres Gemahls festgestellt habe. Was für gotteslästerliche Gedanken! – Dennoch ist al-Idrisi ein ernsthafter Mann, dem trotz aller Kritik zu keiner Zeit in den Sinn kam, seinen Glauben zu wechseln, nicht einmal zum Schein, wie es in jener Zeit so viele taten.
Aus den Äußerungen al-Idrisis über seinen Glauben und seine Heimat entsteht ein ungewöhnliches Bild, das heutige Moslems womöglich entsetzen würde. Die Freizügigkeit in sexuellen Dingen fand ich dabei am erstaunlichsten. Al-Idrisi hat sich von seiner Frau getrennt, seine große Liebe Mayya aber lebt im Harem des Sultans. Trotzdem besucht er sie dort und zeugt eine Tochter. Der Sultan weiß es und drückt ein Auge zu! Gegen Ende seines Lebens schickt er Mayya samt Tochter zu al-Idrisi, der Mayya sofort heiratet. Gleichzeitig aber fängt der Gelehrte die Affäre mit Mayyas Schwester an, die unbedingt ein Kind will, deren Mann aber offenbar zeugungsunfähig ist. Mayya unterstützt dies sogar! Ihre Schwester wird schwanger, kehrt aber vor der Geburt zu ihrem Mann zurück, um ihm keine Hörner aufzusetzen. Der Mann weiß um al-Idrisis Vaterschaft und freut sich sogar darüber, dass er nun einen eigenen Erben bekommt! Er bietet al-Idrisi an, ihm seine Frau nach der Geburt erneut zu schicken, falls sie noch weitere Kinder möchte! Keiner der Beteiligten scheint mit diesem Chaos ein größeres Problem zu haben, auch wenn sie alle dafür sorgen, dass nichts davon nach außen dringt. Erstaunlich ist auch, dass die treibenden Kräfte des Ehebruchs die Frauen waren!
Einen weiteren Punkt werden wir heutzutage als untypisch empfinden, nämlich den, dass es die Moslems waren, die in dem aufkeimenden Konflikt zwischen Christen und Andersgläubigen diejenigen waren, die die Gewaltspirale bremsten, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden. Der beherrschende Gedanke war der Schutz von Leben, nicht das ruhmreiche Sterben für Allah und den Propheten. Allerdings war der von Tariq Ali beschriebene Islam kein homogenes Gebilde. Al-Idrisi stellt vielmehr fest, dass der Glaube der Wüstenvölker noch weit fanatischer ausgeprägt ist als der der Stadtbevölkerung, die sich weniger mit dem Jihad als mit Handel und Wissenschaft beschäftigt. Vor allem Letztere führte zur Öffnung des Islam gegenüber anderen Kulturen. Die Kultur aus der Wüste hat trotz aller Gegensätze von den Hinterlassenschaften der Römer und Griechen ebenso gelernt wie die Normannen von den Moslems. Der Austausch von Wissen hat nach al-Idrisis Überzeugung den Islam groß gemacht, deshalb reagiert er äußerst ärgerlich auf die Zerstörung von Büchern und Schriftrollen durch fanatische Glaubensbrüder.
Vielleicht ist das der Punkt, der dieses Buch am meisten auszeichnet. Tariq Alis Protagonist ist ein sehr sachlicher und unvoreingenommener Beobachter, dessen Kritik beide Seiten in gleicher Weise trifft, ohne dabei jemals in Anschuldigungen oder Beschimpfungen zu verfallen. Hier soll niemand denunziert oder schlecht gemacht oder verdammt werden. Es wird lediglich ein Bild gezeichnet, wie golden zumindest ein Teil der Welt einmal war, und wie er mit der entsprechenden Einstellung auf beiden Seiten auch wieder werden könnte.
Der Autor erzählt in sehr ruhigen, unaufgeregten Worten. Spannung findet sich kaum in diesem Buch, nicht einmal angesichts des unaufhaltsam näher rückenden Endes dieser goldenen Ära. Dieses Buch fällt weniger in die Kategorie „Historienroman“ als in die eines „Sittengemäldes“, es ist kein monumentales Geschichtsepos, sondern eher ein Stilleben, leise und unaufdringlich und auch ein wenig frivol. Wer sich vorwiegend für fremde Kulturen interessiert und eine leichte, luftige Erzählweise schätzt, ist hier gut aufgehoben. Wer es dagegen eher dramatisch oder lebhaft mag, sollte vielleicht lieber zu einem anderen Buch greifen.
Tariq Ali wurde 1943 in Lahore geboren und studierte an der Punjab-Universität. Wegen politischer Aktivitäten gegen Pakistans Militärdiktatur musste er schließlich nach England emigrieren. In Oxford setzte er sowohl sein Studium als auch seine politischen Unternehmungen fort. Er war eine der führenden Personen der Studentenbewegung 1968, bezog Stellung gegen den Vietnamkrieg unter anderem in öffentlichen Debatten mit Henry Kissinger oder Michael Stewart. Tariq Ali versteht sich als Sozialist und Antiimperialist, ist Mitherausgeber einer Zeitung der internationalen Linken, ansonsten aber hauptsächlich Filmemacher und Autor. Aus seiner Feder stammen unter anderem die Romane „Das Buch Saladin“ und „Die steinerne Frau“ sowie „Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung: Die Krisenherde unserer Zeit und ihre historischen Wurzeln“ und „Bush in Babylon“.
Roan hat fast schon zu hoffen gewagt, dass es ihm und seinen Freunden gelungen wäre, die Kinder aus Fairview in Sicherheit zu bringen. Doch eines Tages fallen die Kinder aus heiterem Himmel alle gleichzeitig in Ohnmacht, und alle Versuche Alandras, sie wieder aufzuwecken, scheitern. Roan erkennt, dass er sich aus seiner Deckung hervorwagen muss, will er den Kindern helfen. Und schließlich ist da ja auch noch seine Schwester Stowe, die er retten muss …
Stowe wurde von den Meistern darin ausgebildet, ihre Fähigkeiten einzusetzen. Doch obwohl sämtlichen Meistern bewusst ist, dass Stowes Kraft schon jetzt die ihre weit übersteigt, sind sie sich doch nicht über das Ausmaß ihres Könnens im Klaren: Stowe kann ihren Körper verlassen! Und auf diese Weise entdeckt sie, dass sie die ganze Zeit, seit sie in Metropolis ist, belogen und benutzt wurde. Sie beschließt, sich zu rächen, aber das ist nicht einfach, wenn man keiner Menschenseele trauen kann. Und dann stellt sich auch noch heraus, dass sie süchtig ist. Nach Staub …
Schon dieser kurze Inhaltsabriss zeigt, dass die Handlung, die sich im ersten Band noch nahezu ausschließlich um Roan drehte, diesmal zweigeteilt ist:
Roan ist durch die Ereignisse des ersten Bandes bereits ziemlich gereift. Er hat Entscheidungen getroffen, Verantwortung übernommen. Das heißt aber nicht, dass er nicht immer noch dazu lernt! Unter anderem sieht er sich durch die Ereignisse gezwungen, seine Ansichten über die Bluttrinker zu revidieren. In der Art, wie er mit seinen neuen Erkenntnissen umgeht, zeigt sich deutlich das Potential, das zu nutzen er letztlich gezwungen sein wird. Denn seine Bestimmung ist es, Krieg gegen Metropolis zu führen. Und das, obwohl er sich jetzt schon zwischen seinen beiden Hauptverpflichtungen – dem Schutz der Kinder und der Rettung seiner Schwester – zu verzetteln droht, und obwohl er die Anwendung von Gewalt in seinem Innersten noch immer vehement ablehnt.
Stowe taucht zum ersten Mal als eigene Person mit Gedanken und Gefühlen auf. Sie ist ein überaus mutiges Mädchen und sehr charakterstark, ihre einzige Schwäche ist ihre Sucht nach Staub. Unter dem Druck der feindseligen Umwelt, in der sie sich befindet, ist sie noch schneller gereift als ihr Bruder. Tatsächlich ist zwischen Stowe und ihrem Bruder kein großer Altersunterschied mehr zu spüren, obwohl sie vier oder fünf Jahre jünger ist als Roan. Aber natürlich wurde ihr von ihren Lehrern nur das beigebracht, was sie unbedingt lernen musste, um die Aufgaben zu erfüllen, die die Meister nicht selbst bewältigen können, weil ihnen die Fähigkeiten dazu fehlen. Daraus resultiert eine gewisse Unerfahrenheit, die Stowe trotz ihrer Stärke zunehmend in Bedrängnis bringt …
Neben Stowe bringt der zweite Handlungsstrang auch noch andere Personen ins Spiel:
Kordan, einer von Stowes Lehrern, ist dagegen ein ziemlicher Hanswurst. Seine Fähigkeiten sind eher mäßig, dafür ist sein Charakter umso mieser, geprägt hauptsächlich von Feigheit und Neid gegenüber Stowe.
Willum, ihr anderer Lehrmeister, dagegen ist absolut undurchschaubar. Er behandelt Stowe freundlich und geduldig, gibt aber nicht das Geringste von sich preis. Es ist schwer, ihn nicht zu mögen, aber trauen will man ihm auch nicht so recht.
Der wichtigste Neuzugang ist Darius, der Bewahrer und Erzbischof der Stadt Metropolis. Seine Herrschaft trägt durchaus Anzeichen von Irrsinn – Kinder werden verschleppt und als Ersatzteillager missbraucht, nur um die herrschende Klasse uralter Greise am Leben zu halten! Die Bewohner der Stadt, über die er der nahezu uneingeschränkte Alleinherrscher ist, sind fast alle durch eine Art implantiertem Computerchip gleichgeschaltet. Die Stadt selbst ist sowohl auf realer Ebene als auch im Traumfeld nach außen hin geradezu verbarrikatiert. Dennoch kann man Darius nicht direkt als größenwahnsinnig bezeichnen. Seine Ziele – Unsterblichkeit und absolute Kontrolle über uneingeschränkt alles – mögen aberwitzig sein, er selbst aber ist völlig klar im Kopf, kalt, berechnend und skrupellos, und das macht ihn nur umso gefährlicher! Mit Darius und seiner Stadt Metropolis hat der bisher so anonyme Feind ein Gesicht bekommen.
Und nicht nur der Gegner hat sich deutlicher herauskristallisiert, auch der geschichtliche Hintergrund wurde präziser beleuchtet. Stowe fragt Willum und erhält einige Antworten, Roan findet auf seinem Weg mit dem Geschichtenerzähler einige Dinge heraus. Die verschiedenen Gruppen, denen Roan bisher begegnet ist – sein eigenes Dorf, die Bewohner der Oase, die Brüder und Kiras Dorf -, werden allmählich in Zusammenhang zueinander gesetzt. Das Bild, das daraus entsteht, zeigt: Der verheerende Krieg, der das Land so vollkommen zerstört hat, ist noch gar nicht zu Ende! Und jede der Gruppen, die darin verwickelt ist, scheint ihr eigenes Süppchen zu kochen. Mit diesen Leuten soll Roan gegen Metropolis in den Krieg ziehen? Dann hat er aber noch eine ganze Menge Arbeit vor sich!
Ein zusätzlicher Effekt, den die Einbettung der Ereignisse in einen historischen Zusammenhang mit sich bringt, ist die Vermeidung von Schwarz-Weiß-Effekten. Das Tun der Charaktere rund um Roan und Beule wird nachvollziehbarer, macht sie menschlicher. Auch die „Guten“ sind nicht perfekt, und die „Bösen“ waren zumindest früher einmal Leute wie alle anderen auch. Bei manchen, wie zum Beispiel Saint, ist es gar nicht möglich, sie eindeutig der einen oder anderen Seite zuzuordnen.
Eine interessante Facette des Buches bildet der Staub. Dieser Stoff, den die Staubesser benutzen, um das Traumfeld zu erreichen, stammt nicht ursprünglich von der Erde und ist deshalb begrenzt. Seine Beschreibung klingt wie die einer bewusstseinserweiternden Droge. Der Streit um die Folgen, die sich aus seiner Benutzung ergaben, war der Auslöser für den Krieg. Roan allerdings besitzt die Fähigkeit, das Traumfeld ohne Staub zu erreichen. „Er kann gehen, wohin er will“, sagt Mabatan über ihn, also auch an Orte, die andere nicht erreichen oder aber nicht wieder verlassen können. Hier wird der fließende Übergang zwischen Fantasy und Science-Fiction deutlich. Elegant und ohne Holpern, frei von logischen Brüchen und ganz unaufdringlich durchzieht diese Mischung das Buch und verzahnt alles miteinander.
Kurz gesagt: Im zweiten Band des Zyklus hat sich einiges weiterbewegt. Der historische Hintergrund sowie die Verhältnisse in Metropolis und die Ereignisse rund um Stowe haben viele neue und interessante Aspekte in die Geschichte eingebracht. Die lebensfeindliche Umwelt sowie die Häscher des Erzbischofs – nebenbei, man beachte: Erzbischof! Nicht König oder General oder Präsident! – halten die Ereignisse um Roan unter steter Spannung, während Stowe ständig sowohl die Entdeckung ihres Wissens als auch ihrer geheimen Fähigkeiten fürchten muss. Die Charaktere sind vielfältig und frei von plakativen Klischees.
Mit anderen Worten: Dennis Foons |Das Vermächtnis von Longlight| entwickelt sich zu einem kleinen Juwel und ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich lohnt, gelegentlich nach weniger bekannten Namen zu greifen und nicht immer nur nach solchen, die einem ständig überall begegnen.
Dennis Foon wurde in Detroit, Michigan, geboren und lebt seit 1973 in Kanada. Er war Mitbegründer eines Jugendtheaters und schrieb zahlreiche Drehbücher für Film und Fernsehen, u. a. für die TV-Serie „Die Fälle der Shirley Holmes“, aber auch Theaterstücke. Seine Drehbücher und Dramen wurden vielfach ausgezeichnet, für das Stück „Invisible Kids“ erhielt er den British Theatre Award. Der dritte Band des Zyklus unter dem Titel „The keeper’s shadow“ erschien im September letzten Jahres. Bis das Buch auf Deutsch erscheint, wird es also wohl noch eine Weile dauern.
Luciena hat gerade ihre Mutter verloren. Dafür hat sie einen ganzen Berg Schulden gewonnen. Obwohl sie nahezu ihren ganzen Besitz bereits verkauft hat, droht ihr die Sklaverei. Schuld daran ist Marla Wulfskling, die einst Lucienas Vater geheiratet hat, um sich dessen Vermögen unter den Nagel zu reißen. So sieht es zumindest Luciena. Als Marla ihre Schulden begleicht und ihr die Adoption anbietet – natürlich unter der Bedingung, dass Luciena künftig der Familie Wulfskling die Treue schwört -, ist Luciena zunächst äußerst misstrauisch. Bevor sie einen solchen Schwur leistet, will sie die Familie kennen lernen, vor allem Damin. Marla ist einverstanden.
Natürlich erfährt Alija Aarspeer, Marlas Erzfeindin, davon, dass Luciena Damin vorgestellt werden soll. Das ist die Gelegenheit, auf die Alija schon so lange wartet …
Mahkas Damaran, der Bruder von Damins verstorbenem Vater, führt derweil als Regent die Provinz Krakandar. Und er hat gute Arbeit geleistet. Allerdings fließen die Früchte seiner Arbeit in die Taschen des Erben. Deshalb will Mahkas unbedingt selbst Kriegsherr von Krakandar werden. Das einzige Mittel, dies ohne Hochverrat zu erreichen, wäre, seine Tochter Leila mit Damin zu verheiraten. Leider sind weder Damin noch Leila von dieser Aussicht begeistert. Und auch Marla, die in dieser Angelegenheit das letzte Wort haben wird, will diese Ehe nicht. Je älter Leila wird, desto nervöser wird Mahkas …
|Figurenreigen|
Zentrale Figur der Geschichte ist natürlich immer noch Marla. Inzwischen ist sie die mächtigste Person in ganz Hythria. Sie ist diejenige, die das Land regiert. Der letzte Tiefschlag am Ende des vorigen Bandes hat sie gestählt. Inzwischen ist sie eine ziemlich harte, strenge Frau. Widerspruch duldet sie nicht. Und wie viele andere Machtmenschen neigt auch Marla dazu, andere zu manipulieren. Vor allem aber will sie ihre Familie schützen. Ihre Kinder befinden sich seit den Mordanschlägen auf Damin in Krakandar, wo sie von Mahkas Frau Bylinda erzogen und von Almodavar ausgebildet werden. Als zusätzlichen Schutz hat Marla die Gedanken ihrer gesamten Familie und vertrauten Diener von Wrayan Flinkfinger mit einem Gedankenschild umgeben lassen, den Alija nicht durchbrechen, ja nicht einmal erkennen kann.
Neu sind Luciena und ihr Vetter Rorin.
Auch Mahkas nimmt einigen Raum ein. Der Mann, der mir am Ende des ersten Bandes fast leid tat, mutiert allmählich zum absoluten Unsympathen. Alija weiß wenigstens, dass sie ein Biest ist! Mahkas hält sich tatsächlich für einen freundlichen, wohlmeinenden Mann dank seiner Fähigkeit, anderen die Schuld zu geben und die Tatsachen so lange zu verdrehen, bis sie zu seinen Schuldzuweisungen passen. Sein manischer Ehrgeiz, seine Eitelkeit, seine Feigheit und sein Selbstbetrug machen ihn nicht nur zu einem totalen Versager, sondern regelrecht zu Abschaum.
Luciena ist ein stolzes Mädchen, das überhaupt nicht glücklich darüber ist, von Marla Wulfskling abhängig zu sein. Andererseits wünscht sie sich schon seit langem eine echte Familie. Rorin dagegen hat eine Familie, ist aber ansonsten bettelarm. Als sich herausstellt, dass er magisches Talent besitzt, muss er aus Fardohnja fliehen. Sehr viel mehr erfährt man von den beiden aber nicht.
Neben Marla rücken hauptsächlich ihre Kinder in den Vordergrund.
Damin zeigt jetzt schon sämtliche Charakterzüge, die er auch später noch besitzt: sein Draufgängertum, die unkomplizierte Art, mit allen Menschen gleich welchen Ranges umzugehen, seine Neigung, nichts ernst zu nehmen, aber auch die Fähigkeit, wenn es ernst wird, rasche, aber wohl überlegte Entscheidungen zu treffen.
Starros ist ernsthafter als sein Ziehbruder, ihm aber trotzdem völlig ergeben. Nur wenn Damin seine Cousine Leila wieder einmal zu sehr tratzt, fühlt Starros sich berufen, für Leila Partei zu ergreifen. Auch wenn er sich dann mit Damin prügeln muss, was der Freundschaft zwischen den beiden Jungen allerdings keinen Abbruch tut.
Leila ist ein recht zartes Pflänzchen, was meistens der Anlass für Damins Getratze ist. Selbst ihre jüngere Cousine Kalan ist mutiger und zäher als sie, wodurch Leila sich beschämt fühlt. Und dann noch ihr Vater, der ständig von nichts anderem redet, als sie mit Damin zu verheiraten. Aber Leila ist zu sanftmütig, um sich gegen all das zu behaupten. Umso freundlicher empfindet sie Starros‘ Unterstützung.
Kalan ist ein Wildfang. Alle Mädchenbeschäftigungen langweilen sie entsetzlich. Keinesfalls ist sie damit zufrieden, einfach nur verheiratet zu werden. Sie will etwas Sinnvolles tun, so wie ihre Mutter ja schließlich auch. Der einzige Weg zu diesem Ziel scheint die Magiergilde zu sein, aber davon muss Kalan ihre Mutter erst einmal überzeugen, immerhin ist die Großmeisterin dieser Gilde die größte Feindin der Familie, Alija Aarspeer.
|Handlungsbogen|
An dieser Stelle zeigte sich, dass es auch Vorteile hat, wenn man sich beim Lesen nicht mehr an alles aus den Vorgängerbänden erinnern kann. So dauerte es eine ganze Weile, bis mir endlich wieder dämmerte, dass es sich bei dem kleinen Wildfang Kalan um die spätere Großmeisterin der Magiergilde handelt! Bei Damin war die Anknüpfung an die Dämonenkind-Trilogie der Autorin stärker zu spüren. In diesem Band zeigt sich ganz deutlich, dass die |Chroniken von Hythria| das Prequel zur |Dämonenkind|-Trilogie darstellen: Der überwiegende Eindruck, der am Ende zurückblieb, war, dass hier die neue Generation aufgebaut wurde.
Dabei teilt sich die Handlung in zwei Zeitabschnitte, zwischen denen ganze zwölf Jahre liegen. Im ersten Zeitabschnitt ist Damin knapp dreizehn, im zweiten knapp fünfundzwanzig.
Damit der Leser über dem Aufbau der Charaktere von Marlas Kindern und ihrer Beziehungen untereinander nicht einschläft, wurde der erste Zeitabschnitt mit einem neuerlichen Attentatsversuch Alijas gewürzt. Alija benutzt dafür Gedankenmanipulation. Allerdings hat sie nicht mit Wrayan Flinkfinger gerechnet, den sie für tot hält. Obwohl die Autorin dafür gesorgt hat, dass Wrayan gerade nicht in der Stadt ist, als man ihn braucht, bleibt diese Intrige doch eher zahm. Sie genügt, um Langeweile fernzuhalten, aber nicht, um den Leser ernsthaft zu fesseln.
Der zweite Zeitabschnitt ist da etwas vielschichtiger geraten. Die Pest grassiert in Hythria, was einige unerwartete Auswirkungen hat. Fardohnja nutzt die Gelegenheit, um im Schutz der abgeriegelten Grenze Truppen zusammenzuziehen. Alija weilt am Bett des sterbenden Ruxton Tirstein, Marlas viertem Ehemann, und erfährt so durch Zufall von Wrayans Gedankenschild. Und Mahkas hat sich inzwischen derart in die Heirat zwischen Leila und Damin verbissen, dass er keinem Gegenargument mehr zugänglich ist. Als er entdeckt, dass Leila einen Geliebten hat, rastet er völlig aus! Das Hauptaugenmerk liegt allerdings auch in diesem zweiten Abschnitt wieder auf der Entwicklung innerfamiliärer Zusammenhänge, sprich auf Mahkas. Die Sache mit Leila ist die einzige, die bis zum Schluss ausgeführt ist. Natürlich bleibt Alija nach ihrer Entdeckung nicht untätig, und Damin trifft Entscheidungen im Hinblick auf die Bedrohung aus Fardohnja. Bevor diese Ansätze sich jedoch auswirken können, ist das Buch zu Ende.
|Insgesamt|
Der Leser stellt also nach knapp achthundert Seiten fest, dass im Grunde gar nicht allzu viel passiert ist. Hauptsächlich sind die Kinder erwachsen geworden. Alija hat sich die meiste Zeit eher ruhig verhalten, und als sie schließlich wieder aktiv wird, weisen ihre Maßnahmen hauptsächlich auf den nächsten Band. Mahkas hat sich in einen Wahn hineingesteigert, letztlich aber einen völligen Rückschlag erlitten. Wie er darauf reagieren wird, wird sich ebenfalls erst im nächsten Band zeigen.
Bleibt zu sagen, dass man den zweiten Teil dieser Trilogie nicht unbedingt als spannend bezeichnen kann. Dafür sind Alijas Attentatsversuch, aber zum Beispiel auch Rorins Rettung und andere Ereignisse ein wenig zu glatt verlaufen. Die Geschehnisse um Leila bieten eher Dramatik als Spannung. Trotzdem fand ich den Band interessant, nicht zuletzt dank der Charakterentwicklung, die hauptsächlich Damin und Kalan sowie Mahkas betraf. Denn obwohl mich der Mann als solcher ziemlich ärgerte, war die Darstellung seiner Entwicklung gut gelungen.
Wem es in diesem Band an Bewegung gefehlt hat, der darf sich damit trösten, dass es im letzten Teil der Trilogie höchstwahrscheinlich wieder wesentlich lebhafter zugehen wird. Immerhin muss Damin eine fardohnjische Armee abwehren, Marla ihren Machtkampf mit Alija endgültig entscheiden, Kalan Großmeisterin der Magiergilde werden und Mahkas ein hoffentlich verdientes Ende finden! Das sind interessante Aussichten …
_Jennifer Fallon_ stammt aus einer großen Familie mit zwölf Geschwistern. Sie hat in den verschiedensten Jobs gearbeitet, unter anderem als Kaufhausdetektivin, Sporttrainerin und in der Jugendarbeit. Letzteres scheint ihr immer noch nachzuhängen, unter ihrem Dach leben außer drei eigenen Kindern einige obdachlose Jugendliche als Pflegekinder. Schreiben tut sie nebenher. Die |Dämonenkind|-Trilogie war ihre erste Veröffentlichung. Außerdem stammt die Trilogie |Second Sons| aus ihrer Feder. Der letzte Band der |Chroniken von Hythria|, „Herrscher des Throns“, ist für Juni dieses Jahres angekündigt.
Band 1: [„Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ 1992
Band 2: [„Charlie Bone und die magische Zeitkugel“ 2448
Was für ein Stress! Benjamin ist mit seinen Eltern nach Hongkong geflogen und hat seinen Hund Runnerbean ohne Vorwarnung bei Charlie deponiert. Dabei muss Charlie am Montag wieder ins Bloor … Und das ist längst nicht alles! Seine Großtanten haben ein Mädchen in Charlies Alter angeschleppt, sehr hübsch, aber auch sehr seltsam. Charlie traut dieser Belle keinen Schritt weit, und lästig ist sie obendrein! Als wäre das nicht schon genug, ist Charlies Onkel Paton verschwunden – „um etwas Schlimmes zu verhindern“, wie er in einer Nachricht geschrieben hat -, und als er zurückkommt, ist er ein Wrack, das seine Sonderbegabung verloren hat!
Kaum zurück im Bloor, findet Charlies Freundin Emma einen Brief, aus dem hervorgeht, dass der neue Kunstlehrer Mr. Boldova ans Bloor gekommen ist, um nach dem verschwundenen Ollie Sparks zu suchen, und sich deshalb in Gefahr befindet. Und dann muss Charlie auch noch feststellen, dass nach einem weiteren Besuch in Oma Bones Gemälde der dortige Hexenmeister Skarpo ihm offenbar aus dem Bild in die Gegenwart gefolgt ist und alles durcheinander bringt!
Wieder einmal hat Charlie die Hilfe all seiner Freunde nötig, um erneut Ordnung in das Chaos zu bringen und die Pläne der Darkwoods und Bloors zu vereiteln …
|Charakterreigen|
Die im letzten Band neu aufgetauchte Köchin ist tatsächlich noch da und eine wertvolle Verbündete für Charlie und seine Freunde.
Charlies Großonkel Henry, den Charlie im letzten Band mit so viel Mühe vor den Bloors gerettet hat, taucht erwartungsgemäß nicht mehr auf. Sein Platz wird von Ollie eingenommen, einem Jungen ohne Sonderbegabung, aber mit ausgeprägter Neugier. Eines Tages hat er seine Nase zu tief in die falsche Ecke gesteckt, und jetzt ist er unsichtbar. Zumindest fast, bis auf einen großen Zeh. Die Bloors behalten ihn als Versuchskaninchen, denn Ezekiel Bloor, Manfreds Großvater, wäre gern auch mal unsichtbar, allerdings erst, wenn er ein Mittel gefunden hat, danach auch wieder sichtbar zu werden. Bisher allerdings hat keiner seiner Versuche Ollie wieder zum Vorschein gebracht.
Deshalb ist Belle ans Bloor gekommen. In kürzester Zeit stellt sich heraus, wer dieses Mädchen wirklich ist, und was sie kann. Aber nicht einmal sie findet die Lösung des Geheimnisses, nach dem Ezekiel so verbissen sucht. Vielleicht liegt das daran, dass sie so sehr mit Charlie beschäftigt ist, beziehungsweise damit, ihn an der Durchkreuzung ihrer Pläne zu hindern. Mit der Zeit wird sie immer rachsüchtiger …
Mr. Boldova spielt in dieser ganzen Geschichte eher eine Nebenrolle. Seine Sonderbegabung ist zwar hübsch anzusehen, aber nicht unbedingt mächtig, und so wird er recht bald aus dem Verkehr gezogen.
Interessant ist dagegen, wie Billy sich entwickelt. Der einsame Junge, der sich für das Versprechen, adoptiert zu werden, als Spitzel hat kaufen lassen, ist längst schwer enttäuscht vom alten Ezekiel, da der sein Versprechen nicht mal andeutungsweise wahr gemacht hat. Als ihm auch noch Mr. Boldovas Ratte Rembrandt, mit der sich Billy nach dem Verschwinden des Lehrers angefreundet hat, weggenommen werden soll, beschließt er, sich auf Charlies Seite zu schlagen und ihm zu helfen.
|Blaue Boas und Zauberstäbe|
Denn der Handlungsgeber für diesen Band ist eine blaue Boa. Einst hat sie dem roten König gehört, wurde dann jedoch von dessen ältestem Sohn gestohlen und misshandelt, bis sie bösartig wurde. Eine Tochter des roten Königs hatte Mitleid mit dem Tier und versuchte, es zu retten, was ihr aber nicht gelang. Sie konnte lediglich den Tod, den die Schlange brachte, in Unsichtbarkeit abschwächen. Nun soll Billy mit der Schlange reden und herausfinden, ob sie Ollie auch wieder sichtbar machen kann …
Ausgeweitet wurde auch die Bedeutung des Zauberstabes, den Charlie im letzten Band dem Zauberer Skarpo auf Oma Bones Gemälde stibitzt hat. Onkel Paton hat ihn mitgenommen, als er verschwand, und bei seiner Rückkehr war der Zauberstab verkohlt, die silberne Spitze geschmolzen. Als Charlie ihn in die Hand nimmt, regeneriert der Stab sich auf wunderbare Weise wieder. Skarpo, den Charlie in der Hoffnung auf ein Heilmittel für Onkel Paton nochmals aufsucht, will den Stab aber erstaunlicherweise nicht wiederhaben. Er behauptet, er gehöre Charlie!
|Insgesamt|
Der dritte Band der Charlie-Bone-Serie hat mir bisher am besten gefallen. Zwar hat die Autorin zu dem Rätsel um Charlies Vater und auch zu dem um Billys Eltern immer noch kein weiteres Wort verloren – wobei erwachsene Leser zumindest die Lösung des ersteren längst ahnen -, dennoch hat sie eine interessante Geschichte erzählt. Das mag zum einen daran liegen, dass diesmal so viele Dinge gleichzeitig geschehen. Charlie hat nicht nur Belle im Nacken, die seine Rettungsversuche für Ollie sabotiert, er muss auch ein Heilmittel für Onkel Paton finden und einen durchgedrehten Hexenmeister aus dem Mittelalter wieder einfangen. Dies und der gewohnt zügige Erzählstil der Autorin machen den Handlungsverlauf turbulent und abwechslungsreich. Aber auch die Ideen dieses Bandes, die blaue Boa oder auch die verzauberte Kleidung, haben mir gut gefallen. Das Buch war unterhaltsam und gelegentlich auch amüsant. Und ich werde gerne auch das nächste lesen. Die Andeutung, dass Charlie nicht nur vom Roten König, sondern auch noch von walisischen Zauberern abstammt, eröffnet eine Menge Möglichkeiten für die Handlung der folgenden Bände, ebenso wie Belles Vater, der diesmal zwar nur am Rande auftaucht, aber Paton mit schrecklichen Drohungen überhäuft hat, sollte er Belle etwas antun.
Charlie Bone ist für Erwachsene eine nette Lektüre für zwischendurch, für Kinder spannend, ideenreich und empfehlenswert.
_Jenny Nimmo_ arbeitete unter anderem als Schauspielerin, Lehrerin und im Kinderprogramm der BBC. Geschichten erzählte sie schon als Kind, Bücher schreibt sie seit Mitte der Siebziger. Unter anderem stammt der Zyklus |Snow Spider| aus ihrer Feder, sowie „Im Garten der Gespenster“, „Der Ring der Rinaldi“ und „Das Gewächshaus des Schreckens“. „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ ist der erste Band des Zyklus |Die Kinder des roten Königs|, und hat sie auch in Deutschland bekannt gemacht. Der neueste Band der Charlie-Bone-Reihe mit dem Titel „Charlie Bone and the Wilderness Wolf“ soll im Juni dieses Jahres auf Englisch erscheinen.
Eigentlich müsste Marie tot sein! Nachdem der grausame, kleine Mann – dem es völlig unerwartet gelungen ist, Maries Herrin Sharica mit deren eigenem Schwert niederzustrecken – verschwunden ist, ist Marie zu ihrer Herrin geeilt, in der Hoffnung, sie könnte noch etwas für sie tun. Doch es ist zu spät! Alles, was Sharica noch tun kann, ist, Marie ein Amulett anzuvertrauen, das sie um den Hals trägt, dann stirbt sie. Doch der Mörder war noch in der Nähe. Und jetzt will er das Amulett. Marie, in der völligen Überzeugung, dass der Mann sie auf jeden Fall töten wird, ist nicht bereit, ihm auch noch diesen Triumph zu lassen. Lieber stürzt sie sich von der Spitze des Felsens mehrere hundert Meter in die Tiefe! Um danach in einer einfachen Holzhütte zu erwachen …
Thoren, Sharicas Gemahl, erfährt von ihrem Tod erst bei seiner Rückkehr aus Dhangras, dem Nachbarreich auf dem Kontinent. Sharicas Tod trifft ihn zutiefst. Doch es ist nicht der einzige Schlag, der ihn trifft! Es stellt sich heraus, dass die Bitte seines Nachbarkönigs Vender um Unterstützung durch Thorens Truppen eine hinterhältige Falle war. Die Freiheit und Sicherheit Turmalins sind in Gefahr, und Thoren sieht nur einen Weg, sein Inselreich zu retten: Magie!
|Charaktere|
Sharica scheint eine schier übermenschliche Persönlichkeit gewesen zu sein. Nicht nur äußerlich von unübertrefflicher Schönheit, sondern auch innerlich. Ein charakterliches Wunder ohne jeden Fehl. Das erscheint umso erstaunlicher, als sie auch eine mächtige Magierin war.
Marie fühlt sich dagegen wie eine graue Maus. Sie ist klein, schmächtig, schüchtern und besitzt kaum Selbstvertrauen. Aber ihre Herrin hat sie so vergöttert, dass sie alles tut, um ihren letzten Willen zu erfüllen. Des Amuletts wegen springt sie von einer hohen Felsenklippe, legt sich mit einem Charakterschwein unter den Soldaten an und wagt sich in Thorens Nähe, um „auf ihn aufzupassen“, was zu diesem Zeitpunkt nicht ungefährlich ist. Und zu guter Letzt erklärt sie sich bereit, die Welt zu retten, indem sie das siebte Buch der Schatten findet. Ein erstaunlicher Mut für ein so ängstliches Mädchen …
Thoren ist im Grunde ein kluger und vernünftiger Mann, aber auch stolz und leicht zu erzürnen. Sharica hat er abgöttisch geliebt. So treffen der Verlust seiner Frau und eines großen Teils seines Heeres ihn an seinen empfindlichsten Punkten. Kein Wunder, dass er regelrecht rast vor Wut! Doch schon bald werden seine Wutausbrüche von Gewalttätigkeiten begleitet, er sieht überall Verschwörungen. Immer wieder scheint die Vernunft bei ihm völlig auszusetzen, dann denkt er wieder geradezu erschreckend klar, allerdings hauptsächlich dann, wenn es um die Vorbereitung des Krieges gegen Dhangras geht.
Damit wäre die Riege der wichtigen Personen bereits erschöpft. Alle weiteren sind Nebenfiguren und nur wenig detailliert beschrieben.
Thorens Brüder sind zwar noch bei Vernunft, dennoch unterstützen sie Thoren, was sie wahrscheinlich nicht mehr täten, wenn sie wüssten, was er plant!
Marosh, der Schmied, in den Marie sich verliebt, ist ein naturverbundener und außerordentlich schwärmerischer Poet, aber nur deshalb von Belang, weil er Marie mit Yvven bekannt macht.
Yvven ist der einzige, wichtigere Protagonist der Geschichte, dessen Charakterzeichnung allerdings dadurch begrenzt ist, dass es sich um eine Katze handelt. Genauer gesagt einen Tierdämon, der aber offenbar einen Narren an Marie gefressen hat. Obwohl das Tier nicht spricht und der Leser nicht erfährt, was es denkt, ist die Schilderung dieser Katze plastischer ausgefallen als die mancher Personen.
Das gilt sogar für Targhyen, den Mörder Sharicas. Von ihm erfährt der Leser im Grunde nur, dass er bösartig und äußerst eitel ist.
Beweggründe, Gedanken, Herkunft und was einem Charakter sonst noch Lebendigkeit verleihen mag, fehlen bei all diesen Nebenfiguren völlig.
|Magie und Phantasie|
Die Fantasy-Elemente des Buches sind da schon vielfältiger. Sichtlich um Eigenständigkeit bemüht, hat Evers seine Geschichte nicht mit Elfen, Trollen und Zwergen bevölkert, sondern mit Dryaden, Sonnenwürmern und Gnarls – auch wenn seine Dryaden der landläufigen Vorstellung von geflügelten Elfen ziemlich nahe kommen und seine Sonnenwürmer im Prinzip flügellose Drachen sind. Bisher spielen diese Wesen aber auch nur eine untergeordnete Rolle. Am ausführlichsten wurden die Dryaden beschrieben, wohl auch deshalb, weil ihre Magie später für den Fortgang der Handlung wichtig wurde. Die Sonnenwürmer dürften im nächsten Band zunehmend auftauchen, denn schließlich will Thoren in den Krieg ziehen.
Die vorerst wichtigsten Elemente sind Sharicas Amulett sowie das Buch der Schatten – das ein Vorfahr Thorens in sieben Teile zerlegt, gut versteckt und durch starke Magie gesichert hat, damit niemand es missbrauchen kann – und in diesem Zusammenhang die Keller der geheimen Bibliothek. Außerdem ist der Herzstein von Bedeutung, ein magisches Artefakt, die Quelle der Energie Turmalins.
|Handlungsverlauf|
Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf der Handlung. Und die enthält – von dem Mord an Sharica und Thorens Gewaltausbrüchen abgesehen – erstaunlich wenig von dem, was man gemeinhin als Action bezeichnet. Genau betrachtet, passiert fast gar nichts. Hauptsächlich erlebt der Leser mit, wie Thorens Rachsucht ihn mehr und mehr in den Wahnsinn zu treiben droht.
Die Auslöser dafür, die Intrige, die König Vender gegen Thoren und sein Reich gesponnen hat, war gar nicht mal schlecht. Ich hätte allerdings nicht erwartet, dass sie funktioniert. Welcher Herrscher stellt denn, selbst wenn er seinem Gegenüber militärische Unterstützung zugesagt hat, noch an Ort und Stelle einen schriftlichen Marschbefehl für seine Truppen aus? Einen Bündnisvertrag vielleicht, ja.
Nun gut, nehmen wir an, Thoren hätte das trotzdem schon mal erledigt. Wie kam Vender an diesen Befehl? Bei seiner Ankunft in Turmalin klingt Thoren äußerst überrascht darüber, dass seine Truppen schon fort sind. Das kann nur bedeuten, dass er den ausgefertigten Marschbefehl Vender übergeben hat, denn sonst hätte er sich nicht nur über den Zeitpunkt gewundert, sondern darüber, dass seine Truppen überhaupt schon unterwegs waren. Welcher Herrscher bitte überlässt die Einberufung seiner Truppen einem Verbündeten?
Die weitere Handlung war frei von logischen Brüchen, dafür empfand ich etwas anderes als störend, und das war die sexuelle Komponente. Unterschwellig zieht sie sich durch das gesamte Buch, womit ich durchaus leben kann. Es finden sich aber auch gelegentliche Ausbrüche, von denen einer ganz überflüssig war und der andere nicht unbedingt so ausführlich hätte beschrieben werden müssen. Mag sein, dass andere damit kein Problem haben, aber ich finde sowas eher lästig.
_Insgesamt_ hat das Buch einen recht gemischten Eindruck bei mir hinterlassen. Die Ideen in Bezug auf die Magie waren interessant und kamen zur Abwechslung mal ohne detailliert beschriebene, grauenhafte Monster aus, dürfen aber ruhig noch weiter ausgebaut werden. Die Darstellung der Hauptcharaktere war in sich stimmig und gut nachvollziehbar, allerdings könnte ich nicht sagen, dass ich für Thoren viel Sympathie aufgebracht hätte. Dafür ist seine Angewohnheit, ständig jemanden am Kragen oder am Arm zu packen und anzubrüllen, einfach zu ausgeprägt. Der Spannungsbogen hing zwar nicht durch, könnte aber noch weitere Straffung vertragen. Es fehlte die Zuspitzung auf das Ende hin, eine überraschende Wendung oder zumindest etwas, das den weiteren Verlauf in Frage stellt. Aber da der Autor die geballte Katastrophe bereits zu Beginn auf Thoren hat niedergehen lassen, blieb für die restliche Handlung wohl erst mal nichts mehr übrig.
_Harald Evers_ hat seine ersten Geschichten bereits als Jugendlicher auf der Reiseschreibmaschine seines Vaters getippt. Sein erster Roman „Die Kathedrale“ basierte auf einem von ihm entworfenen Computerspiel, ebenso wie die achtbändige Höhlenwelt-Saga, mit der er letztlich bekannt wurde. „Das Amulett“ ist der erste Band seiner neuen Trilogie |Das 7. Buch der Schatten|, dessen zweiter Band im Oktober dieses Jahres erscheinen soll. Harald Evers verstarb im November letzten Jahres im Alter von nur 49 Jahren an einem Herzinfarkt. Das Manuskript für den dritten Band wurde noch von ihm fertiggestellt, ein genauer Erscheinungstermin steht allerdings noch nicht fest.
http://www.hoehlenwelt-saga.de
Geist ist geil! Seit 2002 – Ständig neue Rezensionen, Bücher, Lese- und Hörtipps