Alle Beiträge von Michael Drewniok

Calder, J. M. – Wer keine Gnade kennt

_Das geschieht:_

Wie es sich gehört, sind Lieutenant Solomon „Solly“ Glass von der Mordkommission und Staatsanwältin Tuesday Reed damit beschäftigt, die Straßen von New York vom Abschaum zu säubern. Aktuell grämt sie sich, weil es ihr misslang, den Drecksack Mallick möglichst lange hinter Gittern zu bringen; er hatte bei einem Überfall dem braven Studenten Nick Stevens hohnlachend einen Schraubenzieher ins Genick gejagt und ihn dadurch vom Kopf abwärts gelähmt; ein weichlicher Richter brummte Mallick nur fünf Jahre auf. Cop Glass ermittelt im Fall des Mafia-Schlägers Benny Salsone, der mit Kugeln förmlich gespickt wurde, obwohl weder ein Gangsterkrieg tobt noch bevorzustehen scheint. Auch Malone, Glass‘ junger Partner, ist gut beschäftigt mit dem Mord am Kinderschänder und Ex-Sträfling Gordon Jacobs, den auf einem Parkplatz mehrere tödliche Kugeln trafen.

Die Arbeit fällt doppelt schwer, weil a) Tuesday sich in ihrem Job aufreibt und von ihrem nichtsnutzigen Gatten betrogen wird, b) Solly mit seinen Gefühlen ringt, die er der schönen Staatsanwältin heimlich entgegenbringt (was schlechten Gewissens – Tuesday ist ein gutes Mädchen! – erwidert wird) und c) Malone ein Dummkopf ist.

Wenigstens arbeitet das Polizeilabor zufriedenstellend. Es stellt fest, dass Jacobs und Salsone durch Kugeln fielen, die aus derselben Waffe abgefeuert wurden. Während längst der dümmste Leser weiß, was dies bedeutet, grübelt Glass noch manche Seite, bis auch er erkennt: Vigilanten gehen um und üben Selbstjustiz! Da es nur Pack trifft, das den Tod verdient hat, müssen noch einige Strolche ins Gras beißen, bis der unbestechliche Glass und der trottelige Malone einem organisierten Kopf-ab-Zirkel auf die Spur kommen, der im Namen der Gerechtigkeit zu korrigieren versucht, was verblendete Gutmenschen angerichtet haben …

_Verbrechen kann so langweilig sein!_

Klingt die oben einleitende Einführung in den Handlungsinhalt ein wenig gallig? Gut, denn sie spiegelt damit wider, was der Rezensent während jener Plackerei empfand, zu der seine Lektüre dieses Mal ausartete. Selbst der Vielleser trifft nicht oft auf einen Roman wie diesen, dessen Verfasser wahrlich keine Gnade kennt und sein Publikum mit einem Machwerk traktiert, das nur aus Klischees, Geschwafel und Psycho-Gebrabbel besteht. Es liegt nicht am eingefädelten Verbrechen. Selbstjustiz geht als Thema völlig in Ordnung. Erst in der Umsetzung trennt sich die Spreu vom Weizen. J. M. Calder drischt – um im Bild zu bleiben – nur leeres Stroh. Selten liest man einen Thriller, der in Handlung, Figurenzeichnung und Stimmung so deutlich abpaust, was fähigere Autoren mit echtem Leben füllen konnten.

Natürlich liegt es nahe, die selbst dem deutschen Leser auffällige Unkenntnis des US-amerikanischen Polizei- und Justizalltags der Herkunft des Verfassers anzulasten, der im fernen Australien lebt und arbeitet. Indes zeigen Autoren wie Lee Childs, dass es durchaus möglich ist, trotz ausländischer Herkunft überzeugende Thriller zu kreieren, die in den Vereinigten Staaten spielen. Dies ist nicht nur eine Frage der Recherche, sondern auch des Talents sowie der Entscheidung, was man eigentlich schreiben möchte: einen Krimi, eine Liebesgeschichte oder eine Klage über das Diktat des Bösen in einer vor ihm kapitulierenden, hoffnungslos dysfunktionalen Gesellschaft.

|Papiertiger & Pappkameraden|

Der Leser muss sich durch endlose Passagen kämpfen, in denen Calder die Biografien seiner Protagonisten aufrollt. Diese haben mit dem Geschehen wenig oder gar nichts zu tun und sind vor allem blasse Kopien jener einschlägigen Jammergeschichten, die wir aus tausend TV-Krimis kennen – und zwar aus den schlechten ihrer Art. Ohne Sinn für Verhältnismäßigkeit begräbt Calder die Figuren förmlich unter Klischees. Solly hat nicht nur einen Hang zur klassischen Literatur, die er gern selbstgefällig zitiert, um seine Kollegen wie Deppen dastehen zu lassen, sondern er ist 1) Jude und muss sich u. a. von fiesen Mafia-Paten rassistisch beschimpfen lassen, hat 2) seine über alles geliebte Gattin tragisch verloren, ist 3) darüber zeitweise verrückt geworden, vegetiert 4) als notorischer Sauertopf in selbst gewählter Einsamkeit, obwohl ihn sogar deutlich jüngere Kolleginnen anhimmeln, wird 5) von seiner Mutter unter Druck gesetzt, endlich wieder zu heiraten und eine Familie zu gründen, und muss 6) die infantilen Witze seines dümmlichen Bruders ertragen, ohne dabei in Gelächter auszubrechen (was aufgrund der Bartlänge dieser Scherze keine grundsätzliche Herausforderung darstellen sollte). Die Liste ist keineswegs vollständig; der Verfasser addiert immer neue Plagen dazu.

Ähnlich ergeht es der armen Tuesday Reed, die nicht nur betrogen wird und heimlich liebt, sondern Tag und Nacht arbeitet, deshalb die Familie vernachlässigt, darüber ein schlechtes Gewissen bekommt, obwohl sie dem Gatten dennoch eine bereitwillige Liebhaberin sowie dem Töchterlein eine gute Mutter ist und trotzdem die knappe Freizeit aufwendet, um den Opfer des Justizsystems tröstend zur Seite zu stehen. Auch hier folgen weitere Misslichkeiten, die Calder seinem Publikum ganz wichtig im pseudo-dramatischen Tonfall und vor allem ausführlich darbietet.

Wenn dem Verfasser überhaupt etwas gelingt, so ist es die Zeichnung zweier Figuren, die unsympathischer kaum sein könnten. Weniger Aufwand treibt Calder mit den Nebenfiguren. Malone ist und bleibt ein Handlanger, der mit offenem Mund die genialischen Einfälle seines Meisters registriert und dessen illegalen Eigentouren deckt. Besonders lächerlich misslingt die Figur des Paten Caselli, den Calder wohl in einer Mafia-Geisterbahn – sollte es so etwas geben – aufgetan hat. Darüber hinaus dürfen Pechvögel, die von Gangstern gepiesackt wurden, Leidensgeschichten hart am Rande der absoluten Lächerlichkeit erzählen.

|Strolche tilgen & damit durchkommen|

Der Selbstjustiz-Thematik unserer Geschichte verdanken wir nicht nur ein dickes Bündel weiterer Klischees, sondern auch einen schamlos aus dem Hut gezogenen Schlusstwist, den kein Leser erwarten kann oder möchte, weil er absolut logikfrei ist sowie hässliche Ausfälle gegen eine Justiz reitet, die Lustmörder, Vergewaltiger und andere Tiere nicht wegsperrt, sondern ihnen nach viel zu wenigen Haftjahren eine neue Chance gibt, während ihre vergessenen Opfer ein durch Angst und Wut zerfressenes Dasein fristen müssen.

Die ‚logische‘ Konsequenz ist nach Calder klar und folgt nicht nur Volkes Stimme: „Gabriel-Gesellschaft“ nennt er die Gruppe der Rächer, die ihr alttestamentarisches Gerechtigkeitsempfinden zum Einsatz bringen, „wenn Gott schläft“. Selbstjustiz ist folglich ein Vorgriff auf himmlische Vergeltung und geht damit in Ordnung. Ein sträflich langweiliger und umständlich in die Länge gezogener Law-and-Order-Thriller erhält auf diese Weise doch seine eigene Stimme: Ihr Klang ist hässlich, und ihre Botschaft wäre niederträchtig, ginge der Autor nicht gar so hölzern vor.

_Autor/en_

J. M. Calder ist ein Pseudonym, das sich die Autoren John Clanchy und Mark Henshaw vermutlich nicht gaben, um die Verantwortung für ihre unterdurchschnittlichen Thriller zu verschleiern, obwohl dieser Gedanke sich jenen aufdrängt, die ihre Werke kennen. John Clanchy wurde in Melbourne geboren, ist aber seit 1975 in Australiens Hauptstadt Canberra ansässig. Er arbeitete einige Jahre in der Studentenbetreuung der Australian National University und wechselte später in die Graduiertenförderung. Daneben schrieb Clanchy Romane und Kurzgeschichten, für die er diverse Literaturpreise einheimste.

Mark Henshaw wurde in Canberra geboren. Er arbeitete zunächst als Übersetzer und hielt sich lange in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ausländern auf. „Out of the Line of Fire“ (dt. „Im Schatten des Feuers“), sein Romanerstling, erschien 1989. Dieses Buch und weitere Werke wurden ebenfalls mit Preisen ausgezeichnet,

Mitte der 1990er Jahre beschlossen Clanchy und Henshaw unglücklicherweise, sich gemeinsam an einem Thriller zu versuchen. „If God Sleeps“ (dt. „Wer keine Gnade kennt“) wurde 1997 veröffentlicht, 2006 erschien „And Hope to Die“ (dt. „Ich töte, was du liebst“), ein ähnlich langatmiger und gefühlsduseliger zweiter Krimi um Solomon Glass.

|Taschenbuch: 381 Seiten
Originaltitel: If God Sleeps (Ringwood/Victoria : Signet/Penguin Books 1997)
Übersetzung: Anja Schünemann
ISBN-13: 978-3-499-24827-6

Als eBook: Juni 2010 (Rowohlt Digitalbook)
ISBN-13: 978-3-644-42651-1|

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Delaney, Matthew – Golem

_Das geschieht:_

Im New York des Jahres 2049 stellen Biotechnologie-Konzerne die neue ökonomische Elite dar. Seit das menschliche Genom entschlüsselt und somit manipulierbar wurde, können einst tödliche Krankheiten geheilt und der Alterungsprozess radikal verlangsamt werden. Den Patienten werden sogenannte „Samps“ eingepflanzt, die für die gewünschte Abhilfe sorgen. Andere Firmen stellen künstliche Menschen – Transkriptoren – her, die als Arbeitssklaven eingesetzt werden.

Transkriptoren und Samps sind begehrte Spekulationsobjekte geworden. Sie werden wie einst Devisen gehandelt. Dieses Geschäft hat eine eigene Börse geschaffen und generiert astronomische Gewinne. Ganz oben spielt die Firma Genico mit. Als George Saxton, der Gründer und Präsident, in den Ruhestand tritt, verfolgt die Branche dies mit Argusaugen. Wider Erwarten übergibt George die Zügel nicht an Phillip, seinen Sohn und Vizepräsidenten, den er für gierig und moralisch schwach hält, sondern an dessen Stiefbruder Thomas Roosevelt, der Genicos Macht und Geld zum Wohle der Menschheit einsetzen soll.

Damit zieht sich Thomas den Hass des Jüngeren zu. Phillip findet einen Verbündeten in Harold Lieberman, Genicos Geschäftsführer, dem der Profit über alles geht. Skrupellos missbraucht Lieberman das Geheimnis, das Phillip ihm offenbarte: Ohne dass er selbst es wusste, ist Thomas ein Transkriptor! Als solcher gilt er plötzlich als rechtloses Objekt. In einer der Arenen, in denen künstliche Gladiatoren kämpfen, soll der lästige Rivale sein Leben lassen. Aber Thomas gelingt es, sich den Transkriptor-Rebellen anzuschließen, die für ihre Freiheit kämpfen. Gemeinsam mit einem mutigen Polizisten, der einem weiteren Komplott des kriminell umtriebigen Phillip auf die Spur gekommen ist, will Thomas nicht nur den Genicos Machenschaften, sondern auch der Unterdrückung der Transkriptoren ein Ende bereiten …

_Kein Ratespiel: Woher kommt diese Geschichte?_

Möchte man die Inspirationsquellen nennen, aus denen „Golem“ sich speist, kann man diese vier Filme der jüngeren Gegenwart listen:

– |“Blade Runner“| (1981) bzw. |“Die Insel“| („The Island“, 2005) – Künstliche Menschen werden als Sklaven missbraucht, begehren gegen ihr Schicksal auf und finden einen Anführer, der sich selbst als Kunstmensch erkennen muss und auf die Seite seiner Brüder & Schwestern schlägt.

– |“Robocop“| (1987) – Die eigentliche Staatsmacht liegt schon in naher Zukunft nicht mehr bei der Regierung. Globale Konzerne haben sie übernommen und setzen sie unter Ignorierung von Gesetz und Moral ein, um möglichst hohe Profite zu erzielen.

– |“Gladiator“| (2000) – Zwei Brüder buhlen um die Gunst des übermächtigen Vaters; als der ‚Gute‘ zum Erben des Reiches ausgerufen wird, raubt ihm der ‚Böse‘ Status und Familie und lässt ihn anonym im Elend verschwinden, aus dem der ‚Gute‘ sich nicht nur erhebt, sondern auch allerlei Unrecht gutmacht und sich an dem Verräter rächt.

Aus diesen Bausteinen also setzt Matthew Delaney seinen neuen, zumindest in Deutschland sehnlich erwarteten Thriller zusammen. Sieben Jahre hat er sich seit „Dämon“ Zeit gelassen; fünf Jahre waren es hierzulande. Die Fans dieses Erstlings werden auch „Golem“ lieben und die eklatanten Fehler des Nachfolgers entweder ignorieren oder gar nicht bemerken.

|Bestseller vom Reißbrett|

Das größte Manko ist gleichzeitig das schwerste Pfund, mit dem Delaney wuchern kann: „Golem“ ist ein kühles Konstrukt aus Elementen, die sich anderweitig als unterhaltsam bewährt haben. Dieses Buch soll unterhalten. Originelle Einfälle oder raffinierte Schriftstellerkunst sind dabei sekundär bzw. völlig unwichtig. Bücher wie „Golem“ liest ‚man‘ am Urlaubsstrand, während einer Zugfahrt oder nach einem langen Arbeitstag im Bett kurz vor dem Einschlafen: Ein- und Mitdenken ist überflüssig, die Handlung ist vertraut und gleichzeitig so abgewandelt, dass sie dennoch interessiert. Eine stringente Lektüre ist unnötig, „Golem“ lässt sich auch in kleinen Lesehäppchen goutieren.

Abgeschmeckt wird die nur behutsam durch die Mangel gedrehte Mischung aus bekannten Vorbildern mit aktuellen Reiz-Klischees, unter denen das vom bitterbösen Kapitalisten dank spekulationsbedingter Weltwirtschaftskrise am besten sticht. Serviert wird das Ganze in einem Tempo, das die Handlung über manchen toten Punkt trägt, denn obwohl Delaney sich dieses Mal kürzer fasst als in „Dämon“, drischt er weiterhin gern Buchstaben-Stroh, mit dem sich manche Seite füllen lässt. So tragen Roosevelts Arena-Eskapaden wenig zum Fortschritt der Ereignisse bei, bieten aber jenes atemlose Kampfgetümmel, das sich quasi selbst produziert und in Gang hält.

|Thriller-Koloss auf papiernen Füßen|

Das Reißbrett als Hintergrund irritiert vor allem den kritischen Leser (und den Rezensenten). Die weiter oben skizzierte und weniger Ansprüche an die Lektüre stellende Klientel wird sich dem sicherlich nicht anschließen, sondern „Golem“ durchaus legitim als rasanten Page-Turner verschlingen. Action und Drama können freilich nicht durchweg von Elementen ablenken, die Delaney objektiv nicht in den Griff bekam.

Dazu gehört in erster Linie die Figurenzeichnung, die dem Verfasser nicht wirklich vielschichtiger als in „Dämon“ gelungen ist. „Gut“ und „böse“ markieren die beiden Pole, um die sich die Protagonisten scharen. Dazwischen herrscht gähnende Leere, Schattierungen sind Delaneys Sache nicht. Was im Film funktioniert, wird in einem Roman dieser Länge erst deutlich und wirkt dann störend. Phillip Saxton beginnt als skrupelloser aber glaubwürdiger Spekulant. Im Finale ist er zum dauerkoksenden Monster und zur Karikatur eines Bösewichts verkommen. Umgekehrt wird Thomas Roosevelt – schon zu Beginn ein schwer erträglicher Gutmensch – erst zur Kampfmaschine und schließlich zum Messias der Kunstmenschen.

Während Delaney sehr anschaulich jene Atmosphäre aus Gier, Hybris und Gleichgültigkeit zu beschwören weiß, die über den modernen Finanzzentren der Welt wabert, bleibt die Geschichte, die er erzählt, logikfernes Stückwerk. Zum perfekten Funktionieren der geschilderten Geschäftswelt passt nicht, dass sie schließlich durch einen einzigen Menschen zu Fall gebracht werden kann. Zwar ist dies ebenfalls ein bekanntes Konzept – viele Geschichten singen das Lob des wider alle Erwartungen obsiegenden Einzelgängers -, aber es muss sorgfältig konzipiert werden und zumindest im gewählten Rahmen stimmig sein.

Überhaupt ist die Auflösung schwach (und wieder nur aus zweiter Hand: Delaney ließ sich vom Finale des Films „Fight Club“ ‚inspirieren‘). Der Kampf gegen ein realiter global verknüpftes und somit stabil in sich ruhenden Systems wird eleganzfrei versimpelt: Als Genico fällt und die Herkunft der Transkriptoren gelöscht wird, ist die Macht des Kapitals gebrochen, und bessere Zeiten brechen an. So geht’s nicht, und eigentlich wird es jetzt erst interessant – aber Vorsicht: Setzen wir dem Verfasser keinen Floh ins Ohr; sonst beglückt er seine Fans womöglich mit einer Fortsetzung!

|Delaneys treue deutsche Fans|

Zumindest in den USA scheint man auf Delaneys zweiten Roman nicht gewartet zu haben. Der Verfasser legte ihn ohnehin verspätet erst 2009 vor, doch kein Verlag griff zu. So stellte die deutsche Veröffentlichung von 2010 auch die Erstveröffentlichung dar. Hierzulande gelang Delaney mit seinem Erstling „Dämon“ ein auflagenstarker Überraschungserfolg, an den sich der Bastei-Lübbe-Verlag nicht nur gern erinnert, sondern an den er mit „Golem“ anknüpfen möchte. Also erschien „Golem“ – dieser Titel hat zwar keinerlei Bezug zur Handlung, klingt aber zugegebenermaßen besser als das originale „Genome, Inc.“ – nicht als Taschenbuch, sondern wurde in ein Paperback gekleidet, das nicht nur stattlicher aussieht, sondern sich vor allem hochpreisiger verkaufen lässt. Erst Anfang 2011 wird eine erste originalsprachige Ausgabe folgen.

_Autor_

Über Matthew Delaney ist kaum Biografisches bekannt. Am Dartmouth College zu Hanover im US-Staat New Hampshire hat er studiert. Er lebt und arbeitet in Somerville, Massachusetts. 2005 legte er seinen Erstling, den Horror-Roman „Jinn“ (dt. „Dämon“) vor, der (angeblich) verfilmt werden soll, aber seit Jahr & Tag genregerecht in Hollywoods berüchtigter |“development hell“| schmort.

|Paperback: 557 Seiten
Originalausgabe: Genom, Inc. (London : Pan Books 2011)
Übersetzung: Rainer Schumacher
ISBN-13: 978-7857-6037-6|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

_Matthew Delaney bei |Buchwurm.info|:_
[„Dämon“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1108

Clifford D. Simak – Invasionen

simak-invasionen-cover-kleinObwohl in der deutschen Fassung aus dem originalen Sammlungs-Zusammenhang gerissen, fesseln diese vier Kurzgeschichten des SF-Altmeisters Simak durch ihre autorentypischen Qualitäten: Ohne Weltraumschlachten und Permanent-Action erzählt er unaufgeregt und spannend von seltsamen Begebenheiten und gewinnt dabei mancher klassischen SF-Idee neue Aspekte ab.
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Rickman, Phil – Mittwinternacht

_Das geschieht:_

Als Witwe, alleinerziehende Mutter und Pfarrerin der Gemeinde Ledwardine in der westenglischen Grafschaft Herefordshire ist Merrily Watkins eigentlich ausgelastet. Doch Michael „Mick“ Hunter, der junge, energische Bischof ihrer Diözese Hereford, setzt sie außerdem ins Amt des Bistums-Exorzisten ein. Kanonikus Dobbs, der es bisher innehatte, vertritt in Sachen Spuk und Teufelswerk allzu mittelalterliche Ansichten, und zu allem Überfluss scheint er in letzter Zeit wunderlich zu werden. Dennoch gedenkt er seinen Platz nicht zu räumen. Er intrigiert gegen die ungeliebte Konkurrentin und macht Merrily das Leben möglichst schwer.

Damit steht er nicht allein, obwohl Bischof Micks Interesse an Merrily in eine andere Richtung zielt. Obwohl verheiratet, will er sehr offensichtlich mit der hübschen Pfarrersfrau anbändeln. Mit dem Bischof möchte sich Merrily ungern anlegen. Für weiteres Ungemach sorgt Teenager-Töchterlein Janes. Sie bemüht sich, die Mutter mit dem Alt-Rocker Laurence „Lol“ Robinson zu verkuppeln. Lol hat allerdings mehr als ein Auge für die esoterisch verwirrte Katherine Moon geworfen, die auf das einsam gelegene Gehöft der Familie gezogen ist, obwohl sich dort einst der Vater umbrachte. Dieser geistert nach Katherines Auskunft angeblich durch die Wälder. Wenig später liegt sie tot in ihrer Badewanne.

Merrily kämpft inzwischen gegen eine wahre Gespensterplage. Überall in Hereford und Umgebung geht es plötzlich um, sodass die frischgebackene Exorzistin kaum mit dem Austreiben nachkommt. Dann tauchen auch noch Satanisten auf, die damit beginnen, abgeschiedene Kirchen durch schwarzmagische Praktiken zu entweihen. Als in diesem Umfeld ein toter Mann gefunden wird, tritt Detective Chief Inspector Annie Howe auf den Plan. Sie bittet Merrily um Unterstützung, was diese nicht ablehnen kann. Als Jane in den Bann einer Druiden-Sekte gerät, ist der Teufel endgültig los …

_Donnerwetter, Potz Blitz & Teufelsspuk!_

Manchmal gerät man an ein Buch, das man einfach nicht mehr aus der Hand legen kann – dies nicht, weil es spannend und gut geschrieben wäre; das Gegenteil ist der Fall, und der daraus resultierende Zustand kann am besten als „Faszination des Grauens“ beschrieben werden. „Mittwinternacht“ liegt inhaltlich soweit neben der Spur, dass man weder glauben kann noch mag, was einem da vorgesetzt wird. Tatsächlich bildet sogar die gesamte Merrily-Watkins-Serie einen Korpus von (derzeit) zehn dickleibigen Romanen (Fortsetzung folgt), die in einer Welt spielen, in der Geisterspuk, Erdstrahlen, Seelenwanderungen u. a. Phänomene kein Hokuspokus, sondern (bitterernst genommene) Realitäten sind.

Bis der spirituell nüchterner als der Rickman-Fan gestimmte Leser sich darauf eingestellt hat, so gut dies eben möglich ist, vergeht eine Weile. Dieser Prozess ist objektiv nicht unkompliziert, denn Merrily Watkins lebt in keinem fantastischen Paralleluniversum. Hereford stellt ein fiktives aber getreues Abbild der Realität dar, wie der Verfasser in einem Nachwort offenbart. Literarisch ist Hereford eine dieser im englischen Krimi beliebten Kleinstädte, in denen die große Welt sich überschaubar widerspiegelt. Hinter vornehmen Fassaden spielt sich interessant Böses und Unanständiges ab, und als Pfarrersfrau ist Merrily in der idealen Position, sich überall dort Zutritt zu verschaffen, wo sich gerade solches plus Kriminelles abspielt.

Womit nicht (nur) das eifrige Mobbing und Intrigieren gemeint ist, dem sich Merrily ausgesetzt sieht. Dies gehört zu den zwischenmenschlichen Konflikten, mit denen moderne Kriminalromane auf Länge gebracht werden: Emotionaler Seifenschaum ist leicht zu schlagen, und vor allem die weiblichen Leser scheinen süchtig nach ihm zu sein. Nein, hier geht es um Verbrechen, die primär übersinnlich daherkommen. Vorzeitlich gestimmte Heiden und Satanisten schleichen durch die Diözese Hereford, wo sie sich klischeegerecht finster verhalten, d. h. Kirchen schänden, Krähen killen sowie jene Menschenkinder umbringen, die ihnen auf die Schliche kommen, wenn sie zu schlechter Letzt Luzifer und seine Dämonen heraufbeschwören, die doch in dem aktuellen Geister-Getümmel definitiv überflüssig sind.

|Viel Feind‘, wenig Ehr’|

Schon im ersten Roman ‚ihrer‘ Serie hatte Merrily privat und priesterlich viel um die Ohren. In „Mittwinternacht“ mutiert sie zur Getriebenen. Der fesche Bischof sieht in ihr die ideale Geliebte, ein düpierter Kanoniker belegt sie mit einem Fluch, die Tochter gerät unter keltische Heiden und ist auch sonst eine altkluge Landplage, verknöcherte Chauvinisten nehmen sie in ihrem Job nicht ernst, ständig rufen von Geistern gepeinigte Pfarrkinder an, und schwenkt sie dann vor Ort eifrig Weihwasserwedel u. a. Exorzisten-Inventar, drehen ihr die Spukbolde die lange Nase und wollen partout nicht weichen.

Der nüchterne Leser (s. o.) verfolgt diese Prüfungen eine Weile, dann gibt er auf und nimmt es mit Humor. Schon Merrily selbst ist höchstens als Karikatur zu ertragen. Als solche passt sie auch viel besser in die groteske Welt, die Autor Rickman ihr schuf. Dort spielt sie eine erstaunlich passive Rolle. Merrily ist offensichtlich harmoniesüchtig, was übel ist in einer Dorfgemeinschaft, die vor allem aus selbstsüchtigen, boshaften und notorisch schwatzhaften Gesellen beiderlei Geschlechts besteht. Die gutgläubige Pfarrersfrau rennt in jedes offene Messer, schaut dabei verdutzt, legt sich erschöpft in ihr Bett und rappelt sich Minuten später wieder auf, weil der nächste undankbare Kunde sie anruft. Schnell möchte man diese rückgratarme Gutfrau tüchtig beuteln, auf dass sie endlich kontert, wie es ihre lästigen Bittsteller und Lästlinge verdienen: mit einem kräftigen Arschtritt!

|Säusel, säusel …|

Doch solche Anwandlungen überkommen nur diejenigen Leser, die immer noch nicht begriffen haben, dass Phil Rickman keine Geschichte erzählen, sondern nur plaudern möchte. „Mittwinternacht“ ist ein „Lady-Thriller“. Das Verbrechen und seine Aufklärung stehen nicht im Mittelpunkt, sondern sind exotisches Beiwerk. Wichtiger und offenbar aufregender sind die Expeditionen in seelische Untiefen. Sie werden ergänzt durch die genannten Ausflüge ins Übernatürliche, die ebenfalls Würze in ein Geschehen bringen, das auf diese Weise Spannung generiert, die der auf eine stringente Handlung geeichte Purist beim besten Willen nicht nachvollziehen kann.

Er findet sich schiffbrüchig auf einem Meer sinnfreien Gefasels und Geplappers, das sich um aufgebauschte Möchtegern-Problemchen und Als-ob-Aufregungen dreht. Fiebrig raunend deutet der Verfasser Enthüllungen an, die niemals kommen oder unter einem neuen Schwall beliebiger Nichtigkeiten erstickt werden. Dies gilt auch für den berühmten roten Faden, was „Mittwinternacht“ zu einem Buch werden lässt, das man lesen kann, ohne sich um Kapitel oder Seitenzahlen zu kümmern: Die Ereignisse wabern konturlos vor sich hin, ohne konkret auf einen Höhepunkt hinzuführen.

Den gibt es zwar, doch er wird quasi pflichtschuldig geliefert. Die losen Fäden werden gepackt und grob zu einem finalen Knoten geschürzt. „Mittwinternacht“ wird zum Dan-Brown-Gemunkel en miniature. In Hereford offenbart sich das Wirken einer Verschwörer-Gruppe, die mindestens seit der Eisenzeit aktiv ist und den heidnischen Naturglauben der Ahnen gegen die christlichen Emporkömmlinge verteidigt. Das wird vom Verfasser so bierernst und gleichzeitig ungeschickt in Szene gesetzt, dass sich nunmehr endgültig die Spreu (= diejenigen, die atemlos weitere Merrily-Watkins-Mystery-Thriller verschlingen werden) vom Weizen (= diejenigen, die genau dies fürderhin vermeiden werden) trennt. Dreimal darf geraten werden, welcher Gruppe dieser Rezensent sich anschließen wird …

_Autor_

Phil Rickman wurde in der nordenglischen Grafschaft Lancashire geboren. Er arbeitete viele Jahre als Journalist für Radio und Fernsehen. Aktuell moderiert Rickman die Sendung „Phil the Shelf“, in der er Bücher vorstellt.

In seinen Reporterjahren lernte Rickman das englisch-schottische Grenzland und Wales kennen und schätzen. Ihn faszinierte vor allem die Folklore dieser Regionen, die er im Zusammenhang mit historischen Fakten sieht. Anfang der 1990er Jahre begann Rickman Romane zu schreiben. Sein Erstling, der Horror-Roman „Candlelight“, erschien 1991 noch unter einem Pseudonym.

Rickman wechselte bald zum Kriminalroman, ohne deshalb von seinen mystischen Vorlieben zu lassen. Das Übernatürliche ist auch in seiner Serie um die anglikanische Priesterin Merrily Watkins stets präsent, die Rickman 1998 startete. Sie brachte ihm den Durchbruch und wird bis in die Gegenwart seitenstark fortgesetzt.

Mit seiner Ehefrau lebt Rickman in der kleinen wallisischen Ortschaft Hay-on-Wye. Über seine Aktivitäten informiert er auf [seiner Website]http://www.philrickman.co.uk .

Die „Merrily Watkins“-Serie erscheint in Deutschland im Rowohlt Verlag:

(1998) „Frucht der Sünde“ |(„The Wine of Angels“)| – RoRoRo 24905
(1999) [„Mittwinternacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6067 |(„Midwinter of the Spirit“)| – RoRoRo 24906
(2001) [„Die fünfte Kirche“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6283 |(„A Crown of Lights“)| – RoRoRo 24907
(2001) „Der Turm der Seelen“ |(„The Cure of Souls“)| – RoRoRo 25333
(2003) „Der Himmel über dem Bösen“ |(„The Lamp of the Wicked“)| – RoRoRo 24334 (noch nicht erschienen)
(2004) „Die Nacht der Jägerin“ |(„The Prayer of the Night Shepherd“)| (noch nicht erschienen)
(2005) |“The Smile of a Ghost“| (noch kein dt. Titel)
(2006) |“Remains of an Altar“| (noch kein dt. Titel)
(2007) |“The Fabric of Sin“| (noch kein dt. Titel)
(2008) |“To Dream of the Dead“| (noch kein dt. Titel)
(2011) |“The Secrets of Pain“| (noch kein dt. Titel)

|Taschenbuch: 576 Seiten
Originaltitel: Midwinter of the Spirit (London : Pan Macmillan Ltd. 1999)
Übersetzung von Karolina Fell
ISBN-13: 978-3-499-24906-8|

|eBook (Rowohlt Digitalbuch)
ISBN-13: 978-3-644-42061-8|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

Eric Shepherd – Mord im Nonnenkloster

shepherd-mord-nonnenkloster-cover-1984-kleinAls sich in einer Klosterkirche ein Mord ereignet, muss sich ein Inspektor von Scotland Yard nicht nur mit der Spurensuche, sondern auch mit der exotischen Realität einer geistlichen Einrichtung auseinandersetzen … – Aus heutiger Sicht zwar ein wenig (zu) fromm aber immerhin in Kenntnis sowohl der beschriebenen Verhältnisse als auch des Krimi-Genres, weiß der Verfasser Spannung mit (schwarzem) Humor zu mischen: ein nostalgisch verstaubter Klassiker der Genres.
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Mack, David – Star Trek – Destiny 1: Götter der Nacht

_Das geschieht:_

Im Jahr 2381 steht die Föderation vor einem neuen Krieg mit den Borg, die nicht mehr bestrebt sind, ihre Gegner in das Kollektiv aufzunehmen, sondern sie erbarmungslos vernichten wollen. Die ohnehin überlegene Borg-Technik hat weitere Fortschritte gemacht, sodass die Verteidigung gegen ihre Kampfschiffe einen gewaltigen Blutzoll fordert. An einen Gegenangriff ist überhaupt nicht zu denken.

In dieser Situation erinnert sich Trill-Symbiont Ezri Dax an eine Expedition, die ihn – damals noch im Leib der später im Dominion-Krieg gefallenen Jadzia – auf einen öden, namenlosen Planeten des Gamma-Quadranten geführt hatte. Dort lag das Wrack des Föderations-Raumschiffes Columbia, das vor mehr als zwei Jahrhunderten verschwunden war. Technisch war das alte Schiff außer Stande, diesen Planeten zu erreichen. Ließe sich feststellen, wie die Columbia dorthin kam, hat man womöglich eine Waffe gefunden, mit denen den Borg Paroli geboten werden kann. An Bord des Forschungsschiffes Aventine stößt Ezri erneut zum Wrack vor, um das Logbuch zu bergen. Doch die Besucher wecken dabei eine unsichtbare Macht, die sich an Bord der Aventine schleicht und die Besatzung zu massakrieren beginnt …

Im Alpha-Quadranten kann mit vereinten Föderations-Kräften ein Vorstoß der Borg aufgehalten werden. Die Verluste sind erneut schrecklich, aber die Klingonen und andere Verbündete haben den Ernst der Lage endgültig erfasst. Sie ziehen mit in einen Krieg, in dem Captain Jean-Luc Picard und die Enterprise an vorderster Front stehen werden …

Viele Lichtjahre entfernt stößt das Forschungsschiff Titan unter Captain Will Riker auf eine seltsame, fremddimensionale und offensichtlich künstliche Struktur, die exakt auf die zentralen Welten der Föderations-Völker zielt. Die Raumfahrer fürchten eine Geheimwaffe der Borg und machen sich daran, dem Phänomen auf den Grund zu gehen …

_“Star Trek“ von der Leine_

Neue Besen kehren gut. Dies gilt auch für das „Star-Trek“-Franchise. In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts sah es noch so aus, als sei die „ST“-Chronik unter dem Gewicht der in vier Jahrzehnten allzu oft erzählten Geschichten zusammengebrochen, aber dann gelang J. J. Abrams mit „Star Trek“, dem elften Kinofilm, ein erfolgreicher Neubeginn, der mit einem Befreiungsschlag einherging: Nach einer Reise in die Vergangenheit entsteht ein neuer Zeitstrang, und ein juveniler Captain Kirk und seine ebenso verjüngte Mannschaft dürfen neue Abenteuer erleben, ohne sich um die besagte Chronik kümmern zu müssen. Picard, Sisko, Janeway & Co. wurden abgekoppelt und auf ein temporales Nebengleis abgeschoben. Zumindest das für die „Star-Trek“-Filme zuständige Segment des Franchises hat kein Interesse mehr an ihnen.

Ist dieser Neubeginn gut? Ist er schlecht? Darüber mögen sich die Hardcore-Trekkies die Köpfe zerbrechen. Es ist jedenfalls geschehen. Zumindest in Buch und Comic gibt es aber reichlich Nachschub an Abenteuern sämtlicher bekannter und beliebter „ST“-Haudegen. Dabei lässt sich feststellen, dass die Grenzen zwischen den Serien aufgehoben sind. Früher mussten sie nach dem Willen des Franchises recht strikt gewahrt bleiben, um den aus Film und Fernsehen bekannten Kanon nicht zu verwirren. Dies ist nun gleichgültig geworden, weshalb die Autoren der neuen Romane die Figuren des alten „Star-Trek“-Universums munter mischen. In „Götter der Nacht“ treten deshalb gemeinsam auf: Jean-Luc Picard (Enterprise-E), Tom Paris (Voyager) und Ezri Dax (Deep Space Nine) – und dies ist nur eine kleine Auswahl!

Auch sonst ist erlaubt, was Leser anlockt und die Verkaufszahlen in die Höhe treibt. Papier ist billig, sodass gewaltige Raumschlachten und der Sprung von Quadrant zu Quadrant und Schauplatz zu Schauplatz bereits Stilmittel der neuen „ST“-Romane geworden sind. Heilige Kühe dürfen geschlachtet werden (auch wenn dieser Vergleich hier etwas doppeldeutig wirkt …), weshalb Cathryn Janeway inzwischen einen Heldentod gestorben ist.

|Das Pferd von Kopf und Schwanz her aufzäumen|

Zumindest für den Leser ist das „Star-Trek“-Universum keineswegs übersichtlicher geworden. Die neuen Abenteuer kommen als Trilogien und Mini-Serien daher, doch die Ereignisse bleiben deutlich enger verzahnt als früher. Doppelungen werden dabei in Kauf genommen. So dürfen wir Picards Seelenqualen in Erinnerung an seine Zeit als Borg-Drohne Locutus sowohl in der neuen „Next-Generation“-Serie als auch im „Destiny“-Dreiteiler mitfühlen. Wie Serien, Mehrteiler und Einzelbände zusammengehören, belegt eine Timeline, die im vorliegenden Roman auf den Seiten 420/21 zu finden ist. Demnach füllen die Ereignisse nur dreier Jahren bereits 16 volumenstarke Bände, und ein Ende ist keinesfalls abzusehen.

Durch stetige Perspektivenwechsel versuchen die Autoren, Dynamik in die Handlung/en zu bringen. David Mack springt in „Götter der Nacht“ zusätzlich in die Zeit zurück. Die Borg sind plötzlich wutschnaubende Mordmaschinen, die Föderation und ihre Verbündeten reiben sich in politischen Querelen auf, Planeten bersten und Dr. Crusher bekommt ein Kind von Picard, während eine Galaxis weiter den Imzadis Riker und Troi genau dies nicht gelingen will.

Große und private Dramen: So war und ist „Star Trek“. Neben das Abenteuer der Zukunft soll gleichberechtigt der Mensch mit seinen Alltagsproblemen treten. Dies ist einer der alten Roddenberry-Zöpfe, die noch nicht abgeschnitten wurden – leider, muss man sagen, denn während Mack sehr spannend erzählt, wenn wirklich etwas geschieht, tritt er seifenschaumig auf der Stelle, wenn sich unsere Helden die Herzen ausschütten oder über Vergangenes reflektieren, was sie gern und seitenlang tun.

|Die Macht der Gewohnheit|

Überhaupt hat sich eines nicht geändert: „Star Trek“ will mehr denn je kontextstark die Probleme der realen Gegenwart vor dem Hintergrund einer spannend gezeichneten Zukunft durchspielen. Die dabei beanspruchte Relevanz bleibt jedoch Behauptung; „Star Trek“ ist Trivial-Science-Fiction, die ungeachtet des Neubeginns ausgetretenen Mustern verhaftet ist. Trennt man die (eher hektisch als kunstvoll) verflochtenen Handlungsstränge voneinander, bieten sie konventionelle „ST“-Kost.

Was dort in Ordnung geht, wo diese Strukturen zuverlässig wirken. So ist ein Monster im isolierten Raumschiff immer unterhaltsam. Auch das kunstvoll hergerichtete Weltraum-Rätsel sorgt für Spannung. Dagegen beginnt sich die Borg-Krise bereits in die Länge zu ziehen. Die Menschmaschinen müssen bereits zum dritten Mal als Nemesis herhalten. Dass sie sich nunmehr als Killer gebärden, macht sie nicht interessanter: Aus den Borg wurde herausgequetscht, was an ihnen ursprünglich faszinierte. Sie sind wie rauflustige Klingonen oder hinterlistige Romulaner zum „ST“-Klischee herabgesunken.

Für die etwas langatmig gestartete „Destiny“-Story ist außerdem die Trilogie-Vorgabe verantwortlich. Mack muss mit seinem Pulver haushalten, denn es hat für zwei weitere 400-Seiter auszureichen. Die vielen Fäden werden sich erst in Band 2 und vor allem 3 allmählich schürzen – und sogleich wieder verwirren, um weitere Fortsetzungen und Parallel-Geschehnisse einzuleiten. Dieses In-die-Breite- statt In-die-Tiefe-gehen ist ein riskantes Spiel mit dem Publikum, das sich mit immer neuen Andeutungen und Rätseln anfüttern lässt – bis ihm womöglich eines Tages der Geduldsfaden reißt, weil der an sich wohlschmeckende Quark allzu breitgetreten wird.

_Autor_

David Alan Mack, geboren in New York City, besuchte ab 1987 die Tisch School of the Arts (auch bekannt als NYU Film School) der University of New York. Nach seinem Abschluss übernahm er die Herausgeberschaft diverser Magazine und schrieb selbst Artikel. Mitte der 1990er Jahre kam er in Kontakt mit John J. Ordover, der für das „Star-Trek“-Fanchise arbeitete. Das Duo schrieb ein Drehbuch („Starship Down“, dt. „Das Wagnis“, Staffel 4, Ep. 79) und lieferte eine Drehbuchvorlage („It’s Only a Papermoom“, dt. „Leben in der Holosuite“, Staffel 7, Ep. 160) zur TV-Serie „Deep Space Nine“. Mack hatte seinen Fuß in der Tür und dehnte seine Aktivitäten für das Franchise aus. Er stellte Datenblätter für die „Star Trek“-Autoren zusammen, kreierte mit Ordover das Comic-Crossover DS9/Next Generation „Divided We Fall“ und arbeitete an „Star Trek“-Computerspielen wie „Starship Creator“, „The Fallen“ und „Dominion Wars“ mit.

Auch für das Marvel-Franchise ist Mack tätig; er schrieb einen Roman zur „Wolverine“-Serie (skriptete aber weder für die „Kabuki“- noch die „Daredevil“-Comic-Reihe – für diese zeichnet der Zeichner David W. Mack verantwortlich, mit dem David A. ständig verwechselt wird). In den 1990er Jahren drehte Mack diverse Kurzfilme. Ab 2000 schrieb er selbst „Star Trek“-Romane und ist inzwischen Vollzeit-Autor. David Mack ist verheiratet; er lebt und arbeitet in New York City. Über seine Arbeit informiert er auf [dieser Website]http://www.infinitydog.com .

Die Trilogie „Star Trek – Destiny“ von David Mack erscheint im Cross Cult Verlag:

(2008) Götter der Nacht |(„Gods of Night“)|
(2008) Gewöhnliche Sterbliche |(„Mere Mortals“)|
(2008) Verlorene Seelen |(„Lost Souls“)|

|Taschenbuch: 421 Seiten
Originaltitel: Star Trek – Destiny: Gods of Night (New York : Pocket Books 2008)
Übersetzung: Stephanie Pannen
ISBN-13: 978-3-941248-83-0|
[www.cross-cult.de]http://www.cross-cult.de
[www.startrekromane.de]http://www.startrekromane.de

_“Star Trek“ bei |Buchwurm.info|:_
[„Sternendämmerung“ (Star Trek) 673
[„Sternennacht“ (Star Trek) 688
[„Star Trek Voyager – Das offizielle Logbuch“ 826
[„Star Trek V – Am Rande des Universums“ 1169
[„Jenseits von Star Trek“ 1643
[„40 Jahre STAR TREK – Dies sind die Abenteuer …“ 3025
[„Star Trek Deep Space Nine: Neuer Ärger mit den Tribbles“ 4171
[„Star Trek Voyager: Endspiel 4441
[„Star Trek – Vanguard 1: Der Vorbote“ 4867
[„Star Trek – Titan 1: Eine neue Ära“ 5483
[„Star Trek – Next Generation: Tod im Winter“ 6051
[„Star Trek – Next Generation: Widerstand“ 6141
[„Star Trek – Next Generation: Quintessenz“ 6199
[„Star Trek: Deep Space Nine – Sektion 31 – Der Abgrund“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6378

Clifford D. Simak – Planet zu verkaufen

simak-planet-cover-tt-113-kleinDiese außerirdische Invasion ist besonders tückisch, weil sie sich einer US-amerikanischen Ur-Tugend – der Gier nach dem schnellen Geld – bedient: Die Aliens kaufen den Planeten Erde und seine Bewohner buchstäblich auf. Als ihnen ein Journalist auf die Spur kommt, reagieren sie ungemütlich … – SF-Großmeister Simak variiert die bekannte Geschichte von der Invasion aus dem All ebenso einfallsreich wie witzig; sympathische Figuren und eine nostalgisch verklärte Handlungs-‚Gegenwart‘ runden diese gewaltarme und trotzdem spannende Geschichte unterhaltsam ab.
Clifford D. Simak – Planet zu verkaufen weiterlesen

Lawrence Goldstone – Anatomie der Täuschung

Ein junger Arzt gerät im Philadelphia des späten 19. Jahrhunderts in eine Verschwörung krimineller Mediziner und gesellschaftlicher Honoratioren sowie beim Versuch, die Wahrheit aufzudecken, in Lebensgefahr … – Kenntnisreiche und erzählerisch dichte, aber allzu breit angelegte, nicht immer geglückte Mischung aus Historien-Roman und Krimi; vor allem medizinhistorische Exkurse stoppen den Handlungsfluss, der erst wieder in Gang gebracht muss, was dem Verfasser in der Regel gelingt. Lawrence Goldstone – Anatomie der Täuschung weiterlesen

S. A. Steeman – Die schlafende Stadt

Kriminalinspektor Malaise stolpert in ein flämisches Städtchen und dort in ein mysteriöses Familien- und Morddrama, das trotz seiner Ermittlungen weitere Opfer fordert … – Formal wie inhaltlich ein vom Zahn der Zeit tüchtig angeknabberter Krimi, dessen hübsch bizarrer Plot durch die klischeehafte Zeichnung der Figuren und eine mehr als sieben Jahrzehnte alte und hölzerne Übersetzung stark beeinträchtigt wird.
S. A. Steeman – Die schlafende Stadt weiterlesen

Festa, Frank (Hg.) – Necrophobia III – Zart wie Babyhaut

_|Necrophobia|:_

Band 1: [„Meister der Angst“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1724
Band 2: [„Die graue Madonna“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5320
Band 3: _“Zart wie Babyhaut“_

19 Gruselgeschichten aus 83 Jahren, davon 17 deutsche Erstveröffentlichungen: Das lange Warten auf die dritte „Necrophobia“-Sammlung hat sich gelohnt. Klassischer Horror wechselt mit modernen Schrecken, für Abwechslung ist gesorgt; Mittelmaß kommt vor, doch echte Ausfälle, verursacht durch um Jungmädchen buhlende Vampire oder deutsche ‚Nachwuchstalente‘, bleiben aus: Ein fesselnder Streifzug durch ein ungemein lebendiges Genre:

– F. Paul Wilson [*1946]: |“Zart wie Babyhaut“| („Foct“, 1991), S. 7-20: Wenn sich ihr die Chance bietet, ins modische Spitzenfeld vorzustoßen, wird für manche Frau die Frage nach der Herkunft des verarbeiteten Materials nebensächlich …

– David Case [*1937]: |“Unter Wölfen“| („Among the Wolves“, 1971), S. 21-88: In der Wildnis wurde er geprüft und für stark befunden; nun testet er ähnlich unbarmherzig seine Mitmenschen in der Stadt auf ihre Lebenstauglichkeit …

– Brett McBean [*1978]: |“Genie eines kranken Geistes“| („The Genius of a Sick Mind“, 2000), S. 89-101: Simon und Sherry geraten in die Falle eines moralfreien Psychopathen, der sie mit schauerlichen ‚Aufgaben‘ konfrontiert, deren Bestehen ihr Leben sichert – vielleicht …

– Walter de la Mare [1873-1956]: |“Der Spiegel“| („The Looking-Glass“, 1923), S. 103-115: Für die vom Leben enttäuschte Alice verschwimmen Realität und Illusion, bis schließlich die Grenze zum Jenseits fällt …

– Brian Lumley [*1937]: |“Fruchtkörper“| („Fruiting Bodies“, 1988), S. 117-152: Von einer fernen Insel geriet ein Pilz an einen einsamen Abschnitt der englischen Küste, wo er ein unheimliches Eigenleben entwickelt …

– Mary E. Counselman [1911-1995]: |“Die drei markierten Pennys“| („The Three Marked Pennies“, 1934), S. 153-163: Sie bringen Glück oder den Tod – und manchmal beides gleichzeitig …

– Frederick Cowles [1900-1949]: |“Das Haus der Tänzerin“| („The House of the Dancer“, 1938), S. 165-179: Sie war die hübscheste Frau ihrer Zeit – und eine böse Hexe, die lustvoll ihr Treiben nach dem Tod fortsetzt …

– Karl Edward Wagner [1945-1994]: |“Das Bildnis des Jonathan Collins“| („The Picture of Jonathan Collins“, 1995), S. 181-204: Eigentlich hieß Dorian Gray Jonathan Collins, und sein Bildnis war kein Gemälde, doch sonst stimmt die Geschichte …

– Simon Clark [*1958]: |“Die außergewöhnlichen Grenzen der Finsternis“| („Limits of Darkness“, 2006), S. 205-229: Eine Schatzsuche in Afrika entwickelt sich zu einer Reise ins Herz der menschlichen Finsternis …

– Robert Bloch [1917-1994]: |“Das Geheimnis der Gruft“| („The Secret in the Tomb“, 1935), S. 231-240: Wie sein verschwundener Vater macht sich auch der Sohn auf den Weg, dem verrufenen Ahnen das Geheimnis des ewigen Lebens zu entlocken …

– Greg F. Gifune [*1963]: |“Vollendete Vergangenheit“| („Past Tense“, 2005), S. 241-258: Manche Vampire saugen Blut, andere zapfen ihren Opfern Lebenszeit ab …

– Manuel Komroff [1890-1974]: |“Du willst also nicht reden!“| („So You Won’t Talk“, 1935), S. 259-268: Ein besessener Polizist bricht ein Verhör auch beim Tod des Hauptverdächtigen nicht ab …

– Fritz Leiber [1910-1992]: |“Der Phantommörder“| („The Phantom Slayer“, 1942), S. 269-291: Das zunächst willkommene Erbe des Onkels entwickelt ein mörderisches Eigenleben …

– Chet Williamson [*1948]: |“Ameisen“| („Ants“, 1987), S. 293-297: Ein streitsüchtiger Fiesling legt sich mit den Falschen an …

– Graham Masterton [*1946]: |“Der Junge von Ballyhooly“| („The Ballyhooly Boy“, 1999), S. 299-327: Ein von seinen Schulkameraden geschurigelter Junge übt als Geist erbarmungslos Rache …

– Jeffrey Thomas [*1957]: |“Die Keller-Götter“| („The Cellar Gods“, 1999), S. 329-350: Die geliebte Frau kann ihre obskure Herkunft auf Dauer nicht unterdrücken …

– Mort Castle [*1946]: |“Nimm meine Hand, mein Sohn“| („If You Take My Hand, My Son“, 1987), S. 351-364: Daddy war ein verlogener Dreckskerl im Leben, und der Tod konnte ihn nicht ändern …

– Carlton Mellick III [*1977]: |“Porno im August“| („Porno in August“, 2002), S. 365-387: Dreharbeiten zu einem Sexfilm gehen in einen grotesken Albtraum über …

– F. Paul Wilson [*1946]: |“Weich“| („Soft“, 1984), S. 389-406: Wie lebt man mit einer Seuche, die alle Knochen zur Auflösung bringt …?

– Ein letztes Flüstern des Herausgebers, S. 407-410

_Andere Zeiten, andere Schrecken?_

Lange hat es gedauert bis zum Erscheinen dieses dritten Bandes der „Necrophobia“-Reihe – lange genug, um als Freund der grausigen & guten Kurzgeschichte unruhig zu werden, zumal der Festa-Verlag zwischenzeitlich in ökonomische Turbulenzen geriet. Aber der Sturm hat sich gelegt, und Verleger Frank Festa hält das Steuer wieder fest genug in der Hand, um erneut bisher unbekannt Genre-Gewässer zu befahren. Er setzt dabei nicht nur auf Romane, sondern bietet auch der Kurzgeschichte eine Nische. Nach der Lektüre von „Necrophobia III“ fragt sich der Leser umso konsternierter, wieso diese nach Ansicht der ‚großen‘ Verlagshäuser angeblich kein Publikum mehr findet, denn wie sonst kann sich der Horror bunter und palettenbreiter darstellen als in seiner kurzen Form?

Zwischen 1923 und 2006 erschienen die 19 hier gesammelten Storys. Schon die chronologische Spanne sorgt für Abwechslung, denn sowohl die Auslegung als auch die Darstellung von Furcht unterlag in diesen Jahrzehnten deutlichen Veränderungen: Walter de la Mare und Carlton Mellick III teilen zwar die metaphorische Beschäftigung mit dem Phantastischen, doch inhaltlich könnte die Kluft zwischen diesen beiden Autoren kaum größer sein.

Aber auch die Werke der zeitgleich schreibenden Autoren lassen sich nur schwer unter einen Hut bringen; „Necrophobia III“ soll ja gerade die Vielfalt des Horrors belegen. Dieser ist vielschichtig („Unter Wölfen“), trivial („Das Geheimnis der Gruft“) oder beides („Der Phantommörder“), klassisch („Fruchtkörper“), einfach nur angestaubt („Das Haus der Tänzerin“), ein wenig experimentell („Nimm meine Hand, mein Sohn“), betont drastisch („Das Bildnis des Jonathan Collins“), schwarzhumorig („Ameisen“), auf den Schlussgag getrimmt („Zart wie Babyhaut“) oder bitterernst („Die außergewöhnlichen Grenzen der Finsternis“).

|Entdeckungen und Andeutungen|

Die erfreuliche Bandbreite der präsentierten Storys und ihre Zahl verhindert eine Besprechung, die jeder Geschichte gerecht werden könnte. Der Leser wird sich unterschiedlich zwischen den Urteilspolen „sehr gut“ und „gefällt gar nicht“ bewegen. Der Rezensent kann deshalb an dieser Stelle nur auf hoffentlich allgemein interessierende Einzelheiten eingehen.

Mit „Fruchtkörper“ legt Brian Lumley nicht nur eine unheimliche Story, sondern auch eine Hommage an einen britischen Großmeister der Gespenstergeschichte vor. Im November 1907 veröffentlichte das |“Blue Book Magazine“| William Hope Hodgsons (1877-1918) „A Voice in the Night“ (dt. „Stimme in der Nacht“), eine intensive Studie ‚biologischen‘ Grauens am Beispiel zweier Schiffbrüchiger, die auf einer Insel stranden, deren Gestade von einem monströsen Wucherpilz befallen sind, der auch auf menschlicher Haut gedeiht. Gerade in der Finalszene beschwört Lumley die daraus resultierenden Schrecken ähnlich intensiv herauf wie Hodgson. Obwohl der moderne Autor sich in der Beschreibung der Effekte keinerlei Zurückhaltung auferlegen müsste, bleibt Lumley erfreulich zurückhaltend.

Jeffrey Thomas ergänzt das „Cthulhu“-Mosaik um ein interessantes Steinchen. Mit „Die Keller-Götter“ beweist er anschaulich, dass der Mythos, den H. P. Lovecraft (1890-1937) schuf und der bereits zu seinen Lebzeiten von faszinierten Autorenkollegen mit- und ausgestaltet wurde, durchaus gegenwartstauglich ist.

Simon Clark vergreift sich unerschrocken an einem literarischen Meisterwerk. „Die außergewöhnlichen Grenzen der Finsternis“ stellt eine Fortsetzung und Variation der Novelle „Heart of Darkness“ (1899, dt. „Herz der Finsternis“) dar, in der Joseph Conrad (1857-1924) den charakterlich schlichten Afrika-Reisenden Marlow auf den Handelsagenten Kurtz als verkörperte Ausgeburt der menschlichen Bosheit treffen und an dieser Erfahrung gleichzeitig reifen und zerbrechen lässt. Gelernt hat Marlow seine Lektion offensichtlich nicht, denn Clark lässt ihn ein zweites Mal in den Dschungel des Kongo = in die Abgründe der Seele zurückkehren, wobei die Lektion dieses Mal noch um einiges deutlicher und drastischer ausfällt.

Dies trifft erst recht auf Karl Edward Wagner zu, der mit „Das Bildnis des Jonathan Collins“ dem einzigen Roman von Oscar Wilde (1854-1900) – „The Picture of Dorian Gray“ (1890/91, dt. „Das Bildnis des Dorian Gray“) – einen Bärendienst erweist; Wagner kopiert die ursprüngliche Handlung, deren Finale deshalb von vornherein feststeht. Der Schluss kann deshalb nicht überraschen, während die quasi-pornografischen Sequenzen weder schockieren noch das Geschehen überzeugend illustrieren, sondern nur langweilen.

|Horror heimlich oder aggressiv|

Die in „Necrophobia III“ gesammelten Geschichten bestätigen und widerlegen gleichzeitig die vor allem von der Kritik gern geäußerte Meinung, dass die Phantastik dort am nachdrücklichsten wirkt, wo sie der Realität so dicht verhaftet bleibt, dass sich das Übernatürliche nur schemenhaft oder scheinbar manifestiert. Um diese Wirkung erzielen zu können, bedarf es eines wirklich guten Schriftstellers. Walter de la Mare gelingt es, in „Der Spiegel“ seinen Lesern ein stetig und ständig wachsendes Gefühl der Unsicherheit und des Unbehagens zu vermitteln.

Während de la Mare dabei die Wirklichkeit niemals gänzlich aus den Augen verliert, gibt Carlton Mellick III in „Porno im August“ sie auf, ohne den Übergang seinem Publikum deutlich zu machen: Quasi dokumentarisch beschreibt er eine Welt, deren Gesetze den handelnden Figuren ebenso fremd bleiben wie dem Leser. Mellick verstößt vorsätzlich gegen jene zwar nicht niedergeschriebene aber von der Mehrheit der Grusel-Freunde eingeforderte Regel, nach der das Grauen einer stringenten Handlung folgen und den Schrecken in einem gruseligen Höhepunkt kulminieren soll.

Solche regelkonformen Geschichten beinhaltet „Necrophobia“ natürlich auch. Sie können, aber sie müssen keineswegs ’schlechter‘ sein als der ‚literarische‘ Horror. Während Frederick Cowles, ein noch sehr jugendlicher Robert Bloch oder Manuel Komroff an den vordergründigen Grusel der „Pulp“-Ära erinnern, verbinden Mary E. Counselman, Fritz Leiber, Mort Castle, Graham Masterton oder F. Paul Wilson (vor allem in „Weich“) den plakativen Horror mit dem Schrecken, den er dem Menschen beschert – ein Schrecken, der über einen blutreichen Tod hinausgeht. David Case treibt diese Kombination auf die Spitze. Brett McBean produziert dagegen nur heiße Luft.

Das gesammelte Grauen kommt auch dieses Mal ohne deutsche Beiträge aus – oder muss ohne sie auskommen, da sie die strengen Qualitätsvorgaben des Herausgebers nicht erfüllen konnten. (Ob ein Chet Williamson allerdings eine Alternative ist …) Sie gedeihen anderenorts prächtig, sodass man sie hier nicht vermisst. Als Buch bietet „Necrophobia III“ nicht nur inhaltlich Lektüre-Vergnügen. Die Storys sind gut übersetzt, das gedruckte Werk ist zwar ein Taschenbuch, liegt aber trotzdem schwer und sauber gebunden in der Hand, und das Cover entstammt keinem Bildstock, sondern ist gezeichnet und wurde passend zum morbiden Inhalt ausgesucht. Solche Details weiß der Leser zu schätzen, und er merkt sich, wo seine Ansprüche befriedigt werden!

|Taschenbuch: 410 Seiten|
Originalausgabe
Übersetzung: Alexander Amberg (1), Andreas Diesel (1), Doris Hummel (3), Sigrid Langhaeuser (8), Sandra Pohley (3)
ISBN-13: 978-3-86552-077-7|
[www.festa-verlag.de]http://www.festa-verlag.de

Victor Gunn – Der vertauschte Koffer

Gunn Koffer Cover 1988 kleinAls er zufällig über einen Koffer voller Raubgeld stolpert, gerät ein junger Mann zwischen die wütenden Räuber, seinen exzentrischen Onkel und zwei misstrauische Kriminalbeamte … – Der 21. Band der William-Cromwell-Serie zeigt den Verfasser in ausgelassener Erzähllaune, der sich um die Logik seiner Geschichte wenig kümmert, sondern in kriminalkomödiantischen Szenen schwelgt, in denen karikaturenhaft überzeichneten Figuren seltsames Benehmen an den Tag legen: amüsant!
Victor Gunn – Der vertauschte Koffer weiterlesen

Monchinski, Tony – Eden

_Das geschieht:_

Eines unschönen Tages hielt es die Toten weltweit nicht mehr in ihren Gräbern. Als hungrige Zombies kehrten sie zurück und fielen über die entsetzten Hinterbliebenen her. Die menschliche Zivilisation brach binnen weniger Tage zusammen. Während die Zahl der Zombies stetig wuchs, weil nicht allzu heftig angefressene Opfer zu ihnen stießen, wurden die Lebenden zur bedrohten Art. Wer den Untoten entkam, schloss sich schwer bewaffnet zusammen und zog in festungsartig gesicherte Refugien.

„Eden“ nennen die Bewohner ironisch den von einer hohen Mauer geschützten Komplex, den sie sich im New Yorker Stadtteil Queens buchstäblich erkämpft haben. Hier fristen sie inmitten notdürftig angelegter Gärten und Felder ein mühseliges Dasein. So selten wie möglich wagen sie Ausbrüche ins zombieverseuchte Stadtgebiet, um Medikamente und andere Güter zu bergen, die sie nicht selbst herstellen können.

Die Präsenz der unmenschlich geduldig lauernden Untoten und private Tragödien haben die Überlebenden gezeichnet. Alkohol- und Drogensucht sind verbreitete Übel, aber auch Endzeit-Despoten wittern Morgenluft. Ex-Lehrer Harris fällt einem perfiden Mordanschlag zum Opfer: Wohl weil ihn seine schöne Gefährtin Julie nicht verlassen will, lässt ein Nebenbuhler nachts Zombies in sein Haus eindringen. Zwar können die Untoten gestoppt werden, aber Harris wurde gebissen. Binnen 24 Stunden wird er sich verwandeln. Harris schweigt, denn die ihm verbleibenden Stunden will er zur Rache nutzen, seinen Mörder entlarven und ihn strafen.

Die Zeit drängt, denn erste Zeichen der Infektion werden bald sichtbar. Aber Harris nimmt sich die Zeit, Abschied zu nehmen, an die Zeit vor und nach der Epidemie zurückzudenken und eine Todesfalle auszutüfteln, die mindestens so grausam ausfallen soll wie das Schicksal, das ihn erwartet …

_Once bitten, twice shy_

Erstens: Der zwar variierte aber grundsätzlich identische Plot ist vielen Lesern quasi heilig: Sie hassen Überraschungen und das damit verbundene Risiko der Irritation, sondern wünschen in ihrer knappen Freizeit bewährte Zerstreuung. Von dieser Haltung – die der Kritiker gern „Denkträgheit“ nennt – profitieren zahlreiche Autoren, die genau dieses Gewünschte und nicht mehr zu liefern in der Lage sind.

Zweitens: In der (ungerecht wertend) als „trivial“ bezeichneten, primär der Unterhaltung dienenden Literatur gibt es (Sub-) Genres, die durch eng gezogene Grenzen definiert sind. Zu ihnen gehört der Zombie-Horror, der nicht nur im Buch, sondern auch im Film grundsätzlich derselben Storyline folgt: Die Toten kehren als hirnlose Kannibalen zurück und lassen durch ihre schiere Überzahl die Zivilisation enden. Statt sich möglichst wirkungsvoll zu organisieren, arbeiten sich die Überlebenden an den mannigfachen Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Zwietracht ab und zerstören sich selbst; den Rest übernehmen die Zombies.

„Eden“ entspricht diesem Schema exakt. In einer merkwürdigen Mischung aus Fiktion und Vorwort – angeblich wurde dieser Roman von einem unkonventionellen Weltenbummler namens Tommy Arlin verfasst, und Tony Monchinski ist nur sein literarisches Sprachrohr – macht der Verfasser bereits einleitend deutlich, dass er Neues gar nicht anstrebt. Die „Eden“-Zombies sind ausdrücklich als ‚Klassiker‘ und hässliche Zerrbilder des Menschen gestaltet. Sie reden nicht, sie jagen und fressen nur. An eine Verständigung mit ihnen ist nicht zu denken.

|Der Zombie hält den Spiegel|

Nur in Details mochte Monchinski auf Neuerungen nicht verzichten. Im apokalyptisch verheerten New York treiben nicht nur die üblichen Torkel-Zombies à la Romero ihr Unwesen. Die Überlebenden klassifizieren vier Arten: „Schlurfer“, „Hetzer“, „Heuler“ und „Hirne“. Monchinski erkannte, dass langsame, dumme Untote selbst in der Überzahl keine Spannung garantieren. Also erweitert er ihren Handlungsspielraum, indem er die Reihen der trägen Stolper-Leichen durch spurtstarke Läufer und tückisch schlaue Hinterhalt-Jäger ergänzt.

Diese Konstellation sorgt für die übliche Splatter-Action, wenn Mensch und Zombie in dunklen Kellergängen, nur scheinbar verlassenen Lagerhallen oder an ähnlich unübersichtlichen Orten unvermutet aufeinandertreffen. Dazu kommen die beliebten Massenaufmärsche unterschiedlich verwester Untoter, die detailfreudig beschrieben für angenehme Schauer sorgen.

Doch der Zombie fungiert nicht nur als direkte Schreckensgestalt. Er dient in der Masse als gesichtslose Gefahr, der sich die lebendig und damit Individuum gebliebene Rest-Menschheit stellen muss. In dieser Funktion ist die Anwesenheit der Zombies sogar überflüssig. Viele Seiten füllt Monchinski deshalb mit Schilderungen, die sich auf die lebenden Bewohner von Eden konzentrieren. Sie stehen mit dem Rücken so glatt an der Wand, dass die üblichen Beschwichtigungs- und Vertuschungsmechanismen nicht mehr greifen. Die Menschen müssen zueinander finden oder untergehen: An diesem Punkt wird es für den Schriftsteller interessant, denn hier wird er zum Schöpfer eigener Gesellschaftsentwürfe.

|Viele fühlen sich berufen, nur wenige sind auserwählt …|

99 von 100 Apokalyptikern sind Kulturpessimisten. Monchinski gesellt sich zu ihnen, indem er die von außen belagerte Gruppe inneren Zerreißproben aussetzt. In der Not fällt die Maske, der Mensch kehrt in die Regelwelt der Steinzeit zurück, die angeblich durch das Primat des Stärksten und Rücksichtslosesten (aber nicht unbedingt des Klügsten) gekennzeichnet war. Monchinski arbeitet mit bekannten Klischees, lässt Cäsarenwahn, religiöser Fanatismus und feigen Opportunismus wüten, die er durch ostentative Tapferkeit, Pioniertugenden oder einfach Resignation konterkariert.

Die daraus resultierenden Konflikte versucht er kurzweilig abzuwandeln, setzt dabei jedoch erneut auf Klischees: Hauptfigur Harris ist „DOA“, „dead on arrival“; nicht mehr Mensch, aber noch nicht Zombie und ein Opfer, das in den ihm verbleibenden Stunden den eigenen Mörder jagt. Dies ist kein innovatives Konzept, zumal Monchinski sich nicht auf Harris konzentriert, sondern ständig abschweift.

„Eden“ ist kein Roman mit straff gespanntem Handlungsfaden, sondern ein Mosaik kapitelkurzer Schlaglichter auf das Ende der Welt. Wie sein (im Vorwort gelobtes) Vorbild Quentin Tarantino in „Pulp Fiction“ bricht Monchinski mit der Chronologie der Ereignisse, verlässt die Gegenwart, springt in die Zeit vor und zurück, sucht dabei Orte außerhalb der Eden-Festung auf, führt Figuren ein, die sang- und klanglos wieder verschwinden. Die dennoch simple Story vermag der Leser mühelos in die korrekte Reihenfolge zu bringen – und dabei als vordergründig entlarven.

In seinem Debüt-Roman will Monchinski dem ‚dreckigen‘ Horror der 1970er und 80er Jahre spannend seine Reverenz erweisen. Was ihm immerhin gelingt, ist ein unterhaltendes Zombie-Garn der schnell konsumierten und vergessenen Art. (Die zahlreichen Druckfehler der deutschen Übersetzung bleiben dagegen ebenso lange im Gedächtnis haften wie die – rhetorische – Frage, ob es nötig war, ein im Original gerade 268 Seiten zählendes Buch zum 480 Seiten starken und entsprechend teuren Paperback aufzublasen.)

P. S.: Selbstverständlich geht die Schlacht weiter; „Eden: Crusade“ erschien 2010.

_Autor_

Nach Lehr- und Wanderjahren im Dienst des US Peace Corps, die er u. a. in der Karibik und nach Südkorea verbrachte, arbeitet Tony Monchinski, Jahrgang 1973, heute als Lehrer für Politikwissenschaften an der Fox Lane High School in Bedford, US-Staat New York. In seiner Freizeit schreibt und fotografiert er für das Bodybuilder-Magazin „MuscleMag International“. 2008 veröffentlichte Monchinski – zunächst im Selbstverlag – den Horror-Roman „Eden“, den er inzwischen fortsetzte.

|Taschenbuch: 475 Seiten
Originalausgabe: Eden – A Zombie Novel (Mena/Arkansas: Permuted Press 2008)
Übersetzung: Reinhold H. Mai
ISBN-13: 978-3-453-52665-5|
[www.randomhouse.de/heyne]http://www.randomhouse.de/heyne

Wade Miller – Die unheimliche Reise

miller-wade-reise-cover-kleinAuf der Flucht vor dem Gesetz stürzt ein Pilot auf hoher See ab und gerät auf eine Yacht, unter deren Besatzung sich ein Mörder verbirgt und die in der Nacht aus dem Wasser attackiert wird … – Die bizarre Geschichte wird mit ausgeprägtem Sinn für Spannung und Timing ohne Längen und unnötige Verwicklungen bis zum erstaunlichen Finale vorangetrieben: „Pulp at its best“, kompromisslose Nicht-Literatur auf hohem Unterhaltungs-Niveau.

Das geschieht:

Mit seiner alten DC-3 fliegt Pilot und Lebenskünstler Ed Koch jede Fracht von Puerto Rico in die USA und umgekehrt. Dieses Mal hätte er sich den Inhalt der transportierten Kisten besser anschauen sollen, denn sie enthielten Heroin, das von der Polizei entdeckt und beschlagnahmt wurde. Dass man ihn ebenfalls zur Rechenschaft ziehen wird, ist nur eine Frage der Zeit, weiß Koch, und tatsächlich taucht ein FBI-Agent auf, der ihn verhaften will. Koch wehrt sich und erschießt versehentlich den Mann. Nun bleibt ihm nur noch die Flucht.

Trotz eines schweren Sturms steigt er mit seiner Maschine auf. Doch die Natur ist gegen ihn. Die DC-3 stürzt über der Sargassosee ab. Koch hat noch Glück, denn die Maschine landet auf einem dicken Braunalgen-Bündel und bleibt über Wasser. Niemand wird ihn hier draußen jedoch suchen oder finden. Die Lage scheint aussichtlos, bis Koch durch den dichten Nebel plötzlich Klaviermusik hört: Auch die Yacht „Nymphe“ wurde vom Sturm beschädigt, das Funkgerät zerstört. Ohne Antrieb und Steuer treibt das Boot hilflos über den Atlantik.

Der gerettete Cook findet sich in einer eigentümlichen Gesellschaft wieder. Kapitän Moya Auberon steuerte mit ihrem Vater, dessen deutlich jüngeren Ehefrau Holly June, ihrem Ex-Mann und einigen undurchsichtigen Freunden die Bahamas an. Von Einigkeit gibt es auch in der jetzigen Krise keine Spur, stattdessen stiehlt und hortet jemand Lebensmittel für den Notfall – und ermordet in der Nacht den verletzt im Koma liegenden Koch Opie!

Gejagt vom Gesetz, gestrandet und an Bord mit einem Mörder: Kann es für Cook noch schlimmer kommen? Die Antwort ist klar, als Holly June behauptet, sie habe eine Gestalt gesehen, die sich im Nebel über die Algenbänke der Yacht näherte …

Pulp in seiner reinen, besten Form

„Pulp“: Dies bezeichnete ursprünglich das holzige Ausgangsmaterial, aus dem möglich kostengünstig das Papier für jene billig verkauften Magazine hergestellt wurden, die ab den 1920er Jahren für knallige, politisch unkorrekte und optimale Genre-Unterhaltung sorgten. Der Manuskript-Hunger der Herausgeber sorgte dafür, dass auch Neulingen eine Veröffentlichungs-Chance geboten wurde. Die Honorare waren niedrig, sodass vor allem fixe Autoren auf ihre Kosten kamen. Trotzdem – oder gerade wegen der limitierenden Faktoren? – gelangen vielen später berühmten Schriftstellern ihre ersten Schritte im Pulp-Getto. Andere Autoren lieferten hier ihr besten Arbeiten, denn niedrige Entlohnung, billiges Papier und bunte Titelbilder schlossen vielleicht literarische, keineswegs aber erzählerische Qualitäten aus. Diese Geschichten mussten nur einem Zweck genügen – nämlich ihre Leser unterhalten.

Nach dem II. Weltkrieg gingen die klassischen Story-Magazine allmählich ein. Sie wurden ersetzt vom Taschenbuch-Markt, auf dem das „Pulp“-Prinzip ebenfalls funktionierte. Weiterhin triumphierte, was die selbsternannten Wächter der wahren Werte u. a. Spielverderber die Nasen rümpfen ließ: Gewalt, Sex, Action, wobei die Reihenfolge ständig wechselte. Freilich besaß eben diese rohe, auf den Punkt gebrachte Verbrauchsliteratur ohne verklärenden Zuckerguss ihre ganz eigenen Qualitäten, wie Wade Miller mit „Die unheimliche Reise“ belegt.

Der Story – und nur der Story – dienen

1961 erschien dieser Roman bei Ace Books und damit in einem Verlag, der praktisch ein Synonym für effektvolle Reißer ist, die direkt auf den Bauch des Lesers zielen (und gern auch noch ein Stückchen darunter). Verfasser Miller befolgt perfekt die Vorgaben, die den Käufer nach „Die unheimliche Reise“ greifen lassen sollen. Wer die Inhaltsangabe studiert, kann im Grunde gar nicht anders, als neugierig zu werden. Sie lockt mit Köder-Begriffen wie „Flugzeug-Absturz“, „Hurrikan“, „Sargasso-See“, „steuerlose Segel-Yacht“ und beschwört bereits auf diese Weise eine ebenso spannende wie unheimliche Atmosphäre herauf.

Obwohl Miller jeder Effekt und jeder Trick recht ist, um seine Leser auf die Folter zu spannen, spielt er dennoch mit offenen Karten. Es gibt jede Menge Überraschungen aber keine verborgenen Hintertürchen. Zwar ist „Die unheimliche Reise“ nicht nur Krimi, sondern auch Abenteuer-Roman, doch Miller hält sich strikt an die Regeln des klassischen „looked room mystery“: Obwohl sich ein Nebenstrang der Handlung um nächtliche ‚Besuche‘ aus dem Algen-Dschungel dreht, gehört zur uns vorgestellten Besatzung, wer mordend auf der „Nymphe“ umgeht.

Realismus ist nur insoweit gefragt, wie er die Handlung spannender gestalten kann. Gleichzeitig sind Klischees keineswegs verpönt, sondern problemlos gestattete Gestaltungshilfen. „Pulp“-Storys müssen schnell geschrieben werden und sein. Auf diese Weise trägt der Schwung die Handlung über logische Löcher hinweg, in die sie ansonsten sicherlich stürzen würde. In unserem Fall lassen u. a. Cooks ‚Ausflüge‘ über die Algenwälder stutzen. De facto bilden die (tatsächlich existierenden) Algen der Sargasso-See keinen ‚begehbaren‘ Dschungel. Ebenso unwahrscheinlich – aber eben effektvoll – ist die Begegnung mit einem im Tang gefangenen Wikingerschiff, das Auftauchen eines zombiehaften Schiffbrüchigen oder die Invasion gefräßiger Mini-Krabben.

Eine kunterbunte, verdächtige Schar

Klischees bestimmen die Figurenzeichnung. Auch hier hat der „Pulp“ eigene Regeln: Die bekannten Standards werden überzeichnet und auf die Spitze getrieben, bis sie wieder unterhaltsam wirken. Die durch die neblige Sargasso-See treibende „Nymphe“ wird zu einem Geisterschiff der verloren Seelen, denn an Bord sind ausschließlich Männer und Frauen, die nicht nur düstere Geheimnisse hüten, sondern auch in der Gegenwart sehr exzentrisch auftreten.

Hauptfigur Ed Cook führt den Leser durch das Geschehen. Er ist der Außenseiter, der den objektiven Blick auf das auch ohne kriminelles Tun seltsame Reden und Handeln seiner ‚Retter‘ versucht. Dabei passt er selbst hervorragend in diese Runde, denn auch Cook ist ein Mann, der etwas verbirgt – und ein Mann, der noch im Moment der Rettung quasi verdammt ist.

Wiederum ohne Scheu vor offensichtlicher Effekthascherei setzt Miller die Besatzung der „Nymphe“ sexuellen Spannungen aus. Schon die Namen sind Hinweise: Moya Auberon ist die gleichermaßen erfahrene wie vom Leben enttäuschte, scheinbar kalte und unnahbare ‚Göttin‘, Holly June die junge, hübsche, dumme aber berechnende Schlampe. Die eine ist gar nicht so eisig, wie sie sich gibt; sie wartet nur auf den richtigen Mann (= Cook), die andere sorgt durch erotische Disziplinlosigkeit für eine weitere Zuspitzung der ohnehin explosiven Stimmung.

Das Ende ist gleichzeitig Anfang

Aufgrund des exotischen Schauplatzes ignoriert Miller, der im Krimi-Hauptplot ‚fair‘ spielt, ansonsten Genregrenzen. „Die unheimliche Reise“ bietet Horror und vor allem Abenteuer. Selbstverständlich gehen die Lebensmittel zu Ende, schwappen die Wogen ins lecke Schiff, warten hungrige Haie im Kielwasser der „Nymphe“ auf ihre Stunde. Einmal mehr muss man Miller dafür bewundern, dass er diese Klischees nicht nur direkt ansteuert, sondern sie in den Verlauf einer reizvollen Geschichte zu integrieren weiß. „Die unheimliche Reise“ bietet in den Einzelheiten nichts Neues. Insgesamt bietet dieser Roman reines Lektüre-Vergnügen. Miller hat ein ausgezeichnetes Gespür für Spannung und Stimmung. Hinzu kommt ein ausgezeichnetes Timing.

Höchstens der Schluss kommt ein wenig abrupt. Möglicherweise drohte der Redaktionsschluss, oder die vereinbarte Seitenzahl war erreicht. Miller bringt die Handlung jedenfalls recht abrupt zur Auflösung. Zu diesem Zeitpunkt ist das eigentliche Rätsel – wer mordet an Bord der „Nymphe“? – glücklicherweise bereits aufgeklärt. Nun gilt es, das Happy-End zu gewährleisten. Wie wäscht man einen Mann rein, der einen FBI-Mann – in den 1960er Jahren Repräsentant von Recht & Gesetz – umgebracht hat? Miller wusste es auch nicht bzw. griff auf die „Pulp“-Logik zurück – und dieses eine Mal überreizt er sein Blatt, was gar nicht einfach ist in einer insgesamt irrealen Story! Allerdings kann dieser eine ‚Ausrutscher‘ keinesfalls verderben, was auf 170 immer turbulenten Seiten vor den Augen des faszinierten Lesers entfesselt wurde!

Autor

Wade Miller ist das Pseudonym des Autorenduos Robert Allison „Bob“ Wade (1920-2012) und H. William „Bill“ Miller (1920-1961). Die beiden seit Schultagen unzertrennlichen Freunde debütierten 1947 mit „Guilty Bystanders“, dem ersten Roman der Serie um den Privatdetektiv Max Thursday, die von der Kritik zu den besten ihrer Zeit gezählt wird. In den nächsten anderthalb Jahrzehnten schrieben Wade & Miller als „Wade Miller“, aber auch als „Will Daemer“, „Dale Wilmer“ und „Whit Masterton“ mehr als dreißig Romane, von denen immerhin neun verfilmt wurden. Unter diesen Filmen ragt hoch der Noir-Klassiker „Touch of Evil“ heraus, den 1958 Orson Welles mit Charlton Heston, Janet Leigh, Marlene Dietrich und sich selbst in den Hauptrollen inszenierte.

Als Miller 1961 völlig überraschend einem Herzanfall erlag, schrieb Wade im Alleingang weiter, beschränkte sich jedoch zukünftig auf das Pseudonym „Whit Masterton“. Sein letzter Roman erschien 1979. Dem Krimigenre blieb er jedoch bis zu seinem Tod als kundiger Spezialist und Autor der Kolumne „Spadework“ verbunden.

Taschenbuch: 174 Seiten
Originaltitel: Nightmare Cruise (New York : Ace Books 1961)/The Sargasso People (London : W. H. Allen 1961)
Übersetzung: N. N.

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Gwynne, Phillip – Vor dem Regen

_Das geschieht:_

Detective Frances „Dusty“ Buchanon ist Beamtin der Mordkommission der Northern Territory Police Force im nordaustralischen Darwin. Privat leidet sie noch unter dem Ende einer langjährigen Beziehung, und auch beruflich läuft es schlecht: Gerade wurde ihr der Fall einer ermordeten Touristin entzogen, in den Dusty viel Arbeit und Emotionen investiert hatte.

Eher unwillig folgt die Polizistin einem Hinweis, der sie tief ins öde Outback führt. Dort haben Veteranen des Vietnamkriegs ein Buschcamp errichtet, in dem sie sich ungestört treffen und feiern können. Ein traumatisierter und drogensüchtiger Ex-Soldat will dort in einem Fluss beim Angel auf die Leiche einer thailändischen Frau gestoßen sein. Als Dusty dies überprüft, stößt sie tatsächlich auf eine tote Asiatin, der ein Messer im Leib steckt, doch als wenig später ein Kollege von der Spurensicherung erscheint, ist die Leiche verschwunden.

Schlimmer noch: Es gibt keine Beweise für ihre Existenz. Dusty leidet unter Halluzinationen, so schlussfolgert ihre ungeliebte Vorgesetzte, und schiebt sie ins Polizeiarchiv und damit ins berufliche Abseits ab. Doch Dusty will diese Schmach nicht hinnehmen. Sie beginnt auf eigene Faust zu ermitteln.

Dies führt sie ins Rotlichtmilieu von Darwin und in brenzlige Situationen, in denen ihr schon einmal ein neugieriges Schwein aus der Bredouille helfen muss. Nach und nach kommt Dusty einem verwickelten Mordfall auf die Spur, der sogar mit dem Fall der getöteten Touristin in Verbindung steht. Dies spornt Dusty an, umso eifriger nachzuforschen – und es steigert die Unruhe und den Handlungsdrang derer, die sich vor der lästigen Polizei sicher wähnten …

_Mord und Verdruss in der australischen Provinz_

Zwischen Darwin im Norden Australiens und Schottland im Norden der britischen Hauptinsel scheint es ungeahnte Parallelen zu geben. Jedenfalls fühlt sich der Krimi-Freund bei der Lektüre von „Vor dem Regen“ immer wieder in das Edinburgh des Ian Rankin versetzt. Zwischen Frances Buchanon und John Rebus klaffen zwar buchstäblich Welten. Dennoch erzählen sowohl Rankin als auch Phillip Gwynne ebenso spannend wie humorvoll von zwei notorischen Querköpfen, die es ausgerechnet in den Polizeidienst verschlagen hat.

Zwar gehört „Dusty“ Buchanon genau dorthin. Dies würde sie jedoch nie offen zugeben. Sie lebt für die Ermittlung, sie ist gut ausgebildet und eifrig. Darüber hinaus verfügt sie über jenes Quäntchen Zusatz-Intelligenz, das viele Vorgesetzte hassen, weil es Unruhe in ihren bürokratischen Alltag bringt oder – noch schlimmer – sie so dumm aussehen lässt, wie sie (manchmal) tatsächlich sind. Dustys Arbeitsalltag besteht daher mindestens zu gleichen Teilen aus der eigentlichen Polizeiarbeit sowie dem Kampf gegen das System.

Unkonventionelle Menschen sind umgangsschwierig. Als weiteres Element kommt die Tatsache ins Spiel, dass Dusty sich oft selbst am meisten im Weg steht. Darwin stellt sich in der Schilderung von Phillip Gwynne zudem als geografisch und kulturell ziemlich abgelegene Provinzstadt mit einem außerordentlich kreislaufbelastenden Klima dar: Der „Build Up“ des Originaltitels bezeichnet die Monate Oktober bis Dezember, die im tropischen Nordaustralien durch eine ständig zunehmende, drückende Hitze gekennzeichnet sind, bevor endlich die Regenzeit einsetzt.

|Simple Verbrechen in einem komplexen Fall|

Gwynne versinnbildlicht mit diesem Titel außerdem den Höhepunkt eines Geschehens, das den dramatischen und erlösenden Durchbruch in einer lange durch Lügen, Irrtümer und Missverständnisse geprägten Mordermittlung beschreibt. Für die lange Durststrecke kann man weder Dusty noch ihre Kollegen wirklich verantwortlich machen, denn der Verfasser kreiert einen Plot, der dem Zufall persönlich staunende Anerkennung abfordern dürfte. Dies ist nicht negativkritisch gemeint, da Gwynne eine rundum spannende Geschichte erzählt. Doch an ein Miträtseln des Lesers im Sinn eines „Whodunit“ ist hier sicher nicht zu denken.

Die Glaubwürdigkeit der Handlung wird arg strapaziert, wenn Gwynne zwei Verbrechen eine gemeinsame Wurzel schafft, die logisch nicht in einen Zusammenhang zu bringen sind, es sei denn, der Leser lässt sich damit ködern, dass manche Geschichte so absurd ist, dass sie einfach nur wahr sein kann. Also entwickelt Gwynne eine hässliche Bluttat zu einer Kette tragischer, bizarrer und komischer Vorfälle, die „Vor dem Regen“ in einen letztlich zwar funktionierenden aber überkonstruierten Krimi verwandeln.

|Der Autor will uns etwas sagen|

Dass dieser Aspekt nebensächlich erscheint, verdankt das Buch dem Geschick eines Schriftstellers, der sich nicht von Genregrenzen einengen lassen möchte. „Vor dem Regen“ ist nicht ’nur‘ Krimi, sondern auch Sittenbild einer australischen Stadt, deren Verhältnisse Phillip Gwynne gut vertraut sind. Darwin ist ein Musterbeispiel für eine multikulturelle Gemeinschaft, die längst nicht so harmonisch ist, wie ihre Befürworter und andere Gutmenschen gern behaupten.

Der Norden Australiens bildet eine Schnittstelle zum indischen und pazifischen Raum und ein Einfallstor nach und für Südostasien. Der kulturelle Kontrast zum ‚weißen‘ Australien der europäischen Einwanderer bedingt zahlreiche Vorurteile; Gwynne schildert u. a. sarkastisch ein Thailand, das zur ‚Bezugsquelle‘ junger, hübscher (Zwangs-) Prostituierter heruntergekommen ist. Hinzu kommen ältere Differenzen mit den Aborigines, die in ihrem eigenen Land weiterhin nur eine geduldete Randexistenz fristen. Last but not least hat auch Australien eine eigene Vietnam-Geschichte. 47.000 mit den USA verbündete Soldaten zogen in den Krieg. Die Heimkehrer litten und leiden unter den bekannten psychischen Spätfolgen.

In seinem Bemühen, den Leser nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu belehren, bleibt der Kinder- und Jugendbuchautor Gwynne erkennbar, der seine pädagogischen Bestrebungen nun auf erwachsene Leser ausweitet. Ihm ist dabei zugutezuhalten, dass diesem Bemühen niemals die Geschichte zum Opfer fällt. „Vor dem Regen“ wurde ohne erhobenen Zeigefinger geschrieben. Für einen Missionar ist Gwynne außerdem viel zu witzig.

|Die Welt ist ein Irrenhaus|

Sein Humor ist trocken und manchmal rabenschwarz. Auch vor echtem Slapstick schreckt er nicht zurück; als im Zuge der Ermittlung ein Hausschwein zu Tode kommt, schmückt Gwynne dies nicht nur zu einer verrückten Episode aus, sondern integriert diesen Vorfall später in die Krimi-Handlung.

Die Mordkommission der Northern Territory Police Force wird zum Hort oft sehr drastischer Cop-Witze. Dustys Kollegen sind sämtlich exzentrisch überzeichnet, wobei der Leser bald merkt, dass der Autor seine ‚Heldin‘ keineswegs ausklammert. Ihr desolates Privatleben endet mit einem Paukenschlag, der „Vor dem Regen“ eigentlich für eine Fortsetzung prädestiniert.

Sehr effektvoll lässt Gwynne absurde Szenen abrupt ins Tragische umkippen. Hinter dem Schein, so demonstriert er auf diese Weise, verbirgt sich eine Realität, die bei näherer Betrachtung einen Missstand markiert, der eigentlich zum Himmel schreit. Erneut und dieses Mal erst recht verkneift sich Gwynne empörte Appelle an ein Tribunal der Gerechtigkeit, dem sich der Leser gefälligst einzugliedern hat. Er holt seine Leser viel geschickter ab und bringt sie dorthin, wo er sie sehen möchte, ohne sie zu drangsalieren oder zu langweilen.

Folgerichtig folgt ihm besagter Leser freiwillig und gern. Dies krönt Phillip Gwynne zwar nicht zur „Krimi-Sensation aus Australien“, wie wir auf dem deutschen Cover lesen müssen, aber sein Roman stellt tatsächlich |“Thrillerstoff am oberen Ende der Skala“| dar, wie ein weiterer werbewirksamer Trompetenstoß verkündet.

_Autor_

Geboren 1958 in Melbourne und aufgewachsen in Südaustralien, wurde Phillip Gwynne als junger Mann professioneller Football-Spieler. Eine Verletzung beendete diese Karriere; sie wurde durch ein Studium der Meeresbiologie an der James Cook University ersetzt. Anschließend begann Gwynne zu reisen. Im Rahmen längerer Auslandsaufenthalte arbeitete er u. a. Lehrer in Thailand oder Programmierer in Belgien.

Nach seiner Rückkehr nach Australien begann Gwynne zu schreiben. Die Legende besagt, dass er dazu inspiriert wurde, weil er seinem Sohn so unterhaltsame Gute-Nacht-Geschichten erzählte. Gwynne besuchte ein Schriftsteller-Seminar des australischen Kinderbuch-Autoren Libby Gleeson. 1998 erschien „Deadly, Unna?“ (dt. „Wir Goonyas, ihr Nungas“), Gwynnes erstes, mehrfach preisgekröntes und verfilmtes Buch für jugendliche Leser, dem weitere folgten. 2008 veröffentlichte Gwynne den Kriminalroman „The Build Up“ (dt. „Vor dem Regen“).

Mit seiner Familie lebt Phillip Gwynne in den Blue Mountains im australischen Neusüdwales.

|Taschenbuch: 384 Seiten
Originaltitel: The Build Up (Sydney : Pan Macmillan Australia 2008)
Übersetzung: Carsten Mayer
ISBN-13: 978-3-442-37427-4

Als eBook: Juni 2010 (Blanvalet Verlag)
ISBN-13: 978-3-641-04287-5|
[www.randomhouse.de/blanvalet]http://www.randomhouse.de/blanvalet

Clifford D. Simak – Shakespeares Planet

simak-shakespeare-cover-kleinEin in Raum und Zeit verlorener Erdenmann landet auf einem namenlosen Planeten, der ein kosmisches Rätsel oder eine große Gefahr beherbergt; während er dieses Problem zu lösen versucht, muss er sich mit seiner Einsamkeit auseinandersetzen … – In diesem Spätwerk verzichtet Autor Simak fast vollständig auf ‚Action‘; das Rätsel bleibt mysteriös. Wenig spannend dürften viele Leser die philosophischen Einschübe finden, in denen Simak mögliche Evolutionen des zukünftigen Menschen thematisiert: SF für Leser jenseits der Knall-Bumm-Fraktion.
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Gordon, William C. – Gift (Samuel Hamilton 2)

_Die |Samuel-Hamilton|-Serie:_

„Der Tote im Smoking“ |(„The Chinese Jars“)| (2007)
„Gift“ |(„The King of the Bottom“)| (2008)
|“The Ugly Dwarf“| (2010) (noch kein dt. Titel)

_Das geschieht:_

Detective Lieutenant Bernardi vom Morddezernat des Richmond Police Departments übernimmt den Fall. Rasch schaltet sich Earl „Deadeye“ Graves ein. Der ehrgeizige Staatsanwalt will sich profilieren. Vier illegale mexikanische Arbeiter, die Hapogian gefeuert hatte, gelten aufgrund diverser Indizien als Hauptverdächtige. Für Graves stehen sie als Mörder fest, die er in die Gaskammer bringen will.

Doch Bernardi hält die ‚Beweise‘ für gefälscht. Während Graves ihm die Hände binden kann, stellen sich der idealistische Anwalt Janak Marachak und der Journalist Samuel Hamilton auf die Seite der Mexikaner. Sie recherchieren die Herkunftsgeschichte der Familie Hapogian, die nach dem Ersten Weltkrieg vor dem Völkermord der Türken und Kurden an den Armeniern flüchten mussten. Dabei finden sich Hinweise auf eine sorgfältig geheim gehaltene Geschichte von Verrat und Rache, der nun auch Joseph Hagopian, Armands Cousin, ähnlich grausig zum Opfer fällt.

Während Marachak den skrupellosen Graves mit Geschick und ein wenig List ausmanövrieren kann, bleiben die Morde ungeklärt, bis der Anwalt und der Journalist auch in dieser Sache weiterkommen und eine tragische Familienfehde aufdecken, die vor vielen Jahren und in einem fremden, fernen Land ihren Anfang nahm …

_Andere Zeiten, ähnliche (Un-) Sitten_

Zum zweiten Mal werden die ungleichen Freunde Janak Marachak und Samuel Hamilton im Großraum San Francisco der 1960er Jahre im Dienste der Gerechtigkeit aktiv. So lässt sich ihre Tätigkeit wohl am besten umschreiben, denn ‚richtige‘ Krimis bietet die 2007 vom William C. Gordon gestartete Reihe eigentlich nicht. Liegt es daran, dass der Verfasser daran scheitert, seine Geschichte/n glaubhaft in einer Vergangenheit zu verankern, deren naiven Geist er gleichzeitig (unfreiwillig) wiederauferstehen lässt?

Die hier anklingende Kritik richtet sich nicht gegen den Plot. Dieser ist nicht gerade raffiniert, was jedoch kein Nachteil sein muss. Allerdings tut Gordon des (nicht so) Guten deutlich zu viel: Er erzählt absolut eindimensional. Überrascht wird der Leser selten und höchstens, wenn die Story sich einer offenen Frage nähert, die ausführlich beantwortet wird, bevor es betulich weitergeht.

Stilistisch bleibt Gordon ebenfalls schlicht. Auch dies ist bis zu einem gewissen Grad kein Minus-Argument. Wäre „Gift“ ein Roman-Erstling, würde man dem Verfasser die eleganzfreie Handlungsstruktur, den unvollständigen Spannungsbogen und den hoch aber ungeschickt erhobenen Zeigefinger nachsehen. Doch dies ist Gordons zweites Werk. Er hätte es besser wissen und können müssen.

|Bilderbuch-Helden und -Bösewichte|

Die Vergangenheit wird dort, wo sich keine Kriege, Hungersnöte und andere menschgemachte Katastrophen orten lassen, gern als ‚unschuldigere‘ Zeit glorifiziert. Gordon schwelgt zwar in pädagogisch wertvollen Anklagen gegen Rassismus, Chauvinismus oder soziale Ungerechtigkeit, bleibt dabei jedoch erzählerisch einem Niveau verhaftet, das ihn als politisch korrekten Gutmenschen karikiert, der er sicherlich nicht sein möchte: Wenn ’nichtweiße Minderheiten‘ – Armenier, Mexikaner, Chinesen – auftreten, schließt sich garantiert ein humanitärer Vortrag an, dem unsere Helden beschämt folgen, denn irgendetwas ethnografisch Unkorrektes haben sie stellvertretend für die Leser bestimmt ausgefressen!

Dabei sind sie faktisch viel zu gut, um wahr zu sein. Egal ob Anwalt, Journalist oder Polizist, sie gehen in ihrem jeweiligen Job auf, zahlen notfalls für Dienstreisen u. a. im Dienste der Wahrheit erforderliche Spesen selbst, die vernagelte Vorgesetzte und Redakteure nicht übernehmen wollen, und arbeiten rund um die Uhr, um verängstigte Mexikaner dem Würgegriff des erbarmungslosen Systems zu entreißen. Privat sind Hamilton, Marachak und Bernardi sensible Familienmenschen und rührend schüchtern im Umgang mit der holden aber starken Weiblichkeit.

Entsprechend – also kindlich – grimmig überzeichnet Gordon die Bösen in seiner Geschichte. Primär Earl „Deadeye“ Graves gerinnt ihm zur Witzfigur, die der Leser keine Sekunde ernst nehmen kann. Er sieht aus wie ein Trottel, spricht wie ein Zeichentrick-Schurke, und als er vor Gericht endlich gefährlich werden könnte, nimmt ihn Marachak nach allen Regeln der Kunst auseinander. Graves ist nie Gegner, und als er, der bisher das Geschehen entscheidend mitbestimmt hat, sein Pulver verschossen hat, nimmt Gordon ihn sang- und klanglos aus der Handlung.

|“Und was nun?“| betitelt der Autor das neunte Kapitel, das der Gerichtsverhandlung folgt. Gute Frage, denn der tückische Staatsanwalt ist weg vom Fenster, die zu Unrecht angeklagten Arbeiter sind frei. Die Ereignisse stocken und nehmen dann einen gänzlich neuen Verlauf. Damit möchte Gordon offensichtlich Spannung generieren. Stattdessen verliert der Leser endgültig den Boden unter den Füßen.

In der ungeschickt angestückelter Auflösung der Hapogian-Morde zaubert der Autor die Täter förmlich aus dem Hut. Sie gehörten nie zu den Verdächtigen. Mit keiner Silbe fanden sie bisher Erwähnung. Folglich lassen ihre (zudem denkbar unspektakuläre) Entlarvung und die Erklärung für ihr mörderisches Tun kalt. Es kommt noch schlimmer: Nachträglich denunziert Gordon Armand Hapogian als kaltherzigen Sadisten, der sein Schicksal verdient hat. Auf diese Weise versucht er, Mitleid und Verständnis für die Täter zu wecken. Dies scheint ihm in letzter Sekunde eingefallen zu sein, und so wirkt dieses Ende auch: plump angeflanscht.

|Historienkrimi außerhalb der Zeit|

„Gift“ spielt 1961. Fände dieses Datum nicht mehrfach Erwähnung, würde es der Leser vergessen, denn Zeitkolorit geht dieser Geschichte völlig ab – eine Todsünde für einen Historienroman! Wieso geht Gordon in die Vergangenheit zurück, wenn er diese nie als handlungsimmanenten Faktor und nicht einmal als simple Kulisse einsetzt? Man benutzt keine Handys und recherchiert nicht per Internet. Ansonsten fallen dem Leser zwischen der Welt von 1961, wie Gordon sie beschreibt, und der Gegenwart keine besonderen Unterschiede auf.

Hin und wieder scheint der Verfasser selbst zu merken, dass er den Zeitpunkt des Geschehens markieren muss. Dann nennt er einige Preise von Gestern oder weist gleich mehrfach darauf hin, dass Fotografen Blitzlichtwürfel verwenden. Der Plot führt ebenfalls keine Wende herbei. Der Auslöser für die beschriebene Fehde liegt bereits 1961 so viele Jahre zurück, dass sie den beteiligten Familien, die längst erfolgreich auf den „American Way of Life“ eingebogen sind, herzlich gleichgültig geworden sein dürfte. So ergeht es auch dem Leser, der zu allem Überfluss letztlich feststellen muss, wie dämlich der umständlich eingefädelte Mordplan im Grunde ist, der hier für Krimispannung sorgen soll.

Wieso erscheint in Deutschland der nur wohlwollend als mittelmäßig zu klassifizierender Roman eines nur bedingt talentierten Verfassers in repräsentativer Klappenbroschur, während so viele wirklich gute Krimis nicht übersetzt werden oder unveröffentlicht bleiben? Darüber können nur Vermutungen angestellt werden. Fakt ist dagegen der begründbare Ärger über ein Buch, dessen unterhaltsamen Qualitäten zu wünschen übrig lassen. Gordon sieht dies naturgemäß anders. Er schreibt bereits am vierten Band seiner Serie …

_Autor_

William C. Gordon wurde 1937 in Südkalifornien geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters wuchs er im Osten von Los Angeles in einem überwiegend mexikanisch geprägten Umfeld auf; Spanisch ist deshalb quasi Gordons zweite Muttersprache.

An der University of California in Berkeley studierte Gordon Englische Literatur. Nach seiner Militärzeit begab er sich auf eine einjährige Weltreise Anschließend nahm er am Hastings College of Law in San Francisco ein Jurastudium auf. Nach seinem Abschluss ließ sich Gordon 1965 als Anwalt nieder. Er spezialisierte sich auf Arbeitsrecht, vertrat vor allem Klienten hispanischer Herkunft und praktizierte bis 2002.

Nach zwei gescheiterten Ehen lernte Gordon 1987 die chilenische Schriftstellerin Isabel Allende kennen. Im folgenden Jahr heiratete das Paar. Allende war es, die Gordon ermunterte, als dieser als Ruheständler selbst Ambitionen als Autor entwickelte. Ein „Coming of Age“-Roman blieb unveröffentlicht. Gordon versuchte sich an einem Krimi und stützte sich dabei auf seine frühen beruflichen Erfahrungen. „The Chinese Jars“ (dt. „Der Tote im Smoking“) erschien 2008 in spanischer Sprache als „Duelo en Chinatown“ und wurde zum ersten Teil einer Serie um den Journalisten Samuel Hamilton im San Francisco der 1960er Jahre.

|Taschenbuch: 304 Seiten
Originaltitel: The King of the Bottom
Erstveröffentlichung als: El rey de los bajos fondos (Barcelona : Ediciones El Anden 2008)
Übersetzung: Sepp Leeb
ISBN-13: 978-3-455-40148-6|
[www.hoffmann-und-campe.de]http://www.hoffmann-und-campe.de/
[www.williamcgordon.com]http://www.williamcgordon.com

John C. Higgins – Ein Fisch geht ins Netz

Um ein erpresstes Lösegeld zurückzuerlangen, setzt das FBI den festgesetzten Kidnapper zu üblen Strolchen in die Gefängniszelle. Als den Insassen ein Ausbruch gelingt, scheint das Gesetz das Nachsehen zu haben … – Aber keine Sorge, denn in diesem systemkonservativen „Law-&-Order“-Krimi bekommt jeder Strolch, was ihm zusteht: eine Kugel in den Leib oder die Todesstrafe. Trotz (oder wegen?) der brutalen Schwarz-Weiß-Zeichnung schreibt Higgins spannend und schnell: ein Krimi als Erinnerung an einen sehr speziellen Zeitgeist.
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Lindqvist, John Ajvide – Im Verborgenen

_Das geschieht:_

Dünn wie Papier ist die Barriere zwischen der Realität und dem Phantastischen. In zehn Geschichten erzählt der schwedische Autor von Menschen (oder anderen Kreaturen), die es dorthin verschlägt, wo diese Grenze verschwimmt oder sich auflöst:

|“Grenze“ („Gräns“)|, S. 9-95: Dass sich Tina in ihrem Leben nie wohlgefühlt hat, liegt womöglich daran, dass sie gar nicht von dieser Welt ist …

|“Dorf auf der Anhöhe“ („By på höjden“)|, S. 97-132: Ein altes Hochhaus erweist sich als idealer Schlupfwinkel für eine Kreatur, die sich hier ihren Bau einrichtet …

|“Äquinoktium“ („Equinox“)|, S. 134-168: Der Leiche kann die unzufriedene Frau endlich ihren Willen aufzwingen, doch als sie dies übertreibt, schlägt die Leiche zurück …

|“Sieht man nicht! Gibt es nicht!“ („Syns inte! Finns inte!“)|, S. 169-189: Ist ein Wunsch stark genug, kann er zur Realität werden – und gleichzeitig unerfreuliche Hirngespinste real werden lassen …

|“Die Vertretung“ („Vikarien“)|, S. 191-225: Was wäre, wenn die Welt von mehr oder weniger menschenähnlichen aber nur ansatzweise lebensechten Wesen bevölkert wäre …?

|“Ewig/Liebe“ („Evig/Kärlek“)|, S. 227-288: Man kann zwar den Tod überlisten, aber er wird trotzdem das letzte Wort behalten – und sein Sinn für Humor ist bizarr …

|“Dich zu Musik umarmen zu dürfen“ („Att få hålla om dig till musik“)|, S. 289-292: Endlich hat der verrückte Priester Helfer gefunden, die ihn Christus wie ersehnt nahebringen – am Kreuz …

|“Majken“ („Majken“)|, S. 293-355: Vom System beiseitegeschoben und aussortiert, beschließen zwei alternde Frauen, buchstäblich mit einem Knall abzutreten …

|“Pappwände“ („Pappersväggar“)|, S. 357-366: Eine Übernachtung im Wald konfrontiert den abenteuerlustigen Jungen mit dem wahren, grausamen Leben …

|“Die Entsorgung“ („Sluthanteringen“)|, S. 367-497: Vor einigen Jahren stiegen 2000 Zombies aus den Gräbern Stockholms. Die Regierung hat ein Lager für sie eingerichtet. Einige misstrauische Bürger fragen sich, was dort vor sich geht. Ihre Nachforschungen enthüllen Geheimnisse und Gräuel, die sie veranlassen, sich dem Tod als Handlanger zur Verfügung zu stellen …

Nachwort, S. 499-508

_An einem Finger über dem Abgrund hängend_

„Im Verborgenen“ heißt diese Sammlung von kürzeren und längeren Geschichten, denen ein Kurzroman beigegeben wurde. Vermutlich sollte der Titel wenigstens ansatzweise auf den Inhalt hinweisen, denn der deutsche Leser – und ganz besonders der Freund des Phantastischen – ist auf solche subtile Unterstützung angewiesen, da er in seiner Mehrheit zu unempfänglich (vulgo: zu dumm) für andeutungs- und subtextreiche Buchtitel ist.

Lassen wir die Ironie, bleiben wir sachlich: Hinter dem Titel „Pappwände“ mag man zwar nicht sogleich gerade eine Kollektion unheimlicher Geschichten vermuten. Dennoch trifft Verfasser John Ajvide Lindqvist mit diesem einen Wort den Nagel auf den Kopf: Es beschreibt die Konsistenz, die jene Grenze annehmen kann, die den ’normalen‘ Menschen in seinem realen Leben flexibel umgibt. Er bemerkt sie in der Regel gar nicht, weshalb ihm ihre eigentliche Funktion erst aufgeht, wenn sie ihren Dienst versagt: Sie schützt ihn vor dem, was in den Sphären der anderen Seite lauert.

Aufruhr im Menschenhirn, verursacht durch persönliche Krisen, macht es empfänglich für Signale von ‚drüben‘. Die Sinne scheinen sich neu auszurichten; sie durchdringen die Grenze und fangen bisher unbemerkte Signale von der anderen Seite auf. Die Folgen sind fatal, denn jenseits der Grenze liegen die Reiche des Unerklärlichen und Unfassbaren. Auf ‚unserer‘ Seite manifestieren sich seine Bewohner meist von ihrer unfreundlichen Seite, wobei Lindqvist gern offen lässt, ob sich dahinter echte Bosheit oder fremdartige Gleichgültigkeit (wie in „Die Vertretung“) verbirgt.

|Der Schrecken hat viele Gesichter|

Das Seltsame kann stofflich und handfest wie in „Dorf auf der Anhöhe“ oder „Pappwände“ daherkommen. Dann dringt es in eine Welt ein, die unvorbereitet ist, verbreitet Schrecken oder bringt den Tod. Manchmal ist es andersherum. „Grenze“ beschreibt das Drama eines Wesens, das über die Grenze ins Menschenreich kam und von dieser vereinnahmt wurde: Der Schrecken geht plötzlich von der diesseitigen Realität aus.

Noch stärker kommt dieser Aspekt in „Die Entsorgung“ zum Tragen. In dieser novellenlangen Fortsetzung des Romans „So ruhet in Frieden“ (2005) erzählt Lindqvist, was mit den Zombies geschah, die zwar aus ihren Gräbern gestiegen waren, aber eher Abscheu oder Mitleid als Angst erregten. Eine unbekannte Macht hatte sie aus ihrer Totenruhe geweckt. Gern wären sie zurückgekehrt, doch sie konnten es nicht. Stattdessen fielen sie den Lebenden in die Hände. In der Mehrheit erschrocken und angewidert aber nie bedroht, sperrten diese die „Wiederlebenden“ in ein Lager ein, das Lindqvist wie ein KZ der Nazi-Zeit beschreibt. Statt zu versuchen, Kontakt mit den Untoten aufzunehmen, werden sie isoliert, damit man mit ihnen experimentieren kann. Sie sind ja schon tot, weshalb man sich keinerlei Zurückhaltung auferlegt.

Lindqvist zeichnet ein überaus genreuntypisches Zombie-Bild. Diese sind eindeutig Opfer. In „Die Entsorgung“ verstärkt er den phantastischen Aspekt des Geschehens. Während er in „So ruhet in Frieden“ die Existenz übernatürlicher Entitäten nur andeutete, lässt er sie dieses Mal offen auftreten. Damit schwächt er allerdings den Eindruck des mystisch Rätselhaften, den er im Roman zu wahren wusste. Wie Stephen King – mit dem man Lindqvist gern vergleicht, wie er in seinem Nachwort amüsiert anmerkt – personifiziert der Autor das Fremde. Immerhin begründet er dies mit Hilfe von ‚Technobabbel‘, den es auch im Horror-Genre gibt, einleuchtender als befürchtet.

|Wer mit dem Teufel am Tisch sitzen will …|

Manchmal überschreitet der Mensch im vollen Bewusstsein seiner Tat die Grenze. Im Popcorn-Horror würden prompt Monster und andere Metzel-Mächte ihn dort erwarten. Lindqvist arbeitet subtiler: Der Übergang wirkt bei ihm zunächst verlockend, weil er einen Ausweg aus persönlichen Nöten zu bieten scheint. Allerdings bahnt sich typisch menschlicher Eigennutz sogleich seinen Weg. In „Äquinoktium“ findet die Hauptfigur endlich jemanden, an dem sie ihre Frustration auslassen kann. Aber die Kreaturen der anderen Welt lassen sich zumindest in ihrem eigenen Reich nicht instrumentalisieren. Dies gilt selbstverständlich erst recht, wenn man sich mit dem Tod persönlich anlegt („Ewig/Liebe“ – eine Geschichte, die wie eine Vorlage zu Lindqvists „Menschenhafen“ wirkt).

Die Grenze muss nicht zwangsläufig durch Zeit und Raum verlaufen. Sie existiert ebenso im menschlichen Hirn. Dort hält sie im Zaum, was ins Unterbewusstsein verbannt wurde, wo es nicht nur weiter lauern, sondern sich entwickeln kann. „Der Wunsch ist der Vater des Gedankens“, lautet ein Sprichwort. Dieser Vater zeigt sich oft wenig fürsorglich. „Sieht man nicht! Gibt es nicht!“ nennt Lindqvist eine gelungene Geschichte, deren Handlung den Titel besonders eindrucksvoll Lügen straft.

Mit „Dich zu Musik umarmen zu dürfen“ und „Majken“ geht der Autor noch einen Schritt weiter: Die inneren Dämonen müssen das Hirn nicht verlassen. Womöglich gibt es gar keine Dämonen, sondern eine zweite Grenze, die Vernunft und Wahnsinn trennt. In den beiden genannten Geschichten gibt es keine phantastischen Elemente. Die Figuren handeln aus eigenem Antrieb, und was sie dazu treibt, sind bekannte, nicht übernatürliche, sondern menschengemachte Schattenseiten. Die Schwachen werden von den Starken beiseite gedrückt. Faktisch befinden sich Majken und ihre Leidensgenossinnen in derselben Situation wie die Zombies aus „Die Entsorgung“. Im Unterschied zu ihnen sind sie jedoch in der Lage zu handeln. Ihr Fazit ist ebenso fatal wie nachvollziehbar: |“Man kann Menschen nicht unsichtbar machen. Am Ende fordern sie, sichtbar werden zu dürfen, und dann knallt es …“| (S. 346/47)

|Sanfter Transit in die Düsternis|

Lindqvists Horror entsteht trügerisch langsam aber sicher. „Dich zu Musik umarmen zu dürfen“ bildet mit dem direkten Sprung ins Grauen eine Ausnahme. Der Vergleich mit Stephen King basiert sicherlich auf dem Geschick, mit dem beide Autoren den Alltag zu schildern vermögen, den sie anschließend ins Irreale kippen. Selbst wenn man die Hauptfiguren in „Äquinoktium“ oder „Sieht man nicht! Gibt es nicht!“ unsympathisch findet, nimmt man doch Anteil an ihrem Schicksal; sie lassen uns nicht gleichgültig. Das gilt erst recht für die ansprechenden Figuren. Um sie bangt man besonders intensiv, da Lindqvist sie nie schont. Selbst wenn sich das Böse wie in „Pappwände“ nur andeutungsweise zeigt, deutet der Autor an, dass es Folgen hinterlassen wird.

Lindqvist liebt es, Nachwörter zu schreiben, wie er selbst anmerkt. Allerdings lässt er sich kaum über seine Geschichten aus. Deren Interpretation überlässt er den Lesern. Dabei ist er bereit, Risiken einzugehen. So berichtet er, dass „Dich zu Musik umarmen zu dürfen“ seine Testleser durchweg ratlos zurückließ. Auch „Pappwände“ irritiert durch ein Ende, dessen ‚Sinn‘ offen bleibt.

Die Freunde des eher handfesten Horrors kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Lindqvist greift durchaus auf klassische Gruselgestalten zurück, die herz- und lungenhaft zulangen. Die detailreiche Schilderung, wie ein Menschenkörper mit welchen Folgen durch den Abfluss einer Norm-Toilette gezerrt wird („Dorf auf der Anhöhe“), ist idealer Stoff für Splatter-Filme (oder Albträume). Mit „Im Verborgenen“ deckt Lindqvist die gesamte Palette der Phantastik ab. Was die Werbung allzu gern behauptet, löst er nicht nur ein, sondern vermag dem Horror eine (moderne) Stimme zu geben.

_Autor_

John Ajvide Lindqvist wurde 1968 in Blackeberg, einem Vorort der schwedischen Hauptstadt Stockholm, geboren. Nachdem er schon in jungen Jahren als Straßenmagier für Touristen auftrat, arbeitete er zwölf Jahre als professioneller Zauberer und Comedian.

Sein Debütroman „Låt den rätte komma” (dt. „So finster die Nacht“), eine moderne Vampirgeschichte, erschien 2004. Bereits 2005 folgte „Hanteringen av odöda“ (dt. „So ruhet in Frieden“), ein Roman um Zombies, die in Stockholm für Schrecken sorgen. „Pappersväggar” (2006; dt. „Im Verborgenen“) ist eine Sammlung einschlägiger Gruselgeschichten. Lindqvist schreibt auch Drehbücher für das schwedische Fernsehen. Das prädestinierte ihn dafür, das Script für die erfolgreiche Verfilmung seines Romanerstlings zu verfassen, die 2008 unter der Regie von Tomas Alfredson entstand.

Als Buchautor ist Lindqvist in kurzer Zeit über die Grenzen Schwedens hinaus bekannt geworden. Übersetzungen seiner Werke erscheinen in England, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Polen und Russland. Über seine Werke informiert Lindqvist auf [dieser Website]http://www.johnajvide.se .

|Taschenbuch: 508 Seiten
Originaltitel: Pappersväggar (Stockholm : Ordfront Förlag 2006)
Übersetzung: Paul Berf
ISBN-13: 978-3-404-16452-3|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

_John Ajvide Lindqvist auf |Buchwurm.info|:_
[„So finster die Nacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5218
[„So ruhet in Frieden“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5364
[„Menschenhafen“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5938

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