Sabine Kornbichler – Annas Entscheidung

Anna, Anfang dreißig und geschieden, verliert ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz. Die junge Frau zieht sich fast völlig von ihrer Umwelt zurück. Bei der Wohnungsauflösung in Bayern lernt sie durch Zufall den Mediziner Steffen kennen. Steffen verarztet nicht nur ihren verstauchten Knöchel, sondern lädt sie auch zum Essen ein. Er macht keinen Hehl aus seinem deutlichen Interesse an Anna. Anna wiederum fühlt sich bei dem sensiblen Mann geborgen, möchte aber derzeit keine Beziehung eingehen. So kehrt jeder zurück in seine Heimat, Anna nach Hamburg, Steffen nach Düsseldorf. Die weiteren Monate bleiben die beiden in telefonischem Kontakt miteinander. Hartnäckig wirbt Steffen weiter um Anna, bis sie sich schließlich auf eine Beziehung mit ihm einlässt.

Nach einiger Zeit Fernbeziehung Hamburg-Düsseldorf macht Steffen ihr einen Heiratsantrag. Anna willigt ein, besteht allerdings auf einem probeweisen Zusammenleben. Nach dem Umzug nach Düsseldorf zeigen sich die ersten deutlichen Unterschiede zwischen den beiden, die in der Fernbeziehung keine Rolle gespielt hatten. Ihre Einrichtungsgeschmäcker sind verschieden, Steffen mag keine laute Musik, lehnt Annas Raucherei ab und lebt eher zurückgezogen. Anna dagegen hat den Tod ihrer Eltern endlich überwunden und findet ihre alte Unternehmungslust wieder. Das größte Problem aber stellt Steffens Mutter Thea dar. Thea ist eine elegante, zurückhaltende Witwe, die ihren Sohn völlig vereinnahmt. Bei jeder Kleinigkeit ruft sie Steffen zur Hilfe, der sich ihr widerspruchslos unterordnet. Als Theas Haus bei einem Brand zerstört wird und sie bei Steffen und Anna einzieht, droht die Situation zu eskalieren …

Dazu kommen noch Probleme auf der neuen Arbeitsstelle, einer Hausverwaltungsfirma, bei der sich Anna mehr als bewähren muss. Während ihre Kollegin Pia bald ihre beste Freundin wird, macht ihr ihre Zimmergenossin Birte das Leben zur Hölle. Für weitere Schwierigkeiten sorgt Annas erste Klientin Therese Behrendt, die unermüdlich Beschwerdebriefe verfasst. Und dann ist da noch Pias unnahbarer Cousin Rupert, dessen Ausstrahlung sich Anna immer weniger entziehen kann …

Nicht selten besitzt die Bezeichnung „Frauenliteratur“ einen negativen Beigeschmack, ist jedoch in diesem Fall völlig wertfrei gemeint. „Annas Entscheidung“ ist ein solider Frauenroman, der sich in humorvollem Unterton mit alltäglichen (Beziehungs-)Problemen auseinander setzt.

|Sympathische Protagonistin|

Der Leser wird von Beginn an in die Geschichte hinein- und auf Annas Seite gezogen. Anna ist die Ich-Erzählerin des Romans und berichtet rückblickend von den Ereignissen. Sie ist eine ganz normale, durchschnittliche junge Frau mit vielen Interessen, die durch einen schweren Schicksalsschlag eine harte Zeit durchlebt. Der plötzliche Tod ihrer Eltern macht aus der unternehmungslustigen Frau eine verschlossene Einzelkämpferin. Der sensible Steffen bedeutet nach langer Zeit wieder ein Lichtblick in ihrem Leben. Es ist offensichtlich, dass sie sich letztlich gerade wegen seiner ruhigen, verständnisvollen Art zu ihm hingezogen fühlt, auch wenn der Beziehung die ganz große Leidenschaft fehlt. Seine Mutter Thea ist zwar auf den ersten Blick eine nette Frau, entpuppt sich aber schon bald als penetrante Nervensäge, die sich ununterbrochen selbst bemitleidet. Versucht Anna noch zunächst im Guten mit ihr auszukommen, nehmen die Schikanen im weiteren Verlauf so überhand, dass man selbst als Leser kurz davor ist, die Geduld zu verlieren. Wann immer Anna und Steffen etwas ohne Thea geplant haben, bekommt diese einen ihrer Schwächeanfälle und durchkreuzt damit die Planungen der beiden. Erschwerend kommt für Anna hinzu, dass Steffen sich fast immer auf die Seite seiner Mutter stellt und Anna Unfairness vorwirft. Die Entwicklung wird im Großen und Ganzen nachvollziehbar und anschaulich geschildert, so dass sich der Leser, auch wenn er selbst noch keine derartigen Erfahrungen gemacht haben sollte, gut in Anna hineinversetzen kann. Und doch wünscht man sich hin und wieder inständig, dass Anna endlich einmal ein deutliches Machtwort spricht. Vor allem an Stellen, an denen Steffen seine Anna mal wieder „voller Abscheu“ betrachtet, fällt es schwer zu verstehen, warum Ana überhaupt noch mit ihm zusammen ist.

Der interessanteste Charakter kommt erst gegen Mitte des Buches richtig ins Spiel. Pias Cousin Rupert ist ein spitzzüngiger Psychologe, der nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Gegen ihren Willen weckt er trotz seiner zynischen Art und seiner spöttischen Bemerkungen Annas Faszination. Eine weitere nette Nebenfigur ist Therese Berendt, von Anna wegen ihres altmodischen Stils „die englische Rose“ genannt. Nachdem es zunächst so aussieht, als setze sie mit ihren Beschwerdebriefen an die Verwaltung Annas neuen Job aufs Spiel, kommt Anna schließlich hinter das Motiv der älteren Dame – und wenn schon ihre eigene Beziehung zerfällt, so erhält Anna hier zumindest Gelegenheit, mit einem Mal für Frau Berendt als verkuppelnder Amor aktiv zu werden …

|Kleine Mankos|

Die Mischung zwischen humorvollem Unterton und dramatischen Ereignissen ist nicht immer gelungen, so dass den ernsten Entwicklungen um Annas und Steffens Beziehung sowie seiner Mutter auf Kosten von Annas (selbst-)ironischen Schilderungen ein wenig die Tiefe verloren geht. Beim Lesen bleibt das Gefühl, dass sich der Roman nicht wirklich entscheiden kann, ob er den Schwerpunkt auf amüsante Unterhaltung oder psychologische Charakterstudien legen soll. Er versucht sich augenscheinlich an beidem, leider ohne in dieser Mixtur vollends zu überzeugen.

Weitere Abzüge gibt es für den vorhersehbaren Verlauf der Geschichte. Vielen der vermeintlich spritzig-schlagfertigen Dialoge fehlt es an Originalität und die meisten hat man so oder ähnlich schon in anderen Romanen gelesen. Auch die Entwicklung zwischen Rupert und Anna ist sehr klischeehaft gehalten. Natürlich sind sich beide bei den ersten Begegnungen scheinbar unsympathisch, und doch kann Anna es nicht lassen, immer wieder an ihn zu denken. Ihre Gespräche stehen stets unter dem Motto „Was sich liebt, das neckt sich“ und es ist von Beginn an klar, dass Rupert im Laufe der Geschichte noch eine größere Rolle erhalten wird.

|Leichte Unglaubwürdigkeiten|

Ein bisschen unglaubwürdig ist zudem der schnelle Verlauf, in dem sich Anna und Steffen – wenn auch zunächst auf platonischer Ebene – nahe kommen. Steffen zögert keinen Moment, um der unbekannten Frau seine Zuneigung zu gestehen. Anna wiederum lässt sich nach dem abendlichen Treffen überreden, sich mit Steffen das Hotelbett zu teilen. Auch oder sogar weil nichts weiter zwischen den beiden passiert, ist diese Vertraulichkeit, mit der beide Seite an Seite einschlafen, nachdem sie sich gerade erst einige Stunden kennen, ungewöhnlich. Unrealistisch ist hier nicht unbedingt, dass die beiden trotz ihrer Fremdheit die Nacht miteinander verbringen. Sondern vielmehr die Selbstverständlichkeit, mit der Anna diese Situation hinnimmt. Es wäre zumindest wünschenswert gewesen, wenn man ihr ein paar verwirrte Gedanken und unruhige Zweifel vor dem Einschlafen zugestanden hätte.

Unterm Strich ist „Annas Entscheidung“ als leichte Ferienlektüre durchaus zu empfehlen, sofern man hauptsächlich solide Unterhaltung und – trotz der psychologisch orientierten Themen – keinen ausgefeilten Entwicklungsroman erwartet.

_Als Fazit_ bleibt ein leicht zu lesender und überwiegend humorvoller Frauenroman über Beziehungsdifferenzen und schwierige Mutter-Sohn-Verhältnisse. In einfacher Sprache schildert die sympathische Protagonistin die Probleme, die eine neue Arbeitsstelle, eine Beziehung mit einem gegensätzlichen Partner und eine vereinnahmende Schwiegermutter mit sich bringen. Kein Buch, das nachhaltig im Gedächtnis bleibt, aber zum Zwischendurch-Lesen und als Urlaubslektüre gut geeignet.

_Die Autorin_ Sabine Kornbichler wurde 1957 in Wiebaden geboren. Sie studierte zunächst VWL und arbeitete als Texterin und PR-Beraterin. Seit 1998 lebt sie als freie Autorin in Düsseldorf. Ihr Werk umfasst Romane und Kurzgeschichten.
Weitere Bücher von ihr sind: „Majas Buch“, „Klaras Haus“, „Steine und Rosen“, „Vergleichsweise wundervoll“, „Nur ein Gerücht“ und ihr neuster Roman „Im Angesicht der Schuld“.

Taschenbuch: 432 Seiten
www.knaur.de