Mary Robinette Kowal – Die Berechnung der Sterne

»Frauen gehören in die Küche, nicht in den Weltraum« – eine weit verbreitete Meinung in den USA der 1950er Jahre. Die junge Physikerin Dr. Elma York, die als menschlicher »Computer« täglich die Flugbahnen von Raketen berechnet, lässt sich davon jedoch nicht abhalten.

Schließlich steht die Menschheit vor ihrer größten Herausforderung: Ein gigantischer Meteoriteneinschlag hat das Klima für immer verändert, sodass die Eroberung des Alls sehr viel dringlicher geworden ist. Die Widerstände sind zahlreich, doch als erste Astronautin in den Weltraum zu fliegen ist Elmas größter Traum – und niemand wird sie daran hindern!

Ausgezeichnet mit dem Hugo-, Nebula- und Locus-Award

In ihrem Roman »Die Berechnung der Sterne« zeichnet die Autorin Mary Robinette Kowal eine alternative Version der Geschichte, in der in den 1950er Jahren ein Meteorit auf die Erde stürzt, der das Weltklima so stark aus dem Gleichgewicht bringt, dass die Menschheit auf lange Sicht dort nicht mehr wird weiterleben können.

Somit besteht die Notwendigkeit, weitaus größere Anstrengungen zu unternehmen, ein Raumfahrtprogramm auf die Beine zu stellen, als das in der Realität der Fall war. Von dieser großen Ausnahme abgesehen, basiert der Roman jedoch weitgehend auf tatsächlichen historischen Fakten. Nicht nur die Auszüge aus Zeitungsartikeln oder Radioberichten an den Kapitelanfängen sind zu einem Teil authentisch – auch die Situation der Frauen, die Karriere im Raumfahrtprogramm machen wollten, ist von wahren Begebenheiten inspiriert.
(Verlagsinfo)

Mary Robinette Kowal ist die Autorin der »The Glamourist Histories«-Reihe, des Romans »Ghost Talkers« und der »Lady Astronaut«-Reihe. Sie ist Vorsitzende der Science Fiction & Fantasy Writers of America (SWFA), Teil des preisgekrönten Podcasts »Writing Excuses« und erhielt bereits den Astounding Award for Best New Writer, vier Hugo Awards, den Nebula und den Locus Award. Mary Robinette ist außerdem professionelle Puppenspielerin und Synchronsprecherin. So spricht sie beispielsweise Hörbücher von Seanan McGuire, Cory Doctorow und John Scalzi ein. Sie lebt mit ihrem Ehemann Rob und über einem Dutzend alter Schreibmaschinen in Nashville, USA.
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Angesiedelt in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, ereignete sich in der Geschichte eine Naturkatastrophe durch den Absturz eines Meteors, der die halbe Welt verwüstete und zu einem rasanten Klimawandel führte. Im Zuge dieser Entwicklung wird die bemannte Raumfahrt mit anderen Zielen als in unserer Realität vorangetrieben: Hier geht es um die Kolonisierung des Sonnensystems, um dem Klimakollaps der Erde zu entkommen.

Schon bei diesem kurzen Abriss kommen die Dinge zur Sprache, die als tragende Elemente für den Roman angesehen werden können. Der Klimawandel ist eine Vorwegnahme der langsameren Entwicklung, die bei uns nur durch die menschliche Technisierung erfolgt, und rückt damit das Thema des Romans aus der alternativen Geschichte in den Zusammenhang aktueller Problematik. Und das Wort „bemannte“ verdeutlicht den zweiten Aspekt, und auch hierfür eignen sich die 50er Jahre sehr gut. Die Stellung des Geschlechts. Zum Dritten der Anteil der rassistischen Anschauung. Es ist die Zeit des Martin Luther King, und selbst die Protagonistin ertappt sich regelmäßig bei der Ausgrenzung der Rassenproblematik aus ihren Überlegungen.

Kowals Hauptaugenmerk liegt auf der Rolle der Frau in diesen Zeiten. Mit einigen Bildern und Gesten skizziert sie die typische Rollenverteilung, wiederholt tauchen dann Sätze auf wie „Was die Leute denken“ oder „ihre Mutter wäre stolz auf sie“, wenn es um sittsames Verhalten geht. Und dabei dreht es sich beileibe nicht nur um das Verhalten in der Öffentlichkeit, sondern auch im häuslichen Umfeld. Es gelingt der Autorin auf diese erzählerische Art, indem sie in die alltäglichen Abläufe rollenspezifische Dinge einflicht, dieses Bild immer niedrigschwellig mitlaufen zu lassen. Historisch belegt sind die Details zu den Abläufen der Raumfahrtgesellschaften, die sich mit händischer Rechenarbeit den Weg ins Weltall erkämpften. Irgendwann gibt es einen Unterschied, wenn es um den Aufbruch zum Mond geht und die elektronischen Rechner in unserer Realität deutlich mehr Anteil gewannen. Doch der springende Punkt ist, dass tatsächlich die rechnende Abteilung stets ausschließlich von Frauen besetzt waren. Männern blieben das Ingenieurwesen, die Leitung und die Astronautik vorbehalten.

Der Roman vereint damit historisch belegte Zustände mit der Fiktion einer alternativen Zeitlinie und versucht, die Möglichkeiten eines alternativen Ablaufs auszuloten unter der Annahme, dass es sowohl einen äußeren Druck – hier in Form der rasanten Klimaveränderungen – als auch den Willen einiger beteiligter Personen gegeben haben könnte, die dazu führen, dass unterdrückende Strukturen aufgebrochen werden. Dabei handelt es sich hier nicht um eine laute Revolution, denn es fällt der Protagonistin als Kind ihrer Zeit nicht im Mindesten ein, die Rollenverteilung grundsätzlich in Frage zu stellen. Vielmehr hat sie als Transportpilotin im 2. Weltkrieg, wo der Mangel an Männern dazu führte, dass auch Frauen hinter dem Kampfgeschehen eingesetzt wurden, Erfahrungen gesammelt, die in ihr ein Unverständnis für die generelle Ablehnung Frauen gegenüber von Seiten der Raumfahrt wecken. Sie arbeitet auch mehr aus einer Verkettung von Zufällen heraus immer mehr im öffentlichen Medium an dieser Frage, bis es als Politikum nötig wird, Frauen für die Raumfahrt zuzulassen. Und erschütternd findet sie heraus, wie dann im gleichen Zug die Bewerbung damals noch als „schwarz“ bezeichneter Frauen abgelehnt wird.

Der Roman ruft ins Bewusstsein, dass immer schon Frauen und People of Color an den wichtigen wissenschaftlichen Projekten beteiligt waren. Dass sie stets unterbezahlt arbeiteten und machtpolitischer Idiotie ausgesetzt waren. Und dass die Zustände noch lange nicht bei Gleichberechtigung angekommen sind. Dabei funktioniert das Buch als ruhige Erzählung ohne Hetze und ohne gefährliche Action und trägt sich doch über seine gesamte Länge mit der interessanten Darstellung sowohl der Zeit, als auch der Arbeit der Protagonistin, die regelmäßig in ihrem Beruf als Mathematikerin vom Leser beobachtet wird.

Allerdings gibt es keinen echten Antagonisten, keine Gegnerschaft, die das Projekt des Romans, den Aufstieg der Menschen von der Erde, wirklich gefährdet. Es gibt einen Astronauten, der persönlich gegen die Aufnahme von Frauen in das Astronautenteam agiert und hier auch zu hinterhältigen Mitteln greift. Aber er wird nie als echte Bedrohung dargestellt, da er das Projekt selbst mit allen Mitteln vorantreibt und neben der im persönlichen Umgang feindseligen Art auch die professionelle Arbeitshaltung zeigt, die niemanden diskriminiert. Auch auf politischer Ebene kommen nur einige kaum auffällige Auseinandersetzungen vor. Sie bleiben von einer merkwürdigen Gleichgültigkeit und bedrohen für die Lesenden nie den Fortgang der Geschichte.
So wirft der Roman die weltbewegenden Konflikte Klimawandel, Geschlechterrollen und Rassismus zusammen und erzählt eine interessante Geschichte um den Weg einer Frau in einer von Männern dominierten Welt. Dabei ist der reizvollste Aspekt die Unaufdringlichkeit dieser großen Konflikte, die aber stets niedrigschwellig bewusst bleiben. Trotzdem bleiben die Figuren seltsam fern, so dass es eben auch nicht mehr ist als eine weichgezeichnete Darstellung einer historischen Möglichkeit.

Ich habe das Buch gern gelesen und würde mich freuen, wenn auch der zweite Teil übersetzt und verlegt werden würde.

Paperback
Übersetzung von Judith C. Vogt
Deutsche Erstausgabe
512 Seiten
ISBN 9783492705974
Originaltitel:
The Calculating Stars
3. Januar 2022

Das Buch beim Verlag
Autorenhomepage: https://www.maryrobinettekowal.com/

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