Alle Beiträge von Maike Pfalz

Buchwurm, seit ich lesen kann :-)

Becka, Elizabeth – Engelsgleich

Den perfekten Mord gibt es vielleicht nicht, doch das perfekte Todesarrangement, das präsentiert uns Elizabeth Becka, und zwar gleich in dreifacher Ausführung …

_Ein Kunstwerk_

Die schwerreiche Grace Markham wird ermordet in ihrer teuer eingerichteten Wohnung aufgefunden. Eigentlich ist die Wohnung eine Festung: Nur mit einem bestimmten Code, den nur Grace, ihr Mann und ihr Zugehmädchen kennen, kann man den Aufzug überhaupt dazu bewegen, in der richtigen Etage zu halten, und doch hat es ihr Mörder bis in diese Festung hineingeschafft und Graces Leiche kunstvoll arrangiert. Mit Gurten befestigt, sitzt sie auf einem Stuhl, die Hände auf den Tisch gelegt. Ein teures Collier schmückt ihren Hals, doch gerade dieses hätte dem Mörder im Weg sein müssen, denn Grace Markham wurde erwürgt. Bleibt nur eine Lösung: Das Collier gehört ebenfalls zum Arrangement und wurde ihr nach der Tat angelegt. Wer würde so etwas tun?

Bevor die Forensik-Expertin Evelyn James darauf eine Antwort findet, wird auch ihre Kollegin und Freundin Marissa in genau dem gleichen Haus angegriffen, doch glücklicherweise kann sie dem Angreifer entkommen, bevor er auch sie ermorden kann. Marissa liegt schwer verletzt im Krankenhaus und wird künstlich beatmet. Hat sie den Angreifer gesehen und vielleicht erkannt? Diese Fragen kann Marissa nicht beantworten, und vielleicht wird sie es auch nie können, denn der Mörder folgt ihr ins Krankenhaus und versucht dort, seine schreckliche Tat zu vollenden.

Evelyn tappt im Dunkeln. Zwar konnte die DNA des Täters an Grace Markhams Leiche sichergestellt werden, da sie post mortem vergewaltigt wurde, doch nutzt das wenig ohne eine einzige Spur auf den Mörder. Nur einige Farbspuren auf Graces Kleidung und ein merkwürdiges Wachsmalbild am Kühlschrank scheinen nicht in die ansonsten perfekte Wohnung zu passen. Gehört beides zur Visitenkarte des Täters? Evelyn vermutet es und versucht, die Spuren zu analysieren. Doch wie kommt eine Kinderzeichnung aus Wachsmalstiften in Grace Markhams Wohnung, die doch keinerlei Kontakte zu Kindern hatte?

Bald wird eine zweite Leiche gefunden, die noch vor Grace Markham den Tod gefunden hat, allerdings erst entdeckt wurde, als bereits die Verwesung eingesetzt hat. Frances Duarte ist auf die gleiche Weise ums Leben gekommen wie Grace Markham, und auch hier finden sich kaum verwertbare Spuren, bis auf die gleichen Farbspuren, merkwürdige Fettflecken und ein ähnliches Kinderbild. Wo liegt die Verbindung zwischen den beiden Frauen? Oder hat der Mörder sie zufällig ausgewählt? An diese Theorie mag Evelyn nicht denken, denn sie entdeckt ein Beuteschema, das sie nach langer Ermittlungsarbeit schließlich auch auf eine heiße Spur führen wird, doch wird sie den Mörder rechtzeitig finden oder fällt sie ihm womöglich selbst zum Opfer?

_Katz- und Maus-Spiel_

Elizabeth Becka lässt sich nicht viel Zeit; gleich auf den ersten Seiten begleiten wir Evelyn James bei ihrer grausigen Arbeit am Tatort. Sie sammelt Spuren ein, wo sie keine vermutet, und grübelt über ein mögliches Tatmotiv. Doch die drängendste Frage ist wohl die, wie der Täter in eine so perfekt gesicherte Wohnung eindringen konnte. Genau hier verbirgt sich jedoch die Lösung, aber Becka verpackt diese so geschickt, dass man sie einfach nicht bemerken will.

Die Spurenauswertung verläuft träge, Evelyn findet nicht die richtigen Wachsmaler und weiß einfach nicht, wie eine Kinderzeichnung in die Wohnung zweier reicher Frauen kommen kann, die gar keine Kinder haben. Auch eine Verbindung zwischen den Opfern findet sich zunächst nicht. Doch Evelyns Ehrgeiz ist geweckt. Es ist nicht nur die Neugier, die sie umtreibt, es ist auch die Angst um ihre Freundin Marissa, die hilflos im Krankenhaus und damit auf dem Präsentierteller für den Mörder liegt. Dem möchte Evelyn allerdings zuvorkommen. Hartnäckig und auch jenseits ihrer Kompetenzen ermittelt sie auf eigene Faust, gibt sich als Ärztin aus, um an mehr Informationen heranzukommen, und bringt sich dabei sogar selbst in tödliche Gefahr.

Die Polizei dagegen scheint machtlos, sie findet keine heiße Spur und auch keine Zeugen. Die Gebäude, in denen die Opfer gewohnt haben, sind zwar videoüberwacht, dennoch findet sich keine Aufnahme von dem Mörder; es scheint, als müsse man ein Phantom jagen. Doch dass dieses Phantom aus Fleisch und Blut ist, wird spätestens Evelyn am eigenen Leib spüren müssen.

Die Jagd nach dem Mörder, die kleinschrittige Spurensuche und die Frage nach der Verbindung zwischen den Opfern treiben nicht nur Evelyn und die Polizei an, sondern auch den Leser. Elizabeth Becka streut nur wenige Indizien ein, lässt den Fall lange vor sich hinplätschern, ohne dabei aber den Spannungsbogen leiden zu lassen, denn immer fühlt man sich vom unbekannten Mörder bedroht und spürt die nahende Gefahr. Im Nu hat man das Buch durchgelesen, weil man es einfach nicht mehr aus der Hand legen kann. Der Fall ist packend und rasant geschrieben; Becka inszeniert einen nahezu perfekten Spannungsbogen, der zwischendurch nicht einmal abbricht – bravo!

_Einsame Heldin_

Im Mittelpunkt des Buches steht Evelyn James, die zwar nicht die Ermittlungen leitet, aber ihre eigenen Motive hat, die sie antreiben und auf eigene Faust ermitteln lassen. Des Nachts wird Evelyn aus dem Bett geklingelt, um an den nächsten Tatort zu eilen, doch begibt sie sich auch freiwillig mitten in der Nacht in ihr Labor, um die drängendsten Fragen aufklären zu können. Während die Polizei auf der Stelle tritt, findet sie ein Indiz nach dem anderen und kombiniert diese schlau, bis das Bild des Täters immer klarer wird.

Dabei hat Evelyn James auch genügend eigene Probleme; ihre Tochter ist unglücklich verliebt und ihr Freund (oder doch Ex-Freund?) steht unter genauer Beobachtung durch Evelyn, die ihre Tochter vor allem Übel der Welt beschützen will. Doch das ist natürlich nicht so einfach bei einer Tochter, die flügge wird. Gleichzeitig befindet sich ihre Liebelei mit dem Polizisten David Riley in der Krise; der möchte nämlich endlich bei Evelyn einziehen, sie denkt allerdings noch mit Schrecken an ihre Scheidung zurück und möchte sich lieber noch nicht zu eng binden, außerdem fragt sie sich immer wieder, ob sie aus den richtigen Motiven mit David zusammen ist oder nur deswegen, weil sie ihn gerade braucht.

Je länger wir Evelyn bei ihrer Arbeit begleiten, umso besser lernen wir sie kennen. Während sie dem Mörder auf die Spur kommen will, verblasst die gesamte Polizeiarbeit nebenbei und erhält deswegen auch nur wenig Raum im Buch. David Riley und seinen Kollegen stellt Elizabeth Becka aber trotzdem vor, damit Evelyn das Buch nicht ganz alleine bestreiten muss. Beckas Charaktere sind sympathisch, menschlich und vor allem herrlich „unperfekt“. Genau diese allzu menschlichen Fehler sind es, welche die Distanz zwischen Leser und Romanfigur überbrücken und einen in jeder Situation mit Evelyn fühlen lassen. Ich bin schon jetzt neugierig auf die Fortsetzung, weil ich einfach wissen muss, wie es mit Evelyn James weitergeht.

_Teuflisch gut_

Mit ihrem zweiten Thriller um die Figur Evelyn James hat Elizabeth Becka genau ins Schwarze getroffen. Das Buch ist spannend von der ersten Seite an und lässt den Leser bis zur letzten Seite nicht mehr los. Die Charaktere sind gelungen und auch die Auflösung weiß zu überzeugen – was will man mehr?

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Philip Kerr – Game over

Computerspiele sind gefährlich, das vermitteln uns nicht nur die Medien, sondern auch Politiker oder Eltern. Welche Auswirkungen sie in der Zukunft haben könnten, malt uns Philip Kerr in seinem packenden Thriller „Game over“ aus, in welchem ein Computer sich selbstständig macht und auf Menschenjagd geht.

Häusle baue

Ray Richardson ist nicht einfach nur ein erfolgreicher und schwerreicher Architekt, nein, er plant in Los Angeles das ultimative High-Tech-Hochhaus, in dem praktisch alle Funktionen computergesteuert sind, und zwar von einem Rechner, den seine Programmierer liebevoll Abraham genannt haben. Doch Abraham ist nicht einfach nur irgendein Computer; er beginnt bereits während der Bauarbeiten, von seinen „Bewohnern“ zu lernen und neue Prozesse zu steuern, er verbessert sich und bringt seinen eigenen Sohn hervor – Isaac. Doch leider geschieht dies zu früh, denn noch ist das Bürohaus nicht von seinen eigentlichen Nutzern bewohnt, sondern von den Bauarbeitern, Architekten und Computerspezialisten. Schweren Herzens beschließen die Programmierer daher, Isaac zu löschen. Dass sie damit eine Katastrophe auslösen, ahnen sie zu dem Zeitpunkt natürlich noch nicht.

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Hawking, Lucy & Stephen – geheime Schlüssel zum Universum, Der

Das Weltall, unendliche Weiten – kaum etwas fasziniert so sehr wie der Kosmos, doch kaum etwas ist schwieriger zu begreifen als die Physik, die sich dort abspielt. Im Weltall sind schwarze Löcher verborgen, wir sehen Sterne am Nachthimmel, die bereits lange ihr Leben ausgehaucht haben und doch trotzdem noch für uns leuchten, und wir entdecken immer noch neue Physik. Das Weltall birgt für die Menschen noch so viele Geheimnisse, dass es kaum wundert, dass sich selbst der Nicht-Physiker dafür interessiert, was jenseits unserer Erde zu finden ist und was sich außerhalb unserer Galaxie abspielt. Und auch Kinder fragen schon früh nach den Sternen am Himmel. Dass man ihnen einfache Antworten geben kann, das beweisen Lucy und Stephen Hawking in ihrem neuesten Gemeinschaftswerk.

_Schwein gehabt_

Auf der Suche nach seinem entlaufenen Schwein Freddy krabbelt der kleine George in den nachbarlichen Garten, auch wenn ihm seine Eltern dies strengstens verboten haben. Aber das ist nicht das Einzige, was sie ihm verbieten. George darf keinen Computer besitzen und die Familie kommt auch ohne Fernseher aus, denn all diese technischen Neuerungen sind der Anfang vom Ende unserer Erde – so glauben zumindest Georges Eltern. Dass er deswegen in der Schule gehänselt wird und seine Schulkameraden über die merkwürdigen Pausenbrote lachen, das ahnen Georges Eltern wahrscheinlich nicht. Doch an diesem einen Abend muss er sich ihnen einfach widersetzen, denn Freddy ist sein einziger richtiger Freund, und wenn es in Nachbars Garten nun wirklich gefährlich ist, dann muss er sein geliebtes Schwein eben retten.

Langsam geht er auf das Nachbarhaus zu, dessen Eingangstüre geöffnet steht. George schleicht sich ins fremde Haus und folgt den Spuren seines Schweins, das er in der Küche findet, wo es eine gefährlich aussehende dunkelrote Flüssigkeit trinkt. George glaubt sofort an eine Falle und vermutet Gift in der Schüssel, doch das Mädchen, das neben Freddy steht, lacht ihn nur aus, denn es war lediglich Johannisbeersaft. Das fremde Mädchen, das sich als Annie vorstellt, kommt George etwas komisch vor, doch noch hat er nicht ihren Vater Eric kennengelernt, der Physiker ist und den leistungsstärksten und erstaunlichsten Computer der ganzen Welt besitzt, nämlich Cosmos. Cosmos ist allerdings kein gewöhnlicher Rechner, denn Cosmos eröffnet den Mitgliedern einer geheimen Gemeinschaft die unendlichen Weiten des Weltalls. So lernt George an diesem Abend viel über den Kosmos.

Am nächsten Tag verplappert er sich aus Versehen in der Schule und verrät seinem verhassten Lehrer Dr. Reeper, dass sein Nachbar über einen gar wunderlichen Computer verfügt. Reeper wird gleich auffallend interessiert und führt offensichtlich etwas im Schilde. Noch weiß George allerdings nicht, dass Cosmos nicht nur Filme über das Weltall zeigen kann, sondern er kann seine Nutzer direkt dorthin versetzen. Bei seinem ersten Ausflug zu den fernen Planeten, die er per Komet bereist, merkt George allerdings schnell, dass diese Ausflüge sehr gefährlich sein können. Nur mit Mühe und Not kann er sich mit Annie zusammen wieder in das nachbarliche Wohnzimmer retten. Es gibt allerdings noch viel gefährlichere Abenteuer zu überstehen, bei denen Dr. Reeper seine schmutzigen Finger im Spiel hat …

_Logbuch des Kosmos_

Mit Unterstützung ihres Vaters, des berühmten Kosmologen Stephen Hawking, hat Lucy Hawking ein fantastisches Kinderbuch geschrieben, das, in kindgerechten Worten geschrieben und in eine wunderbare Geschichte verpackt, die Grundlagen der Astrophysik erläutert. Gemeinsam mit George lernt der Leser viel über unser Planetensystem, wir erfahren, welche Planeten zu unserem Sonnensystem gehören, dass Pluto zum Zwergplaneten degradiert wurde, damit aber nicht alleine dasteht, denn zum Sonnensystem zählen noch zwei weitere Zwergplaneten. Wir reisen zusammen mit George und Annie auf einem Kometen zu den beiden Riesenplaneten Jupiter und Saturn und erfahren ganz nebenbei die wichtigsten Informationen über die beiden Planeten und ihre Monde.

Immer wieder sind zwischendurch Infotafeln abgedruckt, welche die physikalischen Hintergründe derjenigen Dinge erklären, die George und Annie gerade erleben. Wenn sie beispielsweise auf einem Kometen an unseren Planeten vorbeirauschen, sind Informationen über die Planeten und das Sonnensystem abgedruckt. Aber auch Grundlagen wie das Licht und seine Geschwindigkeit, das Teilchenmodell, Aufbau der Materie und der Unterschied zwischen Masse und Gewicht werden so einfach und verständlich eingeführt, dass ich mir sicher bin, dass ein Schüler ab etwa 12 Jahren diesen Ausführungen folgen kann. Während das Buch zunächst mit recht einfachen Fakten beginnt, steigert sich das Niveau gen Ende, wenn auch schwarze Löcher, weiße Zwerge, Supernovae oder Neutronensterne thematisiert werden. Selbstverständlich sind viele Dinge vereinfacht dargestellt, aber trotzdem werden dabei keine physikalischen Fakten verdreht.

Ganz nebenbei thematisieren die beiden Hawkings auch die Frage nach Leben jenseits der Erde, sie erzählen von den Exoplaneten und von der Entdeckung von Gliese 581c, der eventuell über Wasser verfügt. Dank Georges umweltbewussten Eltern geht es auch um die Frage, ob man lieber nach einem Exoplaneten suchen soll, der ebenfalls bewohnbar ist, oder ob es nicht sinnvoller ist, die Erde zu schützen und bewohnbar zu halten. Auf diese Frage gibt es zwar keine eindeutige Antwort, aber auch George erfasst schnell, wo der Kern des Problems verborgen liegt.

_Prächtiges Universum_

Optisch ist das Buch ein Hochgenuss. Entfernt man den bunt bedruckten Schutzumschlag, so zeigt sich ein ebenfalls bedruckter Bucheinband, der das gleiche Motiv wie der Umschlag trägt. Die Schrift ist kindgerecht groß und mit angenehmem Zeilenabstand gedruckt. Die Infotafeln, die zwischendurch die wesentliche Physik erläutern, sind zwar in Schwarzweiß gehalten, dennoch sind sie optisch so nett gestaltet, dass der Leser sich sofort neugierig in das Studium der Infotafeln vertieft. Aber was wäre ein Buch über den Kosmos ohne die faszinierenden Bilder, die uns dank Raumsonden oder Teleskopen inzwischen zur Verfügung stehen? So sind auch hier an vier Stellen jeweils vier Blätter Hochglanzpapier eingefügt, die in bestechenden Farben die faszinierendsten Aufnahmen aus dem Weltall zeigen. Wir sehen die Planeten und ihre Monde, das Zentrum der Milchstraße, Kometen oder auch die Andromeda-Galaxie. Jedes Bild ist mit einer informativen Bildlegende versehen, sodass man immer genau weiß, was auf dem Bild zu sehen ist.

Aber nicht nur die Physik und die optische Gestaltung sind überaus gelungen. Die Rahmengeschichte, die Lucy Hawking erzählt, ist nicht minder spannend und ergreifend. Wir lernen den sympathischen George kennen, mit dem wir gleich mitfühlen, wenn er von seinen Mitschülern tyrannisiert wird. Als er dann in die faszinierende Welt seiner Nachbarn eintauchen und seine eigenen Eltern vergessen kann, ist er glücklich und bemerkt zum ersten Mal, dass er frappierende Wissenslücken hat, die ihm vorher nie bewusst gewesen sind. Doch kaum haben Annie und Eric ihn mit den ersten Informationen über das Universum gefüttert, ist Georges Ehrgeiz geweckt; er will mehr darüber wissen und meldet sich später sogar zu einem Wissenschaftswettbewerb an, bei dem er einen Vortrag über das Weltall halten will.

Doch da ist auch noch Dr. Reeper, der dem Leser (und nicht nur ihm) von Anfang an unsympathisch ist. Reeper führt etwas im Schilde, das ist sofort klar, doch welch perfiden Plan er wirklich schmiedet, das wird erst im Laufe der Geschichte deutlich. Dass er es auf Cosmos und Eric abgesehen hat, kann man sich denken, doch reicht es ihm nicht, Cosmos für sich zu gewinnen, nein, er will Eric vernichten und loswerden. Auch George ahnt nicht, welch schreckliche Pläne sein Lehrer hat, doch wenn Reeper Eric immer näher kommt, wittert man sogleich die Gefahr, die zu einem richtig gelungenen Spannungsbogen führt. Obwohl dies ja „nur“ ein Kinder- oder Jugendbuch ist, muss ich doch gestehen, dass die beiden Hawkings mich von der ersten Seite an mitgerissen haben und die Geschichte auch für den erwachsenen Leser so spannend wird, dass man das Buch erst dann aus der Hand legen kann, wenn man sich von George verabschieden muss, weil das Buch zu Ende ist.

_Zwei kleine Weltraumreisende erobern das Universum_

Auch die Figurenzeichnung ist lobend hervorzuheben, denn mit George und Annie präsentieren uns die Hawkings zwei neugierige Kinder, die dem Geheimnis des Universums auf die Spur kommen möchten. George hat alleine schon dank seines niedlichen Schweines Freddy von Anfang an einen Sympathiebonus, aber auch Annie mit ihrer blühenden Fantasie, die erst von sich behauptet, eine Waise zu sein und später dann aber meint, ihre Mutter würde als Tänzerin in Moskau arbeiten (was sie natürlich nicht tut), wächst einem schnell ans Herz. Wie es im Zuge der Emanzipation nicht weiter verwundert, ist hier Annie diejenige, die mehr über Physik weiß als George, dem sein Unwissen aber bald so peinlich wird, dass er alles daransetzt, so schnell und so viel wie möglich dazuzulernen. Beide Protagonisten sind hervorragende Identifikationsfiguren für den jugendlichen Leser, aber auch ich konnte mich wunderbar in die Geschichte hineinversetzen.

Selbst der sensible Supercomputer Cosmos wird einem regelrecht sympathisch, wenn er vor sich hinsingt oder dem ekelhaften Lehrer Reeper nicht verraten will, was denn nun der geheime Schlüssel ins Universum ist. Cosmos erhält so menschliche Züge, dass man am Ende auch um sein Leben fürchtet. Doch auch der Gegenpart ist wunderbar besetzt mit Dr. Reeper, der keinen freundlichen Charakterzug erhält, Georges verhasste Mitschüler zu seinen Gehilfen macht und ihnen aufträgt, Cosmos zu entwenden. Natürlich sind alle Figuren etwas überspitzt dargestellt, aber in Anbetracht des geringen Buchumfangs von nur 263 Seiten ist es absolut erstaunlich, wie gut wir die einzelnen Charaktere überhaupt kennenlernen.

_Lob auf ganzer Linie_

Insgesamt ist „Der geheime Schlüssel zum Universum“ für mich ein ganz großer Wurf und schon jetzt ein Geschenktipp für Weihnachten, denn Lucy und Stephen Hawking schaffen es in kindgerechter und verständlicher Weise, dem Leser die Grundzüge des Universums zu erklären, und das auf so unterhaltsame und spannende Weise, dass man kaum merkt, dass man nebenbei auch etwas lernt. Die Rahmengeschichte überzeugt so sehr, dass sie selbst den erwachsenen Leser fesseln kann und auch die Charaktere überzeugen auf ganzer Linie. Einzig der Preis von knapp 17 € schmerzt ein wenig in Anbetracht der Tatsache, dass man das Buch in knapp drei Stunden bereits durchgelesen hat, doch auch davon sollte man sich nicht abschrecken lassen, denn dieses Buch ist etwas für die ganze Familie. Unbedingte Empfehlung!

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|Ergänzend dazu:|
[„Die kürzeste Geschichte der Zeit“ 3119

Rosenboom, Hilke – Teeprinzessin, Die

|Reisen ist besonders schön, wenn man nicht weiß, wohin es geht. Aber am allerschönsten ist es, wenn man nicht mehr weiß, woher man kommt.| Lao Tse

Mit diesen Worten beginnt Hilke Rosenbooms zweiter Jugendroman „Die Teeprinzessin“, und welche Worte könnten die Traumwelt, die Rosenboom uns eröffnet, besser beschreiben als die obigen? Wir werden in das 19. Jahrhundert versetzt und reisen gemeinsam mit der Protagonistin von Deutschland über Indien und China in die USA und schließlich wieder zurück nach Deutschland. Einmal rund um die Welt geht es, ständig weht uns ein leichter Duft kostbaren Darjeelingtees um die Nase und immer jagen wir der großen Liebe hinterher. Fast hört es sich an wie ein Märchen, und genau das ist es auch.

_Es war einmal ein hübsches Mädchen …_

Elisabeth Henningson, von allen nur Betty genannt, ist vierzehneinhalb Jahre alt, als wir sie kennenlernen. Ihr Vater ist Silberschmied in Emden, doch das Geschäft läuft schlecht, weil sich niemand mehr die schimmernden Kostbarkeiten leisten kann. Trotzdem wird Betty auch an dem Morgen eines ganz besonderen Tages um fünf Uhr in der Früh durch das Klappern der Silberhämmer geweckt. Eigentlich hasst Betty diese frühe Ruhestörung, doch an diesem Morgen hat sie sich mit ihrem Jugendfreund Anton verabredet, um vor Sonnenaufgang Fotografien von ihr zu machen. Als sie bei Anton im Teehandelshaus ankommt, ist dieser jedoch so aufgeregt und abgelenkt, dass die Fotos in weite Ferne gerückt sind. Antons Vater empfängt einen geheimnisvollen Gast, der ihm von Tee aus Darjeeling erzählt. Davon hat Antons Vater noch nie gehört, hat er sich doch auf feinen Chinatee spezialisiert. Bettys und Antons Neugierde ist jedenfalls so stark, dass sie sich auf den Lagerboden schleichen, um dem Gespräch zwischen Antons Vater und dem mysteriösen Fremden zu lauschen. In einem unbedachten Moment rutscht Betty allerdings vom Boden und fällt dem Fremden – John Francis Jocelyn – direkt in die Arme.

Dies ist wohl der Moment, der sowohl Antons wie auch Bettys Leben vollkommen verändern wird, denn Betty hat vor ihrem Sturz ihre Haarspange verloren, die Anton hektisch zu suchen beginnt. Um besser sehen zu können, zündet er eine Kerze an, vergisst jedoch, diese wieder zu löschen. Später am Tag brennt das ganze Teehandelshaus nieder und Anton wird zur Strafe zu einer Ausbildung nach Hamburg geschickt. Betty hat derweil Hausarrest und ahnt noch gar nicht, dass ihr Freund bereits die Stadt verlassen hat. Aber auch Betty muss Emden bald verlassen, denn der Wandergeselle ihres Vaters beginnt ihr nachzustellen, und da ihr Vater unheilbar krank ist, sieht er keine andere Möglichkeit, als sie zu einer Familie nach Hamburg zu schicken, damit Betty dort als Haustochter lebt.

Schweren Herzens begibt Betty sich also nach Hamburg, ahnt aber noch nicht, dass sie dort nicht als Haustochter leben wird, sondern als einfaches Hausmädchen schwere Arbeit zu verrichten hat. Betty ist verzweifelt, sie vermisst ihren Vater und Anton, fühlt sich im Stich gelassen und träumt immer noch von dem geheimnisvollen Fremden, der Tee in Darjeeling anbaut. Einige Zeit dauert es noch, einige Hindernisse sind zu überwinden, schwierige Situationen zu überstehen, bevor Betty die Gelegenheit hat, als Junge verkleidet gen Osten zu reisen, um dort mit Tee zu handeln. Eigentlich ist China ihr Ziel, doch als ihre wahre Identität unterwegs enthüllt wird, setzt der Kapitän sie kurzerhand in Kalkutta ab. Nachdem der erste Schreck überwunden ist, begibt sich Betty nach Darjeeling und auf die Suche nach John Francis Jocelyn.

_Bunte Bilder und Wohlgerüche_

Hilke Rosenboom entführt uns in eine faszinierende Welt. Zu Beginn befinden wir uns noch in deutschen Landen und lernen die Protagonisten in Emden kennen, doch später werden wir uns gemeinsam mit Betty auf eine weite und abenteuerliche Reise begeben. Zunächst nimmt sich Rosenboom viel Zeit, um ihre Geschichte und ihre Charaktere zu entwickeln. In schillernden Farben beschreibt sie Bettys Leben in der Silberschmiede und ihre Vorliebe für Tee. Dieser ist allerdings so kostbar geworden, dass sie daheim keinen mehr trinken darf. Umso besser gefallen ihr die Besuche bei Anton im Teehandelshaus, wo sie zumindest die Wohlgerüche des teuren chinesischen Tees erschnuppern darf. Anton hat dafür allerdings nicht viel übrig, er würde viel lieber Fotograf werden, doch dafür hat sein Vater nur leider gar kein Verständnis.

Betty ist erst vierzehn Jahre jung, doch träumt sie bereits von der großen, weiten Welt. Als sie John Francis Jocelyn von Darjeeling sprechen hört und den ungewohnten Duft des neuartigen Tees in die Nase bekommt, träumt sie sich bereits nach Darjeeling, das für sie zum Inbegriff des Teeparadieses wird. Bevor sie diesen Träumen allerdings nachgeben kann, bricht zunächst ihre kleine, heile Welt zusammen. Anton wird fortgeschickt und sie hat Hausarrest, weil sie ebenfalls schuld am Brand im Handelshaus gewesen ist.

_Eine kleine Prinzessin_

Im Mittelpunkt der gesamten Erzählung steht Betty Henningson, die viele Abenteuer zu überstehen hat. Besonders groß ist ihre Not, als sie bei der Hamburger Familie in einem ungemütlichen Kellerverschlag hausen und schwere Hausarbeit erledigen muss. Erst später erfährt sie, dass es eine Verwechselung gegeben hat und sie bei der falschen Familie gelandet ist, doch zu diesem Zeitpunkt hat sie bereits ihre Fühler ausgestreckt nach einer Familie in Hamburg, die mit Tee handelt. Mit viel Liebe zum Detail entwickelt Hilke Rosenboom ihre Hauptfigur. Obwohl ihr Roman aus Sicht eines neutralen Beobachters geschrieben ist, verlassen wir Betty in keiner Szene, wir fühlen mit ihr, wir kennen ihre Gedanken, Wünsche und Träume und wissen von Anfang an, dass ihr Herz am Tee und schließlich auch an John Francis Jocelyn hängt, der für sie den köstlichen Darjeeling verkörpert. Später sind es schließlich Antons Liebe zur Fotografie und zu einem gewissen Fotografen, die es Betty ermöglichen, ihren Teeträumen hinterherzureisen.

Im Laufe der Geschichte wird Betty nicht nur zwei Jahre älter, sondern auch viel erwachsener und reifer. Sie muss alleine in der Fremde zurechtkommen und später den Tod ihres Vaters verkraften, doch Betty lässt sich nicht unterkriegen. So wird sie zur perfekten Identifikationsfigur, da sie die Träume wahr werden lässt, die so manches Mädchen hegen mag.

Verglichen mit Betty wird allen anderen Figuren sehr wenig Platz eingeräumt. Selbst Anton, der zunächst ihre große Liebe zu sein scheint, wird schnell zu einer Nebenfigur degradiert, die zudem immer mehr Schwächen zeigt und dadurch einige Minuspunkte zu verbuchen hat. Auch John Francis Jocelyn bleibt leider ziemlich im Dunkeln. Später trifft Betty ihn zwar wieder und wir lernen ihn als eine Art indischen Teebaron kennen, doch sein Charakter entfaltet sich nicht voll. Schade, aber einzig Betty gewinnt so richtig an Profil.

_In achtzig Tagen um die Welt_

Die Schauplätze dagegen sind gut gewählt. Auch wenn Emden zunächst etwas bieder scheinen mag, so verlassen wir die kleine Stadt im Norden doch bald und begeben uns zumindest erst einmal nach Hamburg. Später führt uns die Reise dann einmal rund um den Globus. Im Gepäck hat Betty eine kostbare Lieferung an Darjeelingtee, den sie eigentlich gerne nach Hamburg transportieren möchte, doch auf ihrer Reise hat sie mindestens so viele missliche Abenteuer zu überstehen wie Phileas Fogg in Jules Vernes [Erfolgsroman. 944 Unterwegs geht alles schief, was nur schiefgehen kann, was zugegebenermaßen die Geduld des Lesers mitunter etwas überstrapaziert. Betty macht Bekanntschaft mit chinesischen Gefängnissen, mit der Teemafia und einigen üblen Gesellen. Wie aber schon bei Jules Verne, so fügt sich hier am Ende alles zusammen. Das mutet schon ein wenig unrealistisch an, auf der anderen Seite schildert Hilke Rosenboom ein traumhaftes Märchen, das sich an den jugendlichen Leser richtet, sodass man ihr diese Realitätsferne verzeihen mag.

Um noch einmal auf das Zitat zurückzukommen: Als Betty sich auf das Schiff gen Osten begibt, meint sie zwar zu wissen, wohin ihre Reise sie bringen mag, allerdings kommt dann alles anders, als sie denkt. Als sie dann erst einmal in Darjeeling angekommen ist, weiß sie sofort, dass dies ihre Heimat ist; dort findet sie genau das, was sie sich immer erträumt hat und sie befindet sich im schönsten Teeparadies, das sie sich je ausgemalt hat. Dieses „Nachhause-Finden“ schildert Hilke Rosenboom sehr überzeugend.

_Stilblüten_

Hilke Rosenbooms Sprache ist ausgesprochen blumig und ausschmückend und passt damit perfekt zu der geschilderten Geschichte, denn auch diese ist märchenhaft. Kaum ein winziges Detail entgeht Rosenbooms Aufmerksamkeit, und sie schafft es fast, uns beim Lesen den Teeduft in die Nase zu zaubern, doch in ihrem Überschwang der Gefühle passieren ihr nebenbei auch einige Patzer, die bei genauer Lektüre auffallen. So lernen wir eine Dame kennen, die ‚in Gewänder gewandet‘ ist oder entdecken Sätze, in denen sich (offensichtlich ungewollte) Wortdoppelungen finden. Wenn es einem auffällt, stört es den Lesefluss doch ein wenig, aber wenn man so richtig in der Tiefe des Buches versinkt, mag man auch oftmals über diese Kleinigkeiten hinweglesen.

_Unter dem Strich_

Insgesamt gefiel mir „Die Teeprinzessin“ ausgesprochen gut, auch wenn das Buch sich offenkundig eher an jugendliche Leser richtet, da die Geschichte doch ein wenig eindimensional gestrickt ist. Schon von Anfang an ist klar, dass es ein Happy-End für Betty geben wird; so ist es dann schließlich auch keine große Überraschung, als sich auf ihrer abenteuerlichen Reise doch alles zum Guten wendet. Auch die Charakterzeichnung, die sich einzig auf Betty beschränkt, trübt ein wenig den Gesamteindruck, dennoch macht es Spaß, in die faszinierende Welt, die Rosenboom uns schildert, einzutauchen. Besonders gut haben mir die exotischen Schauplätze gefallen, in die Betty und John Francis Jocelyn sich hervorragend einfügen.

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Cueni, Claude – große Spiel, Das

Geld regiert die Welt – schlecht ist nur, wenn man keines hat, weil es nicht genügend Metall gibt, aus dem man die Münzen fertigen könnte. Der schottische John Law of Lauriston war seiner Zeit damals weit voraus, denn während England und Frankreich noch an ihrem Münzgeld festhielten, hatte er bereits die Vision einer Bank, die Geldnoten aus Papier verteilt und ihre Rücklagen über Grundstücke versichert. Doch obwohl einige europäische Länder am Anfang des 18. Jahrhunderts bereits Papiergeld verwendet haben, stieß er in besagten beiden Ländern mit seinen Ideen auf Granit. Diese wahre Geschichte ist es, die Claude Cueni in seinem großen Historienroman erzählt …

Zunächst begegnen wir Johns Vater William, der sich einer gefährlichen Operation unterziehen muss, bei der die Wahrscheinlichkeit erschreckend hoch ist, dass er diese nicht überleben wird. Und wirklich stirbt er bei dieser Operation und vermacht seinen Besitz seiner Frau und seinem ältesten Sohn – John. Doch William hat bereits vorausgeahnt, dass sein zu der Zeit zwölfjähriger Sohn noch nicht reif genug ist, um diese Verantwortung zu tragen, und hat deshalb testamentarisch veranlasst, dass John auf ein Internat geschickt wird, das ihm Zucht und Ordnung beibringen soll. Jedoch erfüllen sich Williams Hoffnungen nicht; zwar hat John zunächst keine Gelegenheit, sein Erbe zu verspielen, doch Zucht und Ordnung lernt er leider nicht. Ganz im Gegenteil: Im Internat macht er sich einen Todfeind – George -, mit dem er sich duelliert und gegen ihn gewinnt. Doch ist dieser Kampf noch nicht vorbei, George wird ihm immer folgen und sinnt in den nächsten Jahren weiterhin auf Rache.

Zurück auf seinem Anwesen, dem Schloss Lauriston, begegnet John seinem jüngeren Bruder William, der vom Neid geplagt wird. Er neidet seinem Bruder das Erbe, seinen Intellekt und auch seinen Erfolg bei Frauen, denn John ist nicht nur ein grandioser Glücksspieler, der blitzschnell alle Wahrscheinlichkeiten beim Kartenspiel berechnen kann, er ist darüber hinaus kultiviert und ein absoluter Frauenschwarm. Als John im Suff allerdings seinen Teil des Anwesens verspielt, hilft seine gebrochene Mutter ihm finanziell aus, schickt ihn aber fort.

In London angekommen, macht John sich neue Feinde. Bei allen Glücksspielen ist er dabei und darf auch die Bank führen. Er gewinnt und gewinnt, einmal Geld und einmal das Herz der schönsten Frauen. Doch sein Herz gehört (fast) allein Catherine Knollys, die zwar bereits verheiratet ist, John aber dennoch verfällt, weil ihr Gatte das Land und damit auch sie verlassen hat. Die beiden werden ein Paar, doch währt das Glück nicht lange. Eines Tages duelliert John sich auf Befehl des Königs, wie er meint, mit einem seiner Widersacher und ersticht ihn bei dem Duell. John wird direkt nach dem Duell gefasst und da auf das Duellieren die Todesstrafe steht, blüht ihm das Gefängnis und am Ende auch der Galgen. Aber John hat nicht nur viele Feinde, sondern auch einige Unterstützer, die ihm schließlich zur Flucht aus dem Gefängnis verhelfen. So versucht John sein Glück in Frankreich, während ihm in England weiterhin die Todesstrafe droht.

In Frankreich versucht er, sich in die vornehmen Kreise einzuschleusen, da er dem König seinen Plan mit der Bank vorstellen will, aber auch in Frankreich hat John Law zunächst wenig Glück, da er sich schneller neue Feinde machen kann, als er dem König näher kommt. So muss John wieder ins Ausland fliehen und dort auf seine Chance warten. Diese kommt, doch ahnt John noch nicht, dass ihm damit großes Unglück ins Haus steht …

Claude Cueni hat sich für seinen Historienschmöker eine beachtliche Figur herausgepickt, nämlich John Law of Lauriston, der nicht Cuenis Fantasie entsprungen ist, sondern tatsächlich Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts gelebt und gewirkt hat. John Law war ein brillanter Mathematiker, der seine Gabe am liebsten im Kartenspiel ausgenutzt hat. Da er allerdings meist gewonnen hat, gab es viele Zweifel, ob sein Kartenglück tatsächlich seinem blitzgescheiten Verstand zuzuschreiben war oder nicht doch eher einer gewitzten Betrügerei. So ist er immer wieder aus einem Land verjagt worden, um in einem neuen sein Glück zu versuchen. Law war seiner Zeit weit voraus. Zwar gab es in einigen europäischen Ländern bereits Geld aus Papier, doch ging seine Vision noch viel weiter; er wollte eine Bank erschaffen, die ihr Vermögen nicht nur auf Münzen aus Metall gründet, sondern auch Grundstücke als Deckung für die im Umlauf befindlichen Geldnoten verwendet. Seine Idee war grandios, doch leider hatte er bereits zu viele Feinde, als er schließlich die Chance bekommen hat, seine Idee in die Wirklichkeit umzusetzen. Seine Widersacher haben immer wieder versucht, ihm zu schaden. Der finale Schachzug gegen Law wurde dann allerdings von einem ganz anderen Mann geführt …

John Law steht im Zentrum der gesamten Geschichte. Als wir ihn das erste Mal treffen, vergnügt er sich als zwölfjähriger Junge gerade mit dem zwanzigjährigen Hausmädchen Janine im Turmzimmer. John hat viele Talente, doch weiß er sie nicht immer geschickt einzusetzen. In vielen Situationen ist er allen anderen überlegen, was er seine Mitmenschen auch nur zu gerne spüren lässt. So sammelt John Law nicht nur Sympathiepunkte, es gibt vielmehr das eine oder andere Duell, wo man ihm von Herzen wünscht, dass er endlich scheitern möge, damit er auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht wird. Doch zunächst wird der Wunsch des Lesers hier nicht erfüllt. Erst als sich praktisch die gesamte Handlung nur um ihn dreht und er zu Unrecht der Betrügerei beschuldigt wird, trifft er auf Feinde, die ihm die eine oder andere Niederlage beibringen können. Doch zu dieser Zeit ist John Law bereits so wichtig geworden, dass der Leser ihm schlussendlich doch Erfolg wünscht.

Claude Cueni zeichnet John Law of Lauriston mit viel Liebe zum Detail. Wir lernen viele seiner Eigenarten kennen, erleben ihn in schwachen wie in starken Momenten, erleben ihn bei Duellen mit seinen Feinden und in Stunden mit seiner Liebsten. Und nicht nur in der Finanzwelt war er seinen Mitmenschen voraus, auch als Kunstexperte hat er schon damals den Wert der großen Maler erkannt. Er wirkt fast schon fanatisch, denn nie lässt er sich von seinen Plänen abbringen, in Frankreich eine Bank zu gründen, immer hat er nur die Verwirklichung seiner Visionen im Sinn – koste es, was es wolle. Für die Umsetzung seiner Ideen geht er praktisch über Leichen, alles andere scheint ihm gleichgültig. Viele seiner Handlungen kann man deswegen nur schwer nachvollziehen, denn manchmal ist er einfach ein Trampeltier, das sich wie ein Elefant im Porzellanladen benimmt; etwas mehr Feingefühl hätte ihm sicher nicht geschadet. Nichtsdestotrotz ist Cueni die Zeichnung dieser historischen Figur blendend gelungen.

Umso blasser erscheinen allerdings Laws Widersacher, von denen es wirklich genügend gibt. Aber vor allem sein Jugendfeind George erscheint blass und auch ziemlich unmotiviert. Zwar treffen wir ihn im späteren Verlauf der Geschichte noch einige Male wieder, doch nie entfaltet er so viel Persönlichkeit, dass man ihm wirklich Erfolg wünschen würde. Er wird von Cueni zu einer Randfigur degradiert, was ich schade finde, da George bereits sehr früh auftaucht und sich zu einer wirklich gefährlichen Figur hätte entwickeln können.

Was Claude Cueni sehr gut gelingt, ist die Ausgestaltung der historischen Schauplätze. In wahrlich meisterhafter und fast schon ekelerregender Manier beschreibt er die Straßen der europäischen Hauptstädte zur Zeit des John Law. Damals gab es keine Kanalisation, sodass die Menschen ihre Notdurft in Nachttöpfen verrichtet und diese dann auf der Straße ausgekippt haben. Förmlich steigt einem der unglaubliche Mief beim Lesen in die Nase und auch am königlichen Hof war es nicht viel besser, wenn man bedenkt, dass die morgendliche Toilette des Königs ein großes Schauspiel war und ein naher Verwandter dafür Geld zahlen musste, dass er sich um den gefüllten Nachttopf des Monarchen kümmern durfte. Der historische Rahmen gefällt – auch wenn es einem oft genug schaudert bei Cuenis realistischen Ausführungen – ausgesprochen gut. Auch die Schauplätze der Handlung sind gut gewählt, wir reisen durch einige europäische Hauptstäde wie London, Edinburgh, Paris und Amsterdam und erleben diese Städte im ausklingenden 17. Jahrhundert bzw. im beginnenden 18. Jahrhundert; besonders die Zeichnung Paris‘ und Londons gelingt Claude Cueni so realistisch, sodass man sich in die damalige Zeit hineinversetzt fühlt.

Was mich nicht überzeugen konnte, ist der Aufbau der Geschichte. Zu viele Zeitsprünge durchkreuzen sie, manchmal ist es nur ein winziger Abschnitt, der sich einem bestimmten Jahr widmet, während Cueni gleich darauf wieder einige Jahre in die Zukunft springt. Dadurch muss man sich häufig neu zurechtfinden und mutmaßen, was wohl in der Zwischenzeit geschehen sein mag. Eventuell wäre es nicht schlecht gewesen, sich nur auf John Laws späte Jahre zu beschränken und auch dort eine gewisse Auswahl zu treffen; so hat es eher den Eindruck, dass Cueni zu jedem Jahr, zu dem er eine historische Quelle über John Law gefunden hat, auch etwas schreiben wollte. Die Erzählung wirkt dadurch aber ein wenig abgehackt und gestückelt. Schade, denn der historische Rahmen ist absolut grandios und auch die Figur des John Law of Lauriston gibt definitiv genug her für einen großen Historienschmöker. Etwas schwer nachzuvollziehen sind darüber hinaus manchmal John Laws Visionen, wenn man keine Grundkenntnisse seiner Theorie von Geld und Handel mitbringt. Manchmal muss man sich hier über längere Passagen hinweglesen, die etwas zu abgehoben sind, aber in Gründzügen kann man Claude Cuenis Gedankengängen schließlich doch stets folgen.

So bleibt am Ende ein positiver Eindruck zurück. Claude Cueni widmet sich in seinem farbenreichen und schillernden Historienroman einer faszinierenden historischen Persönlichkeit, nämlich John Law of Lauriston, der damals das europäische Finanzwesen revolutionieren wollte. Ganz nebenbei trifft er auf andere bekannte Figuren wie Daniel Defoe, über den es hier noch einige interessante Details zu erfahren gibt, oder auch den Sonnenkönig, den Law von seinen Ideen überzeugen wollte. So entfaltet „Das große Spiel“ eine unglaubliche Faszination und unterhält über weite Strecken ausgesprochen gut, nur die vielen Zeitsprünge trüben ein klein wenig den Lesegenuss.

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Behrend, Anke – Fake Off!

Liebe auf den ersten Blick ist out – heutzutage trifft man seinen Zukünftigen nicht mehr im echten Leben, sondern im virtuellen. Online-Partnerbörsen und Chat-Foren boomen und nicht selten werden dort die ersten Liebesbande geknüpft. Ob diese dann das erste Treffen allerdings überstehen, steht wohl auf einem anderen Blatt.

Diese Erfahrung muss auch Protagonistin Alex machen, die im wirklichen Leben zwar nicht schlecht aussieht, aber trotzdem den Traummann noch nicht gefunden hat. So meldet sie sich in verschiedenen Foren und Single-Börsen an, doch erst als sie „Listen2Me“ – im wirklichen Leben ganz schlicht Roman – kennenlernt, meint Alex, am Ziel zu sein. Roman ist IT-Spezialist, doch seine einfühlsame Seite zeigt er im Internet durch das Posten verschiedener Gedichte. Die beiden kommen ins Gespräch und beginnen ausgiebig zu telefonieren. Ein wenig schreckt Alex zurück, als Roman von Beginn an sehr besitzergreifend ist und von ihr verlangt, in ihrem Profil zu vermelden, dass sie nun vergeben sei. Das will sie sich allerdings nicht gefallen lassen, meldet sich kurzerhand ab und bastelt sich ein neues Profil. Mit Roman läuft es trotzdem telefonisch prima, sodass die beiden beschließen, dass sie sich kennenlernen sollten.

Kurzerhand fährt Alex aus ihrer Heimatstadt Leipzig gen Hessen, um dort ihr Herzblatt zu treffen. Doch aufgrund von Romans momentaner Arbeitslosigkeit wohnt er bei einem komischen Kauz, der sich offensichtlich als Messie erweist. Alex ist schockiert angesichts des Chaos in Romans Übergangswohnung. Doch noch ahnt sie nichts Böses, denn sie schiebt diese Unordnung auf den Wohnungseigner und gibt Roman keine Schuld. Auch wenn der erste Sex nicht gerade berauschend ist, bleibt Alex zuversichtlich. Nach dem ersten Treffen ist sie zwar unsicher geworden, hegt aber immer noch gewisse Hoffnungen auf ein Happy-End. Merkwürdig findet sie zwar, dass immer sie Roman anrufen muss und er nicht bereit ist, die Telefonkosten zu tragen. Auch dass er sich die Fahrt nach Leipzig nicht leisten kann und Alex das Ticket zahlen muss, schreckt sie noch nicht genügend ab. Als Roman in Leipzig dann aber schließlich mit einem verschlissenen Mantel und deutlichem Körpergeruch vor ihr steht und seinen Trolley öffnet, der lauter nasse Klamotten enthält, steht Alex plötzlich ihrem wahr gewordenen Albtraum gegenüber. Aber es kommt noch schlimmer …

Das Internet – es ist eine schöne neue virtuelle Welt, die sich uns erschließt. Alles ist bequemer geworden, man muss nicht mehr in überfüllten Läden stöbern, um Sachen einzukaufen, man kann alles von zu Hause ordern, vor allem aber muss man nicht mehr nervös seinem Angebeteten gegenübertreten und ihn um ein Date bitten, man kann sich erst anonym im Internet kennenlernen, telefonieren und dann entscheiden, ob man sich dem realen Leben stellen möchte. Dass nicht alles Gold ist, was im Internet noch glänzt, das muss Alex auf erschreckende Weise feststellen, denn Roman ist im echten Leben ein Albtraum!

Anke Behrend schildert herrlich komisch, wie Alex und Roman sich langsam näherkommen, wie sie telefonieren und diskutieren. Langsam aber sicher wird man als Leser immer skeptischer; Roman offenbart merkwürdige Eigenschaften, er ist eifersüchtig, besitzergreifend und hat sehr eigene Ansichten. Doch Alex lässt sich davon nicht abschrecken. Wie frau eben so ist, stolpert sie blind in ihr Unglück und will ihre Hoffnungen erst dann begraben, wenn sie wirklich unsanftest auf den Boden der Tatsachen gebracht wird. Ach, wie sehr kommen mir einige ihrer Eigenschaften bekannt vor. Wer kennt diese Hoffnung nicht, dass ER doch nicht so schlimm ist, wie es gerade wirkt, er wird sich schon noch bessern und am Ende wird alles gut sein. Nein, aufgeben gibt es nicht, frau kämpft bis zum bitteren Ende – bis zu einem Ende, wie es bitterer kaum sein könnte. Anke Behrend hält ihren Leserinnen einen unbarmherzigen Spiegel vor Augen. Ganz so naiv und blind ist frau vielleicht nicht, aber Behrend überzeichnet so gekonnt, dass man sich manchmal schon schämen kann, eine Frau zu sein.

Doch ganz ehrlich. Den Mann trifft es in „Fake Off!“ noch härter. Behrends männliche Protagonisten sind schlimm: Sie räumen nicht auf, drehen sich permanent misslungene Zigaretten und rauchen sie an Ort und Stelle und scheren sich keineswegs darum, ob sie gerade in der Wohnung einer Nichtraucherin sitzen. Männer waschen nicht ab und übersehen gekonnt sämtliches dreckiges Geschirr. Männer duschen natürlich auch nicht und tragen im Bett ihre dreckigen Socken, die ihre beste Zeit schon längst hinter sich haben. Männer tragen stinkende, abgetragene Klamotten und merken gar nicht, dass sie damit zwar Aufmerksamkeit erregen, aber sich wahrlich keine Freunde machen. Und vor allem halten Männer sich für die Größten, ihr Intellekt ist unübertreffbar und natürlich kann keine Frau ihnen in Sachen Computer das Wasser reichen, Männer sind dazu da, um hilflose Frauen zu beschützen und um ihnen das Leben zu erklären. Doch da haben sich die Männer geschnitten! Alex lässt sich zwar viel gefallen, aber auch nicht alles.

Zunächst beginnt das Buch noch recht alltäglich; die weibliche Hauptfigur meint, ihren Traumpartner im Internet gefunden zu haben, und ist anschließend blind vor Liebe. Als sich bei Alex aber die Blindheit legt, wird sie zur rächenden Furie. Sie muss eine schreckliche Entdeckung machen, fühlt sich erst hilflos und ausgenutzt, doch hat sie schnell einen Plan, um es einem ganz bestimmten Mann heimzuzahlen. Spätestens ab hier wird die Geschichte urkomisch. Alex schleicht sich mit ihrem zweiten anonymen Account an ihr Opfer heran, chattet mit ihm, spielt ihm etwas vor und kommt der Erfüllung ihres Racheplanes immer näher. Anke Behrend überzeichnet ihre Figuren und die geschilderten Situationen so sehr, dass es herrlich abstrus wird.

Sprachlich ist das Buch ein wenig gewöhnungsbedürftig, denn viele Teile der Geschichte spielen im Chat, und dort sind großbuchstaben eher die ausnahme und die wesentliche aussage findet sich meist zwischen zwei sternen versteckt *dieStirnrunzel*. Aber irgendwo passt es schon, zumal Roman der deutschen Sprache offensichtlich nicht allzu mächtig ist, sich ständig verschreibt und die herrlichsten Rechtschreibfehler einbaut. Hier hat niemand die Fehler herausredigiert, aber das ist okay so, denn dadurch gewinnt die Geschichte irgendwie auch an Charme.

„Fake Off!“ erzählt eine völlig überzogene Geschichte, die sich den Irrungen und Wirrungen der Internetliebe widmet. Und so sehr die Charaktereigenschaften der handelnden Figuren auch überspitzt sein mögen, so findet sich doch ein Fünkchen Wahrheit darin, sodass einem auf schonungslose Weise vorgeführt wird, wie naiv und merkwürdig man sich manchmal verhält, wenn man einfach blind vor vermeintlicher Liebe ist!

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Brennan, Allison – Leichte Beute

Leichen im Keller – die hat die berühmte Bestsellerautorin Rowan Smith genügend, auch wenn sie diese lieber in Vergessenheit wüsste. Doch nun scheint ihre mysteriöse Vergangenheit sie einzuholen, denn ein Mörder nimmt ihre Psychothriller zur Vorlage für seine eigenen grausigen Taten und lässt das entsprechende Buch, von dem er sich hat inspirieren lassen, am Tatort zurück.

Eigentlich hat Rowan alles, was man sich nur träumen kann: Sie hat vier Bestseller veröffentlicht, die fünfte Veröffentlichung steht kurz bevor und auch die Buchverfilmungen sind ein voller Erfolg. Außerdem ist Rowan unglaublich gut aussehend, durchtrainiert und steht in der Blüte ihres Lebens, doch dann geschieht der erste Mord und ihre erste Romanprotagonistin muss in der Realität auf grausame Art und Weise sterben. Sofort ist klar, dass nicht die Protagonisten das Ziel des Mörders sind, sondern die erfolgreiche Autorin selbst. Doch erst will der große Unbekannte seinen Spaß haben und Rowan noch lange quälen. Erst wenn sie gebrochen ist, sich fürchtet und kein eigenes Leben mehr führen kann, dann will er sie holen, foltern und schließlich ermorden.

Nicht nur Rowans Agentin hat Angst um Rowan, sondern auch ihr ehemaliger Chef beim FBI. Die beiden heuern einen Bodyguard für Rowan an, obwohl diese sich mit Händen und Füßen dagegen wehren möchte und der Meinung ist, dass sie als ehemalige FBI-Agentin allein für sich sorgen und auf sich aufpassen kann. Als Rowan ihren Bodyguard Michael Flynn allerdings kennen lernt, erkennt sie schnell, dass sie tatsächlich Schutz benötigt und nimmt die Hilfe widerwillig an. Michael verliebt sich auf den ersten Blick in Rowan, doch als sein Bruder John ins Spiel kommt, merkt Michael schnell, dass er nicht nur gegen einen gefährlichen unsichtbaren Mörder kämpft, sondern auch gegen seinen eigenen Bruder, der ebenfalls Gefühle für Rowan entwickelt hat. Das Spiel gegen die Uhr beginnt, doch nicht jeder wird diesen Kampf gewinnen …

Allison Brennans Geschichte ist nicht neu; sie ist nicht die erste, die von einer Krimiautorin schreibt, deren Fantasiemorde von einem Psychopathen in die Tat umgesetzt werden, doch gelingt ihr der Plot davon unabhängig ausgesprochen gut. Von Anfang an schlägt ihr Psychothriller den Leser in den Bann. Schon im Prolog lernen wir den Mörder kennen, wissen allerdings zunächst nicht, auf wen er es abgesehen hat und um wen es sich überhaupt handelt. Lange lässt Brennan uns darüber im Unklaren, in welcher Verbindung Rowan und der unbekannte Mörder zueinander stehen. Doch früh ist klar, dass Rowan Smith etwas zu verbergen hat. Bevor sie angefangen hat, Romane zu schreiben, hatte sie eine vielversprechende Karriere beim FBI. Ein Mordfall war es damals, der Rowan schlagartig dazu bewegt hat, ihren Job an den Nagel zu hängen und sich einer neuen Karriere zu widmen. Wieso hat der Fall Franklin Rowan so sehr erschüttert, dass sie nicht länger für das FBI arbeiten konnte? Nur ganz allmählich klärt Brennan diese brennende Frage auf.

Währenddessen mordet der Unbekannte weiter und stellt einen fiktiven Mord nach dem anderen nach. Doch schon beim zweiten Mord begnügt er sich nicht mehr damit, Rowans Geschichte zu imitieren, er schickt ihr einen Grabkranz und macht ihr somit klar, dass er es im Endeffekt nur auf sie abgesehen hat, dass sie seine Mordserie wird krönen müssen. Rowan ist erschüttert und fühlt sich schuldig, weil sie die Figuren erdacht hat und die Taten ihrer Fantasie entsprungen sind. Rowan ist sich sicher, dass die Lösung für die Mordserie in ihrer FBI-Vergangenheit zu finden ist, sie wühlt sich durch ihre alten Akten, kommt der Lösung allerdings kein Stückchen weiter. In diesem rasanten Katz-und-Maus-Spiel baut Allison Brennan immer weiter Spannung auf, bis man schließlich bis in die Nacht hinein weiterlesen muss, um endlich zu ergründen, was den Mörder antreibt und welchen Hass er Rowan gegenüber hegt.

Obwohl ihr Erzähltempo hoch ist, nimmt Brennan sich Zeit, ihre Protagonisten vorzustellen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Rowan Smith, die uns zunächst unergründlich scheint. Dass sie etwas verheimlicht, merken wir früh, auch dass sie in ihrer Vergangenheit großen Schmerz ertragen musste, lässt Brennan bald durchblicken, doch wer Rowan Smith wirklich ist, was sie zu verbergen hat, das erfahren wir spät. Auf den ersten Blick ist Rowan Smith die taffe Ex-FBI-Agentin, die mit der Waffe unter ihrem Kopfkissen schläft und jeden Tag mindestens zehn Kilometer am Strand entlangjoggt, sie kann also auf sich selbst aufpassen. Doch auf den zweiten Blick ist sie verletzlich, die Morde jagen ihr eine Heidenangst ein und reißen alte Wunden auf, die Rowan längt verheilt geglaubt hat. Sie wird immer schwächer, ängstlicher und verzweifelter, als der Mörder ihr immer näher kommt. Rowan Smith hat viele Facetten und wir lernen viele davon kennen, sodass sie nach und nach viel Profil gewinnt. Michael und John Flynn sind die beiden Männer, die ihr zur Seite stehen und die um Rowans Herz kämpfen. Beide Brüder haben sich verliebt, doch Rowan hat ihre Wahl längst getroffen. Der ebenso unergründliche John ist es, in dem sie einen Seelenverwandten wiederfindet. Er ist es, der schließlich ihr Herz erobert und mit dem sie eine gefährliche Affäre beginnt. Denn während die beiden sich ihrer Leidenschaft hingeben, schleicht sich der Mörder immer näher und droht den Wettlauf gegen die Zeit zu gewinnen.

Im Rahmen der packenden Thrillerhandlung gelingt Allison Brennan die Charakterzeichnung ausgesprochen gut, obwohl sie durchaus Schablonen verwendet. Natürlich ist die weibliche Hauptfigur schön, stark und erfolgreich und natürlich steht ihr ein ebenso starker Mann zur Seite, der sie beschützen will. Dennoch fügt sich diese Charakterisierung stimmig in den Plot ein.

Nicht ganz schlüssig gelingt allerdings die leidenschaftliche Affäre zwischen Rowan und John, die zu einer Zeit beginnt, als um die beiden herum bereits die Welt einzustürzen droht. Rowan rückt auf der Liste des Mörders immer weiter nach oben, dennoch sind die beiden Verliebten kaum aus dem Bett zu kriegen und schaffen es nur mit Not, nicht gleich am Strand nach dem Joggen übereinander herzufallen, sondern erst dann, wenn die Haustür hinter ihnen zugefallen ist. Irgendwie erscheint es mir nicht sonderlich glaubwürdig, dass zwei Menschen die Welt um sich herum so weit verdrängen können, wo geliebte Menschen bereits sterben mussten und in jeder Sekunde der Angriff des Unbekannten zu befürchten ist. Auch die ausgiebige und detaillierte Schilderung der zahlreichen Sexszenen bedient sich aller greifbaren Klischees. Etwas mehr Einfallsreichtum wäre Allison Brennan dann doch zu wünschen gewesen.

Natürlich darf am Ende nicht der packende Showdown fehlen, bei dem Mörder und Opfer sich schließlich gegenüberstehen und um ihr Leben kämpfen. So lernt Rowan am Ende ihren Widersacher kennen, obwohl sie zu dem Zeitpunkt längst wusste, wer sie erwarten würde. Das Buchende wirkt ein wenig abgedroschen und war irgendwo auch absehbar, aber das mag man Brennan vielleicht verzeihen, denn es war ein Buchende wie jedes andere. Hier ist kein Knaller, keine große Wendung mehr zu erwarten, sie schildert lediglich überwiegend stimmig ihre Geschichte zu Ende. Mich persönlich konnte das Ende zwar nicht vom Hocker reißen, doch angesichts des gelungenen Spannungsaufbaus und der kurzweiligen und packenden Erzählung möchte ich der Autorin den einen oder anderen kreativen Hänger verzeihen.

„Leichte Beute“ ist ein Thriller, der einen von der ersten Seite an packt und nicht mehr loslässt, bis man das Buch endlich durchgelesen hat und an die Seite legen kann. Allison Brennan schlägt ein unglaubliches Tempo an und schafft es dennoch, nebenbei ihre Protagonisten vorzustellen. Brennan schafft es immer wieder genau im richtigen Moment, neue Informationen einzustreuen, die den Leser der Lösung des Falles ein winziges Stückchen näher bringen und die Spannung noch weiter steigern. Die Geschichte ist mysteriös, faszinierend und wahnsinnig spannend. Und auch wenn „Leichte Beute“ vielleicht nicht der ganz große Wurf ist, so unterhält der Psychothriller ausgesprochen gut.

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Remes, Ilkka – Blutglocke

Der finnische Bestsellerautor Ilkka Remes hat sich mit seinen rasanten Thrillern einen Namen als Meister der Spannung gemacht, sodass auch sein aktuelles Werk „Blutglocke“ von seinen Fans heiß erwartet wurde. Schauen wir uns an, ob sich das sehnsüchtige Warten denn auch gelohnt hat.

_Kling, Glöckchen, kling_

Zu Beginn des Buches werden wir Zeuge, wie der sechzehnjährige Sohn des deutschen Innenministers Klein beim Baden entführt wird. Schnell schaltet Remes zur finnischen Kommissarin Johanna Vahtera, der beim Zahnarzt gerade eine kleinere Tortur bevorsteht, vor der sie ein wichtiger Anruf allerdings vorerst rettet. Vahtera wird als Profilerin nämlich hinzugerufen, als die Entführung Sebastian Kleins bekannt wird. Doch die Entführer locken den Innenminister ohne polizeiliche Unterstützung zum vereinbarten Übergabeort. Dort lassen sie den Sohn fast unverletzt zurück, doch der Vater hat es nicht so gut getroffen: Klein ist nicht nur ermordet, sondern ausgeblutet worden. Was um Himmels Willen will der Mörder mit Kleins Blut, fragt sich nicht nur Vahtera, doch dauert es noch lange, bis sie des Rätsels Lösung finden wird.

Der Leser hat es hier besser, denn er lernt den Strippenzieher hinter der Entführung schnell kennen. Dabei handelt es sich um Rem Granow, der jüngst seine Mutter verloren hat und dessen Vater – ein berühmt-berüchtigter russischer Mafiaboss – nun ebenfalls im Sterben liegt. Er möchte eine Blutglocke anfertigen, also eine Glocke, in die Kleins Blut eingearbeitet ist, um sie zur Beerdigung seiner Mutter besonders hell erklingen zu lassen. Doch das ist nicht Granows einziger Plan, denn seine ausgefeilte Racheaktion ist bereits angelaufen. Bei einer Polizeiaktion, angeordnet vom deutschen Innenminister Klein, die eigentlich Rems Vater treffen sollte, stirbt durch einen dummen Zufall Rems Mutter. Rem sinnt auf blutige Rache, die die ganze deutsche Politikerriege treffen soll.

Dazu heuert er die unterschiedlichsten Handlanger an, die ihn mit Bakterienstämmen und diversem technischen Material versorgen, die für Rems teuflischen Plan gebraucht werden. Auch der deutsche Umweltminister Beck spielt eine tragende Rolle in Rems Plan, denn er ist es, der künftiger Bundeskanzler werden soll, wenn der bisherige Rems Anschlag zum Opfer gefallen ist. Johanna Vahtera kommt früh auf Rems Spur, doch traut sie zeitweise ihrer eigenen Intuition nicht und lässt sich von einigen Internetbekanntschaften ablenken, die nicht immer das sind, was sie zu sein vorgeben …

_Wie Bauern auf einem Schachbrett_

Ilkka Remes‘ Plot in „Blutglocke“ ist vielschichtig und spaltet sich in zahlreiche Handlungsfäden auf, in denen wir die beteiligten Personen (mehr oder weniger) kennen lernen. Rem Gramows Vorhaben ist dermaßen ausgefeilt, dass er unzählige Helfer benötigt, um seine Pläne in die Tat umzusetzen. Lange braucht es, damit wir überhaupt erahnen können, was Rem beabsichtigt und welche Rolle den einzelnen Figuren dabei zufällt. Kaum bilden wir uns ein, nun alle wichtigen Personen zu kennen, bringt Remes weitere (Schach-)figuren auf sein literarisches Spielbrett, die oftmals unwissend Teil von Rem Gramows Plan werden, was sie meistens mit dem Leben bezahlen müssen. Denn eins ist klar: Gramow geht rücksichtslos über Leichen und tut alles, um seine Eltern zu rächen, die seiner Meinung nach dem deutschen Innenminister zum Opfer gefallen sind.

Aufgrund der zahlreichen Figuren lässt die Charakterzeichnung leider an manchen Stellen zu wünschen übrig. Nur wenige Charaktere sind es, die Profil erhalten und uns im Gedächtnis bleiben werden. Zum einen wäre das auf jeden Fall Johanna Vahtera, die von Anfang an daran glaubt, dass Rem Gramow hinter der Ermordung des deutschen Innenministers steckt. Doch sie ist unsicher, weil sie keine Beweise findet, die ihr Gefühl untermauern könnten. Und wenn sie ehrlich ist, so spricht objektiv gesehen vieles gegen Gramow. Auch privat ist Vahtera nicht gerade vom Glück verfolgt; mit Männern hat sie einfach kein Glück und auch ihre Internetbekanntschaften sind nicht mehr als ein verzweifelter Hoffnungsschimmer für ihre einsamen Abende und Wochenenden. Unverhofft taucht jedoch ihr Exfreund Craig wieder in ihrem Leben auf, der inzwischen allerdings mit einer neuen Frau zusammenlebt. Doch scheint Johanna vielleicht trotzdem eine zweite Chance zu bekommen.

Eine weitere Hauptfigur ist sicherlich Rem Gramow selbst, der erst kaltblütig den Innenminister ermordet hat und nun weitere Morde plant, die wohl noch schwerer wiegen dürften, denn eines seiner Opfer soll der Bundeskanzler werden. Gramow ist auf der einen Seite eine tragische Figur, hat er doch gerade beide Elternteile kurz hintereinander verloren, auf der anderen Seite kann er aufgrund seiner Kaltblütigkeit trotzdem keine Sympathiepunkte sammeln, obwohl wir einen größeren Teil der Handlung an seiner Seite verbringen.

Anders ist es bei Nick Boyd, der sich einen Namen als Werbefilmregisseur gemacht hat und nun in die Geschichte hineinstolpert, weil er für Gramows Propaganda benötigt wird. Zunächst läuft Boyd unwissend in sein Unglück, doch bald beginnt er zu ahnen, dass nicht nur sein Leben in Gefahr ist, sondern auch das seiner Frau und seiner Tochter. Verzweifelt versucht Boyd im weiteren Verlauf der Geschichte, sich und seine Familie zu retten, doch leider wurde er in ein kleines Dörfchen in Russland verschleppt, wo niemand seine Sprache spricht. Die Zeichen stehen also schlecht für ihn.

Dies sind zwar noch lange nicht alle wichtigen Figuren, aber doch alle, die uns Ilkka Remes etwas näher vorstellt. Die meisten anderen auftauchenden Personen werden zu Randfiguren degradiert, auch wenn sie in Gramows teuflischem Plan eine entscheidende Rolle spielen. Viele Menschen müssen dabei ihr Leben lassen, doch da Remes kaum Zeit darauf verwendet, seine Figuren alle entsprechend vorzustellen, war es mir irgendwann auch ziemlich gleichgültig, wenn mal wieder eine seiner Schachfiguren zum Bauernopfer wurde. Trauer habe ich keine empfunden, da man im Verlauf der Lektüre höchstens zu Johanna Vahtera und Nick Boyd eine „Beziehung“ aufbauen kann.

_Ausgefranst_

Die vielen einzelnen Handlungsstränge führen zwar dazu, dass Ilkka Remes‘ Erzählung ein hohes Tempo aufnimmt, doch leider ist es schwierig, sich in dem Gewühl verschiedener Schauplätze und in der Masse von Menschen zurechtzufinden. Ich hatte teilweise tatsächlich Probleme, Namen und Biografien richtig zuzuordnen, und musste mich auch dabei ertappen, dass ich überrascht war, eine Person in Deutschland anzutreffen, obwohl ich sie in der Geschichte eigentlich in Russland vermutet hatte. Denn Ilkka Remes begnügt sich nicht damit, seinen Thriller klassisch in seiner Heimat Finnland spielen zu lassen. Von dort „flüchtet“ bald sogar Johanna Vahtera, um den Ereignissen näherzukommen. Die Hauptgeschichte spielt in Deutschland, und zwar genauer in Berlin und Umgebung, doch die Hintergründe sind fast sämtlich in Russland zu suchen. So reisen wir gemeinsam mit den handelnden Personen kreuz und quer durch die Gegend, sodass es fast schon verständlich ist, dass man zwischendurch den Überblick verlieren kann.

Ilkka Remes‘ vorliegender Thriller ist leider schwer durchschaubar; es ist nicht nur schwierig, alle Figuren richtig zuzuordnen, sondern auch deren Handlungen und Funktion im Gesamtgeschehen. Erst spät erhalten wir so viele Erklärungen, dass wir in etwa abschätzen können, was Rem Gramow ausgeheckt hat. Doch sein Racheplan ist so verworren, dass er nicht all sein Gräuel entfachen konnte, weil die Lektüre den Leser zu sehr verwirrt, um wirklich schockiert sein zu können. Ein roter Faden hätte der Handlung sicher sehr gut getan und vielleicht hätte auch die Hälfte der Handlungsfäden ausgereicht. Manchmal habe ich mich gefühlt wie in einem Labyrinth, aus dem nur schwer herauszufinden ist und bei dem auch nicht klar ist, was einen am Ausgang erwarten wird. Zudem kamen mir einige der Handlungsstränge völlig überflüssig vor, da sie weder für Gramows Rache notwendig erschienen noch die Geschichte vorangebracht haben.

Kiefer Sutherland und Jon Cassar hätten aus der verworrenen Story vielleicht eine spannende Staffel [„24“ 3118 gestalten können, aber diese wäre auch getragen gewesen von einem überragenden Kiefer Sutherland, für den alleine man immer wieder einschalten würde. Doch Remes hat leider keine Helden wie Cassar, die auch einen völlig überkonstruierten Plot retten und über hanebüchene Wendungen hinwegtrösten können.

_Klingelingeling_

Am Ende war ich doch etwas enttäuscht von Ilkka Remes‘ neuestem Thriller, der meines Erachtens inhaltlich völlig überfrachtet war, sodass man schnell im Personen- und Handlungsgewirr unterzugehen droht. Zu viele Figuren treten auf den Plan, als dass Remes Zeit gehabt hätte, sie alle entsprechend zu würdigen, aber auch viele Szenen kamen mir so überflüssig vor, dass ich mir wünschte, Remes hätte sich mehr auf das Wesentliche konzentriert. „Blutglocke“ ist sicherlich kein absoluter Fehlgriff gewesen, die Geschichte hatte durchaus ihren Reiz und entwickelte eine gewisse Spannung, aber Remes hat viel Potenzial verspielt, das dieser Virenthriller mit politischem Hintergrund in sich hat. Ich hatte den Eindruck, dass Remes zu viel wollte und jede seiner (Schnaps-)Ideen Einzug in das Buch gefunden hat. Der Killer hätte sicherlich nicht einen Privatjet mit Sauna fliegen müssen, Vahtera hätte auch nicht unbedingt den Clarice-Starling-Touch benötigt und auch das ziemlich überzogene Ende war vielleicht doch etwas zu viel des Guten.

Insgesamt ist „Blutglocke“ eher etwas für Leser, die sich gerne durch einen Wust an Handlungssträngen kämpfen und bereit sind, sich mindestens zwei Dutzend fremdländische Namen zu merken, auch wenn die Personen keine wirklich tragende Rolle spielen. So bleibt zu hoffen, dass Ilkka Remes mit diesem Buch seine Durststrecke überwunden hat und mit dem nächsten Thriller wieder mehr zu überzeugen weiß.

|Siehe ergänzend dazu auch:|

[„Ewige Nacht“ 2039
[„Das Hiroshima-Tor“ 2619

http://www.ilkka-remes.de/
http://www.dtv.de

Veloso, Ana – Duft der Kaffeeblüte, Der

|“Vom Winde verweht mit brasilianischem Feuer“|, so preist das Buchcover Ana Velosos Erstlingsroman an und hängt die Messlatte für Freunde „historischer Schmöker mit Liebesgeschichte inklusive“ sehr hoch, doch so viel sei vorweggenommen: Dieses kurze Zitat verspricht nicht zu viel, denn wer Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ geliebt hat und vielleicht noch ein Fan von „Fackeln im Sturm“ ist, der ist bei Ana Veloso sehr gut aufgehoben.

Die siebzehnjährige Vitória da Silva lebt auf der blühenden Kaffeeplantage Boavista zusammen mit ihrem älteren Bruder Pedro und ihren Eltern. Vita liebt das Leben und wird von ihm geliebt, an jedem Finger hat die hübsche junge Dame einen Verehrer, aber keiner konnte bislang ihr Herz erobern, doch das soll sich ändern, als ihr Bruder mit drei seiner Freunde zu Besuch auf die Plantage kommt. Eines Nachmittags taucht an der Tür der Plantage ein verwahrloster Mann auf, dem Vita kurzerhand die Tür vor der Nase zuknallt, weil er sich erdreistet hat, an der Vordertür statt am Dienstboteneingang zu klingeln. Zu Vitas Schande stellt sich hinterher allerdings heraus, dass sie damit Pedros Freund León Castro des Hauses verwiesen hat, der abends geschniegelt und gestriegelt auftaucht und sich als der berühmte Journalist und Abolitionist vorstellt.

Von Anfang an knistert es zwischen Vita und León, der sie immer wieder mit diesem Missverständnis aufzieht und sich als ihr persönlicher Sklave gibt. Als Vita daher einige Zeit später eine Einladung von León zu einer Theaterpremiere in Rio de Janeiro erhält, setzt sie alle Hebel in Bewegung, um tatsächlich nach Rio reisen zu können, doch leider bekommen ihre Eltern spitz, was Vita plant, und verpassen ihr Hausarrest. Doch das wird Vita und León nicht trennen können. Als Vitas Bruder Pedro und seine Angebetete Joanna nämlich ihre Verlobung auf Boavista feiern, ist auch León eingeladen, der Vita ebenso verfallen ist wie sie ihm.

Als sie bei einem nächtlichen Treffen von einem Unwetter überrascht werden, flüchten sie sich in eine Hütte und erleben dort ihre erste gemeinsame Liebesnacht, die Vita allerdings ungewollt ein „Geschenk“ hinterlässt, sie wird nämlich schwanger. In einem Brief setzt sie León von der Schwangerschaft in Kenntnis, doch dieser unternimmt eine längere Reise und ist für Vita unerreichbar. Diese ist am Boden zerstört und tief verletzt, verzweifelt wägt sie ihre Alternativen ab. Soll sie das Kind abtreiben oder zur Adoption freigeben und anschließend ins Kloster gehen? Oder soll sie womöglich einen ihrer ungeliebten Verehrer heiraten? Keine der Alternativen erscheint ihr erträglich, doch als schließlich ein Brief Leóns eintrifft, erleichtert dieser ihr die schwere Entscheidung …

Ana Velosos Debütroman ist großes Kino; sie zeichnet eine exotische Welt im ausklingenden 19. Jahrhundert. Vita lebt ein glückliches Leben auf der florierenden Kaffeeplantage ihrer Eltern und genießt den Reichtum. Aufgrund der Krankheit ihrer Mutter muss Vita schon früh Verantwortung übernehmen, doch ihre starke Persönlichkeit erleichtert ihr diese Arbeit. Erst als León sich aus der Verantwortung stiehlt, wächst ihr alles über den Kopf. Wir erleben eine Welt in Brasilien, die noch dominiert ist von der Sklaverei, doch dann platzt der berühmte Sklavereigegner León Castro in das Leben der da Silvas und ist bei Vitas Eltern natürlich kein gern gesehener Gast. Als eines Tages der stumme Félix von Boavista verschwindet, ahnt noch niemand, dass León ihm zur Flucht verholfen hat und Félix nun auf seiner Plantage arbeitet und dort lesen und schreiben lernt.

Zu der Zeit, in der die Geschichte beginnt, bricht das System in Brasilien zusammen, die Sklaverei steht kurz vor der Abschaffung und auch die Monarchie ist deutlich marode geworden. All diese Umwälzungen erleben wir hautnah mit, auch den Tag, als die Sklaven plötzlich befreit sind und ihre Plantagen verlassen, um ihr Glück in der Stadt zu suchen. Die vormals reichen Plantagenbesitzer stehen vor dem Nichts und müssen nun ihren eigenen Haushalt führen und die Plantagen verfallen lassen, da sie niemanden haben, der den Kaffee ernten kann. Doch Vita hat vorgesorgt; sie lebt bereits als reiche Frau in Rio, die ihr Geld in andere Industriezweige investiert und gut angelegt hat, was ihr so viel Wohlstand beschert hat, dass sie ihre ganze Familie damit weiter versorgen kann.

Vor diesem dramatischen Hintergrund erzählt Ana Veloso die Geschichte der Vita, die in der Tat viele Charakterzüge einer Scarlett O’Hara trägt. Natürlich ist sie das schönste Mädchen weit und breit, das sich vor Verehrern kaum retten kann, aber ihr Herz verschenkt sie dann an einen Rebellen, mit dem ihre Eltern nicht einverstanden sind. Genau wie Rhett und Scarlett zwischen Liebe und Hass schwanken, ist auch die Beziehung von Vita und León von großer Leidenschaft, aber auch viel Leid und Schmerz geprägt, da sie einfach nicht zueinander finden wollen.

Zu Beginn schafft es Ana Veloso überzeugend, die magische Anziehungskraft zwischen Vita und León zu beschreiben, von der ersten Begegnung an knistert es zwischen den beiden, und dem erfahrenen „Historienschmöker-Leser“ ist natürlich sofort klar, dass sich zwischen ihnen eine leidenschaftliche und dramatische Affäre entwickeln wird. Als Vita dann aber schwanger wird und León durch die Lande reist, anstatt sich um seinen entstehenden Nachwuchs zu kümmern, kommt es zum Bruch zwischen den beiden. Vita schickt León einen Hilferuf, auf den León gar nicht reagiert.

Als sie sich einige Zeit später wiedersehen, erfährt Vita, dass León von ihrer Schwangerschaft nichts gewusst hat. Doch anstatt das Missverständnis aufzuklären, eiern die beiden ziellos umeinander und verletzen sich fortan bewusst gegenseitig. Mir ist Vitas Verhalten ehrlich gesagt nicht ganz klar geworden. Sie hätte eventuell die Möglichkeit gehabt, ihre Beziehung zu León zu retten, aber sie macht es nicht. Hier konnte Ana Veloso das Handeln ihrer beiden Hauptfiguren leider nicht ganz glaubwürdig schildern. In punkto Charakterzeichnung überzeugt Ana Veloso nicht auf ganzer Linie, denn auch Vitas Bruder Pedro zeigt teilweise merkwürdige Anwandlungen, die nicht immer schlüssig erscheinen. Aber vor dem exotischen Hintergrund und vor allem der spannenden historischen Rahmenhandlung mag man das Veloso durchaus verzeihen.

Während sich Ana Veloso zu Beginn des Buches noch auf die Familie da Silva konzentriert und sich die gesamte Handlung auf Boavista abspielt, spaltet sich die Erzählung im weiteren Verlauf der Geschichte in mehrere Handlungsstränge auf. So begleiten wir den stummen Félix auf seiner Flucht vor der Sklaverei, die er ohne Leóns Hilfe nie geschafft hätte. Dank León erhält Félix Arbeit und kann das Schreiben erlernen, sodass er sich mithilfe einer Tafel schließlich auch verständigen kann. Die Geschichte um Félix, der es schafft, in Rio sein eigenes Leben zu führen, nimmt später viel Raum ein und fügt sich stimmig in das Buch ein, was aber erst sehr spät klar wird, wenn uns Ana Veloso gen Ende mit einigen erschütternden Details füttert. Auch von Pedro und seiner Frau Joana werden wir viel zu lesen bekommen, sodass wir uns manchmal über weite Strecken des Buches von Vita trennen müssen. Genau das hat mich aber immer wieder zum Weiterlesen verleitet, weil ich natürlich wissen wollte, wie es mit den beiden Hauptfiguren weitergeht. Ohne den bunten Strauß an Nebenhandlungen hätte „Der Duft der Kaffeeblüte“ mit Sicherheit nicht sein volles Aroma entfaltet und kein solches Tempo entwickelt.

Am Ende bleibt ein sehr positiver Eindruck zurück. Ana Veloso versetzt ihre Leser in das 19. Jahrhundert und nimmt uns mit nach Brasilien auf eine florierende Kaffeeplantage, die schließlich aber verfällt, als die Sklaven befreit werden und niemand mehr den Kaffee ernten kann. Vor diesem spannenden Hintergrund zeichnet sie eine tragische und bewegende Familien- und Liebesgeschichte, die einen einfach gefangen nehmen und hinreißen muss. Wer schon „Vom Winde verweht“ verschlungen hat, wird auch dieses Buch lieben!

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Vlugt, Simone van der – Schattenschwester

Mit ihrem Roman [„Klassentreffen“ 3850 stürmt die niederländische Autorin Simone van der Vlugt zurzeit die Bestsellerlisten, doch auch ihr zweiter Thriller „Schattenschwester“ steht dem in Spannung und Dramatik nichts nach …

Marjolein arbeitet als Lehrerin an einer Gesamtschule und ist mit ihrem Job überglücklich, jedenfalls bis zu dem Tag, an dem ihr Problemschüler Bilal sie mit einem Messer bedroht und Marjolein in Angst aus dem Klassenzimmer flüchtet. Dieser Tag ist es, der ihr restliches Leben (das nicht mehr allzu lange andauern wird) verändern wird.

Von ihrem Schuldirektor Jan van Osnabrugge bekommt Marjolein wenig Unterstützung, da die Schülerzahlen konstant zurückgehen und Jan fürchtet, dass noch mehr Lehrer entlassen werden müssen, wenn die Schule nun auch noch für negative Schlagzeilen sorgt. Aber auch Marjoleins Mann Raoul zeigt wenig Verständnis, denn Marjolein verfügt über genügend Geld, um ihren Job aufgeben zu können, Raoul kann also nicht verstehen, wieso sie ihr Leben aufs Spiel setzt, zumal die beiden eine 6-jährige Tochter haben.

Einzig zu ihrer Zwillingsschwester Marlieke kann sich Marjolein jederzeit flüchten, um sich bei ihr auszuweinen und um Rat zu fragen. Marlieke und Marjolein sehen sich zwar unglaublich ähnlich, doch vom Typ her könnten sie kaum unterschiedlicher sein. Marlieke ist die ruhige und zurückhaltende Schwester, die sich gerne in bequeme Sachen und Armeehosen kleidet, während Marjolein offensiv auf die Menschen zugeht und mit ihren Reizen nicht geizt. Doch mit ihrer forschen Art macht sie sich offensichtlich auch Feinde, denn nach dem Vorfall mit Bilal ist es noch nicht getan: Kurz darauf wird Marjoleins Auto zerkratzt und mit dem Schriftzug „Hure“ verschandelt, aber auch eine Morddrohung lässt nicht lange auf sich warten. Während Marjolein immer verzweifelter wird, traut sie sich immer noch nicht, die Vorfälle zur Anzeige zu bringen, da sie Angst davor hat, Bilal dadurch erst recht gegen sich aufzubringen.

Simone van der Vlugts Geschichte teilt sich in zwei Handlungsstränge auf; der eine ist aus Marjoleins Sicht erzählt und handelt von den Bedrohungen, die Marjolein zu ertragen hat. Und während sie wenig Verständnis erhält und sich zudem Sorgen um die Treue ihres Ehemannes machen muss, ahnt sie nicht, dass sie bald ermordet werden wird. Der zweite Handlungsfaden schildert die Ereignisse nach Marjoleins Mord aus Sicht ihrer Zwillingsschwester.

Diese beiden Handlungsebenen führt Simone van der Vlugt parallel weiter. Während Marjoleins Panik also immer mehr zunimmt und sie beginnt, Gespenster zu sehen, ist Marlieke in Trauer um ihre ermordete Schwester und begibt sich auf Spurensuche, um den Mörder auf eigene Faust dingfest zu machen. Der Leser weiß dabei allerdings noch nicht, wie weit die Ereignisse um Marlieke in der Zukunft liegen und wie viel Zeit Marjolein also noch bleibt. Durch den ständigen Wechsel der Perspektive und der Zeit baut die Autorin unglaublich viel Spannung auf, die uns an das Buch fesselt, bis wir es schließlich spätabends oder auch mitten in der Nacht schließlich durchgelesen haben und wissen, was mit Marjolein geschehen ist.

Besonders die Handlungsebene, die aus Marliekes Sicht geschildert ist und in welcher der Leser schon weiß, dass Marjolein sich einen Todfeind gemacht haben muss, birgt viel Spannung. Hier lernen wir Marjolein aus einer ganz anderen Perspektive kennen, denn obwohl sie uns in ihren eigenen Passagen sehr sympathisch erscheint, müssen wir hier erkennen, dass sie nicht die freundliche und perfekte Frau ist, die sie gerne sein möchte. Selbst ihre Zwillingsschwester Marlieke ertappt sich dabei, dass sie sich ohne ihre einnehmende Schwester viel freier fühlen kann. Hinzu kommt ihre heimliche Liebe zu Raoul, die sie bislang immer verbergen musste, damit niemand merkt, dass sie sich in den Mann ihrer eigenen Schwester verliebt hat.

In diesen Passagen lernen wir auch Marliekes beste Freunde kennen, nämlich Sylvie und Thomas, die Marlieke eine große Stütze sind in ihrer Trauer. Thomas ist unsterblich verliebt in Marlieke und weiß doch, dass sie nicht das Gleiche für ihn empfindet. Allerdings ahnt er noch nicht, dass er einen Nebenbuhler hat, mit dem er es einfach nicht aufnehmen kann. So erscheint es uns ganz selbstverständlich, als Sylvie und Thomas schließlich ein Paar werden, denn die schöne Sylvie ist schon lange hinter Thomas her.

Doch obwohl Marlieke selbst nicht mehr sein möchte als Thomas‘ gute Freundin, wird sie plötzlich eifersüchtig und fühlt sich ausgeschlossen, als ihre beiden Freunde sich näher kommen. Ablenkung sucht Marlieke in ihrer Arbeit als Fotografin und in der Suche nach dem Mörder ihrer Schwester. Sie kann es immer noch nicht glauben, dass Bilal unschuldig sein soll, auch wenn die Polizei sein Alibi überprüft und ihn wieder frei gelassen hat. Als sie sich jedoch alleine auf die Suche nach Bilal macht, begibt sie sich in große Gefahr.

Die Charakterzeichnung ist Simone van der Vlugt über weite Strecken sehr gut gelungen. Wir lernen die handelnden Figuren immer besser kennen und erfahren dabei ganz nebenbei, dass es neben Bilal doch noch Menschen gegeben hat, die Marjolein nach dem Leben hätten trachten können. Auch Raoul hat etwas zu verbergen; eine gute Freundin von Marjolein hat ihn nämlich mit einer schönen Frau gesehen, als er sich eigentlich mit einem Kunden treffen wollte, um ein wichtiges Geschäft abzuschließen. Aber Marjolein selbst wird nie mehr erfahren, ob ihr Mann sie wirklich betrogen hat.

Kleine Abzüge in der B-Note fängt sich die Autorin in der Zeichnung von Marjoleins Charakter ein, denn diese Hauptfigur können wir nicht ganz durchdringen. Manchmal handelt sie so irrational, dass man sie gerne schütteln und auf den Boden der Tatsachen zurückbringen möchte. In vielen Situationen drängt sie sich so weit in den Vordergrund, dass kaum noch schlüssig begründet werden kann, warum sie bislang so viele Freunde und einen liebenden Ehemann gehabt haben kann.

Was der Autorin allerdings wieder erstklassig gelingt, ist der Aufbau ihres Spannungsbogens. Zunächst beginnt ihr Roman noch relativ harmlos; zwar wird Marjolein an der Schule mit einem Messer bedroht und ängstigt sich fortan vor ihren eigenen Schülern, doch erst als die Perspektive zu Marlieke wechselt und wir uns auf Marjoleins Begräbnis wiederfinden, nimmt die Geschichte richtig Fahrt auf. Zusammen mit Marlieke möchten wir unbedingt herausfinden, was Marjolein wirklich geschehen ist; allerdings ahnt der Leser natürlich von Beginn an, dass nicht Bilal hinter der Tat steckt, denn diese Auflösung wäre einfach zu simpel.

Ausgesprochen geschickt flicht Simone van der Vlugt immer neue Verdachtsmomente in ihre Geschichte ein, sodass wir am Ende gar nicht mehr wissen, wen wir eigentlich verdächtigen sollen. Wie schon in ihrem Bestseller „Klassentreffen“ gehen die Verdächtigungen hin und her, und am Ende überrascht uns die Autorin schließlich doch mit einer Auflösung, die man nicht erwartet hat. Im Gegensatz zu ihrem durchweg überzeugenden Thriller „Klassentreffen“ schafft es Simone van der Vlugt aber nicht, ihre Auflösung so stimmig zu gestalten, dass man ihr Buch vollends befriedigt zuschlagen könnte. Am Ende war ich doch ein wenig enttäuscht, auch wenn ich zugeben muss, dass ich den wahren Täter nicht im Visier hatte. Doch das Tatmotiv erscheint mir persönlich etwas zu weit hergeholt.

Die Romanhandlung ist in über sechzig kurze Kapitel unterteilt, sodass man kaum Luft holen kann und die Schreibe entsprechend knackig ist. „Klassentreffen“ war zwar nicht minder spannend, doch hat sich Simone van der Vlugt dort mehr Zeit genommen, um Atmosphäre aufzubauen und die Situation besser auszugestalten, um den Leser richtig mitzureißen. Etwas eintönig erschien mir der Schreibstil der Autorin; viele Sätze beginnen mit „es“ und wirken dadurch lieblos aufs Papier geworfen. Möglicherweise liegt das auch an der Übersetzung, das kann ich nicht beurteilen, ein schriftstellerisches Highlight ist „Schattenschwester“ aber sicherlich nicht.

Doch unter dem Strich ist auch „Schattenschwester“ ein sehr spannender und gut konstruierter Psychothriller, der ein unglaubliches Tempo anschlägt und seine Leser geschickt an der Nase herumführt. Nur Kleinigkeiten sind es, die den Gesamteindruck trüben. So hat Simone van der Vlugt in mir eine neue Stammleserin gefunden, die schon jetzt dem nächsten Thriller von ihr entgegenfiebert.

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Vlugt, Simone van der – Klassentreffen

Klassentreffen – das sind die alljährlich wiederkehrenden Events, die ein Teil des Abschlussjahrgangs hasst und bei solchen Veranstaltungen ohnehin nicht auftaucht und die der andere Teil des Jahrgangs liebt, weil er dann wieder in seliger Erinnerung an die ach-so-schöne Schulzeit schwelgen kann. Bei Simone van der Vlugts Roman“heldin“ Sabine hat das anstehende Klassentreffen allerdings noch ganz andere Konsequenzen: Unangenehme Erinnerungen tauchen wieder auf, die Sabine eigentlich vergessen wollte und die sie nun aber gar nicht mehr loslassen wollen …

Sabine leidet an einer der bekanntesten modernen Volkskrankheiten, nämlich dem Burn-Out-Syndrom. Eigentlich hat ihr die Arbeit als Sekretärin bei der BANK in Amsterdam immer sehr gut gefallen, doch irgendwann ist ihr alles über den Kopf gewachsen. Nach einer längeren Auszeit und therapeutischen Behandlung lernen wir Sabine kennen, als sie wieder arbeiten gehen möchte. Besser geht es ihr allerdings noch nicht, doch weil selbst ihre Therapeutin nicht bis zum Grund ihres Problems vordringen kann, quält Sabine sich kurzerhand wieder zurück zu ihrer Arbeit, wo sie allerdings feststellen muss, dass ihre beste Freundin Jeanine dort nicht mehr arbeitet und sie stattdessen neue Kolleginnen hat, die sie von Anfang an mobben. Besonders schlimm ist die neu eingesetzte Leiterin des Sekretariats, Renée, die Sabine an das Leben zur Hölle macht.

Einen Lichtblick gibt es bei der BANK für Sabine, und zwar Olaf aus der IT-Abteilung, in den die halbe weibliche Belegschaft verliebt ist, allen voran Renée, die mit ihren Flirtversuchen allerdings auf Granit beißt. Anders aber Sabine, die Olaf von früher kennt, weil dieser damals mit ihrem Bruder befreundet war. So kommen die beiden sich schnell näher und beginnen eine heiße Affäre, die Sabines eifersüchtige Kolleginnen mit immer schlimmeren Mobbing-Attacken quittieren.

Doch Sabine quälen noch ganz andere Dinge, nämlich das bevorstehende Klassentreffen in ihrer Heimat Den Helder, das Erinnerungen an ihre frühere Freundin Isabel weckt, die vor neun Jahren spurlos verschwunden ist. Sabine kann sich noch daran erinnern, dass sie am fraglichen Tag auf dem Heimweg mit dem Fahrrad hinter ihr fuhr, um an einer Kreuzung allerdings anders abzubiegen, um Isabel nicht zu begegnen. Das ist die letzte Erinnerung, die sie bewusst an Isabel hat, doch ganz allmählich tauchen ganz neue Bilder auf, die Sabine nicht recht einordnen kann. Daraufhin begibt sie sich nach Den Helder, um Spurensuche zu betreiben.

Der erste Weg führt sie zum Hausmeister der Schule, der inzwischen alt und wunderlich geworden ist und mit sechs Katzen zusammenlebt, die auffälligerweise die Namen von sechs Mädchen tragen, die vor einigen Jahren in Den Helder verschwunden sind. Ob dies etwas zu bedeuten hat? Und was versucht Sabine zu verdrängen? Weiß sie etwa, wer für Isabels Verschwinden verantwortlich ist und kennt sie womöglich den Täter? Fast dauert es zu lange, bis Sabine schließlich erkennt, was damals wirklich vorgefallen ist …

Simone van der Vlugt hat mit „Klassentreffen“ einen Roman vorgelegt, der sich zunächst schlecht in ein Genre einordnen lässt. Zwar vermutet man von Anfang an, dass sich hinter Isabels Verschwinden und Sabines wiederkehrenden Erinnerungen eine spannende und grausame Geschichte verbergen muss, doch bevor wir uns diesen Erinnerungen widmen, begleiten wir Sabine zunächst zu ihrer Arbeit und ihren gehässigen Kolleginnen. Dort erlebt Sabine die Hölle, die nur dadurch abgemildert wird, dass Frauenschwarm Olaf sich in sie verliebt und sich vom ersten Moment an an sie heranmacht. Sabine kann ihr Glück kaum fassen und lässt sich deswegen nicht mit ganzem Herzen auf die Affäre ein. Schon früh merkt sie zudem, dass sie Olaf gegenüber nicht die gleichen Gefühle entwickeln kann wie für Bart, ihren ersten und bislang einzigen Freund. Immer wieder denkt sie an Bart zurück und fragt sich, warum er sie nach Isabels Verschwinden links liegen gelassen hat und nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte.

Nur langsam legt Simone van der Vlugt Spuren aus, die uns Hinweise darauf geben, was vor neun Jahren am Tag von Isabels Verschwinden passiert sein mag. Sehr geschickt konstruiert die Autorin ihre Geschichte dabei so, dass immer neue Verdächtige auftauchen. Kaum meint man, den Täter entlarvt zu haben, kommt Sabine eine neue Erinnerung, die wieder alles über den Haufen wirft und einen neuen Verdächtigen aus dem Hut zaubert. Mein persönlicher Hauptverdächtiger wechselte daher praktisch von Kapitel zu Kapitel, ohne dass ich mich für einen hätte entscheiden können, denn die neuen Spuren und Erinnerungen schließen niemals jemanden aus, sodass sich der Kreis der Verdächtigen stets erweitert. Das gibt Simone van der Vlugt schließlich auch die Möglichkeit, ihrem Roman ein Ende zu verpassen, das sich gewaschen hat und ihre Leser in Erstaunen versetzt. Obwohl man die Wende vielleicht hätte absehen können, war ich mir bis zum Schluss nicht ganz sicher, wer für Isabels Verschwinden verantwortlich war, und konnte mich deswegen richtig überraschen lassen. Und obwohl der Autorin ein echtes Überraschungsmoment glückt, passt es sich wunderbar in die Geschichte ein und wirkt keineswegs aufgesetzt oder künstlich konstruiert. Durch die verschiedenen Fährten, die Simone van der Vlugt ausgelegt hat, ist die Wende absolut stimmig!

Auch die Charakterzeichnung ist Simone van der Vlugt hervorragend gelungen. Wir sind in jedem Moment bei Sabine und lernen sie daher von vielen verschiedenen Seiten kennen. Wir reisen mit ihr in die Vergangenheit, hören von ihrer Freundschaft zu Isabel, die sich im Laufe der Zeit sehr gewandelt hat, bis Isabel plötzlich zu Sabines Feindin geworden ist, von der sie permanent gepiesakt wurde. Doch das Mobbing setzt sich in der Gegenwart weiter fort, denn dort sind es Sabines Arbeitskolleginnen, die ihr das Leben schwer machen. Sabines Verzweiflung und ihre Ängste erleben wir in jedem Moment hautnah mit. Auch die Beziehung zu Olaf, die anfangs glücklich und perfekt scheint, bekommt schnell Risse und bewegt sich in eine ungeahnte Richtung. All diese Veränderungen und Sabines Gefühle beschreibt Simone van der Vlugt zu jedem Zeitpunkt glaubwürdig und nachvollziehbar.

„Klassentreffen“ ist ein höchst erfreulicher Roman, der sich deutlich vom Mittelmaß abhebt und sich durch gelungene Figurenzeichnung und einen geschickt inszenierten Spannungsbogen auszeichnet. Obwohl Simone van der Vlugt am Ende eine dicke Überraschung für ihre Leser parat hat, bereitet sie dieses Aha-Erlebnis so gut vor, dass es sich stimmig in die Geschichte einfügt. Der vorliegende Roman überzeugt auf ganzer Linie und macht neugierig auf weitere Werke der niederländischen Autorin!

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|Ergänzend dazu: [„Schattenschwester“ 3625 (März 2007)|

Kastner, Jörg – wahre Kreuz, Das

Viele Spekulationen und Mythen umranken die Person Jesu Christi und geben immer wieder Anlass zu Romanen, die ein neues Licht auf einige dieser Mutmaßungen werfen wollen. So wissen wir spätestens seit Dan Brown, was sich hinter dem berühmten Heiligen Gral verbergen soll, doch auch Jörg Kastner greift sich für sein aktuelles Werk „Das wahre Kreuz“ eine berühmte Reliquie, nämlich das Kreuz, an dem Jesus einst gekreuzigt worden sein soll, und zieht daran seinen Plot auf. So befasst sich Kastners neuer Thriller mit dem wahren Kreuz oder zumindest doch einem kleinen Splitter davon.

Zunächst versetzt uns Jörg Kastner in das ausklingende 18. Jahrhundert, in eine Zeit, in der Napoleon Teile Ägyptens erobert und sich in Kairo breitgemacht hat. Wir lernen den Zeichner Bastien Topart kennen, aus dessen Perspektive die gesamte Geschichte geschrieben ist. Bastien nämlich reist zusammen mit seinem Onkel Jean nach Kairo, um dort eine mysteriöse Ausgrabungsstätte zu finden. Als die beiden zusammen mit ihrem Gefolge und ihrem Führer Abul den geheimen Tempel betreten, finden sie dort eine verängstigte und überaus hübsche Frau vor, die zum Menschenopfer für eine Schar Kreuzritter werden soll. Schnell werden die Franzosen von den Kreuzrittern angegriffen, die zwar noch mit altmodischen Waffen kämpfen, die Franzosen aber dennoch fast besiegen können. Doch Bastien und seine Begleiter können die Unbekannte und sich selbst aus dem Tempel befreien. Schnell entdeckt Bastien seine Zuneigung zu der schönen Frau, die den treffenden Namen Ourida trägt – zu Deutsch: Rose -, aber die gegenüber ihren Rettern stumm bleibt.

Nach der unliebsamen Begegnung kehren die Franzosen nach Kairo zurück, um dort den verschwundenen Abul nach dem Tempel zu befragen. Als sie jedoch Abul aufsuchen, finden sie diesen ermordet vor, und Bastien wird fast selbst noch Opfer des Attentäters, kann diesen allerdings gerade noch rechtzeitig überwältigen. Anschließend stellt er fest, dass der Dolch des Mörders das gleiche Kreuzzeichen trägt wie die Gewänder der Ritter aus dem Tempel. Kurz darauf versuchen Unbekannte, Ourida aus Jeans Haus zu entführen. Wer hat bloß ein Interesse daran, Ourida zu entführen und wer verbirgt sich hinter den mysteriösen Kreuzrittern?

Als Bonaparte Wind von den Vorkommnissen bekommt, möchte er Ourida höchstpersönlich kennen lernen und lädt sie gemeinsam mit Jean und Bastien zu sich in den Palast ein. Bonaparte ist sofort fasziniert von der schönen Unbekannten und beauftragt Bastien, Ourida zum Sprechen zu bringen und sie in der französischen Sprache zu unterrichten. Während des Unterrichts kommen sich Bastien und Ourida schnell näher und es bedarf nur einer Berührung, um Bastien in eine längst vergessene Zeit zu versetzen, in der er in den Kreuzzügen gekämpft und das wahre Kreuz bewahrt hat. Schon damals war er mit Ourida zusammen, doch was hat er gemeinsam mit dem Tempelritter Roland de Giraud?

Zu schnell erfährt Napoleons Plan eine Änderung; er holt Ourida zu sich in den Palast und schickt Bastien zurück in die Wüste, um das Geheimnis des Tempels zu ergründen. Dort angekommen, entdeckt Bastien schon bald eine im Tempel versteckte Bibliothek voller Bücher, die in unbekannten Schriftzeichen verfasst sind. Als Bastien nach Kairo zurückkehren will, um einen Experten zu holen, der die Schriftzeichen entschlüsseln kann, gerät er mit seiner Gefolgschaft in einen tödlichen Wüstensturm, in welchem die Franzosen von den Kreuzrittern angegriffen und besiegt werden. Nur Bastien wird wie durch ein Wunder von einem Beduinenstamm gerettet, welcher Bastien eine wahrlich sonderbare Geschichte erzählt, die ihn erneut zurück in die Zeit der Kreuzzüge versetzt, in der das Geheimnis um das wahre Kreuz verborgen liegt …

Jörg Kastner erzählt eine Geschichte, die in zwei verschiedenen Zeiten spielt. Zunächst werden wir in das ausklingende 18. Jahrhundert versetzt und begeben uns nach Ägypten, wo wir zwei der Schlüsselfiguren kennen lernen, nämlich Bastien und Ourida. Die beiden verbindet von Anfang an eine unwiderstehliche Anziehungskraft, die aber weit in die Vergangenheit zurückreicht. Als Ourida Bastien nämlich berührt, erinnert er sich wie in Trance daran, wie er als Tempelritter Roland in den Kreuzzügen auf der Seite des Königs Guido von Lusignon von Jerusalem gekämpft hat. Dieser wiederum war in Besitz des wahren Kreuzes, das seinen Kreuzrittern auch in den ausweglosesten Situationen immer wieder Mut gemacht und neue Hoffnung gegeben hat. Als das islamische Heer unter Führung von Saladin allerdings kurz vor dem Sieg steht, lässt Guido den Holzsplitter aus dem wahren Kreuz in Sicherheit bringen. Roland de Giraud ist einer der Tempelritter, denen das Kreuz anvertraut wird. Auf der gefährlichen Reise zurück nach Jerusalem treffen die Tempelritter schließlich auch auf die „damalige Ourida“ und ihr Volk. Diese Begegnung wird nicht nur das Schicksal Rolands für immer entscheidend verändern, sondern auch die Zukunft des wahren Kreuzes.

Natürlich vergisst Kastner auch nicht, in beide Geschichten, also in beide Zeiten, die erwartete Liebesgeschichte einzubauen. So verlieben sich Ourida und Roland im späten 12. Jahrhundert, deren Liebe wieder aufblüht, als sie sich fast 600 Jahre später in neuen Körpern wiedertreffen. Anders als mit Seelenwanderung ist diese Merkwürdigkeit wohl nicht zu erklären. Und hier beginnt auch schon die Abstrusität des Romans, denn man muss sich auf diese gedanklichen Zeitreisen in eine längst vergessene Vergangenheit schon einlassen, um sich mit dem Roman anfreunden zu können. Bastien stellt fest, dass er als Roland de Giraud bereits einmal gelebt hat und diese Zeit nun wieder rekonstruieren kann. Ich persönlich fand diese Zeitsprünge in der präsentierten Form ehrlich gesagt ziemlich merkwürdig und konnte mich nicht so recht mit dieser Entwicklung anfreunden, aber manch einem mag das gefallen.

Auch die Geschichte, die Kastner zu erzählen hat, fand ich nicht sonderlich innovativ. Langsam sollte es eigentlich genügend Romane geben, die sich Tempelritterthemen, heiligen Reliquien oder der Figur Jesu widmen. Wenn „das wahre Kreuz“ wenigstens spannend gewesen wäre, hätte man Kastner diesen aufgewärmten Plot noch verzeihen mögen, doch leider lässt das vorliegende Buch einen Spannungsbogen vermissen. Zu Beginn ist ziemlich unklar, worum es eigentlich gehen soll. Lange braucht Kastner, um zum Kern der Geschichte vorzudringen und das Geheimnis des wahren Kreuzes zu präsentieren. Unterdessen erleben wir die aufgefrischte Liebe zwischen Bastien und Ourida mit, erfahren, unter welchen Bedingungen die Ägypter unter Bonapartes Fuchtel zu leben hatten und lernen alle möglichen Figuren kennen, die im weiteren Verlauf der Geschichte leider kaum eine Rolle spielen. So schmückt Kastner seinen Roman mit allerlei Beiwerk aus, das kaum notwendig ist. Hinzu kommt der eher nüchterne Schreibstil, der an einen Reisebericht erinnern mag und wohl auch einer sein soll. Bastien schreibt uns seine unglaubliche Geschichte auf, vermag uns damit aber nicht so recht mitzureißen. Die Handlung lässt den Leser ziemlich kalt und entführt so rein gar nicht in die geheimnisvolle Vergangenheit, in der ein Beduinenvolk gegen die Kreuzritter kämpft.

Zugute halten muss man Jörg Kastner allerdings, dass er die verschiedenen Handlungsfäden am Ende sinnvoll zusammenführt; irgendwo ergibt alles seinen Sinn und ist auch gut durchkonstruiert; selbst die Zeitsprünge und die doppelte Identität Bastiens/Rolands ergeben schließlich Sinn, auch wenn sie wie gesagt gewöhnungsbedürftig anmuten. Insgesamt bleibt aber dennoch ein eher durchschnittlicher Eindruck zurück. „Das wahre Kreuz“ hat mich nicht sonderlich gut unterhalten können, der Plot war mir zu einfallslos, die Figurenzeichnung ist relativ farblos, der Schreibstil zu nüchtern. Meiner Meinung nach hat Jörg Kastner, insbesondere mit dem „Engelspapst“, schon deutlich bessere Lektüre abgeliefert.

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|Siehe ergänzend dazu:|

[„Engelsfluch“ 808
[„Engelsfürst“ 2467
[„Die Farbe Blau“ 974

Mooney, Chris – Victim

Mit seinem Debütroman ist Chris Mooney in den Bestsellerlisten eingeschlagen wie eine Bombe, selbst einen Kinospot zum Buch gab es zu sehen, der „Victim“ als den spannendsten Thriller des Sommers angekündigt und verdächtige Ähnlichkeit mit dem packenden (und genial konstruierten) Thriller „Saw“ hat. Meine Erwartungen waren also entsprechend hoch angesetzt …

Die Geschichte nimmt im Jahre 1984 ihren Anfang, als Darby McCormick mit ihren beiden Schulfreundinnen Mel und Stacey beobachtet, wie ein unbekannter Mann im Wald eine junge Frau bedroht. Während Darby noch darüber nachdenkt, Hilfe zu holen, flüchten Stacey und Mel bereits in Panik. Als Darby sich ihnen anschließt, verliert sie bei der Flucht allerdings ihren Rucksack. Als die drei Mädchen zusammen mit der Polizei in den Wald zurückkehren, sind der Mann und die ängstliche Frau verschwunden und aus Darbys Portemonnaie wurden Geld und Ausweise entwendet.

Einige Zeit spät hört Darby abends ein merkwürdiges Geräusch im Haus und glaubt, dass ihre Mutter früher Feierabend gemacht hat. Doch es ist der Mann aus dem Wald, der Stacey erstochen hat und nun Mel mit einem Messer bedroht, um Darby aus ihrem Versteck zu locken. Mels bittende Worte werden Darby noch lange in Erinnerung bleiben, denn Darby kann fliehen, aber ihre Freundin Melanie bleibt von diesem Tag an verschwunden. Es dauert nicht lange, bis der Fall scheinbar gelöst werden kann, doch hat sich wirklich der richtige Täter das Leben genommen?

Im Jahr 2007 setzt sich die Geschichte fort. Darby arbeitet nun selbst bei der Polizei und muss einen Fall aufklären, der dem vor 23 Jahren verdächtig ähnelt. Wieder verschwinden eines Sommers viele junge Frauen und bleiben fortan verschwunden. Als die junge Carol entführt wird und man ihren Freund ermordet auffindet, greift Darby in der Nähe des Tatorts eine völlig verwahrloste und halb verhungerte Frau auf, die offensichtlich ihrem Peiniger entkommen konnte.

Einige Zeit braucht es, bis die Polizei die junge Frau als Rachel Swanson identifizieren kann, die vor fast fünf Jahren als vermisst gemeldet wurde. Rachel liegt schwer krank und traumatisiert im Krankenhaus und vertraut sich nur Darby an, in der sie eine Frau aus dem Verschlag wiederzuerkennen meint, die mit ihr gefangen gehalten wurde. Rachel zeichnet mysteriöse Zeichen auf ihren Arm, kann der Polizei aber keinen konkreten Hinweis auf ihren Entführer geben. Darby tappt also weiterhin im Dunkeln und muss fürchten, dass die verschwundene Carol in der Zwischenzeit ermordet wird. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Was die Polizei aber noch nicht ahnt: Der Mörder hat einen gefährlichen Komplizen …

Chris Mooneys packender Thriller schlägt von Beginn an ein hohes Tempo an und lässt sich rasend schnell lesen. Schon nach wenigen Seiten war ich vollkommen in der Geschichte versunken und habe zwischendurch nur kurz überprüft, ob ich auch wirklich die Haustür abgeschlossen hatte, denn beim Lesen lief mir ein Schauder nach dem anderen über den Rücken, weil Mooney eine wahrlich grausame Geschichte zu schreiben weiß.

Zunächst begibt er sich in das Jahr 1984, in welchem er seinen Mörder das erste Mal auf den Plan treten lässt. Der Leser ahnt natürlich von Anfang an, dass die Vermisstenserie von 2007 mit dem früheren Fall zusammenhängt und wahrscheinlich der gleiche Täter dahintersteckt. Als Mooney uns schließlich mit Daniel Boyle bekannt macht, der für die Entführung der Frauen verantwortlich ist, eröffnet er damit einen zweiten Handlungsstrang, der seinem Thriller noch mehr Tempo verleiht. Dieser Handlungsstrang um Daniel Boyle verdeutlicht nämlich sehr schnell, dass Boyle einen ernst zu nehmenden Komplizen hat. Wir lernen den Mörder immer besser kennen und verfolgen ihn bei all seinen Schritten. So wissen wir schon früh, dass er Darby von früher wiedererkannt hat und ihr nun auf der Spur ist, um das zu Ende zu bringen, was ihm 1984 nicht gelang.

Mooney erzählt eine erschreckende Geschichte, ohne aber allzu sehr in die Details zu gehen. Da Rachel nicht ansprechbar ist, können wir meist nur ahnen, was genau ihr in den fünf Jahren Gefangenschaft widerfahren sein kann. Auch Boyles Erinnerungen tragen dazu bei, den drohenden Schrecken noch greifbarer zu machen, doch sind wir nur selten dabei, wenn er wirklich in den Keller geht, um dort die gefangenen Frauen zu quälen. Das aber ist auch gar nicht nötig, um „Victim“ noch spannender zu machen; der wirkliche Horror versteckt sich meist zwischen den Zeilen und macht die Geschichte dadurch nur umso grausamer, zumal die Phantasie des Lesers dadurch angeregt wird, die bekanntlich grenzenlos sein kann …

Die Polizei und allen voran Darby McCormick tappen lange Zeit im Dunkeln, der Täter hat nur wenige Spuren hinterlassen, die nun zu deuten sind. Die Polizei weiß aber noch nicht, dass diese Spuren sie auf eine falsch gelegte Fährte führen werden. Darby wird nicht schlau aus Rachels Worten, sodass sie immer mehr fürchten muss, dass die Zeit für die entführte Carol knapp wird. Außerdem plagen sie immer wieder Gewissensbisse, weil sie sich in ihrer Jugend nicht dem Mann aus dem Wald gestellt hat, um vielleicht ihre Freundin Mel damit zu retten. Niemals hat sie sich verziehen, ihre Freundin im Stich gelassen zu haben, und immer wieder malt Darby sich aus, wie es hätte werden können, wenn sie ’84 anders gehandelt hätte. Hinzu kommen ihre Sorgen um die schwerkranke Mutter, die unheilbar an Krebs erkrankt ist und nun auf den Tod wartet. Viele Sorgen quälen Darby, sodass sie gar nicht merkt, wie nah der Mörder ihr in der Zwischenzeit gekommen ist.

Mooneys Geschichte ist über weite Strecken packend wie kaum eine andere, doch hakt sie leider an manch einer Stelle. Früh stellt uns Mooney den Mörder vor und macht klar, dass Boyle einen Komplizen hat, den wir als Richard kennen lernen. Einige Hinweise, die Mooney uns an die Hand gibt, lassen uns früh ahnen, um wen es sich bei Boyles Helfer handeln könnte. Als Daniel Boyles Mittäter sich am Ende outet, muss man leider feststellen, dass Mooney uns hier auf keine falsche Fährte gelockt hat, sondern dass wir von Anfang an den richtigen Riecher hatten. Leider geht dadurch am Ende das Überraschungsmoment verloren. Im Übrigen plätschert die Geschichte auf den letzten 40 Seiten ziemlich lahm aus, weil die Schuldigen gefunden sind und die Polizei nun lediglich die Details zu rekonstruieren versucht. Spannender wäre es gewesen, derlei Details in die eigentliche Geschichte einzufügen. Mooney hätte in den Passagen, in denen wir uns bei Daniel Boyle befinden, die Möglichkeit gehabt, die meisten Fragen schon vorher zu klären.

Auch einige logische Unstimmigkeiten haben sich eingeschlichen: Nachdem Darby und ihre Freundinnen den Mann im Wald aufgeschreckt haben, verschwinden Geld und Ausweise aus Darbys Rucksack. Es ist also klar, dass der Mörder weiß, wer ihn beobachtet hat und wo er diese Zeugin finden kann. Wieso hat die Polizei nicht besondere Schutzmaßnahmen ergriffen? Das hätte Stacey retten und den Mörder schon damals dingfest machen können. Wäre es nicht logisch gewesen, Darby unter Personenschutz zu stellen, wenn der Mörder ihre Identität und ihre Adresse kennt? Mich zumindest hat es doch sehr gewundert, dass dies nicht passiert ist.

Unter dem Strich ist „Victim“ aber in der Tat ein höchst spannender und lesenswerter Thriller, der seine Leser vollkommen gefangen nimmt und in eine schreckliche Welt entführt. Der vorliegende Thriller ist leider nicht bis ins letzte Detail durchdacht und wird dem Vergleich mit „Saw“ auch nicht gerecht, der in der Kinowerbung doch so offensichtlich war, aber über manche Unstimmigkeiten sieht man trotzdem gern hinweg.

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Indriðason, Arnaldur – Engelsstimme

Der isländische Schriftsteller Arnaldur Indriðason hat geschafft, wovon andere Krimiautoren nur träumen können: Zweimal wurden seine Bücher mit dem „Nordic Crime Novel’s Award“ ausgezeichnet – eine Ehre, die bislang keinem anderen Autor zuteil wurde. Und gerade in Zeiten, wo sich der allseits verehrte Henning Mankell aus dem Krimigenre zurückgezogen zu haben scheint, ist Platz für andere Talente wie eben Indriðason. In „Engelsstimme“ beweist er, dass sein Krimiheld Erlendur nicht nur weit zurückliegende Mordfälle lösen kann, sondern auch aktuelle, wenngleich sie ebenfalls fest in der Vergangenheit verwurzelt sind.

In einem Hotel in Reykjavík wird kurz vor Weihnachten die als Weihnachtsmann verkleidete Leiche des Portiers Guðlaugur in seiner kleinen Kellerkammer tot aufgefunden. Guðlaugurs Hosen sind noch heruntergelassen und ein Kondom ziert seinen Leichnam. Erlendur und seine Kollegen sind schockiert und machen sich auf die Spurensuche.

Doch zunächst tappen sie im Dunkeln, denn im Hotel scheint niemand Kontakt gehabt zu haben zu dem mysteriösen Portier, der im Hotel das Mädchen für alles war und seit vielen Jahren in einer kleinen Kammer im Keller hauste und dort vom Hotelmanager geduldet wurde. Der hat jetzt allerdings eher Sorge, dass in seiner Hauptsaison zu Weihnachten und Silvester das Hotel geschlossen werden muss oder dass Gäste fernbleiben, wenn sie von dem Mord hören. Als die Polizisten schließlich von allen Hotelangestellten und Gästen Speichelproben nehmen, weil das Kondom Speichelreste aufweist, ist die Panik im Hotel groß. Doch ein kleiner Notizzettel in Guðlaugurs Zimmer ist es, der für eine erste Spur sorgt, denn laut diesem war Guðlaugur an einem Abend mit einem gewissen Henry verabredet.

Henry stellt sich schließlich als Schallplattensammler aus England heraus, der sich auf Chorknaben spezialisiert hat. Und wie Erlendur dann herausfinden muss, war Guðlaugur in seiner Kindheit einer der besten Chorknaben, der allerdings mitten in einem wichtigen Konzert in den Stimmbruch kam, woraufhin seine Engelsstimme verloren war. Da der Stimmbruch sehr früh kam, sind Guðlaugurs Plattenaufnahmen inzwischen viel Geld wert. Henry wiederum möchte die restliche Auflage kaufen, damit seine eigenen Platten noch mehr an Wert gewinnen.

Um der Lösung des Falles auf die Spur zu kommen, quartiert Erlendur sich kurzerhand im Hotel ein, damit er gleich vor Ort ist und um der einsamen Stille zu Hause zu entfliehen. Doch kann er im Hotel nicht seiner Tochter Eva Lind entkommen, die ihn praktisch jeden Abend besucht und ihn dabei teilweise in verhängnisvollen Situationen antrifft. Aber das soll nicht Erlendurs einzige Sorge sein, denn vor allem Guðlaugurs Schwester und der querschnittsgelähmte Vater geben ihm Rätsel auf: Als sie vom Tod Guðlaugurs erfahren, zeigen sie keinerlei Trauer. Was ist in dieser geheimnisvollen Familie vorgefallen? Erlendur wird es herausfinden und dabei wieder weit in die Vergangenheit zurückgehen …

Arnaldur Indriðason beweist erneut auf seine unvergleichliche Weise, dass er sich seinen Platz in den internationalen Bestsellerlisten vollauf verdient hat, und er zeigt eindrucksvoll, dass sein Held Erlendur nicht nur längst vergangene Mordfälle lösen kann, sondern sich auch neuen Mordopfern mit Leidenschaft widmet. Doch dieser Roman wäre kein echter Indriðason, wenn die Vergangenheit nicht eine große Rolle spielen würde, und so liegt auch die Lösung für diesen Todesfall in der Vergangenheit begraben. Denn das Mordopfer war noch ein kleiner Junge, als sein Leben eine schreckliche Wende nahm: Bei seinem wichtigsten Auftritt vor zahlreichen Zuschauern versagt ihm die Stimme und der junge Guðlaugur wird öffentlich ausgelacht. Sein strenger Vater kann ihm den frühen Stimmbruch und das verfrühte Ende seiner Karriere nicht verzeihen, doch was ist noch vorgefallen in dieser Familie?

Auch der mysteriöse Plattensammler Henry hat einiges zu verbergen und verstrickt sich immer wieder in Lügengeschichten. Als sich der Kreis langsam um ihn schließt, versucht er zu fliehen, doch natürlich hat er die Rechnung ohne Erlendur gemacht, der ihn wieder aufspüren kann und auch einige dunkle Geheimnisse aus Henrys Leben ans Tageslicht bringt. Guðlaugurs Schwester steht Henry in nichts nach, nur häppchenweise macht sie Zugeständnisse. Zunächst will sie gar nichts mit der Polizei zu tun haben, da sie der Mord an ihrem Bruder nichts anzugehen scheint. Als sich die Ermittlungen jedoch immer mehr um sie drehen, kommt sie langsam mit der Wahrheit heraus, verrät aber immer noch nur so viel, wie unbedingt notwendig scheint. Und dann wären da noch einige Hotelangestellte, die sich quer stellen und Erlendur bei seiner Ermittlung behindern wollen. Nicht jeder stimmt dem Speicheltest zu und niemand will gesehen haben, dass Guðlaugur Besuch bekommen hat, der vielleicht der gesuchte Mörder hätte sein können. Viele Verdächtige tauchen also auf, und als Leser tappt man gemeinsam mit Erlendur im Dunkeln und ist dem Krimihelden niemals einen Schritt voraus.

Wieder einmal schickt Indriðason seinen Ermittler los, um einen mysteriösen Mordfall zu lösen. Wieder einmal werden ihm viele Steine in den Weg gelegt, und auch privat läuft es alles andere als gut. Weihnachten steht vor der Tür und Erlendur möchte diesem Familienfest am liebsten entfliehen, denn seine Tochter Eva Lind hat den Verlust ihres Babys immer noch nicht verwunden und Erlendur sucht noch immer die Frau seines Lebens. Ein Rendezvous bringt er immerhin zustande, doch auch dieses findet kein glückliches Ende. Krimihelden müssen einfach tragisch sein, auch Indriðason unterstreicht dies in jedem seiner Romane. Auch Erlendurs verschollener Bruder lässt ihn immer noch nicht los, obwohl das schreckliche Schneegestöber, aus dem Erlendurs Bruder nicht gerettet werden konnte, inzwischen viele Jahre zurück liegt. Mit jedem Roman lernen wir Erlendur näher kennen, Indriðason zeichnet seinen Krimihelden mit viel Liebe und fügt seinem Bild mit jeder Geschichte eine neue Facette hinzu, sodass uns Erlendur immer sympathischer wird, auch wenn er manchmal ein komischer Kauz sein kann.

Doch nicht nur in Sachen Charakterzeichnung punktet Indriðason, auch sein Kriminalfall hat es in sich und weiß vollauf zu überzeugen. Zwar packt Indriðason keine politischen Probleme an wie manche seiner Kollegen, und er kommt auch mit wenigen Leichen und wenig Blutgemetzel aus, doch seine Fälle sind nicht minder spannend. Indriðasons Geschichten sind etwas leiser und stiller als die Krimifälle, die in Schweden oder auch Norwegen zu lösen sind, dafür sind seine Kriminalromane meist sehr ausgefeilt und gut choreografiert. Indriðason hat einfach alles, was das Krimiherz beglückt, und so weiß er auch mit „Engelsstimme“ wieder einmal zu überzeugen. Selbst seine finale Wendung, die am Ende noch einmal alles über den Haufen wirft, ist glaubwürdig in die Geschichte eingebaut, sodass man das Buch zufrieden zuklappen und sich auf den nächsten Indriðason freuen kann!

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Fröhlich, Susanne – Moppel-Ich

Die Deutschen werden dicker und dicker. Laut einer aktuellen Studie soll inzwischen bereits jeder zweite an Übergewicht leiden – was könnte da also passender sein als ein Diät-Buch? Doch Susanne Fröhlichs „Moppel-Ich“ ist kein typisches Diät-Buch, hier gibt es keine Rezepte zu lesen und auch keine Diät vorgesetzt, nein, hier geht es um das Zwiegespräch mit dem Moppel-Ich, das Susanne Fröhlich während ihrer eigenen (offensichtlich vergangenen) Diät oftmals gehalten hat. Das Moppel-Ich – wer kennt es nicht? – das ist der innere Schweinehund, der einem nach der halben Pizza „gut“ zuredet, dass es nun ja nicht mehr drauf ankomme und man ruhig auch noch die andere Hälfte und das Dessert essen dürfe. Eine Diät könne man immerhin auch morgen anfangen, der heutige Tag sei schließlich mit der ersten Hälfte Pizza bereits ruiniert. Tja, und naiv wie man nun mal ist, möchte man nur allzu gern auf dieses besagte Moppel-Ich hören, das einen immer wieder an einer erfolgreichen Diät hindert.

Wie Susanne Fröhlich richtig erkannt hat – ich kann das aus eigenen leidvollen Erfahrungen bestätigen – ist es tatsächlich das Moppel-Ich, an dem die anvisierte Kleidergröße zwangsläufig scheitern muss. Doch damit soll nun Schluss sein, Fröhlich will den Kampf gegen das eigene Moppel-Ich aufnehmen und schildert in ihrem Diät-Tagebuch von ihren eigenen Abnehmversuchen, die schlussendlich zum Verlust von rund 25 kg geführt haben. Ganz nebenbei erzählt Fröhlich von ihren eigenen unangenehmen Erfahrungen mit dem (Über-)Gewicht, wenn beispielsweise die anprobierte Hose in der Umkleidekabine partout nicht über den Po gehen will und schlussendlich einige Nähte den Anziehversuchen nachgeben müssen oder wenn zickige Schlanke mit ihren spitzen Fragen das Selbstbewusstsein der abnehmenden Dicken erschüttern möchten. Doch Fröhlich will sich von all dem nicht verunsichern oder gar demotivieren lassen, denn sie hat längst erkannt, dass Schlanke ihr den Abnehmerfolg bloß nicht gönnen, weil sie dann zur schlanken Konkurrenz werden könnte. Denn jeder dicke Mensch hat seinen besonderen Status in der Gesellschaft, im Freundeskreis ist es derjenige der dicken und gutmütigen Freundin, die im Bikini garantiert schlechter aussehen wird als man selbst, und auch in der Öffentlichkeit ist es die Rolle der Dicken, gegen die jede andere Frau dann umso schlanker aussehen kann.

In zahlreichen Episoden schildert Susanne Fröhlich uns ihre erfolgreiche Diät, aber sie lässt auch nicht die Rückschläge aus, wenn dann doch die kulinarischen Verlockungen und das Moppel-Ich stärker sind. Aber sie macht Hoffnung darauf, dass ein Rückschlag noch lange nicht das Ende einer Diät sein muss, solange man sich davon nicht so weit deprimieren lässt, dass man instantan die begonnene Diät wieder abbricht. Auch die Analyse des Diät-begleitenden Partners findet Eingang in dieses Buch oder aber die kritische Auseinandersetzung mit heutigen Konfektionsgrößen, die bei gleichem Stoffumfang einen immer erniedrigenderen Namen tragen, denn schon mit Kleidergröße 38 wird man nur schwerlich in die Größe XL in manch einem Geschäft passen, wenn man Fröhlich glauben mag. So ist „Moppel-Ich“ schließlich ein Diät-Potpourri, das viele Seiten (gute wie schlechte) einer Diät aufzeigt und den Leser an die Hand nehmen und dazu motivieren mag, auch sein eigenes Leben und seine Ernährung umzustellen. Erst ganz am Ende berichtet Fröhlich von der Diät, die sie selbst eingeschlagen hat, und beruft sich dabei größtenteils auf die Glyx-Diät. Andere Diät bekommen dagegen im wahrsten Sinne des Wortes ihr Fett weg.

So viel zum Inhalt, an dem man schon erkennen kann, dass sich das vorliegende Buch nur schwer einem Genre zuordnen lässt. Denn es handelt sich dabei weder um einen Roman noch um ein Sachbuch, es gibt keine Romanhandlung, keine fiktiven Figuren, durch deren Leben wir geführt werden, und um sich Sachbuch nennen zu können, fehlen mir persönlich ehrlich gesagt die wissenschaftlich fundierten Fakten. Auf mich macht „Moppel-Ich“ eher den Eindruck eines etwas erweiterten Tagebuchs, das Susanne Fröhlich inzwischen erfolgreich zu viel Geld gemacht hat.

Doch wer soll eigentlich die Zielgruppe für dieses Buch sein? Offensichtlich gehöre ich dazu, denn ich habe den Fehler gemacht, mir das Buch zu kaufen – zugegebenermaßen allerdings unter falschen Voraussetzungen, denn eigentlich hatte ich mir einen lustigen Roman inklusive Romanhandlung darunter vorgestellt. Damit lag ich allerdings weit daneben. Zu „Moppel-Ich“ werden wahrscheinlich all die diätgeplagten Frauen greifen, denen die Hosen vor dem Sommer wieder einmal arg kneifen und bei denen die Bikini-Figur in weiter Ferne liegt. Allerdings wird genau diese Zielgruppe nicht bedient. Denn was hat Frau Fröhlich uns eigentlich zu sagen? Im Grunde genommen nämlich nicht viel und vor allem nichts Neues. Denn dass Sport zu einer Diät dazugehört und dass Frauen größtenteils abnehmen, weil sie in schönere Klamotten passen wollen (die es eben nicht bei Ulla Popken zu kaufen gibt), das ist nun wirklich ein alter Hut. Warum sollte ich also „Moppel-Ich“ lesen? Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Das vorliegende Buch ist weder lustig noch informativ, sodass ich alle diätwilligen Frauen, die ein weiteres Diätbuch lesen wollen, nur vor einem Kauf warnen kann; da sollte man lieber bei Helen Fieldings „Bridget Jones“ bleiben – das ist zwar auch kein wirkliches Diätbuch, aber zumindest eins mit einer sympathischen moppeligen Hauptfigur, die die eigenen Sorgen teilt.

Frau Fröhlich möchte hier wohl ihre eigenen Erfahrungen und einige Episoden aus ihrem bewegten Leben mitteilen. Doch leider versucht sie dies mit ziemlich erzwungenem Humor, der einem beim Lesen das Lächeln im Gesicht gefrieren lässt. Ehrlich gesagt glaube ich, dass selbst Hera Lind humorvoller schreiben kann als Susanne Fröhlich. Fröhlichs Episoden verdienen meistens eher den Stempel „peinlich“ als „lustig“, denn was nutzt mir eine 24-seitige Abhandlung über familiäre Diätbremsen, die mir erklärt, dass Kinder, Ehemann und Mutter dick machen, weil sie jede Diät boykottieren? Immerhin kann man seine Familie schlecht abgeben, wenn man denn eine Diät plant; hinterher mag man dann zwar ein paar Kilo verloren haben, aber auch seine Familie und wahrscheinlich gar die Freunde, wenn man mit der Einstellung an eine Diät herangeht, dass alle von außen die Abnehmversuche ohnehin nicht unterstützen werden.

Unter dem Strich bleibt nur noch einmal festzuhalten, dass man vom „Moppel-Ich“ lieber die Finger lassen sollte. Wer ein gutes Diätbuch sucht, sollte sich direkt ein Buch über die Glyx-Diät kaufen, die im übrigen zum Teil sehr informativ sind, und wer einen lustigen Roman sucht, der findet unzählige bessere und unterhaltsamere Bücher. So war das „Moppel-Ich“ meine erste und mit Sicherheit auch letzte „literarische“ Bekanntschaft, die ich mit Susanne Fröhlich geschlossen habe …

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Kalla, Daniel – Immun

An der Westküste Nordamerikas setzt ein Auftragskiller ein tödliches Bakterium frei. Der Mann, der sich Dennis Lyndon Tyler nennt, verschenkt im Drogenmilieu eine todbringende Droge, die zum Ausbruch eines Bakteriums führt, den die Drogensüchtigen in die ansässigen Krankenhäuser schleppen. Als der Familienvater Thomas Mallek wegen eines Sportunfalls in Vancouver in die Notaufnahme kommt, wird er Zeuge, wie der behandelnde Arzt einer jungen Frau ein Abzess aufsticht. Doch der Eiter spritzt dabei so weit, dass auch Mallek davon getroffen wird. Dieser Spritzer Eiter von der kranken Drogensüchtigen wird Malleks Todesurteil sein. Doch auch in anderen Krankenhäusern an der Westküste breitet sich ein Bakterium aus, das auf keine Antibiotikabehandlung anschlägt, da es gegen sämtliche bekannten Medikamente resistent ist.

Zeitgleich bangt Dr. Ellen Horton um die Zulassung ihres neuen Antibiotikums Oraloxin, denn obwohl es sich im Test gegen Bakterien hervorragend behauptet, macht sich die Wissenschaftlerin Sorgen, denn in den Oraloxin-Testreihen sind bereits drei Schimpansen gestorben. Ellen Horton versucht sich aber zu beruhigen, denn die Tiere wurden über lange Zeit mit einer hohen Dosis behandelt, während Menschen Antibiotika jedoch nur über einen kurzen Zeitraum verabreicht bekommen. Dennoch hält Horton den Gewissenskonflikt kaum aus, da sie den Tod der Schimpansen bisher verheimlicht hat. Nur ihre beiden Kollegen und der für Forschung und Entwicklung zuständige Vizepräsident von SeptoMed Luc Martineau wissen von diesen Problem.

In anderen Handlungssträngen lernen wir Dr. Catalina Lopez kennen, die als Epidemiologin beim EIS (Epidemiologischen Informationsdienst für den pazifischen Nordwesten) arbeitet und durch das neue Bakterium bald viel zu tun bekommt, denn sie ist dafür verantwortlich, die Verbreitung des neuen Bakteriums, das bald MRGAS getauft wird, zu vermeiden. Hilfe erhält sie von Dr. Graham Kilburn, der als praktischer Arzt in Vancouver arbeitet und in seiner Funktion als Spezialist für Infektionskrankheiten ins Krankenhaus gerufen wird, als Thomas Mallek im Sterben liegt und auf keine Antibiotikabehandlung anspricht. Aber auch zwei Polizisten sind dem mysteriösen Bakterium und seinem Verbreiter auf der Spur, nachdem nämlich zwei Drogendealer in Portland ermordet aufgefunden werden, die offensichtlich von einem Profi exekutiert worden sind. Langsam aber sicher kommen Seth Cohen und Roman Leetch dem unbekannten Mörder und damit auch dem Bakterium auf der Spur.

In hohem Tempo und mit schnellen Wechseln der Schauplätze erzählt Daniel Kalla seinen neuen Medizinthriller, der nicht minder packend ist als sein Debütroman [„Pandemie“, 2192 der ebenfalls für schlaflose Nächte gesorgt hat. Seine Zutaten für einen spannenden Thriller sind dabei wieder einmal erfolgversprechend: Er nimmt mutige Protagonisten und solche, die etwas zu verbergen haben und ihr dunkles Geheimnis hüten wollen, und mixt aus seinen verschiedenen Handlungssträngen einen packenden Roman, der gut zu unterhalten weiß.

Im Mittelpunkt stehen dieses Mal allerdings so viele Figuren, dass man zunächst einige Schwierigkeiten hat, sich einzulesen und an den unterschiedlichen Handlungsorten zurechtzufinden. Außerdem erschwert die hohe Anzahl handelnder Charaktere die Identifikation, obwohl sich im Laufe des Romans Catalina Lopez und Graham Kilburn als Helden der Geschichte erweisen werden. Die beiden sind es, die – unterstützt durch die beiden Polizisten – dem gefährlichen Bakterium auf die Spur kommen, denn es will nicht nur ein Weg gefunden werden, um die Verbreitung des Bakteriums zu stoppen, sondern auch eine Medikation, die bereits Betroffenen helfen kann. Darüber hinaus liegt lange Zeit im Dunkeln, wer MRGAS durch einen Auftragskiller verbreiten lässt.

Mit fortschreitender Handlung nimmt die Spannung immer mehr zu; wir nähern uns dem Geheimnis um das Bakterium und seine Entstehung und bangen um das Leben unserer Helden, die plötzlich ins Zielfeuer des Killers geraten, als sie nämlich immer mehr Erfolge bei ihren Nachforschungen vorweisen können. Doch hier tauchen schließlich auch die ersten Kritikpunkte auf, die man nicht verschweigen sollte: Recht schnell zeichnet sich nämlich ab, wer ein gesteigertes Interesse daran haben könnte, MRGAS zu verbreiten und damit das Leben unzähliger Menschen in Gefahr zu bringen. Die Spuren, die Daniel Kalla hier für uns und seine Protagonisten auslegt, sind einfach zu offensichtlich und bergen kaum Überraschungen.

Selbstverständlich baut Kalla am Ende noch ein Überraschungsmoment ein, das den Leser noch einmal erstaunen mag, doch mit dieser finalen Wendung handelt Kalla sich allerdings auch einige logische Patzer ein. Denn die Entwicklung seiner Charaktere ist am Ende einfach nicht mehr schlüssig, wenn man diese Wendung mit einbezieht. Wieso nämlich sollte sich jemand so verdammt auffällig und hinterrücks verhalten, wenn er am Ende doch gar nichts zu verbergen hat und vollkommen unschuldig ist? Das ist mir nicht klar geworden und mindert definitiv das Lesevergnügen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn Kalla seine Linie beibehalten hätte, auch wenn es dann am Ende eben keine Überraschung mehr gegeben hätte. Doch dann wäre zumindest sein Plot stimmig gewesen. So gelingt ihm jedenfalls nicht die Gratwanderung, die zu einer gelungenen Überraschung hätte führen können. Ganz im Gegenteil, sein Überraschungsmoment sorgt am Ende höchstens für Verärgerung, denn ich persönlich habe mich schon ein wenig veräppelt gefühlt.

So bleibt festzuhalten, dass Daniel Kalla mit „Immun“ zwar wieder ein hochspannender Pageturner gelungen ist, der über weite Strecken gut zu unterhalten weiß, der aber am Ende doch nicht voll überzeugen kann. Kallas Buchende wirkt auf mich unnötig konstruiert und alles andere als stimmig, sodass der Gesamteindruck des Buches darunter zu leiden hat. Wer darüber hinaus auf der Suche nach ausgefeilter Figurenzeichnung und literarischem Hochgenuss ist, der sollte von „Immun“ lieber die Finger lassen, denn Kalla bedient sich in seinem vorliegenden Roman relativ einfacher Figuren, die wenig Profil gewinnen, aber natürlich nicht die unvermeidliche Liebesgeschichte vermissen lassen. Auch sein Schreibstil ist eher schlicht und schnörkellos gehalten – das wiederum sorgt allerdings für einen gelungenen Spannungsbogen. Insgesamt gefällt „Immun“ über weite Strecken ziemlich gut, handelt sich aber gen Ende so viele Minuspunkte ein, dass der vorliegende Medizinthriller leider nicht über das Mittelmaß hinauskommt.

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Fried, Amelie – Findelfrau, Die

Holly Berger ist 38 Jahre alt und führt ein vermeintlich perfektes Leben: Sie ist mit ihrem Traummann Chris verheiratet, den sie einst auf einer WG-Party kennen gelernt hat, als sie sich in der Gästetoilette eingeschlossen hatte und die Tür nicht mehr aufbekam. Chris wurde an dem Abend nicht nur ihr Retter in der Not, sondern auch ihre große Liebe. Aber auch nach 15 Ehejahren sind die beiden glücklich wie am ersten Tag und leben nun zusammen mit ihren beiden Kindern, die kurz vor der Pubertät stehen. Holly hat bereits zwei erfolgreiche Ratgeber geschrieben und sucht nun nach einem Thema für den nächsten Bestseller. In dieser perfekten Idylle erfährt Holly allerdings, dass sie als Neugeborenes ausgesetzt wurde und dass ihre Eltern demnach nicht ihre leiblichen Eltern sind. Holly ist schockiert, ihr ganzes bisheriges Leben ist für sie zu einer großen Lüge geworden.

Auf der Verlobungsfeier ihres „Bruders“ kommt es zum Eklat: Holly klagt ihre Adoptivmutter Margarete an und wirft ihr vor, sie 38 Jahre lang belogen zu haben, die ganze Familie droht auseinanderzubrechen. Als Holly aber auch noch erfahren muss, dass sogar ihr Mann Chris von dem großen Geheimnis gewusst hat, zerbricht alles, woran sie bislang geglaubt hat. Trotz der wenigen Hinweise, die sie auf die wahre Identität ihrer Mutter hat, macht Holly sich auf eine detektivische Suche nach ihren Wurzeln. Nach und nach kommt sie ihrer Mutter auf die Spur, die sie schließlich nach Ägypten in ein Frauenkloster führt.

In Ägypten erhält sie Hilfe durch die lebenslustige Inga und ihren Geschäftsführer Ashraf, die Holly bei ihrer Suche in allen Belangen unterstützen. Im Kloster angekommen, erfährt Holly allerdings, dass ihre Mutter sie gar nicht sehen will; eine Welt bricht für Holly zusammen, denn selbst ihre Ehe kriselt gewaltig, außerdem bemerkt Holly, dass sie Ashraf mehr als nur nett findet und kommt ihm immer näher …

Ob Holly ihre leibliche Mutter am Ende schließlich doch noch kennen lernen wird und ob sie ihre Ehe wieder kitten kann, das enthält Amelie Fried uns natürlich nicht vor, denn ganz am Ende wird sich alles auflösen. Gemeinsam mit Holly Berger erleben wir, wie ihr bisheriges Leben auseinanderbricht, als sie erfahren muss, dass sie als Kind ausgesetzt wurde und ihre Familie gar nicht ihre „echte Familie“ ist.

Zu Beginn lernen wir Holly als glückliche Familienfrau kennen, die in ihrem Beruf als Schriftstellerin erfolgreich ist und nun nach einem Thema für ihr nächstes Buch sucht. Ihr Verleger Jochen, der gleichzeitig ein guter Jugendfreund Hollys ist, schlägt ihr einen Ratgeber für eine glückliche Ehe vor, weil Holly und Chris das einzig glückliche Ehepaar im gesamten Freundeskreis sind. Während Holly nämlich die schwerste Krise ihres Lebens durchstehen muss, erleben auch ihre beiden besten Freundinnen Schlimmes: Diana, die beruflich außerordentlich erfolgreich ist und sich nebenbei einen Geliebten hält, weil sie dies für wesentlich unkomplizierter hält als eine Ehe, wird nun von der Frau ihres Geliebten verfolgt und tyrannisiert, aber Karins andere beste Freundin Karin hat es sogar noch übler getroffen: Ihr Ehemann sendet versehentlich eine für seine Geliebte bestimmte SMS an seine Frau, sodass seine Affäre auffliegt. Karin ist am Boden zerstört, denn ihr Mann weigert sich, die Affäre zu beenden und verlangt vielmehr Verständnis für seine außerehelichen Eskapaden von Karin. Ein Eheratgeber scheint also die perfekte Idee für einen neuen Sachbuchbestseller zu sein. Obwohl Holly sich einen Haufen Literatur zu dem Thema besorgt, kommt sie mit ihrem Buch aber nicht so recht voran, da die Suche nach ihrer Mutter und ihre persönlichen Probleme sie zu sehr ablenken.

Wir erleben jedes Hoch und jedes Tief in Hollys Leben mit; Amelie Fried zeichnet einen Charakter, der zu Beginn des Buches ins Bodenlose stürzt und ein emotionales Chaos erlebt. Wir lernen Holly zu einem Zeitpunkt kennen, als sich ihr gesamtes Leben verändert und sie zum ersten Mal eine große Krise meistern muss. Zugegebenermaßen können wir ihre teilweise irrationalen Handlungen nicht immer nachvollziehen, denn manchmal erscheint mir Holly für eine 38-jährige Erwachsene dann doch etwas zu stur. Außerdem reagiert Holly einige Male über, sodass sie hier auch mal einige Sympathiepunkte einbüßt. Doch über die meisten Strecken des Buches begleitet man Holly ausgesprochen gerne auf ihren verschlungenen Wegen, die am Ende zu ihrer Mutter führen sollen und zur Aufklärung der Frage, warum diese Holly damals ausgesetzt hat.

Auf herzerfrischende Art und Weise erzählt uns Amelie Fried die Geschichte einer Frau, deren Leben von einem Tag auf den anderen zerstört wird, als sie ein dunkles Familiengeheimnis aufdeckt. Fried schafft es, diese ungewöhnliche Geschichte zum größten Teil glaubwürdig zu schreiben, und macht Hollys Unglück spürbar, sodass Holly für uns zu einer guten Freundin wird. Mit ihrem sympathischen Schreibstil und einer gelungenen Figurenzeichnung erschafft Amelie Fried einen unterhaltsamen Roman, der alle eigenen Sorgen vergessen und Hoffnung darauf macht, dass man viele Krisen im Leben doch überstehen kann, wenn man es denn nur versucht. Getrübt wird das Lesevergnügen allerdings durch zahlreiche Tipp- und Rechtschreibfehler, die den Lesefluss stören und ein gutes Korrektorat offensichtlich vermissen lassen.

Insgesamt ist „Die Findelfrau“ ein erfrischendes Leseerlebnis, wenn auch sicherlich keine große Literatur. Dennoch hat Amelie Fried eine verwickelte Familiengeschichte mit sympathischen Charakteren zu erzählen, mit denen man gerne einige Lesestunden verbringt, auch wenn die Geschichte doch recht vergänglich ist und wohl schnell in Vergessenheit geraten wird. Aber für den bevorstehenden Sommer und Urlaube am Strand ist „Die Findelfrau“ genau die richtige Lektüre zum Entspannen, Träumen und um die Welt um einen herum zu vergessen.

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|Amelie Fried bei Buchwurm.info:|

[„Liebes Leid und Lust“ 562
[„Taco und Kaninchen“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=561
[Interview vom September 2004]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=26

Frank-Burkhard Habel – Ekel Alfred

Gestatten – Tetzlaff mein Name, ich bin hier der Gastgeber

Heinz Schubert verkörperte in den 70er-Jahren in der Gestalt des Alfred Tetzlaff – von seinen Freunden „liebevoll“ Ekel Alfred genannt – den Typus des hässlichen Deutschen und spaltete damit die Nation. Seine Seitenhiebe auf Willy Brandt, den Emigrantenkanzler, und die Sozis, die seiner Meinung nach zum Zerfall Deutschlands beitragen, sind zum Kult geworden und sind charakteristisches Moment einer der letzten richtig guten deutschen Familienserien.

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Genazino, Wilhelm – Mittelmäßiges Heimweh

Es ist Fußballeuropameisterschaft, und Deutschland befindet sich angesichts des bevorstehenden Spiels gegen Tschechien im Ausnahmezustand. Jeder Fußballfan fiebert dem spannenden Spiel entgegen, und auch unser Roman(anti)held Dieter Rotmund schaut sich das Fußballspiel in einer überfüllten Kneipe an. Doch das Getümmel wird ihm fast zu viel: Während er noch überlegt, ob er nicht doch lieber nach Hause gehen soll, erblickt er unter dem Tisch im Dreck sein eigenes Ohr liegen. Zunächst denkt er darüber nach, ob er sich das Ohr in einem unbemerkten Moment schnappen und damit verschwinden soll, doch dann kann er sich doch nicht überwinden, das abspenstige Körperteil vom schmutzigen Fußboden aufzuheben, und beschließt, lieber sein Haar über die kahle Stelle zu legen und sich später eine Ohrklappe zuzulegen.

Aber mit dem Ohr alleine ist der Verfall Rotmunds noch nicht abgetan: Seine Ehe steht auf der Kippe, eigentlich hat er Edith nichts mehr zu sagen, doch seiner Tochter zuliebe fährt er an den Wochenende nach Hause in den Schwarzwald, um die Familienfassade aufrechtzuerhalten. Edith dagegen tut rein gar nichts mehr für die Ehe, gibt am laufenden Band Geld aus, das die Familie eigentlich gar nicht übrig hat, und gesteht ihrem Mann schließlich, dass sie eine Affäre hat und von ihm nichts mehr wissen will.

So ist es also nicht nur Rotmunds Körper, der langsam aber sicher zerfällt, obwohl er doch erst Anfang 40 ist, auch in seinem Privatleben geht es rauf und runter – allerdings eindeutig mehr runter als rauf. Dafür erwartet Rotmund im Berufsleben ein überraschender Aufschwung, denn unverhofft wird er zum Finanzdirektor seiner Firma befördert, obwohl eigentlich jemand anderer für den Job viel besser geeignet wäre, wie sowohl Rotmund als auch besagter Kollege sehr genau wissen.

Eine Zufallsbekanntschaft ist es, die Rotmund so etwas wie „Liebesglück“ beschert, da ist nämlich die geheimnisvolle Frau Schweitzer – seine Vormieterin -, die noch ein paar Sachen aus dem Keller abholen möchte, die sie beim Auszug nicht mitgenommen hat, die Rotmund bislang aber noch gar nicht aufgefallen waren. Nach einer kurzen Phase der Annäherung landen die beiden im Bett, aber da Frau Schweitzer den Eindruck macht, als brauche sie Geld, legt ihr Rotmund nach jedem Geschlechtsverkehr Geld hin, bis sie eines Tages verschwindet und Rotmund sich auf den Weg macht, sie zu finden …

Wilhelm Genazinos Protagonisten sind Antihelden meist männlichen Geschlechts und mittleren Alters – so auch hier. Wir begegnen Dieter Rotmund, der mit seinem Job nicht ganz zufrieden scheint und den Geldsorgen plagen. Seine Frau Edith gibt so viel Geld aus, dass er sich die Bahnfahrkarte am Wochenende nicht leisten kann und lieber im völlig überfüllten Zug vor der Toilette steht, um in diese verschwinden zu können, sobald die Fahrscheinkontrolle droht. Aber als er in einer lauten Kneipe sein Ohr verliert, ist er auch offensichtlich „geschädigt“ und fühlt sich plötzlich nicht mehr komplett. Zunächst kaschiert er sein fehlendes Ohr mit einer Ohrklappe, doch irgendwann lässt er diese einfach weg und geht vermeintlich selbstbewusst seines Weges. Als ihm im Schwimmbad aber plötzlich noch ein kleiner Zeh abhanden kommt, ist das Gejammer sogar noch größer als beim Ohr. Rotmund spürt, dass etwas mit ihm und seinem Leben passiert, will aber die Zeichen nicht erkennen. Nach und nach zerbricht sein Leben, trotzdem macht er weiter, als sei nichts geschehen.

Seine Trauer und sein eigenes verkorkstes Leben kaschiert Rotmund durch die genaue Beobachtung fremder Menschen, an deren Leben er stichpunktartig teilhaben kann, wenn er kleine Situationen beobachten und miterleben kann. Diese Momente sind es, in denen er seinen eigenen Kummer übertönen kann und in denen mehr die Gefühle und kleinen Katastrophen der anderen Menschen zählen. Rotmund flieht vor sich, seinem eigenen Leben und seinen Problemen.

Und auch wenn es merkwürdig anmuten mag, wenn eine Romanfigur nach und nach einzelne Körperteile verliert, so passt es doch zum Buch und Genazinos Antihelden, der auch für andere sichtbar verfällt und sich nicht mehr vollständig fühlen kann. Ihm fehlt etwas, aber es ist nicht nur das Ohr und es ist nicht nur der Zeh, sondern es sind auch Familie, (Lebens-)Glück und Zufriedenheit. Selbst über die unverhoffte Beförderung kann er sich nicht so recht freuen, er denkt vielmehr darüber nach, dass jemand anderer in der Beförderungskette eigentlich vor ihm gestanden hätte.

Rotmund kann nicht einmal Erfolge feiern, stattdessen erscheint er uns resigniert und seinem eigenen Leben gegenüber teilnahmslos. Als er eines Abends zu einer Prostituierten geht und bemerkt, dass sie ihn mit einem billigen Trick um den „richtigen Geschlechtsverkehr“ bringen will, lässt er dies geschehen und sieht es stattdessen als Wink des Schicksals, als ebendiese Prostituierte ihm zu viel Wechselgeld gibt, sodass sein kleines Abenteuer ihn im Endeffekt nichts gekostet hat.

In bestechender Treffsicherheit bringt uns Wilhelm Genazino ein weiteres Mal seinen Antihelden und seine gesamte Umgebung näher. Kaum jemand kann Menschen so genau beobachten und ihre gesamte Persönlichkeit sezieren wie Genazino durch die Worte seines Protagonisten, aber auch kaum ein Schriftsteller lässt so hoffnungslose Charaktere auf den Plan treten wie eben Genazino. Und genau hier liegt seine Besonderheit.

Wir lernen einen eigentlich ganz alltäglichen Menschen kennen, der aber trotz (oder vielleicht auch wegen) seiner Alltäglichkeit gerade so besonders wird. Es sind die kleinen Eigenarten und die kleinen Katastrophen, die diesen Menschen zu etwas Besonderem und auch Interessantem machen. Wie immer passiert auf der Inhaltsebene bei Genazino nicht sonderlich viel; er konzentriert sich ein weiteres Mal auf eine überaus genaue Charakterzeichnung, die seinen Helden als Menschen aus Fleisch und Blut – wenn auch ohne Ohr – erscheinen lässt. Und damit dürfte er seine Fans wieder einmal glücklich gemacht haben.

Unter dem Strich ist „Mittelmäßiges Heimweh“ wieder ein „typischer Genazino“, der von seiner gelungenen Figurenzeichnung, der feinen Sprache und seinen Beobachtungen lebt, die jede noch so winzige Kleinigkeit festhalten und zu etwas ganz Besonderem machen. Verglichen mit der [„Liebesblödigkeit“ 999 schneidet Genazinos aktuelles Werk vielleicht etwas schlechter ab, einfach weil die Rahmengeschichte mich nicht so sehr gepackt hat wie bei seinem letzten Buch, aber Genazino kann an so vielen anderen Stellen punkten, dass er mich erneut nach dem Lesen des Buches tieftraurig zurückgelassen hat – einmal, weil das Buch bereits ausgelesen war, aber auch weil Genazino mir in beeindruckender Weise das traurige Schicksal seines Helden vor Augen geführt und mich damit tief berührt hat. Wilhelm Genazino ist und bleibt einfach etwas Besonderes!

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Holt, Anne – Was niemals geschah

Die norwegische Autorin Anne Holt hat sich mit ihren Büchern rund um ihre Krimiheldin Hanne Wilhelmsen einen Namen gemacht, der sich nicht hinter denen anderer großer (auch nordischer) Krimiautoren verstecken muss. Doch der vorliegende Roman wird dieses Mal nicht von der lesbischen Krimiheldin Wilhelmsen gelöst, sondern vom nicht minder interessanten Ermittlerduo Yngvar Stubø und seiner Frau Inger Johanne Vik, die nicht bei der Polizei arbeitet, sondern als Profilerin hilft.

In diesem Fall ist von Beginn an alles anders. Während nämlich die erste Leiche gefunden wird, ist Stubø auf dem Weg ins Krankenhaus zu Inger Johanne und ihrem gemeinsamen Baby, das zeitgleich mit der norwegischen Thronerbin Ingrid geboren wurde. Als er also von seinen Kollegen die Nachricht erhält, dass eine bekannte Fernsehmoderatorin ermordet und mit herausgeschnittener und gespaltener Zunge aufgefunden wurde, muss Stubø sich zunächst um seine schwierige Stieftochter Kristiane kümmern, die sehr sensibel und „komisch“ ist, ohne dass irgendjemand Stubø und seiner Frau sagen könnte, was mit Kristiane eigentlich los ist. Dementsprechend groß ist Inger Johannes Angst, dass auch ihre zweite Tochter krank sein könnte. Nach der Geburt ist sie deshalb höchst sensibel und zunächst überhaupt nicht am Kriminalfall interessiert. Als allerdings eine bekannte norwegische Politikerin gekreuzigt in ihrem eigenen Schlafzimmer und mit einem Koran zwischen ihren Beinen aufgefunden wird, drängt sich eine düstere Ahnung in Inger Johannes Bewusstsein.

Es dauert nicht lange, bis eine dritte bekannte Persönlichkeit unter mysteriösen Umständen ermordet wird, doch die Polizei tappt im Dunkeln, keine einzige Spur ist zu finden, niemand wurde am Tatort beobachtet und der Täter hat offensichtlich auch keine verwertbaren Spuren hinterlassen. Stubø und seine Kollegen jagen also ein Phantom, das sie nicht greifen können. Aber Inger Johanne wühlt in ihrer Vergangenheit beim FBI, die sie viel lieber vergessen würde, da sie so unvorstellbar große Wunden hinterlassen hat, dass sie nicht einmal mit ihrem Mann darüber sprechen kann. In ihrer Erinnerung findet sie eine Mordserie, von der ihr Ausbilder beim FBI in seiner Vorlesung erzählt hat und die viele Gemeinsamkeiten mit der jetzigen Mordserie aufweist. Was Inger Johanne aber am meisten Angst macht, ist der noch ausstehende fünfte Mord, denn hier wartet ein Anschlag auf den ermittelnden Polizeibeamten und seine Familie, was in diesem Fall Yngvar Stubø und Inger Johanne selbst sind. Die junge Mutter kann kein Auge mehr zutun und muss hilflos mit ansehen, wie der vierte Mord geschieht und sie die nächste auf der Liste ist.

Anne Holt inszeniert ein perfides Katz-und-Maus-Spiel, das von seinen Hauptfiguren lebt. Auch wenn man zunächst Hanne Wilhelmsen vermissen mag, so erinnert man sich schnell und gerne an „Das einzige Kind“ zurück – den ersten Fall, den Stubø und Inger Johanne einst zusammen gelöst haben. Doch „Was niemals geschah“ ist wahrscheinlich noch spannender und packender als dieser erste Stubø-Fall.

Auf den ersten Blick scheint es ein Mörder auf Prominente abgesehen zu haben, die in ihrem Leben etwas zu verbergen haben. Schnell kommt die Polizei dem dunklen Geheimnis des ersten Opfers auf die Spur und damit einem dringenden Tatverdächtigen. Doch nichts ist so, wie es scheint. Denn hinter der Mordserie steckt noch viel mehr. Und wie findet man eigentlich einen Mörder, der kein Motiv für seine Taten hat? Diese Frage muss sich die Polizei stellen, denn bei der erfolglosen Suche nach Spuren und Motiven tappt sie weiterhin im Dunkeln. Und auch wenn die Opfer genügend Feinde gehabt haben, so können doch alle Verdächtigen ein zumindest oberflächlich betrachtet wasserdichtes Alibi nachweisen.

Anne Holt wühlt im Privatleben ihrer Protagonisten und zerrt Geheimnisse ans Licht, die ihre Charaktere gerne im Dunkeln belassen hätten. So hat auch der Verlobte des zweiten Opfers einiges zu verbergen, was ganz nebenbei offenkundig wird. Es gibt daher neben den Mordopfern noch weitere Opfer zu beklagen, die im Laufe der Ermittlung plötzlich im Rampenlicht stehen und ihre Geheimnisse aufgedeckt finden. Bei Anne Holt haben alle Charaktere Ecken und Kanten, aber insbesondere auch einige Leichen im Keller. Doch wer hat das nicht? Wir lernen hier Personen kennen, die viel erlebt und auch Fehler gemacht haben, die sie nun gerne verheimlichen würden. Aber die Polizei deckt so manches davon auf, weil sie vergeblich hofft, dem Täter auf der Spur zu sein.

Die Charakterzeichnung ist absolut großartig und hält so einige Überraschungen für den Leser bereit, die erstmal verdaut werden wollen. Wir lernen die handelnden Figuren sehr genau kennen und blicken bis in ihr Innerstes. Besonders lobend hervorheben muss man hier die Beziehung zwischen Yngvar Stubø und Inger Johanne Vik, die eigentlich angesichts ihrer quietschfidelen Tochter überglücklich sein müssten, deren Glück aber überschattet wird von der grausamen Mordserie und von Inger Johannes düsteren Erinnerungen, die nun wieder ans Tageslicht kommen.

Stubø kann sich nicht damit abfinden, dass seine Frau nicht über ihre Zeit beim FBI reden möchte, obwohl die beiden doch ihr Leben teilen. Dies sorgt für prickelnde Spannung zwischen den beiden jungen Eltern, obwohl sowohl Stubø als auch Inger Johanne gerade in dieser schwierigen Situation doch alle Unterstützung von ihrem Partner benötigt hätten. Und dies sei vorweg genommen: Dieses Spannungsverhältnis ist noch nicht aus der Welt geschafft und hält genügend Potenzial bereit für weitere Kriminalromane mit diesem Ermittlerduo.

Langsam aber sicher kommt Stubø schließlich mit der Hilfe seiner Frau, aber auch mit der Hilfe des Täters selbst, dem Mörder auf die Spur. Doch was er hier entdeckt, kann er zunächst selbst kaum glauben, da er sich so etwas Perfides auch in seinen dunkelsten Alpträumen nie hätte vorstellen können. Anne Holt durchschreitet hier Abgründe, wie sie düsterer kaum sein könnten. Den Leser wiederum überrascht dies nicht wirklich, da er den Täter von Beginn an kennt und ihn auf seinen Wegen oftmals begleitet hat. Dies mindert allerdings weder Spannung noch Lesegenuss, da man immer gespannt darauf wartet, ob die Mordserie weitergeht oder ob die Polizei dem Täter noch rechtzeitig auf die Spur kommt, um den fünften Mord zu verhindern und dadurch Stubø und seine Familie zu retten.

Schade fand ich, dass Anne Holt einige Fragen offen lässt, die zum Teil wohl nie erklärt werden. Zur Abrundung des Buches hätte die Aufklärung der offenen Fragen sicher gutgetan, doch auch so bleibt ein durchweg positiver Eindruck zurück. „Was niemals geschah“ ist der gut durchkonstruierte zweite Kriminalfall eines sympathischen Ermittlerduos, das nicht nur bei der Arbeit, sondern auch privat einige Schwierigkeiten zu meistern hat.Doch wenn alles ganz einfach wäre, würde es sich ja nicht lohnen, ein Buch darüber zu schreiben. Trotz winziger Abzüge in der „B-Note“ freue ich mich schon jetzt auf den nächsten Fall, den Stubø und Vik zu lösen haben!

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