Alle Beiträge von Maike Pfalz

Buchwurm, seit ich lesen kann :-)

Thomas Pfanner – Gott will es!

Mit dem Aufdruck „rasante, actiongeladene Mischung aus Detektivgeschichte, Verschwörungsthriller und Kirchenkritik […] mit einer Prise Erotik und sehr viel schwarzem Humor“ macht der |Eldur|-Verlag auf dem Buchdeckel Werbung für den aktuellen Roman von Krimimann Thomas Pfanner, der mit „Gott will es!“ auf den Spuren eines Dan Brown wandelt und sich düstere Machenschaften innerhalb der katholischen Kirche zum Thema seines Romans gemacht hat…

Thomas Pfanner – Gott will es! weiterlesen

Grangé, Jean-Christophe – schwarze Blut, Das

Der französische Krimiautor Jean-Christophe Grangé zählt auch international zu den Erfolgsautoren; insbesondere sein Roman [„Die purpurnen Flüsse“ 936 verkaufte sich nicht nur in den Buchläden hervorragend, auch die Verfilmung wurde zu einem Verkaufshit an den Kinokassen. Nun hat Jean-Christophe Grangé seinen neuen Thriller „Das schwarze Blut“ vorgelegt, der ebenfalls eine hervorragende Drehbuchvorlage liefert, sodass wir diese Geschichte sicherlich in absehbarer Zeit auch auf der Kinoleinwand wiederfinden werden.

Im Zentrum des vorliegenden Thrillers stehen zwei männliche Protagonisten: Auf der einen Seite lernen wir den Sensationsreporter Marc Dupeyrat kennen, der seit Jahren fasziniert ist von Morden, Mördern und ihren Motiven. Ihm gegenüber steht der Freitaucher und Massenmörder Jaques Reverdi, der seine Faszination für das Morden auch in die Tat umsetzt.

Schon in seiner Schulzeit wurde Marc mit einem blutigen Selbstmord auf der Schultoilette konfrontiert, doch spätestens, seit seine Verlobte Sophie einem brutalen Verbrechen zum Opfer fiel, möchte Marc die Beweggründe eines Mörders verstehen. Als er nun die Chance wittert, mit dem mutmaßlichen Massenmörder Jaques Reverdi Kontakt aufzunehmen, verwandelt sich Marc in „Elisabeth Bremen“ und schickt dem Mörder unter diesem Pseudonym Briefe in ein malaiisches Gefängnis.

Mit diesen Briefen trifft Marc Dupeyrat einen Nerv bei Reverdi. Zunächst stellt dieser seiner Brieffreundin Elisabeth einige unangenehme Aufgaben, um ihre Vertrauenswürdigkeit zu testen. Doch als er beginnt, ihren Ausführungen zu glauben, schickt er sie los zu einer blutigen Schnitzeljagd, auf der sie die furchtbaren Geheimnisse des französischen Massenmörders ergründen wird.

Während Reverdi also in einem malaiischen Gefängnis auf seinen Prozess wartet, wandelt Marc auf Reverdis Spuren und findet sukzessive heraus, auf welch grausame Weise Reverdi seine Opfer ermordet hat. Nach und nach verwandelt Marc sich gedanklich dabei immer mehr in den Massenmörder, er versetzt sich in die Lage des Mörders und schleicht sich in dessen Gedanken ein, doch in seinen Briefen ist Marc wieder die bewundernde Elisabeth, nur sein eigentliches Ich rückt immer weiter in den Hintergrund.

Am Ende erkennt Marc das Geheimnis des schwarzen Blutes und möchte aus diesem Wissen Profit ziehen, doch ahnt er noch nicht, welche Folgen sein Handeln haben wird; denn Reverdi gelingt die Flucht aus dem Gefängnis und hiermit beginnt sowohl für Marc wie auch Khadidscha, die Pate gestanden hat für „Elisabeth Bremens“ Foto, ein Alptraum …

In routinierter Weise erzählt Jean-Christophe Grangé seine gut durchdachte Geschichte. Zunächst steht die Entwicklung der Hauptcharaktere im Mittelpunkt der Erzählung. Hier lernen wir auf fast hundert Seiten die beiden männlichen Hauptfiguren kennen, die auf den ersten Blick gar nichts gemeinsam zu haben scheinen, die sich dann aber doch ähnlicher sind, als den beiden bewusst ist. Grangé entwickelt hierbei interessante Charaktere und gibt ihnen einen persönlichen Hintergrund, der den Figuren Leben einhaucht und sie größtenteils glaubwürdig erscheinen lässt. Insbesondere der undurchschaubare und mutmaßliche Massenmörder Jaques Reverdi, der seine Opfer brutal misshandelt und ermordet, birgt eine unglaubliche Faszination. Reverdi ist leidenschaftlicher Freitaucher und erreicht größere Tiefen als alle seine Konkurrenten, er findet seine persönliche Erlösung in der [Apnoe,]http://de.wikipedia.org/wiki/Apnoe die auch bei seinen Mordritualen eine große Rolle spielt.

Der Beginn des Buches mutet zunächst etwas ziellos und gemächlich an, es kommt nicht so recht Spannung auf, außerdem bleibt unklar, worauf Grangé hinaus will; ganz langsam entwickelt er seine Geschichte und setzt Stein auf Stein, bevor er sein Erzähltempo anzieht und uns mitnimmt auf den Weg der Erkenntnis. Die ersten hundert Seiten lesen sich daher recht schleppend, doch dann reißt uns die Story mit und entführt uns an exotische Tatorte, die dem Leser einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Eins ist klar: Grangé verheimlicht nichts, er präsentiert uns haarklein die grausamen Mordrituale und beschönigt nichts.

In dem Moment, wo Marc sich auf die Reise nach Südostasien begibt, nimmt die Erzählung ein unglaubliches Tempo auf, das einen nicht mehr loslässt. Wir werden ähnlich gepackt wie Marc Dupeyrat und möchten unbedingt das Rätsel des schwarzen Blutes ergründen und erfahren, wie aus dem vaterlosen kleinen Jungen Jaques Reverdi ein kaltblütiger Killer werden konnte.

Jean-Christophe Grangé beweist nicht nur eine blühende und grausige Fantasie, sondern auch ein großes Erzähltalent, denn er schafft es, uns Personen und Situationen bildlich vor Augen zu führen. Wenn sich Marc im Unwetter auf eine kleine düstere Insel begibt und Reverdis Mordhütte aufsucht, wenn dort der Bambus raschelt und Marc im Dunkeln eine konservierte Leiche ausgräbt, bekommen wir eine Gänsehaut und sind hautnah dabei, wir können uns dieser Geschichte nicht mehr entziehen. Empfindliche Leser sollten daher von diesem Buch lieber Abstand nehmen und auf einen neuen Roman von Rosamunde Pilcher warten, doch Fans von Thomas Harris und Jonathan Nasaw werden hier auf ihre Kosten kommen, zumal Grangé einige deutliche Anleihen bei Harris vornimmt, wenn beispielsweise Reverdi zunächst in Elisabeth Inneres vordringen will, bevor er ihr selbst etwas anvertraut. Das Hannibal Lector’sche „quid pro quo“ wird hier zitiert, aber auch an anderer Stelle erinnert Grangé an „Das Schweigen der Lämmer“.

Der Spannungsbogen setzt zwar vergleichsweise spät ein, doch ist er durchaus gelungen, da er mitzureißen weiß. Nur am Ende übertreibt es Grangé; hier möchte er noch mal alles umkrempeln und greift einmal zu oft in die Trickkiste, sodass dem erfahrenen Thrillerleser beim Zuklappen des Buches doch ein müdes oder sogar genervtes Lächeln auf die Lippen kommt. Am Ende wird man das Gefühl nicht los, dass Grangé mit der Brechstange versucht hat, seinem Buch ein innovatives Ende zu geben, doch so ganz kann es einfach nicht überzeugen.

Auch einige logische Unstimmigkeiten trüben den Lesegenuss, denn Reverdi ist auf der einen Seite der eiskalte und überlegte Killer, der mit ausgefeilten Methoden arbeitet und nie Interviews gibt, doch dann verliebt er sich Hals über Kopf in eine fremde Brieffreundin und vertraut ihr seine innersten Geheimnisse an, er macht sie praktisch zu seinem Lehrling und schickt sie blindlings auf den Weg der Erkenntnis. Das nehme ich dieser Romanfigur einfach nicht ab. Auch Marc Dupeyrat offenbart eine nervtötende Naivität, wenn er nach seiner Rückkehr einen Bestseller über Reverdi verfasst und tatsächlich zu glauben scheint, dass niemand die Parallelen erkennen würde oder dass er mit seinen Holzfällermethoden den Killer überlisten könnte. Dem Ganzen die Krone setzt allerdings die Szene auf, in der Reverdi und Khadidscha schließlich vor Reverdi fliehen müssen und dabei die sicheren Mauern eines großen Hotels verlassen, um lieber zu Fuß des Nachts in einen dunklen Wald zu flüchten, obwohl dies bislang immer Reverdis liebste Mordkulisse war und ihr Auto direkt vor dem Hotel steht.

Doch wird sich „Das schwarze Blut“ sicherlich trotz dieser Schönheitsfehler blendend verkaufen und auch verfilmen lassen; vielleicht steht Jean Reno hier zur Abwechslung einmal Pate für den Killer Reverdi, die Rolle des Dupeyrat wird sich wohl kaum mit Reno besetzen lassen. Jean-Christophe Grangé ist mit diesem Thriller sicherlich kein großer Wurf gelungen, dafür leistet er sich zu viele Schnitzer, nichtsdestotrotz gefällt das vorliegende Buch ganz gut, vertreibt es einem doch auf unterhaltsame Weise die Zeit bis zum nächsten Nasaw oder einem besser durchdachten Grangé.

Remin, Nicolas – Venezianische Verlobung

Nicolas Remin schaffte mit seinem Debütroman [„Schnee in Venedig“ 1987 auf Anhieb den Weg auf die deutschen Bestsellerlisten. Seine Erfolgsfaktoren waren sicherlich einmal sein sympathischer und verarmter Krimiheld Commissario Tron, aber auch Remins netter Schreibstil und die wunderbar romantische Szenerie haben sicherlich sehr zum Erfolg des Buches beigetragen. So verwundert es nicht weiter, dass Nicolas Remin in der „Venezianischen Verlobung“ auch wieder auf diese verkaufsträchtigen Komponenten zurückgreift, um seine Leser erneut gut zu unterhalten und mit seinem Roman in das Venedig des 19. Jahrhunderts zu entführen.

In Remins zweitem Roman dreht sich alles um die venezianische Verlobung zwischen Commissario Tron und seiner Angebeteten, der Principessa di Montalcino. Die beiden sind zwar offiziell ein Paar, doch wird die Hochzeit immer weiter aufgeschoben, sodass Trons Mutter es langsam mit der Angst zu tun kriegt. Der Palazzo Tron befindet sich in seiner Auflösung, es kann nicht mehr richtig geheizt werden und es regnet durch das undichte Dach hinein, sodass Trons Mutter keine andere Möglichkeit sieht, als Nutzen aus der geplanten Hochzeit zu ziehen und sich dadurch einen Kredit bei der Bank zu besorgen. Doch die Principessa plagen auch Geldnöte, wie sie ihrem Verlobten bald anvertraut. Helfen kann ihr wiederum der gute Name der Trons mitsamt der jahrhundertealten Tradition der Familie Tron.

Doch dies ist nur das schmückende Beiwerk, das die eigentliche Kriminalhandlung abrundet und das Buch noch unterhaltsamer macht. Im Zentrum der Geschichte steht der Mord an Anna Slataper, der politischen Hintergrund zu haben scheint, da Anna die Geliebte des Erzherzogs Maximilian war, also des Bruders des Kaisers von Österreich, der nun selbst Kaiser von Mexiko werden soll. Der Fall wirkt sonnenklar, denn Maximilian scheint sich seiner Geliebten entledigt zu haben, als sein eigener politischer Aufstieg bevorstand. Doch so geradlinig ist Remins Romanhandlung nicht, denn er fügt seiner Geschichte weitere Komponenten hinzu:

Wir lernen das arme Waisenmädchen Angelina Zolli kennen, das Commissario Tron zunächst bestiehlt, ihm dann aber aus Mitleid seine Geldbörse zurückgibt, weil Angelina merkt, dass er selbst nicht viel Geld besitzt. Angelina wird Zeugin des Mordes an Anna Slataper, erkennt von dem Mörder zunächst aber nur sein Hinken. Erst später kann sie sich an weitere Details erinnern und versucht auf eigene Faust, den Täter zu stellen. Im Laufe der Romanhandlung treffen wir auf zwielichtige Gestalten, die alle scheinbar etwas zu verbergen haben, auch Erpressung ist im Spiel, denn Anna Slataper hat zusammen mit einem berüchtigten Fotografen zusammen kompromittierende Fotos erstellen lassen, die nun zu Geld gemacht werden sollen. Aber was wirklich hinter dem Mord an Anna Slataper steckt, das erfahren wir erst ganz am Ende, wenn Nicolas Remin seine einzelnen Handlungsfäden für uns entwirrt.

In ähnlicher Manier wie auch schon in „Schnee in Venedig“ beweist Nicolas Remin erneut, dass er nicht nur über eine wunderbare Beobachtungsgabe verfügt, sondern auch über ein beachtliches Erzähltalent. Seine Dialoge wirken herzerfrischend und stecken voller Wortwitz, sodass wir beim Lesen nicht selten ein Lächeln auf den Lippen haben, weil wir uns die beschriebenen Situationen bildlich vorstellen und dabei einfach amüsiert sein müssen. Bis ins kleinste Detail entwickelt Remin seine Figuren und Szenerien, er erzählt uns von Commissario Tron, der die Zeitschrift mehrfach abonniert hat, die er selbst herausgibt, nur um den Verkaufserfolg voranzutreiben. Doch dann fällt seinem Vorgesetzten Spaur ein, dass er mit „selbst geschriebenen“ (also vielmehr abgeschriebenen) Gedichten seine Geliebte beeindrucken kann. So kommt es schließlich, dass Tron in seiner geliebten Zeitschrift, dem Emporio della Poesia, neben Gedichten von Baudelaire auch die zusammengestückelten Verse seines Chefs abdrucken muss. Zeitgleich muss Tron sich mit seiner Mutter herumquälen, die seine bevorstehende Hochzeit schamlos für ihren finanziellen Vorteil ausnutzen will und Tron damit in eine peinliche Situation zu bringen droht. Die gesamte Rahmenhandlung wirkt insgesamt sehr durchdacht und ausgefeilt; Nicolas Remin zeigt uns, dass ein Kriminalroman mehr ist als nur ein brutaler Mord mit einer anschließenden Hetzjagd.

Besonders Remins Charaktere gefallen äußerst gut. Die meisten von ihnen haben wir bereits in „Schnee in Vendig“ kennen gelernt, doch nun erfahren wir neue Facetten dieser Personen, außerdem kommen neue Figuren hinzu, die ebenfalls ihren Raum in der Geschichte erhalten. Remin füllt seine Figuren aus, haucht ihnen Leben ein und macht sie uns dadurch unglaublich sympathisch. Obwohl das gesamte Geschehen im 19. Jahrhundert spielt, ist Commissario Tron jemand, mit dem man gerne einen Kaffee trinken gehen würde, weil er einfach nett und freundlich auftritt.

Leider kann die eigentliche Krimihandlung nicht ganz mit der Rahmengeschichte mithalten. Während die Geschichte zunächst geradlinig beginnt und klar zu sein scheint, welche Motive und welcher Täter hinter dem Mord an Anna Slataper stecken, so kommen nach und nach immer neue Verdächtige ins Spiel, sodass sich die Spekulationen irgendwann ziemlich im Kreise drehen. Die Verdächtigungen werden wie ein Ball hin- und hergeworfen; hier kommt man gedanklich kaum hinterher, zumal man Remins Gedankengänge nicht immer nachvollziehen kann. Zum Ende hin scheint Nicolas Remin sich in einem unübersichtlichen Wust von gegenseitigen Verdächtigungen zu verlieren, der kaum entwirrbar scheint. Das Romanende wirkt daher alles andere als überzeugend, die Motive werden uns nicht ganz klar, sodass das befriedigende Aha-Erlebnis am Ende leider ausbleibt.

Dennoch kann Nicolas Remin auch mit seinem Folgeroman überzeugen, da er erneut beweist, dass er herrliche Charaktere und Dialoge voller Wortwitz und Situationskomik entwerfen kann. Das Lesen eines Remin macht einfach Spaß, sodass man dem Autor wieder einmal kleine logische Ausrutscher in der eigentlichen Krimihandlung verzeiht.

Asensi, Matilde – verlorene Ursprung, Der

Mit ihrem Verschwörungsthriller „Wächter der Kreuzes“ schaffte die spanische Autorin Matilde Asensi den internationalen Durchbruch. Mit dem „verlorenen Ursprung“ legt sie nun einen neuen Spannungsroman vor, der sich der geheimnisvollen Geschichte der Inkas angenommen hat. Auch in ihrem aktuellen Roman hat sich Asensi ein faszinierendes Thema herausgegriffen, das ein packendes und interessantes Buch vermuten oder zumindest doch erhoffen ließ. Leider kann Asensi diese Erwartungen mit dem vorliegenden Buch jedoch nicht erfüllen. Dabei beginnt „Der verlorene Ursprung“ zunächst äußerst viel versprechend:

Den Programmierfreak und Internetspezialisten Arnau Queralt („Root“) erreicht die Nachricht, dass sein Bruder Daniel mit merkwürdigen Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Daniels Frau Mariona ist verzweifelt, denn Daniel reagiert nicht mehr und bittet um seine eigene Bestattung, da er sich für tot hält. Auch die Ärzte wissen nicht, was mit Daniel los ist, seine Symptome entsprechen zwei verschiedenen, wenig untersuchten Krankheitsbildern. Als kein Medikament eine Verbesserung hervorruft und Daniel immer wieder unbekannte Worte von sich gibt, beginnt Arnau, eigene Nachforschungen anzustellen.

Von seiner Schwägerin Mariona lässt er sich zeigen, woran der Archäologieexperte Daniel vor Auftreten seiner Krankheit gearbeitet hat. Daniels Forschungsunterlagen führen Arnau auf die Spuren der Inkas und einer perfekten Sprache, dem Aymara. In seiner Verzweiflung wendet Arnau sich an Daniels Chefin Marta Torrent, die behauptet, Daniel habe die Aymara-Dokumente ohne ihre Erlaubnis entwendet. Arnaus Misstrauen wächst, da er seinen Bruder für absolut vertrauenswürdig hält, doch muss er im Laufe seiner Nachforschungen feststellen, dass er seinen Bruder wohl doch nicht so gut gekannt zu haben scheint …

Zusammen mit seinen engsten Mitarbeitern Marc („Jabba“) und Lola („Proxi“) findet Arnau immer mehr faszinierende Details über die Inkas heraus, die sein Weltbild ins Schwanken geraten lassen. Die Drei entdecken schier unglaubliche Dinge und Dokumente, die sie auf die Spur einer in Vergessenheit geratenen Zivilisation bringen. Schließlich fliegen die drei Computerspezialisten zusammen nach Bolivien, um ihre Entdeckungsreise im geheimnisvollen Tiahuanaco fortzusetzen. Dort begeben sich Arnau, Marc und Lola zum „Grab des Reisenden“, wo sie gefährliche Rätsel zu lösen haben, doch dann stellen sie fest, dass sie nicht die Einzigen sind, die das Rätsel um das Volk der Yatiri lösen wollen …

Im Grunde genommen hat sich Matilde Asensi vielversprechende Zutaten für ihren neuen Roman herausgesucht, die zusammen sicherlich ein packendes Ganzes hätten ergeben können, doch ist Asensis Mischung in diesem Fall nicht ganz gelungen. Dabei beginnt alles positiv und lässt auf einen spannenden Fortgang der Geschichte hoffen. Zu Beginn werden wir der Hauptfigur Arnau Queralt vorgestellt, der als erfolgreicher Jungunternehmer und Internetspezialist bekannt ist, sich in seiner Freizeit allerdings gerne zusammen mit Jabba und Proxi in fremde Rechner einhackt. Arnau wohnt in einer faszinierenden High-Tech-Welt, nämlich in einer Wohnung, in der er sprachgesteuert für seinen eigenen Luxus sorgen kann.

Spannend wird es, wenn diese technisierte Zukunftswelt zusammenprallt mit der alten Inka-Kultur, die viele tausend Jahre in die Vergangenheit zurückreicht und dennoch nicht minder perfekt und modern anmutet. So müssen schließlich Root, Jabba und Proxi im finsteren Dschungel Boliviens Abschied nehmen von ihren technischen Errungenschaften; dort beginnt Arnau schließlich, sein Leben und seine Einstellung zu überdenken, sodass er aus seinem spannenden Abenteuer fast schon als geläuterter Mensch hervorgeht. Dies ist auch bereits einer der wesentlichen Kritikpunkte, denn Asensis Romanfiguren bieten wenig Angriffsfläche, ihre Charaktere wirken glatt und oberflächlich. Allen voran wären hier die beiden so unterschiedlichen Brüder zu nennen: Auf der einen Seite steht der reiche und erfolgreiche Besitzer einer hochdotierten Internetfirma, auf der anderen sein nicht minder intelligenter Bruder, der sich als Dozent für Archäologie einen Namen gemacht hat. Doch schwelt die Eifersucht zwischen den Brüdern, da Daniel neidisch ist auf Arnaus finanziellen Erfolg. Dies ist abgesehen von Daniels plötzlicher Krankheit allerdings die einzige Gewitterwolke, die am Queralt’schen Himmel aufzieht.

Auch Arnaus Angestellte Jabba und Proxi wirken wenig authentisch, zu perfekt und mutig agieren sie, obwohl sie ihren Tag ansonsten vor dem Computermonitor verbringen und dem Dschungel vorher höchstens mit dem Finger auf der Landkarte näher gekommen sind. Dennoch meistern sie die Schwierigkeiten und Gefahren des Dschungels fast schon meisterhaft, was uns beim Lesen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann, wenn man sich den beleibten Jabba (der seinen Spitznamen aufgrund seiner Ähnlichkeit mit der bekannten Figur Jabba the Hutt aus „Star Wars“ erhalten hat …) vorstellt, wie er sich mit seiner Machete bewaffnet einen Weg durchs Dickicht freikämpft. Natürlich darf auch nicht die Liebesgeschichte fehlen, die sich im Dschungel zwischen zwei einstmals verfeindeten Menschen entspinnt, als sie erkennen müssen, dass doch alles ganz anders ist, als es zuvor den Anschein hatte.

Zentrum der Romanhandlung sind schließlich die gut recherchierten Informationen über die Inkazeit und die Dokumente der Yatiri und ihrer Sprache Aymara. Hier offenbart Matilde Asensi, dass sie sich wahrlich meisterhaft in das Thema eingelesen zu haben scheint. Doch ist hier das wohl größte Manko des vorliegenden Buches festzumachen, da Asensi eine wahre Informationsflut über ihre Leser ergießt und damit auch den ausdauerndsten Leser zwangsläufig überfordern muss. Wer nicht gerade die Inkazeit als persönliches Steckenpferd auserkoren hat und demnach besonderes Interesse an diesen Details mitbringt, wird bei der Lektüre des Buches mit ziemlicher Sicherheit oftmals gelangweilt sein. Fast die Hälfte des Buches handelt von den Yatiri und ihrer verlorenen Kultur, sodass die eigentliche Rahmengeschichte über weite Strecken so sehr in den Hintergrund tritt, dass man fast schon vergessen kann, dass man eigentlich kein Sachbuch liest, sondern einen Roman. Erst zum Ende hin fängt Asensi sich wieder, wenn sie von der Dschungelexpedition berichtet und ihre Romanfiguren wieder in den Mittelpunkt der Erzählung stellt.

Hinzu kommt, dass man lange Zeit nicht weiß, worauf Matilde Asensi eigentlich hinaus will; so liest man etwas ziellos weiter und vermisst leider auch einen Spannungsbogen. Die Geschichte fließt ziemlich zäh dahin und man muss immer wieder geduldig warten, bis man neue Informationshäppchen vorgeworfen bekommt, die nicht nur die historischen Ausführungen vorantreiben, sondern die eigentliche Romanhandlung. Zum Ende hin entwirft Asensi schließlich einige Ideen bzw. Theorien (Fantasien?) über die Entstehung des Lebens auf der Erde, die für meinen Geschmack doch etwas zu abenteuerlich ausgefallen sind.

Sprachlich dagegen gefällt Asensis aktuelles Buch wieder einmal sehr gut, denn die Autorin beweist, dass sie schreiben und wohlakzentuiert formulieren kann. Ihre Schreibweise wirkt auf den ersten Seiten zwar etwas schwerfällig, ist dann aber sehr angenehm zu lesen und positiv hervorzuheben, da Asensi nicht auf den Zug derjenigen Autoren aufspringt, die einem Hauptsatz allerhöchstens noch einen knappen Nebensatz widmen, um ihre Bücher bloß nicht zu kompliziert wirken zu lassen.

Insgesamt bleibt jedoch ein eher mittelmäßiger Eindruck zurück und vor allem Enttäuschung darüber, dass Asensi aus diesem spannenden und faszinierenden Thema nicht mehr herausgeholt hat. Und dabei hätte im Prinzip nicht viel gefehlt, um den „verlorenen Ursprung“ zu einem genialen Buch zu machen. Die Zutaten waren wirklich vielversprechend, doch hätte ich mir eine deutlich straffere Erzählweise in den historischen Exkursen gewünscht und dazu Romanfiguren mit Ecken und Kanten, denen man den Überlebenskampf im Dschungel auch abgenommen hätte. So aber hat Asensi leider viel Potenzial ungenutzt gelassen; vielleicht hätte sie ihre langen Inka-Ausführungen lieber für die besonders interessierten Leser in einen Anhang packen sollen, das hätte ihrem Roman sicher gut getan und vor allem auch dafür gesorgt, dass „Der verlorene Ursprung“ ein breiteres Publikum erreicht.

Indriðason, Arnaldur – Kältezone

In Island gibt es pro Jahr nur drei Mordfälle, dennoch hat dieses Land einen Erfolgsautor hervorgebracht, der bereits zweimal den begehrten „Nordic Crime Novel’s Award“ bekommen hat. Arnaldur Indriðason schreibt spannende und tiefgründige Kriminalromane, die sich weit über sein Heimatland hinaus erfolgreich verkaufen. Ähnlich wie Kathy Reichs widmet er sich meist mysteriösen Knochenfunden, die auf weit zurückliegende Mordfälle hinweisen. Doch im Gegensatz zu seiner amerikanischen Kollegin widmet Indriðason sich hierbei weniger dem Skelett und seiner forensischen Untersuchung als vielmehr der Tragödie, die sich hinter diesem Kriminalfall verbirgt.

In Indriðasons aktuellem Roman „Kältezone“ steht der See Kleifarvatn im Zentrum des Geschehens. Innerhalb kürzester Zeit hat sich der Wasserspiegel des Kleifarvatn so weit gesenkt, dass die Hydrologin Sunna bei einer ihrer Kontrollmessungen ein Skelett entdeckt, das bereits seit vielen Jahren auf dem Grund des Sees gelegen haben muss. Für einen solchen Fall kommt natürlich nur Kommissar Erlendur Sveinsson in Frage, der sich mit Vorliebe ungelösten Kriminalfällen widmet, da vor vielen Jahren sein eigener Bruder bei einem Schneesturm verschwunden ist und Erlendur dieses Erlebnis immer noch nicht verarbeitet oder gar abgeschlossen hat.

Bei seinen Ermittlungen wühlt sich Erlendur zunächst ziellos durch unaufgeklärte Vermisstenfälle aus den 70er Jahren. Schließlich trifft er dabei auf eine Frau, deren Verlobter im fraglichen Zeitraum spurlos verschwunden ist. Die beiden wollten damals heiraten, doch findet Erlendur schnell heraus, dass die Frau ihren Verlobten „Leopold“ kaum gekannt haben kann. Sie besitzt kein Foto von ihrem Verlobten und weiß wenig über sein Leben, nicht einmal, dass es sich bei „Leopold“ gar nicht um seinen richtigen Namen handelt. Hat Erlendur mit dem verschwundenen Leopold die richtige Spur entdeckt?

In einem zweiten Handlungsstrang erzählt Indriðason uns die Geschichte von Tómas, der in seiner Jugend leidenschaftlicher Anhänger der sozialistischen Partei war und sich daher für ein Studium der Ingenieurswissenschaften in Leipzig entschieden hat. Schnell wird klar, dass es zwischen dem gefundenen Skelett und Tómas eine Verbindung geben muss, die vor dem Hintergrund des Sozialismus spielt und bis in Tómas’ Studentenzeit zurückreicht. In Leipzig lernt Tómas am eigenen Leibe die Auswirkungen des Überwachungsstaats kennen. Seine Freunde und er selbst werden bespitzelt und riskieren ihre eigene Zukunft, wenn sie sich gegen den Sozialismus stellen. Als Tómas sich in die Ungarin Ilona verliebt, gerät er in einen Strudel von Ereignissen, der sein ganzes Leben verändern wird.

In gewohnt überzeugender Art klamüsert Arnaldur Indriðason einen Kriminalfall auseinander, der viele Jahre zurückliegt, für Erlendur Sveinsson allerdings alles andere als abgeschlossen ist. Der sympathische Kriminalkommissar, der seit fünf Jahren keinen Urlaub mehr genommen hat und zu Beginn des Buches daher im „Zwangsurlaub“ ist, macht sich hocherfreut an die Ermittlungen und lenkt sich dabei auch von seinen persönlichen Problemen ab. Seine Tochter Eva Lind ist seit einem tätlichen Angriff auf Erlendurs Kollegen in Therapie, versucht allerdings nur halbherzig, ihr Leben wieder in rechte Bahnen zu lenken. Zu diesem Zeitpunkt taucht auch noch Erlendurs Sohn Sindri Snaer auf und möchte bei seinem Vater wohnen. Hinzu kommt Erlendurs Beziehung zu einer verheirateten Frau, die nicht minder schwierig ist als das Verhältnis zu seinen beiden Kindern. Privat sieht es bei Erlendur daher trotz neuer Frau an seiner Seite alles andere als rosig aus, sodass er froh ist, wieder einen zurückliegenden Mordfall lösen zu können, der ihn von seinen eigenen Problemen ablenkt.

Erlendur sieht sich mit einem Fall konfrontiert, der ihn erneut in die Vergangenheit führt. Dort ist ein Verbrechen aufzuklären, das seine Ursprünge in Leipzig genommen hat, wo junge Studenten aus ihrer jugendlichen Unbefangenheit gerissen werden und erkennen müssen, dass der Sozialismus nicht die erwartete glorreiche Zukunft verspricht. Die Lehrjahre der ausländischen Studenten in Leipzig sind hart, einer wird ohne Studienabschluss des Landes verwiesen, doch es kommt noch schlimmer.

Arnaldur Indriðason widmet sich in „Kältezone“ den Problemen und Auswirkungen des Kalten Krieges sowie Islands Situation in dieser politisch schwierigen Zeit, er führt uns die Beklemmung vor Augen, die unter den Leipziger Studenten geherrscht haben muss, als sie erkannt haben, dass sie sogar von ihren eigenen Freunden bespitzelt werden. Mit viel Feingefühl und psychologischem Geschick erzählt Indriðason diese Geschichte aus der Vergangenheit, die zu einer Tragödie geführt hat, die uns betroffen und das zurückliegende Verbrechen verständlich macht.

Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, denn auch ein Mörder kann bei Indriðason ein Opfer sein, das über erlittene Schicksalsschläge nicht hinwegkommen kann. Erlendur erfährt wieder einmal, dass auch längst vergangene Mordfälle nie ganz vergessen sind und es immer noch Menschen gibt, die trauern – um geliebte Menschen und um eine verloren gegangene Zukunft.

„Kältezone“ ist ein packender Kriminalroman mit hochinteressantem politischem Hintergrund, den Indriðason für uns aufdröselt. Der isländische Erfolgsautor nimmt uns an die Hand und schickt uns fast 40 Jahre in die Vergangenheit. Zusammen reisen wir nach Leipzig und fühlen uns plötzlich selbst verfolgt.

Bei Indriðason ist nicht so sehr die Tat an sich von Interesse, sondern die Motive sind es, die zu dieser Tat geführt haben und auch die Menschen und Schicksale, die sich hinter einem solchen Mord verbergen. So ist es auch im vorliegenden Roman, der uns wieder von Anfang an gefangen nimmt und auch noch lange beschäftigt, selbst wenn das Buch längst ausgelesen ist. Indriðason fasst thematisch ein heißes Eisen an und scheut sich nicht davor, politische Meinungsbildung zu betreiben, die hier in einen brisanten Mordfall verpackt wurde.

Doch „Kältezone“ hat noch mehr zu bieten als diesen Handlungsstrang rund um den aufzuklärenden Kriminalfall. Gekonnt formt Indriðason seine Charaktere aus, sodass bereits bekannte Figuren wie Erlendur, Sigurđur Óli und Elínborg immer mehr Gestalt annehmen und bei der Lektüre fast schon zu vertrauten Bekannten werden. Ganz nebenbei erzählt Indriðason Geschichten, die im Grunde genommen nichts mit dem Kriminalfall zu tun haben, die sich aber doch überzeugend in das Gesamtkonzept einfügen. Wenn Indriðason von Erlendurs familiären Problemen erzählt oder von Sigurður Ólis nächtlichem Anrufer, rückt die Ermittlung in den Hintergrund, ohne dass jedoch der Erzählfluss ins Stocken geriete. Indriðason beweist erneut, dass er über großes Erzähltalent verfügt und dass seine Romane erst durch derlei Nebenschauplätze abgerundet werden.

So bleibt am Ende festzuhalten, dass Arnaldur Indriðason mit „Kältezone“ sein hohes Niveau halten kann und erneut alle Erwartungen erfüllt. Indriðason bietet uns mehr als die bloße Aufklärung eines Mordfalles, er verwebt viele verschiedene Komponenten: Indriðason erzählt von persönlichen Schicksalen, er gibt seinem Roman ein politisches Grundgerüst und lebensnahe Charaktere, die uns von Buch zu Buch immer näher gebracht werden. So entführt uns der Autor in ein Island, in dem zwar nur drei Mordfälle pro Jahr geschehen, in dem es aber offensichtlich viele ungeklärte Mordfälle aus vergangenen Tagen aufzuklären gibt – und dies ist ein Glück für den Leser.

Lehtolainen, Leena – Im schwarzen See

Dank Leena Lehtolainen mischt auch Finnland mit, wenn es um die erfolgreichsten skandinavischen Kriminalromane geht. Die Krimis der finnischen Erfolgsautorin sind im eigenen Land bereits erfolgreich verfilmt worden, aber auch in Deutschland erscheint mit „Im schwarzen See“ bereits der achte Fall, in dem Maria Kallio ermittelt. Bereits vor zwölf Jahren veröffentlichte Lehtolainen ihren ersten Kriminalroman und zählt heute zu den erfolgreichsten und renommiertesten finnischen Schriftstellerinnen. Ähnlich wie bei Henning Mankell ist es auch bei Lehtolainen die menschliche Seite an ihrer Kriminalkommissarin, die ihren Romanen die besondere Note verleiht und dadurch sicherlich sehr zum Verkaufserfolg ihrer Romane beiträgt.

Im aktuellen Lehtolainen-Krimi ist Maria Kallio nach der Geburt ihres zweiten Kindes wieder in den Polizeidienst zurückgekehrt und muss dort sogleich einen Mord aufklären. Der Verlagsbesitzer Atro Jääskeläinen meldet seine Frau Annukka Hackman als vermisst, und tatsächlich wird sie bald ermordet im See Humaljärvi aufgefunden. Es scheint, als wäre sie mit ihrer eigenen Waffe erschossen worden, während sie gerade im See schwamm. Annukkas Exfreund Hannu Kervinen arbeitet als Pathologe für die Kriminalpolizei und bricht völlig zusammen, als Annukka, die er immer noch über alles liebt, als Mordopfer auf seinem Untersuchungstisch landet. Doch damit nicht genug, wird Kervinen des Mordes verdächtigt, weil er Annukka auch nach ihrer Hochzeit immer noch nachgestellt hat. Aber auch Atro Jääskeläinen hat für die Tatzeit kein wirklich wasserdichtes Alibi.

Eine dritte vielversprechende Spur führt zur Familie Smeds, da Annukka vor ihrem Tod an einer Biografie über den berühmten Rallyefahrer Sasha Smeds geschrieben hat. Während ihrer Nachforschungen über Sashas Leben muss Annukka auf eine heiße Sensationsgeschichte gestoßen sein, denn sie wollte um alles auf der Welt diese Biografie veröffentlichen, auch wenn sie nicht mehr von Sasha autorisiert werden sollte. Merkwürdigerweise finden sich in Annukkas aktuellem Manuskript keine verdächtigen Geschichten, die einen Mord rechtfertigen würden. Maria Kallio tappt lange Zeit im Dunkeln und muss zusätzlich mit privaten Problemen kämpfen. Seit sie wieder zur Arbeit geht, beschwert sich ihr Mann Antti zunehmend darüber, dass sie sich nicht mehr um ihre Familie kümmert. Er sitzt dagegen arbeitslos in der ungemütlichen Wohnung und versorgt die gemeinsamen Kinder. Als schließlich wichtige Informationen an die Presse gegeben werden, Zwistigkeiten in Maria Kallios Kollegenkreis auftauchen und sie bemerkt, dass ihr Vorgesetzter Jyrki Taskinen vielleicht doch mehr für sie ist als nur ein guter Freund, erhält Maria einen geheimnisvollen Anruf von Hannu Kervinen. Kurz darauf wird eine weitere Leiche gefunden und der Zeitdruck lastet mehr denn je auf den ermittelnden Beamten …

Leena Lehtolainen steigt sofort mit einem Mord in ihre Romanhandlung ein und schafft damit das erste Spannungsmoment, das uns an ihr Buch fesselt. Anschließend lässt sie sich allerdings sehr viel Zeit, um eine glaubwürdige Rahmenhandlung zu entwickeln, die für eine gelungene Atmosphäre sorgt und das Buch mit Leben füllt. Hier passiert nicht gleich ein zweiter Mord, der auf einen psychopathischen Serienkiller hindeuten würde, sondern Lehtolainen stellt uns alle verdächtigen Personen und die handelnden Figuren eingehend vor. Dabei tauchen wir richtiggehend in Maria Kallios Gedankenwelt ein und erleben dadurch all ihre Sorgen und Probleme hautnah mit. Ihr Beruf und ihre Familie wachsen ihr über den Kopf, zusätzlich fühlt sie sich in der engen Wohnung unwohl. Hinzu kommt Anttis Antriebs- und Mutlosigkeit, die ihn sogar überlegen lässt, eine Arbeitsstelle in England anzunehmen. In diese schwierige Situation platzen eine schwere Grippe ihres zweijährigen Sohnes Taneli und ein verdächtiges Paket von einem Gefängnisinsassen für ihre kleine Tochter Iida, außerdem kommen die Ermittlungen kein Stück voran. Maria weiß nicht weiter und muss schließlich mit einem Wechselbad der Gefühle, Zwist und Eifersucht unter ihren Kollegen kämpfen.

Die Ausgangssituation für eine erfolgreiche Aufklärung des Mordfalls ist also denkbar schlecht; hier finden wir fast die gleiche Trostlosigkeit wie im schwedischen Ystad wieder, nur dass Lehtolainen auf brutale Details und fiese Mordtechniken vollständig verzichtet. Ihr aktueller Kriminalroman ist geprägt von persönlichen Problemen der Kriminalkommissarin Kallio, die uns durch diese privaten Schilderungen sehr sympathisch wird.

Aber auch die anderen Figuren werden uns genauer vorgestellt, da Leena Lehtolainen sich auf einen kleinen Kreis von Verdächtigen beschränkt und diese Personen stattdessen eingehend präsentiert, um uns zum Miträtseln zu animieren. Fast schon wie bei Agatha Christie kommt Lehtolainen mit einer Hand voll verdächtiger Personen aus, von denen im Prinzip allerdings jeder der Mörder sein könnte. Immer wieder tauchen neue Verdachtsmomente auf, und wenn ein Tatverdächtiger schon fast als Mörder feststeht, gibt es eine neue Spur, die auf jemand anderen hindeutet. Hier beweist Lehtolainen wirklich großes Geschick für das punktgenaue Einstreuen neuer Informationen, die ihrer Handlung eine neue Wendung geben. Unterschwellig scheint sich alles auf eine bestimmte Person hinzuentwickeln, aber wer weiß, vielleicht überrascht uns Leena Lehtolainen am Ende noch einmal?!

Trotz dieser Lobeshymnen kann man „Im schwarzen See“ wohl nicht generell jedem Krimifreund empfehlen, eher würde ich meinen, dass Lehtolainen wie ihre norwegische Kollegin Anne Holt eher „Frauenkrimis“ schreibt, die sich nicht so sehr auf blutige Details stürzen oder wie bei Wallander auf ausgefeilte Mordtechniken, sondern auf die persönliche Seite der handelnden Personen. So müssen wir uns mit zwei Leichen „begnügen“, obwohl das Buch sicherlich vom Umfang her Platz für mehr gelassen hätte, doch dann hätte Lehtolainen ihre Rahmengeschichte nicht so weit ausbauen können, die jedoch einen Großteil des Lesevergnügens ausmacht. Am Ende trauert man mit Maria Kallio, wenn der Täter gefunden und der Fall aufgeklärt ist, denn hier ist es keine Erleichterung, einen fiesen Mörder überführt zu haben; die Autorin präsentiert uns hier vielmehr ein menschliches Schicksal, für das wir Verständnis haben. Seltsamerweise haben wir deswegen am Ende mehr Sympathien für den Täter als für das Opfer.

Etwas unübersichtlich gestalten die zahlreichen finnischen (und daher für den deutschen Leser komplizierten) Namen das Lesen, denn es dauert eine Weile, bis man jedem Namen einen persönlichen Hintergrund zuordnen kann. Doch da im Grunde genommen jede auftauchende Person ihre Berechtigung in diesem Buch hat, gewöhnt man sich schließlich doch an die fremdländischen Namen. Störend empfand ich dagegen die Geschichte, die Leena Lehtolainen um Maria Kallios Kollegin Ursula rankt. Dieser Handlungsstrang bringt die eigentliche Erzählung nicht voran – ganz im Gegenteil, Ursulas Geschichte bremst sie eher noch aus. Leider finden Ursulas Ränkespielchen keinen echten Abschluss in diesem Kriminalroman und kommen mir deswegen etwas unnötig vor.

„Im schwarzen See“ wird wahrscheinlich nicht der Krimi des Jahres werden, dennoch hat die finnische Erfolgsautorin Lehtolainen wieder einmal einen spannenden und überaus interessanten Kriminalfall ihrer Kommissarin Maria Kallio vorgelegt, der seine Leser (besonders die weiblichen) sehr gut zu unterhalten weiß. Der Roman kommt psychologisch ausgefeilt daher und spielt mit den Sympathien der Leser, da wir am Ende mit dem Täter fühlen und nicht um das Opfer trauern. Bei Lehtolainen kauen wir nicht vor Spannung und Ungeduld unsere Fingernägel ab oder lassen nachts das Licht an, weil die Erzählung brutal und fesselnd ist, die Stärken dieser finnischen Kriminalreihe liegen vielmehr in der Figur der Maria Kallio und den glaubwürdigen Figurenzeichnungen; hier werden die persönlichen Schicksale ins Zentrum der Geschichte gerückt. Wer sich auf diese Erzählweise einlässt, wird mit diesem Roman sicherlich ein paar vergnügliche Lesestunden erleben.

Henrike Wöbking – Auf Eis

Frauen und Eishockey – das passt so gut zusammen wie saure Gurken mit Sahne, möchte man zumindest meinen. Doch Henrike Wöbkings aktuelles Buch beweist das Gegenteil. Wöbking legt mit „Auf Eis“ ihren inzwischen zweiten Roman vor und schafft es, ein Frauenbuch zu schreiben, ohne auf die typischen Klischees zurückzugreifen. Zwar stehen auch hier wieder Männer im Mittelpunkt, doch spielen diese nicht deshalb eine Rolle, weil sie verdammt gut aussehen, sondern weil sie gute Eishockeyspieler sind.

Henrike Wöbking – Auf Eis weiterlesen

Kalla, Daniel – Pandemie

Spätestens seit dem 11. September 2001 ist der Kampf gegen den Terror in den Medien ständig präsent, und auch die Angst vor bioterroristischen Angriffen ist nach wie vor vorhanden, auch wenn die Anthrax-Anschläge inzwischen lange Zeit zurückliegen. Doch so richtig sicher kann sich wohl niemand fühlen, haben Seuchen in der Vergangenheit und auch Grippe-Epidemien doch gezeigt, wie schnell und weit sich ein solches Virus verbreiten kann. Mit dieser Angst spielt auch Daniel Kalla in seinem aktuellen Roman „Pandemie“. Kalla arbeitet als Notarzt in Vancouver und erlebte 2003 den SARS-Ausbruch hautnah mit. Dies inspirierte ihn zu seinem packenden Thriller, in welchem Kalla seine ganz eigene Schreckensvision einer möglichen Pandemie zeichnet …

In der kleinen Provinz Gansu in China wird einem Patienten kurz vor seinem Tode Blut gestohlen – Blut, das ein tödliches Virus enthält und den Patienten innerhalb von wenigen Tagen umgebracht hat. Zur gleichen Zeit gibt Dr. Noah Haldane seine beliebten Vorlesungen an der Washingtoner Universität und prophezeit seinen Studenten eine Pandemie, die längst überfällig ist. Und Haldane muss es wissen, schließlich wird er von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Virusexperte an allen Krisenorten eingesetzt. So half Haldane auch in China mit, die Verbreitung des SARS-Virus zu stoppen. Auch die Direktorin der Bioterrorismus-Abwehr innerhalb der Abteilung für Zivilschutz, Dr. Gwen Savard, ahnt die drohende Katastrophe und fürchtet insgeheim bereits die gezielte terroristische Verbreitung eines tödlichen Virus.

Und dies ist genau der Plan des fanatischen Hazzir Al Kabaal, der als streng gläubiger Moslem der westlichen Welt einen Denkzettel verpassen möchte. In Afrika hat er sich sein eigenes Virenlabor aufgebaut, um von dort seine Aktion zu planen. Gezielt infiziert er seine Selbstmordattentäterinnen mit dem todesbringenden Virus und schickt sie auf die Reise in die westliche Welt. Khalilas Weg führt sie nach London, wo sie sich schwer krank in ein nobles Hotel schleppt und dort mit dem Fahrstuhl auf und ab fährt, um die Hotelgäste anzustecken. Aber auch in Hongkong und Kanada wird das Virus verbreitet. Kabaal verlangt den Rückzug amerikanischer Truppen aus allen islamistischen Ländern und droht mit der Aussendung einer Todesarmee, die das Virus über die Welt verstreuen wird.

Als Noah Haldane die Nachricht von der so genannten Gansu-Grippe erreicht, reist er sofort nach China, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Dort ist die Gefahr bald gebannt, doch dann taucht das Virus plötzlich in zwei großen Metropolen auf und bedroht die Welt. Durch die Mobilität der Menschen könnte eine Pandemie bevorstehen, die sich über die ganze Welt ausbreitet …

Für seinen Thriller hat Daniel Kalla sich ein Thema herausgegriffen, das nicht neu ist. Auch Hollywood hat es schon für sich entdeckt und in dem mehr oder weniger spannenden Film „Outbreak“ verwurstet. Doch Kalla begeht nicht den gleichen Fehler wie die Filmemacher aus Kalifornien, denn er hält sich zurück. Wo Hollywood den Zuschauer mit schreckenerregenden Phantasien überfrachtet, zeichnet Kalla seine eigene Vision einer möglichen Pandemie, die nicht minder furchtbar anmutet, die aber von einem wissenschaftlichen Hintergrund ausgeht und daher erstaunlich realitätsnah wirkt. Dies ist genau der Punkt, der das vorliegende Buch so brisant und packend macht, denn wir glauben Kalla, was er schreibt. Nach der Lektüre des Buches fragt man sich schon fast, warum wir bislang von derlei Angriffen verschont geblieben sind, wo Bioterrorismus doch eigentlich so nahe liegt.

In „Pandemie“ begegnen wir einem Virus, das jeden vierten Menschen innerhalb weniger Tage tötet, sich aber glücklicherweise nicht so schnell verbreitet wie die Grippe, da die Gansu-Grippe nicht annähernd so ansteckend ist. Das führt dazu, dass sich das Virus nicht gleich unkontrolliert über die ganze Welt verbreitet und jeden einzelnen Menschen bedroht, sondern eine relativ überschaubare Anzahl von Menschen trifft. Hier bekommen die Wissenschaftler und Terrorexperten die Chance, gezielt gegen die Verbreitung des Virus vorzugehen und Notfallpläne zu entwickeln. Dies mindert in keiner Weise den Schrecken, den Kalla mit seinem Buch verbreitet, denn jedem wird klar sein, welchen Schaden eine Selbstmordarmee hätte, die sich selbstlos opfert und dabei andere Menschen infiziert.

Nicht ganz so realistisch sind die Charaktere gelungen, die auch in diesem „Seuchen-Thriller“ dazu da sind, die Welt zu retten. Die Figuren wirken stereotyp und blass, wir erfahren zwar einiges über ihr äußeres Erscheinungsbild, aber die Charaktere haben kaum Ecken und Kanten. Besonders Noah Haldane wirkt wie eine leere Figurenhülse, der Kalla einen beeindruckenden wissenschaftlichen Werdegang sowie eine gescheiterte Ehe verpasst hat, um hier wirklich alle Klischees zu bedienen. Haldane und Savard stehen im Zentrum des Geschehens und ziehen dennoch wenig Sympathien an, da sie uns übermenschlich erscheinen und nicht wie authentische Personen.

Dennoch gibt es insgesamt nur ganz wenige Kritikpunkte, die anzuführen sind, wie beispielsweise eine Quarantäne im 5-Sterne-Hotel, die absolut unpassend ist und die entstandene Dramatik etwas abmindert. Ansonsten inszeniert Kalla seine Geschichte jedoch überaus geschickt. Zunächst stellt er seinem Thriller einen Prolog voran, der uns neugierig auf die folgende Geschichte macht und schon erahnen lässt, welche Schrecken den Menschen bevorstehen. Die Verbreitung des Virus geschieht langsam, aber packend, manchmal raubt Kalla uns mit seinem ausführlichen Schreibstil den letzten Nerv, wenn er in allen Einzelheiten eine Situation beschreibt und damit die Spannung auf die Spitze treibt, weil der Leser mit kribbelnden Fingern weiterliest, um endlich voranzukommen in der Handlung. An anderer Stelle dagegen hat Kallas Schreibweise ein unglaubliches Tempo, sodass sich auf wenigen Seiten die Handlung fast überschlägt. Kalla schafft hier genau die richtige Mischung aus eingestreuten Cliffhangern, steten Wechseln zwischen den exotischen Schauplätzen und einer bedrohlichen Ausbreitung des schrecklichen Virus.

„Pandemie“ ist ein klug inszenierter Thriller, der sich sehr positiv abhebt von sonstigen effektheischenden Büchern, die nur auf den plumpen Horror setzen, dabei aber einen erkennbaren Spannungsbogen deutlich vermissen lassen. Daniel Kalla hat ein Buch vorgelegt, das überzeugt und mitreißt. Am Ende bleibt man nachdenklich zurück, klappt das Buch zu und macht sich seine Gedanken zu der politischen Situation auf dieser Welt, in der religiöser Fanatismus und Hunger nach Macht bereits zu unglaublich viel Krieg und Schrecken geführt haben. Nach der Lektüre von „Pandemie“ schläft man erstmal nicht mehr ganz so beruhigt ein und verfolgt die Nachrichten aufmerksamer als zuvor. Somit bleibt festzuhalten, dass Kalla seine Ziele wohl erreicht hat: Sein Buch lässt sich flink durchlesen, dabei unterhält es ausgesprochen gut, allerdings nicht auf oberflächliche Art und Weise, sondern es hinterlässt einige Spuren und regt zum Nachdenken an. Was will man mehr?

http://www.heyne.de

Kerr, Philip – Coup, Der

Auf dem Rücken des vorliegenden Buches wirbt der |Rowohlt|-Verlag damit, dass sein Autor Philip Kerr „die intelligentesten Thriller seit Jahren“ schreibt. Sicherlich handelt es sich hierbei um einen verkaufsträchtigen Ausspruch, der allerdings die Messlatte für den „Coup“ sehr hoch hängt, sodass Kerr wohl zwangsläufig daran scheitern muss. In der Tat hat Kerr mit „Newtons Schatten“ einen außergewöhnlich spannenden und interessanten Krimi mit dichter Atmosphäre veröffentlicht, wodurch er sich deutlich von seiner Konkurrenz abgehoben hat, doch schafft er dies auch mit seinem aktuellen Thriller, der in der heutigen Zeit spielt, stellenweise den Zeigefinger erhebt und sich teils auch sehr kritisch mit der aktuellen Finanzwelt auseinander setzt, in der die reichsten Männer der Forbes-Liste mächtiger sind, als sie vielleicht sein sollten? Schauen wir uns dies genauer an …

Zunächst lernen wir die Köchin Eve Merlini kennen, die ihren Ehemann Brad in ihrem gemeinsamen Restaurant inflagranti mit einer Kellnerin erwischt. Eve sieht rot und droht ihrem untreuen Mann und seiner Liebsten mit lebenden Krebsen, bis die Polizei erscheint und dem Ehestreit ein Ende setzen will, doch Eve kann nicht nur hervorragend kochen, sondern besitzt darüber hinaus den schwarzen Gürtel und überwindet die auftauchenden Polizisten mit ihren Karatekünsten im Handumdrehen. Dieser kleine Vorfall kostet sie nicht nur ihre Ehe, sie landet außerdem für einige Monate im Gefängnis. Doch genau dieser Umstand wird ihr Leben in Zukunft verändern. Denn in den Schlagzeilen entdeckt der Multimillionär Bob Clarenco Eve und möchte sie für seine ganz eigenen Zwecke einsetzen.

Clarenco lädt Eve zu einem Abendessen in ein sündhaft teures Restaurant ein und erklärt ihr, dass ihn dies verglichen mit seinem Vermögen nicht mehr kosteten würde als Eve eine Pizza vom Bringdienst. Doch Bob Clarenco hat Eve noch mehr anzubieten: Nachdem die Aktien seines Unternehmens drastisch gefallen sind und er außerdem bei einer kostspieligen Scheidung viel Geld verloren hat, steht Clarenco nur noch mit einem Bruchteil seines Vermögens da und hat sich bereits einen Plan zurechtgelegt, mit welchem er sein Konto wieder aufstocken möchte. Hierfür benötigt er allerdings eine toughe und fähige Köchin, die sein zusammengestelltes Team zu perfekten Catering-Angestellten ausbilden kann. Eve lässt sich nicht lange bitten, denn das Schmerzensgeld für die beiden Polizisten musste sie mit ihrem Anteil am Restaurant bezahlen, sodass sie das von Clarenco angebotene Geld dringend zum Leben braucht.

In harter Arbeit lernt Eve die anderen Mitarbeiter als Köche und Kellner an, um mit ihnen bei Multimilliardär Cal Wallenberg eingesetzt zu werden, der einmal pro Jahr zwanzig andere Multimilliardäre auf sein Anwesen einlädt, um mit ihnen ein Luxuswochenende zu verbringen.

Nachdem zwanzig der reichsten Männer der Welt bei Wallenberg eingetroffen sind, verleben die Milliardäre zunächst einige angenehme Stunden und schmieden ehrgeizige Zukunftspläne, bevor die Caterer zunächst das Security Team ausschalten und anschließend die Milliardäre narkotisieren. Im Internet veröffentlichen sie ihre Forderungen für die Freilassung der Geiseln und schalten eine Webcam, auf der eine gefesselte Geisel zu sehen ist. Die Caterer drohen mit der Erschießung der Milliardäre, wenn ihre Forderungen bis zum nächsten Tage nicht erfüllt werden. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt …

Philip Kerr erzählt in „Der Coup“ die Geschichte einer Geiselnahme, die zu Beginn recht geradlinig wirkt und kaum genug Stoff für einen Roman herzugeben scheint, doch im Verlauf der Erzählung müssen wir unser Bild revidieren. Die präsentierte Geiselnahme ist alles andere als alltäglich, zumal die Caterer eigentlich nicht vorhaben, irgendwelche Milliardäre zu ermorden, auch ihre zunächst vorgebrachten Forderungen inklusive des Schuldenerlasses für die Dritte Welt sind reine Tarnung, hinter allem steckt viel mehr, was Bob Clarenco selbst seinem Team erst spät offenbart. So kann Philip Kerr mit seiner Geschichte durchaus überraschen und unterhalten, zumal er uns ganz nebenbei einige sehr interessante und lehrreiche Dinge über die Börse und den Handel mit Optionsscheinen erklärt.

Auch die Erzählweise ist kurzweilig und versteht es, die Leser mitzureißen. Kerr hält seine Kapitel kurz und passt auch seinen Schreibstil der rasanten Geschichte an. Hier bekommen wir (leider) keine ausgefeilte Sprache zu lesen wie noch in „Newtons Schatten“, Kerr reitet vielmehr auf der aktuellen Erfolgswelle mit und orientiert sich dabei an Autoren wie Brown oder Crichton, die ebenfalls auf die vergängliche aber packende Literatur setzen. In diese Kerbe schlägt auch Philip Kerr, was ich persönlich etwas schade finde, da er bereits bewiesen hat, dass sein Repertoire durchaus mehr hergibt.

Leider überzeugen die Charaktere nicht vollends, die Figuren erscheinen vielmehr klischeehaft und wenig authentisch. Allen voran ist hier Eve Merlini zu nennen, die wir gleich zu Beginn als schlagkräftige Meisterköchin und betrogene Ehefrau kennen lernen, die in ihrer Vergangenheit als Kommandantin einer Gruppe von Panzerspähwagen mit den amerikanischen Soldaten in Kuwait einmarschiert ist. Auch bei der Schilderung der Biografien unserer Milliardäre scheint es mit Kerrs Phantasie etwas durchgegangen zu sein, hier reiht sich eine sensationelle Geschichte an die andere.

Äußerst reizvoll dagegen ist die Sympathieverteilung in „Der Coup“: Stets begleiten wir Eve, Bob Clarenco und ihr Team bei ihren Taten und sind Zeuge ihres Vorhabens, sodass wir mit ihnen mehr mitfühlen als mit den schwerreichen Geiseln, die zu ihrem Vermögen nicht nur durch legale Geschäfte gelangt und stattdessen rücksichtslos und egoistisch allein auf ihren Vorteil aus sind. So kommt es, dass wir den Geiselnehmern Erfolg wünschen, obwohl dies unserem Gefühl für Recht und Gerechtigkeit durchaus widerspricht. Philip Kerr übt hier Kritik an den Machenschaften der Finanzwelt und macht deutlich, wie mächtig ein Multimilliardär durch seinen großen Reichtum eigentlich ist. Hier werden dem Leser die Augen geöffnet, sodass wir manches nun vielleicht unter einem anderen Blickwinkel betrachten.

Die große Schwäche von Kerrs aktuellem Thriller liegt jedoch in seinem großen Finale, in dem sich die Ereignisse förmlich überschlagen und dem Leser unnötig viele Wendungen zugemutet werden, die die Erzählung schließlich vollkommen unrealistisch machen. Mit seinen Zaubertricks, die Kerr auf der Zielgerade aus dem Hut zaubert, überfrachtet er seinen Roman, ohne die Spannung dabei weiter zu steigern. Viele Situationen sowie die gezeichneten Charaktere wirken wie für eine Hollywoodproduktion geschrieben, die Figuren werden nicht mit Leben gefüllt und die inhaltlichen Wendungen am Ende erscheinen etwas lieblos; hier hätte Kerr lieber konsequent seine Linie durchziehen sollen.

Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass „Der Coup“ eine durchaus unterhaltsame Lektüre bietet, die schnell und flüssig durchgelesen ist und mit einigen angenehmen Überraschungen dienen kann. Doch hat Philip Kerr bereits bewiesen, dass er tatsächlich intelligentere Thriller zu schreiben in der Lage ist, sodass er mit seinem aktuellen Buch nicht ganz überzeugen kann. In Ansätzen ist die erzählte Geschichte gelungen und auch recht innovativ, doch sollte ein Autor die Geduld seiner Leser nicht überstrapazieren, wie Kerr dies mit seinem überfrachteten Finale getan hat. So reicht es leider nur zu einem mittleren Gesamteindruck, obwohl man aus der Idee sicherlich mehr hätte machen können.

Khoury, Raymond – Scriptum

Auf den Spuren eines Dan Brown möchten heutzutage verständlicherweise sehr viele Autoren wandeln, insbesondere wenn es um die sagenhaften Verkaufszahlen von Browns Verschwörungsthrillern geht. So wundert es kaum, dass der Buchmarkt in den letzten Jahren von immer mehr Kirchenthrillern geflutet wird, die allerdings oftmals nicht einmal annähernd auf der Brown’schen Erfolgswelle mitschwimmen können. Denn ein kirchengeschichtlicher Hintergrund – am besten natürlich unter Mitwirkung eines Geheimbundes – sowie ein relativ spartanischer und rasanter Schreibstil alleine reichen noch nicht aus, um beim Leser dasjenige Kribbeln hervorzurufen, das man beim Lesen von „Illuminati“ verspürt.

Auch Raymond Khoury hat sich mit den Tempelrittern und einem dunklen Vatikangeheimnis zwei sehr erfolgreiche Komponenten herausgepickt, die gepaart mit dem verkaufswirksamen Titel samt optisch hervorstechenden Buchcover praktisch einen Bestseller garantieren. Und richtig, „Scriptum“ verkauft sich hervorragend und wird an Weihnachten sicher so manch einen Bibliophilen erfreut haben. Doch eins muss man gleich vorweg feststellen: Dies widerfährt Khoury nicht ganz zu Unrecht, denn sein Buch sticht aus den zahlreichen mittelmäßigen Thrillern erfreulich positiv heraus. Doch beginnen wir zunächst beim Inhalt:

Im New Yorker Metropolitan Museum werden in einer Sonderausstellung Schätze des Vatikans präsentiert, die sich auch die hübsche Archäologin Tess Chaykin, ihre Mutter und ihre Tochter ansehen wollen. Doch dann tauchen plötzlich vier in Tempelrittertracht verkleidete Reiter auf, die einen Wachmann köpfen, die Besuchermenge in Schach halten und sich einige Schätze ergreifen. Tess kann dabei nur knapp einem der bedrohlichen Reiter entgehen, der sich zielsicher einen unscheinbaren Kasten greift und dazu geheimnisvolle lateinische Worte spricht. Nach dem Überfall schnappen die Reiter sich eine prominente Geisel und verschwinden über alle Berge.

Nachdem Tess ihren Schrecken überwunden hat und auch ihre Tochter wohlbehalten in die Arme schließen kann, fragt sie sich bald, warum der eine Reiter zielbewusst den so unbedeutend wirkenden Kasten erbeutet hat, der im Katalog als Rotorchiffrierer mit mehreren Walzen geführt wird. Doch Tess‘ Gefühl sagt ihr gleich, dass dahinter mehr stecken muss. Bald stellt sie eine Verbindung des Überfalls zu den Tempelrittern her und beginnt mit ihren eigenen Nachforschungen.

Dies aber ist FBI Special Agent Sean Reilly ein Dorn im Auge, da er weiß, dass Tess sich durch ihre eigene Ermittlung unbewusst in große Gefahr begibt. Denn nach dem Überfall auf das Metropolitan Museum werden nach und nach die Leichen der Reiter aufgefunden. Irgendjemand verfolgt seine eigenen Ziele und ermordet zielsicher die Museumsräuber. Sogar der Vatikan hat einen Verbündeten in New York, der dafür sorgen will, dass ein gut gehütetes Geheimnis im Verborgenen bleibt. Während Tess ihren Nachforschungen nachgeht und sich allmählich in Reilly verliebt, werden die beiden von den Verfolgern zu den Verfolgten …

Raymond Khoury bedient sich einiger erfolgsversprechender Komponenten für seinen Tempelritterroman, die Garanten für seinen großen Verkaufserfolg sind: In Manier eines Dan Brown lässt er zwei Protagonisten auf den Plan treten, die gut aussehend sind und mutig agieren und sich natürlich im Laufe der Geschichte ineinander verlieben und folglich alle Gefahren gemeinsam durchstehen können. Aber in den Biografien beider Hauptfiguren finden sich dunkle Episoden, die ihr heutiges Leben noch überschatten und dafür sorgen, dass die Liebe zwischen Tess und Sean nur langsam gedeihen kann. Khoury bedient hier sämtliche Klischees und langweilt dadurch an mancher Stelle, doch verlangt inzwischen wohl kaum noch jemand nach realistischen Figuren in aktuellen Spannungsromanen.

Glücklicherweise aber geschieht diese Liebelei zwischen Tess und Sean nur nebenbei und steht nicht im Zentrum der Geschichte. Khoury konzentriert sich vielmehr darauf, seine Tempelrittergeschichte zu entwickeln. In einem rasanten Erzähltempo präsentiert er uns historische Informationen über die Tempelritter und ihre Verbindung zum Vatikan. Hierfür lässt er zwischendurch einige Kapitel in weiter Vergangenheit spielen, wo wir neue Protagonisten kennen lernen, die damals das große Geheimnis des Vatikan gehütet haben.

„Scriptum“ spielt an verschiedenen, teils recht exotischen Schauplätzen, zwischen denen Khoury hin und her blendet, um dadurch immer mehr Spannung aufzubauen. Besonders die erste Buchhälfte fällt dadurch sehr spannend aus. Ab der Hälfte jedoch übertreibt der Autor es ein klein wenig mit seinen Ausführungen. Hier überschlagen sich die Ereignisse dermaßen, dass Spannung und Glaubwürdigkeit darunter zu leiden haben. Die Ereignisse erscheinen nicht mehr so ausgefeilt, sondern eher wie eine bloße Aneinanderreihung von gefährlichen Situationen. Da der Leser sich zudem recht sicher sein kann, dass Tess Chaykin und Sean Reilly diese Gefahren überstehen werden, fehlt dem Leser etwas die Gänsehaut.

Stilistisch hat sich Raymond Khoury stark an Dan Brown orientiert; so zaubert er nicht nur ein Vatikangeheimnis aus dem Ärmel, das an dasjenige aus Sakrileg erinnert, sondern er bedient sich ebenfalls der kurzen Kapitel, die schon bei Brown für ein rasantes Erzähltempo gesorgt haben. Dennoch merkt man, dass die Geschichte bei Khoury bei weitem nicht so raffiniert ausgeklügelt ist wie bei seinem berühmten Kollegen. Dies ist auch ein großes Manko, mit dem „Scriptum“ zu kämpfen hat, denn das wohlgehütete Geheimnis, das Khoury uns so sensationsversprechend präsentiert, wirkt nicht sonderlich innovativ, sodass an dieser Stelle viel aufgebaute Spannung verpufft. Hier hätte ich mir eine größere Sensation gewünscht, die vielleicht noch kein anderer Autor verwendet hat.

So bleibt am Ende festzuhalten, dass Raymond Khoury mit seiner Geschichte sehr wohl zu unterhalten weiß und mit „Scriptum“ einen rasanten und spannenden Roman vorgelegt hat, den man gerne und gebannt liest. Doch leider kann Khoury nicht vollkommen überzeugen; Dan Brown hat die Messlatte mit „Illuminati“ und „Sakrileg“ einfach zu hoch gelegt, sodass Khoury diese Marke nicht erreichen kann. Den Vergleich verliert Khoury durch seine wenig innovative Geschichte, die leider nicht an jedem Punkt überzeugen kann und auch nicht mehr neu wirkt, außerdem übertreibt der Autor es am Ende seines Buches etwas zu sehr. Etwas weniger Action hätte der Glaubwürdigkeit seines Romans gut getan. Insgesamt ist „Scriptum“ somit zwar überaus lesenswert und versüßt die Zeit bis zum nächsten Brown-Thriller gut, ganz oben in einer Liga mit Brown oder Eco kann das vorliegende Buch allerdings nicht mitspielen.

Zeilinger, Anton – Einsteins Spuk

Der bekannte Physiker und Nobelpreisträger [Richard Feynman]http://de.wikipedia.org/wiki/Richard__Feynman prägte einst den Satz „Ich denke, man kann mit Sicherheit sagen, dass niemand die Quantenmechanik versteht“ und brachte damit die Schwierigkeiten der Quantenphysik auf den Punkt. Dennoch birgt dieses Teilgebiet der Physik eine Faszination, welche sogar auf Nicht-Wissenschaftler überspringt. So wird beispielsweise in |Star Trek|-Newsgroups heftig über Quantenmechanik diskutiert, denn dort gibt es zahlreiche Tüftler, die sich Gedanken darüber machen, unter welchen Bedingungen die Warp-Geschwindigkeit doch möglich ist, obwohl bereits Einstein feststellte, dass Lichtgeschwindigkeit die begrenzende Geschwindigkeit ist (zumindest für Materietransport).

Mit diesen Fragen und noch vielen anderen mehr beschäftigt sich der nicht minder berühmte [Anton Zeilinger,]http://de.wikipedia.org/wiki/Anton__Zeilinger der insbesondere bekannt ist für das Phänomen der „Quantenteleportation“ und der erst kürzlich mit der Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität Berlin ausgezeichnet wurde. Ein besonderes Anliegen ist dem österreichischen Physiker aber auch die populärwissenschaftliche Vermittlung schwieriger quantenmechanischer Fragen, die sich oftmals dem gesunden Menschenverstand entziehen. So durfte ich selbst auf einer Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft erleben, wie der große Anton Zeilinger mit strahlenden Augen und einigen Geschichten aus dem Nähkästchen einem teilweise fachfremden Publikum seine Forschungsarbeit vorstellte, sodass jeder einzelne Zuhörer seine Aha-Erlebnisse hatte. Beeindruckt von dieser Leistung, freute ich mich umso mehr auf „Einsteins Spuk“, welches beginnend bei den Grundlagen der Quantenphysik das Feld aufrollt, bis Zeilinger sich auch komplizierten Vorgängen der Verschränkung widmet.

In „Einsteins Spuk“ beginnt Anton Zeilinger tatsächlich bei den grundlegenden Prinzipien der (Quanten-)Physik, er erklärt ausführlich den Welle-Teilchen-Dualismus des Lichtes und stellt dabei die bahnbrechenden Experimente vor. Einen besonderen Schwerpunkt legt Zeilinger auf das Doppelspaltexperiment, welches er seine zwei imaginären Physikstudenten Alice und Bob auch durchführen und diskutieren lässt. In Exkursen erzählt Zeilinger über Glasfasertechnik oder auch die [Unschärferelation,]http://de.wikipedia.org/wiki/Heisenbergsche__Unsch%C3%A4rferelation die sich nicht ohne weiteres auf makroskopische Objekte wie ein Auto anwenden lässt. Später erklärt der Autor, was man sich unter der Polarisation von Licht vorzustellen habe und taucht dabei immer tiefer in die Physik ein.

Das Besondere an diesem Buch ist allerdings nicht nur der Inhalt an sich, welchen wohl jeder einigermaßen kundige Physiker hätte erklären können, sondern die Art, wie Zeilinger uns sogar schwierigste Physik präsentiert. In vielen Situationen lässt er seine jungen Studenten Alice und Bob zum Experiment treten und erzählt eigentlich „nur“ die Geschichte dieser beiden neugierigen jungen Studenten. Alice und Bob hören eine spannende Vorlesung bei Prof. Quantinger – dessen Name wohl nicht nur zufällig dem des Anton Zeilinger ähnelt – und führen angespornt von dem neuen Wissen eigene Experimente durch. Angeleitet durch Quantinger und seine Mitarbeiter arbeiten Alice und Bob an verschiedenen Versuchen und diskutieren die Erkenntnisse miteinander. Und genau dies sind die spannendsten Stellen im Buch. Anfangs wissen Alice und Bob nicht viel über die Probleme der Quantenmechanik, doch anhand von ausgewählten Experimenten kommen sie nach und nach der Natur des Lichtes und der [Quantenverschränkung]http://de.wikipedia.org/wiki/Quantenverschr%C3%A4nkung auf die Spur, die Einstein einst „spukhafte Fernwirkung“ genannt hat.

Während Alice und Bob also ihren Lernprozess durchmachen, haben wir teil an ihren Fragen und Gedankengängen. Durch gezielte Fragen und Versuche durchschauen die beiden Physikstudenten immer besser, was bei Quantingers Experimenten wirklich passiert. Und obwohl die beiden natürlich deutlich schneller lernen als der normale Student, helfen sie den Lesern dabei, selbst neue Erkenntnisse zu gewinnen. Alice und Bobs Fragen und Diskussionen sind es, an denen wir uns inhaltlich und fachlich entlang hangeln können und somit schließlich selbst der Quantenmechanik auf die Spur kommen. Fast schon wie ein Roman wird uns hier die Geschichte der Quantenphysik erzählt, sodass man bei der Lektüre zwischendurch sogar vergisst, dass man hier ein populärwissenschaftliches Buch in der Hand hält.

Doch Zeilinger erzählt mehr als nur diese Geschichte, in welcher Alice und Bob zwischen Vorlesung und Experiment hin- und herpendeln. Zwischendurch wohnen wir selbst Quantingers Vorlesung über die [Polarisation]http://de.wikipedia.org/wiki/Polarisation bei und lernen somit zeitgleich mit unseren beiden Protagonisten einiges mehr über das Licht. Methodisch erweist Zeilinger sich als sehr vielfältig, sein populärwissenschaftliches Buch wird aufgepeppt durch Cartoons und nette Anekdoten, außerdem helfen uns viele Bilder dabei, die teils komplizierten Gedankengänge Zeilingers nachzuvollziehen. Dennoch wird es wohl für jeden Leser irgendwann einen Punkt im Buch geben, an dem er fachlich aussteigen muss. Speziell die Bell’sche Ungleichung eignet sich wohl nicht sonderlich gut für die Vermittlung an fachfremdes Publikum.

Aber nichtsdestotrotz schafft Zeilinger es nicht nur, dem geneigten Leser inhaltlich eine Menge neues Wissen mit auf den Weg zu geben, er regt darüber hinaus zum verstärkten Nachdenken über philosophische Konsequenzen der Quantenmechanik an. So wird sich der Leser sicher einige Gedanken darüber machen, was bei der Teleportation eines Menschen passieren könnte oder was wäre, wenn wir wirklich alle keinen freien Willen hätten. Und wer am Ende immer noch nachvollziehen kann, was Anton Zeilinger hier schreibt, der wird sogar erfahren, wie Zeilingers Verschränkungsexperimente im Detail funktionieren und wie Quantenkryptografie prinzipiell abläuft. Inhaltlich hat der Autor hier also eine Menge hineingesteckt, was auf den ersten Blick vielleicht gar nicht auffallen mag. Doch „Einsteins Spuk“ ist nicht nur unglaublich lehrreich, sondern macht darüber hinaus richtig Spaß zu lesen, weil Physik hier nicht nüchtern dargeboten wird, sondern eingepackt wird in eine nette Geschichte, an der jeder interessierte Leser Gefallen finden wird.

So steigt am Ende meine Hochachtung vor Anton Zeilinger noch weiter an, denn wer ein so kompliziertes Teilgebiet der Physik wie die Quantenmechanik so lebendig und interessant darstellen und eingängig erklären kann, der beweist, dass er nicht nur ein begeisterter Physiker ist, sondern sein Wissen auch gerne an andere weitergeben möchte. In diesem Sinne freue ich mich auf seine weiteren populärwissenschaftlichen Werke, die sicherlich nicht minder spannend ausfallen werden!

Loewe, Elke – Sturmflut

Nach der Veröffentlichung ihres dritten Kriminalromans [„Engelstrompete“, 1055 welcher von den Ereignissen in der kleinen idyllischen Stadt Augustenfleth erzählt, legt die deutsche Autorin Elke Loewe nun mit „Sturmflut“ einen Roman vor, der sich der großen Flut von 1717 widmet, bei der Tausende von Menschen ihr Leben verloren haben. Dass die Autorin selbst in der Ostemarsch beheimatet ist und ihr die Deichlandschaften daher besonders am Herzen liegen, kann man dabei aus jeder einzelnen Zeile herauslesen.

Im Zentrum der Geschichte aus „Sturmflut“ stehen Joenes Marten und seine gesamte Familie. Joenes‘ Frau Geeske ist hochschwanger und erwartet ihr fünftes Kind, welches schließlich an Weihnachten während der Flut geboren werden soll. Zusammen haben Joenes und Geeske bereits zwei Töchter und zwei Söhne und scheinen eine glückliche Ehe zu führen. Doch da gibt es auch noch Joenes‘ blinden Bruder Claus, mit dem Joenes sich gar nicht gut versteht. Die beiden verbindet ein schicksalhafter Unfall, über welchen wir erst im weiteren Verlauf der Romanhandlung mehr erfahren.

Catharina vom Moor erschreckt kurz vor Weihnachten die Marschbewohner mit ihren unsäglichen Voraussagen von Tod und wildem Wasser. Die wunderliche Frau ist mit dem zweiten Gesicht ausgestattet und daher bei den Deichbewohnern nicht sehr beliebt. Doch Joenes glaubt an ihre Vorhersagen und nimmt sich vor, zusammen mit seinem Bruder Claus das Familienboot auf Vordermann zu bringen. Als jedoch Claus anreist, schiebt Joenes seine Pläne auf, bis es zu spät ist. Genau an Weihnachten im Jahr 1717 nämlich, als bei Geeske die Wehen einsetzen, steigt auch das Wasser an. In den Wassermassen werden die beiden Brüder getrennt, Joenes flüchtet sich mit seinen Kindern, Claus entkommt mit Geeske. Er kann der hochschwangeren Frau gerade noch bei ihrer Geburt assistieren, da versinkt die erschöpfte Frau auch schon in den Fluten. Und auch die beiden Mädchen überleben diese Nacht nicht. Als der Morgen kommt, ist Joenes Witwer und ein verlorener Mann. Er kann seine neue Tochter nicht annehmen und sucht sein Glück in anderen Dingen …

An und für sich erzählt Elke Loewe somit eine tragische und im Grunde packende Familientragödie, die viel Potenzial enthält. Umrahmt wird die Familiengeschichte von der großen Flutkatastrophe, bei der viele Todesopfer beklagt werden mussten und etliche Menschen ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben. Im ersten Teil ihres Buches legt Loewe viel Wert auf die Vorstellung der Familie Marten. In vielen Einzelheiten lernen wir die Menschen kennen, wohlwissend, dass ihnen ein furchtbares Schicksal bevorsteht. Ungefähr auf der Hälfte der Erzählung steigt schließlich das Wasser an und führt zu einer dramatischen Wendung in der Romanhandlung. Haben wir die Familie Marten vorher noch als glücklich und zufrieden kennen gelernt, so verlieren drei geliebte Menschen in nur einer einzigen Nacht ihr Leben, sodass am Morgen nichts mehr ist wie zuvor. Auf nur wenigen Seiten wird die Nacht der Flut abgehandelt, im weiteren Verlauf widmet sich Elke Loewe ausgiebig den Folgen der Überschwemmung, denn nach dem Deichbruch schaffen es die Menschen nicht, die Löcher im Deich zu stopfen und das Wasser loszuwerden. Viele Jahre soll es dauern, bis hier erste Erfolge verbucht werden können.

In der Deichreparatur sieht Joenes Marten nach der Flut den Sinn seines Lebens; wie besessen widmet er sich den Aufräumarbeiten und verlässt dafür seine restliche Familie. Seine beiden Geschwister müssen sich fortan um die Kinder kümmern, seine neue Tochter Maria Magdalena will Joenes nicht einmal sehen. Doch obwohl Joenes eine wichtige Rolle bei den Reparaturen des Deiches spielt, rückt die Familie Marten in den Hintergrund. Leider führt dies zu einem deutlichen Spannungsabfall, denn die intensive Vorstellung der Familie hatte in mir die Erwartung hervorgerufen, dass Elke Loewe auch nach der schicksalhaften Nacht die Familiengeschichte weitererzählen würde. Während somit auf den ersten hundert Seiten durch die Ahnung der bevorstehenden Katastrophe stetig Spannung aufgebaut wird, erzählt die Autorin in der zweiten Hälfte ihres Buches viel zu viel über die Deichreparatur und die damit verbundenen Probleme. Viel mehr hätte mich das Familienschicksal interessiert, obwohl Joenes durch sein absonderliches Verhalten immer mehr Minuspunkte beim Leser sammelt. Sein Verhalten ist mir nicht verständlich geworden, selbst seinen Kindern gegenüber ist Joenes rücksichtslos und lässt sie einfach bei seinem blinden Bruder zurück. Schade, dass Elke Loewe im zweiten Teil des Buches den Schwerpunkt auf die Deicharbeiten gesetzt hat und Joenes Marten eine so wenig nachvollziehbare Wendung vollzogen hat; hierdurch wird viel Potenzial verspielt.

Sprachlich mutet das Buch gewöhnungsbedürftig an, der Satzbau ist ziemlich altmodisch und entspricht nicht den heutigen grammatikalischen Regeln, so haben Nebensätze oft den gleichen Aufbau wie Hauptsätze, worüber man beim Lesen immer wieder stolpert. Auch die Wortwahl ist ungewohnt und dadurch teilweise etwas ungeschickt. Insbesondere Metta mit ihrem ewigen „nützt nichts“ strapaziert auf Dauer sehr die Nerven der Leser.

Punkten kann Elke Loewe auf der anderen Seite durch ihre eindrucksvollen Landschaftsbeschreibungen, denen man anmerkt, wie sehr das Herz der Autorin an ihrer Heimat hängt. Hierdurch wird eine sehr dichte Atmosphäre aufgebaut, die durchaus zu überzeugen weiß, allerdings die Schwachpunkte der Romanhandlung nicht ausbügeln kann.

Insgesamt verfügt das Buch über gute Ansätze. Die Familientragödie mitten in der Naturkatastrophe hätte viele Möglichkeiten eröffnet, aber die Verwicklungen zwischen Joenes, Claus und Geeske sind dann doch zu klischeebesetzt und durchsichtig, als dass sie wirklich für Spannung hätten sorgen können. Die erste Hälfte des Buches ist recht gut gelungen und lässt auf eine spannende zweite Hälfte hoffen, die dann aber leider nicht kommt. Am Ende langweilt das Buch schließlich mehr, als es dem Leser lieb sein kann, sodass ein eher mittelmäßiger Eindruck zurückbleibt sowie der Wunsch, dass Elke Loewe als nächstes lieber wieder einen Augustenfleth-Kriminalroman schreiben möge.

Remin, Nicolas – Schnee in Venedig

Auf den venezianischen Spuren einer Donna Leon wandelt nun in seinem Erstlingsroman auch der studierte Literaturwissenschaftler und Philosoph Nicolas Remin, der mit „Schnee in Venedig“ einen lesenswerten Roman mit nur einigen kleinen Schönheitsfehlern vorgelegt hat. Manch einer mag ihm vorwerfen, dass er auf etwas zu viele klischeebesetzte Figuren zurückgegriffen hat, doch jede Leserin, die schon jetzt den weihnachtlichen Ausstrahlungen der zuckersüßen Sissi-Filme entgegenfiebert, wird sich über das Wiedersehen mit der Kaiserin von Österreich in diesem Buch sehr freuen und Remin ein paar Fehlgriffe mehr verzeihen als der strenge männliche Leser.

Zunächst startet „Schnee in Venedig“ mit einem Prolog, welcher im Jahre 1849 spielt und sehr lange nicht in den Zusammenhang mit der restlichen Romanhandlung gebracht werden kann und daher vielleicht etwas zu schnell in Vergessenheit gerät. Schon auf Seite 13 springen wir ins Jahr 1862 und begleiten Emilia Farsetti auf ihrem Weg zur Arbeit, der sie zur |Erzherzog Sigmund| – einem Österreichischen Raddampfer – führt. Dort entdeckt sie in Kabine 4 zwei Leichen und lässt unüberlegt einige Dokumente verschwinden, was sie später noch bereuen wird. Hofrat Hummelhauser aus Wien wird mit zwei Schusswunden aufgefunden, eine unbekannte junge Dame neben ihm wurde erwürgt und in den Hals gebissen. Der Fund wirft viele Fragen auf, denn wer ist die unbekannte Dame, die nicht auf der Passagierliste steht, und welche Dokumente hat Emilia Farsetti an sich genommen?

Commissario Tron wird zu dem Fundort hinzugerufen, wo ihm allerdings schnell der Fall von Oberst Pergen wieder entzogen wird, der zu wissen meint, dass diese beiden Morde im Zusammenhang mit einem geplanten Attentat auf die Kaiserin von Österreich stehen. Tron allerdings gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden und forscht auf eigene Faust nach – genau wie Elisabeth von Österreich, die einen Brief ihres Gatten vermisst und nun dem Mord an Hofrat Hummelhauser auf den Grund gehen möchte, da dieser den verloren gegangenen Brief überbringen sollte.

Zeitgleich zu den Vorbereitungen zu einem Maskenball im Palazzo der Trons geschehen weitere Morde, die immer mehr Fragen aufwerfen und Tron in seinem Glauben bestärken, dass Oberst Pergen nicht den wahren Täter gefunden hat.

Nicolas Remin hat sich für seinen Debütroman eine faszinierende Welt ausgesucht, welche den Rahmen zu seiner Kriminalgeschichte bildet. Das verschneite Venedig mit seinen Gondeln und Maskenbällen gepaart mit einer mutigen Elisabeth von Österreich, die uns hier nicht annähernd so zerbrechlich präsentiert wird, wie wir sie aus anderen Erzählungen kennen, ergeben eine interessante Mischung, die zu unterhalten weiß. Als eingefleischter Sissi-Fan muss man sich zunächst an die Wandlung der Elisabeth gewöhnen, doch gewinnt die kaiserliche Figur, die sich nur aufgrund eines fehlenden Briefes ihre eigenen Nachforschungen anstrengt und sich dabei heimlich aus dem Palast stiehlt, schnell an Sympathie.

Es sind die Charaktere in diesem Buch, welche den Reiz ausmachen, denn auch der ärmliche Tron mit seinen berühmten Vorfahren und der exzentrische Polizeichef, der seine Süßigkeiten auf keinen Fall mit anderen teilen und auch beim Mittagessen gefälligst nicht gestört werden möchte, gefallen sehr gut und animieren den Leser zum Schmunzeln. Überhaupt beweist Remin an mancher Stelle einen trefflichen Humor, wenn zum Beispiel eine Leiche ins Wasser geworfen wird und dann festgestellt werden muss, dass sich dummerweise direkt unter der Abwurfstelle ein Boot befindet, welches die Leiche aufgefangen hat. Remin entwirft nicht nur zum Teil skurrile Charaktere, sondern auch manch eine Situation, die mich zum Schmunzeln gebracht hat.

Zwei Handlungsfäden sind es, die sich durch das gesamte Buch ziehen und die Handlung vorantreiben; so begleiten wir auf der einen Seite Commissario Tron bei seinen Ermittlungen, die er nun als Privatmann fortführen muss, und wir werden Zeuge, wie Elisabeth zur Gräfin Hohenembs wird, die sich unerlaubterweise aus dem Palast stiehlt, um ebenfalls herauszufinden, wer hinter dem Mord an Hofrat Hummelhauser steckt. Das Schema zweier paralleler Handlungsstränge ist altbekannt, verwirrend empfand ich allerdings den Zeitsprung, den wir beim Wechsel von einem Schauplatz zum nächsten durchmachen müssen, denn Tron agiert stets in der Vergangenheit, während die Passagen rund um Elisabeth in der Gegenwart verfasst sind. Eventuell mag dies ein geschickter literarischer Kniff sein, für mich bedeutete dieser Wechsel im Zeitverlauf allerdings immer wieder eine Störung im Lesefluss, auf die ich gerne verzichtet hätte.

Dafür überzeugt Remin in anderen Belangen auf ganzer Strecke, seine romantischen und vielfarbigen Beschreibungen des winterlichen Venedigs ermöglicht es seinen Lesern, ganz in diese fremde und faszinierende Welt einzutauchen und das ungemütliche Herbstwetter vor dem eigenen Fenster vollends auszublenden. Ganz nebenbei erfährt man sogar ein klein wenig über venezianische Geschichte und Venedigs Verbindungen zu Österreich. Abgesehen von den Zeitsprüngen empfand ich Remins bildhaften und sympathischen Schreibstil als sehr erfrischend und angenehm, seine Zeilen liest man einfach gerne, sie machen Spaß und unterhalten gut. Diese Pluspunkte auf stilistischer Ebene sorgen dafür, dass man Remin inhaltlich dafür ein paar Schnitzer nachsieht, auch das etwas kitschig anmutende Ende passt ja irgendwo in ein Buch, in welchem Sissi eine Hauptrolle spielt.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Nicolas Remin zwar keinen perfekten Debütroman vorgelegt hat, aber ganz sicher einen unterhaltsamen Kriminalroman, der vielleicht nicht ganz so rasant geschrieben ist wie bei Mankell, der uns dafür aber in eine unglaublich interessante und fremdartige Welt entführt, in die man sehr gerne eintaucht. Nur wenige Dinge trüben ein klein wenig den Lesegenuss, die meiste Zeit aber bereitet dieses Buch einfach nur Freude und macht schon jetzt neugierig auf den im Januar erscheinenden Nachfolger „Venezianische Verlobung“, den ich mir sicher nicht entgehen lassen werde.

Paolini, Christopher – Eragon – Der Auftrag des Ältesten

Endlich wird das aufregende Abenteuer des jungen Eragon, welches in [„Eragon – Das Vermächtnis der Drachenreiter“ 1247 seinen Anfang gefunden hat, weitererzählt, und wir erfahren, was nach der ersten spannenden Schlacht in Farthen Dûr passiert ist. Doch der zweite Teil der Drachenreiter-Trilogie hat wie so viele andere Übergangsbände damit zu kämpfen, dass dieses Buch keinen echten Anfang und kein Ende hat. So bleibt wie so oft direkt nach dem Zuklappen des zweiten Bandes ein etwas unbefriedigendes Gefühl zurück, weil noch so viele Dinge ungeklärt blieben, auf deren Aufklärung wir sicher noch einige Zeit warten müssen.

_Die Reise geht weiter_

Nur knapp sind die Varden einer großen Niederlage entkommen, nur mit Aryas und Saphiras Hilfe konnte Eragon gerettet werden. Doch die Verluste sind groß, die verräterischen Zwillinge haben Murtagh verschleppt, und nachdem die Elfin Arya seine blutige Kleidung findet und seinen Geist nicht ertasten kann, wird Murtagh für tot erklärt. Eragon dagegen konnte den gemeinen Schatten Durza töten und dadurch eine Wendung zum Guten hervorbringen. Aber in Farthen Dûr wurde nur die erste Schlacht ausgefochten, die entscheidende Schlacht gegen Galbatorix und seine hinterhältigen Anhänger steht noch aus.

Nach Ajihads Tod brauchen die Varden einen neuen Anführer, doch anstatt in weiser Voraussicht einen starken Vardenführer zu wählen, werden im Ältestenrat zahlreiche Intrigen gesponnen, bis Ajihads junge Tochter Nasuada auserwählt wird, weil der Ältestenrat sie aufgrund ihrer Jugend und Unerfahrenheit für manipulierbar und formbar hält. Doch der Ältestenrat hat sich geschnitten, denn Nasuada hat sich bereits auf ihre kommende Aufgabe eingestellt und sichert sich Eragons Treue und Unterstützung zu. Eragon, der noch eine weitere Allianz eingehen wird, schafft sich mit diesen Entscheidungen allerdings nicht nur Freunde …

Im Zentrum der Geschichte steht die Fortsetzung von Eragons Ausbildung in Ellesmera, der berühmten Elfenstadt, in der die Königin Islanzadi herrscht. Doch während Eragon bei den Elfen wichtige neue Zaubersprüche und die Elfensprache lernt, ahnt er nicht, in welcher Gefahr sein Cousin Roran in Carvahall schwebt. Dorthin hat Galbatorix nämlich seine Soldaten und Ra’zac geschickt, um Roran als Geisel zu nehmen und dadurch an Eragon heranzukommen. Als die Schatten schließlich Rorans geliebte Katrina gefangen nehmen, greift Roran in seiner Verzweiflung zu drastischen Maßnahmen. Er überredet das gesamte Dorf, mit ihm nach Surda zu ziehen, um sich dort dem Widerstand der Varden anzuschließen. Eine gefahrenvolle Reise wird den Bewohnern von Carvahall bevorstehen …

_Die Zeichen stehen auf Krieg_

Nach dem Ende des ersten Bandes der Drachenreiter-Trilogie war bereits die Zielsetzung für den aktuellen zweiten Band klar, denn der Kampf gegen Galbatorix ist noch lange nicht zu Ende, genau wie Eragons Ausbildung, die dringend fortgesetzt werden muss. Und so überrascht uns Christopher Paolini in seinem fast 800-seitigen Werk nicht sonderlich, wenn er sich genau diesen Punkten widmet. Doch gleich von Anfang an packt uns Paolini, indem er Intrigen spinnt und Allianzen entstehen lässt, die für genug Brisanz sorgen. Kurz nach Eragons Ankunft in Ellesmera erwartet uns schließlich das erste große Überraschungsmoment, welches der junge Autor geschickt in seine Geschichte einfließen lässt, um seine Leser immer mehr an seine Erzählung zu fesseln.

Zunächst entwickelt Paolini seinen Handlungsstrang in Farthen Dûr, welcher direkt im Anschluss an die erste Schlacht einsetzt. Die Varden müssen große Verluste hinnehmen, die Zwerge haben gar ihr großes Wahrzeichen verloren, das Arya und Saphira zerstört haben, um Eragon retten zu können. Die Verluste sind trotz siegreicher Schlacht groß und müssen zunächst verkraftet werden. Die Geschichte fasziniert von Anfang an und weiß zu unterhalten, ohne dass zunächst viel Spannung aufgebaut wird. Dies passiert erst, als Paolini eine zweite Handlungsebene eröffnet, die größtenteils in Carvahall spielt. Eragons Heimatdorf wird nämlich von Galbatorix‘ Soldaten und Ra’zac bedroht, die Roran gefangen nehmen wollen, aber auf unerwartet großen Widerstand treffen. Die Bewohner von Carvahall wehren sich tapfer, können irgendwann aber einfach nur noch die Flucht ergreifen, auch wenn diese viele Gefahren mit sich bringt.

Dieser zweite Handlungsstrang und die Wechsel zwischen den beiden Schauplätzen sorgen für stetig anwachsende Spannung, die unweigerlich auf nur ein Ziel hinweisen kann, nämlich auf einen großen Kampf am Ende des Buches, auf den die Leser allerdings über 700 Seiten lang warten müssen. Erst spät geht Paolini zielgerichtet auf die Schlacht zu, in der viele verschiedene Völker aufeinander treffen.

_Lehrstunden_

Eine etwas längere lesetechnische Durststrecke ist während Eragons Ausbildung in Ellesmera zu überstehen. Diese Lehrstunden bei seinem neuen Meister werden sehr detailliert und in allen Einzelheiten geschildert, die schon etwas Geduld und Ausdauer erfordern. Zwar spielt Paolini wieder alle seine Trümpfe aus, indem er farbenfrohe Bilder von Ellesmera entwirft und uns in eine fremde und faszinierende Welt entführt, doch präsentiert er uns über eine lange Buchstrecke hinweg wenig Neues. Nur die Passagen in Carvahall sorgen hier für das gespannte Kribbeln, sodass ich mir tatsächlich von der Rahmengeschichte mehr gewünscht hätte.

Auch wenn wieder einige Anleihen bei anderen berühmten Fantasywerken zu bemerken sind, entfernt Paolini sich stetig von seinen Vorbildern. Nur „Der Herr der Ringe“ blitzt wieder einmal an einigen Stellen durch; so wurde hier Eragon eine schmerzliche Wunde durch die Ra’zac (das Paolinische Pendant zu den Tolkien’schen Nazgul) zugefügt, die nur durch besondere Kräfte zu heilen ist und ihn zunächst immer wieder schwer beeinträchtigt. Auch die Flucht der Einwohner von Carvahall mag an diejenige von Edoras nach Helms Klamm erinnern. Selbst in der Schlacht am Ende des Buches sind Parallelen nicht von der Hand zu weisen, denn die lebensnotwendige Verstärkung trifft auch bei Paolini fast schon zu spät ein. Dennoch muss man auch im zweiten Teil der Drachenreiter-Trilogie wieder neidlos zugeben, dass Christopher Paolini dennoch eine eigene Welt entwirft, die er uns in schönen Bildern und lautmalerischen Worten präsentiert. Er schafft es sogar, seine Skeptiker zu überzeugen und zu Fans seines fantastischen Alagaësia zu machen.

Paolini entscheidet sich hierbei für einen jungen und strahlenden Helden, der bei den Elfen geformt und am Ende verwandelt und von seinen Narben befreit wird. Spätestens mit dieser Entscheidung entfernt Paolini sich spürbar von Tolkien, der Frodo bewusst tragisch gezeichnet hat, um die ewig andauernde Last des Ringes zu kennzeichnen. Doch schon diese kleine Differenz ist es, die „Eragon“ eine ganz andere Prägung verleiht und die die Drachenreiter-Trilogie insbesondere auch deutlich kindgerechter macht.

Punkten kann Paolini wieder einmal in seiner überzeugenden Charakterzeichnung, die er in diesem Band noch weiter gestaltet. Besonders Eragon und Saphira lernen wir hier von ganz neuen Seiten kennen, die vorher noch nicht aufgeblitzt sind. Aber auch Roran erhält Gestalt und bekommt viel mehr Raum zugestanden, welchen er problemlos füllen kann. Von Roran möchte man gerne mehr lesen, er hat seinen starken Charakter bereits bewiesen, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie er zu seinem Cousin steht, der für das ganze Unglück von Carvahall verantwortlich ist. Doch dieser Konflikt ist es, der bereits neugierig auf die Fortsetzung macht, in welcher die beiden Cousins zusammen noch wichtige Aufgaben zu erfüllen haben.

Neben der etwas langwierigen Erzählweise im Mittelteil des Buches sind es nur Winzigkeiten, die den Lesegenuss trüben mögen, wie die teils längeren Passagen, die in Zwergen- oder Elfensprache abgedruckt sind und nicht in einer Fußnote übersetzt werden. Zweifeln wird der aufmerksame Leser auch, wenn ganz Carvahall an nur einem Tag von einem mächtigen Schutzwall umzogen wird, den die Bewohner gemeinsam errichten. Etwas unklar ist mir außerdem, warum Arya ihrem Drachenreiter-Schützling wichtige elfische Gepflogenheiten erst direkt vor ihrer Ankunft in Ellesmera mitteilt und die lange Zeit der Reise zuvor nutzlos verstreichen lässt. Insgesamt handelt es sich hierbei jedoch sicherlich um Unstimmigkeiten, über die man angesichts der fantastischen Erzählweise gerne hinweg sehen wird.

_Nun heißt es warten_

Wie schon im ersten Teil, so endet auch „Eragon – Der Auftrag des Ältesten“ völlig offen. Wieder ist eine Schlacht geschlagen, ein vorübergehender Sieger steht fest, doch das Aufeinandertreffen von Eragon und Galbatorix hat Christopher Paolini sich für seinen heiß erwarteten Abschlussband der Drachenreiter-Trilogie aufgehoben. Das vorliegende Buch hat als Übergangsteil einen sehr schweren Stand, zumal der Mittelteil sehr lang gezogen erscheint, dennoch entwickelt Paolini seine Figuren und seine Geschichte sehr schön weiter. An manchen Stellen weiß er zu überraschen und so präsentiert er gen Ende noch einmal eine unerwartete Wendung, mit der ich nicht gerechnet hätte. Insgesamt gefiel mir der Eröffnungsband ein klein wenig besser, da ich mir die Erzählung im aktuellen Roman etwas straffer gewünscht hätte, doch es sind im Grunde Kleinigkeiten, die es zu bemängeln gibt, sodass ich schon jetzt ungeduldig dem Abschluss der Trilogie entgegen fiebere!

http://www.eragon.de/

|Originaltitel: Inheritance Trilogy 2: The Eldest
Übersetzt von Joannis Stefanidis
800 Seiten, mit Lesebändchen
gebunden, 22,7 × 15 cm|

Taavi Soininvaara – Finnisches Requiem

Auch Taavi Soininvaara zählt zu den glücklichen Preisträgern eines bekannten Buchpreises, denn sein Roman „Finnisches Requiem“ wurde als bester finnischer Kriminalroman ausgezeichnet. Zugegebenermaßen verliere ich langsam den Überblick über die verliehenen Kriminalpreise, auch wenn mich derlei Werbung auf den Buchdeckeln immer wieder zum Kauf eines Buches überzeugt. Doch „Finnisches Requiem“ zeigt einmal mehr, dass Autoren oft völlig zu Recht ausgezeichnet werden. Der vorliegende Roman stellt allerdings keinen herkömmlichen Kriminalroman dar, Soininvaara präsentiert uns eher einen packenden politischen Thriller, in welchem er aktuelle Probleme und Meinungen im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung diskutiert.

Taavi Soininvaara – Finnisches Requiem weiterlesen

Kirstilä, Pentti – Nachtschatten

Schon im Jahre 1977 veröffentlichte Pentti Kirstilä seinen ersten Roman. Doch obwohl er in Finnland zu den erfolgreichsten Kriminalautoren zählt und bereits zweimal mit dem Preis für den besten finnischen Krimi ausgezeichnet worden ist, erschien erst im letzten Jahr der erste Roman von Pentti Kirstilä in deutscher Sprache. Aktuell ist mit „Nachtschatten“ sein zweiter Krimi in Deutschland erschienen.

_Mord im Dunkeln_

Im ersten Teil von „Nachtschatten“ schildert uns der Ich-Erzähler eine merkwürdige Situation: Auf einem seiner nächtlichen Spaziergänge trifft er auf zwei Bekannte, die ihn nicht zu bemerken scheinen. Unbeachtet kann er ihrem Gespräch lauschen und wird dann Zeuge, wie Antti Koski seine schöne Frau Annikki brutal ermordet. Mit einem scharfen Messer schlitzt er ihr die Kehle auf und flüchtet. Hier begeht der Ich-Erzähler den ersten Fehler, denn er nähert sich der Leiche und tritt aus Versehen in die sich ausbreitende Blutlache. Nun muss der heimliche Zeuge nicht nur unbemerkt vom Tatort verschwinden, sondern auch noch seine neuen Schuhe unauffällig entsorgen.

Obwohl unser Ich-Erzähler sich sicher ist, den Mörder als seinen Freund Antti erkannt zu haben, beschließt er, nicht zur Polizei zu gehen, sondern stattdessen einen Erpresserbrief zu schreiben und Anttis Reaktion abzuwarten. Aus verschiedenen Zeitschriften sammelt der Ich-Erzähler sich die notwendigen Buchstaben zusammen und verfasst seine Nachricht. Da der zweite Brief allerdings zu lang ausfällt, nimmt der heimliche Mordzeuge unvorsichtigerweise seine eigene Schreibmaschine. Als er kurz darauf seinen Freund Antti besucht, findet er dessen Wohnungstür unverschlossen vor und seinen Freund mit einer Kugel im Bauch. Nur noch ein einziges Wort bringt Antti Koski über die Lippen und verwirrt damit nicht nur den Ich-Erzähler, sondern auch die Leser.

Der zweite Teil wird von einer außenstehenden Perspektive erzählt und berichtet von den ausführlichen polizeilichen Ermittlungen. Kommissar Lauri Hanhivaara wird losgeschickt, um neugierige Nachbarn oder unvermutete Zeugen des Mordes ausfindig zu machen. Auch der klar abgesteckte Freundeskreis der Koskis wird genau unter die Lupe genommen. In vielen Gesprächen erfahren wir einiges über das Ehepaar Koski, doch die einzelnen Puzzleteile wollen sich nicht in ein stimmiges Gesamtbild einsortieren lassen. Hanhivaara hat einen eigenen Mordverdächtgen, die Ermittlungen scheinen sich allerdings in eine andere Richtung zu entwickeln.

Erst spät überschlagen sich die Ereignisse, es kommen Informationen an den Tag, die die Ermittlungen in eine ungeahnte Richtung vorantreiben …

_Wer bin ich?_

Pentti Kirstilä spielt mit seinen Lesern, wie auch Agatha Christie es gern getan hat. Im ersten Teil präsentiert er uns einen unbekannten Ich-Erzähler, den er nur ganz am Rande ein wenig vorstellt, seinen Namen erfahren wir nicht und auch nicht, wie gut er mit den Koskis bekannt ist. Als der zweite Teil beginnt, ist der Ich-Erzähler schnell vergessen, weil wir Lauri Hanhivaara bei seinen Befragungen begleiten. Erst spät erahnen wir die Zusammenhänge, doch zaubert Kirstilä am Ende noch ein Ass aus dem Ärmel, mit dem man schwerlich gerechnet hat.

Der Spannungsbogen ist nicht durchgängig geglückt. Nach einem straffen Einstieg in die Geschichte, dem baldigen ersten Mord und den merkwürdigen Geschehnissen zwischen dem Zeugen und Antti Koski leidet die Spannung nahezu im ganzen zweiten Buchteil erheblich. Hier werden wir Zeuge zahlreicher langer Befragungen im Freundeskreis der Koskis, die nur wenig neue Informationen zu Tage bringen. Die Ermittlungen treten auf der Stelle, auch wenn Hanhivaara bald einen persönlichen Verdächtigen hat, doch löst dies immer noch nicht den ganzen Kriminalfall. Nur bröckchenweise erfahren wir Dinge aus der Vergangenheit des Ehepaars Koski, die irgendwie nicht zusammenpassen wollen. Stets bleiben Fragezeichen zurück, wie zum Beispiel die Frage, warum die Koskis sich erst seit genau drei Jahren einen Freundeskreis aufgebaut haben. Die beiden scheinen viele Geheimnisse verborgen zu haben, von denen wir nur manche nach und nach erzählt bekommen. Dennoch reichen diese Informationen nicht aus, um sich ein stimmiges Gesamtbild zu machen. Dies hat zwar seinen Reiz, dennoch hätte das Erzähltempo im Mittelteil gestrafft werden können, weil zu wenig neue Hinweise hinzukommen, die uns voranbringen.

Am Ende greift Kirstilä in die Trickkiste. Es war klar, dass ein Überraschungsschlag kommen musste (allein schon, weil er auf dem Buchdeckel bereits angekündigt wird), doch entwirrt der Autor seine Rätsel nicht ganz überzeugend. Selbstverständlich werden die meisten Leser überrascht oder erstaunt sein und wahrscheinlich noch einmal im Buch zurückblättern, um nachzuprüfen, ob das wirklich alles so stimmen kann, doch so ganz wohl ist einem bei der präsentierten Lösung nicht. Es passt zwar alles zusammen, aber realistisch erscheint uns diese Aufklärung eher nicht, ein bisschen mehr Wirklichkeitsnähe wäre hier wünschenswert gewesen.

_Pluspunkte_

Punkten kann Kirstilä mit seiner Erzählweise; besonders der erste Teil aus der Ich-Perspektive ist sehr gelungen. Hier wird der Leser direkt angesprochen und immer wieder mit in die Handlung einbezogen, der Erzähler lässt uns nie los und will sich stets unserer Aufmerksamkeit sicher sein. Die Sprache empfand ich als erfrischend und sympathisch; da wird schon mal eine Leiche als „Gaststar“ bezeichnet, und irgendwie passt das zu Kirstiläs lockerem Schreibstil. Der Autor beschreibt sehr genau die Schauplätze und auch die auftauchenden Personen. Besonders von Lauri Hanhivaara können wir uns im Laufe des Romans ein gutes Bild machen, das durchaus zu gefallen weiß. Hanhivaara hat Ecken und Kanten und beweist Profil. Er ist mit Eigenarten und Fehlern ausgestattet, er raucht definitiv zu viel und pflegt das merkwürdige Ritual, sich einmal pro Woche ganz gezielt zu betrinken. Natürlich passieren ihm auch bei den Ermittlungen einige Missgeschicke, die ihn authentisch wirken lassen und für den Leser sympathisch machen.

_Unterm Strich_

Insgesamt gefällt „Nachtschatten“ mit nur kleinen Abstrichen sehr gut. Das Buch ist schnell durchgelesen und weiß zu unterhalten. Am Ende bleibt der Leser erstaunt zurück, wird aber einsehen müssen, dass Kirstiläs Konstruktionen zwar nicht ganz realistisch wirken, im Buch aber durchaus stimmig sind. Lauri Hanhivaara wird uns als Mensch mit Ecken und Kanten vorgestellt, von dem wir gerne noch mehr lesen möchten. Nur der Spannungsbogen gelingt im Mittelteil nicht ganz so gut. Die Befragungen sind zu sehr in die Länge gezogen und halten den Leser nur mühsam bei Laune. An dieser Stelle wäre eine straffere Erzählweise notwendig gewesen. So bleibt dies neben dem konstruierten Buchende aber auch der einzige Kritikpunkt, über den man durchaus gerne hinwegsehen wird.

http://www.grafit.de

Brunhoff, Jean de – Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten, Die

Wie könnte man die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten besser veröffentlichen als im Jumboformat? Dieses Buch beeindruckt schon auf den ersten Blick durch sein großes Format, die schöne Leinenbindung und das niedliche Coverbild. Ich möchte denjenigen Elefantenliebhaber kennen lernen, der an diesem Buch vorbeigehen könnte – mir ist es nicht gelungen.

Jean de Brunhoff schuf in den Jahren 1931 bis 1937 mit Babar einen Klassiker, der auch heute noch die Herzen der Kinder und Kindgebliebenen höher schlagen lässt. Einst war es Jeans Frau, die den kleinen Elefanten als Gute-Nacht-Geschichte für ihre eigenen Kinder erfand, ihr Mann gab dem Elefanten schließlich einen Namen, zeichnete die Bilder dazu und machte sich dadurch unvergessen.

Diesen Monat veröffentlicht der |Diogenes|-Verlag eine Neuauflage der vier Geschichten um Babar und seine Familie im wunderschönen aber leider nicht ganz preisgünstigen Jumboformat. Doch mit diesen Büchern ergänzt man seine private Bibliothek mit vier Werken, die in keinem Haushalt fehlen sollten. An diesen Geschichten werden Jung und Alt ihre helle Freude haben.

„Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ bildet den Auftakt zu der kleinen Buchreihe um Babar und stellt uns den kleinen Helden genauer vor. Der Inhalt ist schnell erzählt, denn im Vordergrund der nur 47 Seiten kurzen Erzählung stehen eindeutig die Bilder. Babar lebt zusammen mit vielen Freunden und Bekannten im Dschungel, bis ein Jäger eines Tages seine Mutter erschießt. Traurig und verzweifelt beschließt der kleine Babar, dass er in die Stadt auswandern möchte. Dort angekommen, ist er begeistert von der modernen Technik und vor allem von der schicken Kleidung.

Babar trifft auf eine vornehme alte Dame, die ihm Geld schenkt, damit der kleine Elefant sich einkleiden kann. Doch als er im Kaufhaus ankommt, fasziniert ihn der Fahrstuhl so sehr, dass er so lange auf und ab fährt, bis der Liftboy es ihm verbietet. Anschließend sucht Babar sich einen schicken grünen Anzug mit einem passenden Hut aus. Als modischer Elefant freundet er sich auch mit der alten Dame an und lebt sein eigenes Stadtleben. Eines Tages jedoch trifft Babar zwei Bekannte aus dem Dschungel wieder, die sich in die Stadt verirrt haben, und langsam bekommt der kleine Elefant Heimweh …

Auf der Inhaltsebene passiert im Grunde genommen nicht viel in diesem allzu dünnen Buch, sodass auch kleine Kinder schon alles verstehen dürften, wenn sie die Geschichte von ihren Eltern vorgelesen bekommen. Darüber hinaus sind die Sätze sehr einfach formuliert, es gibt keinerlei komplizierte Wörter, lange Satzkonstrukte oder Ausschmückungen. Für ältere Leser mag sich dieser Schreibstil daher sehr spartanisch und ungeschickt anhören, aber die Geschichte vom kleinen Elefanten ist natürlich vornehmlich für jüngeres Publikum geschrieben. Das macht sich auch daran bemerkbar, dass der Text in Schreibschrift abgedruckt ist, wie Kinder sie in der Schule lernen. So eignet sich „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ nicht nur hervorragend zum Vorlesen, sondern auch zum Selbstlesen für ABC-Schützen, die sich alleine an die ersten Bücher heranwagen wollen.

Der Lerneffekt der erzählten Geschichte ist allerdings eher gering; nach dem Tod von Babars Mutter tauchen im Prinzip keine Schwierigkeiten mehr auf. Als Babar in die fremde Stadt kommt, trifft er sofort auf eine freundliche Dame, die ihm weiterhilft, und auch später löst sich vieles in Wohlgefallen auf. Die Geschichten um Babar sind daher nicht mit „Benjamin Blümchen“ zu vergleichen, der stets bei jedem Problem zur Stelle ist und den Kindern Werte wie Freundschaft und Hilfsbereitschaft vermittelt. „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ ist recht einfach gestrickt und lebt von ihren Bildern.

Zum leichteren Verständnis für die junge Leserschaft tragen die herrlichen Zeichnungen bei, die den Text wunderbar dokumentieren. Jean de Brunhoff schafft es überzeugend, Stimmungen auszudrücken, seinen Elefanten sieht man stets an, wie sie sich gerade fühlen. So entdecken wir einen betrübten Babar, der gerade seine Mutter verloren hat, aber am Ende auch einen optimistischen, erfahrenen und glücklichen Babar, der mit seiner Verlobten zurück in den Dschungel kehrt. Durch den Fünffarbdruck erhalten die Zeichnungen ihren ganz eigenen Charme, man merkt ihnen an, dass ein menschlicher Maler mit viel Liebe am Werke war und nicht nur ein Computer, der die Bewegungen und Mimiken der Figuren simuliert hat. Heutzutage wären solche Zeichnungen natürlich viel perfekter und lebensechter, doch meiner Meinung nach wäre das dem Gesamteindruck gar nicht zuträglich. Babar ist genau so perfekt, wie wir ihn in diesem Buch bewundern dürfen.

Die Bilder sind bis ins kleinste Detail ausgestaltet; schauen wir uns zum Beispiel [Babar als modisch gekleideten Elefanten]http://www.celesteville.com/images/bafterdinner.jpg an, dann bemerken wir, dass sich mit seiner neuen Kleidung sogar seine Körperhaltung verändert hat. Er steht aufrecht und stolz da und steckt vornehm seine Hand in die Hosentasche. Ich wünschte, ich könnte so gut zeichnen!

Auch etwa 70 Jahre nach seiner Geburtsstunde ist Babar immer noch lesenswert und eine Bereicherung für jede Büchersammlung; dieses Buch dürfte an Weihnachten so manches beschenkte Kind glücklich machen. Bei mir wird „Die Geschichte von Babar dem kleinen Elefanten“ jedenfalls einen Ehrenplatz einnehmen und ganz sicher keinen Staub ansetzen. Denn dieses Buch muss man immer wieder durchblättern, schon weil die Bilder allerliebst sind.

Wer sich selbst von der Schönheit der Zeichnungen überzeugen möchte, sollte dies [hier]http://www.celesteville.com/ tun.

Paturi, Felix R. – letzten Rätsel der Wissenschaft, Die

„Was ist überhaupt Wissenschaft?“ – dieser Frage versucht Felix R. Paturi im Vorwort seines aktuellen Buches auf den Grund zu gehen, denn wenn er schreibt, dass „tief in seinem Herzen so mancher Naturwissenschaftler bestreitet, dass die Geisteswissenschaften und die seit einiger Zeit dazugekommenen Sozialwissenschaften überhaupt einen Anspruch darauf erheben können, Wissenschaften genannt zu werden“, dann führt der Autor bereits einen aktuellen und schon lange brodelnden Konflikt an. Wissenschaft ist ein so weit gefasster Begriff, dass wir heutzutage nicht ohne Spezialisierung auskommen. Dies führt zwar zur Herausbildung zahlreicher Experten, aber auch dazu, dass die einzelnen Fachrichtungen sich immer weiter auseinander entwickeln. Doch Felix R. Paturi versucht in seinem aktuellen Wissenschaftsbuch den Brückenschlag zwischen den verschiedenen Disziplinen. Obwohl der Autor von Haus aus laut Verlagsinformation Physiker ist, öffnet er sich anderen Themen, zeigt sein weit gefächertes Interesse und wagt hier den mutigen Schritt, all diese Ideen und Rätsel in nur einem Buch aufzugreifen.

Schon der Wissenschaftsbegriff wirft unzählige Fragen auf, doch auch der Begriff des „Rätsels“ ist diskussionswürdig. Felix R. Paturi versteht darunter die ungeklärten Fragen der einzelnen Wissenschaftszweige, nicht aber die Rätsel aus Rätselzeitschriften, da diese bereits beantwortet sind und für die Wissenschaft kein Rätsel (mehr) darstellen. Den wirklichen Rätseln, für die noch kein Mensch eine Lösung gefunden hat, widmet sich der Autor im vorliegenden Buch.

Das Vorwort gibt einen guten Einstieg in die Thematik und macht bereits deutlich, welche Fragen sich in diesem Zusammenhang stellen. Paturi beantwortet sie jedoch nicht wirklich, sondern fordert seine Leser dazu auf, sich ihre eigene Meinung über den Wissenschaftsbegriff zu bilden. Ein Blick in das [Inhaltsverzeichnis]http://www.eichborn-verlag.de/s2/default.asp?SeID=&id=472&tid=1604&x=1&y=1 zeigt die Breite der vorgestellten Themen, wo so ziemlich jeder halbwegs interessierte und weltoffene Leser genug Aspekte finden dürfte, die ihn ansprechen.

Zunächst geht Paturi physikalischen Fragen auf den Grund. Obwohl in der Physik viele Rätsel gelöst werden konnten und mit der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik zwei umfassende Theorien zur Verfügung stehen, die beide für sich stimmig sind, widersprechen sie sich doch gegenseitig. Ein aktueller Lösungsansatz ist die mysteriös anmutende Stringtheorie, die sich jeder Vorstellungskraft entzieht. Dennoch schafft Paturi es ohne Formeln und auf nur wenig Raum, diese Theorie in Grundzügen vorzustellen und verschafft sich dadurch bereits meine Hochachtung. Auch die Frage nach der Dunklen Materie und woraus sie bestehen kann, wird thematisiert. Sogar die Quantenteleportation (also das „Beamen“ auf kleinster Ebene) und die merkwürdigen Folgen der Überlichtgeschwindigkeit werden uns verständlich gemacht; wobei ich mir in diesem Fall eine erläuternde Skizze gewünscht hätte, die sicherlich ohne Worte deutlicher gemacht hätte, was Paturi in einigen Sätzen zu erklären versucht.

Im Anschluss daran bringt der Autor uns Naturphänomene näher, von denen jeder schon einmal etwas gehört hat, aber über die wir oft noch nicht viel wissen. Hier erfahren wir, warum im sagenumwobenen Bermudadreieck zahlreiche Schiffe verschwunden sind, wir wundern uns über riesige Felsbrocken, die sich von ganz alleine zu bewegen scheinen, und wir grübeln darüber nach, wie die Maya einen Schädel aus Kristallstein schleifen konnten, der auch mit modernster Technik unmöglich herstellbar ist. Spätestens an dieser Stelle dürfte Paturi auch den letzten Leser fasziniert haben. Denn er schildert hier Phänomene, die leicht verständlich sind, aber doch unglaublich wirken. Niemand kennt eine plausible Lösung für den wundersamen Maya-Schädel, den es eigentlich gar nicht geben dürfte.

Etwas weniger spektakulär muten Schleifspuren in der Wüste an, deren Ursprung ebenfalls ungeklärt ist. Sensationslüsterne Möchtegernwissenschaftler sehen selbstverständlich außerirdische Besucher als Verursacher der mysteriösen Spuren, doch kritisiert Paturi derlei Spinnereien ganz offen, seiner Meinung nach sind es genau solche Populisten, die die Wissenschaft und ihre seriösen Erkenntnisse in Verruf bringen. Allerdings gibt es viele Phänomene, die völlig unglaublich sind, aber dennoch wissenschaftlich erklärt werden wollen. Wie kann beispielsweise die Homöopathie heilen, obwohl kein Wirkstoff in einem homöopathischen Mittel mehr nachweisbar ist? Oder wieso wachsen und gedeihen Pflanzen besser, wenn man mit ihnen spricht und sie liebevoll behandelt? Und was ist es, das einen Geistheiler auszeichnet? In diesen Punkten berührt Felix R. Paturi Grenzwissenschaften, denen vor allem viele Naturwissenschaftler sehr kritisch gegebenüber stehen. Die Klärung und Vorstellung dieser esoterisch anmutenden Aspekte fand ich nicht immer überzeugend, zumal sich die Frage stellt, ob Geistheilung wirklich zu den Wissenschaften gezählt werden kann.

Natürlich darf in einer populärwissenschaftlichen Abhandlung nicht die Frage nach der Schöpfung und ihrem Ursprung fehlen. Von vielen Seiten beleuchtet Paturi dieses Problem und regt erneut seine Leser dazu an, sich ebenfalls ihre Gedanken über diese Fragestellungen zu machen. Zu diesen Rätseln gibt es keine Lösungen, folglich werden uns in „Die letzten Rätsel der Wissenschaft“ auch keine angeboten, sondern lediglich Lösungsansätze, zu denen wir unsere eigenen Überlegungen anstellen können und sollen.

Im Kapitel über Religionswissenschaft widmet der Autor sich den verschiedenen Gottesbeweisen oder auch der Theodizee, also der Frage nach Gottes Allmacht und der Existenz des Bösen auf dieser Welt. Dies erscheint mir der schwächste Abschnitt des Buches zu sein, da hier nicht nur ungelöste Rätsel auftauchen, sondern Gott an sich bereits ein Rätsel darstellt, das wohl nur jeder für sich selbst lösen kann. Auch scheint das Zahlenwunder des Koran nicht viel mehr als bloße Rechnerei zu sein; wenn sich ein Mathematiker mit einem beliebigen Buch lange genug beschäftigt, wird er in diesem sicherlich eine Menge Auffälligkeiten entdecken, die dem reinen Zufall entspringen. Diesem Kapitel merkt man deutlich an, dass es schwer ist, über ein Thema wie „Gott“ wissenschaftlich zu diskutieren, wenn dessen bloße Existenz bereits ein ungelöstes Rätsel darstellt.

Am Ende macht Paturi sich an die Präsentation aktueller mathematischer Rätsel, wie den Milleniumsproblemen. Mit Hilfe weniger Formeln versucht der Autor, uns zu erklären, was es mit der jeweiligen Fragestellung auf sich hat. Doch sind diese Probleme größtenteils nur für Leser interessant und halbwegs verständlich, die sich auch über die Schule hinaus mit der Mathematik beschäftigt haben. Als Schlusskapitel erscheint mir die Mathematik mit ihren abstrakten Rätseln daher ein gewagtes Unterfangen zu sein.

Rückblickend erstaunen die Fülle an Themen, die uns Paturi präsentiert, und die große Anzahl auftauchender Fragen. Paturi versucht den Brückenschlag zwischen den verschiedenen Disziplinen, außerdem möchte er seine Leser zum eigenen Nachdenken anregen, doch kann dies nicht bei jedem Thema gelingen. Hätte der Autor sich nur auf ein einziges Gebiet konzentriert, hätte er wahrscheinlich eine kleinere Leserschaft angesprochen, doch hätte diese womöglich das ganze Buch mit gleichbleibend großem Interesse gelesen. Bei dieser Fülle von Themen tauchen zwangsläufig Rätsel auf, die nicht jeden Leser ansprechen oder die auch nicht jedem erklärbar gemacht werden können. Für dieses Buch muss man als Leser schon viel eigenes Interesse an verschiedenen Disziplinen mitbringen, sonst werden auch Paturis engagierte Versuche, uns die Wissenschaft näher zu bringen, scheitern. Der Buchtitel verspricht etwas zu viel; natürlich kann es sich hierbei nicht um die „letzten Rätsel“ handeln, denn es gibt selbstverständlich noch mehr, zumal immer wieder neue Rätsel auftauchen werden, die nach einer Lösung suchen.

Für wissenschaftlich vielfältig interessierte Leser bietet Felix R. Paturi mit diesem Buch einen breiten Überblick über die verschiedenen Disziplinen, der erfolgreich zum Nachdenken anregt, da es dem Autor gelingt, auch komplizierte Sachverhalte verständlich darzustellen, sodass selbst Leser ohne spezielle Vorkenntnisse begeistert werden können. Das umfassende Literaturverzeichnis am Ende des Buches bietet die Gelegenheit, sich noch weiter in spezielle Themen zu vertiefen. „Die letzten Rätsel der Wissenschaft“ wirft Fragen auf und kann natürlich wenige klären, dennoch schafft das Buch Verständnis in vielen Bereichen und erweitert den Horizont seiner Leser. Dies kann man wohl nicht von vielen Büchern behaupten.

Szerb, Antal – Halsband der Königin, Das

Der bekannte ungarische Literaturprofessor Antal Szerb feiert zur Zeit international seine Wiederentdeckung. Nachdem mit Erfolg seine beiden Romane „Die Pendragon-Legende“ und „Reise im Mondlicht“ wieder aufgelegt worden sind, veröffentlicht der |dtv| nun Szerbs Geschichtszeugnis „Das Halsband der Königin“, in welchem der Autor seinen Lesern in eigenen Worten die damalige [Affäre]http://de.wikipedia.org/wiki/Halsbandaff%C3%A4re mitsamt seinen Protagonisten vorstellt.

Zunächst spricht uns Antal Szerb persönlich an und teilt uns seine Absichten mit, er möchte mit seinem Buch nämlich nicht allein die inzwischen geklärte Skandalgeschichte um das berühmte Kollier erzählen, sondern diese nur als Ausgangspunkt nehmen, um uns mehr zu berichten vom damaligen Leben kurz vor der Französischen Revolution. So passt es auch wunderbar ins Bild, dass sich Szerb zunächst ausführlich den Hauptfiguren der zu erzählenden Geschichte widmet. In langen Kapiteln stellt er uns den Kardinal Rohan vor, der am Ende eine wenig glückliche Figur in der Affäre abgeben wird, aber auch die Hochstaplerin Jeanne de Valois erhält genug Raum, damit sich ihre Handlungsweise und ihr Charakter für uns erschließen. Selbst der zwielichtige Magier [Cagliostro]http://de.wikipedia.org/wiki/Alessandro__Cagliostro wird uns von Antal Szerb präsentiert, obwohl er in der eigentlichen Angelegenheit nur am Rande eine Rolle spielt.

Natürlich vergisst Szerb auch nicht, sich umfassend der französischen Königin [Marie Antoinette]http://de.wikipedia.org/wiki/Marie__Antoinette zu widmen, die im Volk nicht sonderlich beliebt war, allein schon, weil sie in Österreich geboren wurde. Die Halsbandaffäre schließlich brachte sie noch mehr in Verruf, da damals nicht genau geklärt werden konnte, ob sie wirklich nur das unwissende Opfer war, oder ob sie diesen Vorfall selbst inszeniert hat, um Kardinal Rohan in Misskredit zu bringen und in die Bastille sperren zu lassen. Im vorliegenden Buch wird uns Marie Antoinette als Modekönigin geschildert, die sich aber auch leidenschaftlich für Theater und Opernbälle erwärmen konnte, sie war laut Szerb darüber hinaus eine spöttische und kritische Königin mit einem destruktiven Geist.

Nach einer sehr umfassenden Präsentation der Hauptcharaktere, die schon ein wunderbar farbenfrohes Bild der damaligen Zeit entwirft, widmet sich Antal Szerb der eigentlichen Halsbandaffäre, die ihren Lauf nimmt, als die beiden Juweliere Boehmer und Bassenge das besagte Kollier nicht verkaufen können. Auch Marie Antoinette lehnt den Kauf ab, weil ihr der Preis zu hoch erscheint. Einige Zeit später ersinnt Jeanne de Valois ihre Intrige und redet Kardinal Rohan ein, die Königin wolle durch seine Vermittlung das Kollier heimlich erwerben. Stattdessen behält Jeanne es selbst, zerlegt es in seine Einzelteile und verkauft die Steine mit Hilfe ihres Mannes, um von dem dadurch gewonnenen Reichtum in Saus und Braus zu leben.

Als der Skandal auffliegt, werden einige hochrangige Persönlichkeiten in die Bastille gebracht. Der darauf folgende Prozess erregt großes allgemeines Interesse in der Bevölkerung und macht nochmals deutlich, wie sehr die Franzosen ihre Königin verachtet haben.

Gut recherchiert und von offenkundiger eigener Faszination motiviert, erzählt uns Antal Szerb von der Halsbandaffäre, die für ihn Sinnbild der Zeit kurz vor der Französischen Revolution ist. Er nimmt diesen Skandal als Aufhänger für seine Erzählung, hat aber darüber hinaus noch so viel mehr zu berichten. So nutzt Antal Szerb die Gelegenheit, um uns vor allem die Hauptcharaktere so ausführlich vorzustellen, dass sie uns fast wie lebendige Menschen vor Augen stehen. Viele ihrer Eigenarten erfahren wir und auch Dinge und Handlungen, die sie ausgezeichnet und berühmt gemacht haben. In diesen Vorstellungen werden auch bereits Lesersympathien verteilt, obwohl der Autor sich bemüht, alle Figuren möglichst neutral zu charakterisieren. Dennoch wird schnell deutlich, dass die geldgierige Jeanne de Valois zwar gerissen und schlau war, aber auch verlogen und hinterhältig. Am Ende steht sie als die Hauptschuldige da, was historisch durchaus auch erwiesen ist.

Zunächst empfand ich diese lange Vorstellung der wichtigen Personen als unnötig und anstrengend, da Szerb mir zu viel Zeit brauchte, um zum Punkt zu kommen. Am Ende muss aber auch ein skeptischer Leser wie ich einsehen, dass dies mehr als beabsichtigt ist und notwendig erscheint, wenn man ein derart ausführliches und umfassendes Bild des ausklingenden 18. Jahrhunderts entwerfen will. Erst auf der Hälfte des Buches widmet der Autor sich der eigentlichen Affäre, und auch diese Erzählung unterbricht er, um weitere Figuren auf den Plan zu bringen. Doch obwohl es über weite Strecken eigentlich nicht um das Kollier geht, geschehen so viele Dinge, dass Szerbs Bericht nicht langweilig wird. Zudem bemüht der Autor sich, uns die Fakten und Ereignisse so einfach wie möglich zu schildern, auch wenn dies angesichts der Fülle von Informationen nicht immer gelingen kann. Historisch weniger bewanderte Leser werden ihre Schwierigkeiten haben, die Übersicht zu behalten, da Szerb viele Fakten, Personen und Episoden nennt, doch lernen wir hierbei ganz nebenbei auf unterhaltsame Weise etwas über französische Geschichte.

„Das Halsband der Königin“ ist ein Abbild der Zeit Ludwig des XVI. Szerb bringt uns das damalige Hofzeremoniell, die Sitten und Gepflogenheiten näher, er berichtet umfangreich von den handelnden Personen, sodass sie im Laufe der Geschichte immer plastischer werden und sich in das Gesamtbild einfügen. Er nimmt sich Zeit, um etwas über Musik und Kunst zu erzählen und sorgt auf diese Weise dafür, dass wir das Gefühl bekommen, als wären wir mittendrin in der Halsbandaffäre und würden Kardinal Rohan und Jeanne de Valois auf ihrem Weg begleiten. Dieses Buch ist kein Roman im eigentlichen Sinne, da Szerb sich auf die bekannten Fakten stützt und es hierbei belässt, er dichtet keine eigene Geschichte um die früheren Geschehnisse herum. Dies führt dazu, dass sich „Das Halsband der Königin“ nicht so leicht lesen lässt wie beispielsweise Szerbs Erfolgsromane, auch finden wir keine wörtliche Rede, da es sich lediglich um eine Nacherzählung handelt. Für historisch interessierte Leser gibt es in diesem kleinen Werk allerdings viel zu entdecken. Ich bin mir sicher, dass man auch bei mehrfachem Lesen immer neue Informationen aufsammeln kann, wenn man sich auf Szerbs Erzählweise einlässt und sich von ihm in die Zeit der Halsbandaffäre entführen lässt.

Weitere Rezensionen zu Antal Szerbs Werken bei |Buchwurm.info|:
[„Die Pendragon-Legende“ 955
[„Reise im Mondlicht“ 1292

Haas, Marc Alexander – Dunkelheit der Tage, Die

|“Viele hatten sich anfangs ein organisches Dunkel vorgestellt, eine pulsende Bauchhöhle der Metropole, eine tropfende, schleimabsondernde Peristaltik, die nach Licht und Zellen griff, die sich von Ausscheidungen nährte und nie gesehene blasse Kreaturen gebar, um eine erdabgewandte Seite zu bevölkern. Nässe und Moder hatten sie erwartet, rätselhafte Geschöpfe, transparente Schädellose, die in schwarzen Pfützen wimmelten, Altäre der Nacht metertief unter der Stadt.“|

Marc Alexander Haas‘ Roman „Die Dunkelheit der Tage“ erzählt die Geschichte einer Stadt und seiner eigentlich so alltäglichen Bewohner. Wir begegnen Maria, die sich nach der Trennung von Eric zu ihrer Freundin Greta in deren Kneipe flüchtet und die bei einem kleinen Zwischenfall im Supermarkt nicht nur den Obdachlosen Elias kennen lernt, sondern auch Henri, in den sie sich verliebt. Henri ist nach einem Brand arbeitslos und nimmt daher gezwungenermaßen einen Aushilfsjob auf dem Schrottplatz an. Er ist zu stolz, um auf das Angebot seines Freundes Tito zurückzugreifen, für ihn zu arbeiten. Maria und Henri nähern sich einander ganz allmählich an, und im Laufe des beschriebenen Jahres erleben wir Höhen, aber auch einige Tiefen ihrer Beziehung mit.

In der Geschichte treffen wir auf Greta, die in Scheidung von Paul lebt, der ihr zunächst noch hinterherläuft, dann aber bald eine neue Freundin hat. Greta ist die Einzige, die an Vincent herankommt. Er ist vielleicht der geheimnisvollste Charakter in der „Dunkelheit der Tage“, denn er taucht nur ganz sporadisch auf, eigentlich ist er stets auf der Suche nach dem tätowierten Mörder seiner geliebten Freundin Lara. Vincent ist ein undurchsichtiger Charakter, an den wir nicht herankommen, da auch seine Bekannten ihn nicht durchschauen können. Dennoch geht von ihm eine Faszination aus, der sich niemand entziehen kann.

Wir lernen Elias kennen, der in einer kleinen Baracke haust, aber immer wieder zugegen ist, wenn sich kleine Dinge ereignen; so passiert ihm im Supermarkt ein kleines Missgeschick, welches nur Henri durch sein beherztes Eingreifen ausbügeln kann. Elias möchte keine Hilfe seiner Freunde und Bekannten annehmen und feiert daher sogar Weihnachten und Silvester bei eisiger Kälte im Freien, aber immer wieder zeigt er seine Hilfsbereitschaft, er assistiert bei einer Geburt und hilft einer gehässigen Frau nach einem Sturz in ihren Rollstuhl hinein.

Dies sind nicht die einzigen Charaktere, die uns vorgestellt werden. Auf weniger als 400 Seiten stellt Marc Alexander Haas uns eine Vielzahl von verschiedenen Menschen vor und erzählt Teile ihrer Lebensgeschichte. So erfahren wir viele ihrer Eigenarten, Episoden aus ihrer Vergangenheit, aber wir erleben auch ihr aktuelles Leben mit. Im Laufe des Jahres in dieser dunkel gezeichneten Stadt werden Menschen begraben, aber wir schauen auch bei einer Geburt zu. Während die Jahreszeiten wechseln, findet also auch ein kleiner Wechsel der Generationen statt. Die Beziehung zwischen Maria und Eric ist vorbei, doch gibt es nach dem Kennenlernen zwischen Maria und Henri neue Hoffnung. So trostlos, wie Marc Haas uns die unbekannte Stadt präsentiert, baut er auch immer wieder kleine Oasen der Zuversicht ein, die die Geschichte leichter verdaulich machen, auch wenn wir sowohl Armut und Obdachlosigkeit als auch Arbeitslosigkeit und Beziehungskrisen miterleben müssen.

„Die Dunkelheit der Tage“ ist die Biografie einer Stadt samt einem Teil seiner Bewohner, viele völlig unterschiedliche Charaktere verfolgen wir und lernen dabei auf der einen Seite den armen Elias kennen, der für sein Überleben betteln gehen muss, aber wir treffen auch Tito, der von seinem vielen Geld Häuser kauft, die er einfach nur verfallen lassen möchte. Der Roman ist ein Wechselspiel aus Zuversicht und Verzweiflung. Nehmen wir beispielsweise Maria und Henri, die sich kennen lernen, als es Maria nach der Trennung von Eric nicht gut geht. An dieser Stelle muss Henri seine Arbeitslosigkeit verkraften, während es für Maria neue Hoffnung auf dem Arbeitsmarkt gibt, da Gretas Exmann ihr eine Ausstellung in Aussicht stellt. Aber kaum hat dieser eine neue Freundin, löst sich diese Hoffnung in Luft auf. Doch Henri kann helfen, denn er weiß sofort, dass Tito Maria helfen kann. Schon geht es mit den beiden bergauf, doch dann muss Henri den Aushilfsjob auf dem Schrottplatz annehmen und erfahren, dass sein neuer Arbeitgeber dubiose Geschäfte tätigt. Wir erleben alleine an diesem Teil der Geschichte ein ständiges Auf und Ab kennen.

Marc Alexander Haas gelingt der Aufbau einer dichten Atmosphäre und die authentische Zeichnung unterschiedlicher Charaktere. Allerdings fordert er viel von seinen Lesern, er überfrachtet seine Erzählweise völlig, sodass wir einen langen Atem brauchen, um uns durch das Dickicht an Adjektiven, Schachtelsätzen und Metaphern zu kämpfen. Viele Kunstworte werden eingefügt, um eine Sprache zu schaffen, die vielleicht in den Kontext passen mag, die ich aber nicht wie andere Rezensenten als musikalisch bezeichnen möchte, sondern als schwafelig und ermüdend. Auch ist die Geschichte völlig zerpflückt durch den ständigen Wechsel der Schauplätze. Kaum begleiten wir eine Figur auf einem Teil ihres Weges, springen wir schon zu einer anderen Person und erleben mit dieser eine Episode. Dieser ständige Wechsel ohne jeglichen roten Faden führt zu Verwirrung und dazu, dass wir Haas‘ Gedankengängen nicht so recht folgen können.

Meiner Meinung nach hätte der Autor sich auf die Zeichnung einiger weniger Charaktere konzentrieren sollen, dann wären sie uns vielleicht näher gebracht worden, aber Haas versucht die Vorstellung zahlreicher Personen auf wenig Raum und unterbricht seine Erzählung oftmals durch Einschübe, die uns inhaltlich nicht voranbringen, sondern in schier unerträglich schwülstiger Art und Weise eine Szenerie beschreiben wollen:

|“Schilf raschelt spröde; blasse, sehnsuchtsvolle Geschöpfe schälen sich aus der Finsternis, während drüben, im Dunkel des anderen Ufers, der Angler kauert. Geduldig bringt er seine Rute aus, schält das Gebein, aus dem er seine Haken schnitzt. Er zieht harlekineske Fische aus dem stillen Gewässer, und neben ihm hockt friedfertig der Tod. Verirrte Gestalten in der formlosen Dämmerung, vertraut und unvorstellbar fern zugleich, wie Karrenspuren aus der Bronzezeit. Ein Nachen liegt für den Wanderer bereit, er schwoit vor einer pulsenden Höhle, einem Gebirge aus Rauchquarz, von einer rätselhaften Lichtsystole durchblutet.“|

Wer sich von derart überladener Sprache nicht abschrecken lässt, sondern sie womöglich als Kunst bezeichnet, und wer die Geschichte einer Stadt und seiner Figuren kennen lernen möchte, der mag sich mit der „Dunkelheit der Tage“ anfreunden können, ich persönlich bin mit der Erzählung nicht warm geworden. Zu zerpflückt erschien mir der Text, zu schwafelig die Sprache und auch das Schicksal der Charaktere berührte mich nicht. Das vorliegende Buch ist kein Unterhaltungsroman, sondern ein schwer verdauliches Stück Literatur, das seine Leser herausfordert und viel Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen benötigt. Leider wird man nicht durch eine interessante Geschichte belohnt, sondern nur durch kleine Episoden verschiedener Charaktere, mit denen man sich nur halbwegs anfreunden kann.