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Wolf, Inger – Spätsommermord

Nachdem Kurt Wallander sich zur Ruhe gesetzt hat, muss ein neuer, knorriger Ermittler aus Skandinavien her, der diese Lücke ausfüllen kann. Die Dänin Inger Wolf hatte dies sicherlich nicht im Hinterkopf, als sie ihren Krimi „Spätsommermord“ schrieb. Dennoch wirkt ihr Kommissar Daniel Trokic in gewisser Weise wie ein Nachfolger des deprimierten Mannes aus Ystadt.

Doch Daniel Trokic ist nicht alleine. Ihm zur Seite steht die junge, unkonventionelle Lisa Kornelius, die eigentlich Computerexpertin bei der Polizei ist, sich aber wünscht, endlich mehr in die wirklichen Ermittlungen eingebunden zu werden. Dazu hat sie die Möglichkeit, als man im Herbst eine nackte Frauenleiche in einem abgelegenen Waldstück findet, auf deren Torso eine Schierlingsblüte platziert wurde. Ihre Kehle wurde durchgeschnitten, aber anfangs ist nicht klar, wieso ausgerechnet sie Opfer eines Verbrechens wurde.

Anna Kiehl war Studentin und alleinerziehende Mutter eines kleinen Sohnes. Weil sie ihre Meinung gerne offen kundgetan hat, hat nicht jeder sie gemocht, aber keiner hatte Grund, sie umzubringen. Erst als sich nach der Obduktion herausstellt, dass sie erneut schwanger war, ergibt sich eine erste Spur. Wer war der Vater des Kindes, wo doch alle Zeugen aussagten, dass sie keinen Freund hatte? Auf bloßen Verdacht hin lässt Trokic den Tümpel untersuchen, in dessen Nähe Anna Kiehls Leiche gefunden wurde. Tatsächlich finden Taucher einen weiteren Toten: Christoffer Holm, einen erfolgreichen und leidenschaftlichen Chemiker. Es stellt sich heraus, dass er der Vater von Annas Kind war und auch ihr Freund. Doch das Motiv bleibt unklar. Die Ermittler stochern im Nebel herum und merken nicht, dass sie dem Mörder dabei sehr nahe kommen. Gefährlich nahe …

Kriminalromane aus Skandinavien sind beileibe nichts Neues mehr, und so verwundert es nicht, dass die Erwartungshaltungen an „Spätsommermord“ nicht unbedingt hoch waren. Tatsächlich wirkt das Buch anfangs so, als ob es zwar gehaltvoll geschrieben und spannend wäre, mehr aber auch nicht – typisch skandinavisch eben. Allerdings entwickelt die Geschichte mit der Zeit doch etwas Eigenes. Sie wird zunehmend spannend und die anfängliche Distanziertheit lässt nach. Ihr größter Pluspunkt ist die interessante und authentische Umsetzung der trockenen Polizeiarbeit. Gerade was Lisas Arbeit am Computer angeht, gewährt Wolf immer wieder interessante und lehrreiche Einblicke. Gleichzeitig serviert die Autorin ihren Charakteren die Lösung des Falls nicht auf dem Silbertablett. Sie hangeln sich mehr oder weniger an Zufällen und blinden Verdachtsmomenten entlang, was das Ganze sehr realistisch wirken lässt. Wolf stellt keine Superhirne in den Mittelpunkt ihres Buches, sondern normale und bodenständige Charaktere.

Allen voran natürlich Daniel Tropkic, der, wie die anderen Figuren auch, eine interessante Vergangenheit aufweist. Dank dieser ist er ein vielschichtiger Mensch, der nicht bloß seine Funktion als Ermittler erfüllt. Er weist zwar nicht die Intensität eines Kurt Wallanders auf – dafür fehlt es ihm an tiefgründigen Gedankengängen und gesundheitlichen Problemen -, hat aber durchaus Entwicklungspotenzial. Gleiches gilt für Lisa, die ebenfalls einige interessante Züge aufweist. Sie ist frei von Klischees und gefällt durch ihre manchmal forsche Art. Jedoch hat man bei ihr ebenfalls das Gefühl, dass ihre Möglichkeiten noch nicht völlig ausgeschöpft sind. Das gilt auch für die Nebenfiguren, vor allem bezüglich der Mordfälle. Sowohl von der Intensität als auch von der Atmosphäre eines Henning Mankell ist Inger Wolf noch ein Stück entfernt.

Der Schreibstil wirkt kühl und distanziert, wie es das Cover des Buchs bereits erahnen lässt. Das wird Inger Wolf an einigen Stellen zum Verhängnis, denn obwohl sie flüssig und abwechslungsreich schreibt, springt der Funke zu selten über, um echte Begeisterung beim Leser hervorzurufen. Wie auch bei den Charakteren fehlt es an einem entsprechenden Vibe, der „Spätsommermord“ zu einem Pageturner machen würde.

Im direkten Vergleich mit Henning Mankell, dem Großmeister des skandinavischen Krimis, zieht Inger Wolf den Kürzeren. Dafür ist ihre Geschichte ein wenig zu eindimensional, zu distanziert und zu kühl. Dennoch ist „Spätsommermord“ spannend, handwerklich gut und weiß mit dem einen oder anderen Detail zu punkten. In Anbetracht der Tatsache, dass Inger Wolfs Schrifstellerkarriere gerade erst begonnen hat – das vorliegende Buch ist ihr zweites -, dürfte von ihr aber sicherlich noch einiges zu erwarten sein.

|Originaltitel: Sort sensommer
Übersetzt von Cathrin Frischer
Taschenbuch, 316 Seiten|
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Hjemmeside

Deflo, Luc – Totenspur

Belgien ist ein kleines Land, das sich zwischen die Niederlande und Frankreich quetscht und literarisch bislang nur wenig Aufsehen erregt hat. Nachdem Skandinavien krimitechnisch bereits ordentlich ausgeschlachtet wurde, möchte Luc Deflo die Spannung nun in sein Heimatland bringen. Der Verlag nennt ihn „Belgiens Thrillerautor Nr. 1“, aber kann er mit „Totenspur“ wirklich überzeugen oder ist und bleiben Belgiens Importschlager die vielleicht besten Pralinen der Welt?

Eines Tages wird eine junge Frau verstümmelt in einer Badewanne gefunden. Es stellt sich heraus, dass sie vorher tiefgefroren war. Wenig später taucht im Hafen von Mechelen eine weitere Leiche auf, ebenfalls von einer jungen Frau und nicht weniger gut erhalten. Für den Polizeipsychologen Dirk Delau ist klar, dass man es hier mit einem Serienmörder zu tun hat, den es mit allen Mitteln zu stoppen gilt. Zu allem Überfluss findet man heraus, dass eine der Toten eigentlich bei einem Hausbrand in Frankreich ums Leben gekommen ist. Was ist hier los? Und wieso ähneln sich die beiden Toten äußerlich so sehr?

Nein, mit einem normalen Mörder haben es Dirk Delau und der Untersuchungsrichter Jos Bosmans hier wirklich nicht zu tun. Ihr Team ermittelt in alle Richtungen, doch sie werden von ganz oben behindert, als sie auf eine Verbindung zu dem Politiker Robert Pardon stoßen. Doch Jos lässt sich davon nicht beirren und setzt alles auf eine Karte. Anscheinend war diese Entscheidung richtig, denn wenig später findet man auch Robert Pardon tot in seinem Wagen. Angeblich ein Herzinfarkt – oder doch das Werk des Mörders?

Luc Deflo hat ein Buch geschrieben, das wie die Folge einer Krimi-TV-Serie wirkt. Er steigt direkt in die Geschichte ein und stellt seine Charaktere kaum vor. Das hat den Nachteil, dass man diese als Leser nicht richtig kennenlernen kann. Da vor „Totenspur“ bereits ein anderer Krimi mit Jos Bosmans und Dirk Delau erschienen ist, hat er sie vielleicht dort vorgestellt. Der Neuleser wird jedenfalls recht unsanft in den belgischen Kosmos geschleudert, und das wirkt sich negativ auf das ganze Buch aus. Jos Bosmans und Dirk Delau sowie die anderen Charaktere wirken wie ein guter Versuch, doch leider bleiben sie meistens recht durchschnittlich in ihrer Wirkung auf den Leser. An der einen oder anderen Stelle greift der Autor auf Klischees zurück, die den Lesegenuss zusätzlich schmälern.

Die Handlung selbst kann ebenfalls nicht punkten. Es fehlt an einem konstanten Spannungsaufbau, und die Geschichte gerät häufig ins Schlingern. Als Leser verliert man leicht den Überblick, und es mangelt an falschen und richtigen Spuren, die letztendlich zur Auflösung des Falls führen. Im Gegenteil ist die Mörderin von Anfang an bekannt, da auch sie in einigen Kapiteln zu Wort kommt. Die Jagd auf sie ist nicht besonders spektakulär, manchmal sogar unrealistisch. Das ist schade, denn an und für sich liefert „Totenspur“ gute Ansatzpunkte für eine wirklich spannende Geschichte. Sie hätte nur anders aufgebaut werden müssen.

Der Schreibstil könnte ausgefeilter sein, lässt sich aber leicht lesen und kommt ohne große Patzer aus. Die Dialoge wirken allerdings oft gekünstelt. Das spürt man besonders bei den Witzeleien zwischen Jos und Dirk, die nur selten zünden, oder auch den Gesprächen zwischen ihren Frauen, die häufig wie aus einer Vorabendserie entlehnt wirken.

Auch wenn sie vielleicht nicht unbedingt schmeichelhaft für die Figur sind, sollte man sich doch lieber an die Belgischen Pralinen halten. „Totenspur“ bemüht sich, ein gutes Buch zu sein, schafft es aber leider nicht, dem gerecht zu werden. Dazu ist die Handlung nicht straff und spannend genug und auch bei den Figuren und dem Schreibstil ist einiges im Argen. Fürs bloße Zwischendurchlesen sicherlich nicht schlecht, aber kein literarisches Feuerwerk.

|Originaltitel: Bevroren Hart
Aus dem Flämischen von Stefanie Schäfer
Taschenbuch, 357 Seiten|

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Meltzer, Brad – Shadow

Dass es im Weißen Haus in Washington, D.C., nicht immer mit rechten Dingen zugeht, wissen wir spätestens seit Bill Clinton. Der amerikanische Autor Brad Meltzer treibt es in seinem Thriller „Shadow“ auf die Spitze. Hier geht es nicht mehr nur um eine kleine Affäre, sondern um gefährliche Machtspielchen und düstere Geheimnisse, welche die Wiederwahl des fiktiven Präsidenten Hartson in Gefahr bringen könnten.

Michael Garrick ist Berater im Weißen Haus und hat es jeden Tag mit einem Haufen karrieregeiler Kollegen zu tun. Er selbst wirkt ziemlich bodenständig, aber das hält ihn nicht davon ab, sich ausgerechnet mit Nora Hartson, der Tochter des Präsidenten, zu treffen und sich in sie zu verlieben. Als sie eines Abends gemeinsam ausgehen, versucht Nora alles, um den Secret Service, ihre Bodyguards, abzuschütteln und es gelingt ihr sogar. Die beiden haben ein kurzes, aber intensives Date, das ein jähes Ende findet, als Michael seinen Boss Simon dabei beobachtet, wie dieser in einer Schwulenbar einen dicken Umschlag entgegennimmt. Das weckt Noras Abenteuerlust und sie folgen Simon, der den Umschlag an einem abgelegenen Ort zu vergräbt. Als sie der Sache auf den Grund gehen, finden sie einen Packen Geld, und Nora lässt es sich nicht nehmen, ein Bündel Scheine in die Tasche zu stecken.

Am nächsten Tag will Michael seine Beobachtungen über Simon der Ethikchefin des Weißen Hauses beichten, doch sie eröffnet ihm, dass Simon bereits vor ihm da war und die gleiche Geschichte, die er Caroline Penzler auftischt, ebenfalls erzählt hat – und alle Schuld auf Michael geschoben hat. Wer hat nun Recht? Die Situation sieht nicht besonders gut aus für Michael, denn die einzige Zeugin, die seine Aussage bestätigen könnte, ist schließlich die Tochter des Präsidenten, und es sähe nicht besonders gut aus, wenn sie in solche Unternehmungen verstrickt wäre. Und dann ist da ja auch noch das Geld, das sie mitgenommen haben … Zu allem Überfluss stirbt Caroline Penzler wenig später – angeblich an einem Herzinfarkt – und Michael gerät ins Visier des FBI. Um seine Haut und die von Nora zu retten, versucht er, Simons Schuld nachzuweisen und verstrickt sich dabei immer tiefer in den undurchsichtigen Fall …

„Shadow“ wird Fans von eiskalten Thrillern mit Heldenfiguren in dieser Hinsicht enttäuschen. Michael Garrick ist ein sehr ehrlicher und offener Erzähler, der keine Superkräfte besitzt und manchmal vielleicht ein wenig zu farblos wirkt. Er ist recht normal, was ihn aber menschlich und real wirken lässt. Es macht Spaß, ihn während der Lektüre zu begleiten, da er eine relativ objektive Sichtweise auf die Ereignisse erlaubt, ohne dabei völlig unterzugehen. Seine Vergangenheit und Persönlichkeit werden gut herausgearbeitet, wie auch bei den anderen Figuren. Meltzer greift nur selten Klischees auf, denn obwohl seine Figuren sehr gewöhnlich wirken, haben die meisten das eine oder andere Extra, das sie letztendlich hervorstechen lässt. Simon beispielsweise ist nicht das Monster, das man sich vorstellt. Im Gegenteil pflegt er ein behindertes Kind, für das er sogar beruflich zurückgesteckt hat. Ähnlich sieht es mit Michael aus, dessen Familiengeschichte eine ziemlich ungewöhnliche ist. Durch solche Besonderheiten schafft Meltzer es, nicht nur seine Charaktere, sondern das gesamte Buch aus der Masse herausragen zu lassen.

Die Handlung ist zwar realistisch, weist jedoch an der einen oder anderen Stellen ein paar Längen auf. Hinzu kommt, dass sie aus bereits bekannten Teilen konstruiert ist und dem Genre nicht viel Neues hinzufügen kann. Dank Meltzers mitreißender Erzählweise und des Erzählers, der alleine schon aufgrund seines Wesens zum Umblättern animiert, lässt sich „Shadow“ jedoch zügig und mit Freude durchlesen. Es gibt einige Action- und Verfolgungsszenen, die allerdings nie übermenschlich wirken und wie die Charaktere immer ein paar Besonderheiten aufweisen. Ähnlich ist es bei den Fettnäpfchen, in die der Held der Geschichte regelmäßig tritt. Meltzer schlachtet diese nicht aus. Michael gerät nie in eine Situation, aus der er nicht auch wieder halbwegs elegant herauskommen würde.

Insgesamt bleibt der Autor sehr bodenständig, und gerade das ist es, was die Geschichte so lesenswert macht. Ein weiterer Pluspunkt ist das zahlreiche (Insider-)Wissen über das Weiße Haus. Der Leser erfährt einiges über Washingtons wohl bekanntestes Gebäude, aber Meltzer macht nicht den Fehler, sich bei den Fakten aufzuhalten. Alleine durch seine spannende und anschauliche Schilderung des Alltags in den Büros – die sich so sehr gar nicht von anderen Büros unterscheiden – fließt ganz ohne belehrenden Zeigefinger oder Langeweile einiges an informellem Wissen in den Roman ein.

Der Schreibstil ist eng mit der Hauptperson verbunden und stellt diese in ihrer ganzen Schönheit dar. Meltzer unterscheidet sich nicht wirklich von anderen amerikanischen Thrillerautoren. Flüssig und mit einem Händchen für saubere Sätze und anschauliche Schilderungen, kann er das ganze Buch hindurch überzeugen. Eine eigene Note bekommt die Geschichte hauptsächlich durch Michaels Freund Trey, dessen Humor beinahe komödiantische Züge annimmt. Manchmal fühlt man sich tatsächlich mehr in einer coolen Krimikomödie als im Weißen Haus, wenn Trey einmal richtig loslegt.

In der Summe legt Brad Meltzer einen wenig außergewöhnlichen, aber sehr lesenswerten Thriller vor. Die Hauptperson ist sympathisch, der Schreibstil treibt die Geschichte flott voran und die Handlung weiß trotz einiger Längen zu überzeugen. Wer Thriller mit einem politischen Touch mag, der sollte sich bedienen.

|Originaltitel: The First Counsel
Aus dem Amerikanischen von Edith Walter
Taschenbuch, 524 Seiten|

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Gardner, Lisa – Schrei, wenn die Nacht kommt

Die amerikanische Autorin Lisa Gardner hat sich in letzter Zeit in Deutschland immer beliebter gemacht. Ihre Thriller zeichnen sich durch ein hohes Maß an Spannung und Pageturnerqualitäten aus. Während die ersten beiden von ihr im |Aufbau|-Verlag erschienenen Bücher auf die gleichen Hauptpersonen zurückgriffen, ist „Schrei, wenn die Nacht kommt“ komplett eigenständig. Neue Besetzung, neuer Fall – einzig die Spannung bleibt gleich.

Sergeant Detective Kincaid wird eines Nachts zu einem Tatort mitten in der Pampas von Oregon gerufen. Dort steht ein Auto mit laufendem Motor und angeschalteten Scheibenwischern mutterseelenallein am Straßenrand. Von der Fahrerin fehlt jede Spur. Was anfangs noch recht banal wirkt, wird schnell zu tödlichem Ernst. Als man ermittelt hat, dass das Auto Lorraine Conner gehört, und deren Ehemann Pierce Quincy, einen bekannten FBI-Profiler, verständigt hat, wird klar, dass dieses Verhalten überhaupt nicht zu Rainie, wie sie genannt wird, passt. Sie ist immer sehr vorsichtig, trägt normalerweise eine Waffe bei sich und würde sicherlich nicht mitten in der Nacht einfach irgendwo anhalten.

Etwas muss passiert sein. Tatsächlich meldet sich wenig später ein Mann, der behauptet, sie entführt zu haben, und fordert ein Lösegeld von Pierce Quincy. Er beginnt ein perfides Spiel mit den ermittelnden Beamten und mit Rainies Ehemann. Er füttert sie nur häppchenweise mit Informationen zur Geldübergabe und zu Rainies Zustand und zögert die Übergabe immer mehr hinaus, stellt immer höhere Forderungen und scheint insgesamt nicht in Eile zu sein. Die Polizei hat weder eine Ahnung, wer er ist, noch eine Spur von Rainie, was die Ermittlungen nicht gerade erleichtert. Hinzu kommt, dass Quincy sich aktiv einmischt und dabei eine andere Strategie fährt als der leitende Beamte Kincaid: Während Kincaid die Geldübergabe nur zum Schein arrangieren möchte, will Quincy unbedingt zahlen, um seine Frau in die Arme schließen zu können. Der Fall gewinnt an Brisanz, als der Entführer auch noch den siebenjährigen Dougie kidnappt. Rainie lag der Junge, der als Halbwaise von einer Pflegefamilie zur anderen wandert, sehr am Herzen. Es scheint, als ob Rainie mitnichten ein Zufallsopfer ist…

Lisa Gardner setzt dem Leser wie gewohnt Hochspannung vor und den einzigen Vorwurf, den man ihr machen kann, ist das „wie gewohnt“ in diesem Satz. Ihre Bücher ähneln sich trotz unterschiedlicher Charaktere. Das kann man sowohl negativ als auch positiv sehen, denn diese Eigenschaft macht die Autorin zu einer sicheren Adresse für fesselnde Thrillerliteratur. Die Handlung wird flott vorangetrieben und weist einen guten Spannungsaufbau auf. Sicherlich tut Gardner nichts wirklich Neues für das Genre, aber sie konstruiert ihre Geschichte sauber und grundsolide. Ein Blick in die Danksagungen enthüllt, wieso das so ist. Die Autorin dankt zig Leuten vom Polizisten bis zur Pharmazeutin und zeigt dadurch, dass sie gut recherchiert hat. Das merkt man, denn neben dem eigentlichen Handlungsstrang fließt auch sehr viel Alltagswissen über die Polizeiarbeit ein. Dabei begeht sie nicht den Fehler, sich an zähen Erklärungen über kriminologische Vorgehensweisen aufzuhalten, vielmehr berichtet sie über die informellen Abläufe bei den Ermittlungen, und lässt vor allem den Figuren sehr viel Raum.

Ihre Charaktere sind sehr ausgefeilt und tiefgängig. In ihrer Geschichte herrscht kein eitel Sonnenschein. Stattdessen konzentriert sie sich stark auf die menschlichen Abgründe, ohne zu sehr in diese abzurutschen. Auffällig ist auch, dass sie dieses Mal hauptsächlich aus der Sicht von Männern erzählt, was ihr aber sehr gut gelingt. Sie hat ein Händchen für ihre Personen, die sie allesamt mit Erinnerungen und Gedanken ausstattet. Dadurch wird das Buch zu einer sehr runden, sehr interessanten Sache. Selbst wenn die Handlung nicht so fesselnd wäre, könnte man „Schrei, wenn die Nacht kommt“ nicht aus der Hand legen, weil die Personen dem Leser so sehr ans Herz wachsen, dass er für einige hundert Seiten nicht anders kann als an deren Leben teilnehmen zu wollen.

Gardners Schreibstil ist insofern unverändert, da er immer noch sehr flüssig, gehoben und lebendig ist. Neu ist dagegen der ungewöhnliche, humorvolle Touch, der vor allem in den Dialogen zwischen Quincy und Kincaid zu Tage tritt. Obwohl sich die beiden am Anfang nicht riechen können, entwickelt sich eine Art rumpelige Freundschaft zwischen ihnen. Trotz des Ernstes der Lage lassen sie es sich nehmen, bissige Bemerkungen gegenüber dem jeweils anderen fallenzulassen. Anfangs wirkt das für Kenner von Gardners Büchern fremd, dann macht es immer mehr Spaß, die beiden bei ihren dezenten Schlagabtäuschen zu beobachten.

In der Summe ist „Schrei, wenn die Nacht kommt“ ein weiterer Klassethriller aus Lisa Gardners Ideenschmiede, der gut in ihren literarischen Kanon passt. Akzente kann er vor allem durch die Personenkonstellation setzen. Quincy und Kincaid sind interessante, gut ausgearbeitete Charaktere, deren Verhältnis zueinander das Buch auflockert und die spannende Geschichte noch lesenswerter macht.

|Originaltitel: Gone
Aus dem Amerikanischen von Manuela Thurner
438 Seiten, Taschenbuch|

_Lisa Gardner bei |Buchwurm.info|:_

[„Der Schattenmörder“ 875
[„Lauf, wenn du kannst“ 4648
[„Kühles Grab“ 4853

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di Fulvio, Luca – Rache des Dionysos, Die

In seiner Heimat Italien hat Luca di Fulvio bereits einige Bücher veröffentlicht, unter anderem auch Kinderbücher. Sein erster deutscher Streich, „Die Rache des Dionysos“, möchte nicht so ganz zu dieser Tatsache passen. Der Thriller ist von einem Kinderbuch ungefähr so weit entfernt wie die Erde von der Sonne. Wer nun wissen möchte, ob di Fulvio eher bei der Lektüre für die Jüngeren oder bei der für die Älteren brilliert – nun, diese Frage kann nicht beantwortet werden, da di Fulvios Kinderbücher es bislang noch nicht bis nach Deutschland geschafft haben.

„Die Rache des Dionysos“ sollte allerdings lieber nicht in Kinderhand geraten, denn das Buch geizt nicht mit Blut und Leichen. Milton Germinal, junger und erfolgreicher Inspektor, wird zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Arbeitervorort Mignetta strafversetzt, nachdem man ihn beim Heroinkonsum ertappt hat. Tatsächlich ist er abhängig, was ihn das ganze Buch lang begleiten wird. Bereits am ersten Tag an seinem neuen Arbeitsplatz geht es rund. In einer Villa in der Nähe ist die Frau eines Aktionärs der Zuckerfabrik, die den meisten Leuten in der Mignetta Arbeit gibt, ermordet worden. Es war ein furchtbares Blutbad, Frau Neef ist buchstäblich zerfleischt worden.

Wer würde so etwas tun? Bei der Obduktion, die der Graf Noverre durchführt, der ohne Arme auf die Welt gekommen ist und nur dank seines Assistenten diesem Beruf nachgehen kann, finden sich weitere Auffälligkeiten. Doch bevor Germinal mit seinen unkonventionellen Ermittlungsmethoden wenigstens eine kleine Spur findet, wird eine weitere Frau ermordet, auch sie hat mit der Zuckerfabrik zu tun. Zur gleichen Zeit versucht ein Sozialist, die Arbeiter der Fabrik zu einem Aufstand zu bewegen, und es scheint, als ob seine Parolen auf fruchtbaren Boden fielen. Germinal, eigentlich ein gewissenhafter Ermittler, wird nicht nur durch seine Drogensucht beeinträchtigt. Zum einen freundet er sich mit dem Grafen Noverre an, der ihm tief in die Seele zu blicken weiß, und verliebt sich in die junge Tänzerin Ignés. Zu spät merkt er, dass all diese neue Bekanntschaften in eine alte Geschichte münden, die einen verheerenden Schaden anrichten könnte …

„Die Rache des Dionysos“ zeichnet sich durch seine düstere Atmosphäre und die lebendig gewordene Geschichte aus. Die Epoche der Industrialisierung wird sehr lebendig und pessimistisch dargestellt. Wenn man bedenkt, wie zu dieser Zeit riesige Moloche von Fabriken entstanden, wirken di Fulvios Schilderungen sehr authentisch, auch wenn er sich sicherlich sehr stark den finsteren Elementen dieser Zeit zuneigt. Dadurch gelingt ihm ein hervorragender Hintergrund für diesen spannenden Thriller, der die Lösung des Kriminalfalls lange nicht preisgibt und dann in ein fulminantes Finale mündet. Wie der Titel schon andeutet, gibt es innerhalb des Buches Referenzen zur griechischen Sagenwelt und natürlich dem Gott des Weines. Allerdings hält di Fulvio diese Stellen angenehm kurz und konstruiert auch keine komplizierte Analogie zu den alten Geschichten. Leser, die sich darauf freuen, tief in die Antike abzutauchen, werden daher enttäuscht. Der italienische Autor hat einen Thriller geschrieben, keinen historischen Roman, und das ist auch gut so.

Obwohl die Handlung gut konstruiert und packend erzählt wird, verlässt sich di Fulvio nicht darauf. Zusätzlich nehmen auch die Erlebnisse und Erinnerungen der fantastisch gezeichneten Figuren sehr viel Raum ein. Das ist nicht negativ, denn die Charaktere, die beinahe genauso düster sind wie der Grundtenor der Geschichte, sind tiefgehend gezeichnet, und jeder scheint ein dunkles Geheimnis zu besitzen. Dadurch erlangt der Roman weitere Spannung und wirkt vor allem sehr sorgfältig ausgearbeitet und konsistent.

Neben dem drogensüchtigen Germinal sticht vor allem der Graf Noverre hervor. Dank seiner ungewöhnlichen Behinderung ist er von vornherein ein interessanter Charakter mit einer sehr eigenen Persönlichkeit. Der Autor schafft es, dem Leser eindringlich zu vermitteln, welche Grenzen einem Menschen gesetzt sind, der ohne Arme geboren wurde. Dabei wird di Fulvio nie pathetisch, sondern behandelt seine Romanfigur mit großem Respekt. Diesen sollte auch der Leser aufbringen, spätestens, wenn er Noverres Lebensgeschichte erfährt. Mehr oder weniger geschickt hat der Autor diese in einem Extrateil aufgeschrieben. Dieser hängt nicht mit der eigentlichen Geschichte zusammen, ist aber wichtig, damit man die Hintergründe des Mörders und dessen Motiv versteht. Auf den ersten Blick wirkt es sicherlich ungewöhnlich, dies nicht direkt in die Geschichte zu packen; bedenkt man jedoch, wie oft Thriller durch die Ausschlachtung von Vergangenem langweilig oder unrealistisch werden, kann man Luca di Fulvio nur loben.

Am Schreibstil gibt es ebenfalls nichts zu meckern. Der Autor schreibt flüssig und sauber mit einem historisch anmutenden Unterton. Er begeht allerdings nicht den Fehler, den einige andere historische Autoren machen, indem er zu geschwollen oder zu erhaben wird.

„Die Rache des Dionysos“ ist ein literarisch ansprechendes, aber den Leser nie überforderndes Buch, das seine düstere Atmosphäre gut zu transportieren weiß. Die Handlung ist fesselnd, die Figuren sind lebensnah und abwechslungsreich. Kinderbücher hin oder her – für Erwachsene kann Luca di Fulvio schreiben. Das hat er hiermit bewiesen!

|Originaltitel: La Scala Di Dioniso
Aus dem Italienischen von Petra Knoch
571 Seiten, Taschenbuch|

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SIMONE BUCHHOLZ – Revolverherz

Simone Buchholz, leidenschaftliche Wahlhamburgerin, ist keine Unbekannte. Sie hat als Redakteurin gearbeitet und bereits mehrere Sachbücher verfasst oder mitgeschrieben. Nun wagt sie sich an ihr Romandebüt, wobei sich zwischen ihr und ihrer Heldin Chastity Riley ein paar Parallelen erkennen lassen. Beide haben ihre jungen Jahre in Hanau verbracht und sind später an die Elbe gezogen. Noch etwas scheinen sie zu teilen: den Enthusiasmus für den Stadtteil St. Pauli. Das sollte spätestens dann klar geworden sein, wenn man „Revolverherz“ zuschlägt.

Chastity Riley ist Staatsanwältin und die Ich-Erzählerin der Geschichte. Sie ist gerade in einen besonders widerlichen Fall verwickelt. Im Hafen wurde eine junge Frau gefunden, erdrosselt und nackt. Auf ihrem Kopf thront eine blaue Perücke, sie wurde skalpiert. Chastity und dem alten, väterlichen Kommissar Faller wird schnell klar, dass sie es hier nicht mit einem normalen Mörder zu tun haben. Sie setzen alles daran, um die Ermittlungen voranzutreiben. Chas, die im Herzen von St. Pauli wohnt, hört sich dort auf eigene Faust um, weil die Tote im Stripclub „Acapulco“ auf dem Kiez getanzt hat. Dabei holt sie sich ihren Nachbarn, den ehemaligen Kleinkriminellen Klatsche zur Hilfe, der ihr, obwohl deutlich jünger als sie, eindeutige Avancen macht.

Wenig später finden sie eine zweite Leiche, ebenfalls Stripperin im „Acapulco“ und blutjung. Es gibt keine Verbindung zwischen den beiden Opfern. Anscheinend mordet der Täter wahllos, was die Ermittlungen nicht unbedingt leichter macht. Chas, Faller und ihre Kollegen haben ganz schön zu tun. Nebenbei hat Chas auch noch ihr Privatleben in Einklang zu bringen: Ihre Vergangenheit jagt sie, ihre Freundin Carla möchte sie erst mit einem älteren Herren verkuppeln und ist dann auf einmal verschwunden, Klatsche benimmt sich wie ein liebestoller Hengst und der FC St. Pauli verliert wie immer. Gerade in dem Moment, als der jungen Frau alles über den Kopf zu wachsen scheint, muss sie feststellen, dass der Fall vielleicht mehr mit ihrem Leben zu tun hat, als sie glaubt …

Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte es auch sehr gewundert. Chastity steht für einen Krimi sehr stark im Vordergrund. Das ist logisch, schließlich wird aus ihrer Erzählperspektive erzählt. Die Autorin verwendet allerdings zusätzlich Zeit darauf, das Privatleben der Staatsanwältin auszuleuchten. Das gelingt ihr sehr gut. Chastity ist interessant und gut ausgearbeitet und wirkt stellenweise wie eine kühlere, erfolgreichere Bridget Jones – und das ist ein positiver Vergleich! Chas ist umwerfend ironisch, kantig und voller Widersprüche. Sie hat düstere, schmerzhafte Geheimnisse, die sie dem Leser nicht vorenthält, und begeht viele Fehler, was sie menschlich erscheinen lässt. Hinzu kommt, dass sie nicht so einfach einem der existierenden Literaturklischees von Frauen zugeordnet werden kann. Sie ist keine Witzfigur aus einem Frauenroman, für die taffe Anwältin ist sie zu verletzlich und für die Karrierefrau trinkt sie zu viel Bier und mag Fußball zu sehr.

Die anderen Figuren im Buch sind amüsant und gut ausgearbeitet, lehnen sich aber zumeist an Klischees vom Kiez oder der Krimiliteratur an. Dass dies nicht störend wirkt, ist der Autorin hoch anzurechnen und hängt damit zusammen, dass sie trotzdem jeder Figur eine eigene Note zu verleihen weiß. Klatsche beispielsweise ist auf der einen Seite das Schlitzohr, hat aber auf der anderen Seite ein goldenes Herz und versucht, sein Geld mittlerweile legal zu verdienen – mit einem Schlüsseldienst, naheliegend für einen ehemaligen Einbrecher.

So viel Positives lässt sich über die Handlung nicht berichten. Die wirkt aufgrund Chastitys Dauerpräsenz häufig wie die Zweitbesetzung, was nicht unbedingt ein Fehler sein muss. Allerdings macht die Autorin den Fehler, es mit den düsteren Erinnerungen von Chas ein wenig zu übertrieben. Häufig wirken diese deplatziert und die Nähe zum Kriminalfall ist an einigen Stellen fraglich, was dem Buch ein paar Längen beschert. Des Weiteren lässt sich Buchholz‘ Lokalkolorit kritisieren. Wer nicht gerade in Hamburg wohnt, wird mit vielen ihrer Beschreibungen nur wenig anfangen können. Da sie wirklich ständig auf den besonderen Merkmalen der Stadt herumreitet, geht dem Leser Hamburg nach einer Weile auf die Nerven und Chastitys Liebe zur Elbstadt wird stellenweise unrealistisch. Ähnliches gilt für die Handlung, die nicht nur durch diesen Füllstoff gestört wird. Insgesamt ist der Kriminalfall, den es zu lösen gilt, nicht wirklich innovativ. Das Rotlichtmilieu mit seinen skurrilen Gestalten – sei es in Hamburg, Berlin oder in jeder anderen, größeren Stadt dieser Welt – ist immer wieder gerne ein Ansatzpunkt für Geschichten. Simone Buchholz schafft es nicht, ihre Handlung so zu zeichnen, dass sie eigenständig wirkt. Man glaubt nicht nur, Ähnliches schon einmal gelesen zu haben, sondern kann sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier an Spannung fehlt. Es fällt schwer, eine Spannungskurve auszumachen; vielmehr wirkt die Geschichte stellenweise wie eine Aneinanderreihung verschiedener Ereignisse und einiger Zufälle, die in der Summe doch ein bisschen zu häufig auftreten.

Das Buch ist im Präsens geschrieben, was bereits auf der ersten Seite für hochgezogene Augenbrauen sorgt. An diesem Erzähltempus sind schon ganz andere Autoren gescheitert. Häufig wirkt es holprig und verhindert das Aufkommen einer gewissen Atmosphäre. Bei „Revolverherz“ ist der Fall ähnlich gelagert. Der Krimi lässt sich, besonders am Anfang, nicht wirklich flüssig lesen und scheint zu ‚eiern‘. Buchholz überspielt dies allerdings recht erfolgreich mit den anderen Komponenten ihres Schreibstils, die da vor allem ihr Humor und ihre Ironie wären. Sie kann richtiggehend boshaft-bissig sein und ihr feiner, schwarzer Humor sorgt dafür, dass sie nie in die Nähe des seichten Frauenromanwitzes kommt. Sie schöpft aus einem breiten, alltäglichen Wortschatz, der auch den einen oder anderen vulgären Ausdruck enthält und manchem Leser vielleicht schon wieder zu flapsig sein wird.

Als Fazit lässt sich sagen, dass Simone Buchholz‘ belletristisches Debüt gute Ansätze zeigt, aber die eine oder andere Schwäche aufweist. Diese finden sich vor allem bezüglich der Handlung, die gerne etwas straffer und besser konstruiert sein dürfte. Die Figur der Chastity Riley ist dagegen sehr interessant und auch der Schreibstil hat seine guten Seiten.

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Quigley, Sheila – Lauf nach Hause

Sheila Quigleys Geschichte erinnert ein wenig an die der englischen Bestsellerautorin Joanne K. Rowling. Abgesehen vom gleichen Herkunftsland hat auch sie von Sozialhilfe gelebt, als ein Verlag das Manuskript ihres ersten Buches „Run for home“ kaufte. Allerdings ist ihre Geschichte vermutlich noch ein wenig erstaunlicher. Immerhin soll die 1948 Geborene mit fünfzehn Jahren als Analphabetin und ohne Abschluss in einer Textilfabrik gearbeitet und mit achtzehn geheiratet und vier Kinder bekommen haben. Trotz dieser eher ungewöhnlichen Lebensgeschichte schreibt sie mittlerweile Romane.

Die Geschichte spielt in dem fiktiven englischen Armenviertel Seahills Estate. Im Mittelpunkt steht die Familie der sechzehnjährigen Kerry. Ihre Mutter ist Alkoholikerin, sie hat fünf Geschwister und kennt weder ihren eigenen noch deren Väter. Das Einzige, was sie am Leben hält, ist das Rennen. Sie ist sehr gut in diesem Sport und träumt davon, die nächste Meisterschaft zu gewinnen. Doch ihr Training wird jäh unterbrochen, als eines Tages ihre Schwester, die hübsche Claire, verschwindet. Sie hat die Dreizehnjährige eigentlich nicht besonders gut leiden können, doch nun fehlt sie ihr. Gemeinsam mit ihren Geschwistern macht sie sich auf die Suche, genau wie die Polizei unter der Führung der temperamentvollen Lorraine.

Die Polizei interessiert sich aber nicht nur für Claire und weitere entführte Teenagermädchen. In letzter Zeit sind immer wieder ältere Leichen ohne Köpfe aufgefunden worden und es gibt lange Zeit keine Hinweise darauf, wer die Toten oder wer sie auf dem Gewissen haben könnte. Als es schließlich erste Hinweise gibt, wird die Situation nur noch verzwickter. Es scheint, als sei die resolute Kneipenbesitzerin Mrs. Archer in den Fall verwickelt, doch an sie gibt es kein Herankommen. Oder gibt es noch eine ganz andere, nicht greifbare Person im Hintergrund, die die Geschehnisse im Seahills Estate lenkt? Was hat Kerrys Familie damit zu tun? Ist das Geheimnis von Vanessa, der Mutter, vielleicht nicht nur ein Familiengeheimnis, sondern eines, das die Ermittlungen gewaltig vorantreiben könnte?

Das Beachtenswerteste an Quigleys Debüt sind dessen dichtes Personennetzwerk sowie die herausragend ausgearbeiteten Charaktere. Kerry und Co. besitzen alle ihre ganz eigene Persönlichkeit, die die Autorin perfekt in Worte zu formen weiß. Neben einer gehörigen Ecken und Kanten stellt sie vor allem die Mentalität solcher Menschen, die in ihrem Leben nichts geschenkt bekommen, gekonnt dar. Obwohl Kerry aufgrund ihrer Kratzbürstigkeit und ihres Hangs zu derbem Vokabular nicht unbedingt die freundlichste Zeitgenossin ist, wirkt sie doch sympathisch und vor allem authentisch. Man kann gut nachvollziehen, wie das junge Mädchen zu dem geworden ist, was sie ist.

Allerdings ist Kerrys Protagonistenrolle nur eine kleine. Eine einzige Hauptperson in dem Buch auszumachen fällt schwer, da Quigley das Seelenleben beinahe jeder Person beleuchtet, indem sie aus wechselnden Perspektiven schreibt. Was anderen Büchern schadet, tut „Lauf nach Hause“ gut. Die Abwechslung sorgt für einen fantastischen Gesamtüberblick, der weder die rasante Handlung beeinträchtigt noch zu sehr in die Breite geht. Da beinahe jede Person ein Geheimnis zu verbergen hat, ist es umso interessanter, etwas von dieser Person zu erfahren. Da dies zumeist durch eine gehörige Portion Humor gewürzt wird, kommt auch der Lesespaß nicht zu kurz.

Die Handlung ist gut konstruiert und verliert ihr Ziel nie aus den Augen. Es gibt verschiedene Erzählstränge, die Quigley auf interessante und nachvollziehbare Art und Weise zusammenführt. Dabei geht so gut wie keine Spannung verloren und der Leser weiß bis zum Finale nicht, wer hinter dem Gespinst aus Verbrechen steckt. Es ist allerdings nicht so, dass die Lösung zu überraschend oder aus dem Kontext gerissen wäre. Die Autorin bettet ihre Geschichte ihn einen genau abgesteckten Rahmen, der sowohl zeitlich als auch räumlich stimmig ist.

Als ob dies noch nicht genug wäre, überzeugt auch der Schreibstil auf ganzer Linie. Zum einen schafft es die Autorin, mit einem angemessenen Wortschatz und einfachen Sätzen das Innenleben sowie die Ereignisse präzise und lebendig darzustellen. In den Dialogen nimmt sie kein Blatt vor den Mund – besonders Kerry tut sich durch ihr unflätiges Mundwerk hervor -, doch ansonsten schreibt sie auf hohem Niveau. Was zusätzlich dafür sorgt, dass man das Buch nicht aus der Hand legen kann, ist der unterschwellige Humor, den die Autorin einfließen lässt. Anfangs fällt er gar nicht richtig auf, doch mit der Zeit bemerkt man die Ironie und den Zynismus, die sie immer wieder einflicht. Das lockert die Geschichte unheimlich auf und sorgt an der einen oder anderen Stelle sogar für einen Lacher.

Sheila Quigley schafft das, was vielen anderen Autoren nie gelingt. Sie webt einen geradezu magischen Erzählteppich, der nicht nur überquillt vor interessanten Charakteren und einem humorvollen Schreibstil, sondern auch mit einer spannenden, dichten Handlung aufwarten kann. Das Einzige, was Quigley fehlt, ist wohl der Erfolg ihrer Landsmännin Rowling.

|Originaltitel: Run for home
Deutsch von Monica Bachler
356 Seiten, Taschenbuch|

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Charles Atkins – Risiko

Der Amerikaner Charles Atkins weiß, wovon er schreibt. Genau wie die Hauptfigur in „Risiko“ ist er Psychiater, und es scheint, als ob dieser Beruf eine gute Inspirationsquelle für Geschichten darstellt. Auf seiner Website berichtet er, dass er dieses Buch schrieb, während er mit verhaltensauffälligen Jugendlichen arbeitete. Und genau darum geht es in diesem Buch. Ab wann ist ein Jugendlicher verhaltensauffällig? Wie kam es dazu? Und sind sie wirklich alle Monster?

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Liu, Marjorie M. – Shadow Touch

Marjorie M. Liu ist Autorin aus Überzeugung. Obwohl sie neben dem Studium der osteuropäischen Sprachen und Kultur zusätzlich ein Jurastudium absolviert hat, hat sie sich für eine Karriere als Autorin entschied, weil sie nach eigenen Angaben keine Anwältin sein wollte. Ihre Rechnung scheint aufzugehen. In den USA erfreut sich ihre „Dirk and Steele“-Reihe großer Beliebtheit und umfasst bald sieben Bände. Nun soll der Virus auch in Deutschland übergreifen: |Blanvalet| veröffentlicht nach „Tiger Eye“, dem ersten Band, nun auch „Shadow Touch“.

Dieses lässt sich unabhängig vom ersten Band lesen, da völlig andere Protagonisten im Vordergrund stehen. Dies wäre zum einen die junge Elena Baxter, die eine kleine Farm betreibt und ein Geheimnis hat: Durch die Kraft ihrer Gedanken kann sie Menschen heilen und tut dies immer wieder bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit im Krankenhaus. Sie glaubt, diese Fähigkeit verstecken zu müssen, und fühlt sich von anderen Menschen isoliert, weil sie anders ist. Bei Artur, einem ehemaligen russischen Mafiakiller, ist die Situation eine andere. Er hat seine Gabe, in die Seele anderer Menschen blicken zu können, zu seinem Beruf gemacht und ist bei der Detektivagentur |Dirk and Steele| angestellt. Diese beschäftigt ausschließlich Personen mit paranormalen Kräften, die diese dazu benutzen, um Kriminalfälle zu lösen.

Elena und Arthur, die sich nicht kennen, sind einer Gruppierung, die sich |Konsortium| nennt, aufgefallen. Wie man sich denken kann, handelt es sich dabei nicht unbedingt um besonders freundliche Zeitgenossen. Im Gegenteil strebt die Anführerin des Konsortiums eine Verbindung mit den russischen Mafiabossen an, um ihr Imperium zu vergrößern. Da auch sie mit paranormalen Kräften arbeitet, kommen ihr Artur und Elena nur recht. Sie lässt die beiden entführen und in ein geheimes Laboratorium in Russland bringen. Dort begegnen sich die beiden zum ersten Mal. Als Artur zusammenbricht, weil die Dinge, die er in anderer Menschen Seelen gesehen hat, einen „Kurzschluss“ in seinem Gehirn verursachen, rettet Elena ihm mit ihren Kräften das Leben. Doch das bleibt nicht ohne Folgen. Von nun an können die beiden ohne Berührung eine Verbindung zueinander aufbauen, eine noch tiefere Verbindung als Liebe. Gemeinsam mit zwei Gestaltwandlern, die ebenfalls gefangen gehalten werden, begeben sie sich auf eine überstürzte Flucht, als sich ihnen die Gelegenheit bietet. Sie ahnen nicht, dass dies der Anfang zu einem großen Abenteuer ist …

Marjorie M. Liu macht möglich, was man nicht für möglich hält: Sie verbindet Action mit einem guten Schuss Romantik, ohne pathetisch oder eindimensional zu werden. Was ruhig und unspektakulär beginnt, entwickelt sich schnell zu einem rasanten Abenteuer. Die Zutaten der Geschichte sind dabei nicht immer neu, aber gut zusammengesetzt. Sie erhalten durch die ausgefallene Figurenzeichnung eine besondere Note und wirken nicht klischeehaft. Die Verfolgungsjagden und Kämpfe sowie die Enthüllungen von Geheimnissen folgen flott aufeinander und lassen kaum Wünsche offen. Obwohl nicht als Thriller deklariert, können sich einige Bücher dieses Genres eine Scheibe an „Shadow Touch“ abschneiden.

Dabei kommt die leichtfüßige Romantik nicht zu kurz. Auch hier macht die Autorin alles richtig, denn sie wird nie schwülstig oder übertreibt es mit expliziten Szenen, sondern entwickelt eine zarte, authentische und berührende Liebesgeschichte. Diese nimmt nicht zu viel Raum ein, sondern ist eher eine Nebensächlichkeit, ohne ihren Zauber zu verlieren. Das ist insofern vorteilhaft, als dieses Buch nicht nur ausgemachte Romantiker, sondern auch „normale“ Fans von Romanen mit paranormalem Einschlag begeistern wird.

Im Vordergrund stehen dabei immer die beiden Hauptfiguren, deren Persönlichkeiten sich wie ein roter Faden durch die Geschichte ziehen. Anders als man es vielleicht erwartet, hat man es in „Shadow Touch“ nicht mit seichten, oberflächlichen Charakteren zu tun, denen es an Substanz mangelt. Auch wenn die eine Ecke oder Kante zusätzlich nicht geschadet hätte, werden Artur und Elena sehr eigenständig dargestellt. Arturs Vorgeschichte als Straßenjunge und Mafiakiller ist zwar nicht unbedingt innovativ, wird aber auch nicht ausgeschlachtet. Die eigentliche Überraschung ist Elena, da sie anders als ähnlich geartete Figuren gezeichnet wird. Das zeigt sich vor allem in ihrer Schlagfertigkeit und ihrem erdigen Humor. Sie ist emanzipiert, und trotz ihrer tiefen Liebe zu Artur wirkt sie nie blass oder heimchenhaft, aber auch nie wie eine Witzfigur aus einem Frauenroman.

Das Einzige, woran Liu stellenweise noch arbeiten sollte, ist ihr Schreibstil, wobei nicht ersichtlich ist, was ihre und was die Schuld der deutschen Übersetzung ist. Die ersten Seiten des Buchs sind hart. Die häufigen Wiederholungen einzelner Worte in Sätzen wirken gekünstelt und zu bemüht erhaben. Die Geschichte läuft nicht so ganz rund und mutet stellenweise kitschig an. Diese Startschwierigkeiten werden möglicherweise bei Lesern mit wenig Geduld eher zum Zuschlagen des Buches führen. Hat man sich jedoch erstmal in Lius Stil eingelesen, merkt man schnell, dass sie ihre Sache eigentlich gar nicht so schlecht macht. Manchmal klingt sie ein wenig naiv und der oft komische Humor wird nicht richtig herausgearbeitet. Auf der Haben-Seite stehen allerdings die ungewöhnlichen Metaphern und Vergleiche, mit denen sie die Geschichte immer wieder auflockert, auch wenn nicht jedes dieser Stilmittel als gelungen bezeichnet werden kann.

Der Verlag sagt über die Autorin, sie sei „eine außergewöhnlich optimistische junge Frau, die fest daran glaubt, allem im Leben mit einem Lächeln begegnen zu können.“ Bei der Lektüre von „Shadow Touch“ hat man genau dieses Gefühl. Fast ein bisschen naiv wirkt das Buch auf den ersten Seiten, entwickelt sich aber zu einem unerwartet spannenden und stellenweise düsteren Thriller mit einem romantischen Einschlag. Während der Schreibstil erst in Schwung kommen muss, gibt es an der Personenzeichnung und an der Handlung nicht viel zu bekritteln. Marjorie M. Liu gelingt es, ein Buch zu schreiben, das gerne in die Romantikecke gestellt wird, aber nicht so kitschig ist, dass es nicht auch Nichtromantikern gefallen dürfte.

|Originaltitel: Shadow Touch
Originalverlag: Dorchester Publishing, New York 2006
Aus dem Englischen von Wolfgang Thon
406 Seiten, Taschenbuch|

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Kinman, Ben (McGrew, Chandler) – Todesfluch

Öfter mal was Neues – Chandler McGrew hat in Deutschland bislang nur handfeste Thriller veröffentlicht, doch mit „Todesfluch“ schlägt er nun eine andere Richtung ein. Damit es nicht zu Verwechslungen kommt, benutzt er dafür das Pseudonym Ben Kinman.

Der Anfang der Geschichte erinnert an einen herkömmlichen Thriller. Die Privatdetektivin Lucy wird von zwei übel aussehenden Männern entführt, die davon reden, sie zum „Boss“ zu bringen. Wer dieser Boss ist, wollen sie ihr jedoch nicht verraten, und die junge Frau bekommt es mit der Angst zu tun. Als das Auto der Kidnapper unerwartet in eine Schießerei mit einer Gruppe von Männern gerät, nutzt sie die Gunst der Stunde und haut ab.

Doch das ist noch nicht alles. Nachdem sie den Vorfall der Polizei gemeldet hat, muss sie die Erfahrung machen, dass diese nicht immer der Freund und Helfer ist: Der Beamte, der sie eigentlich überwachen sollte, versucht sie zu töten. Erneut ist vom „Boss“ die Rede, doch Lucy kann auch dieses Mal fliehen. Eine Gruppe von militärisch aussehenden Männern nimmt sie während ihrer Flucht unter ihre Fittiche, und schon bald merkt sie, dass die Welt auf dem Kopf steht. Denn ihre Verfolger sind mittlerweile keine breitschultrigen Männer mehr, sondern Rothags – riesige, menschenfressende Monster mit gutem Geruchssinn. Aber Lucy stellt fest, dass sich nicht nur ihre Verfolger verändert haben. Auch sie hat sich gewandelt und entdeckt ungeahnte Kräfte in sich …

Zeitgleich macht der Kampfsportler Dylan die unheimliche Erfahrung, dass sich etwas in seinem Haus herumtreibt. Er vermag dessen Existenz zu spüren, ja sogar zu riechen, aber sehen kann er es nicht. Ist es überhaupt da oder wird er mittlerweile einfach verrückt?

Nach dem Tod seiner Frau Bonnie ist sein Leben nicht mehr wie zuvor, und es würde ihn nicht überraschen, wenn er tatsächlich den Verstand verlöre. Zu allem Überfluss verwüstet das „Etwas“ auch noch seine Wohnung – kurz bevor die Polizei bei ihm klingelt, um ihm mitzuteilen, dass die Leiche seiner Frau vom Friedhof entführt wurde. Was hat das zu bedeuten? Und wieso scheint sich die Polizei weniger um Bonnies Leichnam als vielmehr für die Frage, ob die beiden gemeinsame Kinder haben, zu interessieren?

Auch Dylan macht sich schließlich auf, um den unerklärlichen Dingen zu entkommen, und auch er macht die Erfahrung, dass etwas mit der Welt nicht stimmt. Elektrizität funktioniert plötzlich nicht mehr, Menschen verschwinden, das Wetter spielt verrückt. Die Leute, die sich Dylans angenommen haben, als dieser von Rothags verfolgt wurde, scheinen nicht wirklich ob dieser Entwicklungen beunruhigt. Vielmehr hat er das Gefühl, dass sie darauf gewartet haben …

„Todesfluch“ beginnt spannend und weiß diese Spannung über einen langen Zeitraum zu halten. Viele Ereignisse sind unvorhersehbar und die Geschichte ist anfangs dicht und sauber aufgebaut. Sie steigert sich allmählich und die Fragezeichen in den Augen des Lesers werden immer größer. Was passiert als nächstes? Können Dylan und Lucy ihren Gefährten wirklich vertrauen? Geht die Welt unter oder nicht? Der Roman entwickelt Page-Turner-Qualitäten, die zumindest bis zur Mitte des Buches ihren Zweck erfüllen. Selbst die zahlreichen blutgetränkten Actionszenen wirken in diesem Zusammenhang passend. Anschließend kommt es leider zu einigen Längen, die Spannung flacht ab. Ob das dem Leser dann noch gefällt, liegt vermutlich im Auge des Betrachters. Den einen wird die religiös gefärbte Apokalypse überzeugen, die Rezensentin fand es jedoch eher störend, dass Kinman nach dem vielversprechenden Anfang auf solche stereotypen Ereignisse zurückgreift.

Die Personen dagegen überzeugen, auch wenn sie aufgrund des Fokussierung auf die Handlung ein wenig oberflächlich bleiben. Sie besitzen jedoch Ecken und Kanten und sind so authentisch, dass sich der Leser mit ihnen identifizieren kann – jedenfalls mit Lucy und Dylan. Die beiden sind unwissend, was sie sehr menschlich wirken lässt, und keineswegs heldenhaft. Sie stolpern unbedarft in das Weltuntergangsszenario und wissen häufig nicht, was sie glauben und tun sollen. Anders verhält es sich mit ihren jeweiligen Begleitern, die nicht nur wesentlich cooler mit der Situation umgehen, sondern auch mehr Krieger als Menschen sind. Trotzdem schafft es der Autor, ihnen Leben einzuhauchen und sie in bestimmten Situation verletzlich darzustellen.

Der Schreibstil ist handwerklich solide, obwohl er kaum wirkliche Erkennungsmerkmale aufweist. Kinman schreibt ganz in Thrillermanier, also eher kühl und distanziert. Durch seine humorvolle Dialogführung und den Einblick in Gedanken und Gefühle der jeweilig erzählenden Person haucht er seiner Geschichte allerdings Leben ein. Das unterscheidet das Buch angenehm von ähnlich gelagerten Werken, auch wenn es ihm nicht über die Längen in der Handlung hinweghilft.

In der Summe ist „Todesfluch“ eine spannende Geschichte, für die man Interesse mitbringen sollte. Wer Blut, Action und Weltuntergangsszenarien nur wenig abringen kann, der wird sich auch von Ben Kinman nicht davon überzeugen lassen.

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Blanchard, Alice – Tod in deinem Blut, Der

Betrachtet man das Cover von Alice Blanchards Thriller „Der Tod in deinem Blut“, keimt unweigerlich der Verdacht auf, es handle sich bei dem Buch um einen weiteren Medizinthriller, der außer schwierigen Begriffen nicht viel Neues enthält. Doch so kann man sich täuschen: Die Autorin schafft den Spagat zwischen einer medizinischen Rahmenhandlung und handfester Spannungslektüre.

Daisy Hubbard kann nicht unbedingt auf eine glückliche Kindheit zurückblicken. Der Vater ist früh gestorben, das Geld war knapp, der Stiefvater hat sie und ihre jüngere Schwester Anna sexuell missbraucht. Zudem ist ihr kleiner Bruder Louis noch im Kleinkindalter an der rezessiv vererbbaren, stets tödlich verlaufenden Krankheit Stier-Zellar gestorben. All diese Ereignisse haben dazu geführt, dass sie heute eine aufstrebende, ehrgeizige Wissenschaftlerin ist, die ein Heilmittel gegen Stier-Zellar finden möchte. Sie ist auf dem richtigen Weg: Ihre Gentherapie bringt in Tierversuchen gute Ergebnisse und sie arbeitet Tag und Nacht daran. Ihr Privatleben geht dabei verloren; auch zu ihrer Familie hat sie nur wenig Kontakt.

Das ändert sich, als ihre Mutter sie eines Tages anruft und ihr beunruhigt mitteilt, dass Anna verschwunden ist. Das ist an und für sich nichts Neues: Anna, die an Schizophrenie leidet, haut gerne mal ab, doch so lange war sie noch nie verschwunden. Ihr letztes Lebenszeichen kam aus L.A., und so macht Daisy sich auf den Weg in die Stadt der Schönen und Reichen. Die Polizei ermittelt bereits in diesem Fall, und wenig später nimmt sie – dank Daisys tatkräftiger Hilfe – Roy Gaines fest.

In seinem Kleiderschrank findet sich die Leiche eines anderen Vermissten, doch als man ihn nach Anna fragt, möchte er die Polizei nur in Daisys Beisein zum Grab ihrer Schwester führen. Doch an der Stelle im Wald, wo er die Polizisten hinführt, ist nicht Anna vergraben, sondern eine andere Tote. Daisys Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Sie möchte endlich wissen, ob Anna noch lebt oder nicht. Roy Gaines nutzt ihren labilen Zustand aus, um sein Spielchen mit ihr und Ermittler Jack zu spielen. Ein Spiel, das Unerwartetes zutage befördert und sowohl für Daisy als auch für Jack tödlich enden kann …

Was anfangs wirklich wie ein trockener Laborthriller anmutet, entwickelt sich zu einer rasanten Suche nach Anna – ob tot oder lebendig. Alice Blanchard konstruiert eine spannende Handlung, die sehr elegant in die medizinische Rahmenhandlung eingebettet ist und als Zielgruppe weder angehende Medizinstudenten noch Frauenromanfans anspricht. Obwohl eine weibliche Hauptperson im Mittelpunkt steht, rutscht die Geschichte nie ins Melodramatische ab, sondern bleibt auf einem gleichmäßig hohen literarischen Level. Die Story ist kaum vorhersehbar und hält viele Überraschungen bereit. Sie weist keine Längen auf, denn selbst wenn einmal nichts passiert, ahnt der Leser, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm ist. „Der Tod in deinem Blut“ ist vom Anfang bis zum Ende spannend, alleine schon deshalb, weil man diese Handlung aufgrund der Buchaufmachung nicht erwartet.

Die Figuren der Geschichte sind unglaublich anschaulich und lebensgetreu gezeichnet. Mithilfe kleiner Details wie Kindheitserinnerungen oder Eigenheiten erschafft Alice Blanchard ein Personenensemble, das sowohl emotionalen Zündstoff als auch Identifikationsmöglichkeit für den Leser bietet. Jeder Charakter besitzt Stärken und Schwächen, negative und positive Seiten und der Autorin gelingt es, diese ins richtige Verhältnis zu setzen, so dass man sogar den bösen Charakteren am Ende vielleicht nichts Wohlwollendes abgewinnen kann, aber sie zumindest versteht. Das ist insofern keine einfache Aufgabe, als gerade Anna und Roy aufgrund ihres psychischen Zustandes alles andere als leicht zu verstehen sind. Doch Blanchard schafft es, auch diesen Charakteren Leben einzuhauchen und sie nie einseitig darzustellen.

Auf den ersten Blick wirkt der Schreibstil der Autorin sehr gewöhnlich, doch spätestens nach ein paar Seiten sollte man bemerkt haben, dass sie ein Händchen für kurze, aber prägnante Beschreibungen hat. Sie schafft es, mit wenigen Worten ein genaues Bild vor dem inneren Auge des Lesers heraufzubeschwören. Immer wieder setzt sie Akzente durch genaues Wissen und gute Recherche, ohne prahlerisch zu wirken.

„Der Tod in deinem Blut“ ist sicherlich nicht genresprengend, doch aufgrund der hohen Qualität von Handlung und Schreibstil auf jeden Fall überdurchschnittlich. Wirklich neu ist die Geschichte nicht, aber die Autorin baut sie ansehnlich und spannend auf, ohne dass sie sich allzu leicht vorhersehen lässt.

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Rhiannon Lassiter – Böses Blut

Mary Hoffman und Rhiannon Lassiter beweisen, dass Schreibtalent vererbbar ist. Hoffman, die Mutter von Lassiter, ist vor allem durch ihre Kinderbuchreihe „Stravaganza“ bekannt, während ihre Tochter in Deutschland bislang noch nicht so viel Beachtung gefunden hat. Mit „Böses Blut“, das als Hardcover bei der |Fischer Schatzinsel| veröffentlicht wurde, soll sich das nun ändern.

Verrückter könnte eine Familie nicht sein: Seit Peter und Harriet geheiratet haben, gibt es ständig Streit in der sechsköpfigen Patchworkfamilie. Schuld daran sind die Teenager Katherine und Catriona, während John und der ältere Roley sich gegenseitig ignorieren. Beide Mädchen lassen sich „Cat“ bzw. „Kat“ nennen, doch wem gehört der Spitzname nun? Dieser Streit sorgt für eine gespannte Atmosphäre, auch als die sechs im Urlaub zu dem verwinkelten Haus fahren, in dem Katherines und Johns verstorbene Mutter aufgewachsen ist. Die beiden waren noch nie dort und sie wünschen sich auch schnell, dass es dabei geblieben wäre. Das Haus ist unheimlich, scheint ein Geheimnis zu verbergen. Schließlich passieren seltsame Dinge. Katherine findet eine Geheimkammer mit vielen alten Büchern, in denen die Namen einiger Charaktere herausgestrichen sind, Catriona wird von einer mysteriösen Puppe verfolgt, und dann ist da auch noch Alice, das unscheinbare Mädchen aus dem Dorf, das es Roley angetan hat …

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Ani, Friedrich – Wer tötet, handelt

Friedrich Ani gehört zu Deutschlands beliebtesten Krimiautoren. Er hat unter anderem auch schon Drehbücher für den ARD-Klassiker „Tatort“ geschrieben. Bekannt ist er vor allem für seine Reihe um den kauzigen Kommissar Tabor Süden, die er 2005 abschloss. Seitdem hat er zwei weitere Serien entwickelt: Zum einen hat er Hauptkommissar Polonius Fischer ins Leben gerufen, zum anderen den erblindeten Ex-Ermittler Jonas Vogel, der sich mit seiner Behinderung einfach nicht abgeben will. Nachdem in der ersten Geschichte um Jonas Vogel, [„Wer lebt, stirbt“, 3846 von Vogels Unfall erzählt wurde, geht es im zweiten Band der Reihe „Der Seher“ vor allem darum, wie Vogel und sein Umfeld mit der neuen Situation zurechtkommen.

Wenn es nach Jonas Vogel ginge, würde alles beim Alten bleiben, abgesehen davon, dass er nichts mehr sieht und einen Bobtail namens Roderich als seinen nicht ausgebildeten Blindenhund stets bei sich hat. Seine Familie sieht das anders. Esther, seine alkoholabhängige Ehefrau, fühlt sich von ihrem Ehemann entfremdet, während die erwachsenen Kinder Kathrin und Max, der ebenfalls bei der Polizei arbeitet, wütend auf Jonas Vogel sind. Er nimmt überhaupt keine Rücksicht auf die labile Esther und setzt der Situation die Krone auf, als er sich ungefragt in die Ermittlungsarbeit der Mordkommission einmischt.

Eines Abends, nach einem fruchtlosen Gespräch mit seinem Sohn Max über Jonas‘ Erblindung, begegnet Jonas Vogel auf dem Heimweg einem jungen, halbnackten Mann, der davon redet, dass er mit seiner Freundin in deren Wohnung überfallen worden ist. Die Freundin, Silvia Klages, ist nach wie vor in der Gewalt des Einbrechers und in Jonas Vogel kommen unangenehme Erinnerungen hoch. Silvia Klages hatte vor Jahren die Ermordung ihrer eigenen Eltern mitansehen müssen und glaubt seitdem, die Schuld für deren Tod läge bei ihr. Vogel ist klar, dass die Frau völlig verängstigt sein muss, und er sieht keine andere Möglichkeit, als sich gegen sie austauschen zu lassen. Selbstverständlich haben nicht nur Max, sondern auch der Leiter der Mordkommission etwas dagegen. Immerhin ist Jonas blind. Doch er lässt sich nicht beirren und nimmt den Platz der jungen frau ein. Erst als er dem Entführer gegenübersitzt, ahnt er, worauf er sich da eingelassen hat …

„Wer tötet, handelt“ glänzt vor allem durch seine Charaktere. Ani konzentriert sich ungewöhnlicherweise weniger auf Täter, Opfer und Ermittler, sondern rückt die Familie Vogel in den Vordergrund. Silvia Klages sowie der Täter kommen nicht zu kurz, doch bleiben sie weit weniger haften als Jonas, Max und Esther. Deren zwischenmenschliche Konflikte werden sehr stark thematisiert ohne zu langweilen. Das gelingt dem Autor vor allem dank der Tatsache, dass seine Figuren mehr hinsichtlich ihrer Schwächen als ihrer Stärken dargestellt werden. Dazu gehören Vogels verschlossenes Verhalten oder auch der regelmäßige Alkoholkonsum in der Familie. Ani schönt nichts, was es dem Leser erlaubt, sich mit den authentischen Figuren zu identifizieren.

Ähnlich wie der erste Band der Reihe geht die eigentliche Kriminalhandlung durch die Fokussierung auf die Vogelschen Familieninterna ein wenig unter. Wer einen spannenden, unterhaltsamen Krimi zum Mitraten erwartet, wird herb enttäuscht. Ani interessiert sich nicht für technische Ermittlungsarbeit. Der Täter ist von Anfang an bekannt, einzig seine Beweggründe bleiben vorerst verborgen. Die klären sich im Gespräch mit Vogel, während die beiden in Silvia Klages Wohnung ausharren, bis die Polizei die Forderungen des Täters nach einem Auto und Geld erfüllt hat. Auch an dieser Stelle geht es vornehmlich um die Psyche von Henning, wie der Einbrecher sich nennt, und weniger um Action. Eine Spannungskurve zeichnet sich in der Geschichte nicht ab, doch trotzdem kann Friedrich Ani überzeugen, denn die Handlung ist flott erzählt und kommt ohne unnötigen Ballast aus.

Dass eine Handlung, die sich hauptsächlich auf Zwischenmenschliches stützt, ohne schmückendes Beiwerk auskommt, klingt im ersten Moment paradox. Dies ist Anis virtuosem Schreibstil zu verdanken, der diesen Widerspruch auflöst. Der Autor schafft es, Emotionen und Sachverhalte mit wenigen Worten so farbig zu schildern, dass der Leser die Situationen versteht, ohne bis ins Detail aufgeklärt worden zu sein. Es entsteht eine sehr lebendige Atmosphäre, vornehmlich durch knappe Sätze und Dialoge hervorgerufen, die den Leser nicht mehr loslässt.

Es ist vorbildlich, wie Ani mit wenigen, sparsamen Mitteln die Geschichte zum Leben erweckt. Das gelingt nur wenigen Autoren in dieser Form. Allerdings kommt „Wer tötet, handelt“ nicht ohne Kritik aus: Obwohl das Buch auch so funktioniert, hätte ein mitreißender Kriminalfall dem zweiten Band der Reihe „Der Seher“ nicht geschadet. Im Vergleich mit dem ersten Band hat sich Ani allerdings gesteigert, und wer weiß? Vielleicht hat er es ja zu seiner Maxime gemacht, sich von Band zu Band zu verbessern. In diesem Fall warten wir gespannt auf sein nächstes Buch.

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|Siehe ergänzend dazu auch unsere [Rezension 3563 zur Lesung von „Wie Licht schmeckt“.|

Smith, Zadie – Autogrammhändler, Der

Zadie Smith wurde nach Erscheinen ihres Debütromans „Zähne zeigen“ als die literarische Sensation Englands gefeiert. Mit „Der Autogrammhändler“ legte sie ihr zweites Buch vor, das nicht weniger Kritikerlob einheimste. Doch ist der Hype um die junge Engländerin gerechtfertigt?

Der unbedarfte Leser wird sich vermutlich zuerst einmal fragen, was er sich unter dem Beruf des Autogrammhändlers vorzustellen hat. Ob man Alex-Li Tandems Beschäftigung tatsächlich als Beruf bezeichnen kann, sei dabei dahingestellt. Der Endzwanziger mit chinesischen und jüdischen Wurzeln, der in Mountjoy, einer englischen Kleinstadt, lebt, kauft und verkauft die Autogramme von berühmten oder manchmal auch weniger berühmten Personen. Dabei ist er mehr oder minder erfolgreich, nur bei seiner heimlichen Obsession hat er bislang keinen Erfolg gehabt: einer Autogrammkarte des früheren B-Movie-Stars Kitty Alexander.

Nach einer durchzechten Nacht, während der er sein Auto zu Schrott gefahren und seine Beziehung zu Esther beendet hat, hält er plötzlich ein Stück Papier mit einer Unterschrift in der Hand, von der er glaubt, dass sie von Kitty Alexander ist. Da ist er allerdings auch der Einzige. Seine besten Freunde, der gottbeseelte Kiffer Adam, der Versicherungsvertreter Joseph und der Rabbiner Rubinfine, glauben das nicht und Alex kennt aufgrund eines Filmrisses die Herkunft des Papiers nicht. Als er zu einer Auktion nach New York fliegt, versucht er, die mittlerweile hochbetagte Kitty Alexander zu finden, um zu klären, ob das Autogramm echt ist. Als er die Frau trifft, die er seit seiner Jugend vergöttert, laufen die Dinge allerdings etwas aus dem Ruder …

Zadie Smith ist Geschmacksache. In „Der Autogrammhändler“ stehen vor allem die skurrilen Charaktere und Smiths frecher Schreibstil im Vordergrund. Auf Gedanken und Gefühle, pseudophilosophische Überlegungen und Wortwitz legt die junge Autorin mehr Wert als auf eine spannende und schlüssige Handlung. Ihr Buch ist weder ein Krimi noch ein Thriller noch leichte Lektüre für ein paar vergnügsame Stunden. Sie verbringt viel Zeit damit, ihre Personen, vor allem Alex-Li, und deren Beziehungen untereinander darzustellen sowie deren Lebensgefühl und Grundeinstellung mit einer großen Portion Jugendlichkeit einzufangen.

Alex-Li und seine Freunde sind Menschen, die nicht richtig erwachsen werden wollen. Sie gehören zu der Art schnoddriger Singles, die ihre Kindheit noch nicht völlig hinter sich gelassen haben und ihre Tage mit sinnlosen Gedanken und Kiffen zu verbringen scheinen. Smiths Charaktere haben Loserqualitäten und das macht ihren Charme aus. Sie nehmen das Leben nicht sonderlich ernst und haben immer einen guten Witz auf den Lippen und pflegen das, was man vermutlich als „Männerfreundschaft“ bezeichnet. Einige Nebencharaktere wie beispielsweise Adam oder Esther stechen aus den Ensemble positiv heraus, da ihre Eigenheiten sehr detailliert und kontrastreich dargestellt werden. Andere dagegen sind zwar mit dem Humor der Autorin getränkt, für den Leser aber nicht so einfach greifbar. Alex-Li, aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird, wirkt häufig ein wenig beliebig und zu uninteressant. Am Anfang wird er zwar gut dargestellt und kann Originalität vorweisen, doch Smith führt dies nicht kontinuierlich fort.

Ein Problem, das sich auch an anderen Stellen findet. Der Schreibstil wirkt anfangs interessant, aber nicht besonders originell. Es gibt viele junge Autoren, die ähnlich locker und flapsig schreiben. Erst zur Mitte hin kristallisiert sich das heraus, was Zadie Smith ausmacht: ihr unerwarteter Humor und ihre Vorliebe für bildhafte, bewegliche Sprache. Die Bilder finden sich dabei nicht in zeilenlangen Metaphern, sondern werden wie selbstverständlich in einfache, trockene Sätze eingefügt. Diese Selbstverständlichkeit und die anarchische Art zu schreiben sorgen immer wieder für Überraschungen und Lacher, genau wie der Humor, der in den Dialogen zum Ausdruck kommt. Dabei geht es häufig derbe, manchmal beinahe pubertär zu. Obwohl eine Frau, trifft Zadie Smith den männlichen Witz sehr gut. Überhaupt vergisst man gerne, dass hier eine AutorIN am Werke ist. Ihr Stil erinnert dafür zu stark an ähnliche, witzige Autoren wie DBC Pierre oder Dave Eggers, ohne dabei ein bloßer Abklatsch zu sein. Schade ist nur, dass „Der Autogrammhändler“ erst in Schwung kommen muss. Bei über 400 Seiten wird das den einen oder anderen Leser möglicherweise abschrecken.

Bücher, die ihre Besonderheit hauptsächlich aus seltsamen Charakteren und einem kunstvollen Schreibstil beziehen, schwächeln häufig bei der Handlung. Das ist in diesem Fall nicht anders, auch wenn die witzigen Begebenheiten und verschwurbelten Gedanken über Leben und Leute häufig Lücken auffüllen können. Trotzdem weist die Geschichte Längen auf. Wirkliche Aktion findet sich erst gegen Ende der Erzählung, was nicht unbedingt eine ruhmreiche Leistung ist. Lobenswert ist allerdings, dass Zadie Smith dem Leser die Zeit bis dorthin angenehm zu versüßen weiß. Trotzdem wäre es gut gewesen, etwas mehr Schwung in die Angelegenheit zu bringen. Es muss ja nicht gleich eine actionreiche Verfolgungsjagd sein, aber die eine oder andere Kürzung hätte dem Buch vielleicht ganz gutgetan.

In der Summe ist „Der Autogrammhändler“ ein unterhaltsames Buch, das seinen Charme aber erst ab der Mitte wirklich entfalten kann. Zadie Smith schafft es, das Leben ihres Protagonisten anschaulich und humorvoll darzustellen, doch fehlt es der Handlung manchmal an Substanz und an Zielgerichtetheit.

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Schweikert, Ulrike – Duft des Blutes, Der

Moderne Vampirbücher sind nun nicht mehr nur Sache amerikanischer Autoren. Die Wahlstuttgarterin Ulrike Schweikert bringt die Blutsauger mit ihrem Roman „Der Duft des Blutes“ nach Deutschland, nach Hamburg, um ganz genau zu sein. Dort lebt der beinahe vierhundert Jahre alte Peter von Borgo und treibt nachts in der Speicherstadt sein Unwesen.

Der Hamburger Kripo wird eines Tages der Fund einer Leiche gemeldet, die scheinbar unverletzt zu Tode gekommen ist. Einzig zwei kleine Kratzer am Hals wirken abnormal. Die junge, chaotische Oberkommissarin Sabine Berner ermittelt mit ihrem Team in diesem Fall, doch sie kann sich keinen Reim darauf machen. Wenig später wird ihre Aufmerksamkeit jedoch von etwas anderem eingenommen: Die junge Prostituierte Ronja und ihre kleine Tochter Lilly werden vermisst gemeldet.

Den Beamten fehlt jede Spur, als Sabine geheimnisvolle Anrufe bekommt. Am anderen Ende ist ein in Rätseln sprechender Mann, der ihr verschlüsselt den Fundort von Ronjas Leiche übermittelt. Als die Beamten dort eintreffen, finden sie die tote Frau, aber von Lilly gibt es keine Spur. Doch wer ist der mysteriöse Anrufer? Hat er Ronja getötet? Sabine setzt alles dran, um ihn zu identifizieren. Es ist der unnahbare Peter von Borgo, zu dem sie sich hingezogen fühlt. Er ist ein Gentleman, und seine freundliche und zuvorkommende Art gefällt ihr, auch wenn sie das Gefühl hat, ihn überhaupt nicht richtig zu kennen. Peter von Borgo geht es da nicht anders. Er findet Sabine ebenfalls sehr attraktiv, und es fällt ihm immer schwerer, den Abstand zu der jungen Frau zu wahren. Die Lust, in ihren schönen Hals zu beißen, wird übermächtig, doch er möchte nicht nur ihr Blut. Er möchte, dass Sabine seine Gefährtin wird …

Ulrike Schweikert orientiert sich mit ihrem Buch stark an dem älteren Entwurf eines Vampirromans. Peter von Borgo ist ein historisch visierter Gentleman, der die Frauen verführt. Er ist ein Außenseiter und lebt im Verborgenen, anders als man das beispielsweise in Büchern von Stephenie Meyer oder Kim Harrison erlebt. Das ist für Leute, die Ann Rice und Co. mögen, vielleicht angenehm, doch letztendlich bietet „Der Duft des Blutes“ nichts Neues. Die Geschichte bleibt auf eingefahrenen Wegen, obwohl die Verbindung mit einem Kriminalfall an und für sich ungewöhnlich ist. Schweikert verschenkt allerdings Potenzial, denn es kommt kaum Spannung auf. Es fehlt ein stufenartiger Aufbau und die Auflösung des Falls ist unbefriedigend und wirkt an den Haaren herbeigezogen.

Während der gesamten Lektüre entwickelt sich keine richtige Atmosphäre. Die Geschichte ist weder besonders gruselig noch lädt der Kriminalfall oder die Anziehung zwischen Sabine und Peter zum Mitfiebern ein. Die Charaktere bleiben dem Leser trotz Bemühungen der Autorin verschlossen. Es fehlt ihnen an Ecken und Kanten oder wenigstens Besonderheiten, die sie vom Gros der Masse abheben. Daher fällt es schwer, Peters Verliebtheit zu verstehen, wenn Sabine derart uninteressant dargestellt wird. Der Vampir selbst hat auch nur unwesentlich Neues zu bieten. Er erinnert stark an ähnliche Figuren aus anderen Büchern und kann daher nicht überzeugen. Es wäre schön gewesen, wenn die Autorin ihre Figuren etwas eigenständiger und konturierter gezeichnet hätte.

Das Gleiche lässt sich über den Schreibstil sagen. Er ist nicht unbedingt originell, obwohl Schweikert aus einem großen Wortschatz schöpft und sich Mühe gibt, diesen ansprechend umzusetzen. Allerdings wirkt ihre Wortwahl nicht immer sicher. Man merkt Schweikert ihre Schreiberfahrung an, doch ab und zu formuliert sie umständlich, was das flüssige Lesen erschwert.

In der Summe ist „Der Duft des Blutes“ nicht unbedingt ein schlechtes Buch. Es ist solide gearbeitet, aber es fehlt eindeutig an Spannung, Originalität und an einer sauberen, linearen Handlung.

_Ulrike Schweikert bei |Buchwurm.info|:_
[„Die Seele der Nacht“ 1232 (Die Legenden von Phantásien)

http://www.egmont-lyx.de

Liebe Besucher meiner Internetseite,

Klönne, Gisa – Nacht ohne Schatten

Gisa Klönne legt mit „Nacht ohne Schatten“ bereits den dritten Roman um die Kölner Kriminaloberkommissarin Judith Krieger vor. „Die Krieger“, wie diese von ihrem jungen und manchmal etwas machohaften Kollegen Manni genannt wird, hat nach wie vor mit Problemen und mit ihrer sturköpfigen Art zu kämpfen, die sie immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Doch ihr neuer Fall verlangt ihr noch viel mehr ab: Judith, die früher Nachtwächterin in einem Frauenhaus war, wird mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Geschlagene Frauen, Zwangsprostitution und mehrere Morde beschäftigen die drahtige Frau und bringen sie beinahe an die Grenzen des Möglichen.

Eines Nachts findet man auf den S-Bahn-Gleisen im Gewerbepark von Köln einen erstochenen S-Bahn-Fahrer. Sein Rucksack und seine Jacke fehlen, genau wie eine Spur vom Täter. Ein Zeuge sagt zwar aus, eine Person in einem dunklen Mantel gesehen zu haben, doch das bringt die Beamten nicht weiter. Bei einer weiteren Zeugenbefragung lernt Judith die invalide Künstlerin Thea Markus aus einer nahen Ateliergemeinschaft und einen nervösen Pizzeriabesitzer kennen. Das Restaurant von Letzterem brennt wenig später nieder, zusammen mit seinem Besitzer. Im Keller findet man eine schwer verletzte junge Frau, die dort, wie es scheint, zur Prostitution gefangen gehalten wurde. Man weiß weder, ob sie überlebt, noch, wer sie überhaupt ist.

Die Beamten arbeiten fieberhaft, doch ihnen fehlen die Spuren. Außerdem wird der Zusammenhalt des KK 11 auf die Probe gestellt, denn jeder scheint eine andere Theorie für die Mordfälle zu haben. Während Manni glaubt, die Täter im Rotlichtmilieu zu finden, geht Judith davon aus, dass alles mit der Kunstfabrik zusammenhängt, in der auch Thea Markus und ihre verschwundene Kollegin, die junge und erfolgreiche Performancekünstlerin Nada, arbeiten. Außerdem ist sie gezwungen, in das Milieu der Frauenhäuser einzutauchen, um etwas über die anonyme Prostituierte in der Pizzeria herausfinden. Dieser Schritt konfrontiert sie mit ihrer eigenen Vergangenheit und ihrer Persönlichkeit. Nicht gerade einfach für die resolute Frau …

Gisa Klönne vermischt in ihrem neuen Krimi erneut persönliche Schicksale, interessante Persönlichkeiten und eine spannende, aber nicht konstruiert wirkende Handlung. Sie kommt der Arbeit, die tatsächlich tagtäglich in den Kommissariaten Deutschlands passiert, vermutlich sehr nahe: Mehrere Fälle beschäftigen die Ermittler, und bis zur Lösung des primären Falles schwanken sowohl der Leser als auch die Polizisten in ihrer Ansicht darüber, ob diese zusammengehören oder nicht. Klönne ist sich dabei nicht zu fein, ihre Ermittler auflaufen zu lassen. Alles in allem wird der Fall sehr menschlich, das heißt mit Fehlern und Irrtümern gelöst, und das macht ihn so authentisch und auch spannend. Allerdings verliert man manchmal während der Lektüre beinahe den Überblick über die verschiedenen Theorien, was sich aber nie nachteilig auswirkt.

Auf die Charaktere legt die Autorin besonderen Wert. Neben den Perspektiven der Hauptermittler Judith und Manni darf auch die neue Gerichtsmedizinerin zu Wort kommen, die aus Russland stammt und an ihrer Vergangenheit zu knabbern hat. Dies geschieht zumeist auf nachdenkliche, nie ausufernde Art und Weise. Ekaterina Petrowa ist nicht die einzige Person, die mehr als nur eine Rolle bei den Ermittlungen spielt. Eine zweite ist Thea Markus, die für die Lösung des Falls nur wenig Relevanz aufweist. Trotzdem gesteht Klönne ihr Raum zu, und das stört überhaupt nicht, denn Thea ist eine verbitterte Person, die mit einer alten Verletzung und ihren Alltagsproblemen, wie beispielsweise der drohenden Pleite, zu kämpfen hat. Sie eröffnet dem Leser einen Blick auf das Leben, den er vielleicht so nicht kennt, und verleiht dem Buch eine gewisse Tiefe und Ernsthaftigkeit.

Abgesehen davon stehen Judith und Manni im Vordergrund. Klönne beobachtet die beiden nicht nur bei ihrer Arbeit, sondern auch in ihrem Privatleben, wobei es schön gewesen wäre, wenn die beiden etwas mehr hätten sagen dürfen. Manchmal gehen sie im Fall unter, und das ist schade, da es sich um sehr gut ausgearbeitete, starke Charaktere handelt. Judith Krieger ist eine angenehm unkonventionelle Frau, die aber nie überzogen wirkt, sondern sehr natürlich. Ihre inneren Konflikte werden dieses Mal leider weniger thematisiert als in den vorhergehenden Büchern, aber noch immer genug, um ein lebendiges Bild von ihr zu zeichnen. Manni ist nach wie vor ein Jungspund, doch auch bei ihm vermisst man ein wenig die Tiefe, die in „Unter dem Eis“ zu finden war. Seine Gedanken drehen sich hauptsächlich um den Fall und die blonde Sonja, mit der er eine Affäre hat. Die Dynamik, die in „Unter dem Eis“ aus der Paarung Judith-Manni stammte, kommt in diesem Buch ein wenig zum Erliegen.

Trotzdem bietet „Nacht ohne Schatten“ mehrere hundert Seiten Lesegenuss. Fall und Ermittlungsarbeit sind realistisch, die Personen prima ausgearbeitet. Klönnes tiefgängiger, manchmal schwermütiger Schreibstil sorgt dafür, dass sich alles ineinanderfügt, und schmückt die Geschichte zusätzlich mit bewundernswert plastischen Beschreibungen aus. Einmal mehr taucht der Leser zusammen mit den Helden des Buches in eine ganz eigene Welt – in diesem Fall sogar ein eigenes Milieu – ein, die ihn so schnell nicht mehr loslassen wird.

_Gisa Klönne bei |Buchwurm.info|:_

[„Der Wald ist Schweigen“ 1879
[„Der Wald ist Schweigen“ (Hörbuch) 2126
[„Unter dem Eis“ 3047

http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullsteinhc
http://www.gisa-kloenne.de

David Peace – 1983

Dass die Polizei nicht immer die Guten sind, weiß man nicht nur aus der Verfilmung von [„L.A. Confidential“. 1187 Es gibt auch eine Unmenge von Büchern, die sich mit diesem Thema beschäftigen, wie zum Beispiel der Roman „1983“ von David Peace, der das Finale von Peaces Red-Riding-Quartett darstellt.

In Yorkshire verschwind 1983 die kleine Hazel Atkins. Die Öffentlichkeit ist erschüttert. Die Polizei unter der Leitung von Chief Superintendent Maurice Jobson hat schnell einen Verdächtigen parat, doch Hazel bleibt verschwunden. Der übergewichtige, nicht besonders erfolgreiche Anwalt John Piggott wird von der Mutter von Jimmy Ashworth gebeten, seine Verteidigung zu übernehmen.

Doch als John zum Polizeirevier kommt, erfährt er, dass Jimmy sich aufgehängt hat. John Piggott glaubt nicht daran, dass dies wirklich Selbstmord war, und beginnt, sich näher mit Maurice Jobson zu beschäftigen. Dieser führte nämlich auch die Ermittlungen, als Jahre zuvor andere kleine Mädchen verschwanden. Auch hier hatte man schnell einen Verdächtigen zur Hand, doch wie es scheint, mit einem erpressten Geständnis. Der lethargische Anwalt beginnt im Dreck zu wühlen und fördert dabei Dinge zutage, welche die Polizisten lieber für sich behalten hätten …

Bereits auf der ersten Seite fällt auf, dass David Peace sehr viel Wert auf einen individuellen Schreibstil legt. Beinahe schon in stenografisch abgehacktem Stil wirft er dem Leser bestimmte Details wie Örtlichkeiten, Zeiten oder anwesende Personen vor, und auch sonst greift er immer wieder auf verkürzte oder unvollendet Sätze zurück, um die Gedanken seiner Protagonisten möglichst realitätsgetreu wiederzugeben. Er verwendet außerdem eine sehr bildhafte Sprache und schmückt diese mit Zitaten aus Songs oder völlig abwegigen, poetisch angehauchten Gedanken, die sich mit der Lebenssituation der jeweiligen Person auseinandersetzen. Häufig wiederholt er auch einzelne Sätze oder sogar ganze Abschnitte, um die Ausweglosigkeit der Situation seiner Figuren darzustellen. Nicht immer wird dem Leser dabei die wirkliche Bedeutung von Peaces Worten klar. Er schreibt auf der einen Seite sehr angenehm und schön, nämlich nachdenklich, pessimistisch, düster, dann aber auch wieder sehr kryptisch. Manche der Textabschnitte sind einfach zu introvertiert und unverständlich. Dem einen Leser mag das mehr, dem anderen weniger liegen.

Ob das bei der Handlung auch so ist, sei dahingestellt. Peace behandelt zwei gegenläufige Stränge. Auf der einen Seite ermittelt John Piggott in der Gegenwart, auf der anderen werden die Geschehnisse der früheren Mädchenentführungen in den Siebzigern aus der Sicht von Maurice Jobson gezeigt. Das geschieht allerdings unstrukturiert und verwirrend. Es fehlt der rote Faden, der diese beiden unterschiedlichen Ansätze am Ende geschickt und verständlich miteinander verknüpft. Das ist bei „1983“ nicht unbedingt der Fall. Es passiert auch immer wieder, dass einige Textabschnitte zu beliebig oder zu unpassend wirken, so dass man in diesem Fall nicht von einem runden Ganzen reden kann.

Die Personen sind hingegen gelungen, ihre Ziellosigkeit und Deprimiertheit wird gut dargestellt. Vor allem die Figur des John Piggott zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich total gehen lässt und nicht unbedingt mit Enthusiasmus bei der Sache ist. Das wirkt alles sehr authentisch. Vermutlich jeder hat schon einmal so eine Phase in seinem Leben gehabt und kann sich dementsprechend damit identifizieren. Anders ist es da bei Maurice Jobson: Während Piggotts Perspektive auf eine Du-Anrede zurückgreift, erzählt Jobson aus der ersten Person. Trotzdem wirkt er immer kühl und distanziert, verschlossen, introvertiert. Das hängt vor allem mit Peaces Schreibweise zusammen, die diesen Charakter sehr gut reflektiert.

In der Summe überzeugt „1983“ trotzdem nicht immer, dafür fehlt es dem Buch an Struktur. Gerade der Handlung hätte ein wenig mehr roter Faden gutgetan. Der Schreibstil von David Peace und seine Figurenzeichnung überzeugen allerdings trotzdem, auch wenn sie sich wegen der dramaturgischen Schwächen nicht völlig entfalten können.

David Peace bei |Buchwurm.info|:

„1974“
„1977“
„1980“

http://www.liebeskind.de

Theorin, Johan – Öland

Trilogien gibt es mittlerweile zur Genüge. Jeder Autor, der etwas auf sich hält, schreibt Bücher im Dreierzyklus. Der Schwede Johan Theorin dagegen orientiert sich nicht an der magischen Drei, sondern an den vier Jahreszeiten. Er plant eine Reihe, die für jede Jahreszeit eine Geschichte zu erzählen hat. „Öland“ macht den Anfang im Herbst, und das sehr erfolgreich. In Schweden war das Buch schon kurz nach Erscheinen auf den Bestsellerlisten zu finden und wird momentan in diverse Sprachen übersetzt.

Das Buch spielt auf der gleichnamigen schwedischen Insel, die mittlerweile ein beliebtes Touristenziel geworden ist. Doch zu der Zeit, in der Theorins Geschichte spielt, steckt diese Entwicklung noch in den Kinderschuhen, und zu der Zeit, als das Geschehen seinen wirklichen Anfangspunkt hat, war davon noch gar nichts zu spüren. 1972 verschwindet der fünfjährige Jens spurlos während eines dichten Nebels in der Alvar, einer öden Kalksteppe der Insel. Seine Mutter Julia ist auch über zwanzig Jahre später noch nicht davon überzeugt, dass Jens tot ist. Arbeitsunfähig aufgrund der psychischen Belastung, lebt sie in Göteborg und würde Öland am liebsten nie wieder betreten. Doch als ihr Vater Gerlof anruft und mitteilt, dass er eine neue Spur entdeckt hätte, rafft die mutlose Frau sich auf und besucht ihre alte Heimat.

Der Mann, den man damals verdächtigt hat, Jens entführt zu haben, ist eigentlich schon lange tot. Nils Kant hieß er, doch die Umstände seines Todes sind fraglich. Er war eine Art Außenseiter und Sündenbock auf der Insel, und es gibt einige, die behaupten, dass er immer noch lebt und jemand anderer in seinem Grab liegt. Ausgehend von dieser Theorie, arbeiten sich Julia, der im Altersheim lebende Gerlof und dessen alte Kumpels vor. Es scheint, als seien sie tatsächlich auf eine heiße Fährte gestoßen, denn auf einmal geschieht ein weiterer Mord …

Die Stimmung, die Theorin in seinem Krimi erreicht, ähnelt der von Schwedens Vorzeigekrimiautor Henning Mankell: bedrückend, pessimistisch und dadurch spannend. Anders als sein Kollege berichtet Theorin allerdings nicht aus der Perspektive eines Polizisten, sondern lässt ganz normale Menschen sprechen. Er bindet den Kriminalfall in den Alltag und in das Privatleben seiner Charaktere ein, so dass von der Trockenheit, welche die Polizeiarbeit manchmal mit sich bringt, wenig zu spüren ist. Trotzdem ist „Öland“ ein eher ruhiges Buch. Die Spannung baut sich allmählich und nicht durch actionreiche Ereignisse auf. Mit fast 450 Seiten ist es daher für Leute, die wenig übrig haben für eine sich allmählich steigernde Spannung, eher eine Zumutung. Wer jedoch gerne typische skandinavische Krimis liest, dem wird „Öland“ gefallen, denn neben der in sich schlüssigen Handlungen überzeugt der Roman auch bei der Personenzeichnung.

Julia und Gerloff, die im Vordergrund stehen, sind wunderbar ausgearbeitet und ihre Persönlichkeiten erreichen den Leser treffsicher. Julia ist seit dem Verschwinden ihres Sohns in eine Depression gefallen, und dem Autor gelingt es, ihre Gefühle, ihre Ängste, ihre Hoffnungen sehr plastisch, aber nie übertrieben darzustellen. Der Leser versteht sie und fühlt mit ihr, obwohl er genau wie sie weiß, dass es nach über zwanzig Jahren längst an der Zeit ist loszulassen. Gerlof dagegen ist ein tatkräftiger Mann. Der ehemalige Seemann verbringt seine Zeit nicht mit Nachdenken, sondern packt die Dinge an. Während Julia durch ihren eigenen Kopf gebremst wird, ist es bei dem alten Mann eine rheumatische Erkrankung, die ihn immer wieder behindert. Auffällig ist dabei, dass Gerlof nicht als griesgrämiger Alter und auch nicht als klischeehafter, das Altersheim aufmischender Opa dargestellt wird, sondern als bedächtiger, lebenserfahrener Mann. Theorin gelingt es, das Alter seines Protagonisten nicht nur als Tatsache darzustellen, sondern richtiggehend in die Geschichte einzuweben. Dadurch wirkt Gerlof sehr authentisch und interessant, da er nicht unbedingt der klassische Charakter eines Kriminalromans ist.

Der Schreibstil ähnelt den beiden Hauptfiguren: ruhig, gemächlich, aber stets mit einem Hang zum Pessimismus. Theorin beschreibt seine Szenarien in einer emotionslosen, plakativen Sprache, welche die Ödnis der Insel und innerhalb der Personen sehr gut transportiert. Es entsteht eine Atmosphäre, in die man sich als Leser hineinfühlen und dadurch mit den Personen mitfiebern kann.

„Öland“ ist in gewisser Weise Geschmacksache. Nicht jeder wird etwas mit der eher actionarmen Handlung und den entweder deprimierten oder alten Charakteren anfangen können. Wer sich jedoch mehr für Persönlichkeiten als für aufregende Kriminalfälle interessiert, der ist bei diesem Buch von Johan Theorin goldrichtig. Der Schwede hat einen atmosphärischen, ruhigen Krimi geschrieben, der sich dank der Protagonisten wohltuend von ähnlichen Büchern des Genres abhebt.

|Originaltitel: Skumtimmen
Aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps
448 Seiten, gebunden|
http://www.piper-verlag.de
http://www.johantheorin.com

John Marsden – Ein endloser Albtraum

Der Australier John Marsden konstruiert in dem Buch „Ein endloser Albtraum“ ein ‚Was wäre wenn?‘-Szenario. Er konfrontiert eine Gruppe von Jugendlichen damit, dass in ihrem Land plötzlich ein Krieg ausbricht und sie lernen müssen, damit umzugehen. Das Besondere dabei ist, dass es sich nicht um irgendein Land in der dritten Welt handelt, sondern um Australien, also nicht unbedingt eine Krisenregion.

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Gardner, Lisa – Kühles Grab

Lisa Gardner mausert sich zu einem neuen Namen in der Thrillerwelt, den man sich merken sollte. Ihr neuer Streich „Kühles Grab“ schließt an das von den Kritikern gelobte [„Lauf, wenn du kannst“ 4648 an, ohne eine direkte Fortsetzung zu sein.

Die bereits bekannten Charaktere der Polizisten Bobby und D.D. sowie Catherine Gagnon, der Bobby half, als sie unrechtmäßig wegen Mord und Kindesmisshandlung angezeigt wurde, sind wieder mit von der Partie. Im Mittelpunkt steht allerdings Annabelle Granger oder Tanya Nelson, wie sie mittlerweile heißt. In ihrer Kindheit ist sie mit ihren Eltern von einer amerikanischen Stadt in die nächste gezogen, hat ständig ihre Identität gewechselt und nie Anschluss gefunden. Nun, da ihre Eltern tot sind, ist sie zurück nach Boston gekehrt und lebt ein beschauliches, aber von Ängsten regiertes Leben. Das Training ihres Vaters, das sie schon im zarten Kindesalter vor Vergewaltigern und Kriminellen bewahren sollte, trägt immer noch Früchte. Ohne ihren Hund Bella und einen Elektroschocker geht sie nicht joggen, doch das hilft ihr wenig, als sie eines Tages in der Zeitung liest, dass sie gestorben ist.

Auf dem Gelände einer ehemaligen Psychiatrie in Mattapan hat man sechs mumifizierte Mädchenleichen gefunden, und eine von ihnen trägt ein Medaillon mit Annabelles Namen. Annabelle geht zur Polizei, denn sie ahnt, dass das tote Mädchen ihre Kindheitsfreundin Dori ist. Und sie hat Recht. Die Polizei, das heißt Bobby und D.D., die die Ermittlungen leitet, müssen feststellen, dass Annabelle Catherine Gagnon, die als Kind Opfer eines sadistischen Vergewaltigers wurde, sehr ähnlich sieht. In Anbetracht der Tatsache, dass Annabelles Vater sich mit seiner Familie ab dem Jahr 1982 auf der Flucht befand, fragen sich die beiden, ob es einen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen gibt. War Richard Umbrio, der für Catherines Fall verantwortlich gemacht wurde, auch der Mörder der anderen Mädchen, oder war er gar unschuldig, als er ins Gefängnis wanderte? Hatte er einen Komplizen? Zu spät merken die beiden, dass die Gefahr von jemand ganz anderem ausgeht, und da ist es beinahe schon zu spät …

Lisa Gardner tut in „Kühles Grab“ das, was sie am besten kann: spannende Geschichten erzählen. Die Handlung ist rasant, dicht und ohne Längen, der Schreibstil fesselt. Der Thriller ist auch ohne das Vorwissen von „Lauf, wenn du kannst“ zu genießen, doch macht Gardners aktuelles Buch als Nachfolger mehr Spaß. Der Leser kennt Catherine Gagnons Fall genau, die Verwicklungen, die damit einhergingen, und auch die Erlebnisse, die Bobby stark geprägt haben.

Bobby steht dieses Mal nicht so stark im Vordergrund, sondern Annabelle und ihre tragische Geschichte. Die Polizeiarbeit wird zwar immer wieder gestreift, doch hauptsächlich aus der ‚Laiensicht‘ von Annabelle erzählt. Die wiederum berichtet aus der Ich-Perspektive, eine weitere Neuerung, aber eine, die gefällt. Die Geschichte wirkt dadurch sehr menschlich, geradezu literarisch. Die Thrillerspannung geht dabei ein bisschen verloren, doch Gardner beweist, dass sie dennoch ein gewisses Maß davon aufrechterhalten und gleichzeitig ein Schicksal erzählen kann. Angenehm ist dabei, dass sie trotz der weiblichen Erzählerin nie in die aus Frauenbüchern bekannten Klischees abrutscht. Annabelles Perspektive ist schön erzählt, behandelt häufig auch Nebensächliches und fügt sich trotzdem in das Gesamtgeschehen ein.

Das Einzige, was man dem Buch ankreiden kann, ist, dass es zwar hohe Spannung und gute Unterhaltung bietet, letztendlich aber nichts wirklich Neues. Abgesehen von der überraschenden Ich-Perspektive ist es eben nur noch ein weiterer psychisch gestörter Serienkiller, der von noch einem sorgengebeutelten Cop gejagt wird. Die Qualität von Handlung, Personen und Schreibstil ist allerdings hoch. Alles ist gut ausgearbeitet, harmoniert und fügt sich perfekt ein.

„Kühles Grab“ ist eine runde Sache und liest sich wie aus einem Guss. Lisa Gardner legt einen regelrechten Pageturner vor, der den Leser fesselt, auch wenn die Story selbst nicht unbedingt innovativ ist. Pluspunkte kann allerdings die Ich-Perspektive von Annabelle sammeln, die neben der eher kühlen, analytischen Sichtweise der Cops steht.

_Lisa Gardner bei |Buchwurm.info|:_
[„Der Schattenmörder“ 875
[„Lauf, wenn du kannst“ 4648

http://www.aufbau-verlag.de