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Blazon, Nina – Im Land der Tajumeeren (Die Taverne am Rande der Welten 2)

Wenn man in der Taverne am Rande der Welten wohnt, kann man jeden Tag ein neues Abenteuer erleben. Nicht umsonst gibt es im Flur des Gasthauses eine Unmenge von Türen, die in alle möglichen Länder führen.

Das dreizehnjährige Findelkind Tobbs wohnt in der Taverne am Rande der Welten. Er arbeitet dort als Schankjunge und wundert sich den lieben langen Tag, wer seine Eltern sind und was der Wirt Dopoulos hinter der zugemauerten Tür versteckt. Nicht umsonst glaubt er, dass das Geheimnis der Tür etwas mit seiner Herkunft zu tun hat.

Eines Tages prescht ein dickes Botenpony mit einem von einem Pfeil durchbohrten Boten in die Taverne. Der Bote scheint an Gedächtnisverlust zu leiden, denn das Einzige, was er sagt, ist „Iwan!“ Nur Wanja, die starke Schmiedin in der Taverne, kann etwas mit dem Namen anfangen. Sie glaubt, dass ihre Tante Baba Jaga den Reiter geschickt hat. Das kann nur heißen, dass die Hexe, die in einem Haus mit Hühnerbeinen lebt, in Gefahr ist. Wanja sattelt ihr rotes Pferd Rubin und macht sich auf nach Rusanien – ohne zu wissen, dass Tobbs ihr folgt. Er hat sich das arbeitslose Botenpony gesattelt und reitet ihr hinterher, denn er hofft, auf diesem Weg etwas über seine Vergangenheit zu erfahren.

Damit liegt er nicht mal so falsch. Die Truhe, die Baba Jaga in ihrem Haus versteckt hatte, enthielt einen wichtigen Hinweis auf seine Herkunft, wie Wanja ihm erzählt. Doch die Kiste ist weg. Die Roten Reiter, die auch den Boten erschossen haben, haben sie mitgenommen und Baba Jaga ist ebenfalls verschwunden. Wanja und Tobbs finden sie in Tajumeer, einem Land, das an eine Südseetrauminsel erinnert. Dort lässt sich die Hexe die Sonne auf den Pelz scheinen. Als Wanja und Tobbs sie treffen, stellt sich heraus, dass ihr Schatz doch nicht den Roten Reitern in die Hände gefallen ist, sondern am Grund des Meeres liegt. Und das wird von den grausamen Haigöttern bewacht …

„Im Land der Tajumeeren“ ist in der Reihe |Die Taverne am Rande der Welten| erschienen. Wie im Vorgängerband [„Die Reise nach Yndalamor“ 3463 mischt Blazon auch dieses Mal heitere Fantasy mit alten Sagengestalten und ähnlichem.

Der eine oder andere mag den Namen Baba Jaga deshalb schon mal gehört haben. Es handelt sich dabei um eine mythologische Gestalt aus Russland, die in einem Mörser fliegen kann, wie Blazon im Anhang erzählt. Die Autorin, die slawische Sprachen studiert hat, orientiert sich aber nicht nur an diesem Kulturkreis. Ebenfalls mit von der Partie sind die Haselhexe aus Tirol und ein paar römische Gottheiten.

Nina Blazon mixt also alles wild durcheinander. Heraus kommt ein spritziges Fantasybuch, rasant erzählt und mit einem heiteren Unterton. Blazon schreibt leichtfüßig, treffsicher und humorvoll, was ihre Bücher auch für erwachsene Leser zu einem Genuss werden lässt.

Im Mittelpunkt steht wieder Tobbs, ein eher ängstlicher Junge, der auf der Suche nach einer eigenen Identität ist. Er ist kein richtiger Held, denn er hat Angst vor Pferden und kann nicht schwimmen. Ein tragischer Antiheld ist er aber auch nicht, denn er beweist sehr wohl Mut, wenn es brenzlig wird. Blazon stattet ihn mit einer Vielzahl verschiedener Wesenszüge aus und gestaltet ihn rund und anschaulich.

Ihm zur Seite stehen Freunde und Feinde, die durch ihre sauber ausgearbeiteten Charaktere und ihre Originalität bestechen. Blazon ist sich dabei nicht zu schade, ihre Figuren an der Grenze der Lächerlichkeit anzusiedeln. Baba Jaga zum Beispiel benimmt (und kleidet) sich bei den Tajumeeren so, wie man sich eine klischeehafte Seniorin auf einer Südseeinsel vorstellt. Durch solche mutigen Charaktere macht es besonders viel Spaß, das Buch zu lesen.

Die Handlung ist auch dieses Mal sehr rasant. Die Ereignisse passieren Schlag auf Schlag, und es werden nur wenige Absätze für gedankliche Ausschweifungen verschwendet. Blazons lobenswerter Einfallsreichtum ist verantwortlich dafür, dass man das Buch nicht aus den Händen legen möchte. Sie malt ihre Fantasywelt in den buntesten Farben und stattet sie liebevoll mit Details und Witz aus. Ab und an baut sie kleine Erinnerungen an die reale Welt ein, zum Beispiel auf Seite 32. Dort erzählt Dr. Dian von der neusten „Magie-Technologie“, dem „Magimnesie-Granulat“, das zu einer „magischen Amnesie“ führt.

Was Blazons Bücher, vor allem die aus der Reihe |Die Taverne am Rande der Welten|, besonders auszeichnet, ist ihre Leichtfüßigkeit in Bezug auf den Schreibstil. Sie tänzelt geradezu von einem Satz zum anderen. Sie benutzt ein einfaches Vokabular, dem sie mit ihrem heiteren Humor eine Menge Lebendigkeit einhaucht.

Allerdings ist das Lesevergnügen dieses Mal nicht völlig ungetrübt. An einigen wenigen Stellen benutzt Blazon Wörter, die für die angepeilte Zielgruppe ab elf Jahren noch etwas zu komplex sein dürften. |Salto mortale| (Seite 18) und |konspirativ| (Seite 29) dürften nicht gerade zum Wortschatz eines durchschnittlichen Fünftklässlers gehören.

Was auf der einen Seite amüsiert, auf der anderen aber leicht deplatziert wirkt, ist der Einsatz von Anglizismen. Die Begriffe |Drama-Queen| (Seite 26), |Cowboy| (Seite 49) oder |Playboy| (Seite 237) wirken ein bisschen fehl am Platze in der ansonsten sauber geschriebenen Geschichte.

Insgesamt hat die Wahlstuttgarterin Nina Blazon erneut ein entzückendes Fantasybüchlein für Kinder und Jugendliche abgeliefert. Die rasante Handlung, der heitere Schreibstil und vor allem die blühende Fantasie der Autorin sind Grund dafür, warum „Im Land der Tajumeeren“ ein einziges Lesevergnügen ist.

http://www.ravensburger.de
http://www.ninablazon.de

Atkins, Charles – Gift

„Schuster, bleib bei deinen Leisten!“, dachte sich wohl Charles Atkins, als er den Thriller „Gift“ schrieb. Der Autor ist Psychiater, und anscheinend liegt es da nahe, sich auch literarisch mit psychischen Erkrankungen zu beschäftigen.

Dr. Peter Graininger ist Psychiater in der psychiatrischen Notfallaufnahme der New Yorker Universitätsklinik. Obwohl er es weit gebracht hat, lässt ihn die Erinnerung an den Unfall, bei dem seine Frau Beth ums Leben kam, immer noch nicht los. Mithilfe seines Sohns Kyle und seines Vaters, der ebenfalls Psychiater ist, versucht er wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Sein alter Studienfreund Ed Tyson, der mittlerweile ein hohes Tier an der Universität ist, hat ihm seinen Posten und auch die Wohnung, in der Peter lebt, beschafft.

Doch das hat Ed nicht nur aus Eigennutz getan. Er verfolgt Pläne, um Peter für eine Sache zu bestrafen, die bereits einige Jahre zurückliegt. Peter hat davon keine Ahnung, als er eines Tages Ann Walsh, Studentin, Gelegenheitsprostituierte und Geliebte von Ed, nach einem Selbstmordversuch behandeln soll. Wenig später wird Ann ermordet in einem Hotelzimmer aufgefunden. Peter war an diesem Abend bei Ed und seiner Familie zum Essen eingeladen. Als er am nächsten Morgen aufwacht, muss er feststellen, dass seine Erinnerungen an diese Nacht bei der Verabschiedung an Eds Haustür aufhören. Wo war er danach? Ist der Filmriss eine Nachwirkung des Traumas von Beths Tod oder geht es hier um etwas ganz anderes? Peter merkt schnell, dass er in einem perfiden Spiel gefangen ist …

Es ist nicht nur der Beruf, den Autor und Protagonist teilen. Auf seiner [Website]http://www.charlesatkins.com erläutert Atkins, dass er in „Gift“ auch eine persönliche Tragödie verarbeitet – genau wie Dr. Graininger. Aus dieser Verbindung resultiert eine sehr authentische Hauptfigur, die die Abgründe der menschlichen Seele aus eigener Erfahrung kennt. Immer wieder blendet Peter Erinnerungen an frühere Zeiten ein und gibt sich mehr als einmal der Schwäche hin, sich selbst gehen zu lassen.

An und für sich steht aber die rasante, geradlinige Thrillerhandlung im Vordergrund. Bis auf Peters persönliche Erinnerungen gibt es kaum Abschweifungen. In großen, abgestuften Schritten geht die Geschichte voran. Atkins verzichtet auf großartige Action und Blut oder weitläufige Plots. Er hält die Handlung im kleinen Rahmen, was sie sehr bodenständig wirken lässt. Sie enthält Bewegung, haarsträubende Ereignisse, aber dennoch bezieht sie ihre Spannung mehr aus der leisen, stillen Art und Weise der Manipulation, deren Opfer Peter wird.

Die Handlung besteht hauptsächlich aus einem Strang. Es gibt kaum Nebenhandlungen und auch die Nebencharaktere haben zumeist keine große Aufgabe, wenn sie nicht direkt in die Gesamtgeschichte verwickelt sind. Dadurch wirkt das Buch sehr kompakt, lässt an einigen Stellen aber etwas an Originalität missen. Das flotte Erzähltempo verhindert, dass sich bestimmte Charaktere entfalten können und Atkins Schreibstil ist ebenfalls nicht wirklich bemerkenswert.

Er arbeitet sowohl mit einer Perspektive aus der ersten als auch mit Perspektiven der dritten Person. Der Ich-Erzähler ist natürlich Peter, dem es dadurch besonders gut gelingt, seine traumatischen Erinnerungen zu beschreiben. Die anderen Perspektiven beschränken sich auf wenige Personen und unterscheiden sich untereinander kaum vom Schreibstil her.

Atkins schreibt flüssig und mitreißend. Er benutzt einen gehobenen Wortschatz und schafft es, klare Sätze zu bauen, die sich zu einem fließenden Text verbinden. Während Peters Perspektive durch die starke Subjektivität hervorgehoben wird, wirken die anderen jedoch etwas beliebig. Sie sind zu gleichförmig, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Einen bleibenden Eindruck hinterlässt „Gift“ insgesamt nicht unbedingt, dafür aber erstaunt hochgezogene Augenbrauen während der Lektüre. Der Thriller sprüht nicht vor Originalität, aber der Amerikaner Charles Atkins liefert saubere Handarbeit ab. Besonders positiv sind dabei der gut ausgearbeitete, sympathische Protagonist und vor allem die flotte und schnörkellose Handlung, die eine Menge Spannung aufzubauen vermag.

http://www.bastei-luebbe.de

Tandefelt, Henrik – Ultramarin

Im Vorwort seines Buches „Ultramarin“ schreibt Henrik Tandefelt:

|“Ein Krimi enthält vor allem Sex und Gewalt. Die Sprache ist niveaulos, die Charaktere sind billig. Deshalb ist es nicht gesund, Krimis zu lesen!“| (Seite 6)

Inwiefern sich das verallgemeinern lässt, ist fraglich. Schließlich gibt es auch genug Autoren, die das Gegenteil beweisen. Henrik Tandefelt möchte auch zu diesen gezählt werden. In seinem zweiten Roman schickt er deswegen den sympathischen Ich-Erzähler aus seinem Debüt [„Lauf, Helin, lauf!“ 3912 ins Rennen. Allerdings verschlägt es den Fotografen Joseph Friedmann dieses Mal nach Helsinki anstatt nach Småland.

Seine Freundin, die Opernsängerin Bella, hat eine Gastrolle an der finnischen Nationaloper bekommen, und Josef, der nicht wirklich etwas zu tun hat, kümmert sich um den Haushalt und die Hunde. Der Frieden währt allerdings nicht lange. Lindström, der Polizist, der mit Josef dessen ersten „Fall“ gelöst hat, ruft an und macht ihn mit einem Freund, der bei der Polizei in Helsinki arbeitet, bekannt.

Josef schließt Freundschaft mit Olli Mustonen und besucht ihn gerne in seinem abgelegenen Ferienhaus. In der Nähe liegt ein verwaister Hof, auf dem vor fünf Jahren der griesgrämige Arzt Jens Bäck ermordet wurde. Seitdem fehlen drei Bilder des russischen Malers Ajvazovskij und Bäcks Gehilfe Dimitri. Die Ermittlungen verliefen damals im Sande, doch natürlich kennt Josefs Neugier keine Gnade. Er beginnt auf dem Hof und in Bäcks Leben herumzuschnüffeln. Bald findet er heraus, dass Bäck, anders als die Polizei glaubt, sehr wohl einen Sohn hat, der in Schweden lebt und behauptet, seinen Vater kaum zu kennen. Warum ist er aber dann auf vielen Fotos mit Bäck zu sehen? Das soll nicht die einzige Ungereimtheit bleiben …

Was die Kritik in seinem Vorwort angeht, hält Tandefelt Wort. Josef Friedmann ist ein äußerst sympathischer Charakter. Er erzählt aus der Ich-Perspektive im Präsens, was anfangs gewöhnungsbedürftig ist. Seine Wesenszüge sind klar gezeichnet, wirken aber etwas zu positiv. Es mangelt an wirklichen Macken, die den Protagonisten noch authentischer hätten dastehen lassen.

Die Geschichte konzentriert sich hauptsächlich auf Josefs Sicht, doch wie bei „Lauf, Helin, lauf!“ gibt es auch bei „Ultramarin“ eine zweite Perspektive. Während sie das letzte Mal aus der Sicht des menschlichen Opfers erzählte, begleitet sie dieses Mal die drei gestohlenen Gemälde und berichtet, jeweils aus dem Blickwinkel des momentanen Besitzers, wie sie immer weiter gegeben werden. Das ist auf jeden Fall ein geschickter Schachzug, auch wenn diese erfrischenden zweiten Perspektiven eher selten sind.

Als niveaulos kann man Tandefelts Schreibstil ebenfalls nicht bezeichnen. Er schreibt gehoben, aber dennoch einfach. Da aus der Ich-Perspektive erzählt wird, ist alles sehr subjektiv gefärbt, was kein Nachteil ist. Die persönliche Note macht es leicht, sich mit Josef Friedmann zu identifizieren, und seine lockere, humorvolle Art gefällt. Das Erzähltempus – Präsens – ist zwar, wie gesagt, etwas gewöhnungsbedürftig und hakt auch an einigen Stellen, alles in allem präsentiert sich „Ultramarin“ aber als runde Angelegenheit.

Einzig die Handlung dürfte dem Leser ein bisschen Kopfschmerzen bereiten. Tandefelt verlässt sich tatsächlich mehr auf die leisen Töne als auf Sex und Gewalt, aber so einen dichten, spannenden Plot wie bei seinem ersten Buch bekommt er dieses Mal nicht hin. Das liegt eventuell daran, dass es weniger Perspektiven und weniger aufzuklärende Fälle gibt.

Während sich „Lauf, Helin, lauf!“ durch eine mehrdimensionale Geschichte mit vielen losen Spannungsenden auszeichnete, ist „Ultramarin“ sehr einstrangig. An einigen Stellen plätschert die Story vor sich, und trotz des schönen Erzählstils finden sich einige Ausschweifungen. Tandefelt tendiert sehr stark dazu, präzise jeden einzelnen Handlungsschritt von Josef aufzuzählen. Mit der Zeit wird das mühsam, genau wie die Wiederholungen bei Josefs Ermittlungsarbeit. Man hat das Gefühl, als ob sein Leben daraus bestünde, Leute aufzutreiben, mit ihnen zu telefonieren und sie zu besuchen. Das führt dazu, dass die Handlung sich des Eindrucks einer leichten Konstruiertheit nicht erwehren kann.

Trotzdem gefällt Tandefelts Schreibstil nach wie vor. Wer die schwedische Krimischwermut satthat, wird an diesem Autor Gefallen finden, auch wenn „Ultramarin“ nicht an seinen Vorgänger heranreicht. Es bleibt aber zu hoffen, dass die sympathische Hauptfigur uns auch in weiteren Büchern beehrt. An der Art und Weise, wie Henrik Tandefelt seine Bücher schreibt, liegt es nämlich nicht. Es ist fast einzig und allein die Handlung, die in diesem Fall nicht ganz rund läuft.

http://www.dtv.de

Barclay, Linwood – Ohne ein Wort

Um „Ohne ein Wort“ von Linwood Barclay wird in den Medien derzeit ein ziemlicher Wirbel veranstaltet. |Ullstein| hat sogar eigens eine [Website]http://www.ohne-ein-wort.de ins Leben gerufen und bewirbt das Buch mit einem Filmtrailer.

So viel Tamtam ist man eher von Autoren der Größenordnung einer Joanne K. Rowling gewohnt. Dementsprechend hoch sind deshalb die Erwartungen an „Ohne ein Wort“. Ist Linwood Barclay wirklich der neue Stern am Thrillerhimmel, wie der Verlag suggeriert?

Eine Supernova ist es nicht gerade, die Barclay dem Leser beschert, aber immerhin auch kein schwarzes Loch. „Ohne ein Wort“ ist ein gemütliches Büchlein, das sich hauptsächlich durch seine Alltagsnähe auszeichnet.

Nun gut. Das, was Cynthia Archer, mittlerweile 39 und Ehefrau und Mutter einer achtjährigen Tochter, mit vierzehn Jahren erlebt hat, ist alles andere als alltäglich. Nach einem heftigen Streit mit ihren Eltern wacht sie am nächsten Morgen auf und muss feststellen, dass alle verschwunden sind. Das große Haus ist leer, ihre Eltern und der ältere Bruder Todd sind samt den Autos verschwunden. Gepackt haben sie nichts, auch einen Abschiedsbrief haben sie nicht hinterlassen. Was ist passiert? Wurden die Bigges ermordet? Wieso wurde Cynthia verschont?

25 Jahre später möchte Cynthia Licht ins Dunkle bringen und wagt einen verzweifelten Versuch. Mithilfe eines lokalen Fernsehsenders dreht sie eine Reportage über ihr Schicksal und hofft, dass die Zuschauer ihr weiterhelfen können. Anfangs passiert nichts, doch dann fühlt Cynthia sich plötzlich verfolgt, in ihr Haus wird eingebrochen und am Ende stirbt auch noch ihre geliebte Tante Tess, die sie aufgezogen hat. Wenig später findet die Polizei einen zweiten Toten, Denton Abagnall. Der Privatdetektiv sollte im Auftrag der Archers ermitteln, und das hat ihn das Leben gekostet. Doch anstatt den wahren Mörder zu suchen, der laut Cynthia von den Ereignissen vor 25 Jahren weiß, ermittelt die Polizei gegen die Familie. Da trifft ein anonymer Brief ein, der mit dem Verschwinden von Cynthias Eltern zu tun hat …

Anders als man es vielleicht erwartet, ist Cynthia nicht die Erzählerin dieser Geschichte. Ihr Mann Terry berichtet, wie das Wiederaufrollen des Verschwindens die Familie zerrüttet und ihren Alltag belastet. Terry ist ein sympathischer Ich-Erzähler, wenn auch nicht sonderlich interessant. Er verkörpert den netten, aber leicht langweiligen Lehrer, der es mit niemandem böse meint. Trotzdem ist er gut ausgearbeitet und wirkt dadurch, dass er so alltäglich ist, sehr authentisch.

Der Schreibstil, der Terry Archer begleitet, ist sehr stimmig gelungen. Barclay schreibt flüssig mit einem leichtfüßigen, nie bösen Humor. Sein Wortschatz ist gewählt, aber nicht zu sehr, und sein Satzbau ist klar. „Ohne ein Wort“ lässt sich sehr flüssig und angenehm lesen.

Bei den anderen Personen ist es ähnlich. Sie sind gut ausgearbeitet, aber es fehlt ihnen an Originalität. Sie wachsen dem Leser zwar ans Herz, aber wer auf der Suche nach etwas Neuem und Besonderem ist, wird bei „Ohne ein Wort“ nicht fündig. Insgesamt präsentiert sich das Buch mehr als Hausmannskost denn als echte Delikatesse.

Das merkt man auch der Handlung an, die recht konventionell aufgebaut ist. Alle Ereignisse, die darauf hindeuten, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, bleiben in einem Rahmen, der nur wenig Spannung zulässt. Das bedeutet nicht, dass die Story schlecht wäre. Im Gegenteil baut Barclay sein Buch logisch auf und steigert die Spannung schön zum Ende hin. Dennoch ist das Buch nicht so fesselnd wie manch anderer Psycho-Thriller. Dafür fehlen die wirklich ausgefallenen Ereignisse und weniger leicht durchschaubare Ungereimtheiten.

Was Barclay sich über das Buch hinweg aufbaut, hält er am Ende leider nicht ein. Die Auflösung des Falls ist nicht wirklich spektakulär, auch wenn sie überrascht. Trotzdem hätte es sich gelohnt, das Ende so zu gestalten, dass die Auflösung auch wirklich am Ende steht. An dieser Stelle verschießt Barclay sein Pulver ein wenig zu früh, auch wenn man seiner sauberen Handarbeit keinen Vorwurf machen kann.

Insgesamt ist „Ohne ein Wort“ ohne Frage ein Psycho-Thriller der besseren Sorte. Der Schreibstil ist gelungen und reißt mit, und die Personen sind sympathisch, wenn auch nicht gerade Originale. Barclays Art, auf Qualität statt auf Innovation zu setzen, rächt sich erst bei der Handlung. Der Aufbau ist konventionell und das Ende wenig spektakulär. Dadurch hat die Spannung wenig Gelegenheit, um sich wirklich gut zu präsentieren, verschwindet aber nie von der Bildfläche.

http://www.ullstein-taschenbuch.de

Eckert, Renate – Hungrige Schatten

Renate Eckert weiß, wovon sie schreibt. Genau wie die Protagonistin in ihrem ersten Buch, arbeitete auch sie lange Zeit als Journalistin. Sie kennt sich also aus mit den inneren Strukturen einer Redaktion.

Diese sind es, die der Journalistin Anne Michels das Leben schwer machen. Ihr Vorgesetzter mobbt sie, und das lastet schwer auf der jungen Frau. Sie ist neu in der beschaulichen Stadt Burgstadt, und bis auf Angie, eine Arbeitskollegin, und Phil, einen Kollegen, der heimlich in sie verliebt ist, hat sie noch nicht viel Anschluss gefunden.

Das ändert sich, als sie für die bevorstehende Oberbürgermeisterwahl die Kandidaten interviewen soll. Matthias Reininger, der charismatische Anwalt, ist ihr bereits bei einer Ordensverleihung für verdiente Kommunalpolitiker aufgefallen. Als sie ihn in seinem teuren Haus besucht, zeigt sich, dass sie ihm auch aufgefallen ist. Er spinnt sie ein mit seiner Aufmerksamkeit. Doch schnell zeigt sich, dass mit seiner Zuwendung eine dunkle Seite einhergeht. Er ist dominant, manchmal geradezu sadistisch. Anne ist trotzdem verrückt nach ihm und merkt erst viel zu spät, worauf sie sich da eingelassen hat …

Im Vordergrund der Geschichte steht Anne, die als Neue in der Redaktion viel einstecken muss. Für sie bedeutet der Job eine gute Gelegenheit, um sich von ihrer Vergangenheit freizustrampeln, die von der Autorin gut ausgearbeitet wurde. Anne hat auch eigene Charakterzüge, aber die sind größtenteils schwammig dargestellt, so dass es schwerfällt, sich mit der Protagonistin zu identifizieren.

Im Großen und Ganzen bleibt die junge Journalistin dem Leser verschlossen. Der Grund dafür ist der altbackene Schreibstil von Eckert. Sie benutzt einen gehobenen Wortschatz und bemüht sich um Abwechlsungsreichtum bei der Wortwahl. Dennoch klingen viele ihrer Formulierungen gestelzt und künstlich. Das Vokabular, auf das sie zurückgreift, ist stellenweise zu erhaben, und sie schafft es nur selten, wirkliche Emotionen zu erzeugen.

Dieser Schreibstil hat weitreichende Folgen. Die Grundidee, auf der Eckert ihre Geschichte aufbaut, ist nicht unbedingt schlecht. Eine junge, vielleicht etwas naive und vor allem einsame Frau gerät in die Fänge eines charismatischen, aber verdorbenen Mannes. Daraus ließe sich ohne Probleme das stricken, was auf dem Buchdeckel angegeben ist: ein Psychothriller.

Leider verbaut sich die Autorin mit dem Schreibstil diese Möglichkeit. Durch die Verschlossenheit und Künstlichkeit kann kaum Spannung aufgebaut werden. Selbst der Kriminalfall, den Annes Kollege Phil verfolgt, kann kaum punkten. Er steht nicht im Vordergrund und verläuft mehr oder weniger im Sande, weil aufgrund des Schreibstils einfach keine Spannung aufkommen möchte.

Ähnlich ist es mit der verhängnisvollen Verbindungen zwischen Anne und Matthias. Hier fehlt es an psychologischer Tiefe, obwohl die einzelnen Stufen dieses Handlungsstrangs gut aufgebaut sind. Letztendlich ist es wieder Eckerts Schreibstil, der die Spannung blockiert. So gewandt er auch erscheinen mag, verhindert er doch, dass das Buch in die Tiefe gehen kann.

Hinzu kommen die vielen Nichtnotwendigkeiten, zu denen abgeschweift wird. Was in manch anderen Büchern für Vielschichtigkeit und Erzähldichte sorgt, wirkt in diesem Fall überflüssig. Auch das lässt sich wieder auf den Schreibstil zurückführen, der es nicht schafft, solche Abschweifungen in den Erzählfluss zu betten.

Wie man sieht, ist bei „Hungrige Schatten“ der Schreibstil der springende und wunde Punkt. Handwerklich kann man sich nicht über ihn beschweren. Eckert kann schreiben und sie greift auf einen großen Wortschatz zurück. In diesem sind leider sehr viele gestelzte Ausdrücke und Formulieren enthalten, die schuld daran sind, dass es dem Buch an Lebendigkeit fehlt. Das wirkt sich negativ auf Handlung und Personen aus. Besonders dem Plot fehlt es an Spannung und Emotionen, auch wenn er auf einer passablen Grundidee fußt.

http://www.heyne.de

Kusnezow, Sergej – Hülle des Schmetterlings, Die

Bereits die Widmung von Sergej Kusnezows Buch „Die Hülle des Schmetterlings“ macht neugierig: |“Dieses Buch wollte ich zwei Freunden widmen. Beide haben sich geweigert es zu lesen und darauf bestanden, in keiner Weise damit in Verbindung gebracht zu werden.“| Was für ein Buch muss das sein, wenn Leute nicht damit in Verbindung gebracht werden? Der Verlag selbst sieht es als |“Das russische Gegenstück zu Thomas Harris‘ ‚Schweigen der Lämmer'“|, und damit hat er gar nicht mal so unrecht.

Ein Serienkiller hält die russische Hauptstadt Moskau in Atem. Schon seit Monaten foltert und tötet er Frauen zwischen 15 und 40, und die Polizei hat keine einzige Spur. Xenia, die junge Chefredakteurin einer mäßig erfolgreichen Internetseite, hat eine zündende Idee. Zusammen mit ihrem Kollegen Alexej und ihrer besten Freundin Olga ruft sie eine Website ins Leben, auf der alle Informationen zu dem Serienkiller zusammengetragen werden. Daneben werden Expertenmeinungen veröffentlicht und in einem Forum können die Besucher der Seite über die Morde diskutieren.

Ihr Plan geht auf. Die kontroverse Internetseite erlangt schnell Ruhm und Xenia wird zu einer kleinen Berühmtheit. Eines Tages meldet sich ein Fremder, der sich „alien“ nennt, über ICQ bei ihr. Xenia geht auf seine Gespräche ein und hört auch nicht auf, als der Fremde sie „kleine Schwester“ nennt und zu selbstverletzenden Aktionen zwingt. Ehe sie es sich versehen hat, steckt sie tief in einem Strudel aus roher Gewalt und blindem Gehorsam …

Sergej Kusnezow hat mit großer erzählerischer Beweglichkeit ein sehr düsteres Buch über die Abgründe im Menschen geschrieben. Diese Menschen arbeitet Kusnezow als originellen Charaktere sehr gut aus und versieht sie mit ganz eigenen Charakterzügen und einer detailreichen Vergangenheit. Auffällig ist, dass er auf positive Emotionen beinahe gänzlich verzichtet. So gut wie alle Protagonisten, allen voran natürlich der Serienkiller, zeigen nur ihre dunkle Seite, was dem Buch eine besondere Stimmung verleiht. An dieser Stelle sei besonders die Andersartigkeit der Charaktere betont. Xenia ist zum Beispiel Fan von BDSM-Spielchen, was ja nicht gerade alltäglich ist. Dadurch wird das Buch zusätzlich interessant und erlaubt einen Blick in Welten, die der normale Leser so nicht kennt.

Dieser Blick wird durch die unterschiedlichen Perspektiven ermöglicht. Der russische Autor legt hierbei eine große Kreativität an den Tag. Der Serienkiller berichtet sehr anschaulich, ohne zu viel von sich preiszugeben, aus der Ich-Perspektive. Neben Erinnerungen und aktuellen Ereignissen flicht er außerdem sehr poetische Kapitel ein. In einem schildert er zum Beispiel ausführlich, wieso jede Jahreszeit eine gute Jahreszeit zum Töten ist und greift dabei auf viele bildhafte Beschreibungen zurück. In anderen berichtet er in Form eines reimlosen Gedichtes davon, wie er seine einzelnen Opfer umgebracht hat. Kusnezow schafft es dabei, auf geniale Art und Weise die brutalen Details mit einer blumigen Sprache und der Liebe des Tötens, die der Killer verspürt, zu verbinden.

Die anderen Perspektiven wechseln dagegen munter durch. Zumeist schreibt er aus der dritten Person, manchmal aber auch aus der ersten, was die Gedanken und Gefühle des jeweiligen Ich-Erzählers besonders intensiv und oft beklemmend wirken lässt. Oft greift er aber auch auf eine völlig andere, unbekannte Art von Perspektive zurück, die „Du-Perspektive“. Eine Du-Perspektive setzt natürlich voraus, dass es einen Ich-Erzähler gibt, der das Du anspricht. Der Ich-Erzähler ist in diesem Fall der Serienkiller, auch wenn er sich in den Kapiteln mit der Du-Anrede, die zumeist an Xenia gerichtet ist, zurückhält. Er erzählt den Tagesablauf der Protagonisten so, als ob er sie gerade dabei beobachtet und sehr genau über ihre Gepflogenheiten Bescheid weiß. Das sorgt für Gänsehaut. Der teils verspielte, teils gruselige Ton, den Kuszenow dabei anschlägt, gibt dem Leser das Gefühl, dass der Serienkiller Macht über alle Personen in dieser Geschichte hat.

Auch wenn der Autor sich sehr stark auf seine Personen konzentriert – viele Kapitel handeln einzig von deren Gedanken und Gefühlen -, vernachlässigt er nicht die Handlung. Er schweift zwar oft ab und bietet dem Leser eine große Fülle an Informationen, aber diese lenken nicht unangenehm ab, sondern sorgen für eine hohe Erzähldichte. Die Handlung kommt zwar langsam in Gang, aber sie schreitet zügig fort und findet ihren Höhepunkt in einem überraschenden, offenen Ende. Oft gehen solche Experimente schief, doch Kusnezow gelingt es, seinen originellen Abschluss sauber über die Bühne zu bringen.

Was „Die Hülle des Schmetterlings“ neben den scharf gezeichneten Personen und dem Spiel mit den Perspektiven auszeichnet, ist der Schreibstil. Dieser ist rhetorisch bemerkenswert geschickt. Kusnezow benutzt viele Reihungen und Metaphern, Bilder und Vergleiche. Manche davon ziehen sich durch das ganze Buch; die Erwähnung eines schwarzen Kokons, zum Beispiel, auf den auch der deutsche Titel des Buchs anspielt. Der Autor hält mit diesem vielfältigen Schreibstil das ganze Buch zusammen und hebt sich wohltuend von anderen Thriller-Autoren ab.

„Die Hülle des Schmetterlings“ von Sergej Kusnezow ist ein selten guter Thriller. Eine spannende Handlung und tolle, düstere Charaktere verbunden mit einem virtuosen Schreibstil – und das in einem Genre, das nicht unbedingt für seine literarische Qualität bekannt ist. Der Vergleich mit Thomas Harris hinkt trotzdem. Aber es ist Harris, der gegen Kusnezows Kreativität nicht ankommt.

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Paprotta, Astrid – Feuertod

Die in Frankfurt lebende Autorin Astrid Paprotta ist bislang vor allem durch ihre Krimis mit der Kommissarin Ina Henkel bekannt geworden. In ihrem neuen Buch „Feuertod“ führt sie zwei neue Ermittler ein: Hauptkommissar Niklas und den ihm zugeteilten LKA-Beamten Potofski.

Bei ihrem ersten gemeinsamen Fall müssen sie die grausame Ermordung von vier Menschen aufklären. Die Anwältin Ellen Rupp verbrennt zusammen mit ihrem jungen Liebhaber in ihrer Wohnung. Das Gleiche gilt für Michael Brecht. Auch er wird in seiner ausgebrannten Wohnung entdeckt. Der Einzige, der die Verbindung zwischen Rupp und Brecht herstellen kann, ist Moritz Blume.

Er arbeitete als eine Art Privatdetektiv für Ellen Rupp, die eine raubeinige Wirtschaftsanwältin war. Nebenbei engagierte sich die Frau für die Bürgerinitiative „Sichere Stadt“, was ihr einen Platz im Stadtparlament verschaffte. Gegenden wie die, in der Blume wohnt, waren ihr ein Dorn im Auge, weil dort die Armen und Arbeitslosen wohnen und das Stadtbild verschandeln. Blume ermittelt auf eigene Faust, doch als er zu viel herausfindet, stirbt auch er – bei einem Wohnungsbrand.

Blume war der Polizei einige Schritte voraus, doch Niklas und Potofski, beide ein bisschen behäbig, kommen allmählich einer Geschichte auf die Spur, die schon viele Jahre zurückliegt. Doch kann sie wirklich der Grund für die Morde sein?

Was Paprotta von anderen Kriminalautoren abhebt, sind ihr bemerkenswerter Schreibstil und ihre originellen Personen. Diese beiden Dinge stehen beinahe mehr im Vordergrund als der eigentliche Kriminalfall. Anders als erwartet, führt das aber nicht zu Problemen, sondern zu einem auffällig guten Krimi.

Neben den Ermittlern Niklas und Potofski stehen mehrere andere Perspektiven im Vordergrund, die von den Morden betroffen sind. Neben Blume sind dies das Paar Westheim und der Friseur Czerny. Czerny hat seinen Salon in der Stoltzestraße, die einen schlechten Ruf hat, und Blume ist sein Nachbar und so etwas wie ein Freund. Dadurch erfährt er vieles über die Morde und bewertet die Frisuren der einzelnen Toten mit Kennerblick.

Paprottas Perspektiven sind wunderbar gestaltet. Es gibt nur wenige objektive Beschreibungen. Zumeist scheinen die gedruckten Worte direkt aus den Köpfen der Perspektiven zu kommen. Das hängt mit dem Schreibstil zusammen, der sehr alltäglich gehalten ist. Paprotta benutzt Alltagssprache, die sich auch im Satzbau widerspiegelt. Oft verbindet sie mehrere Hauptsätze mit Kommas, anstatt Nebensätze zu bilden. Trotzdem liest sich das Resultat frisch und flüssig und erinnert an einigen Stellen an den so genannten „stream of consciousness“. Diese Erzählweise definiert sich dadurch, dass sie ungefiltert aus dem Kopf der Person erzählt, was diese gerade sieht, erlebt und denkt. Dadurch entsteht ein rundes, kompaktes Bild der Situationen mit einer sehr subjektiven Färbung. Der beiläufige, trockene Humor, den die Autorin einwebt, und die sarkastischen Bemerkungen von Niklas, bevorzugt über seinen neuen Kollegen, sorgen dafür, dass eine angenehme Frische in den flüssigen Schreibstil einzieht.

Wer so sehr aus dem Kopf seiner Personen berichtet, muss diese auch dementsprechend ausarbeiten. Das gelingt der studierten Psychologin geradezu perfekt. Ihre Charaktere sind sehr eigen, haben gut ausgearbeitete Wesenszüge und einen Haufen interessanter Gedanken. Letztere sind sehr authentisch, genau wie die Dialoge, die stark von Alltagssprache gefärbt sind.

Insgesamt schafft es die Autorin, eine ganz eigene Erzählmagie zu entwickeln. Perspektiven wie die von Czerny, der mit den Morden nicht wirklich etwas zu tun hat, lassen die Handlung an manchen Stellen abschweifen. Trotzdem kehrt die Autorin immer wieder dorthin zurück. Es ist erwähnenswert, dass die beiden Ermittler Niklas und Potofski gar nicht so sehr im Vordergrund stehen. Ihre Aufgabe ist es, den Schuldigen zu finden, und nicht, ihre Gedankenwelt dem Leser zu präsentieren. Das ist auf der einen Seite geschickt, weil dadurch keine Trockenheit aufgrund zäher Polizeiarbeit entstehen kann. Auf der anderen Seite werden Fans des eher klassischen Kriminalromans ein Problem mit „Feuertod“ haben.

Wer allerdings nicht davor zurückschreckt, einen Kriminalroman mit einem kräftigen Schuss Belletristik zu lesen, der ist mit „Feuertod“ gut beraten. Astrid Paprotta schafft es, dem Genre Kriminalroman ein paar ganz eigene Töne zu entlocken. Das Buch ist interessant, abwechslungsreich und wird von einem sehr guten Schreibstil und originellen Charakteren erfolgreich getragen.

http://www.piper-verlag.de

Frost, Scott – Risk. Du sollst mich fürchten

Scott Frost ist bislang eher für seine Drehbücher für Serien wie „Akte X“ oder „Twin Peaks“ bekannt gewesen. Mit „Risk. Du sollst mich fürchten“ soll sich das ändern. Der Psychothriller ist Frosts erstes Buch und wurde sogar für den |Edgar Award| als bestes Thrillerdebüt nominiert.

Der Fall, mit dem Lieutenant Alex Delillo sich beschäftigt, beginnt recht harmlos mit dem Mord an einem Blumenhändler. Als sie einen vorbestraften Mitarbeiter des Geschäfts überprüfen wollen, fliegt dessen Haus in die Luft und Alex‘ Partner Dave Traver wird lebensgefährlich verletzt.

Schon bald zeigt sich, dass der Täter zu noch weit grausameren Taten fähig ist. Immer wieder greift er auf selbst gebastelte Bomben zurück und schon bald kristallisiert sich sein Ziel heraus: Er möchte eine Bombe auf der jährlichen Rosenparade in Pasadena zünden. Für Alex und ihren neuen Kollegen Dylan Harrison, Experte für Sprengstoffe, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Alex ist davon ganz besonders betroffen, denn der Täter hat ihre Tochter Lacy entführt und droht damit, sie umzubringen, wenn nicht alles nach seinem Plan läuft …

Die Handlung, die Frost in seinem Buch anbietet, ist nicht unbedingt das Nonplusultra. Der Bombenleger, der sich inszeniert und die Welt in die Luft sprengen möchte, ist ein bisschen abgeschmackt. Trotzdem schafft der Autor es, immer wieder unkonventionelle Ereignisse in seinen Plot einzubinden. Er verfolgt also nicht immer das übliche Schema, kann uns aber auch nicht völlig vom Gefühl des bereits Dagewesenen befreien.

Auch wenn das Thema nicht neu ist, so kann man sich über den Aufbau des Buches nicht beklagen. Man merkt Frost seine Vergangenheit als Drehbuchautor an. Schlag auf Schlag passieren die Morde und werden meist actionreich dargestellt. Für Ausschweifungen bleibt wenig Platz. Einzig Alex gönnt sich ab und an ein paar Zeilen, um über das schwierige Verhältnis zu ihrer Tochter zu philosophieren oder ihre eigene Vergangenheit zu beleuchten.

Diese Passagen tragen dazu bei, dass der Thriller trotz seiner actionreichen und teilweise hightechlastigen Handlung viel menschliche Wärme in sich trägt. Die Ich-Perspektive, aus der Alex erzählt, ist dem Autor sehr gut gelungen. Alex ist eine schlagfertige, im Beruf kompetente Frau, die an ihrer Unfähigkeit als Mutter zu knabbern hat. Das Verhältnis zu ihrer Tochter Lacy ist sehr schlecht. Sie weiß nur wenig über deren Leben und wird mit dieser Tatsache immer wieder konfrontiert. Frost schafft es, Alex‘ Verzweiflung, Reue und Angst im Verlauf des Buches sehr gut darzustellen. Dabei vernachlässigt er nicht, die Geschichte mit sarkastischen, teils selbstironischen Bemerkungen aufzulockern.

Auch die anderen Charaktere sind sehr vielschichtig gezeichnet, wenn auch nicht immer so interessant wie Alex. Frost setzt weniger auf wirkliche Originalität als auf gute Handarbeit. Seine Personen sind dementsprechend gut ausgearbeitet, wirken aber alltäglich.

Alex‘ Ich-Perspektive bestimmt das Buch weitgehend. Sie wird von einem klaren, sauberen Schreibstil gestützt, der bis auf die humorvollen Bemerkungen kaum Besonderheiten in Form von rhetorischen Stilmitteln besitzt. Da Frost aber sehr dicht und flüssig schreibt, ist das nicht weiter negativ. Weiterer positiver Nebeneffekt der Wahl der Ich-Perspektive ist die Homogenität in der Handlung. Scott Frost verzichtet auf weitere Perspektiven. Alles wird aus der Sicht von Alex Delillo erzählt. Dadurch gibt es nur einen Erzählstrang in der Geschichte und keine unnötigen Nebenhandlungen, die vom Kriminalfall ablenken. Eintönigkeit kommt trotzdem nicht auf. Alex Delillo ist aufgrund ihres Berufs und ihrer Sorge um ihre Tochter immer nah am Hauptgeschehen. Und auch, wenn die Handlung nicht immer zieht, so ist sie doch gut dargestellt und wird von einer sympathischen Protagonistin erzählt.

Scott Frost ist nicht der hellste Stern am Thrillerhimmel, aber er muss sich mit seinem Debüt „Risk“ auch nicht in einem schwarzen Loch verstecken. Der souveräne Thriller kann vielleicht nicht unbedingt mit dem schon oft durchgekauten, aufmerksamkeitsüchtigen Serienkiller punkten, aber dafür ist Protagonistin Alex Delillo eine sehr sympathische Frau. Der Aufbau des Buches ist spannend und die Ereignisse passieren Schlag auf Schlag. Insgesamt ist Scott Frost ein lesenswertes Buch gelungen.

http://www.knaur.de
http://www.droemer-knaur.de/trailer/risk__trailer.html
http://www.droemer.de/thriller/risk-test/

Tandefelt, Henrik – Lauf, Helin, lauf!

„Nicht noch ein skandinavischer Krimiautor!“ möchte man zunächst stöhnen, wenn man den Namen des in Helsinki geborenen Henrik Tandefelt liest. Obwohl in Finnland geboren, spielt sein Krimi „Lauf, Helin, lauf!“ in Schweden, genauer gesagt in Småland. Der Fotograf Josef Friedmann und das Ehepaar Lindström befinden sich gerade dort, weil das Ehepaar ein Ferienhaus gekauft hat, das renoviert werden muss.

Eines Tages findet man im Kanal der Kleinstadt Ekemåla eine stark verweste Leiche in einem Abwasserkanal. Zur gleichen Zeit meldet der Lehrer und Bekannte der Lindströms, Arvid Lönnholm, dass eine seiner Schülerinnen verschwunden ist. Die Kurdin Helin ist seit dem Türkeiurlaub mit ihrer Mutter weder in der Schule noch in ihrer Wohnung gesehen worden. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Leiche im Kanal und Helin?

Lindström, der sich für die Renovierungsarbeiten Urlaub genommen hat, wird von seinem Chef gebeten, der örtlichen Polizei zur Seite zu stehen. Bereits kurze Zeit später meldet sich ein Albaner, der behauptet, der Mörder der unidentifizierbaren Toten zu sein. Angeblich handelt es sich dabei um die Jahrmarktswahrsagerin Serafina, die der Albaner in den Kanal geschubst haben möchte, weil sie seinen Heiratsantrag nicht angenommen hat.

Die örtliche Polizei glaubt, dass der Mann der Täter ist, auch wenn er bei einem Unfall stirbt, bevor er ordentlich verhört worden ist. Die Ermittlungen werden eingestellt, doch Lindström, seine Frau Ingbritt und Josef Friedmann wollen das nicht glauben. Auf eigene Faust gehen sie der Sache nach …

Die Handlung an und für sich ist weder wirklich aufregend noch wirklich neu. Doch die Art und Weise, wie die vielen verschiedenen Erzählstränge verflochten sind, ist geradezu faszinierend.

Tandefelt legt der Geschichte eine hohe Erzähldichte zugrunde, die mit detaillierten, aber nicht ausschweifenden Situationsbeschreibungen und Dialogen aufwartet. Der Finne schreibt bildhaft, meist mit wenig Emotionen, dafür aber mit einem guten Auge für kleine Besonderheiten. Der dezent eingesetzte trockene Humor sorgt immer wieder für Glanzpunkte in der sehr authentischen Erzählung mit einer starken Konzentration auf Dialoge beziehungsweise innere Monologe.

Josef Friedmanns ist die einzige Perspektive, die in der ersten Person erzählt. Er gefällt durch seine sehr persönliche Art, seine Selbstironie und die Neigung, sich selbst nicht immer ganz ernst zu nehmen. Die anderen erzählen in der dritten Person. Dass Tandefelt die Perspektiven zumeist ohne Absätze ineinanderfließen lässt, ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig. Gleiches gilt für die verkürzten Sätze, die Josef benutzt und die manchmal etwas holprig klingen. Die Wahl des Präsens als Erzähltempo ist auch nicht immer ganz unkompliziert, doch aufgrund Tandefelts Selbstsicherheit, seiner cleveren Wortwahl und der atmosphärischen Dichte kann man darüber hinwegschauen.

Worüber man keineswegs hinwegsehen sollte, ist die Handlung. Die unterschiedlichen Fälle sind gut miteinander vereinbart und laufen am Ende alle zusammen. Die Zusammenführung funktioniert reibungslos und sorgt für ordentlich Spannung. Der Leser, der die unterschiedlichen Perspektiven kennt, weiß mehr als die Figuren. Er durchblickt dadurch viel schneller das Geflecht aus Zufällen und Geheimnissen.

Ein gutes Beispiel hierfür ist Helins Perspektive. Sie verläuft gegenläufig zum Rest des Buches und erzeugt durch das abweichende Erzähltempus – die Vergangenheit – starke Spannung. Wieso erzählt Helin im Perfekt? Ist ihr etwas passiert? Tandefelt lässt den Leser lange im Ungewissen über die wahren Umstände, und das gefällt.

Am Schluss bleibt noch eine Frage: Gibt es für Henrik Tandefelt eine Möglichkeit, dem „Nicht noch ein skandinavischer Krimiautor!“-Ausruf zu entkommen? Ja, die gibt es, denn „Lauf, Helin, lauf!“ hat bis auf die Kulisse und die hohe Qualität nicht besonders viel mit dem üblichen Schwedenklischee zu tun. Das, was die |Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln| in einer Kritik als „ironisch-amüsanten Stil“ beschreibt, sorgt für wohltuende Frische. Von der gängigen skandinavischen Schwermut merkt man wenig in Tandefelts Krimi. Stattdessen verlässt er sich auf eine atmosphärische Erzähldichte, die kunstvolle Anordnung der verschiedenen Handlungsstränge und das geschickte Erzeugen von Spannung.

http://www.dtv.de

Okonnek, Evelyne – Rätsel der Drachen, Das

Evelyne Okonnek ist sicherlich dem einen oder anderen ein Begriff, da sie mit ihrem Roman [„Die Tochter der Schlange“ 2419 2006 den Wolfgang-Hohlbein-Preis gewann. Ein Jahr später legt sie mit dem eigenständigen „Das Rätsel der Drachen“ nach.

Der junge Pachiro ist der einzige Sohn des reichen Kaufmanns Khandir. Sein Vater würde ihn gerne als seinen Nachfolger sehen, doch Pachiro widmet sich lieber der Musik und der Dichterei. Außerdem hat er ein besonderes Verhältnis zu Sylat, der Adoptivtochter seines Vaters. Das schweigsame Mädchen macht sich mit seiner finsteren Art keine Freunde, doch Pachiro akzeptiert und liebt sie so, wie sie ist.

Eines Tages erfährt Pachiro von einem Hausangestellten, dass sich in den Elendsvierteln der Hafenstadt Yannah seit Jahren ein Feuerdämon herumtreibt, der Menschen tötet und Häuser anzündet. Die Tatsache, dass sein Vater einst vom Fürsten eingekerkert wurde, weil man ihn für den Feuerdämonen hielt, bringt Pachiro, der noch ein halbes Kind ist, durcheinander. Er beschließt, diesen Fleck aus der Vergangenheit von Khandir zu tilgen und zieht mit Sylat los, um den Feuerdämonen zu stellen.

Es dauert Jahre, bis sie dem mysteriösen Wesen endlich ein Stück näher kommen. Gleichzeitig offenbart sich, dass der Feuerdämon näher mit Pachiros eigenem Schicksal und dem seiner Familie verbunden ist, als er glaubt …

Evelyne Okonnek hat ein unheimlich dichtes, komplexes Buch verfasst, das vor allem durch seine Vielfalt und Erzähldichte verblüfft. Die Handlung, die sich über mehrere Jahre zieht und aus drei verschiedenen Perspektiven berichtet, ist unglaublich angefüllt mit Details, Nebengeschehen, dem Innenleben der Charaktere und der eigentlichen Handlung. Okonnek gelingt es, diese verschiedenen Dinge zu ordnen und in eine Reihe zu bringen. Man merkt, dass die Autorin weiß, wovon sie redet. Alles ist unglaublich durchdacht und zusammengerafft, so dass es kaum Längen gibt. Einzig in der Mitte des Buchs scheint sich die Geschichte ein wenig zu verlieren, da die Suche nach dem Feuerdämon kurz in den Hintergrund rückt. Außerdem fehlt an einigen Stellen ein stufenförmiger Handlungsaufbau, der die Spannung mit Sicherheit noch gesteigert hätte.

Als sehr geschickt erweist sich die Anordnung der drei Perspektiven, die in jedem Kapitel in einer festgelegten Reihenfolge auftauchen. Den Großteil nimmt Khandirs Familie an, vor allem natürlich der Held Pachiro. Außerdem lässt Okonnek noch einen zwielichtigen Matrosen, der eine Schar von geflohenen Sklaven um sich scharrt, und zwei Personen namens Myzlat und Tych zu Wort kommen. Myzlat und Tych tauchen allerdings nur sehr kurz und nur in Dialogform auf. Sie reden über ein bestimmtes Mädchen, das in Gefahr ist, ohne etwas Genaues zu sagen. Auch der Matrose streut immer wieder Wissen ein, das dem Leser fehlt. Dadurch merkt selbiger, dass etwas im Gange ist, was er nicht überblicken kann. Okonnek spinnt diese spannende Konstellation bis zum Ende durch und wartet dort mit einem überraschenden, magischen Finale auf.

Die Preisträgerin siedelt ihre Geschichte in einer Welt an, die mehr durch ihre Vielfalt und Originalität als durch besonders viel Magie überzeugt. Im Gegenteil stehen mehr die realistischen Charaktere im Vordergrund. Genau wie die Personen, ist auch die Kulisse im Buch unglaublich durchdacht und ausstaffiert. Ohne zu langweilen, schildert Okonnek detailliert Zimmereinrichtungen und Schauplätze in bunten Farben. Sie greift auf einen großen Wortschatz und viel Wissen zurück und schafft es dadurch, wunderbar ausgereifte Bilder im Kopf des Lesers entstehen zu lassen.

Ähnliches gilt für die Charaktere, die aufgrund des langen Zeitraumes der Geschichte viel Platz haben, um sich zu entwickeln. Ihre wohldurchdachten Vergangenheiten und spezifischen Charakterzüge lassen sie lebendig wirken. An dieser Stelle seien Pachiros drei kleine Schwestern erwähnt, die jede eine sehr eigene Note aufweisen. Beghild zum Beispiel ist ein dickes Kind mit einer Vorliebe für Gebäck und Kochrezepte, die sie in einem Buch sammelt, das voller Marmeladenflecke ist. Durch solche winzigen Details wirkt „Das Rätsel der Drachen“ an einigen Stellen mehr wie einer dieser großen Familienromane als wie ein Fantasybuch, und das ist durchaus nicht negativ gemeint. Die Liebe und Sorgfalt, die die Autorin in die Zeichnung ihrer Charaktere investiert, sorgt nämlich dafür, dass sie unglaublich menschlich wirken.

Mit der gleichen Durchdachtheit, mit der sie Plot, Charaktere und Kulisse des Buches kreiert hat, geht Evelynne Okonnek auch an die schriftliche Umsetzung heran. Ihr Schreibstil ist dicht, flüssig und gefällt durch seine märchenhafte, aber dennoch sehr erwachsene Stimmung. Der Wortschatz ist gehoben, ohne unnötig kompliziert zu sein, und die Satzkonstruktionen sind anspruchsvoll, ohne zu überfordern.

Die gut gesetzten Worte verweben die Geschehnisse mit den wunderbaren Persönlichkeiten und der prallen Fantasywelt von „Das Rätsel der Drachen“. Evelynne Okonnek beweist damit, dass sie würdig ist, in der Hohlbein-Reihe „Meister der Fantasy“ zu erscheinen. Die anspruchsvolle Arbeitsweise der Autorin hebt sie wohltuend von vergleichbaren Schriftkünstlern des Genres „Drachenfantasy“ ab.

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Compton, Jodi – Kälter als der Tod

Detective Sarah Pribek war bereits in Jodi Comptons Debüt „Sechsunddreißig Stunden“ die Hauptperson und hatte mit der zwielichtigen Vergangenheit ihres Ehemanns zu kämpfen. Im Nachfolger „Kälter als der Tod“ macht ihr ihre eigene Vergangenheit zu schaffen.

In „Sechsunddreißig Stunden“ wurde Royce Stewart, der die kleine Tochter von Sarahs Partnerin vergewaltigt und umgebracht hatte, getötet und niemand weiß, dass dies durch Sarahs Partnerin geschah. Offiziell ruhen die Ermittlungen, weil es keinen Verdächtigen gibt, doch eines Tages taucht der karrieregeile Anwalt Gray Diaz in Minneapolis auf. Er möchte Sarah den Mord anhängen, verhört sie dazu und konfisziert ihr Auto. Sarah hält sich an die Version der Tat, die sie mit ihrer verzogenen Partnerin besprochen hat, doch Gray ist gut in seinem Job und spürt Beweise auf, von denen die junge Detective nichts gewusst hat …

Gleichzeitig kommt die siebzehnjährige Marlinchen Hennessy, Tochter eines bekannten Schriftstellers, in Sarahs Büro und möchte ihren Zwillingsbruder Aidan als vermisst melden. Aidan lebte bei einem Freund der Familie in Georgia und ist dort seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen worden. Als Sarah nachfragt, wieso Marlinchen ihren Bruder jetzt erst meldet und was mit ihrem verwitweten Vater ist, stößt sie auf Ablehnung. Je länger sie sich mit der Familie Hennessy beschäftigt, umso deutlicher wird, dass sich in dem niedlichen Landhaus ein düsteres Geheimnis verbirgt …

Gleichzeitig wird sie von ihrem Chef auf eine Undercoverermittlung angesetzt, denn seit der Sache mit Royce Stewart wurde sie zum Mädchen für alles degradiert und darf nur noch die undankbaren Jobs übernehmen. Sie soll einen Mann suchen, der in einer Sozialwohnung als Arzt praktiziert, aber keine Approbation hat. Unter dem Vorwand einer Erkältung begibt sie sich bei Cisco, wie sich der Pseudoarzt nennt, in Behandlung, doch ihre Ermittlungen laufen aus dem Ruder. Sie schafft es nicht, den emotionalen Abstand zu halten, der für ihren Beruf angebracht wäre …

Das Buch beginnt mit einem nicht sonderlich interessant gestalteten Rückblick auf die Handlung von Jodi Comptons Debüt und schließt daran eine nichtstringente Handlung an, in deren Mittelpunkt Sarah steht. Sie ist diejenige, die die losen Handlungsenden, die in der Inhaltsangabe ersichtlich wurden, mittels des dichten Erzählstils zusammenhält.

Es sind weniger Mord und Totschlag, die „Kälter als der Tod“ zu Ruhm verhelfen, als vielmehr die zahlreichen zwischenmenschlichen „Fälle“, welche die Autorin in ihre Geschichte einwebt. Obwohl an sich wenig Spannung im eigentlichen Sinne dabei aufkommt, schafft sie es, den Leser mit Sarahs Ich-Perspektive zu fesseln.

Sarah ist zwar kein besonders origineller Charakter, aber im Laufe des Buches zeigt sich, dass sie auch nicht ganz ohne ist. Compton stellt sie sehr anschaulich dar, erzählt viel aus ihrem Privatleben und aus ihrer Vergangenheit. Diese Begebenheiten sind zumeist mehrere Seiten lang, aber trotzdem gerafft. Sie sorgen dafür, dass man Sarah besser versteht und kennen lernt, und sie lenken keineswegs von der Haupthandlung ab.

Gestützt wird die Protagonistin von einem sauberen, sehr persönlichen Schreibstil, der sich vor allem durch seine Tiefe hervortut. Compton erschafft keinen neuen Stil, sondern sie benutzt eine nüchterne, bodenständige Sprache mit wenigen rhetorischen Mitteln. Sie arrangiert diese so geschickt, dass sie den Leser einwickelt und ihn zwingt, das Buch zu Ende zu lesen. Sarah Pribek wächst dem Leser einfach so ans Herz, dass es ihm schwerfällt, den Roman aus der Hand zu legen.

Mit dieser fatalen Sogwirkung, einer sehr gut ausgearbeiteten Protagonistin und einer Handlung, die nicht wirklich spannend, aber faszinierend entwickelt ist, hat Jodi Compton ein Buch geschaffen, das weniger ein waschechter Krimi als vielmehr ein richtig schön erzählter Roman ist.

|Originaltitel: Sympathy between Humans
Originalverlag: Bantam Dell
Aus dem Amerikanischen von Sabine Lohmann
Taschenbuch, 416 Seiten
2005 erschienen als Bertelsmann-Club-Ausgabe unter dem Titel „In der Angst meines Herzens“ unter Lizenz des Heyne-Verlags|
http://www.heyne.de

Pullman, Philip – Ich war eine Ratte

Der englische Autor Philip Pullman ist hauptsächlich durch seine Trilogie „His Dark Materials“ bekannt geworden, für die er viele Preise gewonnen hat und deren erster Teil Ende 2007 als opulentes Fantasyspektakel in die Kinos kommt. Dass er auch ansprechende Kinderbücher schreiben kann, beweist der Autor mit „Ich war eine Ratte“.

Das alte kinderlose Ehepaar Bob und Joan führt ein ruhiges, bedächtiges Leben, bis eines Abends ein mysteriöser Junge in einer dreckigen Pagenuniform vor ihrer Haustür steht. Als sie ihn fragen, woher er kommt oder wie seine Eltern heißen, antwortet er immer nur das Gleiche: „Ich war eine Ratte.“

Aus Mitleid nehmen die beiden den Jungen auf und nennen in Roger. Roger ist ein nettes, unbedarftes Kerlchen, auch wenn er sich manchmal ein wenig komisch verhält. Er kennt keine Tischmanieren, zerfetzt seine Bettwäsche und hat ein Faible für Bleistifte, an deren Spitzen er gerne herumknabbert.

Trotzdem wächst er dem Ehepaar ans Herz, und als sich herausstellt, dass der Junge nirgends vermisst wird, behalten sie ihn. Doch eines Tages will der königliche Hofphilosoph ihn untersuchen, doch Roger flieht aus dem Schloss und fällt Mr. Tapscrew in die Hände, der ein Kuriositätenkabinett leitet …

„Ich war eine Ratte“ ist ein niedliches kleines Märchen, das vor allem durch seinen heiteren Grundton und die originelle Grundidee besticht.

Die rasante, kurzweilige Handlung beinhaltet viele wunderbare Elemente, ohne sich allzu weit von der realen Welt zu entfernen. Trotzdem gibt es weder eine konkrete Orts- noch Zeitangabe, so dass die Geschichte sehr zeitlos wirkt. Sie ist aufgebaut wie ein Märchen, das bedeutet, sie beginnt mit einer friedlichen Ausgangssituation, die durch ein plötzliches Ereignis, das Verschwinden Rogers, gestört wird. Um die Ausgangssituation wieder zu erreichen, muss sich der Held, also Roger, durch eine Menge Missstände kämpfen.

Dadurch, dass bei Märchen darauf verzichtet wird, die Gedanken und Gefühle der Charaktere breitzutreten, legt „Ich war eine Ratte“ ein sehr flottes Tempo vor. Kurzweilig und witzig sind die Erlebnisse, in die Roger verstrickt ist. Sehr oft entstehen Missverständnisse, weil er auf das Verhaltensrepertoire einer Ratte zurückgreift. Er knabbert zum Beispiel gerne an allen möglichen Dingen herum und bringt eine Beamtin zur Verzweiflung, als er den gesamten Inhalt ihres Stiftbechers annagt. Als sie daraufhin sagt, dass ihre Nerven strapaziert sind, assoziiert der Junge das mit den Stiften und redet im weiteren Verlauf des Buches immer wieder von Nerven, wenn er Stifte meint.

Dieser Running Gag funktioniert vor allem dank der naiven Unbedarftheit Rogers. Der Junge, der keinem etwas tun möchte, aber ständig ins Fettnäpfchen tritt, wächst dem Leser schnell ans Herz und hat einen Großteil der Handlung zu tragen.

Auf ähnliche unschuldige und einfache Art und Weise schreibt Philip Pullman, und von der Schwermut, die bei „His Dark Materials“ vorherrscht, ist nur wenig zu spüren. Das Buch nimmt sich selbst nicht besonders ernst mit dem heiteren, oberflächlichen Humor, der hier zur Anwendung kommt. Da es immer noch ein Kinderbuch bleibt, auch wenn Erwachsene ebenfalls Spaß daran haben werden, benutzt Pullman einen simplen, aber runden Stil, der sich durch kurze Beschreibungen und unkomplizierte Satzbauten auszeichnet. Wirklich prägnant ist und bleibt aber das Augenzwinkern, mit dem der Autor erzählt und das sich in dem wunderbaren, da daueranwesenden und nicht überzogenen Humor manifestiert.

Das Gegengewicht zur Märchenhaftigkeit stellen die Zeitungsartikel des |Morgen-Echo| dar, die immer wieder eingestreut werden. Sie sind illustriert und ungefähr auf dem Niveau der Zeitung mit den vier Großbuchstaben gehalten. Die Themen sind entweder die Flitterwochen des Königspaars oder Volksverhetzung, aber Pullman nimmt sich an dieser Stelle erneut nicht ernst und gestaltet die Artikel so überspitzt und satirisch, dass sie die Geschichte unheimlich auflockern. Einige seiner Übertreibungen beinhalten dabei durchaus eine leichte Kritik an der heutigen Gesellschaft, zum Beispiel beim Thema der „Jugendkriminalität“. Aufhänger ist der Einbruch einer Kinderbande in ein Haus, worauf sich Experten zu Wort melden und wahlweise den Eltern, der Schule, der Kirche und der Regierung die Schuld an der Morallosigkeit der Jugend zuschieben. Nur das |Morgen-Echo| hat den Durchblick:

|»Unsinn! Unsere so genannten Experten haben wie gewöhnlich Unrecht. Das ewige Gejammer über die Lage der Welt, die ewigen Schuldzuweisungen – kein Wunder, dass unser Land im Chaos versinkt, wenn es von solchen Menschen geführt wird.
Und nun ein Wort zur Jugendkriminalität.
Es sind doch die Kinder, die das anstellen.
Also, warum weiter nach Ursachen suchen?
DIE KINDER SIND SCHULD!«| (Seite 111)

„Ich war eine Ratte“ ist ein vergnügliches, märchenhaftes Kinderbuch, das aufgrund seiner Originalität und der Spitzen gegenüber der heutigen Gesellschaft auch Erwachsenen Spaß macht. Pullmans flotter Erzählstil und der naive Humor sorgen dafür, dass keine Langeweile aufkommt und man immer wieder herzhaft lachen darf.

http://www.carlsen.de

|Siehe ergänzend dazu auch unsere Rezension von Philip Pullmans [„Graf Karlstein“. 3374 |

Villatoro, Marcos M. – Furia

Der |Knaur|-Verlag veröffentlichte im Frühjahr 2006 den Thriller [„Minos“ 2626 des amerikanischen Autors Marcos M. Villatoro und begeisterte damit die deutschen Leser. Diesen Sommer legt der Verlag nach. Allerdings ist das Buch, das in Deutschland unter dem Titel „Furia“ erscheint, nicht wie erwartet ein Folgeroman, sondern der direkte Vorgänger zu „Minos“. Als Originalausgabe erschien „Furia“ bereits vor „Minos“, was sicherlich auch in Deutschland strategisch geschickter gewesen wäre, da viele Handlungsstränge, die in „Minos“ vorkommen, hier ihren Anfang nehmen.

Romilia Chacón, die achtundzwanzigjährige Latina und alleinerziehende Mutter, ist gerade mit ihrer Mamá und ihrem Sohn nach Nashville gezogen. Bereits zu ihrem Antritt beim Mordkommissariat wird sie mit einem Toten konfrontiert. Der Journalist Diego Saénz wird erschossen aufgefunden. Der Täter lässt es so aussehen, als ob sich Saénz in selbstmörderischer Absicht das Gehirn weggeschossen hätte, doch Romilia lässt sich nicht täuschen.

Als sie am Tatort eine grüne Jadepyramide findet, wird ihr klar, dass die Sache, der sie auf der Spur ist, vielleicht ein bisschen zu groß für sie ist.
Denn die Jadepyramide war das Kennzeichen des Serienmörders Benny Bitan, den Romilias Kollege Jerry Wilson gerade dingfest gemacht hat. Was hat der tote Journalist zu bedeuten? Ist der wahre Serienmörder noch auf freiem Fuß oder hat Bitan etwa einen Nachahmer gefunden?

Im Mittelpunkt des Thrillers steht die Ich-Erzählerin Romilia Chacón, die man getrost als starke Frauenfigur bezeichnen kann. Dank ihrer Herkunft hat sie ein entsprechendes Temperament und macht sich mit ihrer Hitzköpfigkeit und ihrer Durchsetzungsfreude nicht nur Freunde in ihrem Arbeitsumfeld.

Obwohl sie dort den taffen Cop gibt, hat sie auch eine weiche Seite, die sich offenbart, wenn sie mit ihrem dreijährigen Sohn und ihrer konservativen Mutter zusammen ist. Villatoro lässt sehr viel von Romilias Privatleben in die Geschichte einfließen, wodurch die Persönlichkeit der jungen Frau sehr gut ausgelotet wird. Da sie als direkte Erzählerin fungiert, ist sie dem Leser sehr nahe und es fällt leicht, sie zu verstehen. Die geringe Distanz wird dem Roman an einigen Stellen allerdings zum Verhängnis, denn dadurch wird es schwer, Romilia auch einmal von außen zu betrachten.

Entsprechend eng verknüpft mit Romilia ist der persönliche, interessant gestaltete Schreibstil. Er zeichnet sich neben der Verwendung vieler spanischer Begriffe, die teilweise übersetzt werden oder erschlossen werden können, vor allem durch den scharfzüngigen Humor der Protagonistin aus. Ihre frechen, manchmal schlüpfrigen Bemerkungen, die sich oft auf den Machismo bei der Polizei beziehen, lockern das Buch unheimlich auf.

Trotzdem fällt auf, dass „Furia“ bei weitem nicht so solide und flüssig geschrieben ist wie „Minos“. Das Potenzial von Villatoro lässt sich zwar erkennen, aber er verzettelt sich dabei, seine Protagonistin möglichst menschlich darzustellen. Deswegen schweift er manchmal zu unwichtigen Dingen wie Romilias Liebe zu Büchern ab, vergisst dabei aber, dass ein bisschen mehr Vergangenheit der jungen Frau auch geholfen hätte.

Insgesamt ist „Furia“ einfacher gestrickt und weniger vielschichtig als „Minos“ – nicht nur in Bezug auf Schreibstil und Protagonistin. Die Handlung kann ebenfalls nicht völlig überzeugen, weil sie eindimensional abgebildet wird. Es gibt wenig Höhepunkte und einige logische Ungenauigkeiten sorgen dafür, dass die Spannungskurve recht flach verläuft. Das Ende verspricht zwar eine echte Überraschung, aber die ist ein wenig zu konventionell umgesetzt worden. Der große Showdown präsentiert sich deshalb als heimeliges Tischfeuerwerk, das nicht so ganz zünden möchte.

Es bleibt also festzuhalten, dass „Furia“ ein bisschen wie die Generalprobe von „Minos“ wirkt. Das Buch ist recht einfach gehalten, was sich negativ auf die Spannung niederschlägt, und dem Schreibstil fehlt der letzte Schliff. Romilias Persönlichkeit steckt ebenfalls noch in den Kinderschuhen, aber ihr unschlagbarer Humor und ihre ungewöhnliche Art stimmen den Leser versöhnlich.

http://www.knaur.de

Silva, Daniel – Engländer, Der

Daniel Silva, ehemaliger |CNN|-Journalist, erfreut die Leserwelt schon seit einiger Weile mit seinen Thrillern. In „Der Engländer“ steht erneut Gabriel Allon, Mitglied des israelischen Geheimdienstes und nebenberuflicher Restaurator, im Vordergrund.

Gabriel, der nach dem Bombenattentat auf Ehefrau und Kind zurückgezogen in Cornwall lebt, wird zur Restauration eines Bildes in die Villa eines Schweizer Bankiers und Kunstsammlers bestellt. Es ist klar, dass sein Auftrag mehr beinhaltet als das Bild. Auguste Rolfe hatte sich an den israelischen Geheimdienst gewandt, um diesem etwas anzuvertrauen.

Doch als Gabriel die Villa erreicht, liegt der Hausherr erschossen in seinem Salon. Die Schweizer Polizei versucht Gabriel den Mord anzuhängen, doch die Ermittlungen werden eingestellt. Gabriel entdeckt, dass einige sehr wertvolle Gemälde aus Rolfes Kunstsammlung gestohlen wurden – und dass einige dieser Bilder eine schmutzige Nazivergangenheit zeigen. Irgendjemand scheint verhindern zu wollen, dass diese Vergangenheit ans Tageslicht gerät, und schreckt auch nicht davor zurück, über Leichen zu gehen.

Anna Rolfe, die Tochter des Toten und eine weltberühmte Geigerin, gerät in tödliche Gefahr, als Gabriel sie nach den Geschäften ihres Vaters befragt. Gabriel tut alles, um sie zu beschützen, aber der Feind scheint überall zu lauern und hat es nicht nur auf Anna abgesehen …

Silva hat mit „Der Engländer“ einen überwältigenden Thriller geschrieben. Alles wird von der vielschichtigen, genial verwobenen Konstruktion des Buches getragen, die von hinten bis vorne durchdacht zu sein scheint. Dabei liefern die politischen und geheimdienstlichen Verstrickungen von vornherein einen guten Nährboden für einen spannenden Plot.

Silva nutzt dies aus, um mit einigen handwerklichen Tricks noch mehr Spannung ins Spiel zu bringen. Abrupt endende Kapitel oder handlungsrelevante, herausgeschnittene Stücke entwickeln eine unausweichliche Sogwirkung. Die Personen, die distanziert und rätselhaft dargestellt werden, scheinen alle in etwas verwickelt zu sein, so dass Silva viele verschiedene, wenn auch kurze Erzählstränge zur Verfügung stehen, die er einflechten kann.

Die Personen stellen einen weiteren, nicht zu verachtenden Spannungsfaktor dar. Zum einen sind sie, wie schon erwähnt, so dargestellt, dass sie in sich bereits einen „kleinen Thriller“ ergeben, soll heißen, dass ihre Vergangenheit und ihre Geheimnisse nur tröpfchenweise in die Geschichte einsickern. Man möchte folglich unbedingt wissen, was denn nun wirklich hinter Gabriel oder dem mysteriösen Auftragskiller steckt, den alle nur „Engländer“ nennen. Der Leser spürt ganz genau, dass beinahe alle Charaktere Dreck am Stecken haben, aber Silva hält sich damit zurück, zu viele Informationen freizugeben.

Dadurch entsteht natürlich ein sehr distanzierter Eindruck von den Personen, was in diesem Fall aber nicht negativ ins Gewicht fällt. Zum einen passt die Verschlossenheit sehr gut zu Handlung und Erzählstil und zum anderen gibt sie Silva die Möglichkeit für interessante Brüche innerhalb der Geschichte. Diese entstehen, wenn er den sonst so gefühlskalt wirkenden Protagonisten plötzlich echte Emotionen unterjubelt. Meist sind das kurze Momente der Schwäche, die man so nicht erwartet. Diese kleinen Überraschungen sorgen dafür, dass das Buch an Tiefe gewinnt und dadurch noch vielschichtiger wird, als es ohnehin schon ist.

Der Schreibstil verbindet den sorgsam konstruierten Plot und die gelungenen Charaktere mit einer nüchternen, klaren Sprache. Der Autor benutzt weder blumige Rhetorik noch trödelt er mit nutzlosen Informationen herum. Er kommt auf den Punkt, auch wenn die eine oder andere Beschreibung im Buch etwas zu genau geworden ist. Bei Landschaften oder Ortsbeschreibungen sind seine detaillierten Erklärungen definitiv ein Pluspunkt, aber dass er bei jeder Autofahrt erwähnen muss, in welchen Gang der Fahrende gerade schaltet, ist unnötig.

Das ist dann aber auch der einzige Kritikpunkt, den „Der Engländer“ zulässt. Ab und an sind die Beschreibungen des ansonsten passend kühlen Schreibstils etwas zu minutiös. Ansonsten versteht sich Daniel Silva darauf, in „Der Engländer“ einen ausgesprochen vielschichtigen und spannenden Plot zu konstruieren und entsprechend darzustellen, der dem Leser den Atem raubt.

http://www.piper-verlag.de

|Siehe ergänzend dazu Dr. Maike Keuntjes [Rezension 1930 zu „Die Loge“.|

Ani, Friedrich – Wer lebt, stirbt

Friedrich Ani gehört zu den bekanntesten deutschen Schriftstellern und ist vor allem mit seiner Krimi-Reihe um den raubeinigen Kommissar Tabor Süden, für die er viele Preise eingeheimst hat, bekannt geworden. Da die Reihe auf zehn Bände angelegt war, muss nun ein neuer Kommissar her.

Der trägt den Namen Jonas Vogel und gibt bei „Wer lebt, stirbt“ aus der Reihe „Der Seher“ sein Debüt. Der Reihentitel „Der Seher“ kommt von Vogels Spitznamen, den er bereits auf der Polizeischule erhalten hat. Dort verblüffte er mit seinem hervorragenden Orientierungssinn und seiner Fähigkeit, die Emotionen in Stimmen herauszuhören.

Eines schönen Frühlingstages wird in einer Münchner Wohnung ein toter Wachmann aufgefunden. Falk Sieger wurde erstochen, und bereits am Anfang seiner Ermittlungen muss Jonas Vogel feststellen, dass der Fall nicht so eindimensional ist wie gedacht. Siegers Kollege Jens Schulte steht von Anfang als Verdächtiger fest, nachdem die Freundin des Ermordeten ausgesagt hat, dass Schulte, mit dem sie ebenfalls ein Verhältnis hatte, einen Privatdetektiv angeheuert hatte, um Sieger zu erledigen. Der Privatdetektiv selbst leugnet, den Wachmann umgebracht zu haben, und auch Schulte behauptet, dass diese Behauptung eine Lüge ist.

Gleichzeitig stellt sich heraus, dass der Hilmar Opitz, der Rechtsanwalt von Jens Schulte, in einen weiteren Kriminalfall verwickelt ist. Seine Sekretärin und Geliebte ist verschwunden und eine Lösegeldforderung ist bereits eingegangen. Vogel glaubt, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Morden geben muss, doch bevor er dieser Spur weiter nachgehen kann, geschieht ein folgenschwerer Unfall, der ihn für sein Leben zeichnet …

Normalerweise steht der Name Ani für Qualität, doch mit „Wer lebt, der stirbt“ verlangt der Münchner Autor dem Leser einiges zu viel ab. Das zentrale Problem ist der Aufbau des Buches, der die gesamte Geschichte beeinflusst. Auf den ersten Seiten hält man die kurzen, szenenhaften Kurzkapitel noch für einen geschickten Schachzug. Sie sind sehr karg und bestehen nur aus dem Notwendigsten, sprich ein paar trockenen Beschreibungen der Situation und des Schauplatzes und den Dialogen. Dadurch entsteht ein rasantes Tempo, das den Kriminalfall angenehm nach vorne treibt.

Doch schnell wird klar, dass dieser Erzählstil ein entscheidendes Manko hat: Es fehlen verbindende und reflektierende Passagen zwischen den Kapiteln und Ereignissen. Dadurch verliert der Leser schnell den Überblick und die Geschichte rast an ihm vorbei wie ein ICE. Bei diesem halsbrecherischen Tempo und fehlenden Pausen bleibt es am Leser hängen, Zusammenhänge aus den Dialogen der Kommissare herzustellen. An und für sich ist nichts Verkehrtes daran, seine Leser fördern zu wollen, aber wenn der Plot aus voreiligen und unlogischen Schlüsse, einem nur schwerlich nachvollziehbaren Ermittlungsweg und einer haarsträubenden Auflösung besteht, wird der Leser höchstens überfordert und bleibt mit einem fragenden Gesichtsausdruck zurück.

Dieser Aufbau hat weitere Komplikationen im Schlepptau. Durch den kargen Aufbau ist von Anis hochwertigem Schreibstil nur wenig zu spüren. Dabei schimmert an einigen Stellen das Talent, das er in schon so viel Romanen bewiesen hat, durch. Der Autor wählt seine Worte sicher und treffend, konstruiert durchdachte Satzbauten und lässt erkennen, wozu er fähig ist, wenn er nicht nur auf Dialoge setzt. Das soll nicht heißen, dass die Dialoge nicht gut wären. Sie sind sehr authentisch und wirken ungekünstelt, aber gute Dialoge machen einen flüssigen Erzählstil nun mal nicht aus. Ein Ani liest sich normalerweise interessant und dicht, doch in „Wer lebt, stirbt“ stolpern die Protagonisten durch die Dialoge, und die kurzen Abschnitte machen ungestörtes Lesen so gut wie unmöglich. Die Protagonisten sind zwar mit Persönlichkeit und originellen Charakterzügen ausgestattet, aber ihnen bleibt nicht viel Platz, um sich zu entfalten. Sie bleiben dem Leser verschlossen, da Ani ihren Gedanken und Gefühlen zumeist wenig Platz einräumt, und wenn, dann an der falschen Stelle.

Während sich die Geschichte am Anfang auf die Lösung des verworrenen Falls konzentriert, gibt es ungefähr in der Mitte einen starken Bruch. Als Vogels Unfall passiert, rücken plötzlich er und seine Familie in den Vordergrund. Seitenlang wird davon erzählt, wie die Vogels mit den Unfallfolgen umgehen, und genau das ist das Problem. Während es vorher Schlag auf Schlag ging und Gedanken und Gefühle nur wenig Platz erhielten, wird das Erzähltempo plötzlich beträchtlich heruntergeschraubt. Der Autor widmet sich nur noch den Gedanken und Gefühlen, die vorher außen vor blieben, und das funktioniert nicht ohne Längen. Außerdem passt dieser „Mittelteil“ nicht zum Rest des Buches und spaltet es.

„Wer lebt, stirbt“ ist ein merkwürdiges Buch. Anfangs wirkt es wie ein rasant erzählter Krimi, dann überholt es den Leser mit seinem Tempo, um ihn schließlich auszubremsen. Auch wenn der Schreibstil Anis Talent durchschimmern lässt, bleibt der Leser in diesem Fall mit einem faden Nachgeschmack zurück. Was soll er mit diesem Buch anfangen? Den skelettartigen Aufbau als Experiment eines Genies abtun? Oder so ehrlich sein und sagen, dass das Buch zerfasert und verwirrend ist? Die Antwort auf diese Frage muss wohl jeder mit sich selbst ausmachen, aber egal wie sie ausfällt: Es gibt Besseres von Herrn Ani.

http://www.dtv.de

|Siehe ergänzend dazu unsere Rezension zu:|
[„Wie Licht schmeckt“ 3563

Janice Deaner – Als der Blues begann

Janice Deaners Debütroman „Als der Blues begann“ wurde bereits 1994 in Deutschland veröffentlicht und erhielt viel Lob. Im Sommer 2007 bringt |Rowohlt| das Buch als Neuauflage heraus, um dem geneigten Leser mit einem wunderbaren Familienroman in der heißen Jahreszeit zu erfrischen.

Die zehnjährige Maddie lebt mit ihrer älteren Schwester Elena, dem kleinen Bruder Harry und den Eltern Leo und Lana in den Siebzigern in Detroit. Leo gibt Klavierunterricht, während Lana von sich behauptet, Schriftstellerin zu sein, und den ganzen Tag in einem Sessel sitzt und in Notizbücher schreibt, die ihre Kinder nicht lesen dürfen.

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Alvtegen, Karin – Flüchtige, Die

Karin Alvtegen gehört zu den viel gelobten schwedischen Krimiautoren, auch wenn sie vielleicht nicht so bekannt ist wie die Kollegen Mankell und Nesser.

Trotzdem herrscht auch in ihrem Roman „Die Flüchtige“ ein depressiver Unterton vor, der in Schweden so verbreitet zu sein scheint wie Smörrebröd und Köttbullar. Die Protagonistin Sybilla hat auch allen Grund dazu, deprimiert zu sein. Als reiche, aber isolierte Direktorentochter in Småland aufgewachsen, ist sie mit der Volljährigkeit aufgrund ihrer psychischen Probleme des engstirnigen Elternhauses verwiesen worden und lebt seitdem in Stockholm auf der Straße. Obwohl sie obdachlos ist, gönnt sie sich einmal im Monat eine Übernachtung in einem Hotel, die sie sich von Geschäftsmännern, die sich leicht um den Finger wickeln lassen, bezahlen lässt.

Doch die Nacht im edlen Grand Hôtel kommt sie teuer zu stehen. Jörgen Grundberg, ihr Gönner des letzten Abends, wird ermordet aufgefunden, und Sybilla gerät in Verdacht. Natürlich finden sich ihre Fingerabdrücke an seinen Sachen, doch als die Polizei am Morgen an ihre Zimmertür klopft, gelingt ihr die Flucht. Zurück auf der Straße, muss sie tatenlos mit ansehen, wie ein Ritualmörder das Land und die Presse in Atem hält – und sich als sie ausgibt …

Alvtegens Buch ist kein alltäglicher Krimi. Es dreht sich um genau eine Person, und das ist Sybilla – und kein Ermittler in der Lebenskrise. Der Leser begleitet die Frau auf ihrer ruhelosen Wanderung durch die Straßen Stockholms und ihrer zaghaften Suche nach dem wirklichen Mörder. Außerdem fächert sich die gesamte Erzählung in zwei Perspektiven auf: die der gegenwärtigen, gejagten Sybilla und die des jungen Mädchens Sybilla, das mit seinem gefühlskalten Elternhaus zu kämpfen hat. Dadurch erschafft die Autorin einen sehr tiefgründigen, ausgebauten Charakter, der eine Vergangenheit und eine Gegenwart hat. Da die Vergangenheitsperspektive sehr kurz gehalten ist, entstehen auch keine großen Brüche, so dass die Geschichte trotzdem zügig vorangeht.

Die Geschichte hat durchaus ihre spannenden Momente. Insgesamt klaffen die Ritualmorde und Sybillas Schicksal recht weit auseinander, was damit zusammenhängt, dass nur aus Sybillas Sicht erzählt wird. Das ist auf der einen Seite sehr gut, weil die Geschichte dadurch tief und fesselnd wird und dem Leser die Möglichkeit gibt, sich voll und ganz auf die Hauptperson zu konzentrieren. Auf der anderen Seite wirken die Morde dadurch wie weiße Wölkchen am Horizont, die ohne Eindruck zu hinterlassen vorbeiziehen.

Wenn Alvtegen die beiden Stränge schließlich zusammenführt, bleibt die Distanz erhalten. Dadurch wirkt die Auflösung des Falles etwas abrupt und schlecht nachvollziehbar. An dieser Stelle wäre es vielleicht besser gewesen, wenn die Autorin in Bezug auf die Ritualmorde mehr Vorarbeit geleistet hätte.

Karin Alvtegen schreibt sauber, still und ohne reißerische Momente. Ihre Hauptperson geht nahezu perfekt in ihrem Schreibstil auf und zieht den Leser in das Geschehen. Das ist insofern bemerkenswert, da Alvtegen in der dritten Person schreibt und nicht in der ersten. Dennoch webt sie ein dichtes, erzählerisches Netz, das mit nüchterner Sprache und nur wenigen rhetorischen Besonderheiten aufwartet. Der Schreibstil ist genauso leise und zurückhaltend wie die Protagonistin, was sehr angenehm zu lesen ist.

Und auch wenn es der „Flüchtigen“ an einigen Stellen an Spannung mangelt, ist Karin Alvtegens Krimi, besonders was den Schreibstil und die Person angeht, ein kleines Meisterwerk geworden. Leise zwar und nicht besonders originell, aber trotzdem sehr interessant und geradezu bewundernswert dicht umgesetzt.

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Giménez-Bartlett, Alicia – süße Lied des Todes, Das

Alicia Giménez-Bartlett gehört laut ihres deutschen Verlages zu den beliebtesten Autorinnen in Spanien. In Deutschland hat sie bis jetzt nicht ganz so viel Wind aufgewirbelt – zu Unrecht, wie „Das süße Lied des Todes“ beweist.

Die emanzipierte Inspectora Petra Delicado besucht nichtsahnend die Toilette in einem Einkaufszentrum, als plötzlich eine kleine Hand über die Trennwand greift und sich ihre Handtasche nimmt. Petra sieht ein kleines Mädchen damit wegrennen, und als man die Tasche wenig später wiederfindet, fehlt ihre Dienstwaffe.

Ein weiteres Fundstück ist eine namenlose, aber sehr gut angezogene Leiche in den Straßen Barcelonas. Der Mann wurde ausgerechnet mit Petras Dienstwaffe erschossen. War es das kleine Mädchen oder hat sie die Waffe weiterverkauft? Petra ermittelt in alle Richtungen und verwickelt sich in einem Sumpf aus illegaler Immigration, Prostitution, Zwangsarbeit und Kindesmissbrauch. Dabei muss sie entdecken, dass die Welt um einige Grad kälter ist, als sie dachte …

Alicia Giménez-Bartlett bietet einen klassischen Ermittlerkrimi, der nur auf einer Perspektive basiert – der wichtigsten. Petra Delicado, manchmal etwas übereifrige Inspectora, zweifach geschieden und emanzipatorische Vorkämpferin, ist eine sehr interessante Persönlichkeit, die dem Leser sofort sympathisch ist. Ihre offene, schlagfertige Art und ihre Lebenserfahrung wirken sehr echt und zeichnen das runde, wohlschattierte Bild einer starken Frau.

Ihr Gegenstück ist Fermín Garzón, der mit ihr zusammenarbeitet. Er ist ebenso schlagfertig wie sie und zeichnet sich durch eine stoische Ruhe aus, die auch notwendig ist, um den Wirbelwind Petra zu ertragen.

Viel Charme erlangt das Buch durch die Schlagabtausche zwischen den beiden Polizisten. Mit einer guten Portion böser Ironie nehmen sie sich gegenseitig aufs Korn und sind sich für keinen Witz zu schade. Hätte die Autorin Petra Delicado nicht mit dieser guten Portion Humor ausgestattet, würde sie wie eine alte, verbitterte Jungfer wirken, doch diese Klippen hat Giménez-Bartlett wunderbar umschifft.

Beim Handlungsaufbau hätte ihr ein Lotse an der einen oder anderen Stelle sicher nicht geschadet. Sie baut den Kriminalfall, der sich hauptsächlich mit dem Schicksal von Immigranten in Spanien beschäftigt, sehr logisch mit einem Anfang und einer sauberen Lösung des Falls auf. Der Spannungsbogen dazwischen ist jedoch recht flach geworden. Es fehlt an Wendungen und Ankern, die dem Leser versteckte Hinweise geben und ihn zum Miträtseln einladen. Insgesamt liest sich das Buch etwas zu geradlinig, um wirklich spannend zu sein. Hinzu kommen ein paar voreilige Schlüsse, die zu selbstverständlich abgetan werden und empfindliche Sprünge in der Handlung offenbaren. Glücklicherweise passiert das aber so selten, dass das Lesevergnügen, welches „Das süße Lied des Todes“ bereitet, nur oberflächlich gestört wird.

Eine nette Nebenhandlung stellen die privaten Querelen im Polizeirevier dar. Das Privatleben der Polizisten, in dem auffällig oft vom Heiraten gesprochen wird, kommt nicht zu kurz, wirkt aber wesentlich leichtfüßiger als die deprimierten Gedanken mancher schwedischer Kommissare. Im Gegenteil ist das Alltagsgeschehen störungsfrei eingearbeitet und sorgt immer wieder für eine kurze Auflockerung. Einzig das überlange Ende, in dem es nur noch um das Privatleben geht, hätte gekürzt gestaltet beziehungsweise weggelassen werden können, denn normalerweise liest man keinen Krimi, um Hochzeitsbeschreibungen zu erhalten.

Um das Buch abzurunden, benutzt Giménez-Bartlett einen sehr subjektiv gefärbten, persönlichen Schreibstil, der perfekt zu Petras satter Ich-Perspektive passt. Dementsprechend versucht sie nicht, künstliche Metaphern und hochgestochene Satzstrukturen in die Gedankenwelt ihrer Protagonistin zu pressen, sondern benutzt ein einfaches, aber durchaus gebildetes Vokabular, das sich flüssig lesen lässt. Mit der Einfachheit und der sehr persönlichen Note in den Sätzen schafft sie es, den Leser zu fesseln, auch wenn ihr Schreibstil sich nicht sonderlich hervortut.

Im Großen und Ganzen ist „Das süße Lied des Todes“ eines von diesen Büchern, bei denen alles, trotz ein paar kleiner Fehlerchen, zu passen scheint. Das liegt vor allem an der starken Hauptfigur, die es schafft, dem gesamten Krimi ihren persönlichen Stempel aufzudrücken, und dadurch alles miteinander verbindet. Ebenfalls für einen positiven Eindruck sorgen der trockene Humor sowie die schlagfertigen Dialoge, die Petra Delicado mit ihrem Kollegen Fermín Garzón führt.

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Scott, Lisa – Mord unter Schwestern

Blut ist dicker als Wasser. Normalerweise. Im Fall von Bennie Rosato hat man da allerdings seine Zweifel, denn ihre eineiige Zwillingsschwester Alice, die getrennt von ihr aufgewachsen ist und die sie erst vor zwei Jahren kennen gelernt hat, macht ihr das Leben zur Hölle.

Dabei hat Bennie eigentlich schon genug Probleme. Ihre Kanzlei, die sie sich über die Jahre aufgebaut hat, bekommt die Rezession in Amerikas Wirtschaft deutlich zu spüren. Der momentan einzige Mandant eröffnet der ehrgeizigen Anwältin nach dem gewonnenen Prozess, dass er insolvent ist und sie nicht bezahlen kann.

Bennies Hoffnung, ihre Kanzlei doch noch vor dem Untergang retten zu können, wird dadurch zunichte gemacht. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ein französische Hersteller von optischen Linsen, der nach Amerika expandiert hat, engagiert sie, um eine Gruppenklage gegen einen amerikanischen Industrieverband zu führen, der das Wettbewerbsgesetz verletzt hat. Obwohl weder Bennie noch ihre Angestellten Erfahrung mit Gruppenklagen haben, erklären sie sich dazu bereit, Robert St. Amien zu unterstützen.

Zur gleichen Zeit taucht Bennies kriminelle Zwillingsschwester Alice wieder in Philadelphia auf und versucht alles, um ihre Schwester in Verlegenheit zu bringen. Sie kleidet sich wie sie, stürzt in einer Bar ab, klaut ein paar teure Diamantenohrringe und versucht Bennies Hund zu töten. Sie will den Ruf ihrer Schwester zerstören, was ihr auch beinahe gelingt.

Doch dann wird Bennies Aufmerksamkeit von einem ganz anderen Problem gefesselt: Robert St. Amien, die Rettung ihrer Kanzlei, wird auf offener Straße erstochen. Während die Polizei an einen Touristenmord glaubt, wie er vor kurzem schon einmal passiert ist, ist Bennie fest davon überzeugt, dass die Anwälte und andere Kläger der Gruppenklage ebenfalls einen Grund gehabt hätten, St. Amien zu beseitigen. Sie beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und bringt sich dabei in tödliche Gefahr …

„Mord unter Schwestern“ fühlt sich anfangs an wie ein amerikanischer Gerichtsthriller, letztendlich dreht sich die Geschichte aber um Bennies Leben, ihre Kanzlei und den Mord an St. Amien. Scott schafft es dabei, eine starke Sogwirkung zu entfalten, indem sie die teilweise rätselhaften Ereignisse, welche die Spannung noch steigern, schnell aufeinander folgen und von einer sympathischen, erfrischend unkonventionellen Erzählerin zusammenhalten lässt.

Bennie, die Erzählerin, schreibt allerdings nicht aus der Ich-Perspektive, sondern aus der dritten Person. Die Autorin schafft es trotzdem, die Anwältin so lesernah wirken zu lassen wie aus der Ich-Perspektive erzählt, was auf jeden Fall von Vorteil ist. Ebenfalls sehr vorteilhaft sind die witzigen, teilweise selbstironischen Bemerkungen, die immer wieder in den Text einfließen und Scotts Schreibstil prägen.

|“Bennie war wie betäubt. Sie konnte nicht rechnen, weil das Blut so laut in ihren Ohren rauschte. Allerdings konnte sie auch nicht rechnen, wenn kein Blut in ihren Ohren rauschte.“| (Seite 29)

Die Autorin stellt ihre sympathische Protagonistin gerne durch derartige Bemerkungen bloß, was Bennie Rosato unperfekt und dadurch authentisch wirken lässt – was bei amerikanischen Krimis und Thrillern ja nicht immer an der Tagesordnung ist.

Doch nicht nur anhand von Bennie schafft es die Autorin, die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln. Die Handlung erweist sich als vielschichtiger Plot, der nie zerfasert, sondern Spannung aus allen möglichen Ecken bezieht. Neben dem Mordfall sind da noch die zufälligen Verstrickungen, in die Bennie dank ihrer Zwillingsschwester gelangt, und die Angst um die Kanzlei. Dadurch, dass immer wieder ein Hoffnungsschimmer auftaucht, der dann wieder zerfasert wird, fiebert der Leser bis zum Ende mit. Gleiches gilt für die rechtlichen Auseinandersetzungen, die Scott kurzweilig und interessant gestaltet, so dass auch ein Laie versteht, was vor sich geht.

Eigentlich ist bei „Mord unter Schwestern“ alles in Ordnung. Kurzweilig, spannend, packend ist das Buch, doch das dicke Ende kommt erst noch. Dann nämlich reimt sich Lisa Scott eine absolut unbefriedigende, da an den Haaren herbeigezogene Lösung des Mordfalls zusammen, der ein überzogener und unlogischer Showdown vorausgeht.

Wieso ist die Lösung unbefriedigend? Der wirkliche Täter ist einfach zu überraschend. Bennie, die mit ihren Angestellten wider die Belehrung von Detective Needleman auf eigene Faust ermittelt, findet schnell ihren Kreis von Verdächtigen, doch der eigentliche Täter war darin (natürlich) nicht vorgesehen. Dummerweise legt die Autorin auch keinerlei Spuren im Vorfeld, die sanft in dessen Richtung zeigen. Dadurch wirkt das Ende sehr überraschend und, wie bereits erwähnt, nicht gerade logisch.

Wenn Scott vorher nicht 380 Seiten packende Literatur abgeliefert hätte, wäre es um dieses Buch geschehen. Obwohl die Protagonistin und der mit ihr eng verknüpfte, humorgeprägte und genaue, aber nicht ausschweifende Schreibstil mehr als gefallen, sorgt das Ende der spannenden Handlung für einiges Stirnrunzeln. „Mord unter Schwestern“ schwächelt auf den letzten dreißig Seiten, und das ist traurig, denn sonst wäre das Buch eine Empfehlung cum laude gewesen.

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Bargen, Ascan von – Lilienblut

Als „Ein blutiger Vampirroman“ kündigt der |Ubooks|-Verlag „Lilienblut“ von Ascan von Bargen auf der Buchrückseite an, was natürlich so gar nicht zu dem doch eher lieblichen Titel passen möchte.

Im Prolog wird man allerdings eines Besseren belehrt. Bereits hier wird das Blut eines jungen Mädchens vergossen, auch wenn der Zusammenhang zum eigentlichen Geschehen an dieser Stelle noch etwas unklar ist.

Protagonist ist der Arzt Joaquin Ferrier, der in den Pariser Kreisen im Jahr 1894 sehr beliebt ist. Eines Tages ruft man ihn zu einem jungen Mädchen, das an einer mysteriösen Krankheit leidet. Als er die Bettdecke zurückschlägt, entdeckt er etwas, das weit davon entfernt ist, eine einfache Erkrankung zu sein. Justines Körper scheint um Jahre gealtert zu sein, einer Mumie ähnlich. Der Arzt kann nichts mehr für sie tun, sie stirbt ihm unter den Händen weg, während sie den Namen „Margot“ flüstert. Bei der Autopsie stellt er fest, dass sie keinen einzigen Tropfen Blut mehr in ihrem Körper hat.

Zur gleichen Zeit wird Joaquin von der Verlobten seines guten Freundes Frédéric Moreaus zu einem kleinen Fest eingeladen. Moreau hütet ein düsteres Geheimnis, doch auch seine bildhübsche Verlobte Christine scheint nicht die zu sein, die sie vorgibt zu sein. Wenig später kommt eine weitere junge Frau zu Tode …

Ascan von Bargen hat seine Geschichte dieses Mal ins späte neunzehnte Jahrhundert in Paris angesiedelt und lässt anhand detailgetreuer Beschreibungen diese Epoche vor dem inneren Auge des Lesers aufleben.

Er erzählt seine Geschichte flott und ohne Längen. Der Aufbau ist klar und sauber und anders als bei [„Die Legenden des Abendsterns“ 3780 weit weniger prall angefüllt mit Details. Diese Abmagerungskur tut „Lilienblut“ sehr gut, denn nun gibt es keine Beschreibungen mehr, die vom eigentlichen Geschehen ablenken. Der Plot hat genug Platz, um sich über das ganze Buch zu entfalten, und weist die eine oder andere überraschende Wendung auf. An einigen Stellen treibt von Bargen ein kleines Verwirrspiel mit dem Leser, in dem er ihn glauben lässt, er wüsste alles, doch letztendlich ist dem nicht so.

Das wird an dem unerwarteten Ende deutlich. Schon während der Lektüre hat man etwas Derartiges geahnt, doch von Bargen setzt die Ahnung des Lesers in eine Dimension, mit der er nicht rechnen konnte. Dadurch entsteht ein letzter Schub Spannung und Überraschung, der „Lilienblut“ zu einem fulminanten Abschluss bringt.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Joaquin Ferrier, der den tragischen Helden mimt. Er lebt zurückgezogen, denn nach einem längeren Afrikaaufenthalt hat er eine mysteriöse Krankheit in sich, die ihn immer wieder einholt. Er ist ein Einzelgänger und einem Verbrechen auf der Spur. Ab und zu setzt der Autor auch andere Perspektiven ein, aber er konzentriert sich hauptsächlich auf den Arzt, dessen Charakter er dementsprechend differenziert darstellt.

Von Bargens Schreibstil profitiert davon, dass der Autor sein Buch dieses Mal etwas einfacher gehalten hat. Dadurch können sich die klar strukturierten, oft mit nostalgischem Vokabular versehenen Sätze besser entfalten und den Charme der Geschichte tragen.

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