Alle Beiträge von Maren Strauss

Hornby, Nick – A Long Way Down

Nick Hornby, der Autor mit Vorliebe für Listen und gute Musik, hat mit „A Long Way Down“ den literarischen Soundtrack für Silvester geschrieben.

Vier Menschen treffen sich an Silvester auf dem Dach des Topper’s House, das dank seiner Höhe ein beliebter Ort für Selbstmorde ist. Die vier sind fest entschlossen, sich umzubringen. Martin, ein bekannter Fernsehmoderator aus dem Frühstücksfernsehen, hat sein Leben in den Sand gesetzt, nachdem er mit einer Minderjährigen geschlafen hat und deshalb ins Gefängnis musste. Seine Frau hat ihn verlassen, mit seiner Freundin funktioniert es nicht so, wie es sollte, und seine Karriere findet momentan beim heruntergekommensten Kabelsender Englands statt. Maureen ist das klassische Hausfrauenmauerblümchen und hat aus ihrem Leben nichts gemacht – konnte nicht, denn die Sorge um ihren schwerbehinderten Sohn Matty, den sie ganz alleine pflegt, hat sie ans Haus gefesselt. Die siebzehnjährige Jess dagegen hat andere Probleme. Seit ihr Freund Chas sich aus dem Staub gemacht hat, wird sie ihres Lebens nicht mehr glücklich. Nicht, dass sie das vorher jemals war, seit ihre Schwester Jen vor Jahren einfach verschwunden ist und sie in ihrem versnobten Elternhaus, immerhin ist ihr Vater der Erziehungsminister, alleine gelassen hat. Jess widmet sich in ihrer Freizeit neben dem Versuch, Chas zu finden und ihn zu verprügeln, vor allem Drogen, Alkohol und ihrer aggressiven und direkten Art, mit der sie Leute gerne vor den Kopf stößt.
Der vierte im Bunde ist JJ, ein gescheiterter Rockmusiker, der wegen eines Mädchens von Amerika nach England gezogen ist. Nun ist nicht nur seine Band kaputt, sondern auch seine Beziehung und er weiß nicht so recht, wie er nun weitermachen soll. Für immer Pizza ausfahren? Oder dann doch lieber vom Dach springen?

Nun treffen sich unsere vier Helden in besagter Nacht auf diesem Dach, und anstatt zu springen, essen sie die Pizza, die JJ eigentlich hätte ausfahren sollen, und reden. Sie erzählen sich ihre Probleme, und als Jess zu Chas kommt, beschließen sie, den Jungen zu suchen und ihn zu einer Aussprache mit Jess zu zwingen.

Was harmlos anfängt, endet nicht nur damit, dass sie in allen Zeitungen sind dank Martins Bekanntheitsgrad und Jess‘ Vater, sondern auch beschließen, den Selbstmord bis zum Valentinstag hinauszuzögern und sich währenddessen regelmäßig zu treffen. Allmählich entsteht so etwas wie eine Freundschaft zwischen den vier unterschiedlichen Persönlichkeiten und am Ende kommt sowieso alles anders …

Dieses Buch ist durch und durch ein Hornby. Schräge Gestalten, die doch irgendwie normal sind, und ein tiefgründiger, humorvoller Schreibstil. Eine Handlung, die nicht wirklich eine ist, und trotzdem kann man das Buch nicht zur Seite legen.

Der englische Kultautor hat es geschafft, vier abwechselnd aus der Ich-Perspektive berichtende Charaktere zu schaffen, die sich voneinander unterscheiden und authentisch wirken. Gerade Ersteres kann sehr schwierig sein, da vier Perspektiven verhältnismäßig viele sind und es aufgrund der sparsamen Handlung notwendig ist, jeden Charakter bis in die Haarspitzen zu durchdenken und das Durchdachte wiederzugeben. Hornby umschifft diese gefährlichen Klippen vorbildlich, indem er aus dem Vollen schöpft. Verschiedene Altersgruppen, verschiedene Einkommensschichten, Lebensläufe – nur eines haben sie gemeinsam: Sie sind verzweifelt und kommen in ihrem Leben nicht mehr weiter.

Das wird unglaublich anschaulich in den einzelnen Perspektiven beschrieben, wobei wir hier natürlich auf den typischen Hornbyschreibstil stoßen, in dem sich jeder, der schon mal etwas von diesem Autor gelesen hat, sofort zuhause fühlt. Spritzig, sehr persönlich und prall gefüllt mit allerlei sinnlosen bis verschrobenen Überlegungen über Leben und Leute, erzählt Hornby von den vier Helden, die auszogen, um zu sterben. Es ist ihm dabei hoch anzurechnen, dass man selbst ohne die Angaben der Namen in den Überschriften sofort erkennen würde, welche Person gerade spricht, denn er verpasst jeder einen sehr eigenen Schreibstil. Maureen ist aufgrund ihres Alters eher etwas distanziert und konservativ, Martin legt einen gewissen Zynismus an den Tag, JJ ist ein lieber Kerl und Jess ist ein schwerpubertierendes Mädchen, dem dementsprechende Gedanken durch den Kopf gehen.

Mal abgesehen davon, dass diese Überlegungen auf die Dauer etwas ermüdend sein können – vor allem in Verbindung mit der spannungsarmen Handlung -, hat Hornby hier wirklich Großes geschaffen, denn ein Buch mit einem solchen Aufbau und noch dazu mit fast 400 Seiten ist nicht einfach zu schreiben.

Was man vielleicht als Einziges wirklich bemängeln kann, ist die fehlende Handlung. Im ganzen Buch geht es nur um die aufkeimende Freundschaft der vier und die Höhen und Tiefen dieser Verbindung. Selbst die Frage, ob man sich nun umbringen soll oder nicht, rückt in den Hintergrund.

Ansonsten ist Nick Hornby aber ein unterhaltsames Buch gelungen, das vor allem in Bezug auf seine Charaktere und den Schreibstil sehr gefällt.

http://www.knaur.de

Brandon, Guy – Gwen Stefani

Warum hat eigentlich noch niemand einen Film über Gwen Stefani gedreht? Ihr Leben gibt immerhin allen Anlass dazu, wie uns nach dem Konsum von Guy Brandons Biografie zu der ewig jungen Dame bewusst wird.

Geboren und aufgewachsen im eher langweiligen Orange County, begann sie ihre Karriere als Backgroundsängerin in der Ska-Band ihres Bruders. Nach dem Selbstmord des eigentlichen Sängers von „No Doubt“ avancierte das eigentlich schüchterne Mädchen zur Leadsängerin. Damals hätte vermutlich noch niemand geahnt, dass Gwen nach einigen Jahren eine der großen Frauen im Musikgeschäft sein würde. Mit „No Doubt“ feierte sie Riesenerfolge, aber erst mit ihrer Solokarriere, dem Album „L.A.M.B.“ und der gleichnamigen Modekollektion konnte sie sich wirklich etablieren.

Die Dame, die heuer 37 Jahre alt geworden ist, bietet also genug Stoff für eine Biografie, auch wenn sie in den Klatschblattspalten des Planeten eher selten zu finden ist. Guy Brandon hat sich in einem reich bebilderten Hochglanzbändchen dieser Aufgabe angenommen und erzählt vom Aufstieg der platinblonden Sängerin.

Er handelt ihre Kindheit und Jugend dabei leider sehr kurz ab, um danach gleich zu „No Doubt“ überzugehen. Das Buch ist chronologisch aufgebaut und erzählt nicht nur den musikalischen, sondern auch den privaten Werdegang Stefanis, sprich von ihren beiden Beziehungen. Ob das in dem Maße, wie es geschehen ist, nötig war (die genaue Beschreibung ihrer Hochzeit mit Bush-Sänger Gavin Rossdale zum Beispiel), ist fraglich. Was aber auf jeden Fall nötig gewesen wäre, ist ein wenig mehr Tiefe an mancher Stelle.

Aspekte von Stefanis Leben werden extrem kurz abgehandelt, obwohl sie eigentlich einer Erklärung bedürften. Zum Beispiel wird im Text erwähnt, dass die zierliche Sängerin hin und wieder depressiv war und sie ihre Gefühle schließlich in Songtexten verarbeitete. Leider bleibt es zumeist bei dem eindimensionalen Wort „Depression“. Wie sie diese wirklich überwand, was die tieferen Beweggründe dazu waren und wie sie damit umging, bleibt außen vor. Nun kann man natürlich nicht von jedem Star erwarten, dass er seinen Fans all seine kleinen psychischen Problemchen präsentiert, aber in einem solchen Fall hätte der Autor der Biografie lieber etwas aufmerksamer sein sollen. Stellenweise beschleicht den Leser der Verdacht, dass es sich mehr um eine zeitliche Aufzählung der einzelnen Depressionen handelt – Stefanis Persönlichkeit bleibt dabei im Hintergrund.

Doch das passiert nicht nur an diesen Stellen. Insgesamt lässt das Buch ein wenig an Tiefgang missen. Der Schreibstil wirkt so glänzend wie die bunten Seiten mit den tausend neueren Fotos der Sängerin. Manchmal ein wenig verklärend, gegen Ende, wenn es um die Solokarriere Stefanis geht, aber vor allem zu wenig kritisch. Brandon bezieht dabei keine Stellung, sondern bezieht sich dabei auf das, was alte Fans von Gwens Achtziger-Jahre-Solo-Pop angeblich halten. Denn das ist einer der größten Fehltritte des Buches. Eine Menge Zitate, aber kaum anständige Belege.

Hätte diese Biografie einen fachliterarischen Anspruch, wäre dieser Fehltritt ihr Genickschuss. Da es sich hier aber eindeutig um Unterhaltungsliteratur handelt, ist es vielleicht nicht zu verzeihen, aber naserümpfend zu akzeptieren. Brandon nimmt sich dadurch jedenfalls selbst die Möglichkeiten, wirklich ernst genommen zu werden. Hinzu kommen der anfangs verklärende Schreibstil und die stellenweise Informationslosigkeit des Buches. Brandon schmeißt mit Fakten um sich, verpasst es jedoch, sie in einen flüssigen Gesamtzusammenhang einzubringen und unterbricht sie mit einer Menge Trivialem, das nicht wirklich interessant ist. Auf Seite 14 erwähnt er zum Beispiel, dass sie in jungen Jahren Ballettunterricht nahm und ihr im Kopf blieb, dass sie während des Unterrichts in die Hose machte. Informationsgehalt gleich null, Interesse des Lesers ebenfalls gleich null.

Guy Brandons Buch ist sicherlich ein netter Rundumschlag, wenn es um das Leben der quirligen Gwen Stefani geht. Man erfährt alle Fakten und ein paar nette Randgeschichten, aber das war es dann auch schon. Richtige Fans werden vermutlich sowieso schon alles wissen, was in dem Buch steht. Wer jedoch einen unterhaltsam geschriebenen Einstieg in das Leben der Stilikone haben möchte, der wird mit Guy Brandons Biografie zufrieden sein.

[Infoseite des Verlags]http://www.schwarzkopf-schwarzkopf.de/vorschau/gwenstefani.html

Cooper, T – Lipshitz

So modern können Familiensagas sein: T Cooper schafft es in seinem Buch tatsächlich, einen Bogen von Charles Lindbergh zu Eminem zu schlagen. Sappalott! Wie macht er das?

Es beginnt damit, dass die jüdische Familie Lipshitz 1907 aus Russland nach Amerika auswandert und bei ihrer Ankunft auf Ellis Island den jüngsten Sohn Ruben verliert. Ruben, obwohl jüdischer Herkunft, ist ein Bengel mit blonden Locken, der eigentlich auffallen müsste, aber er bleibt verschwunden. Seine Familie beschließt, ohne ihn in den Süden zu ziehen, wo bereits der Bruder von Ehefrau Esther auf die Familie wartet.

Allmählich lebt sich die Familie in Amerika ein, auch wenn es ihr schwer fällt und Vater Ben sich mit vielen dreckigen Jobs herumschlagen muss. Trotzdem kann Esther Ruben nicht vergessen und fühlt sich schuldig für sein Verschwinden. Als sie eines Tages einen Bericht über Charles Lindbergh und seinen gewagten Flug über den Atlantik liest, steht für sie fest: Charles ist ihr verschwundener Ruben. Er sieht genauso aus und ist genauso alt. Sie probiert, Kontakt mit ihm aufzunehmen und wird den Rest ihres Lebens damit verbringen, Zeitungsausschnitte über Charles zu sammeln und ihm hinterherzuschmachten.

Dann passiert ein Zeitsprung und wir befinden uns im Jahr 2002. Der letzte Spross der Lipshitz, T Cooper, hat nur wenig Kontakt zu seiner Familie und verdient sein Geld in New York, indem er auf Bar-Mizwas als Eminem-Double auftritt. Eines Tages erreicht ihn die Nachricht, dass seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, und er muss zurück nach Amarillo, wo sich das Leben der Familie Lipshitz abgespielt hat …

Wissen wir noch alle, was eine Familiensaga wirklich ausmacht? Nun gut, wiederholen wir das lieber noch mal.

Wir haben ein Familiengeflecht namens Lipshitz, in dem jede Person ihren Platz hat und die meisten sogar ihr Kissen mitgebracht haben. Denn das muss man Cooper lassen. Er schafft es, seine Charaktere entspannt zwischen „recht normal“ und „leicht schräg“ zu balancieren. Esther zum Beispiel. Zuerst die treusorgende Familienmutter, bis ihr Wahn um Charles Lindbergh immer abstruser wird.

Zudem ist es sehr erfrischend, dass die Juden einmal nicht brav und Opfer der Geschichte sind, sondern wie ganz normale Menschen dargestellt werden. Das verleiht dem Buch eine erdige Authentizität.

Trotzdem vermisst man auf weiten Strecken Motive und Begründungen für bestimmte Verhaltensweisen, was leichte Fragezeichen in die Augen des Lesers zaubert. Zauber ist überhaupt das Stichwort, denn selbigen vermissen wir. Während es Familiensagas gibt, deren Inhalt zwar trocken ist, die man aber trotzdem nicht zur Seite legen kann, wirkt „Lipshitz“ oft entbehrlich. Das Buch entwickelt einfach nicht jenen Zauber, dieses den Leser umgarnende Netz aus alten Geschichten, das man oft in Büchern dieses Genres findet.

Zu diesem mittelprächtigen Ergebnis trägt auch der Schreibstil bei, der auf weiten Strecken nicht viel zu sagen hat. Es fehlt, vor allem im ersten Teil des Buches, an Einzigartigkeit. Ab und an schimmert ein wenig Humor durch, doch diese Stellen sind rar gesät, und so hinterlassen die ersten Jahrzehnte nur wenig Eindruck.

Wie auch? Nachdem man die ersten Jahre der Lipshitz‘ in Amarillo ausführlich behandelt hat, werden weitere Jahre in den Zeitraffer gestopft, was den Aufbau der Handlung aus dem Gleichgewicht bringt.

Was dann letztendlich für einen totalen Bruch sorgt, soll vermutlich auch einer sein. Wir machen einen riesigen Zeitsprung ins Jahr 2002 und statt der gewohnten, allgemeinen Perspektive erzählt T Cooper (Zitat: „Nicht ein Fitzel ist wahr, auch wenn einige Vorfälle stimmen, und andere auch, obwohl ich sie erfunden habe.“) aus der Ich-Perspektive in einem gänzlich anderen Schreibstil. Frech, sehr jung, kein Stück Familiensaga-mäßig und mit vielen (expliziten) Eminemzitaten angereichert, beschreibt der Autor die Reise seines literarischen Pendants nach Amarillo und den Scherbenhaufen Lipshitz, den er da vorfindet.

Nun, dieser zuerst verwirrend wirkende Schachzug einer totalen Zweiteilung des Buches sei ihm gegönnt, denn er tut dem Roman gut. Dumm nur, dass das bedeutet, dass der zweite, wesentlich kürzere Teil des Buches wesentlich besser erzählt und schöner geschrieben ist als der Rest. Ist das eine neue Form der Schizophrenie?

Im Großen und Ganzen hat Cooper einen Roman abgeliefert, der aufgrund seines Aufbaus aus dem Rahmen fällt, sich aber auf weiten Strecken eben an jene vorgegebene Rahmenmuster hält und sie manchmal noch nicht mal erfüllt. Trotzdem ist das Buch lesenswert, denn der letzte Teil und an manchen Stellen, nämlich dort, wo der Humor durchschimmert, auch der erste Teil sorgen für einige glänzende Momente.

http://www.marebuch.de

Klönne, Gisa – Unter dem Eis

Nach ihrem hochgelobten Debüt [„Der Wald ist Schweigen“ 1879 veröffentlicht Gisa Klönne mit „Unter dem Eis“ ihren zweiten Kriminalroman.

Auch dieses Mal begegnen wir der Kölner Hauptkommissarin Judith Krieger, der Frau mit den roten Locken, den selbstgedrehten Zigaretten und dem leichten Retrotick. Allerdings steht sie nicht wirklich im Vordergrund des Falls, bei dem im Hochsommer ein Junge mit seinem Rauhhaardackel einfach so verschwindet. Sie ist gerade damit beschäftigt, ihren Urlaub in Kanada zu verbringen – aber nicht, um Waschbären bei der Arbeit zu beobachten, sondern um das Verschwinden einer ehemaligen Klassenkameradin aufzuklären. Dabei gerät sie selbst in Gefahr, denn der Mann, auf den sie sich in dem kleinen Kaff Cozy Harbour einlässt, scheint nicht unbeteiligt am Verschwinden Charlottes zu sein.

Gleichzeitig erlebt Köln den heißesten Sommer seit langem, und Manni Korzilius, der nach dem letzten Einsatz mit Judith Krieger zur Fahndung zurückversetzt wurde, wird von seinem Chef zu einem Fall hinzugezogen, bei dem der vierzehnjährige Jonathan zusammen mit seinem Dackel Dr. D aus einem Indianercamp verschwunden ist. Es gibt verschiedene Ansätze, was passiert sein könnte, aber vor allem steht Jonnys Stiefvater Frank Stadler unter Verdacht. Dieser Verdacht erhärtet sich, als Dr. D gequält und getötet gefunden wird, denn Frank hat den Dackel immer gehasst.

Gleichzeitig benehmen sich aber auch einige andere Menschen im Umfeld dieses Verbrechens sehr merkwürdig, doch erst, als Judith Krieger zurückkehrt, entdecken sie, dass es hier nicht nur um einen verschwundenen Jungen geht, sondern um etwas viel Größeres …

Es muss schon an irgendetwas liegen, dass man nach der Mitte des Buches selbiges erschrocken zuschlägt, mit einem überraschten Blick auf die Uhr feststellt, wie schnell der Nachmittag doch umgegangen ist, und dann wundert man sich erneut, wenn man sieht, wie weit man gekommen ist. Und dann denkt man sich: Ein Kapitel geht noch …

„Unter dem Eis“ ist ein Pageturner erster Güte. Dabei ist das Buch an und für sich nicht besonders auffällig. Seine Thematik ist nicht neu, ein Ermittlergespann aus Männlein und Weiblein auch nicht, und dass jemand sterben wird, war von vornherein klar. Wie schafft Klönne es also, den Leser derartig zu fesseln?

Der Aufbau des Buches trägt dazu bei, dass das Seitenblättern unglaublich viel Spaß macht. Eine Fülle von Perspektiven, die zumeist nicht besonders lang ausgeführt sind, schüren den Hunger auf mehr. Man kann gar nicht anders, als eine Perspektive nach der anderen in sich aufzunehmen, denn man möchte unbedingt wissen, wie es an dieser oder einer anderen Stelle weitergeht. Insgesamt fügen sich all diese Perspektiven zu einer stringenten, spannenden Story zusammenfügen, die das übliche Krimischema meidet.

Hand in Hand mit den spannenden Perspektivabschnitten und ihrer sauberen Ausarbeitung in Bezug auf Gedanken, Gefühle und äußere Details gehen die Charaktere. Sie überzeugen durch Authentizität und ihre sorgfältige Gestaltung.

Besonders gut gelingen Klönne die Kommissare Krieger und Korzilius. Abseits jeglicher Klischees präsentiert sie uns zwei Menschen wie du und ich. Unauffällig und natürlich wirkt Judith Krieger, auch wenn sie immer wieder als Superermittlerin bezeichnet wird. Allerdings prahlt sie nicht mit dieser Eigenschaft, was sie sehr sympathisch macht, genau wie ihre leichte Unaufgeräumtheit und ihre beständigen Gedanken an die Vergangenheit und ihr eigenes Versagen in gewissen Situationen.

Korzilius dagegen, gutaussehend, um die dreißig und trotzdem mit nur mäßigem Erfolg bei den Frauen, muss sich weniger mit der Vergangenheit als mit der Gegenwart auseinandersetzen. Während er, der immer noch an der Versetzung zur Fahndung knabbert, den Mörder von Jonny jagt, muss er sich auch noch mit seinen Eltern herumschlagen. Der Vater, der mit der Berufswahl des Sohnes nie einverstanden war, liegt im Sterben. Doch Manni kann sich nicht dazu durchringen, sich mit seinem Vater, der einst die Familie mit Schlägen tyrannisierte, auf dem Totenbett zu versöhnen und schiebt lieber ständig seine Arbeit als Ausrede vor.

Neben dem Handlungsaufbau und den Personen ist noch eine dritte Komponente daran beteiligt, dass „Unter dem Eis“ so ein Genuss geworden ist: Klönnes Schreibstil. Er ist ebenso unauffällig und ruhig, wie ihre Charaktere oder die Handlung es sind, und gerade dadurch gewinnt er dermaßen an Fahrt. Klönne kocht auch nur mit Wasser. Sie reiht Satz an Satz, ohne großartig auf rhetorische Mittel zurückzugreifen, doch ihre Wortwahl und ihr ganzes Ambiente sind so gelungen, dass die erwähnten positiven Effekte auftreten.

Gibt es denn auch negative Punkte an diesem Überwerk?, fragt man sich. Tja nun. Tatsache ist, dass Klönne definitiv auf sehr hohem Niveau schreibt. Dies zu toppen, fällt schwer, doch wer immer auf der Jagd nach Innovation ist, wird enttäuscht, denn viel Neues hat die Autorin nicht zu bieten. Dafür aber sehr viel Gutes. Und das ist heutzutage schwer genug zu finden.

Bleibt als Fazit also: ein Pageturner erster Güte.

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Hacker, Katharina – Habenichtse, Die

Katharina Hacker hat dieses Jahr den Deutschen Buchpreis für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres für ihr Buch „Die Habenichtse“ erhalten. Das ist natürlich eine große Ehre, aber trägt die gebürtige Frankfurterin diesen Titel zu Recht?

Jakob hat Isabelle nie vergessen. Er hat nur einen Abend mit ihr verbracht, doch die junge, lebenslustige Frau hat sich in seinem Kopf und seinem Herzen festgebissen. Am 11. September 2001, als in New York die Türme zusammenbrechen, sehen sie sich wieder und nach einer kurzen Romanze heiraten sie und ziehen nach London, wo Jakob einen Job in einer Anwaltskanzlei angeboten bekommt.

Während er immer mehr Zeit im Büro verbringt, fasziniert von seinem neuen Chef, hat Isabelle, die als Grafikerin von zu Hause aus arbeitet, genug Zeit, um durch die Stadt zu streifen oder ihre Nachbarn zu beobachten. Da wären zum Beispiel der Dealer Jim, der in den Fängen seines Auftraggebers steckt und seiner Liebe Mae, der Isabelle ähnlich sieht, hinterherweint, und die Leute, die Wand an Wand mit Isabelle und Jakob wohnen. Was hat das Gepolter auf der anderen Seite zu bedeuten?

Der Leser weiß es längst, denn neben den Perspektiven von Isabelle, Jakob und Jim erfahren wir auch etwas aus dem Leben der kleinen Sara, die nach den Worten ihres Vaters zurückgeblieben ist und nicht wachsen will. Deshalb darf sie nicht in die Schule und muss die Quälereien ihres Vaters aushalten. Einzig ihr großer Bruder Dave kümmert sich um sie, doch Dave verschwindet und sucht Unterschlupf bei Jim …

Wenn man nach der letzten Seite von „Die Habenichtse“ gefragt werden würde, was denn nun im Buch passiert sei, würde man vermutlich erst mal eine Weile überlegen müssen. Die Stärken des Romans liegen eindeutig in einem anderen Bereich und es ist ebendieser, der das Buch wirklich auszeichnet.

Hacker hat ein unglaubliches Gespür dafür, wie sie Worte so platziert, dass sie ein kleines Universum bilden, in dem sich sowohl Protagonisten als auch Leser austoben können. Mit einer akribischen Detailiertheit, die aber nicht zu kleinteilig wirkt, und einem sicheren, reichhaltigen Stil erzählt sie in einem ruhigen Fluss aus dem Alltag ihrer Hauptpersonen. Dazu benutzt sie geradezu inflationär Bandwurmsätze, verkleidet als Reihungen, die sehr schön bildhaft darstellen, wie es im Leben der Protagonisten aussieht.

Unterfüttert wird dieser durchkomponierte, trockene Stil von weiteren Elementen wie Personifikationen oder treffenden Metaphern wie auf Seite 257:

|“Ich bin glücklich, wollte Jakob sagen, aber der Satz war wie ein Holzpüppchen, das man behutsam aufstellte und das sich doch nur einen Augenblick hielt, bevor es umkippte. Nicht schlimm, dachte Jakob, man kann es im Gleichgewicht halten, muß nur ganz leicht nachhelfen, mit einem Finger.“|

Auf den ersten Seiten hat man noch das Gefühl, die übliche junge deutsche Literatur vor sich zu haben, mit einem flappsigen Schreibstil und einer kühlen Distanz zu den Personen, aus deren Sicht erzählt wird, während man gleichzeitig schonungslos ihre Gedanken und Gefühle offenlegt. Hacker geht aber weit hinaus über diese Mode, indem sie „Die Habenichtse“ mit einer gewissen Reife ausstattet und das Buch ohne großartige Durchhänger auf über 300 Seiten bringt.

Doch innerhalb dieser über 300 Seiten bleibt ein Manko, das auch der Schreibstil nicht so einfach kaschieren kann: die Handlung und stellenweise auch die Handlungsmotive. Während die Protagonisten an und für sich wunderbar ausgearbeitet sind, mit einer Vergangenheit, mit Dingen aus ihrer Vergangenheit, die sie nicht vergessen können, und einer intensiv erlebten Gegenwart, bleiben einige ihrer Verhaltensweisen arg im Dunkeln. Gerade Jim, der Dealer, tut sich hier negativ hervor. Er ist natürlich ohnehin eine zwielichtige Figur, aber da wir innerhalb seiner Perspektive sehr viel über ihn erfahren, sollten wir eigentlich auch erzählt bekommen, wieso er Isabelle letztendlich so behandelt, wie er sie behandelt. Das lässt sich nämlich leider nicht völlig frei erschließen.

Gleichzeitig fehlt es dem Buch handlungstechnisch an Schwung. Zuerst hofft man noch, dass vielleicht in der Mitte des Buches endlich etwas Handfestes passiert, gegen Ende hat man die Hoffnung beinahe aufgegeben, wenn dann letztendlich die einzelnen Perspektiven zusammenfließen und klar werden sollte, warum dies so ist. Leider geschieht das nicht und es bleibt ein taubes Gefühl zurück. Was ist jetzt noch mal genau passiert? Und warum ist es passiert? Diese Fragen bereiten Schwierigkeiten.

Aber ganz ehrlich: Wer will solche lästigen Fragen schon beantworten, wenn der Schreibstil so wundervoll ist und mit seiner ruhigen und bildhaften Art das Auseinanderleben des Traumpaars Isabelle und Jakob so schön beschreibt? Nun, eigentlich sollte die Autorin diese Frage zwischen den beiden Buchdeckeln beantworten. Da dies nur unzureichend geschehen ist, kommt es an den sehr handlungsarmen oder -verwirrenden Stellen manchmal schon zu Langeweile, aber im Gesamtkontext kann sich „Die Habenichtse“ recht gut schlagen.

http://www.suhrkamp.de

Kanehara, Hitomi – Tokyo Love

In Tokyo ist die Welt noch in Ordnung. Die japanischen PISA-Ergebnisse könnten besser nicht sein, in der Wirtschaft läuft alles rund und in den U-Bahnen riecht es nicht nach menschlichen Fäkalien.

Trotzdem. Auch Tokyo hat seine Abweichler. Hitomi Kanehara, zweiundzwanzigjährige Autorin und jüngste Trägerin des Akutawaga-Preises, zum Beispiel. Noch eine asiatische Pseudoskandalnudel?, fragt man sich, doch ein Blick auf den Klappentext offenbart Erstaunliches. Kanehara hat tatsächlich mit siebzehn Jahren die Schule abgebrochen, um ihre literarische Karriere zu verfolgen. Dürfen wir in ihrem Debüt „Tokyo Love“ also mehr erwarten als heiße Luft und überzogenes Kritikerlob für biedere Sexszenen?

Die neunzehnjährige Lui ist eigentlich ein so genanntes Barbiegirl. Sie hat sich ihre Haare platinblond gefärbt und liebt es, mit ihren Freundinnen über Banalitäten zu tuscheln. Manchmal trinkt sie ein Bier, das schon, doch an und für sich ist sie eine Jugendliche in Tokyo, die versucht, sich von ihren Eltern abzuheben, aber doch nie zu weit geht.

Das ändert sich, als sie Ama kennen lernt. Der junge Punk mit der roten Irokesentolle, den Piercings und dem Drachentattoo auf dem Rücken fasziniert sie ungemein, doch was sie am meisten anzieht, ist seine Zunge. Sie ist gespalten wie eine Eidechsenzunge, eine split-tongue, eine besonders extreme Form von Körperschmuck. Lui möchte auch unbedingt so eine Zunge haben und geht deshalb mit Ama zu Shiba-San, einem Piercer und Tätowierer, der ihr nicht nur die Zunge pierct und ihr beim Weiten des Loches hilft, was für die Spaltung notwendig ist, sondern sie auch zu einer willigen Sexsklavin macht. Er ködert sie, indem er ihr ein kostenloses Tattoo verspricht, wenn er seine sadistischen Fantasie an ihr ausleben darf. Ohne dass Ama, mit dem sie mittlerweile fest zusammen ist, etwas davon mitbekommt, lässt sie sich auf dieses Angebot ein, doch eines Tages ist Ama verschwunden …

Völlig unvorbereitet wird der Leser |in medias res| geworfen, wenn er die erste Seite aufschlägt. Lui und Ama diskutieren über split-tongues und die verschiedenen Methoden, um ein Piercingloch zu weiten.

Ich bin mir sicher, bereits an dieser Stelle scheiden sich die Geister. Wer Fan von derartigen „jugendlichen“ Tätigkeiten wie Piercen und Tätowieren ist, wird sich innerhalb der manchmal, zugegeben, etwas zu langen Erklärungen über diesen Sport sicherlich freuen, doch wem Metall im Körper so fern ist wie |Eminem| von Volksmusik, der wird das Buch wohl gelangweilt ganz hinten ins Bücherregal stellen und es vergessen. Kanehara schreibt für ein junges, interessiertes Publikum und nimmt sich deswegen nicht wirklich Zeit, um bestimmte Phänomene zu erklären. Wie in einer Kurzgeschichte lässt sie alles Unnötige weg, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Das Wesentliche ist die Handlung. Nur leider deuten sich hier ein paar Schwächen an. „Tokyo Love“ mutet zwar eher wie eine auf 117 Seiten ausgedehnte Kurzgeschichte an, das ist sehr richtig, aber das entbindet die Autorin trotzdem nicht davon, eine Handlung mit Hand und Fuß auf die Beine zu stellen. Kanehara vernachlässigt bei all den „verstümmelten“ Körperteilen aber gerade eben diese. Es geschieht viel zu wenig und das Wenige viel zu diffus, um „Tokyo Love“ einen sehr guten Roman nennen zu können.

Warum sollte man Hitomi Kaneharas Debüt trotzdem lesen? Vielleicht, weil die nicht ganz gare Handlung zusammen mit einem nicht ganz perfekten Schreibstil wider Erwarten einen ziemlichen Sog entwickelt?

Nun, wie das geschieht, ist mir auch ein Rätsel, denn die Fakten sind, dass Kanehara die Gefühlswelt ihrer jugendlichen Protagonistin aus der Ich-Perspektive annehmbar herüberbringt, aber leider wirkt der Stil der Japanerin an manchen Stellen ein wenig kalt. Das bedeutet nicht, dass Gefühle nicht in ihrem Vokabular vorkämen. Sie versucht selbige sehr wohl darzustellen, nur leider entwickeln diese nicht die Wärme und das Eigenleben, das zu spüren man sich beim Lesen wünscht.

Ab und an pflegt Lui zwar den einen oder anderen tief gehenden Gedanken (|“Ich selbst will ja auch nur vom Äußeren her beurteilt werden. Ich stellte mir oft vor, wenn es auf der ganzen Erde keinen einzigen Ort ohne Sonnenschein geben würde, dann müßte ich eben selbst eine Technik erfinden, mich in ein Schattenwesen zu verwandeln.“| Seite 50), aber das reicht nicht, um das Buch von seiner leichten Oberflächlichkeit zu kurieren.

Wieso gefällt das Buch dann trotzdem ganz gut? Ist es vielleicht so wie bei mathematischen Gleichungen? Ein Minus an Handlung und ein Minus an Schreibstil ergeben ein Plus im Gesamtbild?
Klingt komisch, ist aber so. Ich würde wieder zu einem Kanehara greifen.

http://www.list-verlag.de

Lehtolainen, Leena – Wie man sie zum Schweigen bringt. Maria Kallios sechster Fall

Ein bisschen skandinavische Krimi-Stimmung für den Herbst gefällig? Leena Lehtolainen liefert mit dem sechsten Fall ihrer Kommissarin Maria Kallio solide Sofakost aus dem hohen Norden ab.

Petri Ilveskivi, Innenarchtitekt und Mitglied von Espoos Stadtrat, macht aus seiner Homosexualität keinen Hehl. Als er eines Tages auf dem Weg zu einer wichtigen Stadtratssitzung überfallen und getötet wird, vermutet man deshalb zuerst, dass er erneut Opfer von Skinheads wurde, wie das schon einmal der Fall war. Doch Kommissarin Maria Kallio gibt sich mit so einer einfachen Erklärung nicht zufrieden. Sie ermittelt nach allen Seiten und findet letztendlich heraus, dass Marko, ein Kleinkrimineller, dahinter steckt. Doch welchen Grund hatte er, Petri umzubringen? Maria vermutet einen Auftraggeber, doch bevor sie Marko befragen kann, wird dieser ebenfalls umgebracht und plötzlich schiebt man Maria aus den oberen Etagen einen Riegel vor und ein Bombenanschlag wird auf sie verübt. Das alles hält sie natürlich nicht vom Ermitteln ab. Es scheint, als ob ihre hartnäckigen Ermittlungen mehr Staub aufgewirbelt hätten, als sie dachte …

Lehtolainens Bücher sind schon deshalb ein wenig ungewöhnlich, weil sie aus der Ich-Perspektive schreibt, was in der skandinavischen Kriminalliteratur nicht so häufig vorkommt. Da die Autorin aber leider dazu neigt, zu viele unwichtige Details aus Marias Privatleben – wie die zutatentreue Aufzählung von Marias Kochkünsten oder die Beschreibung sämtlicher Wohnungseinrichtungen – in die Geschichte zu bringen, kann dieser ungewöhnliche Stil nicht begeistern. Das dehnt nicht nur unheimlich die Geschichte, sondern gibt dem Ganzen auch einen gewissen Frauenlektüretouch. Gott sei Dank verzichtet Lehtolainen aber auf den diesem Genre eigentümlichen Pseudohumor, was dem Krimi einen angenehm seriösen Anstrich gibt.

Die Handlung hat durchaus ihre spannenden Momente, überzeugt aber hauptsächlich durch gute Beobachtungen und sauber ausgearbeitete Charaktere. Hier bleibt vor allem Suvi, die Frau des Kleinkriminellen Marko, in Erinnerung. Die finnische Autorin schafft es, die arbeitslose Frau, die mit ihren drei Kindern zu Hause darauf wartet, dass Marko von seinem Coup wiederkommt, sehr realistisch an den Mann zu bringen, und obwohl Suvi den einen oder anderen proletenhaften Charakterzug hat, wirkt sie dank Lehtolainens Fingerspitzengefühl nicht wie die 08/15-Asoziale, sondern wie ein Mensch.

Doch was die Charaktere haben, fehlt in der Geschichte selbst. Diese passt sich schnell an gängige Kriminalromane an, so dass es an vielen Ecken und Kanten an Spannung fehlt. Lehtolainen weiß zwar, diese nicht vorhandene Spannung so zu verpacken, dass sie nicht auffällt, aber wenn man nach Zuschlagen des Buches zurückschaut, ist wenig hängen geblieben. Keine Situation, bei der man vor Spannung das Atmen vergessen hat. Keine neue Entwicklung im Fall, die das Gehirn derart angeregt hat, dass man bis zum Ende des Buches mitgefiebert hat und unbedingt wissen wollte, wer nun der Täter ist.

Ich kann mich daran erinnern, wie mich „Zeit zu Sterben“, ebenfalls aus der Kallio-Reihe, vor ein paar Jahren Abend für Abend an mein Bett gefesselt hat. Dieser Roman war die beste Werbung für eine Krimiautorin überhaupt, doch es scheint, als habe Lehtolainen seitdem stark abgebaut. „Wie man sie zum Schweigen bringt“ ist, obwohl der Titel ähnlich reißerisch klingt, nichts weiter als durchschnittliche Krimikost mit gut ausgearbeiteten Charakteren. Die Handlung endet ziemlich schnell im Sumpf der Belanglosigkeit, der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig und, mit Verlaub, in diesem Fall nicht wirklich für einen Krimi geeignet. Zu sehr erinnert er an einschlägige Frauenliteratur, vor allem dank der minutiösen Detailverliebtheit, die in großen Teilen mehr als unnötig ist.

http://www.rowohlt.de

Brandis, Katja – Ruf des Smaragdgartens, Der (Kampf um Daresh 3)

Band 1: [„Der Verrat der Feuer-Gilde“ 2909
Band 2: [„Der Prophet des Phönix“ 2931

Mit „Der Ruf des Smaragdgartens“ beendet Katja Brandis ihre Triologie mit dem Titel „Kampf um Daresh“ und schickt ihre Heldin Rena zu diesem Zweck noch einmal in ein gefährliches Abenteuer.

Rena, mittlerweile achtzehn Winter alt, lebt alleine in einem kleinen Dorf der Luftgilde, obwohl sie aus der Erdgilde stammt. Man muss dazu wissen, dass sich die Menschen im Land Daresh hauptsächlich in vier Gilden aufteilen und es Rena zu verdanken ist, dass diese Gilden mittlerweile friedlich zusammenleben. Sie selbst hat in den beiden Vorgängerbänden jedes Mal die Arbeit einer Beraterin übernommen, was damit zusammenhängt, dass sie in jungen Jahren einen Stein, die „Quelle“ genannt, berührt hat. Dieser kleine Unfall hat es ihr ermöglicht, nicht nur Daresi, sondern auch alle Sprachen der Halbmenschen in Daresh, also der Iltismenschen, der Storchenmenschen, der Nattermenschen und anderen zu sprechen.

Eines Tages geschieht etwas Ungeheuerliches im mittlerweile friedlichen Daresh. Enobar, ein langjähriges Mitglied des Rats in der Felsenburg, wird von einem der sonst so friedliebigen Storchenmenschen ermordet. Das Reich ist in Aufruhr und viele nutzen diese Gelegenheit, um Jagd auf die verhassten Halbmenschen zu machen, die daraufhin in den gefährlichen Dschungel Lixantha fliehen. Rena möchte ihren Freunden gerne helfen, und weil sie nicht glauben kann, dass ein Halbmensch einfach so einen Menschen umbringt, macht sie sich in den Dschungel auf, um dort nach den Beweggründen des Storchenmenschen zu suchen.

Sie freundet sich mit einem Clan von Storchenmenschen an, und von dem geschwätzigen, dicken Ruki, der anders als seine Artgenossen nicht fliegen kann, erfährt sie von einer mysteriösen Gestalt namens Me’ru, die die Geschicke von ganz Daresh leitet, von der aber niemand weiß. Angeblich hat der Storchenmensch Enobar im Namen des Me’ru umgebracht. Aber kann das stimmen?

Rena macht sich zusammen mit ihrer Freundin Alix auf die Suche nach dem uralten Me’ru, und auf ihrer Reise trifft sie nicht nur neue Freunde, sondern auch einen Feind, mit dem niemand gerechnet hat …

Was möchte man sagen? Tatsache ist, dass sich der Abschlussband der „Kampf um Daresh“-Triologie brav einreiht und weder einen großartigen Höhepunkt noch einen Tiefpunkt darstellt.

Die Charaktere und ihre Konstellationen haben sich erwartungsgemäß weiterentwickelt. Die einst so wilde und stürmische Kämpferin Alix ist nun Mutter einer kleinen Tochter, Rena hat mit ihrer großen Liebe Schluss gemacht. Trotzdem gibt es kaum Überraschungen in der Besetzung, obwohl alle neuen und alten Personen sehr schön ausgearbeitet sind. So zum Beispiel der kleine Ruki, der sich weigert zu fliegen, was ihn zu einem Sonderling macht. Als Rena, die ja ebenfalls nicht fliegen kann, sich zu seinem Stamm gesellt, ist er mehr als froh, jemanden kennen zu lernen, der ihm ähnelt. Natürlich bleibt es nicht aus, dass er sich auf ihrer Reise zum Me’ru so weiterentwickelt, dass er mit dem Fliegen beginnt, aber dieses kleine Klischee sei der Autorin gestattet.

Die Handlung selbst ist an und für sich spannend, auch wenn sie stellenweise wie eine Kopie aus den Vorgängerbänden wirkt. Da die Bände nicht wirklich aufeinander aufbauen, rettet Rena zum dritten Mal ihr Land vor einem großen Unglück. Und erneut tritt sie dazu eine Reise an. Dieser Aufbau ähnelt dem der anderen beiden Bücher schon sehr und nimmt sich dadurch selbst das Potenzial. Erschwerend kommt hinzu, dass er Plot in der Mitte ein wenig ausfasert und dadurch kaum noch Spannung aufgebaut wird.

Im Schreibstil, der von mir schon des Öfteren als durchschnittlich beschrieben wurde, hat sich nichts geändert. Nach wie vor ist er eher ein Mittel zum Zweck. Er transportiert die Geschichte, entwickelt dabei aber kein Eigenleben. Brandis versteht ihr Handwerk und der Text lässt sich flüssig ohne Stolpersteine lesen. Trotzdem wirkt er ein wenig zu beliebig, um lobend erwähnt zu werden.

Katja Brandis bekleckert sich beim Abschluss ihrer „Kampf um Daresh“-Serie nicht gerade mit Ruhm. Anstatt eines fulminanten Endes erzählt sie eine andere Variation der bekannten Geschichte mit dem bekannten, durchschnittlichen Schreibstil. Trotzdem weist die Geschichte an einigen Stellen Spannung auf, die zum Weiterlesen animiert, aber an „Der Verrat der Feuer-Gilde“ kommt „Der Ruf des Smaragdgartens“ trotzdem nicht heran.

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Brandis, Katja – Prophet des Phönix, Der (Kampf um Daresh 2)

Der |Kampf um Daresh| geht weiter! Nachdem die Heldinnen von Katja Brandis‘ Triologie es im [ersten Band 2909 mit einer intriganten Regentin und deren Versuch, die vier Gilden in Daresh gegeneinander aufzubringen, zu tun hatten, droht nun Gefahr von anderer Stelle. Eine Sekte scheint sich in Tassos, dem Gebiet der Feuer-Gilde, zu formieren. Ihr Anführer ist Cano, auch genannt „Der Prophet des Phönix“, und er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Feuer-Gilde zur Macht zu führen. Dass er dafür alle anderen, in seinen Augen schwächeren Gilden entfernen muss, hat er wohlwollend eingeplant.

Rena ke Alaak lebt mittlerweile auf der Felsenburg der Regentin und fungiert dort als Beraterin, nachdem sie ihre Vermittlertätigkeiten in „Der Verrat der Feuer-Gilde“ unter Beweis gestellt hatte. Ihre Beziehung zu Rowan ist leider nicht mehr ganz so harmonisch wie zu Anfang und sie verdächtigt ihn sogar, dass er sie mit dem Dienstmädchen Derrie, das wie er aus der Luft-Gilde kommt, betrügt. Hinzu kommt, dass Alix, ihre Weggefährtin, wie vom Erdboden verschluckt scheint, und auch das macht ihr Sorgen. Außerdem fühlt sie sich in den steinernen Mauern der Felsenburg gefangen.

Da kommt es ihr nur recht, als der Gildenrat beschließt, dass ein Spion in den Phönixkult geschmuggelt werden soll, damit man erfährt, was der Anführer dieser gefährlichen Sekte plant. Rena schlägt Alix für diese Tätigkeit vor und macht sich gleich darauf auf die Suche nach ihrer Freundin. Sie ist froh, wieder unterwegs zu sein, auch wenn es bitter ist, als sie Alix, die einst stolze Schwertkämpferin, völlig verwahrlost und auf Drogen in einem Gasthof entdeckt. Doch Alix weigert sich, die ihr zugeschriebene Aufgabe wahrzunehmen. Stattdessen muss nun Rena, die eigentlich zur Erd-Gilde gehört, diese Aufgabe übernehmen und trotz des Feuer-Gilden-Chrashkurses, den sie von Alix bekommt, kann sie ihre Verkleidung nicht lange wahren …

Katja Brandis‘ Zweitling fehlt eine ganz wichtige Komponente: Ein zugstarkes Anfangsmotiv. Alle Ereignisse bis zu Renas Abreise wirken eher wie ein reines Mittel zum Zweck anstatt wie ein triftiger Grund für ihre Wanderung. Diese Schwäche in der Handlung, dass Ereignisse anscheinend keinen richtigen Anlass haben, setzt sich durch das ganze Buch fort. Deshalb kommt es nur zu wenig Spannung. Die Handlung kränkelt an manchen Stellen geradezu vor sich hin, was sehr schade ist, wenn man bedenkt, was Brandis mit ihrem tollen Debüt gelungen ist.

Überhaupt steht „Der Prophet des Phönix“ sehr im Schatten seines [Vorgängers. 2909 Die Personen haben sich nicht wirklich weiterentwickelt und die neu hinzugekommenen sind teilweise schwach ausgearbeitet. Dieses Manko trägt wiederum dazu bei, dass es dem Buch auf weiten Strecken an Tiefe mangelt. Das Interesse des Lesers wird einfach nicht geweckt, die Sogwirkung fehlt.

„Der Orden des Phönix“ kann diese Wirkung noch nicht mal anhand des Schreibstils entwickeln, der auch in diesem Buch zwar gut, aber nicht besonders ausgefeilt ist. Geradlinige, flüssige Sätze und ab und an ein paar humorvolle Brocken aus Alix‘ Mund – solide, aber einen Preis wird Brandis dafür sicherlich nicht gewinnen.

Warum müssen Fantasyautoren eigentlich immer und überall Triologien veröffentlichen? Manchmal wäre es vielleicht wirklich besser, ein Buch als solches stehen zu lassen und nicht noch zwei Fortsetzungen mit den gleichen Personen zu schreiben. Wo das hinführen kann, sehen wir an Katja Brandis‘ „Der Prophet des Phönix“. Ein wenig uninspiriert, zu wenig Spannung und ein wenig zu viel des gewohnten, soliden Schreibstils. Schade.

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Colfer, Eoin – Artemis Fowl

Man kommt nicht umhin. Beinahe jedes Fantasybuch, das nach Harry Potter kam, wird mit dem Helden von Joanne K. Rowling verglichen. Die Engländerin hat die Messlatte hoch gelegt und 2001 schickte sich Eoin Colfer an, diese mit den Fingerspitzen zu berühren.

Sein Buch „Artemis Fowl“ wurde zumeist in einem Atemzug mit Harry Potter genannt, obwohl inhaltlich sehr starke Unterschiede bestehen. Artemis Fowl, der Held der Geschichte, ist nämlich keineswegs ein Zauberlehrling, sondern ein hochintelligenter Zwölfjähriger, der aus einer Familie von Kriminellen abstammt. Auch der jüngste Spross der Fowls hat sich zum Meisterdieb aufgeschwungen, und da er immer noch ein Kind ist, trotz seiner Altklugheit und Gerissenheit, glaubt er fest an das Märchen, dass jede Fee ein Goldtöpfchen in ihrer Behausung hat. Und er glaubt an die unterirdischen Wesen, auch wenn es lange dauert, bis er endlich die Spur einer Fee in Ho-Chi-Minh-Stadt findet. Er reist mit seinem deutlich älteren Bodyguard Butler, der ihm nicht von der Seite weicht, dorthin und schafft es, ihr das Goldene Buch abzupressen, in dem sämtliche Regeln und das Wissen über die Unterirdischen enthalten sind.

Mit dessen Hilfe gelingt es ihm, eine Elfe gefangen zu nehmen, mit deren Hilfe wiederum er die Elfen erpressen will, ihm etwas von ihrem Feengold abzugeben. Doch er hat nicht mit Holly Short, der Geisel und erstem weiblichem Officer der Aufklärungseinheit der Zentralen Untergrund-Polizei, gerechnet, denn diese hat nicht vor, kampflos aufzugeben …

Zentrale Untergrund-Polizei? Richtig gelesen. Elfen und Feen in rosa Rüschenkleidern und mit goldenen Zauberstäben kommen in Colfers Unterirdischen-Welt nicht vor. Stattdessen gibt es Straßen mit dem allmorgendlichen Stau, wenn die Unterirdischen zur Arbeit fliegen. Es gibt Fußgängerzonen im Höhlensystem und technikgewiefte Zentauren, die das gesamte Areal überwachen. Und es gibt die Zentrale Untergrund-Polizei, kurz ZUP, die für Ordnung unter der Erde sorgt und verhindert, dass die Menschen von der Existenz der Unterirdischen erfahren.

Stellenweise erinnert Colfers Welt dezent an die Bank |Gringotts|, aber insgesamt hat der Autor eine sehr eigenständige und sauber gezeichnete Welt ausgetüfftelt, die immer wieder durch ihren Erfindungsreichtum überrascht. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Elfenflügel motorbetrieben sind und es sogar verschiedene Modelle gibt?

Die gleiche Liebe zum Detail wendet Colfer für die Charaktere auf. Sie alle haben eine Hintergrundgeschichte und ihre Eigenheiten. Butler, Artemis‘ Leibwächter, zum Beispiel gehört zur Familie der Butlers, die schon seit Ewigkeiten im Dienst der Familie Fowl steht. Die Behauptung, dass man munkelt, dass das Synonym für Diener auf ebendiese Familie zurückgeht, ist mit einem Augenzwinkern versehen, was man sehr oft in dem Buch findet. Der gute alte englische Humor eben.

Holly Short, um ein weiteres Beispiel zu nennen, ist der erste weibliche Officer der Aufklärungseinheit und somit den sexistischen Angriffen ihres Vorgesetzten Root schutzlos ausgesetzt. Bei Root zeigt sich eine weitere Stärke Colfers. Er weiß zu verhindern, dass seine Charaktere wie lieblose, schwarz-weiße Stereotype wirken, indem er sie mit einem Herz versieht. Natürlich entspricht der Charakter des frauenverachtenden Chefs schon ein wenig dem Klischee, aber Colfer zieht dieses Klischee nicht bis zum Ende durch, sondern erlaubt Root, sich zu verändern. Und so wächst ihm Holly während ihrer Geiselnahme immer mehr ans Herz und letztendlich kommt er nicht umhin, sie zu loben.

Besonderes Augenmerk gilt natürlich dem Helden, Artemis Fowl, der schon aufgrund des Alters Harry Potter zu seiner Konkurrenz zählt. Er wohnt, anders als Harry, jedoch auf der anderen Seite des Gesetzes, und nur weil er noch ein halbes Kind ist, bedeutet das nicht automatisch, dass er nicht gerissen und ziemlich kaltblütig sein könnte. Manchmal beschleicht den Leser natürlich der leise Verdacht, dass der Junge ein wenig zu erwachsen geraten ist, an und für sich hebt sich das aber auf. Zudem hat auch Artemis ein Herz. Er sorgt sich um seine Mutter, die seit dem Verschwinden seines Vaters ein wenig verrückt und einer der Gründe ist, warum er an das Elfengold kommen möchte.

Wenn in einem Buch der Protagonist „der erste artübergreifende Dieb“ (Seite 108) ist, spielt die Geschichte dementsprechend in einem Milieu, in dem mit viel technischem Equipment und Action gehandelt wird. Es ist Colfer gutzuschreiben, dass er es schafft, bei all dem technischen Schnickschnack, den er Artemis zur Verfügung stellt, trotzdem noch auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Das eine oder andere Super-Hightech-aberleiderunrealistische-Handy hat schon so einige Autoren den Kopf gekostet, und auch wenn Colfer es manchmal ein wenig zu viel werden lässt, hält sich diese prekäre Angelegenheit noch im Rahmen.

Die Handlung an und für sich ist spannend gestaltet, hat aber in der Mitte so ihre Längen, während der Leser sehnsüchtig auf den Showdown wartet. Selbiger wird schön ausgestaltet und mit einer überraschenden Wendung versehen, so dass das Buch zu einem gebührenden Abschluss kommt. Allerdings wäre es an einigen Stellen nicht schlecht gewesen, die Action ein wenig zurückzufahren. Sie ist schuld daran, dass der Plot an einigen Stellen auszufransen zu droht.

Trotz dieser wenigen Mängel lässt sich das Buch sehr schön lesen, was dem tollen Schreibstil zu verdanken ist, der ebenfalls einige wenige Parallelen zu Rowling ziehen lässt. Sollte man das überhaupt machen? An und für sich ist der Humor, der „Artemis Fowl“ zugrunde liegt, dieser typisch englische, sehr trockene Humor, und Rowling und Colfer sind nicht die Einzigen, die ihn verwenden. Das lockert das Buch angenehm auf, genau wie der Einsatz von witzigen Metaphern („… genauso aussichtslos wie der [Versuch], eine Kartoffel in einen Fingerhut zu zwängen.“ (Seite 116) und die Hinwendung zum Leser, der humorvoll gesiezt wird.

„Artemis Fowl“ weist sicherlich einige Berührpunkte zu Harry Potter auf, aber Harry Potter weist sicherlich auch einige Berührpunkte zu Büchern auf, die vor ihm geschrieben wurden. Fakt ist, dass Eoin Colfer diese ständigen Vergleiche nicht nötig hat, denn er kann locker mit Rowling mithalten. Sein Schreibstil entfaltet ebenfalls einen mitziehenden Charme, seine Charaktere sind liebevoll ausgearbeitet und seine Geschichte ist mit Hintergründen, Spannung und einer nachvollziehbaren Handlung aufgepolstert. Der eine oder andere Wehmutstropfen lässt sich nicht verhindern, doch ansonsten spielt Colfer in der Oberliga der Kinderfantasybücher, die sich auch Erwachsene zu Gemüte führen können.

http://www.artemis-fowl.de/

Brandis, Katja – Verrat der Feuer-Gilde, Der (Kampf um Daresh 1)

Die Reihe „Meister der Fantasy“ im |Ueberreuter|-Verlag verspricht Qualität. Schließlich werden hier auch die jeweiligen Gewinner des Wolfgang-Hohlbein-Preises verlegt. Katja Brandis‘ „Der Verrat der Feuer-Gilde“ muss also hohe Erwartungen erfüllen …

Bevor man den Inhalt des Buches erläutert, lohnt es sich, einen Blick auf das Land Daresh zu werfen, in dem die Geschichte spielt. Es ist eine bunte Fantasywelt mit magischen Geschöpfen, wie man sie ähnlich auch von der amerikanischen Fantasyautorin Tamora Pierce (u. a. „Die schwarze Stadt“) kennt. Da gibt es zum Beispiel Dathlas, echsenartige Reittiere, die sich bei Gefahr eingraben, und jede Menge so genannter Halbmenschen. Iltismenschen, Storchmenschen, Nattermenschen … Brandis fehlt es auf jeden Fall nicht an Fantasie.

Im Mittelpunkt des Buches stehen allerdings die vier Gilden – benannt nach den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft -, in denen der Großteil der Bevölkerung organisiert ist. Jede Gilde lebt unter sich und ihre Mitglieder haben jeweils bestimmte Eigenschaften, die sie dazu benutzen können, um nach einer Lehre Meistertitel verschiedenen Grades zu erwerben.

Die fünfzehnjährige Rena ke Alaak gehört zur Erd-Gilde und macht gerade eine Ausbildung bei ihrem Onkel im Weißen Wald. Eines Tages nimmt er sie mit zur Felsenburg, in der die Regentin residiert, deren Regierungsstil nicht gerade beliebt ist bei der Bevölkerung. Sie unterdrückt ihre Untertanen, und anstatt dafür zu sorgen, dass die Gilden in Frieden zusammenleben, scheint sie deren Zwistigkeiten sogar noch zu unterstützen.

Als Rena einen Streifzug durch die Felsenburg unternimmt, wird sie von einer magischen Kraft in einen Raum gelockt, wo die „Quelle“ liegt, ein weißer, unscheinbarer Stein. Doch nachdem sie ihn berührt hat, verändert sich einiges. Die Iltismenschen, die gegen ihren Willen als Diener missbraucht werden, zetteln eine Revolte an und Rena versteht die Sprachen der Halbmenschen. Um für ihre Tat nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden, muss sie fliehen.

Auf ihrer Reise begegnet sie dem offenen Hass, den die einzelnen Gilden untereinander pflegen, und wird Zeugin mehrerer Gildenfehden. Um ihren lang gehegten Wunsch, Mitglied in der Feuergilde zu werden, zu erfüllen, wird sie Dienerin bei der raubeinigen Alix ke Tassos, die im Dienst ihres Rates den Spion finden soll, der die geheimen Formeln der Feuer-Gilde verbotenerweise an die Regentin weitergibt. Als ihre Mission misslingt, geht sie murrend auf Renas Vorschlag ein, vor den Räten der anderen Gilden vorzusprechen und um den Frieden zu bitten. Sie begeben sich auf eine lange Reise durch Daresh, die zuerst von Erfolg gekrönt ist, doch dann werden sie verraten …

Katja Brandis‘ Debüt ist von der ersten Seite an packend. Das hängt damit zusammen, dass sie auf einen langen, einleitenden Vorspann verzichtet und stattdessen Rena sofort ins Verderben schickt. Danach geht es Schlag auf Schlag, was dem Buch nur guttut. Es gibt kaum Verschnaufpausen. Im Gegenteil passiert am Ende so viel auf einmal, dass es beinahe ein wenig unübersichtlich wird. Doch ansonsten zieht sich ein schnurgerader Strang Spannung durch das Buch, wie man es gerne bei jedem sehen würde.

Ein weiterer, wichtiger Grund für den mitreißenden Charakter des ersten Bandes der „Kampf um Daresh“-Triologie ist das Zusammenspiel der beiden Hauptcharaktere Rena und Alix, die zehn Jahre Altersunterschied zwischen sich haben. Während Rena das leicht naive, aber dennoch entschlossene Mädchen in der Pubertät ist, mimt Alix die raubeinige Kämpferin mit eisernem Willen und feurigem Charakter. Gegensätze ziehen sich an und nachdem Alix ihre Dienerin am Anfang nicht wirklich ernst genommen hat, entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden.

Auch sonst spart Brandis nicht mit frischen Gesichtern. Eine ganze Fülle von Charakteren baut sie in ihre Geschichte ein und es ist ihr und dem Personenverzeichnis zu Gute zu halten, dass der Leser dadurch nicht verwirrt wird. Stattdessen beleben die Nebenpersonen den Roman ungemein und bringen beständig frischen Wind in die Angelegenheit. Es ist zwar nicht jede Person zu hundert Prozent perfekt ausgearbeitet, aber alle sind immerhin so gut erdacht, dass sie ihren eigenen Platz in der Geschichte haben.

Der Schreibstil ist solide, aber nicht herausragend, auch wenn Alix ein wenig trockenen Humor in die Dialoge bringt. Ansonsten erfüllen die Buchstaben ihren Zweck: Sie tragen die Geschichte und unterstützen deren packende Wirkung mit ihrer klaren, nüchternen Struktur. Anderweitig lassen sich wenig Eigenheiten ausmachen, jedoch auch keine negativen Punkte.

„Der Verrat der Feuer-Gilde“ ist ein Debüt, das sich sehen lassen kann. Figuren, Handlung und die Atmosphäre gefallen wirklich sehr, doch leider wirkt der Schreibstil recht beliebig, was verhindert, dass das Buch zur Crème de la crème gehören könnte.

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Young-ha, Kim – Gottesspiel, Das

Warum wird eigentlich jedes zweite Buch, das von einem asiatischen Autor stammt, als „Skandalroman“ bezeichnet? Oder ist es sogar jedes Buch? Man weiß es nicht. Fakt ist aber, dass „Das Gottesspiel“ von Kim Young-ha laut dem |Spiegel| noch so eine Skandalschrift ist.

Dabei geht es inhaltlich noch nicht einmal um die verborgenen Sexgelüste einer spießigen Gesellschaft, sondern vielmehr um einen namenlosen Ich-Erzähler, dessen Beruf darin besteht, den Selbstmord anderer Menschen auf deren Wunsch zu inszenieren. Seine beruflichen Erlebnisse verarbeitet er dann in einem Roman, indem er erzählt, wie es dazu kam, dass sich diese Menschen umbrachten.

Im Buch werden die Fälle von der gelangweilten, jungen Seyour, die immer einen Lolli im Mund hat, und der Aktionskünstlerin Mimi erzählt. Obwohl scheinbar kein Zusammenhang herrscht, kommen zwei Brüder, nur C und K genannt, bei beiden Mädchen vor.

Allerdings erschließt sich dem Leser nicht wirklich, welche Rolle C und K eigentlich haben, und das, obwohl sie derart viel Raum einnehmen. Das ist sehr schade, denn es ist nicht die einzige brennende Frage, die offen bleibt, wenn man das Büchlein zuschlägt. Nun können offene Fragen natürlich auch als eine Art Stilmittel eingesetzt werden, aber da sich die Fragen zu Young-has Geschichte nicht mit einer Happy-End-Lappalie à la „Bekommt der Held die Heldin also doch noch?“ begnügen, sondern tief in der Geschichte wurzeln, stören sie erheblich. Was macht man als Leser denn mit einer Geschichte, die zwar sehr gut erzählt ist, die man aber inhaltlich nicht versteht, weil sie stellenweise so verworren ist?

Schuld an dieser Verwirrung ist vor allem Aufbau. Die Perspektiven wechseln schnell und es dauert sehr lange, bis man sich überhaupt in die Geschichte hineingefunden hat. Hinzukommt, dass zum Beispiel zu den Charakteren K und C kaum etwas erklärt wird. Wer sind sie? Ist einer davon identisch mit dem Ich-Erzähler? Und wieso nennt der eine das Mädchen Seymour und der andere Judith? Sind es verschiedene Mädchen? Und in welcher Reihenfolge läuft die Handlung überhaupt ab?

An den Perspektiven, die Young-ha benutzt, liegt es definitiv nicht, denn sie verdienen ein wirklich wohlwollendes Kopfnicken. Absolut untypisch asiatisch schreibt der junge Mann. Von der netten Oberflächlichkeit, die Bücher aus diesen Landen oft prägt, ist nichts zu spüren. Stattdessen eine philosophische, dreckig-authentische Tiefgründigkeit, die sehr tief unten in den Seelen der Protagonisten wühlt und deren Gedanken, Gefühle und Meinungen ungefiltert preisgibt. Das zeigt sich auch in den flapsig wirkenden, aber eigentlich direkt auf den Punkt gebrachten Dialogen und den sehr schönen Beschreibungen von Eigenheiten, die der Autor den treffend ausgearbeiteten Charakteren zuordnet. Ein gutes Beispiel dafür ist Judiths Lollifetisch.

|“Chupa Chups. Das ist Judiths Lieblingssorte. Wenn sie nicht raucht, hat sie häufig einen Chupa Chups im Mund, dieses runde Bonbon mit dem Stäbchen. Sie behält ihn sogar im Mund, wenn sie sich lieben. C fürchtet immer, sie könne ihm mit dem Stäbchen die Augen ausstechen. Das Stäbchen hat ihn übrigens tatsächlich einmal im linken Augen erwischt und er hatte Angst, blind zu werden. Selbst einige Tage nach dem Zwischenfall traute er sich noch nicht, wieder mit ihr zu schlafen.“| (Seite 38)

Die anderen Charaktere profitieren ebenfalls von Young-has akribischer Arbeit, die sich durch das ganze Buch zieht. An und für sich ist das nichts Schlechtes, aber der eine oder andere mag sich wahrscheinlich daran stören, dass das Buch allzu streng durchkomponiert wirkt.

Eine strenge Komposition ist dabei ja eigentlich nichts Schlimmes. Sie verhindert Längen und fordert Lesen mit Gehirn. „Das Gottesspiel“ meint es an einigen Stellen aber leider zu gut. Während die Charaktere und der Schreibstil wirklich ein großes Lob verdienen, wissen Inhalt und Aufbau nicht immer zu überzeugen. Erstens fehlt es dem Buch an klar abgegrenzten Strukturen und zweitens bleibt am Ende ein schales Gefühl zurück. Der Klappentext redet wie selbstverständlich von einem Ich-Erzähler, der Selbstmorde für Kunden arrangiert. Allerdings finden sich derer nur zwei in dem knapp 160-seitigen Buch. Der Rest sind Ausrisse aus dem Roman, den der Ich-Erzähler schreibt. Zwei dieser Selbstmorde bei großer Ankündigung sind zu wenige, um ein ganzes Buch auszumachen, aber zu viele, um nur einen kurzgeschichtenartigen Ausriss aus dem Leben einer Person darzustellen.

Kim Young-has Debüt ist folglich eine zwiespältige Sache. Auf der einen Seite ein interessanter, fesselnder Schreibstil mit sympathischen, gut ausgearbeiteten Charakteren sowie einem Umschiffen der typischen Asia-Oberflächlichkeit, auf der anderen Seite aber ein verwirrender Aufbau, und wer möchte ein Buch nur wegen des Schreibstils lesen? „Das Gottesspiel“ verspricht Potenzial und erklärt die Lobeshymnen, die über dieses Buch gesungen werden, zumindest zur Hälfte, aber der große Wurf ist dem Südkoreaner damit noch nicht gelungen.

Brandis, Katja – Feuerblüte – Im Reich der Wolkentrinker (Band 2)

Auf ihrer Website erzählt Katja Brandis, dass ihr neues Buch „Feuerblüte – Im Reich der Wolkentrinker“ davon beeinflusst wurde, dass sie zum Zeitpunkt des Schreibens ein Buch über die amerikanische Geschichte gelesen hat.

Daraus ist schließlich das Grundkonzept von Dienern und Denkern in der Stadt Rhianna entstanden. Rhianna ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Fest für die Sinne, als Alena, Heldin des [ersten Bandes 2876 der „Feuerblüte“-Serie, mit ihren Freunden dort ankommt. Nachdem am Rande von Daresh, ihrer Heimat, die magische Grenze, die das Land abschirmt, gefallen ist, beschließt die wagemutige Schwertkämpferin zu erforschen, was jenseits von Daresh liegt.

Nach einer beschwerlichen Reise werden sie in der fremden Stadt nicht gerade freundlich empfangen. Im Gegenteil möchte man sie zuerst im Gefängnis versauern lassen, doch mit einer kleinen Kostprobe der magischen Kräfte von Jorak, einem gildenlosen Streuner aus der Stadt Ekaterin, der Alena im ersten Band kennen und lieben gelernt hat, erlangen sie genug Respekt des alten Stadtvorsitzenden Ydra, um wie Ehrengäste behandelt zu werden. Ydra sieht in Jorak sogar einen würdigen Nachfolger und er spinnt den jungen Mann, der nie ein Zuhause gehabt hat, weil keine Gilde ihn, der Eltern aus zwei verschiedenen der vier Gilden in Daresh hat, aufgenommen hat, so sehr ein, dass er nicht merkt, was in Rhianna wirklich läuft. Denn die Bewohner der Stadt leben in Saus und Braus und permanentem Müßiggang. Die Künste werden groß geschrieben und man fröhnt ihnen in verschiedenen Tempeln in der Stadt.

Doch wer ist dafür verantwortlich, dass alles so reibungslos und sauber läuft? Alena ahnt schnell, dass hier etwas nicht stimmt. Die gleichgültig wirkenden Diener, Miks genannt, werden in ihren Augen ausgebeutet, damit die Denker ein schönes Leben haben. Zu spät merkt sie, wie die Herrschaftsverhältnisse wirklich sind …

Katja Brandis hat etwas verwirklicht, das man so nicht erwartete. Während der [erste Band 2876 der Triologie um die Schwertkämpferin Alena recht durchschnittlich und spannungsarm war, steigert sie sich mit „Im Reich der Wolkentrinker“ erheblich. Dichter und atmosphärischer ist die Schreibe dieses Mal und weiß dadurch eine Menge Spannung zu erzeugen. Der geschickte Schachzug, die Reisegesellschaft an einem gewissen Punkt zu trennen und sie mit unterschiedlichem Wissensstand in Bezug auf die Miks alleine zu lassen, sägt an den Nerven des Lesers, während er dem Showdown entgegenfiebert.

Die Figuren haben ebenfalls an Tiefe gewonnen, auch wenn ihr Potenzial noch nicht völlig ausgeschöpft ist. Es gefällt wirklich sehr, dass Alena, die im ersten Band noch ein ziemlicher Hitzkopf war, ihr Temperament mittlerweile im Griff hat. Die Bewohner der Stadt Rhianna sitzen zwar ein wenig in einem Schwarzweißraster und dieser Typ von Mensch, der vom prallen Leben so verwöhnt ist, dass er die Wahrheit nicht sieht, ist auch nicht gerade innovativ. Dieses Motiv war schon sehr oft da und Brandis lässt hier zu wenig eigene Ideen einfließen, auch wenn sie sonst beim Aufbau ihrer Welt überzeugen kann. Dieses Mal spielen zwar die vier Gilden aus Daresh, die immer einen Grund für Streitereien geben, nur eine untergeordnete Rolle, aber das Land hinter Daresh kann sich sehen lassen. Brandis füllt ihre Fantasywelt zwar nicht bis unter die Decke mit magischen Gestalten und Co., aber sie schafft ein gutes Gleichgewicht zwischen Fantasie und der Geschichte, die sie erzählen möchte.

Die Art und Weise, wie sie diese erzählt, hat sich entgegen der Verbesserungen nicht wirklich geändert. Sie sorgt zwar dafür, dass der Roman dichter wirkt, aber die Wortwahl, der Satzbau weisen noch immer keine Besonderheiten auf, die man in einer Rezension vermerken könnte. Der Schreibstil ist Mittel zum Zweck, mehr auch nicht.

Glück für Brandis also, dass ihr dieses Mal der Aufbau und die Personen besser gelingen, denn sonst hätte es wieder nicht so gut für sie ausgesehen. Trotzdem: Wenn ich richtig zähle, enthält eine Triologie drei Bände und wir sind ja erst bei Band zwei angekommen. Deshalb harren wir einfach der Dinge, die noch kommen. Im Fall von „Im Reich der Wolkentrinker“ hat sich das schließlich auch gelohnt.

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Kuhn, Krystyna – Fische können schweigen

Was haben Fische und Tote gemeinsam? Sie können nicht reden. Und wer das nicht glaubt, der sollte Berit fragen, die Heldin aus Krystyna Kuhns Debüt „Fische können schweigen“.

Berit ist eine junge Illustratorin, die in Frankfurt wohnt und ihre Zeit momentan damit verbringt, ein dickes Fischlexikon mit Bildern zu versehen. Ein wenig Ablenkung von Fischmäulern und glitzernden Schuppen bietet eine Nobelparty bei ihrer Freundin Marlene. Deren Mann ist Leiter des Instituts für Biotechnologie Rhein-Main und dementsprechend sieht die Gesellschaft auf der Feier aus. Berits einziger verbündeter ist Ron, der so gar nicht wie ein Polizeikommissar wirkt, aber tatsächlich einer ist. Schwarze Haare, grüne Augen und ein Körper wie ein Gott – zu gerne lässt sie sich nach der Feier von ihm nach Hause chauffieren.

Doch auf halbem Wege bekommt Ron die Nachricht, dass am Mainufer eine Leiche gefunden wurde, und sie fahren dort vorbei. Berit kennt den Toten nicht, aber dieses Erlebnis lässt sie nicht los. Um ihren Frieden zu finden, fertigt sie eine Zeichnung des Toten an. Ron ist begeistert von ihrem Talent und benutzt das Bild, um es potenziellen Zeugen zu zeigen. Dadurch wird Berit in die Lösung des Mordfalls praktisch involviert. Zuerst hält sie es für eine nette Abwechslung (mit netten Nebenwirkungen namens Ron), doch als Ewa, Marlenes Hausmädchen, mit dem Berit sich angefreundet hat, ermordet in einem Hotelzimmer gefunden wird, wird aus Spaß Ernst. Ewa hat Berit vor ihrem Tod noch ein paar rätselhafte Bilder anvertraut, und auch wenn Ron anderer Meinung ist, aber Berit glaubt, dass diese Bilder der Schlüssel zum Täter sind …

Kuhns erster Kriminalroman, dem mittlerweile weitere gefolgt sind, ist eine echte Überraschung. Die Protagonistin hat Tiefgang und ist sehr interessant. Man trifft schließlich nicht alle Tage jemanden, der ein Fischlexikon illustriert. Berit ist frech, neugierig und hat einen Hang, ihre Bilder zu spät abzugeben. Das alles macht sie sehr sympathisch, genau wie ihre Schwäche für Ron, der dafür, dass er Nebencharakter ist, auch sehr schön ausgearbeitet wurde.

Die Ich-Perspektive sorgt dafür, dass Berits Persönlichkeit dem Leser so nahe gebracht wird, dass man sie bereits vermisst, wenn man die letzte Seite gelesen hat. Dass ein Charakter so beeindruckt, ist selten und sollte der Autorin hoch angerechnet werden.

Zu diesem Phänomen trägt sicherlich der kesse Schreibstil bei, der stellenweise etwas an die einschlägige Frauenlektüre à la von Kürthy erinnert. Allerdings bringt Kuhn einen so schwarzen Humor ins Spiel, dass dieser Eindruck schnell verfliegt. Sicher und mit vielen Metaphern, von denen allerdings leider nicht alle gelungen sind, schreibt die Autorin, auch wenn sie sich an der einen oder anderen Stelle etwas zu sehr mit unnötigen Einzelheiten aufhält, wie der Art und Weise, wie Berit ihre Zeitung liest.

Die Handlung weiß trotz der Dichte an Ereignissen und Spannung nicht ganz zu überzeugen. Gerade am Ende fährt sie doch etwas zu sehr in den Gewässern des Banalokrimis. Berit findet heraus, wer der Täter ist, und als sie nach Hause kommt, steht er in ihrem Zimmer, natürlich bewaffnet, und sie muss ihn so gut wie möglich ohnmächtig schlagen. So einen Abschluss hätte das Buch wirklich nicht nötig gehabt. Wie wäre es stattdessen mit einer kleinen Verfolgungsjagd durch Frankfurt gewesen? Ich bin mir sicher, dass sie sehr spektakulär geworden wäre, denn Kuhn lässt eine Menge Lokalkolorit in die Geschichte einfließen, was dem Buch einen authentischen Sockel verpasst.

Krystyna Kuhns Debüt macht Hunger auf mehr. Eine hochsympathische Protagonistin, frech und mit einer guten Portion Humor ausgestattet, trifft auf eine Kriminalhandlung, die spannend, gegen Ende aber ein wenig unglaubwürdig ist. Gewürzt mit dem Flavour Frankfurts entwickelt „Fische können schweigen“ einen Charme, dem man sich trotz der kleinen Schönheitsfehler nicht entziehen kann.

Vargas, Fred – schöne Diva von Saint-Jacques, Die

Was ist eigentlich so besonders an Fred Vargas? |Le Monde| sagt, es ist die „Magie Vargas“, aber vielleicht sollten wir mit einer viel banaleren Sache anfangen, denn Fred ist weiblich, auch wenn der Name es nicht vermuten lässt, und zudem eine der wohl interessantesten Krimiautorinnen aus Frankreich.

Grund dafür sind ihre Bücher, die nicht in staubigen Polizeibüros spielen, sondern im normalen Leben mit normalen Protagonisten, die die Autorin von der Straße weggefangen zu haben scheint.

In „Die schöne Diva von Saint-Jacques“ sind ihr drei Historiker ins Netz gegangen, die zusammen mit dem pensionierten Polizisten Vandoosler, dem Onkel des Mittelalterspezialisten Marc, in einem heruntergekommenen Haus in Saint-Jacques wohnen. Dort verbringen sie ihre Zeit mit Renovierarbeiten und den Streitereien, die nun mal entstehen, wenn Mittelalter, Vorgeschichte und Erster Weltkrieg aufeinander treffen und jeder seine Epoche für die einzig wahre hält.

Eines Tages geschehen im Garten ihrer Nachbarin, der schönen Sophia, einst eine gefeierte Opernsängerin, komische Dinge. Plötzlich steht dort ein Baum und niemand will ihn gepflanzt haben. Sophia ist beunruhigt und bittet die drei Evangelisten, wie Vandoosler die drei Historiker wegen ihrer Namen (Marc, Lucienne, Matthias) nennt, darunter zu graben. Sie finden nichts, doch wenig später ist Sophia verschwunden. Es sieht ganz danach aus, dass sie ermordet wurde. Die Wohngemeinschaft beginnt, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, und stößt dabei auf Ereignisse in Sophias Vergangenheit, die bis heute nicht an Bedeutung verloren haben …

Zu Vargas‘ größten Stärken gehört die Entwicklung skurriler Charaktere. In diesem Fall ist das die historische WG. Die Wissenschaftler sind so von ihren Fachgebieten durchdrungen, dass sie einen ständigen Krieg führen und sich beleidigen, was geradezu köstlich ist. Der Weltkriegsexperte Lucienne spricht zum Beispiel zumeist in Weltkriegsmetaphern, von Schützengräben und feindlichen Fronten, was wunderbar amüsant ist.

Der nachdenkliche Vandoosler, der ein wenig die Rolle des im Hintergrund agierenden Charlies übernimmt, tut das Seinige, indem er die drei als Evangelisten Markus, Lukas und Matthäus bezeichnet, was diesen nicht unbedingt schmeckt. Das zwischenmenschliche Geflecht in dem Roman ist folglich dicht und von kleinen, entzückenden Streitereien umsponnen.

|“Hör auf zu schreien, heiliger Markus, das ist schlecht für die Heiligsprechung, und unterbrich mich nicht ständig.“| (Seite 133)

Dank des bissigen Humors, der das ganze Buch durchwebt, sind die Dialoge entsprechend knackig und schlagfertig. Der Schreibstil ist ebenfalls immer für eine humorvolle Überraschung gut und unterhält den Leser brillant. Vargas verzichtet dabei auf Abschweifungen, sondern bringt alles auf den Punkt – im Hintergrund immer präsent: der trockene Humor, der nicht nur dem Buch, sondern auch den Charakteren sehr viel Tiefe verleiht, ohne kindisch zu werden.

Die Handlung ist geprägt von einem krimiuntypischen Vorgehen. Es ist nicht das übliche Schema mit Leiche, Ermittlungen, Ermittlungen stecken geblieben, neue Leiche, falsche Person verdächtigt, im richtigen Moment unschuldige Person vor richtigem Täter gerettet. Vielmehr gibt es gar keine richtige Kriminalhandlung. Die Evangelisten beobachten, Marc sitzt, von seinem Onkel beauftragt, am Fenster und notiert, wer vorbeiläuft, und manchmal setzen sie sich in die Küche, Lucienne schneidet Brot (zur Entspannung) und sie tragen ihre Gedanken zusammen. Gegen Ende kommt dann immer mehr Bewegung ins Spiel, was in der temporeichen Auflösung des Falls liegt, die gut ins Gesamtkonzept des schrulligen Buches passt, aber alleine betrachtet schon ein wenig unlogisch ist.

Doch dieser Makel kann diesem Buch, dem das Attribut „köstlich“ perfekt steht, nicht schaden. Wie auch? Die Charaktere sind fantastisch, der Humor ist fast noch fantastischer und der Schreibstil hält alles zusammen. Spannend? Ja, auch, aber vor allem sehr amüsant zu lesen. Vor allem das …

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Brandis, Katja – Feuerblüte (Band 1)

Der „Kampf um Daresh“ ist mittlerweile beendet, doch Katja Brandis, die die gleichnamige Triologie geschrieben und in der |Ueberreuter|-Reihe „Meister der Fantasy“ veröffentlicht hat, ist noch nicht fertig mit der Welt, in der sich die Menschen in vier Gilden gruppieren. Mit „Feuerblüte“ beginnt sie einen neuen, dreibändigen Zyklus um die junge Schwertkämpferin Alena, die Tocher der verstorbenen Alix, eine der Protagonisten in „Kampf um Daresh“.

In Daresh teilen sich die Menschen in vier Gilden, die nach den vier Elementen benannt sind, auf. Die fünfzehnjährige Alena ist Mitglied der Feuergilde, das heißt, sie kann Schwerter schmieden und im Kampf sehr gut mit dieser Waffe umgehen. Sie steht gerade vor einem wichtigen Schritt, denn obwohl sie noch keine siebzehn ist, wird sie zur Meisterprüfung zugelassen. Ihr ungestümes Temperament verhindert allerdings, dass sie die Prüfung zur Meisterin besteht. Trotzdem beschließt sie, ihr Meisterschwert widerrechtlich zu tragen, was auch dringend notwendig ist, denn in Daresh treiben sich Gestalten herum, denen man nicht schutzlos gegenüber stehen möchte.

Ein Mann, der sich der „Heiler vom Berge“ nennt, zum Beispiel, und der seine mitreißende Predigt über die Liebe in der Handelsstadt Ekaterin hält, als sich Alena zusammen mit ihrer Tante Rena dort befindet. Rena erkennt in dem Heiler ihren Erzfeind Cano wieder, Alenas Onkel, der in Renas Jugend versucht hatte, Daresh unter seine Gewalt zu bringen. Beunruhigt meldet sie ihre Beobachtung dem Rat, doch dort nimmt man sie nicht ernst.

Zur gleichen Zeit ereilt Alena die Nachricht, dass ihr Vater im Koma liegt, nachdem er einen weißen Panther gesehen hat. Nachdem auch Renas Gefährte von dem Tier verzaubert wird, sehen die beiden ein, dass sie handeln müssen. Doch Cano, den sie verdächtigen, ist den beiden immer einen Schritt voraus und sorgt dafür, dass sie aufgrund seiner Intrigen in Ekaterin zu Geächteten werden. Nachdem er ihnen einen Mord angehängt hat, geht es nicht nur darum, Alenas Vater und Renas Gefährten zu retten, sondern auch Cano zu vernichten und ihren Namen reinzuwaschen …

Die Fantasywelt von Daresh begeistert vielleicht nicht gerade durch Originalität, aber sie ist schön ausgearbeitet, und die Idee mit den unterschiedlichen Gilden weiß zu gefallen. Trotzdem wird man mehr als einmal ein wenig an die Bücher von Tamora Pierce erinnert, allerdings gelingt der Weltentwurf hier nicht ganz so gut, da an der einen oder anderen Stelle noch ein wenig der Feinschliff fehlt. Ekaterin ist zwar hübsch dargestellt, doch es fehlt an wirkungsvollen Beschreibungen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Selbiges gilt für die Personen. Alena ist eine wunderbar kratzbürstige Pubertierende, doch auch ihr fehlt es an einigen Ecken und Kanten, die ihr die nötige Tiefe verliehen hätten. Das Gleiche gilt für Rena, die leider ein wenig oberflächlich bleibt. Die beiden wechseln sich mit den Perspektiven ab, doch leider werden sie teilweise sogar im selben Absatz vermischt, was ein wenig verwirrend ist.

Oben genannte Kritikpunkte könnten auch damit zusammenhängen, dass der Schreibstil an und für sich kaum Zauber entwickelt. Er erzählt flüssig und ohne Stolpersteine, aber auch ohne besondere Sogwirkung. Dabei hätte der an und für sich durchaus spannenden Handlungen mit einem schönen Aufbau und überraschenden Wendungen ein wenig Absorbationskraft nicht geschadet.

Katja Brandis‘ „Feuerblüte“ hat einen netten Hintergrund und eine nette Handlung, doch leider ist der etwas unmotivierte Sprachstil schuld daran, dass kaum wirkliche Spannung aufkommt, die den Leser so sehr in den Bann zieht, dass er das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann.

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|Siehe ergänzend dazu die Rezension zu Band 2:| [„Feuerblüte – Im Reich der Wolkentrinker“ 2887

Feiler, Marion – Faron – König von Callador (Band 1)

Zumeist wird in Fantasyromanen das Zusammenspiel von Gut und Böse thematisiert und das aus der Sicht des Guten. Marion Feiler wagt den Schritt, mit „Faron – König von Callador“ einmal aus der Sicht des Bösen zu schreiben.

Faron ist der Sohn des milden und erfolgreichen Königs Adrónis, doch bereits bei der Geburt wird klar, dass mit Faron etwas nicht stimmen kann. Er scheint durch und durch böse zu sein, deshalb wird er mit zehn Jahren in den Tempel gegeben, wo er zum Priester ausgebildet werden soll. Allerdings dient der Priester Nathon nicht der Friedensgöttin Jishta, die in Callador verehrt wird, sondern dem Kriegsgott Ashtor, der seine Hand über Faron hält und ihn zur Erde geschickt hat, um die Überlegenheit über Jishta zu gewinnen. Dadurch bekommt Faron eine Extrausbildung in Kampfkunst und schwarzer Magie.

Durch mysteriöse Umstände kommen der König und der rechtmäßige Thronfolger Garwin, Farons Bruder, auf der Jagd ums Leben und die Krone geht an Farador. Mit seinem Charme und seiner Ausstrahlung schafft er es, das Volk um den Finger zu wickeln, und er verbannt Jishta aus dem Tempel, um Ashtor dort seinen Platz zu geben. Mit dessen Hilfe und seinem kriegerischen Geschick schafft er es, die Nachbarreiche zu unterwerfen, doch plötzlich ergeht die Kunde, dass Garwin noch lebt und seinen rechtmäßigen Thronplatz einfordert …

Was sehr interessant klingt, nämlich die Sicht des Bösen, wird auch erfüllt. Faron ist tatsächlich böse und besitzt doch noch die Gefühle eines Menschen. Trotzdem hätten ihm ein paar Tiefen nicht geschadet, wobei er der noch am besten ausgearbeitete Charakter ist. Sämtliche Nebendarsteller sind sehr blass neben ihm, abgesehen von der trotzigen Amazone Naira, die unsterblich in Faron verliebt ist, wobei er diese Gefühle auch bei sich entdeckt.

Was aber noch viel schwerer wiegt, sind die Kritikpunkte an der Handlung. Es fehlt ein linearer Strang mit einem erkennbaren Ziel. Außer der Unterwerfung des gesamten Reichs Soramenis scheint Faron kein Ziel zu haben, und das wirkt sich negativ auf die Spannung aus. Selbige kommt beinahe gar nicht auf, da es, wie gesagt, keinen Handlungsstrang gibt, der eine konstante Steigerung beinhaltet.

Ansonsten bietet Feiler soliden Fantasystoff, der nicht gerade besonders innovativ ist. Die Welt, in der sie ihre Geschichte einbettet, ist mittelalterlich angehaucht und wirkt eher wie schmückendes Beiwerk denn als Grundlage für einen Roman.

Allerdings gewinnt das Buch durch den ausbaufähigen Schreibstil an Fahrt. Feiler schreibt sehr einfach und stringent, ohne Ausschweifungen oder großartige Nebenhandlungen. Das Buch lässt sich flüssig herunterlesen, auch wenn es am Anfang wegen der einen oder anderen Unsicherheit, die zumeist in fantasytypischem Geschwülste mündet, etwas hakt. Die ständige Verwendung von archaischen Wörtern, Satzstellungen und Zeiten (Imperfekt) machen es manchmal nicht einfach, Zugang zu finden, doch hat man sich erstmal zurecht gefunden, kann man „Faron – König von Callador“ in einem Zug herunterlesen.

Marion Feilers Fantasygeschichte ist sicherlich nicht der große Wurf. Besonders in der Ausarbeitung des Reiches Soramenis und der Handlung besteht noch Verbesserungsbedarf, aber der Schreibstil präsentiert sich als sehr ausgereift, auch wenn er am Anfang ein wenig gewöhnungsbedürftig ist.

http://www.marion-feiler.de/

Kröhnert, Steffen / Medicus, Franziska / Klingholz, Reiner – demografische Lage der Nation, Die

Wollten wir nicht alle schon mal wissen, wie es um unseren Heimatort steht? Steht er kurz vor dem Kollaps oder vor seiner Blüte? Sind unsere Arbeitsplätze sicher und lohnt es sich, hier Kinder zu kriegen?

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung beziehungsweise das Autorenteam Steffen Kröhnert, Franziska Medicus und Reiner Klingholz gibt in „Die demografische Lage der Nation“ Antworten. Wie der Titel schon andeutet, geht es hier etwas trockener zur Sache. Man beschäftigt sich mit einzelnen Bundesländern und ihren prosperierenden oder absterbenden Landkreisen und zeigt interessante Entwicklungen auf in Bezug auf Demografie, Wirtschaft, Integration, Bildung, Ab- und Zuwanderung und Kinderfreundlichkeit. Am Ende jedes Bundeslandkapitels gibt es dann eine Trendtabelle, in der diese Faktoren anhand im Anhang erklärter, empirischer Maßstäbe bewertet und mit einer Trendnote versehen werden. Dadurch ist es möglich, Vergleiche anzustellen, wobei dies schon dadurch erleichtert wird, dass verschiedene Farbabstufungen für verschiedene Notenbereiche benutzt werden. Der Anfang des Buches ist schließlich das Ende des Buches. Statt einer Zusammenfassung der Ergebnisse im letzten Kapitel nimmt man diese vorweg und macht daran zwölf Punkte fest, die auffällig waren. Beispiele dafür sind die fehlenden Frauen im Osten oder natürlich die Überalterung der Gesellschaft.

Der Inhalt des Buches gebärdet sich dabei weit interessanter, als man denkt. Schließlich ist einem als deutscher Staatsbürger der eine oder andere Landstrich bekannt und die umfassenden Informationen, die man in dem Buch darüber bekommen kann, sind sehr interessant. Aufgelockert wird das eigentlich trockene Thema der Demografie durch das Einstreuen kleiner Anekdoten, wie zum Beispiel dem Versagen verschiedener Regierungen in bestimmten Punkten, was man als normaler Bürger vielleicht gar nicht so mitbekommt.

Geschrieben wurde glücklicherweise auf eine unterhaltsame, aber dennoch wissenschaftliche Art. Leichtfüßig und in Alltagssprache, aber nüchtern und wertfrei, dafür ab und an mit einem kleinen Augenzwinkern widmen sich die Autoren „Daten, Fakten, Analysen“, wie das Buchcover verspricht. Mit viel Fachwissen und doch leicht verständlich erklären sie die zahlreichen Tabellen und Schaubilder in vier Farben, die den Inhalt anschaulich und vergleichend darstellen.

Präzise und ohne Ausschweifungen fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen und bescheren dem Leser dabei einen guten Überblick über die deutsche Lage und inwiefern welche Umstände für den jeweiligen Heimatort gelten. Klare, aber nüchterne Sprache, viele Abbildungen und eine sorgfältige Auswahl in Bezug auf den Inhalt halten das Interesse des Lesers wach. Auf der einen Seite gibt es Fakten, auf der anderen wird auch die eine oder andere lockerere, nicht besonders wissenschaftliche Anekdote zum Besten gegeben. Empfehlenswert für den, der einen guten Überblick über das Thema haben möchte, ohne überfordert zu werden.

Taschenbuch ‏ : ‎ 192 Seiten
http://www.dtv.de

Schirrmacher, Frank – Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft

„Deutschland braucht Kinder!“, predigt die Politik seit einiger Zeit und kürzt auf der anderen Seite alle möglichen Gelder, die junge Familien beim Kinderkriegen unterstützen würden.

Wie dringlich es wirklich ist mit den Kindern, zeigt Frank Schirrmacher in seinem neuen Buch „Minimum“ auf. Der Untertitel ist „Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft“ und er beschreibt in wenigen Worten, womit sich dieses Buch beschäftigt.

Aufgegliedert nach Geschlecht und Alter erklärt Schirrmacher, welche Funktion Männer, Frauen und Kinder in unserer Gesellschaft haben, welche sie hatten und welche sie haben werden. Er erklärt das Zusammenleben der Deutschen, aber nicht in trockener, wissenschaftlicher Art und Weise, sondern recht lebendig mit kleinen Geschichtchen, die seine Aussagen quasi-empirisch belegen, zum Beispiel die Geschichte vom Donner-Pass. Eine Gruppe Menschen versucht im 19. Jahrhundert, die Sierra Nevada im Winter zu durchqueren, was sich aber schwierig gestaltet und einige Opfer fordert. Tagebucheinträge von Mitgliedern des Trecks zeigen auf, wie das Überleben sich damals abspielte und Schirrmacher zieht Schlüsse daraus, die plausibel klingen.

In einem weiteren Kapitel mit der Überschrift „Rollenspiele“ legt er anschaulich dar, wer welche Funktion innerhalb unserer Gesellschaft hat. Allerdings geht es weniger um trockene Themen wie dsa Kinderkriegen oder das Geldverdienen. Überschriften wie „Wer rettet wen?“ oder „Wer vernetzt wenn?“ machen neugierig, denn man kann sich nur schwerlich vorstellen, was sich dahinter verbirgt.

Es spricht für Schirrmacher, dass er es schafft, so ein trockenes Thema wie Demografie dermaßen interessant darzustellen. Mit einer galanten Leichtfüßigkeit streift er einige Aspekte zwar nur am Rand, und seine Methode, seine Thesen mit kleinen Geschichten und Ausschweifungen darzustellen, ist vielleicht nicht besonders wissenschaftlich, aber dafür sehr unterhaltsam, was für einen Laien eine gute Sache ist.

Applaus verdient sein Schreibstil. Das ganze Buch erzählt sehr luftig-locker, wertneutral und unterhaltsam. Schirrmacher schafft den Spagat zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und beinahe schon prosaischer Schreibe mit stellenweise poetisch angehauchter Sprache. Er benutzt viele Quellen und Zitate, die allesamt korrekt im Anhang belegt sind, und trotzdem entstehen dadurch keine Brüche.

In der Summe ist „Minimum“ für den interessierten Laien durchaus empfehlenswert. Der schöne Schreibstil und der anschaulich verpackte Inhalt eröffnen einen guten Einblick in dieses Thema. Das Buch geht allerdings nicht zu tief. Wer wirkliche Informationen möchte, sollte sich an andere Literatur wenden, wer einfach nur etwas Interessantes, Spielerisches sucht, ist hier gut beraten.

http://www.randomhouse.de/blessing

Charlie Fletcher – Stoneheart – Die Suche (Band 1)

Stell dir vor, du machst einen Schulausflug in ein Londoner Museum. Es ist ein regnerischer Tag und du bist zwölf Jahre alt, schüchtern und deine Mitschüler hänseln dich. Stell dir vor, du wirst durch eine Intrige von deinem Lehrer in die Ecke gestellt, und nachdem du aus Wut eine Statue beschädigt hast, bist du plötzlich nicht mehr in dem London, das du kennst, sondern in einem, in dem man von lebendig gewordenen Wasserspeiern verfolgt wird.

Es klingt unglaublich, aber tatsächlich passiert das dem nicht gerade heldenhaften George, der seit dem Tod seines Vater seinen Platz in der Welt noch nicht wieder gefunden hat. Und nun steckt er plötzlich in diesem Albtraum fest. Hinter ihm ein steinerner Flugsaurier und neben ihm lauter Londoner im Feierabendverkehr, die komischweise nicht das sehen können, was er sieht. Dabei ist die Gefahr des Wasserspeiers für ihn gerade sehr real.

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