Alle Beiträge von Michael Birke

Gentle, Mary – 1610: Kinder des Hermes

Band 1: [„Der letzte Alchimist“ 2360

Mary Gentle hat einen ungewöhnlichen und vielseitigen Werdegang aufzuweisen; 1956 in Sussex geboren, arbeitete sie unter anderem in Kinos und für Essen-auf-Rädern, bevor sie 1981 mit ihren Studien begann, die 1995 mit Master-Abschlüssen in Kriegsgeschichte und Geschichte des 17. Jahrhunderts mündeten.

Ihre profunden Kenntnisse stellte sie bereits in der [Legende von Ash, 303 die mit dem |British Science Fiction Award| sowie dem |Sidewise Award for Alternate History| ausgezeichnet wurde, unter Beweis.

Sie hat einen sehr eigenen Stil, der historischen Roman mit Science-Fiction verbindet, ihre Erzählweise ist ebenso eigenwillig. Schwierig zu klassifizieren, sprengt sie Genreschranken und ist eine willkommene Bereicherung des Phantastikgenres.

Mit „1610: Die Kinder des Hermes“ liegt mittlerweile der zweite Teil der Übersetzung von „1610: A Sundial in a Grave“ vor. Als Übersetzer zeichnet wie bereits bei der „Legende von Ash“ Rainer Schumacher verantwortlich, der auch diesmal wieder vortreffliche und tadellose Arbeit geleistet hat.

„1610“ erzählt die Geschichte des bekannten Musketier-Antagonisten Valentin Rochefort. Dieser ist ein überraschend selbstkritischer und amüsanter Erzähler, der die Ereignisse des Jahres 1610 für den Leser in seinen Memoiren niederschreibt. Aus seiner Sicht erfahren wir von dem genialen Mathematiker Robert Fludd, der einen Weg gefunden hat, durch Mathematik die Zukunft vorherzusagen.

Die Zukunft gefällt Fludd aber nicht, und er plant sie zu ändern. Rochefort kommt dabei eine tragende Rolle zu. Der als vermeintlicher Königsmörder in Frankreich in Ungnade gefallene Haudegen soll einen weiteren König, James Stuart, ermorden helfen – damit sein Sohn Heinrich König werden kann und eine Fludd genehmere Zukunft ermöglicht. Die ebenfalls mit der geheimen Mathematik vertraute Schwester Caterina will dies verhindern und hilft Rochefort, der jedoch kaum eine Wahl hat: Seine Hassliebe Dariole wird von Fludd entführt und dient ihm als Geisel.

„Die Kinder des Hermes“ stellt einen typischen Mittelteil dar. Allerdings wird in für Gentle typischer Manier der Höhepunkt herausgezögert, so dass dieser Roman etwas weniger spannend und originell ist als der Vorgänger. Rochefort kann das Komplott gegen König James vereiteln und Dariole retten, die jedoch zuvor vergewaltigt wurde und eine der Ursachen ist, warum Fludds Plan scheiterte: Entgegen seinen Berechnungen beging sie nach der Vergewaltigung durch seine Knechte keinen Selbstmord, Rochefort geriet infolgedessen nicht in Rage und auch der Tod einer weiteren Person, die sich für ihn opfert, war so ebenfalls nicht vorgesehen. Fludds Zukunfts-Kartenhaus bricht zusammen und sein Plan scheitert auf ganzer Linie.

Hier setzt auch meine Kritik an: Bereits auf den ersten Seiten dieses Mittelteils ereignen sich diese entscheidenden Szenen! Die leider aber nicht überzeugen können. So lässt Gentle Rochefort spekulieren, Fludd könne zwar Aktionen berechnen und somit voraussagen, die dahinter stehenden Motive aber nicht. So könnte die (nicht ganz so unvermutet) starke Liebe zwischen Rochefort und Dariole seinen Plan gekippt haben. Zwar muss man als Leser einfach das Zugeständnis machen, dass Fludd die Zukunft perfekt berechnen kann; dass er dann dies aber nicht können sollte, wo er es doch stets schafft, Boten zur rechten Zeit am rechten Ort aufzustellen, um Rochefort Anweisungen zu erteilen, ist ein Schwachpunkt dieser Argumentation.

Die Wiedereinsetzung von König James zieht sich durch den Mittelteil, zwar flüssig zu lesen, aber ohne echte Höhepunkte. Konfliktstoff steckt vielmehr in der Beziehung zwischen Dariole und Rochefort; Letztere ist von der Vergewaltigung tief verletzt und will Rache, während Rochefort Fludd an König James sozusagen als Wahrsager und potenzielles Machtmittel verschachert.

Angesichts seiner mittlerweile von ihm selbst anerkannten Gefühle für Dariole wirkt dies wie Hohn und ergibt wenig Sinn; nur im Kontext der Entwicklung in diesem Roman kann man es halbwegs akzeptieren. Rochefort wird vom Handelnden zum Getriebenen, zum kleinen Gefolgsmann, der von Königen und anderen Mächtigen als Werkzeug behandelt wird, genau wie der einstmals so mächtige Verschwörer Robert Fludd. So tritt der farblose König James von Schottland in den Vordergrund, schillernde Charaktere wie Rochefort, Fludd oder der Samurai Saburo tauchen leider fast völlig unter. Dariole mutiert zu einer nervenden Zicke, allerdings sind zumindest ihre Motive nachvollziehbar: Sie will Fludds Kopf.

Die spannendste Wende erfolgt auf den letzten Seiten: Fludd wird entführt – jemand will sich seine Fähigkeiten zu Nutze machen. Mit dem Hinweis auf Saburo und Japan sowie einer den beiden wie ein Racheengel folgenden Dariole dürfte klar sein, wohin es Rochefort demnächst verschlagen wird …

_Fazit:_

Obwohl „Die Kinder des Hermes“ 396 Seiten umfasst und flüssig und spannend zu lesen ist, fehlt die Klasse des ersten Teils. Zu wenig passiert und einige Widersprüche trüben das Lesevergnügen. Lobenswerterweise wird diesmal zumindest Rainer Schumacher als Übersetzer genannt; dass mit „1610: Söhne der Zeit“ ein dritter Teil folgt, wird leider mit keinem Wort erwähnt – ebenso wenig, dass dieser abschließend ist. Wie bereits bei „Ash“ ist Mary Gentle bisweilen etwas holprig, durch die Teilung der deutschen Fassung wird dies leider auffällig betont. In diesem Band geizt sie auch mit historischen Details, die sonst ihre Stärke sind und ihren Romanen Klasse verleihen. Unterhaltsam ist „Die Kinder des Hermes“ aber allemal, die Andeutungen auf kommende Entwicklungen im dritten Band sind zudem sehr vielversprechend.

Gemmell, David – weiße Wolf, Der (Drenai-Saga)

Der Engländer David Gemmell (*1948) gilt als der erfolgreichste Autor unserer Zeit im Bereich der heroischen Fantasy. Insbesondere mit seinen Romanen in den wilden Landen der |Drenai| und dem |Rigante|-Zyklus wurde er in Deutschland bekannt.

Was Gemmell von klassischen Vorbildern wie Robert E. Howards „Conan“ unterscheidet, sind seine meist vielschichtigeren Charaktere, die oft von moralischen Problemen und persönlicher Schuld geplagt werden. Während der Barbar Conan auf Abenteuer und Beute aus ist, kämpfen Helden wie Gemmells Axtschwinger Druss in erster Linie notgedrungen um das Leben ihrer Frau, um ihre Heimat und ihre Mitmenschen. Der Attentäter Waylander wird vom Verlust seiner Familie geplagt und bereut seine vergangenen Morde, die man ihm nicht vergeben will. Gnadenlos wird er gejagt, rein um des fürstlichen Kopfgelds und der Rache wegen, obwohl er sich geändert hat und zu einem Wohltäter geworden ist. Wo liegt die Grenze zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch? Oft gibt es keine klare Antwort und es ist nur eine Frage des Blickwinkels.

In „Der weiße Wolf“ führt David Gemmell den Leser erneut in seine Welt der Drenai, wenn auch in das ferne Naashan. Der Prolog beginnt an einer staubigen Straße, an der ein Kaufmann mit seinen beiden Töchtern um sein Leben fürchtet. Der fremde Schwertmeister, der ihm Gesellschaft leistet, ist niemand Anderer als Skilgannon der Verdammte! Fünf schwarz gekleidete Ritter der Königin von Naashan stellen Skilgannon zum Kampf auf Leben und Tod; es ist offensichtlich, dass er gejagt wird. Skilgannon zieht seine beiden Schwerter und macht kurzen Prozess mit den Angreifern. Er rät dem verängstigten Kaufmann, so schnell wie möglich nach Norden zu fliegen – seine bloße Nähe hätte ihn in Gefahr gebracht – und reitet davon.

Das erste Kapitel beginnt kontrastierend in einem Kloster friedlicher Mönche, die von der Bevölkerung trotz ihrer guten Taten für ihre Not verantwortlich gemacht werden. Kriege und Missernten führten zu Unzufriedenheit, in der sich gerissene Opportunisten in hohe Ämter aufschwingen konnten. Das Kloster dient als Sündenbock. Skilgannon bemüht sich als Bruder Lantern redlich um einen Neubeginn, doch als man das Leben des Abts bedroht, stellt sich Skilgannon dem Mob entgegen und greift erneut zur Waffe.

Der weise Abt entlässt ihn aus dem Orden, dessen Philosophie er nie wirklich verinnerlichen konnte, und schickt Skilgannon als Eskorte eines etwas weltfremden Mönches in die Hauptstadt Mellicane; sein letzter Dienst für den Orden. Skilgannon hat ein neues Ziel: Er sucht den mystischen Tempel der Wiedererwecker, um seine Frau, die er nicht liebte, obwohl sie es verdient hätte, vom Tod auferstehen zu lassen. Seine ganze Liebe galt Jianna, der Königin von Naashan – die dank seiner Hilfe zu der gefürchteten Hexenkönigin geworden ist und unter deren Herrschaft seine Armee das Massaker von Perapolis verübt hat, dem er seinen schrecklichen Ruf als Skilgannon der Verdammte zu verdanken hat.

Auf dem Weg steht er einem Axtkämpfer bei, dessen Reisegruppe in den Wäldern nahe Mellicanes von so genannten Bastarden – zur Strafe von Nadir-Schamanen durch Magie mit Bären, Wölfen und anderen Raubtieren verschmolzenen Menschen – angegriffen wird. Der Axtkämpfer ist kein Geringerer als der Drenai-Held Druss, der seinem Freund Orastes und dessen kleiner Tochter Elanin zur Hilfe eilt. Doch für Orastes kommt jede Hilfe zu spät … Es gilt, seine Tochter aus einer Festung zu befreien. Skilgannon und Druss müssen sich nicht nur dem brutalen Lord Eisenmaske stellen, den Skilgannon in seiner Jugend unter einem anderen Namen kannte, sondern auch seiner Nemesis Jianna, der schönen und grausamen Königin Naashans, die er immer noch liebt, obwohl sie seinen Tod fordert.

Die Thematik ist nicht neu, geradezu ausgelaugt, kein Rahmen, der auf Qualität hindeuten würde. Doch Gemmell ist ein meisterhafter Erzähler, der abwechslungsreich und spannend Interesse an der Figur Olek Skilgannon erzeugen kann. Für Kenner der Drenai-Saga weist der Roman zahlreiche Verweise auf alte Helden wie Decado oder Waylander auf, gekrönt vom Gastauftritt des legendären Axtkämpfers Druss.

Die Handlung blendet oft in die Vergangenheit zurück, während die Gegenwart für Skilgannon und seine Begleiter viel Action bietet. Seine Vergangenheit holt Skilgannon ein, alte Konflikte brechen wieder auf. Zentrales Thema ist die Hassliebe Skilgannons zu Jianna, der Hexenkönigin. In ihrer Jugend war sie eine bildschöne Prinzessin, die letzte Überlebende der königlichen Familie, die in einem Staatsstreich ermordet wurde. Da Skilgannons Bedienstete die junge Jianna vor ihren Häschern versteckt hielten, werden sie gefoltert und ermordet. Gemeinsam verstecken die beiden sich in den Wäldern, verlieben sich und erobern die Krone Naashans zurück. Doch Jianna gerät unter den Einfluss einer alten Frau, vielmehr einer Hexe, die in ihr Träume von Macht erweckt, die außer Kontrolle geraten. Sie nutzt ihre Schönheit aus, um fremde Fürsten in ihr Bett zu locken, um sie als Verbündete zu gewinnen, zum Unwillen Skilgannons, der sich jedoch beugt. Jianna verändert sich, die manipulative und harte Königin Naashans ist nicht mehr die Frau, die Skilgannon geliebt hat. Ihr Verhältnis kühlt merklich ab, bis sich Skilgannon nach dem Perapolis-Massaker von ihr lossagt. Doch Jianna kann das nicht akzeptieren, die Einflüsterungen der alten Frau sorgen dafür, dass der Wille zur Macht siegt und aus Liebe Hass wird. Skilgannon wird aus Naashan verjagt, gehetzt von Mordkommandos der Königin, und taucht in einem Kloster unter.

Gemmell zeigt, wie harmlose Menschen zu einem mordlustigen Pöbel werden können, wie der persönliche Mut eines Einzelnen viel Unheil vermeiden kann. Aber auch, wie solcher Mut schlecht vergolten wird und feiges Abwenden grauenvolle Taten erst ermöglicht. Besonders gelungen sind Kapitel mit Jianna und Skilgannon, die zeigen, wie aus den besten Absichten die größten Gräuel enstehen können. Was man Jianna angetan hat und wofür sie sich rächen wollte, fügt sie anderen in weit schlimmerem Maß zu. Die „Alte Frau“ taucht auch hier wieder in einer zwiespältigen Rolle als Helfer aber auch als Unheilbringer auf; wie bereits bei Druss in vorherigen Drenai-Bänden und im Rigante-Zyklus in der entsprechenden Figur der Morrigu. Gemmell lässt Personen aus Skilgannons Vergangenheit auftauchen, die eine andere Entwicklung als dieser durchgemacht haben, obwohl sie in ihrer Jugend Freunde waren und vieles teilten. Reue ist ebenso ein Thema, Skillgannon will Abbitte und Wiedergutmachung für seine Taten und die unerwiderte Liebe zu seiner verstorbenen Frau leisten. Deshalb reist er ja auch zum Tempel der Wiedererwecker – er will die Zeit scheinbar zurückdrehen.

Dieser Teil des Buchs bleibt leider sehr unklar und diffus, was daran liegt, dass diese Thematik erst in dem noch nicht übersetzten Folgeband „The Swords of Night and Day“ näher behandelt wird. Obwohl „Der weiße Wolf“ wie alle Drenai-Romane in sich weitgehend abgeschlossen ist, quillt er über vor Referenzen auf frühere Werke. Die Geschichte von Skilgannon und Jianna ist zwar gelungen inszeniert in ihrer retrospektiven Form, aber nicht zur Neige erschöpft. Vielmehr ist es eine Vorgeschichte, die erst im Folgeband ihren Höhepunkt erreicht.

Obwohl „Der weiße Wolf“ in meinen Augen einen der besten da episch breitesten Drenai-Romane mit zahlreichen starken Personen und Handlungssträngen sowie interessanter Erzählweise darstellt, weist er jedoch einige uncharakteristische Schwächen auf, über die Gemmell sonst erhaben ist: Manchmal simplifiziert und moralisiert Gemmell zu stark; zwar wird er nie pathetisch, aber wenn der alternde Druss mit Skilgannon zu philosophieren anfängt, sozusagen von Held zu Held, wirkt dies unnatürlich lächerlich und aufgezwungen. Die Figur Skillgannon selbst wirkt weit weniger überzeugend als ihre Vergangenheit, er vereint Züge vieler anderer Gemmell-Helden, insbesondere Waylanders, in sich, was zu Irritationen führt und ihn ein wenig daran hindert, sich selbst zu einem eigenständigen Charakter zu entwickeln.

Für die Übersetzung zeichnet wieder einmal Irmhild Seeland verantwortlich, die wie üblich hervorragende Arbeit geleistet hat. Ihr Gespür zeigt sie unter anderem bei dem Namen „Bruder Lantern“, den man auch krude als „Bruder Laterne“ hätte übersetzen können. Im Unterschied zum englischen Original fehlt Dale Rippkes Karte der Drenai-Welt, für die sich Gemmell im Vorwort ausdrücklich bedankt. Dafür weist das Buch gelungene und tatsächlich auf die Handlung bezogene Innenillustrationen von Janus Peterka auf, was man von dem Titelbild der Agentur Schlück nicht behaupten kann, das dem großartigen Original in keiner Weise ebenbürtig ist.

Skilgannon mag nicht an die Sympathiewerte und den schon fast legendären Heldenstatus eines Druss oder Waylander heranreichen, allerdings übertrifft „Der weiße Wolf“ viele ältere Drenai-Romane in epischer Breite und Spannung. Die Rückblenden in die Vergangenheit, die oft gegenwärtige Handlungen Skilgannons nachvollziehen lassen, helfen dem Leser, die Überlegungen Gemmells besonders gut zu reflektieren und unterhalten dabei hervorragend. „Der weiße Wolf“ ist ein hervorragender Drenai-Roman, der sich vor allem an Kenner der Saga wendet und dessen Handlung ihren Höhepunkt leider erst im Folgeband findet. Einsteiger können dennoch bedenkenlos zugreifen, David Gemmell garantiert nach wie vor für höchst unterhaltsame und moderne heroische Fantasy.

Die in der deutschen Ausgabe fehlende Karte der Drenai-Welt:
http://www.dodgenet.com/~moonblossom/Dratlas.html

http://www.bastei-luebbe.de/

_David Gemmell bei |Buchwurm.info|:_

[Die steinerne Armee 522 (Rigante 1)
[Die Nacht des Falken 169 (Rigante 2)
[Rabenherz 498 (Rigante 3)
[Eisenhands Tochter 1194 (Die Falkenkönigin 1)
[Im Zeichen des dunklen Mondes 840
[Die Augen von Alchazzar 1188 (Drenai-Saga)
[Waylander der Graue 1248 (Drenai-Saga)
[Wolf in Shadow 181 (Stones of Power)

Heine, E. W. – Papavera – Der Ring des Kreuzritters

Die rothaarige Papavera hat es schwer. Die fünfzehn Jahre junge Herrin von Burg Falkenstein wird wegen ihrer Haarfarbe und weil sie die Gesellschaft ihres Pferdes Tassilo der von Männern vorzieht von der Bevölkerung misstrauisch beäugt. Der ältere Gaugraf von Randersacker stellt ihr dreist nach, er sieht in ihr die Gelegenheit, seinen Besitz zu mehren, denn ihr Vater ist, seit er mit einem Kreuzzug in das Heilige Land aufbrach, verschollen.

Ein geheimnisvoller Ring mit einer ungewöhnlichen Inschrift, der ihrem Vater gehört, wirft Fragen auf. Ging er etwa nicht freiwillig auf den Kreuzzug? Als Papavera von dem Gaugrafen zwecks Heirat entführt wird, aber quer durch den Bärenzwinger des Grafen entkommen kann, eskaliert die Situation. Randersacker bezichtigt sie der Hexerei und setzt einen mit ihm verwandten Inquisitor auf sie an, dem Papavera jedoch immer wieder entkommen kann, was seinen Glauben, sie sei wahrlich eine Hexe, nur noch bestärkt.

Papavera muss fliehen und macht sich auf in das Heilige Land, auf der Suche nach ihrem Vater. Gejagt vom Inquisitor, lernt sie auf der Flucht den Liliputaner und Überlebenskünstler Leichtfuß kennen, mit dem sie über Venedig, wo sie einen reizenden jungen Mann kennen lernt, bis nach Akkon reist. Ihr rotes Haar erregt unter den Moslems Aufsehen, bis hin zu Kaiser Friedrich II. und dem Sultan verschlägt es Papavera auf abenteuerliche Weise.

Der in Berlin geborene E. W. Heine arbeitete einige Jahre als Architekt in Südafrika und arabischen Ländern. Bekannt wurde er vor allem durch seinen Mittelalter-Roman „Das Halsband der Taube“. Ein gewisser Hang zum Makabren zeichnet seine Werke aus, und obwohl „Papavera“ im Gegensatz zum „Halsband der Taube“ ein Jugendroman ist, geht er auch hier nicht zimperlich mit seinen Charakteren um.

„Papavera“ ist kein weichgespülter Jugendroman, für Spannung und Aufregung wird oft durch drastische physische Bedrohung oder den Tod von Nebencharakteren gesorgt, der unverhofft jeden ereilen kann. Sehr schön beschreibt E. W. Heine das Leben im Altmühltal um 1200-1250. Dabei bleibt er historisch exakt und versteht dies blendend in die Erzählung einzubauen. So leidet Papavera unter der gesellschaftlich Männern untergeordneten Rolle der Frau und der Furcht vieler Menschen vor ihrem ungewöhnlichen roten Haar.

Obwohl Heine seine Charaktere in einer altertümlichen, schroffen und rauen Sprachweise reden lässt, verwendet er oft auch moderne Redewendungen wie „Weichei“ und lässt sie bemerkenswert fortschrittlichen Gedanken nachgehen. Wie in vielen Historienromanen, denkt auch Papavera wie ein Mensch unserer Zeit, nur Nebencharaktere folgen mittelalterlichen Denkansätzen, die deshalb oft ungerechtfertigt klischeehaft und primitiv wirken. Als Fünfzehnjährige ist sie für die damalige Zeit zum Beispiel keineswegs zu jung für eine Heirat.

Die Handlung hat einen ausgeprägten Reisecharakter, vom Altmühltal über Venedig bis in das Heilige Land in die Hände der Heiden verschlägt es Papavera. Dabei nützt Heine jede Station, um neue interessante Facetten der damaligen Welt und ihrer Menschen vorzustellen. Seine humorvolle Erzählweise gefiel mir dabei besonders gut. Liebenswerte Begleiter wie Leichtfuß, das Frettchen Friederike oder der Hengst Tassilo werden intelligent in die abwechslungsreiche Handlung eingebunden und dürften nicht nur jüngere Leser entzücken. Der verfolgende Inquisitor wirkt leider etwas aufgesetzt, es ist klar, dass er nur als Kraft dient, die Papavera vorantreibt; trotz handfester Bedrohung ihres Lebens konnte ich ihn zu keiner Zeit als Gefahr ernst nehmen.

„Papavera“ ist ein intelligenter, spannender und sehr abwechslungsreicher Roman, der das Mittelalter in voller Breite vor dem geistigen Auge des Leser wiederauferstehen lässt. Leider hat E. W. Heine zugunsten jüngerer Leser einige Konzessionen hinsichtlich Ausdruckweise und Weltbild seiner Hauptfiguren gemacht, was jedoch heute so üblich ist in historischen Romanen, dass es vermutlich nur wenige stören wird. Seine makaber-humorige Ader sorgt für gute Unterhaltung und ist das i-Tüpfelchen auf einer spannenden und lehrreichen Geschichte, die am Ende ein Familiengeheimnis aufdeckt und mit einer positiven moralischen Erkenntnis aufwartet.

Wem „Das Halsband der Taube“ gefallen hat, wird auch an „Papavera“ viel Freude finden, auch wenn das Buch deutlich auf jüngere Leser zugeschnitten und dementsprechend leichter zugänglich ist.

http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch/

MacLeod, Ian R. – Aether

In einer an das viktorianische England angelehnten Welt wächst Robert Burrows auf, ein ganz normaler und unbedeutender Junge aus einer Arbeiterfamilie. Eigentlich soll Robert Werkzeugmacher werden wie sein Vater, aber das Schicksal meint es nicht gut mit ihm:

Die Arbeit mit dem Aether hat seine Mutter in einen Wechselbalg verwandelt und sie eines grausamen Todes sterben lassen. Dasselbe magische fünfte Element, das für den unglaublichen Aufstieg der englischen Industrie verantwortlich ist. Aether treibt die Maschinen der reichen Gilden an, gleichzeitig sind sie abhängig vom Aether. Andere Energiequellen können nicht an die Kraft und Flexibilität des Aethers heranreichen, den man in Bergwerken aus der Erde fördert. Darum vernachlässigt man die Erforschung alternativer Energiequellen.

Doch der Aether ist ein zweischneidiges Schwert: Immer wieder kommt es zu Unfällen, wer zu lange mit dem Aether arbeitet, wird krank und stirbt oder verwandelt sich gar in einen Wechselbalg, Troll oder Kartoffelmann. Während die reichen Gildenmeister ein Leben im Überfluss führen, riskieren rangniedere Gildenmitglieder ihre Gesundheit, gildenlose Menschen leben in Slums und stellen die unterste Schicht der Gesellschaft dar.

Robert Burrows will fort von der grausamen Industrie seiner Heimat und zieht nach London. Doch sein Traum von Freiheit vom Aether verwandelt sich in einen Alptraum. Hart arbeitend geht er zwielichtigen Beschäftigungen nach, hat nur wenige Freunde und nur seinen eisernen Willen als Kapital.

„Aether“ ist die Geschichte von Robert Burrows, der in den Rang eines Gildengroßmeisters aufsteigen und seine große Liebe finden wird. Sein Glück und Leid gleichermaßen verdankt er dem Aether …

Der in den Midlands um Birmingham aufgewachsene Ian R. MacLeod schreibt in seinem Roman „Aether / The Light Ages“ über sehr englische Themen. Die viktorianische Epoche und die Thematik erinnern an Charles Dickens, während seine Sozialkritik eher mit der eines China Miéville zu vergleichen ist. Allerdings ist MacLeod vornehmlich ein distanzierter Beobachter, der sich mit Wertungen oder Kritik viel mehr zurückhält als Miéville.

Seine Hauptfigur Robert Burrows ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Trotz des Fokus auf Robert behält MacLeod stets eine gewisse Distanz vom Geschehen, was es leicht macht, die Handlung kritisch zu reflektieren. Dabei kommen emotionale Momente nicht zu kurz. Wird der Tod der Mutter sehr nüchtern geschildert, ist die sich im zweiten Teil des Buches anbahnende Liebesgeschichte ergreifend. Dennoch werden einfühlsamere Szenen ebenso wie Schilderungen der sozialen Missstände durch diese Erzählweise ihrer Intensität beraubt. Die unkommentierte und oft langatmige Schilderung des quasi-viktorianischen Englands verliert schließlich ihren Reiz, das Buch beginnt stark und fällt dann drastisch ab, bis MacLeod endlich zur Sache kommt; er redet zu lange um den heißen Brei herum: die Aether-Problematik.

Aether erinnert bewusst an Uran; die Mutationen, die er auslöst, sind Folgen einer Verstrahlung. Trotzdem setzt man beharrlich auf den Aether – nicht einmal die Elektrizität hat man erfunden, per Aether ins unermessliche verstärkte Dampfmaschinen sind das Nonplusultra. Erst mit dem unerwarteten Erlöschen des Aethers, was eher an Erdöl denn Kernkraft erinnert, beginnt man mit der Suche nach alternativen Energiequellen.

„Aether“ gefällt mit vielen Bezügen zur Realität in einer verfremdeten und doch sehr bekannten viktorianischen Parallelwelt. Sprachlich ist MacLeod ein sehr visueller Schriftsteller, er lässt den Blick des Lesers of schweifen. Die Übersetzerin Barbara Slawig hat exzellente Arbeit geleistet, auch die Aufmachung und Qualität des Buchs können auf ganzer Linie überzeugen.

Bei so vielen brisanten und aktuellen Themen verwundert jedoch, wie distanziert MacLeod beobachtet. Auch wenn diese Sachlichkeit durchaus angenehm ist, fehlt einfach ein Standpunkt, der rechte Biss bisweilen. Der Wandel der Gesellschaft und der Aufstieg Roberts werden hier nicht aggressiv durch einen Klassenkampf erreicht, sondern sind die Folge des Versiegens des Aethers. Robert ist ein getriebener, passiver Charakter. So dümpelt die Story bisweilen dahin, denn die Faszination des quasi-viktorianischen Englands erlischt schnell; diese Epoche und ihre Probleme sind trotz aller moderner Bezüge dem Leser einfach zu bekannt.

Etwas mehr Dramatik, Pep und Biss anstelle der distanzierten Beobachterperspektive hätten dem Roman gut getan; trotz dieser Schwächen ist er jedoch ansprechend und intelligent. Gerade der Verzicht auf derbe Plastizität und vorgekaute Schlussfolgerungen oder Kommentare könnte die Lebensgeschichte Robert Burrows für viele Leser interessant machen.

http://www.klett-cotta.de

Vernor Vinge – Die Tiefen der Zeit

Vernor Vinge (* 10. Oktober 1944) ist in Deutschland vor allem durch seine beiden jeweils mit dem |Hugo Award| ausgezeichneten Romane „Ein Feuer auf der Tiefe“ (1992) und [„Eine Tiefe am Himmel“ 364 (1999) bekannt. Sie wurden ebenfalls für den |Nebula Award| nominiert, „Eine Tiefe am Himmel“ wurde in Deutschland zusätzlich mit dem Kurd-Laßwitz-Preis prämiert.

Bis zum Jahr 2002 dozierte der Mathematiker und Computerwissenschaftler Vernor Vinge an der San Diego State University, seitdem konzentriert er sich ganz auf seine schriftstellerische Tätigkeit.

Sein neuester in Deutschland erschienener Band „Die Tiefen der Zeit“ ist jedoch trotz des ähnlich klingenden Titels keine Fortsetzung seiner beiden erfolgreichen Romane um die „Zonen des Bewusstseins“, sondern eine Sammlung von achtzehn Kurzgeschichten, die bis auf zwei Ausnahmen in „The Collected Stories of Vernor Vinge“ (Tor Books 2001) enthalten sind. Einige Kommentare wurden aktualisiert, zu „Das Cookie-Monster“ und „Wahre Namen“ wurden sie von Vernor Vinge eigens für die deutsche Ausgabe verfasst und von Erik Simon, der vorliegende ältere Übersetzungen überarbeitet hat, ebenso wie das Vorwort übersetzt.

Die Erzählungen sind thematisch sortiert. Beginnend mit „Bücherwurm, lauf!“, der ältesten Erzählung Vinges aus dem Jahr 1966, zeigt Vinge die Veränderungen, die neue Technologien für die menschliche Gesellschaft bedeuten. Ansätze der Thematik Verschmelzung von Mensch und Maschine im Lauf seiner Evolution sind ebenfalls zu erkennen.

Zahlreiche weitere Erzählungen handeln von postapokalyptischen Szenarien, in denen die gesamte Nordhalbkugel der Erde oder die ganze Menschheit vernichtet wurden. Verschiedene Formen postatomarer Gesellschaften werden vorgestellt, einige davon unter den Einfluss von Aliens.

Drei Erzählungen sind mit nur fünf beziehungsweise sechzehn und sechsundzwanzig Seiten sehr kurz geraten, qualitativ sind diese drei leider auch nicht besser: Insbesondere die titelgebende Erzählung „Tiefen der Zeit“ gehört zu den schwächsten dieser Sammlung. Die für den Hugo-Award nominierte „Barbarenprinzessin“ ist unverständlicherweise als einzige Erzählungen des aus drei Kurzgeschichten bestehenden Romans „Grimms World“ in diesem Sammelband enthalten und konnte mich leider ebenfalls nicht überzeugen.

Davon abgesehen bietet der Sammelband höchst interessante und hochwertig übersetzte Kost; die Nachbearbeitung von Erik Simon zahlte sich hier aus. Interessanterweise fielen mir nur bei der von ihm selbst übersetzten „Barbarenprinzessin“ einige wenige Setzfehler auf.

Auffallend ist der starke amerikanische Einschlag der meisten Geschichten, was vielleicht darin begründet ist, dass sie größtenteils im |Analog Science Fiction and Fact|-Magazin erstveröffentlicht wurden. Einige Thematiken sind heute nicht mehr aktuell, wie russisch-amerikanische Konflikte der Zeit des Kalten Krieges, oder die auf die Apartheid-Problematik abzielende Geschichte „Absonderung“.

Bemerkenswert ist die sprunghafte Qualität der Erzählungen. Vinge ist nicht kontinuierlich besser geworden; eine der besten Erzählungen dieser Sammlung, „Kampflose Eroberung“, stammt bereits aus dem Jahr 1968 und stellt viele der später veröffentlichten Geschichten inhaltlich und schriftstellerisch in den Schatten. Vinge war stets eher ein Ideenschriftsteller denn ein Talent in der Darstellung von Charakteren; in dieser Geschichte sowie in der mit William Rupp geschriebenen Erzählung „Gerechter Frieden“ zeigt er jedoch, dass er auch dies beherrscht. Etwas knöchern und technokratisch wirken dagegen einige der frühen Geschichten in diesem Roman, was leider auch in späteren Storys immer wieder passiert.

Interessanterweise schrieb Vernor Vinge gerade seine visionärsten Ideen in seinen frühen Erzählungen nieder; seine späteren Werke beziehen sich sehr oft auf seine zu dieser Zeit bereits erschienenen Romanwelten und sind für Leser, die diese nicht kennen, schwer verständlich.

Empfehlen kann ich diesen Sammelband auch aus diesem Grund eher Vinge-Kennern denn Neueinsteigern. Etwas irritierend ist, dass dieses Buch auf der Rückseite nirgends als Sammelband gekennzeichnet wird. Dies könnte Leser in den Irrglauben versetzen, eine Fortsetzung seiner „Zonen des Bewusstseins“-Reihe zu kaufen. Mit den prämierten Romanen dieser Reihe kann dieser Sammelband nicht ganz gleichziehen.

Meine persönlichen Highlights stellten „Kampflose Eroberung“, „Wahre Namen“, „Weitschuss“, „Spiel mit dem Schrecken“, „Gerechter Frieden“ sowie „Die Plapperin“ dar.

_Einzelbesprechungen_

_Warnung:_ |Es ist möglich, dass einige Kommentare zu den Geschichten als „Spoiler“ angesehen werden könnten. Ich hab mich dennoch entschieden, nicht auf sie zu verzichten, denn stets erläutert Vinge bereits im jeder Geschichte vorangestellten Vorwort die grundlegenden Gedanken hinter der folgenden Story und fügt weitere im Nachwort hinzu. Ich habe mich hier bewusst noch etwas mehr zurückgehalten als Vinge selbst.|

_Bücherwurm, lauf! / Bookworm, Run!_ (1966, Erik Simon)

|Die USA haben die Sowjetunion weit überflügelt: Bender-Fusionselemente machen Kraftwerke überflüssig, was einen Wirtschaftskollaps zur Folge hatte, von dem man sich aber schnell erholt hat. Der Ostblock besitzt diese Technologie nicht und ist in Auflösung und Anarchie begriffen, ein Schatten seiner einstigen Größe.

Doch die technologischen Geheimnisse drohen verloren zu gehen: Der Schimpanse Norman wurde zu experimentellen Zwecken per Funk an einen Computer mit Zugriff auf eine riesige Datenbank angeschlossen, seine durch diese und den Computer gesteigerte Intelligenz wird zur Bedrohung, als er auch Zugriff auf streng geheime Daten erhält und aus dem Testgelände entkommt …

Der Affe zeigt sich gewitzt und kann seinen Verfolgern entkommen, nicht zuletzt dank seines Zugriffs auf spannende Spionage- und Science-Fiction-Romane, denen er viele Anregungen entnehmen kann. Als er sich sicher ist, dass man ihn töten wird, sobald man ihn gestellt hat, sucht er seine Rettung als Überläufer …|

Vinge geht den Bedenken nach, welche Macht ein solcherart vernetzter Mensch hätte. Die Bender-Fusionselemente und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft nehmen nur einen geringen Raum ein. Eine Fortsetzung mit einem „Über“-Menschen anstelle des Affen lehnte sein Lektor ab; Vinge selbst räumt ein, man würde sich einer Art Singularität (ein Lieblingsbegriff Vernor Vinges) nähern, an der Extrapolation nicht mehr ausreicht und man an die Grenzen menschlicher Vorstellungskraft gelangt.

_Der Mitarbeiter / The Accomplice_ (1967, Franziska Zinn, überarbeitet von Erik Simon)

|Robert Royce, Chef von Royce Technologies, erfährt von seinem Sicherheitsingenieur, dass jemand unbefugt 70 Stunden Rechenzeit des Supercomputers 4D5 im Wert von rund vier Millionen Dollar unterschlagen hat.

Die Nachforschungen führen ihn zu einem seiner besten und exzentrischsten Mitarbeiter, Howard Prentice. Dieser hat eine neue, computergestützte Kunstform geschaffen und sich deshalb heimlich Rechenzeit abgezweigt.|

Diese Geschichte basiert auf der von Gordon Moore 1965 gemachten Beobachtung, dass gewisse Aspekte der Rechenleistung von Computern sich alle ein, zwei Jahre zu verdoppeln scheinen. Vinge hatte eine Vision, wie man mithilfe eines Scanners (in dieser Geschichte noch „Bildlesegerät“ genannt) und eines leistungsstarken Computers aus gezeichneten Bildern einen Animationsfilm generieren könnte. Auch wenn ihm selbst einige seiner Annahmen und aus heutiger Sicht seltsam erscheinenden Technologien peinlich sind – beweisen die Pixar-Studios sowie ILM nicht, dass Computer durchaus einen Film nachbearbeiten oder erschaffen können? Vinges Ideen, Bilder einzuscannen und den Computer dazu passende Animationen errechnen zu lassen, sind zwar krude, völlig falsch lag er mit dieser Einschätzung jedoch nicht. Ebenso mit der Idee, dass Rechenzeit in der Zukunft dank erschwinglicher und leistungsstärkerer Rechner wesentlich günstiger bis kostenlos sein würde.

_Wahre Namen / True Names_ (1981, Hannes Riffel)

|Der „Dämon“ Mr. Slippery wird von den Behörden enttarnt: Man hat seine wahre Identität, seinen wahren Namen herausgefunden und kann ihn nun zur Mitarbeit erpressen. Denn Geheimbünde der so genannten „Dämonen“ – im Cyberspace dominante Persönlichkeiten, die das Netz virtuos beherrschen, sich oft derbe Späße erlauben oder von vorneherein kriminelle Absichten verfolgen – sind die Plage dieser Zeit.

Der geheimnisvolle „Postbote“ scheint politische Ambitionen zu verfolgen; man setzt den Insider Mr. Slippery als verdeckten Ermittler auf ihn an. Mr. Slippery findet zu seinem Erschrecken heraus, dass der Postbote scheinbar einige Mitglieder der Geheimbünde enttarnt, real ermordet und ihre virtuellen Persönlichkeiten übernommen hat. Das Geheimnis um den Postboten wird umso bedrohlicher und ungeheuerlicher, je näher sich Mr. Slippery an die Wahrheit heranpirscht.|

Eine Hackergeschichte à la Vinge. Seine virtuelle Welt ist eine Fantasywelt voller Magie, in der die Rote Hexe und Robin Hood sich ein Stelldichein mit DON.MAC und anderen Persönlichkeiten geben. Die Stärke dieser Avatare liegt in der Anonymität ihrer körperlichen Existenz; diese herauszufinden hat denselben Effekt wie die Kenntnis des wahren Namens eines Magiers im Märchen: Er wird angreifbar und man gewinnt Macht über ihn. Die Identität des Postboten zu ermitteln, erweist sich als schwierig und birgt einige Überraschungen für den Leser. Eine der besten und mit 104 Seiten auch die umfangreichste Geschichte dieser Sammlung.

_Der Lehrling des Fahrenden Händlers / The Peddler’s Apprentice_ (1975, Sylvia Pukallus)

|Graf Fürneham I. von Füffen hat ein Problem: Das Südreich und sein alter Rivale Hollerich Haifischzahn sehen ihn als Bedrohung an und ziehen vereint gegen ihn zu Feld. Fürneham sieht eine Chance in der Magie eines fahrenden Händlers Zagir. Dieser kommt aus dem fernen Sharn, seine Magie würde ihm den Sieg ermöglichen.|

Der Händler entpuppt sich als Zeitreisender aus der Zukunft, deren Waren und Technologie den mittelalterlichen Bewohnern wie ein Wunder erscheinen müssen. Doch diesmal ist der Händler zu früh angekommen: Er hätte eine höher entwickelte Zivilisation erwartet. Eine „Weltregierung“ hat in das Rad der Geschichte eingegriffen und hält die Zivilisation in kontrollierter Stasis. Bisher endeten alle Zivilisationen mit ihrer eigenen Vernichtung, dieses Mal ist es gelungen, den Kreislauf zu unterbrechen. Persönliche Aggressivität und technischer Forschungsgeist werden als Bedrohung angesehen und unterdrückt. Der Händler aus der Zukunft ist eine Bedrohung für dieses System.

Diese Geschichte enstand in Zusammenarbeit mit Vernor Vinges damaliger Frau Joan D. Vinge. Die Moral der Geschichte ist die Unentscheidbarkeit: Die erzwungene Stasis ist eine Bevormundung und Unterdrückung der freien Entscheidungsfähigkeit des Menschen. Nachdem der Händler den Menschen hilft, sich von diesem Joch zu befreien, muss man leider erleben, wie Graf Fürneham nach den Geheimnissen der Zukunft strebt und zum Krieg rüstet.

_Die Unregierten / The Ungoverned_ (1985, Erik Simon)

|Nach einem Atomkrieg sind die Vereinigten Staaten in zahllose kleine Nationen zersplittert. Große Teile der Bevölkerung werden von mafiaähnlichen „Sicherheitsdiensten“, die sich selbst zum Beispiel „Michigan State Police“ oder „Al’s Protection Racket“ nennen, kontrolliert und gegen andere Sicherheitsdienste verteidigt. Die geeinte neumexikanische Republik rüstet zur Eroberung dieser vermeintlich herrenlosen Gebiete und dringt mit massiven Panzer- und Luftstreitkräften in das Gebiet der Sicherheitsdienste ein. Doch in dem vermeintlich wehrlosen Land ist jeder einzelne Bewohner mit Waffen von beträchtlicher Zerstörungskraft ausgestattet …|

Vinge präsentiert seine Vision einer anarcho-kapitalistischen Gesellschaft mit ausgeprägt individuellen und gewalttätigen Zügen, die dennoch friedlich koexistieren könnte, solange niemand das Gleichgewicht des Schreckens zu seinen Gunsten beeinflussen will. Waffenhändler verkaufen an den Meistbietenden, alte Depots der US Army sind Fundgruben für den Entdecker. An die Stelle nuklearer Monopolmächte treten einzelne Personen mit Militärausrüstung bis hin zu Massenvernichtungswaffen, denen gegenüber selbst ein ganzer Staat klein beigeben muss. Vinge spricht damit eine sehr moderne Furcht an; fühlt man sich doch heute bereits bedroht, sollte ein Staat wie der Iran in den Besitz solcher Waffen geraten.

_Weitschuss / Long Shot_ (1972, Erik Simon)

|Eine Raumsonde wird auf die lange Reise in das Alpha-Centauri-System geschickt. Die „Ilse“ genannte künstliche Intelligenz verliert jedoch den Kontakt zur Erde, die sich nach einem sprunghaften Ansteigen der Sonnenaktivität auf das Zehnfache plötzlich nicht mehr meldet. Ilse setzt ihre Mission fort und überprüft gewissenhaft ihre Funktion auf der langen Reise, die von zahlreichen Systemausfällen geplagt ist. Zu ihrem Entsetzen hat sie über die Jahrhunderte auch den selten gebrauchten Teil ihres Speichers verloren, der Ziel und Zweck ihrer Mission enthält. Ilse versucht, aus ihrer Form und Beschaffenheit sowie den erhaltenen Teilen ihres Speichers sowie ihrer Nutzlast, die hauptsächlich aus gefrorenem Wasser und einigen wenigen Mikroorganismen besteht, auf ihre Mission zu schließen. Im Alpha-Centauri-System angekommen, macht sie sich auf die Suche nach Planeten mit bestimmten, eng eingegrenzten Parametern.|

Der Erzähler berichtet aus der analytischen und maschinenhaft geduldigen Perspektive Ilses. Deshalb bleibt die Mission Ilses bis zur Auflösung am Ende für den Leser ein Geheimnis, auch wenn man sie sich anhand der beschriebenen Details und Vinges Vorwort schon vorher erschließen kann. Diese vielleicht faszinierendste Geschichte des Sammelbands schreit geradezu nach einer Fortsetzung, die Vinge zwar bereits in Erwägung gezogen, aber leider noch nicht geschrieben hat.

_Absonderung / Apartness_ (1965, Erik Simon)

|Eine südamerikanische Expedition entdeckt auf einer Insel der Antarktis einen primitiven Stamm, den sie erforscht. Es kommt zu Auseinandersetzungen und man zieht sich zurück. Der Botschafter der Zulunder zeigt sich sehr interessiert an dieser Entdeckung der Südamerikaner, denn die beiden dort gefundenen Schiffswracks stehen in Zusammenhang mit der Vertreibung der letzten Weißen aus Afrika nach dem nuklearen Desaster, das die komplette Nordhalbkugel verwüstet hat.|

Mit 26 Seiten ist diese Geschichte sehr kurz, und sie basiert auf nur zwei Gedanken: Warum gibt es in der Antarktis keine Eskimos? Warum leben keine Menschen dort? Was müsste passieren, damit Menschen sich in dieser unwirtlichen Gegend ansiedeln?

Vinge macht betroffen mit der Häme der schwarzen Zulunder, die sich an der Lage der primitiven Nachfahren der weißen Oberschicht ergötzen. Diese floh damals mit zwei Schiffen aus Südafrika, bekam in Südamerika kein Asyl und muss nun in der Antarktis dahinvegetieren.

Der zweite Gedanke ist die Parabel auf die gewünschte Rassentrennung und das Konzept der Apartheid an sich, das 1965 noch sehr aktuell war. Sie ist kurz, einprägsam und macht betroffen:

„Es wird uns ein Vergnügen sein, zu sehen, wie sie sich ihrer Überlegenheit erfreuen.“ Lunama beugte sich noch eindringlicher vor. „Jetzt haben sie endlich die Absonderung von uns, die ihresgleichen immer wollte. |Sollen sie darin verfaulen| …“ (S. 333)

_Kampflose Eroberung / Conquest by Default_ (1968, Erik Simon)

|Ron Melmwn ist ein Anthropologe des „Pwrlyg“ Konsortiums, das in Australien einen Stützpunkt auf der von einem Atomkrieg weitgehend verwüsteten Erde unterhält. Man plant, die verseuchten Zonen zu besiedeln, ist aber sonst freundlich zu den Menschen und hilft ihnen sogar. Doch es gibt auch Stimmen, die eine Ausrottung der Menschheit fordern, denn die Terroranschläge der Organisation „Merlyn“ kosten das Konsortium viele Leben und Geld. Man argumentiert, es wäre einfacher, diese Welt ohne störende Einflüsse wie eine andere Spezies oder Terroristen neu zu besiedeln.

Melmwn untersucht, warum einige Menschen gegen die Pwrlyg rebellieren. Ist die in zahllose Unternehmen aufgeteilte, von Unparteiischen in der Art eines Kartellamts überwachte Aliengesellschaft nicht der perfekte Weg, um Machtmissbrauch und Kriege wie durch die Regierungen zu verhindern? Sind grenzloser Individualismus mit nur geringen gesellschaftlichen Regeln und ein wahres multikulturelles Nebeneinander nicht auch ein Traum der Menschheit?

Er erkennt, dass trotz aller guten Absichten die Menschheit Widerstand leisten muss, wenn sie ihren eigenen Weg gehen will. Doch es scheint keinen Ausweg zu geben; kulturelle Assimilation oder die totale Vernichtung ist die Wahl, vor der die Menschheit gestellt wird. Mary Dahlmann erzählt Melmwn vom Schicksal der Indianer, und auch andere hochrangige Aliens scheinen das Dilemma der Menschheit begriffen zu haben …|

Diese Geschichte gehört zu den Highlights des Sammelbands. Beeindruckend schildert Vinge, wie die hilfsbereiten Aliens auch ohne Gewalt die Menschheit vernichten können, bis nur noch wenige „Natives“ in der Art der nordamerikanischen Indianer übrig geblieben sind, deren Kultur und Lebensweise es kaum anders ergangen ist.

Dabei erschüttert das Dilemma: Kampf, um sich selbst zu erhalten, und die Vernichtung durch die Aliens riskieren? Oder sich anpassen und langsam untergehen? Oder werden sich die Aliens zurückziehen, die Menschheit sich selbst überlassen?

_Die Tiefen der Zeit / The Whirligig of Time_ (1974, Werner Vetter, überarbeitet von Erik Simon)

|Nach einem verheerenden Atomkrieg entstand das Kaiserreich der Menschheit. Dank der Erfindung des Raumantriebs konnte man sich über das ganze Sonnensystem ausbreiten. Die herrschende Dynastie geht mit den Nachkommen der Verlierer des letzten Kriegs unmenschlich und selbstherrlich um. Alle Erinnerungen an die Vergangenheit werden gezielt unterdrückt, ebenso einige Bereiche der Wissenschaft, die völlig unter der Kontrolle des Kaisers steht. Ein Terrorregime, das einer späten Rache zum Opfer fallen wird …|

Mit 26 Seiten erneut eine sehr kurze Geschichte, die inhaltlich vor Klischees nur so trieft. Vinge hat diesmal auf ein Nachwort verzichtet, auch sein Vorwort ist diesmal belanglos und kurz, er redet um den in meinen Augen peinlichen Kern der Geschichte herum.

Die böse und verderbte Herrscherschicht trägt an die russische Romanov-Dynastie erinnernde Namen, ihre armer, unterdrückter Hofnarr die Uniform der US Army. Von den Künsten schätzt der Kaiser nur „heroische Architektur“, die er für zahllose gigantische Denkmäler seiner selbst benötigt. Sein Sohn ist ein verwöhnter Fratz und behandelt wunderschöne Frauen wie Spielzeug. Kurz, eine schrecklich nette Familie.

Was ist nun der Sinn der Geschichte? In meinen Augen, ihren viel versprechenden und zu den anderen Vinge-Romanen der „Zonen des Bewusstseins“ passenden Namen, „Die Tiefen der Zeit“, für diese Sammlung herzugeben. Der Kaiser findet einen verirrten Blindgänger des Atomkriegs und nimmt ihn, die Gefahr verkennend, auf Wunsch seines Sohns an Bord ihres Raumschiffs. Die ganze kaiserliche Familie explodiert mitsamt ihres amerikanischen Hofnarren, der vermutlich zusätzlich aus hämischer Freude gleich doppelt explodiert ist. Diese Geschichte ist geprägt von dem Geist vergangener Ost-West-Konflikte und aus heutiger Sicht unerträglich; sie kann weder schriftstellerisch und inhaltlich mit ihren Rachegedanken und der klischeehaften Schwarz-Weiß-Malerei überzeugen.

_Spiel mit dem Schrecken / Bomb Scare_ (1970 Franziska Zinn, überarbeitet von Erik Simon)

|Die Dorvik, eine fortschrittliche Rasse, die sich selbst als die „Söhne des Sandes“ bezeichnet, sind eine kriegerische, an irdische Reitervölker erinnernde Spezies. Ihre Lebensauffassung ist extrem sozialdarwinistisch, sie dulden keine anderen Völker neben sich und unterwerfen sie oder rotten sie aus.

Dank ihres Materie-Energie-Konverters sind die Dorvik in der Lage, gigantische Schlachtschiffe in den Weltraum zu bringen und sie mit furchtbaren Waffen auf derselben Basis zu bestücken. Die primitive Menschheit wäre in ihrem kleinen Sonnensystem an und für sich kein Problem für die Dorvik, doch bei aller Primitivität besitzen sie eine Abwehrwaffe gegen die Konverter der Dorvik. Da die Eroberung des Sonnensystems deshalb mit primitiven Waffen betrieben werden muss, häufen sich die Verluste der Dorvik. Prinz Lal e’Dorvik beschließt, die Erde zu sprengen, um so den Widerstand zu brechen.

Doch zwei jugendliche Aliens bedrohen sowohl Dorvik als auch die Menschen: Sie regen mit ihrem kleinen, nur neun Meter großen Raumschiff die Sonne zur Nova an und verstärken ihre Energien, die sie auf einen Schlag freisetzen wollen. Das Ergebnis wäre eine ins unermessliche verstärkte Supernova, die nicht nur das gesamte Sonnensystem, sondern unaufhaltsam, nur durch die Lichtgeschwindigkeit verzögert, alle Welten des Dorvik-Raums zerstören würde.|

Hier sind sie, die guten alten BEMs (Bug Eyed Monsters). Die Dorvik sind kalte, brutale, schuppige, reptilienartige Eroberer, die kleine Säugetiere, Milvaks, als Hors d’oeuvres gerne mal mit der Kralle aufspießen, sich an ihren Zuckungen ergötzen und sie aussaugen.

Die Geschichte wird zum Großteil aus der Sicht ihres Kommandeurs Prinz Lal erzählt, der die Menschheit gar nicht erst mit einem Namen versieht, sondern stets nur vom |Feind| redet. Er will sie alleine schon aus dem Grund vernichten, dass sie ein Abwehrmittel gegen die Überlegenheitswaffe der Dorvik besitzen. Die Geschichte ist sehr humorig und voller Ironie: Zwei Alien-Bengel mischen sich als dritte Partei ein und werden von den Dorvik attackiert. Dank ihrer grenzenlosen technologischen Überlegenheit können diese ihnen nichts anhaben, aber diesen Affront wollen sie nicht auf sich sitzen lassen und beginnen, die Sonne zur Explosion anzuregen. Bis ihre Mutter erscheint und ihnen ordentlich die Leviten liest …

Die Dorvik blasen die Vernichtung des Sonnensystems ab und nehmen Friedensverhandlungen mit den Menschen auf. Prinz Lal hat gehöriges Muffensausen bekommen und verzweifelt an der Tatsache, dass selbst alle fortschrittlichen Rassen zusammen wohl nicht ausreichen würden, um ihre Sonnen gegen diesen |Feind| zu beschützen. Wie ein trotziges Kind reagiert der große Kriegsherr auf diese „Bedrohung“, nicht ahnend, dass es sich nur um den ungezogenen Streich zweier Jugendlicher handelte. Doch dieser Streich bedeutet die Rettung der Menschheit und anderer Rassen:

„Alles, was lebt, muss sich gegen sie verbünden.“ Zornig schüttelte er seine Klaue gegen den Himmel. (S. 422)

_Die Wissenschaftsmesse / Science Fair_ (1971, Erik Simon)

|Der erfolgreiche Industriespion Leandru Ngiarxis bvo-Ngiarxis wird von der hübschen Tochter des genialen Wissenschaftlers Beoling Dragnor bvo-Grawn um Hilfe angefleht: Er soll ihren Vater auf der Wissenschaftsmesse beschützen. Der Fürst von Grawn und Eigentümer des gleichnamigen Unternehmens möchte ihn umbringen, da er sich von seinem Clan losgesagt hat und möglicherweise wissenschaftliche Geheimnisse an die Konkurrenz weitergeben könnte.

Doch es geht um weitaus mehr als kleinliche wirtschaftliche Interessen: Beoling Dragnor hat eine Entdeckung gemacht, die die Zukunft ihrer auf einer Eiswelt in tiefer Dunkelheit lebenden Spezies betrifft.|

Mit 14 Seiten ist dies die kürzeste Geschichte, die Vinge jemals geschrieben und veröffentlicht hat. Obwohl man davon ausgeht, dass es sich um Menschen handelt, kann man sich nicht sicher sein: Eine lebensfeindliche Dunkelwelt des ewigen Eises, bevölkert von Wesen die im Infrarotbereich sehen, deutet nicht gerade darauf hin. Die Gesellschaft ist in Industrie-Clans aufgeteilt, die Clanzugehörigkeit wird durch das Suffix bvo-Clanname angezeigt. Obwohl diese Welt hart und unerbittlich ist, arbeitet man gegeneinander und für den eigenen Profit. Die Entdeckung Beoling Dragnors zeigt eine Bedrohung dieser Wesen, die sie nur durch Zusammenarbeit vielleicht abwenden können.

Vinge spielt hier unter anderem auf globale Umweltprobleme unserer Welt an, die nur durch internationale Kooperation gelöst werden können. Doch Profit und Gewinnstreben, Wettbewerb zwischen den Staaten und ihren Unternehmen blockieren bekanntermaßen viele Maßnahmen zum Schutz der Umwelt – was uns bei diesen Aliens so unsinnig erscheint, ist auch in unserer Welt unsinnig, aber dennoch vorhanden!

_Edelstein / Gemstone_ (1971, Erik Simon)

|Die kleine Sanda verbringt im Sommer 1957 einen langweiligen Urlaub bei ihrer Großmutter. Doch es spukt im Haus ihrer Großmutter. Ein seltsamer „Edelstein“ frisst Plastikblumen und spuckt Diamanten aus. Bei Berührung erzeugt er seltsame Gefühle, Sanda meint, dass er lebt. Doch erst der Einbruch einer Bande, die der ungewöhnliche Reichtum der alten Frau auf den Plan gebracht hat, lässt Sanda erkennen, was genau der „Edelstein“ eigentlich ist.|

Sein Lektor Stanley Schmidt hätte diese Geschichte zuerst abgelehnt, erklärt Vinge. Sie sei auch wirklich das Unausgewogenste, das er je geschrieben habe, könne sich nicht entscheiden, um was es eigentlich geht.

Dennoch ist „Edelstein“ vielleicht gerade deshalb so interessant. Vinge hat die Erinnerung an einen langweiligen Urlaub mit seiner sehr eigenen Interpretation des Films „Das Ding aus einer anderen Welt“ vermengt, dabei kam eine Art Gruselvariante des viel später erschienenen „E.T.“-Films von Steven Spielberg heraus. Allerdings sind nur gewisse Elemente dieser Geschichten ähnlich, die Erkundung und Erfahrung des fremdartigen Wesens des „Edelsteins“ macht den Reiz der Geschichte aus, die zusätzlich noch leichte Konflikte zwischen Großmutter und Enkeltochter aufweist, was bei einer Kurzgeschichte wie dieser abschweifend und irritierend wirken kann.

_Gerechter Frieden / Just Peace_ (1971, Erik Simon)

|Ein duplizierter Agent und Botschafter der Erde soll auf einem krisengeschüttelten Planeten des Delta-Pavonis-Systems Frieden schaffen. Doch die beiden Parteien zeigen sich uneinsichtig und bekämpfen sich lieber bis zur gegenseitigen Vernichtung als die Vermittlung anzunehmen. Der Agent beschließt, sie zu ihrem Glück zu zwingen. Dazu greift er zu radikalen Mitteln und terrorisiert beide Seiten, die daraufhin das Kriegsbeil begraben und sich auf den neuen, gemeinsamen Feind konzentrieren.|

Diese Geschichte schrieb Vinge zusammen mit seinem Freund William Rupp. Sie erinnert ein wenig an „Spiel mit dem Schrecken“: Erneut werden zwei verfeindete Parteien durch einen gemeinsamen „Feind“ geeint. Es werden jedoch einige neue Aspekte aufgegriffen, wie die Möglichkeit, Körper und/oder Bewusstsein zu übertragen, zu „klonen“ oder zu „duplizieren“. Der springende Punkt an der Geschichte ist die menschenverachtende Brutalität, mit der der Agent vorgeht, gar vorgehen muss, die abertausende das Leben kostet – und dennoch eine ganze Welt rettet. Dieses moralische Dilemma ist zentral für die Geschichte, in der Vinge und Rupp im Gegensatz zu vielen anderen Geschichten dieser Sammlung viel Zeit auf die Charakterisierung des Hauptcharakters verwenden, die demzufolge auch wesentlich lebendiger und unterhaltsamer als sonst gelungen ist, was dem Lesevergnüngen ausgesprochen gut tut.

_Mit der Sünde geboren / Original Sin_ (1972, Joachim Körber, überarbeitet von Erik Simon)

|Die Shimaner sind die zweite intelligente Spezies, der die Menschheit je begegnet ist. Bei der Landung der Menschheit lebten sie noch im Paläolithikum. Doch sie lernen unheimlich schnell, besitzen eine überragende Intelligenz und eine bemerkenswerte Gabe zum logischen und problemlösenden Denken. Deshalb importiert man viele Shimaner auf die Erde, um sie zur Lösung verzwickter Problemfälle einzusetzen. Die Shimaner haben einen Traum, den auch die Menschheit teilt: Unsterblichkeit. Aber leider leben sie nur knapp 25 Monate. Ungeduldig und aggressiv erscheinen sie deshalb den Menschen; ein shimanischer Projektmanager duldet keine Verzögerungen, was man allgemein ihrer niedrigen Lebensspanne zuschreibt.

Ein gewisser Samuelson bietet den Shimanern Raumschiffe an, mit denen sie in den Weltraum expandieren können. Als Konkurrent der Menschheit, die sich immer mehr auf sie verlässt und degeneriert …|

Diese Geschichte steht in Kontrast zu einem sonst sehr üblichen Schema: Weise, langlebige und großmütige Außerirdische mit höherer Intelligenz und Wissen stehen normalerweise einer kurzlebigen, aggressiven und dümmeren Menschheit gegenüber. Vinge hat dieses Schema hier verdreht: Hier ist die kurzlebige und aggressive Spezies intelligenter als die Menschen, deren Großmut ihnen schlecht gelohnt werden könnte. Das „Sein bestimmt das Bewusstsein“, meinte Marx, und unter dieser Prämisse muss man auch die höllischen Zustände auf Shima verstehen, die dem Leser vor Augen geführt werden: Die Shimaner durchleben in kurzen Zeitspannen alle Sünden und Grausamkeiten der Menschheit – und nun droht ihre Expansion zu anderen Sternen, was ein gewaltiges Gefahrenpotenzial für die Menschheit darstellt.

_Die Plapperin / The Blabber_ (1988, Erik Simon)

Obwohl Vernor Vinge „Die Plapperin“ lange vor „Ein Feuer auf der Tiefe“ und [„Eine Tiefe am Himmel“ 364 geschrieben hat, kann man diese Geschichte als Erweiterung dieser beiden Romane ansehen. In der Tat ist die Idee der auf mehrere Körper verteilten Bewusstseinsteile der Klauenwesen in der Plapperin sehr ähnlich zu „Ein Feuer auf der Tiefe“.

_Warnung:_
Da diese Geschichte in Vinges „Zonen des Bewusstseins“-Universum spielt, sollte sie nur gelesen werden, sofern man „Ein Feuer auf der Tiefe“ bereits gelesen hat. Ansonsten stößt man auf nirgends erklärte Konzepte, kann Vinge nicht folgen und verdirbt sich möglicherweise den Spaß an „Ein Feuer auf der Tiefe“.

_Gewinne einen Nobelpreis! / Win a Nobel Prize!_ (2000, Erik Simon)

Im Jahr 2000 schrieb Vernor Vinge für das wöchentliche erscheinende |Nature|-Magazin wie viele andere SF-Autoren nach der Idee des Redakteurs Henry Gee eine maximal drei Seiten lange Geschichte, die einen Ausblick ins nächste Jahrhundert bieten soll.

Vinge schreibt in der Form einer E-Mail mit zahlreichen Hyperlinks (die Links sind in der Druckausgabe unterstrichen, aber ohne URL) und berichtet über eine Technologie, die Erinnerungen an seine erste Geschichte weckt: Die Verschmelzung von Mensch und Maschine. Alles in allem kein neuer Gedanke und nur mäßig originell geschrieben.

_Die Barbarenprinzessin / The Barbarian Princess_ (1986, Erik Simon)

|Verleger Rey Guille reist mit seiner Barke auf einer Welt umher, die aus zahllosen Archipelagos besteht. Große Teile dieser Welt befinden sich noch im Stadium tiefer Barbarei, der Entwicklungsstand von Rey Guilles Mannschaft ist schwer einzuschätzen, Buchdruck und Seefahrt auf dem Stand des 15. Jahrhunderts beherrschen sie jedoch bereits.

Seine populärste Serie ist die über Hrala, eine über einen Meter achtzig große, phantastisch gebaute, unglaublich starke und geschickte, rachsüchtige und triebhafte Barbarenprinzessin. Eines Tages bringt man ihm eine echte Barbarin an Bord, deren unaussprechlichen Namen er zu Tatja Grimm verkürzt. Sie ist sehr groß; auch wenn sie rotes statt schwarzem Haar hat und der Busen viel zu klein ist, meint man, aus ihr eine perfekte Hrala für Werbezwecke machen zu können.

Die in der Zivilisation sehr verloren wirkende Tatja darf bald ihre Schauspielkünste beweisen: Guille und seine Crew werden bei Nachforschungen über das Schicksal der Besatzung einer geenterten Barke von Wilden gefangen genommen. Mit billigem Flitter als Rüstung und einem hölzernen Schwert, das, mit Glitzersteinchen besetzt und silberner Farbe bestrichen, keinen Hieb verkraften würde, macht sie sich daran, die Einheimischen in der Rolle von Hrala das Fürchen zu lehren und Rey zu retten.|

Diese Erzählung wurde im Jahre 1987 für den Hugo-Award nominiert. Dabei muss man wohl den in Deutschland bisher noch nicht veröffentlichten Roman „Grimm’s World“ kennen, denn der Weltentwurf ist nur sehr vage und unbefriedigend lückenhaft, selbst für eine Erzählung. Mit Rey Guille und Hrala, der Barbarenprinzessin, sind Anspielungen auf den bekannten Science-Fiction-Schriftsteller und Herausgeber Lester del Rey sowie Robert E. Howards Conan- und Red-Sonja-Erzählungen enhalten.

Die Geschichte ist keineswegs als Persiflage zu verstehen, denn Tatja spielt ihre Rolle so gut und mutig gegenüber den bewaffneten Wilden, dass Rey am Ende glaubt, einer Besucherin von einem anderen Stern, einer Göttin, gegenüber zu stehen.

Überzeugen konnte mich diese Geschichte allerdings nicht: Man kann sie nicht mit der Heroic Fantasy eines Robert E. Howard vergleichen, noch handelt es sich um Science-Fiction im herkömmlichen Sinne. Diese Geschichte erschien mir sehr inkonsistent; es ist nie klar, ob die Wilden die Hrala-Geschichten kannten oder überhaupt lesen konnten, aber die Show beeindruckte sie genug, um ihre Gefangenen freizulassen.

Dass die Barke, auf der Rey Guille lebt, ein gigantisches Schiff von der Größe einer Kleinstadt ist, und dass Tatja wirklich schlauer ist als die Barbaren, bei denen sie aufgewachsen ist, und sogar schlauer als die Leute an Bord der Barke und sie in der Folge versucht, sich zur Herrin derselben aufzuschwingen, konnte ich nur durch Recherche herausfinden.

Der Roman „Grimm’s World“ besteht aus drei Kurzgeschichten, die relativ wenig Kohärenz besitzen und eher dem Fantasy-Genre mit anthropologischen Einschlägen zuzuordnen sind. „Die Barbarenprinzessin“ ist die erste dieser Geschichten; was sie von den beiden anderen getrennt in diesem Sammelband zu suchen hat, ist fraglich. Lust auf „Grimm’s World“ hat sie nicht gerade gemacht.

_Das Cookie-Monster / The Cookie Monster_ (2003, Erik Simon)

Eine weitere Geschichte zu Vinges Lieblingsbegriff und -thema „Technische Singularität“: Was wäre, wenn es KIs gäbe, die nicht viel intelligenter als wir wären, aber mehrere tausend Mal schneller denken könnten?

Diese KIs könnten innerhalb weniger Augenblicke Weisheit erlangen, die einem Menschen verschlossen bliebe. Was wäre, wenn diese KIs ihre Erfahrungen speichern und an andere KIs weitergeben würden?

Bis diese Geschichte anfängt, interessant zu werden, vergeht leider geraume Zeit. Erst ab dem Kontakt Dixie Maes mit Rob Stern kann diese Erzählung gefallen; die wirklich interessanten angesprochenen Thematiken kommen dann leider arg kurz. Als krönenden Abschluss des Sammelbands hätte ich mir eine andere Geschichte gewünscht; obwohl neueren Datums, konnte sie mich ähnlich wie die „Barbarenprinzessin“ nicht ansprechen.

Gentle, Mary – 1610: Der letzte Alchemist

Mary Gentle (* 1956, Sussex) ist spätestens seit der [Legende von Ash, 303 für die sie im Jahr 2000 mit dem |British Science Fiction Award| sowie dem |Sidewise Award for Alternate History| ausgezeichnet wurde, als Spezialistin für die Verschmelzung von Historie und Phantastik bekannt.

Ihre akademischen Abschlüsse in Geschichtswissenschaft des 17. Jahrhunderts (Bachelor) und Kriegswissenschaft (Master) dürften ihr bei der Recherche für ihren neuesten Roman „1610“ nur zum Vorteil gereicht haben, denn eine der schillerndsten literarischen Figuren dieser Zeit hat sie sich zum Helden auserkoren:

Valentin Rochefort, Spion, berüchtigter Duellant und oft auch gedungener Mörder. Bekannt als einer der schillerndsten Antagonisten der drei Musketiere in den Romanen von Alexandre de Dumas, wurde Rochefort auch in zahlreichen Verfilmungen vom Schurken bis hin zum stets gegen d’Artagnan verlierenden Finsterling charakterisiert.

Mary Gentle stellt Rochefort aus einer völlig neuen Sicht dar: Sie lässt ihn und auch andere Handlungsträger aus ihren fiktiven Memoiren erzählen. Rochefort präsentiert sich als ein sehr objektiver und amüsanter, sogar selbstkritischer Ich-Erzähler.

_Königsmörder wider Willen_

Rochefort wird vom Jäger zum Gejagten: Er soll im Auftrag der Königin, Maria von Medici, ein Attentat auf Heinrich IV. verüben. Weigert er sich, wird man seine Vertrauten Maignan und Santon umbringen. Doch Rochefort steckt in einem Dilemma: Als Gefolgsmann des Duc de Sully würde er damit seinen eigenen Herren, der ein gutes Verhältnis zum König pflegt, kompromittieren.

Also beschließt Rochefort, das Attentat zusammen mit dem unfähigen François de Ravaillac durchzuführen, in der festen Gewissheit, dass man diesen töten und das Attentat scheitern wird. Der Rest ist Geschichte: Das Attentat gelingt wider Erwarten, und Rochefort muss aus Frankreich fliehen – gejagt von den Agenten Maria von Medicis wegen Mitwisserschaft und offiziell als vermutlicher Beteiligter an der Ermordung des Königs. Zudem muss Sully ihn für einen Verräter halten.

Begleitet wird Rochefort auf seiner Flucht von dem jungen Duellanten Dariole, den er abgrundtief hasst; da die beiden sich in den vergangenen Tagen jedoch wiederholt für die Öffentlichkeit sichtbar getroffen haben, ist auch Darioles Leben in Gefahr. Auf der Flucht nach England retten sie an der Küste Frankreichs den gestrandeten japanischen Samurai Saburo, der dem englischen König James ein Geschenk überbringen soll.

In England angekommen, geraten die Drei unter den Einfluss des Mathematikers und Astrologen Robert Fludd. Fludd kann die Zukunft berechnen und vorhersagen, und was er sieht, gefällt ihm nicht. Rochefort versucht sich ihm zu entziehen, doch Fludd kennt alle seine Winkelzüge bereits im voraus. Er wird von Fludd erpresst, die Zukunft nach seinen Vorstellungen zu verändern: Er soll König James ermorden; nach Fludds Berechnungen kann nur Rochefort das Attentat erfolgreich ausführen und die Zukunft in die gewünschte Richtung lenken. Doch nicht nur er beherrscht diese häretische Kunst. Die Karmeliterin Schwester Caterina warnt Rochefort: Sollte er James ermorden, wird eine ihm sehr wichtige Person innerhalb eines Monats ebenfalls sterben …

_Historie mit einem Hauch Phantastik_

„1610: Der letzte Alchimist“ ist der sehr unglücklich titulierte erste Band der Übersetzung von „1610: A Sundial in a Grave“. Denn Robert Fludd ist Mathematiker und Astrologe, kein Alchemist, und wer würde einen Rochefort als Hauptperson eines Romans mit diesem Titel vermuten?

Wie bereits „Die Legende von Ash“ wurde das Buch aufgeteilt, leider hielt es |Lübbe| nicht für nötig, darauf hinzuweisen. Bis auf den relativ nutzlosen Vermerk „Teil 1 & 2“ – von wie vielen? Der Übersetzer wird weder im Buch noch auf der Homepage von Lübbe genannt; ob es sich um Rainer Schumacher wie bei „Ash“ handelt, kann man nur vermuten. Das verwundert um so mehr, da die Übersetzung nur eine Bezeichnung verdient: erstklassig. Keine Flüchtigkeits- oder Setzfehler, flüssig zu lesen und stimmig. Was nicht gerade selbstverständlich ist, denn Mary Gentle lässt Engländer, Franzosen und sogar einen japanischen Charakter mit den typischen Redewendungen ihrer Sprache um das Jahr 1610 kommunizieren.

So endet das Buch leider bereits nach der etwas langen Einführung, die jedoch keineswegs langweilig ist. Die Vorstellung Rocheforts ist sehr gelungen, auch die anderen historischen Charaktere können überzeugen, Gentles Eigenschöpfungen Dariole und Saburo geben der Geschichte Würze und Humor. Die Ansichten Saburos über die in seinen Augen ungepflegten „Gaijin“ und der Konflikt zwischen europäischer und asiatischer Kultur, insbesondere bezüglich ihrer Ehrbegriffe, die für einen zwielichtigen Charakter wie Rochefort, der durchaus seine Art von Ehre besitzt, keine Entsprechung hat, sind das Salz in der Suppe. Der Pfeffer ist eindeutig der junge Messire Dariole, der den älteren Rochefort ständig in seinem Stolz verletzt und dessen Mordgelüste weckt, aufgrund der Umstände und seiner Schlagfertigkeit aber stets mit dem Leben davonkommt und einen vor Hassliebe schäumenden Rochefort zurücklässt. Der sprechende Name charakterisiert bereits seine Figur, „Dariolet“ bedeutet im Französischen in etwa Mitwisser, Vertrauter, aber auch Zuckerwerk oder Konfekt.

Bis auf die Prophezeiungen Robert Fludds ist das Buch durch und durch historisch exakt: Die Ermordung Heinrich IV. ist tatsächlich bis heute rätselhaft, man geht von einer Mittäterschaft eines Vertrauten des Königs aus, ansonsten hätte de Ravaillac niemals den König auf offener Straße dreimal niederstechen können. Mary Gentle hat diese Affäre geschickt in die Handlung eingebunden, die so auch abseits ihrer schillernden und unterhaltsamen Charaktere mit ihrer Finesse glänzen kann. Doktor Fludd, Caterina und Rochefort haben sehr unterschiedliche Ansichten darüber, wie die Zukunft aussehen sollte, während Fludd einen starken König wünscht, will Caterina eine Zukunft ohne Adel und Könige. Rochefort ist das alles gleich, er wird erpresst und steckt in einem Dilemma; wie er sich auch entscheidet, es scheint kein gutes Ende für ihn zu geben.

_Fazit:_

Rochefort ist eine weitaus gelungenere Hauptfigur als Mary Gentles Söldnerführerin Ash. Sie schafft es, den verrufenen Duellanten amüsant und sympathisch wirken zu lassen; der Kniff, die Geschichte aus dem Blickwinkel der Memoiren des sonst als Bösewicht bekannten Rochefort zu erzählen, ist gelungen.

Die historischen Elemente sind vorzüglich recherchiert und in Szene gesetzt, deutlich über den sonst üblichen Standards historischer Romane. Das fantastische Element beschränkt sich auf die mathematischen Zukunftsprognosen Fludds, die jedoch von höchster Brisanz sind. Mary Gentle spielt hier ein historisches Was-wäre-wenn-Spiel, bei dem sie jedoch hohe Voraussetzungen an das geschichtliche Vorwissen ihrer Leser stellt. Der Nachfolger von James I. / Jakob I. war sein Sohn Charles I. / Karl I., der unter dem berüchtigten Lordprotektor Oliver Cromwell enthauptet wurde; in der Folge erklärte das Unterhaus England für eine kurze Zeitspanne zur Republik.

Doch gerade diesen Machtverlust des Königs möchte Fludd verhindern. Ein Fehler in seinen Berechnungen? Mary Gentle erklärt diesen Widerspruch dem Leser an keiner Stelle, bevor das Buch unabgeschlossen endet; auch sonst setzt sie rücksichtslos Kenntnisse der Geschichte des 17. Jahrhunderts voraus. Auch wenn eine Aufteilung der Übersetzung in mehrere Bände nicht ungewöhnlich ist, der Mangel an Informationen über den Titel des Folgebands und der fehlende Hinweis, dass dieses Buch nur einen Teil des Originals darstellt, ist unverschämt und bewusste Irreführung.

Wer über das nötige Geschichtswissen verfügt, sollte dennoch zuschlagen. Ein vergleichbar intelligentes und unterhaltsames Lesevergnügen findet man bei historischen Romanen nur selten. Mary Gentle sprengt erneut die Grenzen des Genres, diese einzigartige Mischung aus Science-Fiction und Historie scheint ihr Markenzeichen zu werden.

Schröder, Rainer M. – Fall von Akkon, Der (Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 1)

Die Hafenstadt Akkon im Jahr 1291: Die letzte Bastion der christlichen Kreuzfahrerstaaten im Heiligen Land steht vor dem Fall. Jerusalem ging bereits im Jahr 1244 unwiderruflich an die Mamelucken verloren, die Belagerung Akkons stellt nur noch das letzte Kapitel der unvermeidbaren Vertreibung der Kreuzfahrer aus Outremer dar.

Doch Templergroßmeister Guillaume de Beaujeu hält eisern die Stellung, obwohl er weiß, dass kein nennenswerter Entsatz aus Europa zu erwarten ist. Man hat das Heilige Land bereits aufgegeben. Bei einem der letzten trotzigen und vergeblichen Ausfälle der Templer werden Gerolt von Weißenfels und drei weitere Ordensbrüder im Chaos der hastigen Flucht von ihren Abteilungen getrennt und drohen den wütenden Sarazenen in die Hände zu fallen. Ein geheimnisvoller, uralter Mann im Habit der Templer rettet sie auf wundersame Weise: Staubböen blasen den Verfolgern ins Gesicht, die Erde tut sich vor ihnen auf und lässt sie stürzen.

Der alte Mann offenbart den vier verblüfften Templern ihre Bestimmung: Er gehört zur geheimen Bruderschaft der Arimathäer, deren Existenz sonst nur noch dem Großmeister der Templer bekannt ist. Sie sollen das größte Geheimnis der Christenheit vor den Ungläubigen bewahren: den Heiligen Gral.

Während Akkon untergeht, erhalten die Vier ihre Weihe zu Gralsrittern. Doch die Schergen des Bösen sind bereits in Akkon eingedrungen und keineswegs mit den Moslems identisch …

_Der Autor_

Rainer M. Schröder (* 1951) beschreibt sich selbst als Mann mit vielen Neigungen und Talenten. Bevor er im Jahr 1977 zum Schriftsteller wurde, studierte er Gesang, später Jura und Theaterwissenschaften, arbeitete als Lokalreporter für rheinische Lokalzeitungen und den Rundfunk. Beeinflusst von Autoren wie Jack London und Joseph Conrad, unternahm er zusammen mit seiner Frau abenteuerliche Reisen, von den Everglades über den stürmischen Nordatlantik bis in die australische Wildnis. Zusammen mit dem berühmten Schatztaucher Mel Fisher tauchte er nach der spanischen Schatzgaleone Atocha, diese Erlebnisse verarbeitete er in seinem Abenteuerroman „Das Goldriff“. Heute lebt er in Palm Coast, Florida.

Während Rainer M. Schröder in Deutschland vor allem als Jugendbuchautor mit Schwerpunkt auf historischen Themen bekannt ist, veröffentlichte er unter dem Pseudonym Ashley Carrington umfangreiche historische Gesellschaftsromane für ein erwachsenes Publikum. „Der Fall von Akkon“ stellt den ersten Band der Trilogie „Die Bruderschaft vom Heiligen Gral“ dar, mit der Rainer M. Schröder sowohl jugendliches als auch erwachsenes Publikum erreichen will.

_Historie mit Indiana-Jones-Einschlag_

Geballtes Recherchewissen und Detailreichtum erwarten den Leser von der ersten Seite an: Von Organisation und Tagesablauf der Templer, dem Verhältnis der Ritterorden untereinander und der politischen Situation zu dieser Zeit bis hin zur Bauweise von Belagerungsmaschinen sowie der Befestigungsanlagen Akkons trumpft Schröder auf. Dabei geizt er nicht mit hilfreichen Fußnoten und Erklärungen: So ist zum Beispiel „Outremer“ nichts anderes als eine altfranzösische Bezeichnung für das Heilige Land, die ganz einfach und nachvollziehbar als „Übersee“ übersetzt werden kann. Ebenso wird erklärt, warum die Tore Akkons in einem rechten Winkel hinter den Mauern liegen: So wird der Einsatz schwerer Rammböcke durch den Knick und Platzmangel verhindert, die Schwachstelle Tor lässt sich so auch besser verteidigen.

Am Beispiel der vier zu Gralsrittern aufsteigenden Templer wird auch plastisch dargestellt, wer damals in der Regel dem Orden angehörte: Sehr viele Templer stammten wie Gerolts übermäßig stolzer und spöttelnder Freund Maurice von Montfontaine und der Gründer Hugo von Payens aus Frankreich, nachgeborene Söhne aus Adelsfamilien wie Gerolt von Weißenfels wählten oft den militärisch organisierten Orden anstelle des Klosterlebens. Ein armer Ritter Christi war gewiss keiner der Ritter des Ordens, denn man musste mindestens das Vermögen haben, um drei Pferde und seine Ausrüstung selbst zu stellen. Als „Sergeanten“ wurden dienende Brüder ohne den nötigen Stand oder materielle Güter bezeichnet, sie trugen einen schwarzen oder braunen Mantel anstelle des weißen Habits mit dem Beausant (rotes Templerkreuz). Woher der Ausdruck „Saufen wie ein Templer“ stammt, demonstriert vor allem der Schotte McIvor von Conneleagh. Ungewöhnlich, wenn auch nicht unmöglich, ist Schröders vierter Templer, Tarik el-Kharim, ein Nachfahre christlicher Beduinen.

Die Schilderung der Belagerung und der Zustände in der Stadt ist sehr überzeugend gelungen, das fantastische Element stellt der vorerst namenlose uralte Gralshüter dar, der die Vier zu Gralsrittern weiht und ihnen die Segnungen des Grals demonstriert – langes Leben, die Fähigkeit in allen Zungen (Sprachen) zu sprechen und für jeden der vier Ritter eine besondere individuelle Gabe …

Hier zeigt sich ein anfangs netter Indiana-Jones-Einschlag; der alte Gralshüter erinnert von seiner Erscheinung und seiner Geschichte frappierend an Steven Spielbergs „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“. Dieses Mal sind die bösen Feinde des Grals jedoch keine Nazis, sondern so genannte „Iskaris“; Menschen, die sich unter ihrem Anführer Sjadú (Judas-Anagramm) dem Fürsten der Hölle verschworen und sich nach dem Gottesverräter Judas Ischariot benannt haben. Ihr Ziel ist es, den Gral zu stehlen und zu entweihen; wie die Gralshüter besitzen sie übermenschliche Fähigkeiten. So sind sie fast nur durch Enthaupten, In-Stücke-schlagen oder einen Stich ins Herz zu töten. In Gegensatz zu den Gralsrittern riechen die Bösewichter aber lustigerweise leicht mufflig und verrottet; insbesondere für die geschärften Sinne eines Gralshütern sind sie so relativ leicht zu erkennen.

Bedenken habe ich hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Trilogie; zwar wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Fähigkeiten, die der Gral verleiht, sich nur langsam entfalten, aber wenn die Vier bereits in diesem Band Macht über Feuer, Wasser, Luft und Erde besitzen und Maurice bereits jetzt mit der Hand in einen Marmorblock eindringen kann, befürchte ich eine Mutation der vier Gralshüter zu |Marvel|-Superhelden nach Art der „Fantastischen Vier“. In diesem Band halten sie sich jedoch glücklicherweise noch zurück.

Dieser Fakt, der bei Indiana Jones mit einem Augenzwinkern und Humor übergangen werden kann, passt hier leider nicht so Recht zur Geschichte, die zwar humorvoll geschrieben wurde, aber ernster und realistischer ist, sich an historischen Fakten stärker orientiert und besonders auf diesem Gebiet auch auftrumpfen kann. Der Schreibstil und die Sprache Rainer M. Schröders sind zwar relativ neutral und gehoben, dennoch dringt der Jugendbuchautor des Öfteren durch. Das zeigt sich auch in der Charakterisierung der vier sympathischen Helden: Gerolt ist ein ernster und pflichtbewusster Templer, der es mit Ehre und Pflicht oft etwas zu genau nimmt. Der Franzose Maurice ist dagegen eitel, standesbewusst und oft etwas vorlaut. Der schottische Hüne McIvor sowie Tarik, der die Weisheit der Wüste scheinbar mit Löffeln gefressen hat, runden so die recht stereotype Heldentruppe ab, was nicht heißt, dass sie nicht überzeugen könnte, ganz im Gegenteil. Die Abenteuer dürften auch abenteuerlustige Erwachsene mehr als zufrieden stellen; wer Jack London und Joseph Conrad liebt, wird Rainer M. Schröders Romane ebenso verschlingen. Die abenteuerliche Flucht der Templer aus Akkon quer über das Mittelmeer verschlägt sie schließlich bis nach Kairo und in höchste Gefahr für Leben und Gral …

_Spannende Abenteuerliteratur in glänzender Aufmachung_

Rainer M. Schröder hat den Bogen raus: Sein Roman ist nicht nur spannend und unterhaltsam, er ist auch exzellent recherchiert, sein Literaturverzeichnis im Anhang des Romans füllt sechs Seiten. So ist der Roman weitaus lehrreicher und gehaltvoller als gewöhnliche Abenteuerliteratur. Auch hebt er sich in seiner hochwertigen Aufmachung weit von der Masse ab: Bereits der Schutzumschlag mit dem silber glänzenden Schwertheft, dessen Hintergrund rautenförmig ausgestanzt ist und einen Blick auf drei Templer in typischer Ordenstracht zeigt, ist ungewöhnlich wertig und ansprechend. Ein silbernes Lesebändchen sowie der vorzügliche Druck und der mit schwarzen Ornamenten auf roten Grund verzierte Qualitätseinband laden geradezu ein, dieses hochdekorative Buch ins Bücherregal zu stellen. Hochwertiges Kartenmaterial rundet die positive Erscheinung noch weiter ab. Der Inhalt muss sich ebenfalls nicht verstecken und macht Lust auf mehr: Von 1291 bis zum Untergang des Templerordens im Jahr 1314 könnte sich die Trilogie erstrecken, mehr als genug Stoff für weitere packende Abenteuer der vier Gralshüter.

Der nächste Band der Trilogie scheint in Ägypten zu spielen, er trägt den Titel |“Das Amulett der Wüstenkrieger“| und wird voraussichtlich im Juni 2006 erscheinen.

Offizielle Homepage von Rainer M. Schröder:
http://www.rainermschroeder.com/

Homepage des Arena Verlags:
http://www.arena-verlag.de/

|Siehe ergänzend dazu auch die [Rezension 2344 von Maren Strauß.|

Miéville, China – Eiserne Rat, Der

China Miéville gewann im Jahr 2003 mit seinem Roman [„Perdido Street Station“ 695 den Kurd-Laßwitz-Preis als bestes fremdsprachiges Werk der Phantastik. Nicht zuletzt dank der herausragenden Eva Bauche-Eppers, die Miévilles bildgewaltige und mit antiquierten Ausdrücken gespickte Sprache so vorzüglich in das Deutsche übertragen hatte, dass sie mit dem Preis für die beste Übersetzung ausgezeichnet wurde. Sie übersetzte auch diesen Roman genauso ausgezeichnet wie seine Vorgänger.

Der politisch stark links und anti-autoritär orientierte Miéville führt den Leser mit „Der Eiserne Rat“ zurück in den Moloch New Crobuzon. Auf Bas-Lag ist seit den Ereignissen um den Weber rund um den Hauptbahnhof Perdido Street Station rund eine Generation vergangen, die kapitalistische und brutale Herrscherschicht New Crobuzons hat sich jedoch nicht verändert: Man führt Handelskriege und treibt die Erschließung des Hinterlands mit Eisenbahnlinien voran.

Gewerkschaften und Arbeiter haben in New Crobuzon keine Macht und keine Rechte, Polizeigewalt hält die Massen in Schach, das Gesetz wird allzu oft vom Gesetz des Stärkeren, von dem die Machthaber ausgiebig Gebrauch machen, außer Kraft gesetzt. Auch die Bahnarbeiter haben nichts zu lachen, insbesondere „Remade“, bestrafte Verbrecher, die oft mit Maschinen oder Tieren auf groteske Weise verschmolzen wurden, werden von ihnen willkürlich und gewissenlos behandelt. Einer der Bautrupps rebelliert schließlich: Die Freudenmädchen, Remade und andere Unzufriedene der untersten Schichten streiken, nachdem die Lohnzahlungen ausbleiben, und überwältigen schließlich die mit Härte reagierenden Aufseher New Crobuzons.

„Der Eiserne Rat“ entsteht, eine Gruppe von Verfemten, die gegen New Crobuzon erfolgreich revoltiert und überlebt hat – eine Seltenheit und im Laufe der Jahre Stoff für Legenden, ein Symbol der Hoffnung für die Außenwelt. Der Rat flüchtet vor den Schergen der Stadtväter in entlegenste Gebiete Bas-Lags, in denen sich immer mehr Flüchtlinge dem auf seinen sukzessiv verlegten und wieder abgebauten Schienen immer weiter fortstrebenden Zug anschließen.

Das wollen auch die Flüchtlinge um Cutter und den Golemisten Judah Low, nicht ahnend, dass der Rat sich von dem Idealbild, das man sich von ihm macht, weit entfernt hat: Auch der Rat hatte regelrechte Kriege in manchen Gebieten seiner Reise zu schlagen, man ist auch längst nicht so autark, wie man glauben möchte, Mängel werden immer öfter offenkundig. Zusätzlich schwächen interne Konflikte den Rat, viele der Gründer des Rats sind mittlerweile verstorben und die neue Generation versteht nicht mehr die Ideale ihrer Eltern und wovor sie geflüchtet sind.

Anders als der ausschließlich in New Crobuzon spielende Roman „Perdido Street Station“ oder der an Moby Dick angelehnte und auf hoher See spielende [„Die Narbe“ 591 wurde „Iron Council“ für die Übersetzung nicht auf zwei Bände aufgeteilt und hat einen wesentlich politischeren Einschlag. Das Szenario erinnert dieses Mal an den „Wilden Westen“; so jagen New Crobuzoner Milizen in der Art amerikanischer Kavallerie nach Verbrechern und Indianern – in diesem Fall sind es Flüchtlinge und einheimische Kaktus-Männer oder ähnliche Fantasiegestalten Miévilles – in einer eindeutig negativen Art und Weise als Todesschwadron.

An seltsame Mensch-Tier- oder Mensch-Pflanze/Mensch-Maschine-Mischwesen ist man von Miéville gewöhnt, allerdings steigert er dieses Mal sowohl die Anzahl als auch die Art dieser Wesen hin zum Grotesken, das dampfgetriebene Kanonenpanzernashorn, der Transportleviathan, aus dessen Bauch Dampfpanzer am Strand anlanden, oder brennende Wohnhäuser auf den Rücken getöteter Riesenschildkröten, aus deren Panzern sie herausgefräst wurden, sollten Beispiel genug sein. Auch hinsichtlich der Charakterentwicklung bleibt China Miéville seiner Linie treu und steigert seinen Stil ins Extreme: Ob nun Isaac Dan dar Grimnebulin oder Bellis Schneewein, sie waren Nebenfiguren im großen Zusammenspiel einer ganzen Welt, wurden von den Ereignissen gesteuert und nicht umgekehrt. Sie standen für Konzepte und Ideale oder dienten wie im Falle von Bellis als Beobachter, hatten aber keinen Einfluss auf die Entwicklung in der Art einer klassischen Heldenfigur. Diese gibt es in diesem Roman ebenfalls nicht, einzig Judah Low könnte man herausheben, auf ihn werde ich in Zusammenhang mit der Gesellschaft des Eisernen Rates aber noch näher eingehen. Politik und Massenpsychologie sowie soziale Aspekte regieren die Handlung, Einzelschicksale werden zwar erwähnt, sind jedoch im Großen und Ganzen bedeutungslos für die Handlung, was das Eintauchen in die wie erwähnt immer groteskere Welt Bas-Lags erschwert.

Noch nie schlug sich Miévilles sozialistische Ader dermaßen in seinem Werk nieder wie in „Der Eiserne Rat“. Klassenkampf und Unterdrückung sowie Flucht in die vermeintliche Freiheit sind die Themen dieses Romans; dieses Mal rückt der Autor soziale Aspekte in den Vordergrund und behandelt kritisch die Probleme einer sozialistisch angehauchten Gesellschaft: Einige wenige starke Führerfiguren ragen aus der Masse der Gleichberechtigten heraus, auch wenn der Eiserne Rat wesentlich humaner zu seinen Bürgern ist und ihnen wirkliche Gleichberechtigung anstelle von Unterdrückung und Bespitzelung bietet – ein Gegensatz zu ehemaligen kommunistischen Ostblockstaaten. Man könnte noch weiter gehen und die Mängel an Material und vielen anderen Dingen mit der Planwirtschaft oder der generellen Effizienz sozialistischer Systeme vergleichen, bis hin zu der Rückkehr des Zuges nach New Crobuzon am Ende des Buchs, an dem man gegen einen gemeinsamen Gegner die geliebte Stadt verteidigt. Eine reuige Rückkehr zum Kapitalismus?

Hier kann man geteilter Meinung sein. Hat „Der Eiserne Rat“ wirklich diese Botschaft? Ich glaube nicht, dass ein Sozialist wie Miéville grundsätzliche sozialistische Ideale in Frage stellen will. Er zeigt dafür auf, wie soziodynamische Entwicklungen das Beste und das Schlechteste im Menschen zum Vorschein bringen; so steigt die Prostituierte Ann-Hari zu einem der führenden Mitglieder des Eisernen Rats auf, hält all die unterschiedlichen Gruppen zusammen. Judah Low hingegen, ein anderes Gründungsmitglied, reist lange Zeit ohne den Rat durch die Welt und entwickelt eine andere Vision dieser Gesellschaft, sieht ihre Schattenseiten und verfällt der Hybris, sich auch aufgrund seiner überragenden Fähigkeiten als Golemist (daher auch der Name – entliehen von Rabbi Judah Loew aus Gustav Meyrinks [„Der Golem“) 1205 als die Hauptfigur des Rats und schlussendlich der ganzen Geschichte zu sehen. Sein Einfluss ist nicht wirklich in diesem Maß gegeben, doch der Leser verfällt ähnlich Low, aus dessen Sicht die Handlung recht häufig beleuchtet wird, in diese Annahme. Trotz seiner Macht und Bedeutung setzen sich die Bürger des Rats durch; er kann diesen Prozess nicht aufhalten und nur begrenzt steuern.

Die Schwäche des Romans liegt nicht in seinen Ideen, sondern in der Erzählweise. Cutter und andere Flüchtlinge sind zu Beginn auf der Flucht vor der Miliz. Warum? Was suchen sie? Bis die Geschichte zum Eisernen Rat kommt und Judah Low sich dem Leser überraschenderweise als Mitbegründer des Rats offenbart, bleibt vieles unklar. Die extrem grotesken Gestalten Miévilles und brutalste Bilder der Gewalt, niedergemetzelte Hirten und Rebenschweine (auf deren Rücken Reben wachsen) sind zwar beeindruckend in ihrer Intensität, tragen aber nicht zur Haupthandlung bei. Diese ist das Problem des Buchs. Miéville bietet hier wesentlich weniger als in den Vorgängern. Wer erwartet, dass die Welt Bas-Lag erweitert wird, wird enttäuscht. Nichts Neues, nur neue Extreme in Gewalt und ein massives Problem mit dem Fokus der Geschichte. Wir erfahren erst nach der Mitte der Buchs, was viele Menschen zur Flucht aus New Crobuzon treibt und wie die Verhältnisse in der Stadt sind; dies wird nur grob angerissen: Pogrome und Kampf gegen die selbstherrlich herrschende Oligarchie. Doch das Schicksal der Revolutionäre Ori und Toro vermag nur sporadisch zu fesseln, die fehlende Identifikation mit Figuren, deren Hintergrund erst im Nachhinein bekannt wird, ist ein Problem des Stilmittels, dem Leser Motivation und Ziele der Figuren lange vorzuenthalten; dasselbe Problem hat bereits der Beginn der Geschichte mit seinem Mangel an Information und der beschränkten Sichtweise des einfachen Flüchtlings.

Dann erst setzt unvermittelt die aus der Rückschau erzählte Geschichte des Rats ein, die von der Idee hochinteressant ist und vorzüglich dargestellt wird, jedoch nicht ausreicht, um das Buch zu füllen. Die Konflikte, die zur Rückkehr des Zugs in die Stadt führen, die von ihren Feinden bedroht wird und innerlich fatalerweise im Zustand des Bürgerkriegs ist, sind allerdings wesentlich nachvollziehbarer als weite Teile der Geschichte zuvor.

So sehr ich mit Miévilles Ideen rund um den Eisernen Rat sympathisieren mag und seine bildgewaltige Sprache schätze, seine Charaktere sind mittlerweile so blass, dass jegliche Identifikation schwer fällt. Die so geschaffene Distanz zur Handlung steht im starken Kontrast zu der bildgewaltigen Sprache, die den Leser in die Welt hineinzieht und aufgrund ihrer übertrieben grotesken Figuren oft auch wieder abstößt. Miéville hat seine Geschichte schlecht erzählt: Erst am Ende des Romans konnte ich sie würdigen, im Nachhinein. Spannung sucht man vergebens, viel zu zäh liest sich dieses vom Thema her doch eigentlich sehr viel versprechende Buch. Träumerei tritt hier an die Stelle guten Erzählens. Das Buch startet langsam und schwach und schafft es nicht, den Leser wirklich zu fesseln und zu begeistern. Erst gegen Ende gewinnt die Handlung an Fahrt, das Finale regt zum Nachdenken an. Miéville hätte sich auf eine oder zwei Handlungen konzentrieren sollen; solcherart kann nur die Handlung um den titelgebenden Eisernen Rat gefallen, alles andere ist Beiwerk und wird oft sehr lieblos im Plot mitgeschleift. So hat Cutter ein homosexuelles Verhältnis zu Judah Low, das jedoch nicht so innig erwidert wird, wie er möchte. Das wird so blutleer erzählt, dass man sich fragt, ob Cutter und Low „Quotenschwuchteln“ sind, denn dieser Aspekt der Geschichte läuft wie so vieles leider völlig ins Leere und Bedeutungslose. Einige wenige starke Abschnitte können leider nicht die fragwürdige Erzählweise aufwiegen. Die Handlung entwickelt sich schwerfällig, kein Vergleich zu „Perdido Street Station“ oder „Die Narbe“; diese Geschichte braucht zu lange, um sich zu entfalten und ist bei weitem nicht so fantastisch wie die der Vorgänger – und nicht annähernd so unterhaltsam.

Homepage des Autors:
http://www.chinamieville.co.uk/

Fanseite im Stil der New Crobuzoner Untergrundzeitung:
http://runagate-rampant.netfirms.com/

Hoffmann, Markolf – Schattenbruch (Das Zeitalter der Wandlung 3)

Das |Zeitalter der Wandlung|:
Band 1: [Nebelriss 473
Band 2: [Flammenbucht 1280
Band 3: _Schattenbruch_
Band 4: [Splitternest 4027

Markolf Hoffmann setzt mit „Schattenbruch“ seine Tetralogie „Das Zeitalter der Wandlung“ fort. Lebensechte Charaktere und Sprachgewandheit zeichnen sein Werk aus, und „Schattenbruch“ stellt keine Ausnahme dar. Erneut beweist Markolf Hoffmann wortgewaltig, wie man einer Geschichte und ihren Charakteren Leben einhauchen kann.

Der Kampf um die magischen Quellen der Welt Gharax zwischen den Menschen und den echsenartigen Goldéi entpuppte sich als eine uralte Fehde zwischen zwei Magiern, Mondschlund und Sternengänger, deren Netz aus Lüge und Verrat das der weltlichen Herrscher noch bei weitem übertrifft. Der junge Kaiser Uliman Thayrin hat den „Silbernen Kreis“ seiner Fürsten und Ratgeber ermordet, nur Baniter Geneder hat überlebt und wird von ihm zum Unwillen seiner Zweck-Gemahlin, Königin Inthara von Arphat, die von Baniter einen Sohn erwartet, festgehalten.

Das magische Verlies der Schriften unter der alten Hauptstadt Vara, eine Quelle der Magie, erwacht zudem zu grausigem Leben, seine Schatten treiben die Bewohner in den Wahnsinn, sie reißen sich selbst die Augäpfel aus den Höhlen und sterben. An anderer Stelle erreichen Aelarian Truarc und sein Leibdiener Cornbrunn den mysteriösen Schattenbruch, Baniters entführte Gemahlin Jundala fährt mit den Südseglern einem ungewissen Schicksal auf dem geheimnisvollen Südkontinent entgegen. Laghanos und Nhordukael, die Auserwählten der beiden legendären Zauberer, bereiten sich derweil auf die entscheidende Auseinandersetzung vor. Kaiser Uliman wird zusätzlich mit einer unwillkommenen Überraschung konfrontiert: Sein wahnsinniger Vater Akendor lebt und drängt sich zusätzlich in den Machtkampf zwischen Inthara, Uliman und den Schatten des Verlieses hinein …

„Schattenbruch“ ist mit 343 Seiten der bisher kürzeste Teil des „Zeitalters der Wandlung“. Man kann ihn guten Gewissens als Brückenband zum abschließenden Band des Zyklus, „Splitternest“, verstehen. Die Handlung wird zwar vorangetrieben, Entscheidungen fallen in diesem Band allerdings keine. Stattdessen wird der Leser mit neuen Mysterien konfrontiert: Besteht ein Zusammenhang zwischen dem vermeintlich harmlosen Schattenspieler, dem Schattenbruch und den Schatten des Verlieses? Der sagenhafte Südkontinent zeigt sich ebenfalls vorerst nur in Gestalt vorgelagerter Inselgruppen – alles andere bleibt dem Folgeband vorbehalten.

Spielerisch und ausgelassen zeigt sich Markolf Hoffmann bei Aelarian Truarc und Cornbrunn samt ihren Kieselfressern Grimm und Knauf; ihre fröhlichen Eskapaden lockerten bereits [„Flammenbucht“ 1280 auf und auch dieses Mal sorgen sie für einen angenehmen Kontrast zu den düsteren Fürsten Sithars. Leider bleibt nicht viel Raum für eine Charakterentwicklung Uliman Thayrins; der junge Kaiser kann dennoch Kälte und Furcht ausstrahlen, ein zentrales Thema dieses Romans: Die Schatten aus der Tiefe Varas sorgen für wohlige Schauder. Ein wenig enttäuscht war ich von dem ungewöhnlichen Ende des Rachefeldzugs der Kämpferin Ashnada, eine interessante Wendung der Geschichte, die mir jedoch nicht wirklich stimmig erschien. Allerdings illustriert sie vortrefflich die verworrenen Loyalitäten im Netz der Lügen und Täuschungen der beiden Zauberer und der Herrscher der Welt Gharax. Das Tempo, mit dem Hoffmann Intrigen spinnt und Handlungsfäden in Richtung Finale hin entwickelt, sorgt auch dafür, dass Laghanos, wie bereits in den Vorgängern, kaum in Erscheinung tritt, Nhordukael und die Goldéi treten dieses Mal ebenfalls kürzer.

Das Grauen der Entfesslung der Quellen hat Markolf Hoffmann exzellent und innovativ eingefangen, hier kann er mit tollen Bildern und seiner sprachlichen Finesse auftrumpfen. Seine sonst so starken Charaktere leiden dieses Mal jedoch unter den häufigen Wechseln der Handlungsebene; das sorgt für eine gewisse Distanz zu den Figuren, mit denen man in den Vorgängern wie zum Beispiel mit einem Baniter Geneder noch mitfiebern konnte. Alles in allem ist „Schattenbruch“ aber eine gelungene Fortsetzung der Reihe, die leider viel zu viele Fragen offen lässt und neue aufwirft, die auf den Abschlussband „Splitternest“ neugierig machen. Es würde mich nicht wundern, wenn dieser aufgrund der Komplexität der Handlung und der vielen noch offenen Fragen zum Zweiteiler werden würde.

Offizielle Homepage des Autors:
http://www.nebelriss.de/

[Unser Interview mit Markolf Hoffmann]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=34

Stöcklein, Verena / Plischke, Thomas – Terra Incognita: Der Schwur des Sommerkönigs 2

Terra Incognita setzt die Geschichte der Invasion der britannischen Inseln durch die angelitische Kirche im Jahr 2656 fort und ist der abschließende Roman der Duologie „Der Schwur des Sommerkönigs“, die mit [Terra Nova 1533 vielversprechend begann.

Die Autoren Thomas Plischke und Verena Stöcklein schufen im ersten Band eine sehr intensive Atmosphäre, die von der Faszination des |Engel|-Rollenspieluniversums von |Feder & Schwert| genährt wurde. Der Krieg der gottesgläubigen Angeliten gegen die |Traumsaat| genannten Dämonen des Teufels, schön |Herr der Fliegen| genannt, und die Britonen, deren Glaube an heidnische Götzen der keltischen Sagenwelt Grund für den Kreuzzug des Riesenschiffes |Terra Nova| mitsamt seinen Templer- und Engelsscharen war, bietet eine willkommene Abwechslung zu an |AD&D| angelehnten Fantasyszenarien mit Elfen, Zwergen und Orks.

Die Handlung wird aus der Sicht zweier Gruppen erzählt, zum einen der kleinen Engelsschar um ihren Anführer Lumael, einem Michaeliten, und aus der Joels, einem Sarieliten, der zusammen mit dem Sterblichen George als Geheimagent im Dienste des Herrn in Britannien spioniert. Im ersten Band wurden die Unterschiede zwischen Angeliten und Britonen herausgearbeitet, wobei man sich bei Historie und Mythologie freizügig bediente. So werden die Engel in Roma Aeterna ausgebildet, kämpfen im Himmel über Nürnberg gegen die Dämonen der Hölle, während die Britonen dem Sommerkönig huldigen und altkeltische Rituale praktizieren, aber im Gegensatz zu den Angeliten moderner Technologie gegenüber aufgeschlossen sind und sie auch einsetzen: Sie können für den kranken George Insulin herstellen und besitzen Feuerwaffen, während die Angeliten in den seltensten Fällen lesen und schreiben können. Dafür haben sie die Engelsscharen des Herren; die Gabrieliten oder Todesengel mit ihren Flammenschwertern machen in |Terra Incognita| ihrem Namen alle Ehre. Die Landschaft Europas ist ebenso faszinierend verfremdet worden: Der Meeresspiegel hat sich gehoben und so entstanden die hier wörtlich zu nehmenden britannischen Inseln, andere Teile Britanniens versanken. London ist im |Engel|-Universum eine Insel, ebenso wie Dover. Die im Umschlag befindliche Karte zeigt das sehr schön, allerdings sollte man sich nicht daran stören, dass das höher gelegene Oxford eine Küstenstadt ist und London dennoch nicht versunken ist.

Der Rollenspielcharakter der Engelsschar wird weniger betont als im ersten Teil, allerdings ist dies nicht als Fortschritt zu sehen. An Stelle der Anführer-, Krieger-, Heiler- und Bogenschütze-Rollenbilder treten jetzt interne Konflikte mit dem neuen Mitglied der Schar, dem Todesengel Doriel. Diese sind zwar gut geschildert, schaffen aber nicht dieselbe Atmosphäre wie die Vorstellung des faszinierenden |Engel|-Universums im ersten Band. Joel und George brechen unverständlicherweise die Verfolgung des Sommerkönigs ab und schließen sich stattdessen Widerstandskämpfern um Robin von Locksley (bekannter als Robin Hood) an. Diese Passage ist jedoch recht kurz und es zeigt sich eine fatale Schwäche des abschließenden Bandes: Ein Buch mit vielen interessanten und für Rollenspieler sicher inspirierenden Versatzstücken, aber kein Roman mit einer geschlossenen Handlung.

Das ist sehr schade, denn an Atmosphäre, Ideen und Charakteren mit Potenzial mangelte es nicht. Das Autorenduo hätte sicher noch viel mehr schreiben können, aber dieser Band ist der letzte der Reihe, und er hinterlässt so einen schalen Nachgeschmack. Das Ende ist überhastet, es werden neue Figuren kurz vor Schluss eingeführt; ich gewann den Eindruck, es folge noch ein dritter Band. Stattdessen wird der gelungen mystisch und geheimnisvoll aufgebaute Sommerkönig lieblos abserviert, geradezu ein Hohn angesichts des Cliffhangers des ersten Bandes, der hier ein großes Geheimnis versprach. Mir kam es vor, als ob man einfach nicht den Platz hatte, die Geschichte des Sommerkönigs zu Ende zu erzählen.

|Terra Incognita| kann nicht wie sein Vorgänger auf den Bonus des Neuen, des atmosphärischen Engel-Universums setzen, sondern muss eine Geschichte in dem faszinierend eingeführten Szenario erzählen, um bestehen zu können, tut dies aber nicht. Das überhastete Ende lässt einige leckere Brocken zurück, die der Rollenspielfreund als Häppchen schlucken kann, eine abgerundete Geschichte erhält er jedoch nicht.

http://www.feder-und-schwert.com/

Stackpole, Michael – Kampf um die alte Welt, Der (Saga der neuen Welt 2)

Michael Stackpole setzt in „Der Kampf um die alte Welt“ nahtlos fort, was er in [Das verlorene Land 1036 begonnen hat.

Die Mitglieder der Familie Anturasi stehen erneut im Brennpunkt der Ereignisse: Der alte Patriarch Qiro Anturasi ist zum Mystiker der Kartografie geworden; was er auf einer Karte einzeichnet, wird Realität – so hat er im Süden aus dem Nichts einen neuen Kontinent, vermutlich das „verlorene Land“, auf das der Titel des ersten Bandes anspielt, mitsamt seinen monströsen Bewohnern erschaffen. Die Seele seiner ermordeten Tochter Nirati findet dort ebenfalls Zuflucht. Leider scheint er unter dem Einfluss des Vanyesh-Prinzen Nelesquin zu stehen, der seinen Feldzug gegen die verschollene Kaiserin Cyrsa, der vor Jahrhunderten den Kataklysmus auslöste, fortführen will.

Keles Anturasi wird auf Rache für die vermeintlich tote Tyressa sinnend in die Dienste des Prinzdynasten Pyrust gepresst, während sein Bruder Jorim nicht nur von den Tetcomchoa als Gott verehrt wird, sondern tatsächlich göttliche Fähigkeit gewinnt! Die Gruppe um die Schwertkämpfer Moraven Tolo und Ciras Dejote teilt sich auf; während Moraven die in Erumvirine einfallenden Monsterhorden vom Südkontinents Qiros bekämpft, findet Ciras auf seiner Suche nach Kaiserin Cyrsa eine Zufluchtsstätte ihrer Erzfeinde, der Vanyesh, und steigt in den Rang eines Mystikers des Schwertkampfes auf.

Währendessen spekuliert Dynast Pyrust darauf, dass ihm die Invasion Erumvirines die Gelegenheit gibt, Helosunde auszubluten und zugleich seinem Gegner Cyron den Todesstoß zu versetzen.

Stackpole überraschte mich mit diesem Roman. Der Schwerpunkt liegt völlig anders als erwartet. Wer einen Entdecker-Roman erwartet, wird enttäuscht werden. Stattdessen mutieren ein halbes Dutzend Hauptpersonen zu Mystikern, entpuppen sich als lebendige Figuren der Legende oder werden gleich gar zu Göttern! Wozu eigentlich? Plötzlich verschiebt sich die Handlung von einer Entdeckungsreise zu einem uralten Konflikt zwischen Kaiserin Cyrsa und den Turasynd oder vielmehr auf einmal den Vanyesh. Dieser Bruch in der Erzählung ist irritierend und wird durch permanent den Schauplatz wechselnde kurze Kapitel noch verstärkt.

Der fehlende Fokus sorgt auch dafür, dass kein Charakter wirklich hervorstechen kann. Alle wirken gleichermaßen bieder und sind sich sehr ähnlich, alle Dynasten sind wahrlich Herrscher machiavellistischer Prägung, die zu stark an Heerführer oder Bösewichter aus anderen Stackpole-Romanen erinnern, ohne je die Chance zur Eigenständigkeit zu erhalten.

Das setzt sich mit Nebencharakteren und allen Anturasis inklusive ihrer Liebschaften fort. Insbesondere die Beziehung von Keles zu Tyressa wirkt nutzlos und aufgesetzt, der perverse Folterer und Mörder Junel wird in diesem Roman ebenfalls sang- und klanglos entsorgt. Hier fehlt es an Stringenz, ein bunter Eintopf aus Ideen, zusammengeklaubt aus allen möglichen Werken Stackpoles.

Weltenentwurf war noch nie Michael Stackpoles Stärke, aber er hat in seinen „Düsterer Ruhm“-Romanen bewiesen, wie gut er die Ideen anderer Autoren in seine Welten einpassen und weiterentwickeln kann. Dass er Serien Impulse geben kann, hat er in „BattleTech“ mit den Clans bewiesen, ebenso in seinen Romanen im „Star Wars“-Universum. Ohne Regeln neigt er zum Ausufern; dieser Roman und leider vermutlich wohl die ganze Serie scheitern daran. So wird der Beginn der Invasion Erumvirines aus der Perspektive von Dunos geschildert, ein kurzes Kapitel, das isoliert zwischen an völlig verschiedenen Punkten der Welt handelnden Kapiteln steht. So kommt keine apokalyptische oder bedrohliche Stimmung auf; es verärgerte mich zudem, dass ich mich erst wieder durch die unheimlich ermüdend vorgetragenen strategischen Erwägungen von Pyrust durchkämpften musste, bevor es dann mit Jorim Anturasi weiterging.

Fragwürdig sind ebenso die übermäßig vielen abgeschmackten Konstruktionen; selten wurde der Deus Ex Machina so überstrapaziert wie in diesem Roman. Der Gott ist hier übrigens wörtlich zu nehmen! Mittlerweile hat sich bereits die Hälfte der Hauptpersonen in Götter verwandelt, andere sind zu Meistern und Mystikern aufgestiegen und andere erinnern sich schließlich, dass sie ja eine Person der Legende sind. So etwas kann nicht überzeugen. Hier droht die Handlung jegliche Bodenhaftung zu verlieren, zumal es an Identifikationsfiguren oder starken Charaktern an sich sowieso schon mangelt.

Der Konflikt zwischen den Vanyesh und Kaiserin Cyrsa (die ebenfalls überraschend wieder auftaucht) sowie den Resten ihres ehemaligen Imperiums wird die Handlung in Zukunft bestimmen. Wer einen Entdecker- oder Seefahrer-Roman im Fantasy-Genre sucht, sollte stattdessen Paul Kearney’s Trilogie „Die Königreiche Gottes“, erster Band „Hawkwoods Reise“, lesen. Stackpole legt derzeit eine schöpferische Pause ein, ein Folgeband ist noch nicht angekündigt. Hoffentlich steigt auch er in den Rang eines Mystikers der Schreibkunst auf, denn dieses verzettelte Chaos zu einem vernünftigen Ende zu bringen, wird nicht einfach sein.

Homepage des Autors:
http://www.stormwolf.com/

Michael McCollum – Größere Unendlichkeit

Duncan MacElroy hat nicht gerade das Glückslos gezogen: Als einziger Student darf er in den Semesterferien das Wohnheim hüten, alle anderen sind verreist. Zu allem Überfluss findet gerade jetzt auch noch eine Science-Fiction-Convention statt und das Bier geht mitten im Streitgespräch der UFO-Beobachter aus.

Duncan wird kurzerhand zusammen mit der gänzlich unattraktiven Jane Dugway zum Bierholen geschickt!

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Mondfeld, Wolfram zu / Wertheim, Barbara zu – Schule der Gladiatoren, Die

Freunde des Bestsellers [Der Meister des siebten Siegels 54 dürfen sich auf Nachschub freuen: Wolfram zu Mondfeld, Co-Autor des Meisterwerks rund um das abenteuerliche Leben des Adam Dreyling, legt diesmal jedoch einen im alten Rom spielenden Roman vor. Anstelle von Johannes K. Soyener teilte er sich dieses Mal die Arbeit mit seiner Frau, Barbara zu Wertheim.

Zu Zeiten des Kaisers Nero wird der junge Germane Eppor in die Sklaverei verkauft. Doch das Schicksal meint es gut mit ihm: Gladius Felix, ehemaliger Gladiator und Besitzer der Gladiatura „Felix Felix“, kauft ihn und bildet ihn auf seinem italienischen Landgut nahe Puteolis zum Netzkämpfer aus.

Als „Scorpio“ gewinnt er den Respekt des Pöbels in den Arenen des Imperiums und wird zum Adoptivsohn von Gladius Felix. Doch das Leben eines Gladiators ist reich an Gefahren … und nicht nur in der Arena droht das Verderben. Scorpio wird den Ausbruch des Vesuvs, den Brand von Rom unter der Herrschaft Neros sowie das blutige Dreikaiserjahr und den folgenden Aufstieg der legendären Kaiser Vespasian und Titus aus der flavischen Dynastie nicht nur miterleben, sondern sogar daran beteiligt sein.

Das abenteuerliche Leben Scorpios bildet die Rahmenhandlung, aus seiner Perspektive wird die Geschichte auch erzählt. Gründliche Recherche römischer Sitten und Gebräuche rundet das Bild ab, die Einbindung bekannter historischer Figuren erinnert ebenfalls an das erfolgreiche Muster des Vorgängers „Der Meister des siebten Siegels“, an dem sich Wolfram zu Mondfeld sichtlich orientiert.

Neu ist der Familiengedanke: Die Gladiatura „Felix Felix“ macht ihrem Namen alle Ehre: eine schrecklich nette Familie mit zahlreichen illustren Mitgliedern. Hier ist wahrlich nichts historisch oder glaubwürdig, eine Extraportion heile Gladiatorenwelt, die jedem Humanisten Tränen der Rührung in die Augen treiben würde. Wer sich an den sehr modernen und mehr als aufgeklärten Waringhams von Rebecca Gablé bereits störte, wird erleben, dass man das durchaus noch steigern kann; leider wirkt dies sowohl im Mittelalter als auch im alten Rom unglaubwürdig und aufgesetzt.

Während der Beschreibung der klassischen Gladiatorentypen wie Murmillo, Thraex oder Retiarius (Scorpio ist ein solcher Netzkämpfer mit Dreizack) viel Platz eingeräumt wird – teilweise wiederholt sich der Autor hierbei -, nimmt sich die Beschreibung der Kämpfe in der Arena bescheiden aus. Hier fehlt es dem Autor ein wenig an Fantasie, auch fällt negativ auf, wie selbst bei Kämpfen, die mit dem Tod eines Gladiatoren der Schule Felix Felix enden, der Heile-Welt-Charakter des Buches überwiegt und kein echtes Bedauern beim Leser aufkommen kann.

Für Abwechslung steht auch die bunt gemischte Gladiatorentruppe: Das rothaarige britonische „Ungeheuer“ Fulmina, die wohlgeformte und ihre Rundungen im Kampf mitunter als tödliche Ablenkung einsetzende lesbische Speerkämpferin Leoparda, das etwas rundliche und kleine, aber trickreiche „Schweinchen“ Purpureus sowie der stets sorglose und optimistische pechschwarze Nigeralbus, Sohn des Trainers Amaranthus und seiner germanischen Gattin Freia, sorgen für ein betont harmonisches Umfeld, zu dem bestenfalls der etwas knauserige Verwalter und einige gierige Geldverleiher sowie dem Wahnsinn verfallende römische Kaiser einen leider ebenso einseitigen Kontrast darstellen.

Eine der wichtigsten Nebenfiguren des Romans stellt der rätselhafte, geheimnisumwitterte Stargladiator „Tarquinius“ dar. Stets tritt er in einer schwarz-silbernen Rüstung in seinen Kämpfen „sine missio“ (bis zum Tod ohne Begnadigung) an und hat wenig übrig für das Töten, kämpft nur gegen als Schlächter verrufene Gladiatoren, begeistert mit seinem Schwertspiel, Geschick und Persönlichkeit aber dennoch das „Pöblikum“. Eine sehr begeisterte Hommage an Ridley Scotts „Gladiator“ Maximus. Als an einer Christin interessierter Mithraspriester ist Tarquinius jedoch vielschichtiger, an einem Kampf vor dem großen Cäsar – wenn auch nicht gegen ihn – kommt aber auch er nicht vorbei.

Zwiespältig ist die Schilderung einiger historischer Begebenheiten zu sehen: Erste Vorbeben in Pompeji einschließlich des späteren vernichtenden Ausbruchs des Vesuvs, der Brand in Rom sowie die Beschreibung der zur „Naumarchie“ umgebauten Arena, in der die Seeschlacht von Actium nachgestellt werden sollte, konnten mich nicht begeistern. Zu flüchtig und zwanghaft wirkten sie in die Handlung eingefügt, während einige banale und durchschaubare Handlungsstränge zu viel Raum einnahmen. Hier zollt der Autor der Erzählweise leider Tribut, Scorpios Leben hangelt sich oft gezwungen von Ereignis zu Ereignis.

Dieser Malus stellt zusammen mit der kitschigen Idylle der Gladiatorenschule Felix Felix die Hauptkritikpunkte dar. Positiv zu werten ist der gefällige und flüssige Schreibstil, auch kann man sich dem Charme der sympathischen Charaktere nur schwer entziehen. Leider erreicht Wolfram zu Mondfeld nicht ganz die beeindruckende Informationsdichte und den Abwechslungsreichtum des „Meisters“, zudem ist der Handlungsverlauf wesentlich vorhersehbarer, größere Überraschungen oder Wendungen gibt es keine.

Ein guter Roman, der jedoch nicht an die Klasse des „Meisters des siebten Siegels“ anknüpfen kann. Trotz einiger kritischer Anmerkungen aus moderner Warte, die seltsam anmuten, wenn der Autor sie dem Gladiator Scorpio in den Mund legt, vergällte mir die übermäßig ausgeprägte romantisierende Schönfärberei den Genuss und schadete dem Roman.

Richard Morgan – Heiliger Zorn

„Heiliger Zorn“ ist ein sehr treffender Titel für Richard Morgans dritten Roman rund um den Ex-Envoy Takeshi Kovacs. Nach den Ereignissen in „Gefallene Engel“ kehrt Kovacs an den Ort seiner Geburt zurück, Harlans Welt. Dort wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert: einem jüngeren Doppelgänger seiner Person sowie der in den Vorgängern oft zitierten Quellcrist Falconer und seiner Envoy-Ausbilderin Virginia Vidaura.

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David Weber – Der Schwur (Schwerter des Zorns 1)

Bei dem Namen David Weber denkt man zwangsläufig an Science-Fiction-Romane rund um die starke Kommandantin Honor Harrington. Doch diesmal entführt er seine Leser in eine an Robert E. Howards hyborische Welt erinnernde Zeit.

Seine Verwandschaft mit Conan kann Webers Held Bahzell Bahnakson nicht verleugnen. Probleme löst auch er am liebsten auf die handgreifliche Art. Doch im Gegensatz zu Howards Conan ist der unheimlich sture Bahzell ein moralischer Charakter mit ausgeprägtem Gerechtigkeitsempfinden.

Als Hradani gehört Bahzell einer der ursprünglichen fünf menschlichen Rassen (desweiteren gibt es Zwerge und „Rote Lords“, Halbelfen) seiner Welt an. Die fuchsohrigen Hradani sind bekannt für ihre hünenhafte, über zwei Meter große Gestalt, Körperkraft und ihr gewalttätiges Temperament. Das machte sie zu idealen Soldaten der Dunklen Götter, deren Hexerei sie mit der Blutrunst verfluchte: einem unkontrollierbaren, berserkerhaften Blutrausch, in dem sie jegliche Kontrolle verlieren. Diesem können sie im Zorn, besonders im Kampf, jederzeit anheimfallen.

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Kemp, Paul S. – Auferstehung (Der Krieg der Spinnenkönigin 6)

Mit „Auferstehung“ schließt Paul Kemp anstelle des ursprünglich geplanten Autors Mel Odom die sechsteilige AD&D-Serie „Der Krieg der Spinnenkönigin“ ab. Er und fünf weitere Jungautoren erzählten die Geschichte um das Verschwinden der Drow-Göttin Lolth und die Suche einer in sich zerstrittenen Gruppe Drow mit keineswegs uneigennützigen Motiven. AD&D-Starautor R. A. Salvatore selbst begnügte sich mit der Rolle als Schirmherr und konzentrierte sich stattdessen auf die Fortsetzung der Abenteuer des beliebten Dunkelelfen Drizzt Do’Urden (Die Rückkehr des Dunkelelf, Band 1: [Die Invasion der Orks). 476

Bis in den Abgrund der Dämonennetze hat es die Gruppe um die Lolth-Hohepriesterin Quenthel, den Draegloth Jeggred, den Magier Pharaun und die ehemalige Leibsklavin Halisstras, Danifae, bereits gebracht. Den Waffenmeister Ryld Argith hat bereits sein Schicksal ereilt, der Söldner Valas Hune hat sich nach Menzoberranzan abgesetzt, wo der Erzmagier Gromph bereits seinen Sieg über die Verräter aus dem Haus Agrach Dyrr feiert. Halisstra dagegen hat sich von Lolth abgewandt und dient nun Eilistraee, in deren Auftrag sie Lolth töten und Ryld rächen will.

Doch Zweifel plagen sie. Die Macht Lolths ist groß, und Eilistraee hilft ihr nicht wirklich. Zudem hört sie den Ruf Lolths, die nach ihrer Yor’thae – Auserwählten – ruft. Auch Danifae und Quenthel hören ihn, und obwohl Quenthel eine der höchsten Priesterinnen Lolths ist, scheint Danifae ebenfalls hoch in ihrer Gunst zu stehen … Wen wird Lolth erwählen?

Paul Kemp setzt drei Schwerpunkte in „Auferstehung“: Der Zwist zwischen den Drowfrauen und die Zweifel Halisstras treiben sie durch viele Kämpfe und Prüfungen bis hin zu Lolth selbst. Dieser Teil der Geschichte ist besonders gut gelungen, denn es ist wirklich bis zum letzten Satz nicht abzusehen, wen Lolth nun letztlich erwählt. Geschickt lockt Kemp den Leser auf falsche Fährten und regt zum Spekulieren an

In Menzoberranzan stellt er den Erzmagier Gromph hervorragend dar und lässt sich viel mehr einfallen als seine Vorgänger, die ihn hauptsächlich mit Kampfzaubern um sich werfen ließen. Er bindet Gromphs Assistenten in die Handlung ein und schildert höchst unterhaltsam, wie der Magier mit List und Tücke in den Stammsitz des Hauses Dyrr eindringt, um das Seelengefäß des Lich endgültig zu zerstören.

Einzig der Auftritt des Ultrolothen Inthracis schwächelt. Er und die Yugolothen der Blutkluft sind nicht gerade die bekannteste Gruppierung in den Vergessenen Reichen, hier macht sich ein wenig der Zwang der Reihe bemerkbar, wirklich jedes Monster zumindest einmal erwähnt haben zu müssen. Hier ist der einzige Zweck, Quenthel und Danifae auf den Weg zu Lolth eine Armee Yugolothen in den Weg zu stellen – was diese dazu bringen wird, einige noch mächtigere Dämonen zu beschwören, womit wirklich jeder Unhold in dieser Serie vertreten gewesen sein dürfte.

Paul Kemp ist von allen sechs Autoren der Reihe als letzter naturgemäß der mit den meisten zu erfüllenden Vorgaben. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern achtete er auf konsequente Charakterisierung seiner Figuren. So ändert sich der Charakter Quenthels oder Pharauns nicht so drastisch wie bei einigen seiner Vorgänger, was man ihm hoch anrechnen muss. Allerdings liegt seine Stärke weniger in der Charakterisierung oder Hervorhebung eines einzelnen Charakters, er versteht es vielmehr blendend zu unterhalten. Er wechselt oft geschickt den Handlungsort und die Perspektive, spielt vor allem sehr gekonnt mit der brennenden Frage, wer Lolths Yor’thae sein wird. So liest sich „Auferstehung“ kurzweiliger und spannender als manche zu AD&D-regelwerksgetreuen Kampforgien ausgeartete Romane der Reihe.

_Fazit:_

Ein würdiges Finale für den „Krieg der Spinnenkönigin“. Paul Kemp und Richard Lee Byers konnten mich besonders überzeugen, sie können sich durchaus mit Salvatore messen, ohne so verbraucht wie der Altmeister zu wirken. Ideenreich und voller Elan präsentierten sie ihre Geschichten, wobei Byers der Kreativere war, Kemp kann dagegen mit einem wirklich großartigen Finale punkten – etwas, an dem selbst Salvatore oft gescheitert ist. Es ist nicht bekannt, warum der ursprünglich geplante Autor Mel Odom sich aus dem Projekt zurückgezogen hat, allerdings hat sich Paul Kemp als glücklicher Ersatz herausgestellt. Denn Odom hat sich in seiner bisherigen Karriere eher als Autor mit Abschlussschwäche erwiesen, mir persönlich sagt Kemps Schreibstil zudem wesentlich mehr zu.

Die wunderschöne Umschlaggestaltung wurde von |Feder & Schwert| direkt vom englischen Original übernommen, für die ausgezeichnete Übersetzung zeichnete erneut Ralph Sander verantwortlich. Lektorat und Korrektorat verdienen ebenfalls ein Lob, der „Krieg der Spinnenkönigin“ ist qualitativ sicher die beste AD&D-Serie in deutscher Ausgabe.

Für Kenner der Vergessenen Reiche und Freunde der Dunkelelfen gehört der „Krieg der Spinnenkönigin“ einfach zum Pflichtprogramm.

Weitere Besprechungen aus dieser Reihe bei |Buchwurm.info|:
[Zersetzung 183 (Band 1)
[Zerstörung 677 (Band 4)
[Verheerung 1113 (Band 5)

Hobb, Robin – Wahre Drache, Der (Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher IV)

Band 1: [Der lohfarbene Mann 230
Band 2: [Der goldene Narr 232
Band 3: [Der weiße Prophet 1969
außerdem: [Der Adept des Assassinen 229 (Die Legende vom Weitseher 1)
und ergänzend: [Der Ring der Händler 281 (Die Zauberschiffe 1)

„Der Wahre Drache“ stellt die zweite Hälfte des aufgeteilten englischen Originals „Fool’s Fate“ dar und schließt Robin Hobbs in der deutschen Version vier Bände umfassende Trilogie „Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher“ ab. Im Mittelpunkt steht das Schicksal des Geschlechtes der Weitseher, das aus der Warte des Weitseher-Bastards FitzChivalric geschildert wird, dessen bewegtes Leben schon in der ersten Trilogie im Mittelpunkt stand.

Gleichzeitig verbindet Hobb damit ihre beiden großen Sagas um die Weitseher und die Zauberschiffe miteinander, denn das Partnerproblem der letzten Drachenkönigin Tintaglia sowie das Schicksal der Bleichen Frau, die in der ersten Weitseher-Trilogie hinter dem Überfall der Roten Korsaren auf die Sechs Herzogtümer und der Entfremdung (grob gesagt, ein Raub der Seele und menschlichen Gefühle) zahlloser Bürger stand.

Tief im Eis der Insel Aslevjal ruht der letzte männliche Drache, Eisfeuer, und Prinz Pflichtgetreu soll ihn auf Wunsch der Narcheska Elliana erschlagen. Ohne diesen Gunstbeweis gäbe es keine Heirat und somit auch kein Bündnis zwischen den Sechs Herzogtümern und den Outislandern. Zwar hegt Elliana mittlerweile echte Gefühle gegenüber Pflichtgetreu, aber sie und ihr Beschützer Peottre werden von der Bleichen Frau erpresst.

Diese wünscht den Tod des Drachen, Fitz zweifelt jedoch immer mehr und neigt dazu, dem Zwiehaften Web und dem Narr zu glauben, die ihn anflehen, Eisfeuer nicht zu töten, da dies die Zukunft der Welt zum Schlechten beeinflussen würde. Fitz und der Narr geraten in die Gefangenschaft der Bleichen Frau und erfahren, womit sie Elliana erpressen konnte. Die Bleiche Frau will etwas von Fitz, und sie foltert den Narren und droht Fitz mit seinem Tod, sollte er Eisfeuer nicht umbringen. Sie droht, ihn an ihren wahnsinnigen, von Hass und Leid genährten Steindrachen zu verfüttern.

Fitz steht vor einer schweren Entscheidung: Ist es wirklich wahr, was der Narr sagte? Würde die Befreiung eines Monsters wie Eisfeuer und damit das Sicherstellen des Überlebens der Drachen als Rasse der Menschheit wirklich eine bessere Zukunft ermöglichen? In diesem Fall muss er ihn opfern; will er ihn retten, muss er den Drachen töten, aber dann könnte die düstere Prophezeiung des Narren wahr werden, und die Bleiche Frau hätte ihr Ziel erreicht.

_Furioser Auftakt, schwaches Ende_

Aufgrund der Teilung des Originals endete der Vorgänger genau an der Drachenhöhle, dem Ort der Entscheidung. Somit beginnt dieses Buch auch furios: Fitz und der Narr werden entführt, erfahren Hintergründe und Geheimnisse in den Kerkern und Gängen im Versteck der Bleichen Frau. Zudem hat diese einen starken und überzeugenden Auftritt, und die Prophezeiung des Narren, er werde auf Aslevjal sterben, scheint sich zu bewahrheiten. Die daraus resultierenden Konflikte innerhalb der Gruppe geben der Handlung Pep und Tempo, so dass dieser wirklich gelungene Teil des Buches sehr spannend und vergnüglich zu lesen ist.

Leider scheinen Hobb dann die Ideen auszugehen. Ob Eisfeuer nun stirbt oder nicht, einen direkten Einfluss auf die Welt oder die Zukunft kann man in diesem Buch beim besten Willen nicht ausmachen. Vielmehr ist man enttäuscht, ebenso über den kurzen Auftritt der Bleichen Frau, die im Nachhinein sogar hinter dem Aufstand der Gescheckten gesteckt haben soll.

Es schließt sich ein langezogenes, antiklimatisches Happyend mit einigen unnötigen Konstruktionen hinsichtlich der Bedeutung und Funktion der weißen Propheten an. Die Hochzeit Pflichtgetreus und Ellianas wird ebenso hinausgeschoben, damit Fitz Gelegenheit hat, seine Familienangelegenheiten zu regeln.

Hobb verschwendet den gesamten Rest des Buchs darauf; leider wird Fitz hier wieder einmal zum Zögerer und Zauderer, ein Charakterzug, der bereits in den ersten beiden Bänden nervte, im dritten begrüßenswerterweise in der Hintergrund trat und nun aufgrund der allgemeinen Trägheit und Belanglosigkeit der Handlung wieder auftaucht.

Das ist schade, denn gerade die Drachen und die Bleiche Frau hätten viel mehr zu bieten gehabt, wohingegen die familiären Probleme von Fitz bereits schon viel zu lange breitgetreten wurden und nicht mehr unterhalten noch überzeugen können. Mehrere logische Brüche werten das Finale zusätzlich ab. Die Bleiche Frau hat den Drachen als Köder für Fitz und den Narren verwendet. Aber warum es ihr und ihren zahlreichen Helfern nicht möglich ist, den eingefrorenen und hilflosen Drachen ohne Hilfe von Fitz und seinen Gefährten zu töten, kann Hobb nicht erklären. Ebenso bleibt Hobb zumindest die Andeutung einer Erklärung schuldig, warum die Rettung der Drachen der Welt nutzen würde, werden sie doch stets als gefährliche Wesen geschildert, denen Tod oder Leben anderer schlichtweg unwichtig ist.

Rainer Schumacher übersetzte wie bereits den Vorgänger auch diesen Roman anstelle von Eva Bauche-Eppers. Dass man gerade das Finale der Trilogie von einem anderen Übersetzer schreiben lässt, ist ziemlich enttäuschend. Allerdings macht er seine Sache sehr gut, leider hat er einige Namen von Nebenfiguren anders übersetzt als Eva Bauche-Eppers und das Korrektorat hat viele Sätze mit falschen Bezügen sowie nicht mehr erkennbaren Sinn und überflüssigen, falschen Wörtern mitten im Satz nicht korrigiert.

_Fazit:_ Nach dem Handlungsteil auf Aslevjal rund um die Bleiche Frau und den Drachen Eisfeuer hätte Hobb zu einem schnelleren Ende kommen sollen. Das Finale zieht sich dahin und bietet nicht die lange erwarteten Höhepunkte, als Zusammenführung der Weitseher- und Zauberschiffe-Trilogie kann man es im Nachhinein nicht mehr bezeichnen. Die Figur des FitzChivalric ist mittlerweile ausgelutscht, ohne seinen Wolf Nachtauge verfällt er immer öfter in die Rolle eines weinerlichen und unentschlossenen Zögerers, sein in der Weitseher-Trilogie noch spannend und bewegend geschildertes Leben ist aus dieser Warte unerträglich und uninteressant geworden. Hobb kann nach wie vor faszinierende Charaktere erschaffen, leider hat sie in diesem Buch die Schwerpunkte falsch gesetzt oder konnte keine angemessen faszinierenden Antworten auf die wirklich interessanten Fragen um die Bleiche Frau und die Drachen bieten.

Viele Fragen bleiben zudem offen. Sollte Hobb sich ihrer in einer weiteren Trilogie annehmen, kann man nur empfehlen, dass sie einen Neuanfang ohne Fitz wagt. Das kitschige Happyend zerstört die Figur Fitz und viele andere leider – oder zum Glück – so vollständig, dass man darauf nur hoffen kann.

Homepage der Autorin:
http://www.robinhobb.com/

Robin Hobb – Der weiße Prophet (Die zweiten Chroniken von Fitz dem Weitseher III)

Band 1: Der lohfarbene Mann
Band 2: Der goldene Narr
außerdem: Der Adept des Assassinen (Die Legende vom Weitseher 1)
und ergänzend: Der Ring der Händler

Prinz Pflichtgetreu hat es nicht gerade leicht. Als einzigem Erben des Weitseher-Throns ist es an ihm, den Frieden zwischen den Sechs Herzogtümern und den Äußeren Inseln der als Piraten gefürchteten Outislander zu schließen. Zumal es noch nicht lange her ist, dass man mit diesen in einen brutalen Krieg verwickelt war, der seinen Vater König Veritas das Leben gekostet hat.

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Robert Charles Wilson – Die Chronolithen

Wer ist Kuin?

Wissen Sie das? Nein? Nun, keiner weiß, wer Kuin ist. Aber jeder kennt ihn. Seit dem Tag, an dem der erste „Chronolith“ im thailändischen Chumphon erschien. Ein blauer Obelisk aus einem unbekannten, nicht analysierbaren und anscheinend auch unzerstörbaren Material mit einer Inschrift, die den Sieg der alliierten Streitkräfte Kuins über Süd-Thailand und Malaysia preist – am 21. Dezember 2041. Zwanzig Jahre in der Zukunft. Spätestens aber, nachdem ein wesentlich größeres Exemplar in Form einer stilisierten menschlichen Gestalt explosionsartig Bangkok entkernt und zahllose Todesopfer gefordert hat. Und das war erst der Anfang …

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Rebecca Gablé – Die Hüter der Rose

„Die Hüter der Rose“ ist der fünfte historische Roman der deutschen Bestsellerautorin Rebecca Gablé (* 25.09.1964), die sich mit dem Roman „Das Lächeln der Fortuna“ und ihren weiteren historischen Werke einen Namen gemacht hat. Sie studierte nach mehrjähriger Berufstätigkeit als Bankkauffrau Anglistik und Germanistik mit Schwerpunkt auf Mediävistik, wobei ihr besonderes Interesse offenkundig den englischen Königshäusern galt. Denn um das Haus Lancaster und die von ihr erfundene Familie des Robin of Waringham, der ihren Fans bereits aus „Das Lächeln der Fortuna“ bekannt ist, dreht sich in dieser direkten Fortsetzung der Familiengeschichte der Waringhams alles.

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