Alle Beiträge von Michael Drewniok

Hooper, Tobe/Goldsher, Alan – Midnight Movie

_Das geschieht:_

Nach einem halben Jahrhundert im Filmgeschäft ist Tobe Hooper ein Veteran, der keinerlei Illusionen mehr über die Unterhaltungsindustrie hegt. Als man ihn als Stargast auf ein Film-Festival einlädt, wundert er sich deshalb nicht, dass dieses zwar in seiner alten Heimatstadt, dem texanischen Austin, jedoch nicht in einem modernen Kino, sondern in einer verrufenen Spelunke stattfinden wird. Hooper lässt sich dennoch locken, denn Veranstalter Dude McGee kündigt an, den Film „Destiny Express“ zu zeigen. 1959 war dies viele Jahre vor „Texas Chainsaw Massacre“ Hoopers Film-Erstling gewesen, der niemals öffentlich gezeigt wurde und als verschollen galt.

Hooper ist neugierig, zumal er sich an sein eigenes Werk nicht mehr erinnern kann; ein schwerer Unfall hat in jungen Jahren sein Gedächtnis geschädigt. Die verspätete Premiere enthüllt kein frühes Meisterwerk, ist aber ein bizarres Erlebnis, das den Zuschauern im Gedächtnis bleiben wird: Wer „Destiny Express“ gesehen hat, beginnt sich wenig später zu verändern, wird erst sexsüchtig, dann gewalttätig und fällt schließlich hungrig über seine Mitmenschen her, die sich nach solcher Attacke selbst wie beschrieben verwandeln.

Bis der Ausbruch dieser Zombie-Epidemie bemerkt wird, kann sie sich rasend schnell ausbreiten. Medizinisch ist ihr nicht beizukommen, landesweites Chaos droht. McGee hat „Destiny Express“ inzwischen als Auslöser von „The Game“, wie die Seuche genannt wird, erkannt. Er informiert Hooper, der sich mit einem schnell gefundenen Mitstreiter, dem Filmkritiker Erick Laughlin, um Aufklärung bemüht. Das Duo beginnt seine Recherchen mit der Rekonstruktion der Ereignisse von 1959 und stellt fest, dass McGee in der Tat richtig liegt. Diese Erkenntnis gipfelt in dem Plan, den alten Film als „Destiny Express Redux“ neu und in der Hoffnung zu verfilmen, der Zombie-Seuche auf diese Weise Einhalt zu gebieten …

_Ein Ventil für aufgestauten Frust_

Tobe Hooper: ein Kult-Regisseur, Vertreter eines ‚unabhängigen‘ Filmschaffens außerhalb der großen Hollywood-Studios, Galionsfigur des modernen Horrorkinos – und eine tragische Gestalt, der mehr interessante Projekte geplatzt sind als verwirklicht werden konnten. Seit Anfang der 1960er Jahre ist Hooper im Film- und Fernsehgeschäft. In diesen Jahren hat er unzählige TV-Auftragsproduktionen hinter sich gebracht, um ’seine‘ Filme drehen zu können. Nach vielversprechendem Auftakt und einer Karriere, die ihn bis an die Seite von Stephen Spielberg brachte, versank Hooper in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre im trüben Tümpel der eher obskuren B- und C-Movies.

Seit 2006 wollte man ihn nicht einmal mehr für TV-Horror engagieren. Einen Mann, der das Kino liebt, muss die aufgezwungene Untätigkeit zermürbt haben. Wie sonst ließe sich ein Roman wie „Midnight Movie“ erklären? Frustration und der daraus resultierende Wille, auf andere Weise schöpferisch tätig zu werden, wären außerdem eine gute Entschuldigung, denn Tobe Hooper, der Autor, ist definitiv ein noch schlimmerer Flop als beispielsweise Hooper als Regisseur von „The Mangler“ (1995); wer diesen Film kennt, weiß um die schreckliche Wahrheit dieser Äußerung.

2009 war Hooper jedenfalls soweit, sich als ‚Schriftsteller‘ zu versuchen. Obwohl er durchaus eigene Drehbücher verfasst hat – darunter allerdings auch das zu „The Mangler“ -, betrat er damit Neuland, weshalb er sich einen Profi zur Seite stellen ließ. Alan Goldsher ist zudem ein Lohnschreiber, dem das Honorar über die offizielle Autorenschaft geht; das Ergebnis ist freilich entsprechend, was Hooper in seiner Danksagung zwar leugnet, wir Leser aber nach der Lektüre von „Midnight Movie“ wissen.

|Worum gehts hier eigentlich?|

Obwohl es natürlich sein könnte, dass Hooper die Hauptverantwortung für eine Story trägt, die schwach beginnt, sich im Hauptteil in Horror-Routinen und irrelevanten Nebensächlichkeiten verzettelt und schließlich in einem gänzlich missratenen, eigentlich sogar ausgefallenen Finale mündet bzw. verendet.

Die Ähnlichkeit zu „The Ring“ spricht Hooper selbst an. Um eine Antwort auf die Frage, auf welche Weise die Sichtung eines Films Menschen in Zombies verwandeln kann, drückt er sich natürlich; eine kluge Entscheidung angesichts der nun folgenden Ereignisse. „Midnight Movie“ stoppt nach dem ersten Romandrittel, um in einen Mittelteil einzumünden, der die ohnehin dünne Handlungsstringenz endgültig zerfallen lässt.

Schon die ersten Kapitel bieten in erster Linie Ausschnitte aus fiktiven Tagebüchern der Protagonisten. Außer Hooper und Laughlin äußern sich die Studentin/Kellnerin Janine Daltrey oder der Schauspieler und Hooper-Freund Gary Church. Der Mittelteil bietet eine wirre Mischung aus Zeitungsartikeln, Websites, Blogtexten, Mails u. a. Informationsträgern. Die Handlung muss sich der Leser selbst zusammenpuzzeln, was allerdings einfach ist, weil sie den für den Zombie-Horror üblichen Vorgaben folgt und folgerichtig wenig spannend wirkt.

|Man hat ja einen Ruf zu verteidigen|

Da Tobe Hooper der Regisseur von „Texas Chainsaw Massacre“ ist, versucht er, die Ekel-Schraube anzuziehen, indem er ’seine‘ Zombies in zwangssexuelle Kreaturen verwandelt, die ihre Opfer nicht nur fressen wollen. Falls Hooper glaubte, in dieser Hinsicht Maßstäbe setzen zu können, hat er sich geirrt: In Sachen Horror plus (Ekel-) Sex haben ihn Autoren wie Tim Curran, Bryan Lee oder Edward Lee längst überholt bzw. weit in den Schatten gestellt. „Midnight Movie“ wirkt im Vergleich beinahe rührend altmodisch.

Mit aller Macht und letztlich krampfhaft ist Hooper bemüht zu beweisen, dass er auch im ‚modernen‘ Horror Maßstäbe setzen kann. Umso spektakulärer ist sein Scheitern, gerinnt „Midnight Movie“ doch zu einer endlosen Sammlung altmännerhafter Schweinigeleien, die den Leser sich fremdschämend eher grinsen lassen. Hinzu kommen (sanfte) Insider-Lästereien über ein Hollywood, das Freigeister wie Tobe Hooper nicht zu würdigen weiß und den Geldhahn nur für massenkompatiblen Kino-Brei aufdreht; die Frustspitzen seien ihm gegönnt.

Offen muss die Frage bleiben, ob sich Hooper & Goldsher auch im Original jener prollig saloppen, pseudo-‚jugendlichen‘ Ausdrucksweise befleißigen, deren Originalität sich im immer neuen Anzapfen der Vulgär- und Fäkalsprache erschöpft, wobei die Ergebnisse gern gemischt werden. Das Ergebnis ist weder authentisch noch schockierend, sondern als künstliches Konstrukt erkennbar sowie schlicht lächerlich.

|Zombies haben wenigstens ein Ziel!|

Es mag zwar nur darin bestehen, die Lebenden anzunagen, aber man versteht wenigstens, was sie umtreibt. Über „Midnight Movie“ bzw. seinen Verfasser lässt sich das nicht sagen. Anscheinend ging es Hooper nur darum, die Untoten geil und schmuddelig wüten zu lassen. Eine darüber hinausgehende Handlungsvision hatte er wohl nicht. Nachdem knapp 350 Seiten mit entsprechenden Ergüssen gefüllt waren, fiel Hooper auf, dass er seinem „Texas Zombie Massacre“ irgendwie ein Ende bereiten musste.

Das Erste ist ihm gelungen, das Zweite leider nicht. Die ‚Begründung‘ für den Schrecken, der durch „Destiny Express“ in die Welt gebracht wurde, ist mindestens so fadenscheinig wie das gegen die Zombie-Seuche entwickelte ‚Gegenmittel‘. Das daraus resultierende Finale ist eine Schande. Es erschöpft sich in kruden, willkürlich aus dem Autorenhirn gewrungenen Grusel-Effekten, was die völlige Abwesenheit von Logik nie ausgleichen kann. Selbstverständlich fehlt nicht der ‚überraschende‘ Schlusstwist, der zu allem Überfluss eine Fortsetzung androht. (Glücklicherweise wurde Hooper abgelenkt: Mit Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten konnte er 2012 endlich einen neuen Film inszenieren.)

Wenigstens bleiben die meisten Hauptfiguren tot auf dem Schlachtfeld zurück. Es handelt sich unabhängig vom Geschlecht ausnahmslos um Widerlinge, Hohlköpfe und Drecksäcke, die es gar nicht früh genug erwischen kann. Richtig peinlich ist ein zwanghaft juveniler Hooper, der sich – ein Mittsechziger! – unter das ansonsten die Handlung bestimmende Jungvolk mischt. Ist diese Charakterzeichnung ironisch gedacht? Angesichts der akuten Humorlosigkeit dieses Romans scheint dies kaum wahrscheinlich. Faktisch reiht sich „Midnight Movie“ damit endgültig in die Liste der Hooper-Flops ein.

_Verfasser_

Der Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent _Tobias Paul Hooper_ wurde am 25. Januar 1943 in Austin, US-Staat Texas, geboren. Nach eigener Auskunft wollte er schon als Kind ins Filmgeschäft. Tatsächlich entstanden erste Kurzfilme bereits 1959 und 1963. Darüber hinaus drehte er mehr als 60 TV-Dokumentationen. 1969 realisierte er seinen ersten Spielfilm. Auf dem „Atlanta Film Festival“ wurde Hooper für „Eggshell“ ausgezeichnet, doch einen Verleih fand er nicht. Frustriert beschloss er einen Genrefilm zu drehen, der auf jeden Fall sein Publikum finden würde. Für weniger als 100.000 Dollar drehte Hooper 1974 „The Texas Chainsaw Massacre“ („Blutgericht in Texas“). Ihm gelang ein Sensationserfolg, doch wurde der Regisseur von seinen Produzenten ausgebootet und sah kaum etwas von den Millionen, die dieser Film in den nächsten Jahren einspielte.

Immerhin hatte sich Hooper einen Namen machen können. 1979 inszeniert er den erfolgreichen TV-Zweiteiler „Brennen muss Salem“ (nach einem Roman von Stephen King), 1982 heuerte ihn Stephen Spielberg als Regisseur für „Poltergeist“ an. Doch Hooper konnte den frühen Erfolg nicht nutzen, um sich nachhaltig in Hollywood zu etablieren. Spätere Filme wie „Lifeforce – Die tödliche Bedrohung“ (1985) oder ein Remake des SF-Klassikers „Invasion vom Mars“ (1986) waren alles andere als Kassenschlager. Hooper sank in die Obskurität eines ’selbstständigen‘ Filmemachers zurück. Die meisten Drehbücher blieben Entwürfe, Hooper inszenierte Filme mit knappen Budgets und arbeitete wieder für das Fernsehen.

_Alan Goldsher_ (geb. 1967) ist Produzent für Gebrauchsliteratur und fabriziert, was gerade Lese-Mode ist. Zwischen 2008 und 2010 belieferte er die Abverkaufs-Tische der Buch-Supermärkte mit „Chick-Lit“-Junkfood für pubertierende Mädchen. Derzeit konzentriert er sich auf sog. „Mash-up“-Horror und mischt Realhistorisches mit gruselwitzigen Fiktionen, in denen u. a. die „Beatles“ untot ihr Unwesen treiben.

Jenseits seiner ’schriftstellerischen‘ Aktivitäten arbeitete Goldsher mehr als zehn Jahre als Studiomusiker (Gitarre) und spielte für diverse Bands und Sänger auf Tournee-Bühnen. Er schreibt weiterhin Artikel für Fachzeitschriften. Darüber hinaus ist er Gastgeber von „Book it with Alan Goldsher“, der „ersten interaktiven Talkshow rund ums Schreiben, Lesen und Veröffentlichen“.

|Taschenbuch: 383 Seiten
Originaltitel: Midnight Movie (New York : Three Rivers Press/Crown Publishing Group/Random House, Inc. 2011)
Übersetzung: Diana Beate Hellmann
Deutsche Erstveröffentlichung: Oktober 2012 (Bastei Lübbe/Allgemeine Reihe 20669)
ISBN-13: 978-3-404-20669-8
Als eBook: Oktober 2012 (Bastei Lübbe)
ISBN-13: 978-3-8387-1562-9|
http://www.luebbe.de

S. S. Van Dine – Der Mordfall Skarabäus

In einem Privatmuseum wird ein Mann erschlagen; alle Spuren weisen auf den gelehrten Hausherrn hin, was in dieser übertriebenen Klarheit den skeptischen Privatdetektiv Philo Vance auf den Plan ruft … – Der fünfte Band der Vance-Serie ist ein höchst komplexer, beinahe abstrakter Rätsel-Krimi, der dennoch (und trotz des unsympathischen Helden) genrereinen, nostalgisch unterhaltsamen Lesestoff bietet. S. S. Van Dine – Der Mordfall Skarabäus weiterlesen

John Connolly – Die Bruderschaft der Nacht [Charlie Parker 9]

Geldgierige US-Soldaten haben sich im Irak an Altertümern vergriffen und dabei drei Wüstendämonen abgegriffen, die in den USA ihre mörderischen Tücken fortsetzen … – Privatdetektiv Charlie Parker gerät abermals in einen Kriminalfall mit übernatürlichen Elementen. Diese Mischung hat ihre anfängliche Faszination zwar weitgehend eingebüßt, dennoch ist „Die Bruderschaft der Nacht“ immerhin & abermals ein spannender, gut geschriebener Thriller. John Connolly – Die Bruderschaft der Nacht [Charlie Parker 9] weiterlesen

Howard, Robert E. – Blut Belsazars, Das

_Inhalt:_

In zwei Storys und einem Fragment schildert Autor Howard die Abenteuer des irischen Glücksritters Cormac Fitzgeoffrey im Palästina der Kreuzfahrerzeit.

– Joachim Körber: Vorbemerkung zur Edition, S. 7-9

– |Die Falken von Outremer| (Hawks of Outremer, 1931), S. 11-58: Der 3. Kreuzzug endete 1192 mit einem Patt. Die christliche Rückeroberung „Outremers“ – der vier Kreuzfahrerstaaten Jerusalem, Antiochia, Edessa und Tripolis im Palästina „jenseits des [Mittel-] Meeres“ – ist misslungen. Der endgültige Siegeszug des Sultans Saladin, Anführer der sarazenischen Heerscharen, konnte von Richard Löwenherz immerhin verhindert werden. Es herrscht ein labiler Waffenstillstand, der von beiden Seiten immer wieder gebrochen zu werden droht.

In dieses Land des ständigen Aufruhrs kehrt Cormac Fitzgeoffrey zurück. Im heimischen Irland ist dem ständig in Fehden verstrickten Krieger der Boden zu heiß geworden. Außerdem gilt es, in Palästina noch eine Ehrenschuld zu tilgen: Während des Kreuzzuges hatte Cormac dem Ritter Gerard Gefolgschaft gelobt, der wachsam im Orient zurückgeblieben ist. Inzwischen wurde er vom Verräter Scheich Nureddin getötet. Cormac macht sich zu dessen Burg El Ghor auf, um den Ritter zu rächen …

– |Das Blut Belsazars| (The Blood of Belshazzar, 1931), S. 59-104: Cormac will sich dem Räuberhauptmann Skol Abdhur anschließen, um Lösegeld für einen von den Sarazenen gefangenen Kameraden aufzubringen; in der Banditen-Burg Bab-el-Shaitan, dem „Tor des Teufels“, gerät er in eine mörderische und schwarzmagische Verschwörung …

– |Die Sklavenprinzessin| (The Slave Princess, 2003) [Fragment], S. 105-140: Mit seinem Freund, dem Ritter Amory, heckt Cormac einen gewagten Plan aus: Das Sklavenmädchen Suleika ähnelt der vor drei Jahren entführten Prinzessin Zalda so sehr, dass die Freunde sie ihrem Bräutigam Suleiman Bey für viel Geld übergeben wollen …

– |Die Sklavenprinzessin| (The Slave Princess, 2003) [Synopse], S. 141-146:

– Christian Endres: Nachwort, S. 147-156

– Nachweise, S. 157

_Niemals denken, immer handeln_

Robert E. Howard wurde bekannt als Schöpfer schwertschwingender Barbaren, die in mythischen Vorzeiten Schwerter und Äxte schwangen. Krieger wie Conan, Kull oder Solomon Kane bekamen es dabei immer wieder mit Zauberern, Ungeheuern, lebenden Leichen und anderen gruseligen Geschöpfen zu tun. Die Kombination aus Fantasy und Horror war schon in den 1930er Jahren beliebt – beliebter jedenfalls als die in ein historisch (vergleichsweise) akkurates Umfeld verorteten Abenteuergeschichten, die Howard trotz zeitaufwendigerer Recherchen viel lieber schrieb, wie uns Christian Endres in seinem informativen Nachwort zu dieser schmalen aber feinen Sammlung berichtet.

Howard musste von seiner Feder leben, und die „Pulp“-Magazine seiner Zeit zahlten notorisch schlecht. Da sie praktisch die einzigen Abnehmer für Storys darstellten, mussten die Autoren sich dem kaufenden Publikum anpassen, wenn sie regelmäßig gedruckt werden wollten. Auch Howard schrieb, was sich verkaufte. Als geborener Geschichtenerzähler fand er meist trotzdem einen Dreh, sein Steckenpferd zu reiten.

1931 hatte Howard Glück: Für das Magazin „Oriental Stories“ konnte er der Liebe zur Vergangenheit auf seine ganz besondere Weise huldigen. Er wählte das Palästina der Kreuzfahrerzeit als Bühne – ein kluger und für Howard naheliegender Entschluss. Für ihn stellte der kriegerische Konflikt innerhalb verschwindender und verschwimmender Grenzen den idealen Nährboden für seine buchstäblich überlebensgroßen Helden dar. Cormac Fitzgeoffrey ist selbst in seiner rauen mittelalterlichen Welt ein Außenseiter. Er schlug sogar dem König Richard Löwenherz – kein Mann, der für Geduld oder Toleranz bekannt war – die angebotene Ritterwürde aus. Cormac ist Individualist durch und durch sowie ausschließlich seinem eigenen, simpel strukturierten, recht verqueren Ehrenkodex verpflichtet. Kurioserweise ist er darin ritterlicher als die meisten echten Ritter: Howard unterschlug keineswegs das heuchlerische Element der Kreuzzüge, deren Teilnehmer unter dem Deckmantel der christlichen Mission mordeten, plünderten und sich untereinander befehdeten.

|Von Schlachtfeld zu Schlachtfeld|

In solche Machtspiele lässt sich Cormac nicht ziehen. Dabei ist er konsequent. In „Die Falken von Outremer“ muss er ’nur‘ Irland, England und die meisten festlandeuropäischen Reiche meiden, weil er sich dort unversöhnliche Feinde geschaffen hat. Nachdem er einen verräterischen aber leider gut im Adel vernetzten Ritter tötet, ist er bald auch in Palästina verfemt. Die Sarazenen hassen ihn ohnehin, da er sie während des 3. Kreuzzuges ausgiebig gezüchtigt hat.

Doch Cormac ist ein Mensch des Augenblicks. Er schaut höchstens im Suff und nie sentimental zurück und lebt ansonsten in der Gegenwart. An die Zukunft verschwendet er kaum einen Gedanken, was angesichts seines Lebenswandels logisch erscheint. Cormac ist im Hinblick auf seinen stets drohenden Tod ein Stoiker, da er ein friedliches Leben nie kennengelernt hat. Dazu passt, dass er Frauen tunlichst meidet, da er ihre kriegstugendaufweichenden Eigenschaften fürchtet und sich darin in „Das Sklavenmädchen“ durch das Beispiel seines Gefährten Amery bestätigt sieht. Der lässt einen lukrativen Menschentausch durch die plötzlich aufflackernde Liebe zum weiblichen Objekt dieses Handels scheitern (worauf ihn Cormac in einem Wutanfall beinahe erwürgt).

In diesem Klima darf sich Cormac zu Hause fühlen. Seit einem Jahrhundert toben die Auseinandersetzungen zwischen muslimischen Sarazenen und christlichen Kreuzzüglern. Beide Parteien werden von religiösen Zielen fanatisiert; die ‚heilige‘ Stadt Jerusalem ist das ständig umkämpfte Symbol dieses Konfliktes. Städte werden erobert, wieder geräumt und zurückerobert. Grausamkeiten im Namen des jeweiligen Gottes sind an der Tagesordnung. Ständige Unsicherheit ist die einzige Konstante.

|Bunter & böser als im Leben|

Dies ist wie gesagt ein Klima, in der Cormac aufblüht – und Robert E. Howard seine ungestüme Wortgewalt entfesselt. Dabei geht es ihm wiederum um den Effekt. Nicht nur Kampfszenen werden in knochenkrachenden Zeitlupen zelebriert. Auch die Figurenzeichnung ist Teil der Handlung und ihr unbedingt unterworfen. Das trug Howard den Vorwurf ein, Rassist zu sein. Cormac trifft immer wieder auf sehnige, hakennasige, dunkelhäutige Araber mit eng beieinanderstehenden, funkelnden Augen: Klischees, die heute dem Bannstrahl (angeblich) politisch korrekten Denkens anheimfallen.

Allerdings schrieb Howard seine Geschichten in den diesbezüglich wenig zimperlichen 1930er Jahren. Er ist ein Kind der Zeit und in den Magazinen in einem Umfeld, in dem er keine Ausnahme, sondern die Regel darstellt. Kritiker übersehen außerdem gern, dass Howard seine Helden zwar schlagkräftig aber lernfähig schilderte. Cormac ist kein ‚Übermensch‘, sondern psychisch geprägt durch seine Lebensgeschichte. In „Das Blut Belsazars“ kommt es zu einem Moment der Selbstreflexion, der Cormac mit Scham erfüllt – und dies geschieht ausgerechnet in der Begegnung mit dem Sarazenen-Herrscher Saladin, den Howard als kultivierten und weisen Mann charakterisiert.

Abenteuerlich soll es zugehen, und Howard gibt seinen Lesern, was sie wollen. Natürlich ist er kein Literat; ihn nach entsprechenden Maßstäben zu beurteilen, wäre ungerecht. Howard ist ein ungezügeltes Talent, das nie die Zeit hatte zu reifen. Das Ungestüme verleiht seiner Prosa freilich einen Schwung, der sie bis heute lesenswert erhielt. Nur wenige Zeilen genügen Howard, um einen Schauplatz nicht einfach zu beschreiben, sondern ihn stimmungsvoll zu inszenieren. Dabei ist er über ‚echte‘ Fantasy-Elemente keineswegs erhaben. Unter dem „Tor des Teufels“ stößt Cormac auf die Relikte einer vorzeitlichen Kultur, die sehr an H. P. Lovecraft erinnert, mit dem Howard eine langjährige Brieffreundschaft verband. Beide Autoren ‚borgten‘ gern Grusel-Gottheiten voneinander aus: ein Insider-Spaß.

|Cormac kehrt zurück|

Diese deutsche Erstausgabe der Cormac-Storys schließt eine Lücke in der Fantasy-Historie. Was einst für den Verbrauch produzierter „Pulp“ war, wird heute sorgfältig ediert, übersetzt und gedruckt. Howard schrieb im Wettlauf mit dem Gerichtsvollzieher (um es bildlich auszudrücken). Die dabei zu Papier gebrachten Worte werden heute auf die Goldwaage gelegt und möglichst originalgetreu übernommen. In Howards Fall ist dies von besonderer Bedeutung, wie im Vor- und Nachwort erläutert wird: Nach seinem frühen Tod hinterließ Howard zahlreiche Entwürfe und halbfertige Manuskripte, die nach seiner Wiederentdeckung als Genre-Pionier in den 1950er und 60er Jahren von anderen Autoren ‚vervollständigt‘ wurden. Diese waren sicher guten Willens, aber mit Howard konnten sie es in der Regel weder formal noch inhaltlich aufnehmen.

Auch Cormac Fitzgeoffrey blieb dieses Schicksal nicht erspart. Richard L. Tierney nahm sich der Story „Das Sklavenmädchen“ an, die Herausgeber Joachim Körber authentisch in der unvollendeten Fassung druckt; wie die Geschichte ausgehen sollte, geht aus einer Synopse hervor, die Howard selbst angefertigt hat. Das Manuskript legte er, der Profi, beiseite, als sich abzeichnete, dass er mit anderen Geschichten besser verdienen konnte.

Sorgfältig übersetzt, informationsreich kommentiert und schön als Paperback in Klappenbroschur gedruckt, verdient „Das Blut Belzasars“ einen Ehrenplatz im Regal des Lesers & Sammlers. Nur in einem Punkt sei sachte Kritik gestattet: Das Cover-Layout sollte der Herausgeber besser denen überlassen, die wissen, wie man so etwas macht …

_Verfasser_

Robert Ervin Howard wurde am 22. Januar 1906 in Peaster, einem staubigen Flecken irgendwo im US-Staat Texas, geboren. Sein Vater, ein Landarzt, zog mit seiner kleinen Familie oft um, bis er sich 1919 in Cross Plain und damit im Herzen von Texas fest niederließ. Robert erlebte nach eigener Auskunft keine glückliche Kindheit. Er war körperlich schmächtig, ein fantasiebegabter Bücherwurm und damit der ideale Prügelknabe für die rustikale Landjugend. Der Realität entzog er sich einerseits durch seine Lektüre, während er sich ihr andererseits stellte, indem er sich ein intensives Bodybuilding-Training verordnete, woraufhin ihn seine Peiniger lieber in Frieden ließen: Körperliche Kraft bedeutet Macht, der Willensstarke setzt sich durch – das war eine Lektion, die Howard verinnerlichte und die seine literarischen Helden auszeichnete, was ihm von der Kritik lange verübelt wurde; Howard wurden sogar faschistoide Züge unterstellt; er selbst lehnte den zeitgenössischen Faschismus ausdrücklich ab.

Nachdem er die Highschool verlassen hatte, arbeitete Howard in einer langen Reihe unterbezahlter Jobs. Er war fest entschlossen, sein Geld als hauptberuflicher Autor zu verdienen. Aber erst 1928 begann Howard, auf dem Magazin-Markt Fuß zu fassen. Er schrieb eine Reihe von Geschichten um den Puritaner Solomon Kane, der mit dem Schwert gegen das Böse kämpfte. 1929 ließ er ihm Kull folgen, den König von Valusien, dem barbarischen Reich einer (fiktiven) Vorgeschichte, 1932 Bran Mak Morn, Herr der Pikten, der in Britannien die römischen Eindringlinge in Angst und Schrecken versetzte. Im Dezember 1932 betrat Conan die literarische Szene, ein ehemaliger Sklave, Dieb, Söldner und Freibeuter, der es im von Howard für die Zeit vor 12000 Jahren postulierten „Hyborischen Zeitalter“ bis zum König bringt.

Die Weltweltwirtschaftskrise verschonte auch die US-amerikanische Magazin-Szene nicht. 1935 und 1936 war Robert E. Howard dennoch in allen wichtigen US-Pulp-Magazinen vertreten. Er verdiente gut und sah einer vielversprechenden Zukunft entgegen, korrespondierte eifrig und selbstbewusst mit Kollegen und Verlegern und wurde umgekehrt als noch raues aber bemerkenswertes Erzähltalent gewürdigt.

Privat litt Howard an depressiven Schüben. Hinzu kam eine enge Mutterbindung. Als Hester Ervin Howard 1935 an Krebs erkrankte und dieser sich als unheilbar erwies, geriet ihr Sohn psychisch in die Krise. Im Juni 1936 fiel Hester ins Koma, am 11. des Monats war klar, dass sie den Tag nicht überleben würde. Als Howard dies realisierte, setzte er sich in seinen Wagen und schoss sich eine Kugel in den Kopf. Er war erst 30 Jahre alt. Sein umfangreiches Gesamtwerk geriet in Vergessenheit, bis es in den 1950er und 60er Jahren wiederentdeckt wurde und nie gekannte Bekanntheitsgrade erreichte, was seinen frühen Tod als doppelten Verlust für die moderne Populärkultur erkennbar macht.

|Paperback/Klappenbroschur: 157 Seiten
Übersetzung: Joachim Körber
ISBN-13: 978-3-937897-52-3|
http://www.edition-phantasia.de

_Robert E. Howard bei |Buchwurm.info|:_
[„Das Ungeheuer aus dem Sumpf“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5620

Ngaio Marsh – Mord in der Klinik

marsh-mord-klinik-cover-1993-kleinPech für den beruflich wie privat verhassten Innenminister: Der Zufall bringt ihn in ein mit Todfeinden gut besetztes Krankenhaus, was er nicht überlebt und Inspektor Alleyn vor ein kompliziertes Mordrätsel stellt … – Sehr klassischer „Whodunit“ aus der großen Zeit des Genres, verfasst von einer (noch etwas unsicheren) Meisterin und deshalb inhaltlich wie formal ein Paradebeispiel für den Lese-Spaß am Miträtseln.
Ngaio Marsh – Mord in der Klinik weiterlesen

Stone, Nick – Todesritual

_Das geschieht:_

Der ehemalige Polizist Max Mingus ist tief gefallen. Sieben Jahre hat er im Gefängnis gesessen. Jetzt muss er sich als Privatermittler in Miami durchschlagen und untreuen Ehepartnern hinterher schnüffeln. Diese traurige Routine wird durch den Mord an Eldon Burns unterbrochen. Der ehemalige stellvertretende Polizeipräsident war einst Mingus‘ Chef und Ziehvater in der „Miami Task Force“, die in den 1970er und 80er Jahren verdächtige Schwerverbrecher jagte und oft genug kurzerhand umlegte.

Offenbar wollte sich jemand an Burns und der MTF rächen, was sich bestätigt, als wenig später ein weiteres Ex-Mitglied ermordet wird. Joe Liston war Mingus‘ bester Freund und hatte ihn kurz vor seinem Tod um Hilfe gebeten. Offenbar hat sich die ehemalige Bürgerrechtlerin Vanetta Brown auf einem Rachefeldzug begeben, bevor sie der Krebs tötet. Die MFT hatte 1968 im Rahmen einer Razzia das Hauptquartier der Organisation „Schwarze Jakobiner“ gestürmt und dabei Browns Ehemann und Tochter erschossen. Sie selbst soll einen Polizisten getötet haben und wird seitdem vom FBI als „Terroristin“ verfolgt. Brown konnte sich nach Kuba absetzen, wo ihr Fidel Castro Asyl gewährte, um die verhassten USA zu brüskieren.

Wendy Peck, die Tochter des umgekommenen Polizisten, ist aktuell beim Heimatschutz tätig. Sie will um jeden Preis Vergeltung für ihren Vater und zwingt Mingus unter Beugung des Gesetzes, sich ihr als Instrument zur Verfügung zu stellen. Er soll als Urlauber nach Kuba reisen, um dort Vanetta Brown zu suchen und in die Vereinigten Staaten zu verschleppen. Mingus sagt scheinbar zu, weil er den Mord an Joe Liston klären will.

Kuba ist eine Diktatur im Belagerungszustand. Das Regime lässt Mingus beschatten. Brown wird nicht nur von der Polizei und vom Geheimdienst, sondern auch von ehemaligen Bürgerrechtlern abgeschirmt, die ebenfalls nach Kuba flüchteten. Zu allem Überfluss muss Mingus feststellen, dass sich Brown mit der Abakuà eingelassen hat, einer Sekte, die in Kuba die Rolle der Mafia übernommen hat und vor der sich sogar Castros Schergen fürchten …

_Marionette mit Strick um den Hals_

Der ehrliche Polizist oder Privatdetektiv ist verloren aber standhaft in einer verdorbenen Welt. Für seine Prinzipien dankt ihm das Schicksal mit miserablen Einkünften, privater Einsamkeit und dem Groll der kriminellen Mächtigen, die ihn regelmäßig ermorden wollen oder ihn wenigstens ausgiebig verprügeln lassen. Der so malträtierte Ermittler wird zum Ritter, der seiner Herrin Justizia in guten (selten) und in schlechten (Normalzustand) Tagen die Treue hält.

Max Mingus gehört in die lange Reihe dieser Helden. Er ist ganz modern sogar besonders tragisch, weil er (scheinbar) gegen den Kodex verstoßen hat: Mingus war in jungen Polizei-Jahren Mitglied einer gesetzlich sanktionierten aber moralisch verkommenen Lynch-Truppe, die dreist Selbstjustiz praktizierte. Später nahm er 20 Mio. Dollar Drogengeld an sich, statt es der Polizei zu übergeben. Im Gefängnis hat er ebenfalls gesessen und es vorzeitig nur verlassen können, weil alte und nicht gerade unbescholtene Freunde im Hintergrund entsprechende Verbindungen spielen ließen.

Aber wir dürfen uns nicht täuschen lassen: Mingus ist durch seine Fehler erst recht zum Helden geworden – zu einem gefallenen und dadurch menschlichen Helden. Dem Vigilantentum hat er abgeschworen, das meiste Schwarzgeld wohltätigen Zwecken zugeführt. Er schläft schlecht, weil ihn trotzdem das Gewissen plagt. Tatsächlich wirkt er als ermittelnder Schmerzensmann ein wenig übertrieben, wenn ihm Autor Nick Stone quasi im Minutentakt einen neuen Knüppel zwischen die Beine wirft.

|Ein neues Land, das alte Unrecht|

Die ersten beiden Mingus-Romane spielten zentral auf der Insel Haiti. Die als Krimis aufgezogenen Geschichten dienten Stone der Darstellung eines Unrechts, das dem glücklicheren Rest der Welt unbekannt ist oder verdrängt wird. Haiti war und ist ein Land, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Was dies bedeutet, wusste Stone in „Mr. Clarinet“ (dt. „Voodoo“) und „The King of Swords“ (dt. „Der Totenmeister“) ebenso meisterhaft wie drastisch zu verdeutlichen.

Dennoch konnte ein dritter Mingus-Thriller wohl nicht mehr in Haiti spielen, ohne die Wahrscheinlichkeit allzu sehr zu strapazieren (oder die Leser – ein wankelmütiges Volk – zu langweilen). Auf einen moralischen Impetus mochte Stone jedoch nicht verzichten. Er richtete sein Augenmerk auf Kuba, ein weiterer karibischer Inselstaat, dessen Bürger einem Zwangsregime unterworfen sind. Diese Entscheidung birgt bereits den Keim einer Kritik: Stone scheint ein korruptes Regime gegen ein anderes zu tauschen und sich in Wiederholungen bekannter Anklagen zu erschöpfen. Zwar berücksichtigt er die politisch anders gelagerte Situation, schwelgt aber dessen ungeachtet in Schilderungen einschlägiger Übeltaten.

Das macht Stone allerdings mit der bekannten Mischung aus Anschaulichkeit und Unterhaltung, weshalb man ihm das Beharren auf vor allem ihm wichtige Themen verzeiht. „Todesritual“ kann zudem mit einem Plot aufwarten, der dies rechtfertigt. Stone beschränkt sich keineswegs darauf, die Verbrechen des kubanischen Regimes anzuprangern. Er stellt ihnen die Machenschaften einer US-Politik gegenüber, die sich seit mehr als einem halben Jahrhundert darauf beschränkt, Kuba vom Rest der Welt zu isolieren und in den Ruin zu treiben.

|Trauriger Mann in schmutziger Welt|

Längst hat sich der Konflikt verselbstständigt. In Sachen schmutziger Tricks bleiben sich die USA und Kuba nichts schuldig. Stone beschreibt zwei in alten und veralteten Vorstellungen verkrustete Gegner, die stur fortsetzen, was sie einst vom Zaun gebrochen haben.

Aus der erträumten sozialistischen Muster-Republik Kuba ist ein Armenhaus geworden, dessen Regime sich nur durch Gewalt an der Macht halten kann. Allgegenwärtig sind Geheimpolizisten, Spitzel, Denunzianten, während die Infrastruktur vom Mangel als Normalzustand geprägt ist. Stone sieht keine Hoffnung auf bessere Zeiten: Sollte das Castro-Regime einmal die Flagge streichen, werden die USA und die übrige ‚kapitalistische‘ Welt umgehend dort anknüpfen, wo sie 1959 aufgrund der „revolución“ einhalten mussten, Kuba mit den zweifelhaften Segnungen einer globalisierten Marktwirtschaft konfrontieren und dabei an sich bringen, was die verarmte Bevölkerung nicht halten können wird.

Stone schickt Mingus auf eine lange Autofahrt über staubige Inselstraßen und versucht dabei eine Bestandsaufnahme. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass Kuba sich in einer Endzeit befindet. Es muss und wird sich Grundlegendes ändern, doch Grund zum Optimismus gibt es (s. o.) nicht.

|Verbrechen als Frage der Definition|

Stone nimmt sich Zeit, die Probleme Kubas darzustellen. Der ursprüngliche Plot scheint dabei mehrfach in den Hintergrund zu geraten. „Todesritual“ ist kein Krimi oder Thriller für Genre-Puristen. Das Verbrechen wuchert für Stone stets dort am üppigsten, wo es instrumentalisiert wird. Also postuliert er auch in den sich vordergründig musterdemokratisch gebenden USA Behörden, Geheimdienste und sogar Todesschwadronen, die mit der verschleierten Billigung einer lobbyistisch unterwanderten Politik lästige ‚Gegner‘ ausschalten, wobei Drogenbarone und Terroristen problemlos in einen Topf mit Bürgerrechtlern oder allzu neugierigen Journalisten geworfen werden.

In diesem Hexenkessel kann Max Mingus nur deshalb überleben, weil er vom Hauptstrom der Ereignisse immer wieder an einen abgelegenen Strand geworfen wird. Auch dieses Mal kommt er davon, weil die großen Fische einander zu zerfleischen beginnen und er aus ihrem Blickfeld gerät. Allerdings ist dies auch der Zeitpunkt, da sich Stone daran erinnert, dass er ein weiteres Kapitel der Mingus-Saga aufschlagen will. Also klinkt er sich und seinen Helden vom bereits aufgelösten Fall aus und gräbt für einen gewagten Final-Twist Mingus‘ alte Nemesis Solomon Boukman wieder aus.

Der haust eigentlich auf Haiti, hat aber wie jedes überlebensgroße und globale Schurken-Genie diverse Filialen gegründet, um auch an anderen Orten seine tückischen Spielchen zu treiben. Zudem stellt sich heraus, dass er viel Zeit darauf verwendet hat, Mingus in den seelischen Ruin zu treiben. An diesem Punkt übertreibt Stone. Die bisher sehr überzeugende Geschichte benötigt diesen Twist und die ihm zugrundegelegte Verschwörung nicht. Sie leidet eher darunter, zumal allzu offensichtlich wird, dass Stone hier ein Hintertürchen für eine Fortsetzung des Ringens Mingus-Boukman öffnet. Weniger darüber sondern über einen weiteren Mingus-Roman würde sich der Leser freuen, denn Stones Talent, Hochspannung mit nicht übertriebenem Anspruch zu kombinieren, sorgt auch ohne Altlasten für intensiven Lektüregenuss.

_Autor_

Nick Stone wurde am 31. Oktober 1966 als Sohn eines schottischen Vaters – des Historikers Norman Stone – und einer haitianischen Mutter aus vornehmer Familie im englischen Cambridge geboren. Die ersten vier Jahre seines Lebens verbrachte er auf der Karibikinsel, bevor er 1971 nach England zurückkehrte.

Der junge Nick Stone war ein hervorragender Sportler und boxte in der „National Amateur League“. Er studierte Geschichte, arbeitete später jedoch u. a. als Headhunter für diverse Konzerne sowie als Rechtsassistent. Parallel dazu versuchte sich Stone als Schriftsteller. Während eines längeren Haiti-Aufenthalts in den 1990er Jahren entstand die Idee für „Mr. Clarinet“, Stones Roman-Debüt um den Privatdetektiv Max Mingus. Eine erste Version dieses Buches hatte er bereits 1988 fast fertig gestellt.

„Mr. Clarinet“ wurde 2006 von der „Crime Writer’s Association“ mit einen „(Ian Fleming) Steel Dagger“ sowie mit weiteren Preisen ausgezeichnet. (Den Vornamen entlieh Stone einem bewunderten Schulfreund, den Nachnamen dem von ihm verehrten Jazzmusiker Charles Mingus.) 2007 folgte „King of Swords”, ein ‚Prequel‘ zu „Mr. Clarinet”, das im Miami der frühen 1980er Jahre spielt und diverse Handlungszüge aus der ersten und unveröffentlichten Fassung von „Mr. Clarinet“ aufgreift.

|Taschenbuch: 575 Seiten
Originaltitel: Voodoo Eyes (London : Sphere Books 2011)
Übersetzung: Heike Steffen
ISBN-13: 978-3-442-47716-6|
[Autorenhomepage]http://www.nickstone.co.uk
[Verlagshomepage]http://www.randomhouse.de/goldmann

|eBook: 806 KB
ISBN-13: 978-3-641-07666-5|
[Verlagshomepage]http:/www.randomhouse.de/goldmann

|Hörbuch-Download: 1072 min.
Gelesen von Christian Baumann
ISBN-13: 978-3-8445-0857-4|
[Verlagshomepage]http:/www.randomhouse.de/hoerverlag

_Nick Stone bei |Buchwurm.info|:_
[„Voodoo“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4446
[„Der Totenmeister“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5669

Banks, Iain – Krieg der Seelen

_Das geschieht:_

Im Jahre 2970 droht dem dicht besiedelten Universum Krieg aus dem Jenseits. Seit vielen Jahrtausenden ist es üblich, das Bewusstsein – die „Seele“ – aufzuzeichnen und auf diese Weise vor dem Tod zu bewahren. Jene Zivilisationen, die über die entsprechenden technischen Mittel verfügen, richteten virtuelle Jenseits-Sphären ein, die den Seelen als neue Heimat dienen. Längst wurden diese Sphären miteinander vernetzt, sodass die Seelen die „Himmel“ anderer Intelligenzen besuchen können.

Viele Zivilisationen bestanden auf die parallele Erschaffung von „Höllen“, in denen straffällig gewordene Zeitgenossen für im Leben begangene Verbrechen buchstäblich büßen müssen. Den „Anti-Höllisten“ erscheint dieses Konzept grausam und antiquiert, weshalb sie mit den „Pro-Höllisten“ im Streit liegen. Dieser soll durch einen virtuell und deshalb unblutig geführten Krieg entschieden werden. Dabei geraten die „Anti-Höllisten“ ins Hintertreffen. Im Dienst ihrer guten Sache wollen sie deshalb mogeln. Doch die Gegenseite schläft nicht und trifft Gegenmaßnahmen. Plötzlich droht der „Krieg der Seelen“ auf den realen Kosmos überzugreifen.

Im Territorium der „Kultur“, einem Zivilisations-Bund von Völkern, dem sich auch die Menschheit angeschlossen hat, bemüht sich die „Quietus“-Organisation um Eindämmung. Eine mögliche Bruchstelle des Krieges wurde im Quyu-System geortet, wo sich die „Anti-Höllisten“ der Unterstützung des skrupellosen Industrie-Magnaten Joiler Vepper vom Planeten Sichult versichern. Die „Quietus“-Agentin Yumi Nsaki macht sich auf den Weg in die Krisenzone.

Auf dem Weg nach Sichult ist Lededje Y’breq, eine ehemalige Sklavin, die von ihrem Herrn – Vepper – umgebracht wurde, als „Seele“ einen eigens geschaffenen Real-Körper übernahm und nun auf Rache sinnt. Weitere Parteien mischen sich ein, bis es im Sichultianischen Enablement zum Kampf auf & zwischen Leben und Tod kommt …

_Neue Welt/en mit alten Ansichten_

Bevor man sich vor allem als alter Lese-Hase auf einen Unterhaltungsroman einlässt, der stolze 800 Seiten umfasst (die zugegeben für die im Verkauf einträglichere Paperback-Erstausgabe recht locker und in augenfreundlicher Schriftgröße bedruckt wurden), überlegt man sich das damit verbundene Risiko, mit ewig & elend ausgewalzter Action-Makulatur plus Seifenoper-Schaum dort malträtiert zu werden, wo früher selbst ein kosmisches Science-Fiction-Spektakel nach 200 Seiten endete.

Hinzu kommt, dass „Krieg der Seelen“ bereits der achte Band einer Serie ist, die darüber hinaus durch diverse Kurzgeschichten flankiert wird. Es ist deshalb ohne Vorab-Informationen nicht gerade einfach, sich in das „Kultur“-Universum des Iain Banks einzufinden, zumal der Autor offenbar davon ausgeht, dass sich dort vor allem Leser einfinden, die mit der Vorgeschichte bestens vertraut sind. Jedenfalls springt er umgehend in eine Handlung, die der „Kultur“-Neuling bis etwa Seite 150 interessiert aber verwirrt verfolgt, bevor es ihm gelingt, allmählich zu erfassen, was eigentlich vorgeht und wie Banks‘ Kosmos funktioniert.

Erleichtert wird diese Phase durch eine Weltsicht, die mit dem Begriff „schräg“ sicher gut beschrieben ist. Banks bemüht sich nicht um eine Zukunft, deren Bewohner sich evolutionär auf eine Stufe emporgeschwungen haben, die sich höchstens andeuten lässt. Damit ist nicht die technische Entwicklung gemeint, deren Wunder Banks mit enormem Einfallsreichtum präsentiert. Doch unter dem Fortschritt werden sehr bekannte Charakterzüge deutlich, was sich nicht nur auf eine Menschheit beschränkt, die – so ein bekanntes Topos von Kultur-Pessimisten – nie wirklich aus begangenen Fehlern oder überhaupt dazulernen wird.

|Verstand fördert vor allem Hinterlist|

Banks geht sogar einen Schritt weiter: Er schließt die übrigen Zivilisationen, die das All mit der „Kultur“ teilen, ausdrücklich ein. Der evolutionäre Status ist gleichgültig. Selbst völlig vergeistigte Entitäten haben das Wissen um die Tatsache, dass (Macht-) Gier das Universum regiert, keineswegs vergessen. Sie mischen sogar kräftig auf diesem Niveau mit.

Das Ergebnis ist ein durchweg sarkastischer (sowie auch in einer ohnehin gelungenen Übersetzung fein dosierter) Unterton, den feinfühlige Kritiker blanken Zynismus nennen könnten. (Ein Vorwurf, der Banks seit seinem Erstlings-Roman „Die Wespenfabrik“ folgt.) Der Realist fühlt sich in diesem geradezu anarchistischen Kosmos dagegen überaus heimisch. Wann hat technischer Fortschritt jemals die ausgeprägte Selbstsucht des Menschen eindämmen können? Sie ebnet den Wölfen stattdessen den Weg zu neuen Möglichkeiten, die Schafe zu scheren. Also reihen sich fremde, künstliche und virtuelle Intelligenzen in die bekannten, nun galaxisweiten Ränkespiele ein. Glücklicherweise sind diverse Kontrolleinrichtungen sowie die Tücke des Objekts als Alltagsfaktoren präsent geblieben. Das Universum schlingert deshalb auf seinem Kurs durch Zeit und Raum voran, auch wenn die Kollateralschäden beachtlich sein mögen.

Banks‘ Einfallsreichtum sowie sein Talent, unglaubliche Errungenschaften seiner Zukunft absolut selbstverständlich wirken zu lassen, geben einer ansonsten simplen Handlung wahrlich kosmische Dimensionen. Hilfreich ist außerdem der irre Plot: „Himmel“ und „Hölle“ sind virtuell verwirklichte Sphären geworden, die einerseits sehr real geworden und andererseits vorstellungsfern geblieben sind.

Mit einer Diskussion über die Konsequenzen, die es mit sich bringt, wenn kein postulierter „Gott“, sondern sehr diesseitige Zivilisationen die Entscheidung fällen, ob, wann und weshalb ein Pechvogel in eine der (durchweg sehr archaisch bzw. analog strafenden) „Höllen“ geworfen wird, hält sich Banks klug nicht weiter auf. Seine durchaus vertretenen Meinungen zu politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Aspekten fließen in die Handlung ein, statt diese zu ersetzen.

|Wo waren wir gerade?|

Wie es sich für einen Roman eindrucksvoller Seitenstärke gehört, ist die Handlung nicht nur mehrzügig, sondern nimmt auch manche unerwartete Wendung. Dabei stört es keineswegs, dass einige Stränge nie zusammenfinden. Banks entwickelt ein Ereignis-Panorama, und seine Bühne ist so gewaltig, dass man „Krieg der Seelen“ wahrlich als moderne Space Opera bezeichnen kann. Freilich hat dies zur Folge, dass die Figuren nie wirklich Persönlichkeiten entwickeln. Sympathien oder Antipathien spürt der Leser nicht, das oft detailfroh geschilderte Leiden lässt ihn kalt: Banks hält seine Figuren durchweg auf Abstand. Das Individuum hat es nicht leicht in einem Kosmos, in dem selbst Super-Zivilisationen spurlos verschwinden können.

Banks Prämisse eines zwar gewaltigen aber nicht unbedingt unendlichen und deshalb dicht besiedelten Universums ist ungewöhnlich. So eng ist es dort, dass virtuelle ‚Sub-Kosmen‘ eingerichtet werden müssen, um für Ausweichquartiere zu sorgen. Das Ergebnis ist ein künstliches Multiversum, das noch durch die Möglichkeit kompliziert wird, die Sub-Kosmen ihrerseits virtuell zu erweitern. Da wundert es nicht, dass selbst die geistig und körperlich zusätzlich aufgerüsteten, vernetzten und anderweitig omnipräsenten Intelligenzen die Übersicht verlieren: Was ist hier noch „Realität“? (Übrigens postuliert Banks zusätzlich ’natürliche‘ Parallel-Universen; in „Krieg der Seelen“ geht er darauf dankenswerterweise nicht ein, was den Leser vor dem endgültigen Wahnsinn rettet.)

Die daraus resultierende Unsicherheit fördert paradoxerweise die Illusion dieser möglichen Zukunft. Wie in der realen Gegenwart ist das Leben ein kontrolliertes Chaos geblieben, das nichtsdestotrotz funktioniert. Banks‘ Kosmos wird von Realisten bevölkert, die zwar unter den Sternen leben aber nicht zwangsläufig nach ihnen greifen. Diese Umkehr des recht naiven „Star-Trek“-Glaubens an eine Evolution, die sich mit dem Vorstoß dorthin, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist, quasi automatisch einstellt, kommt den Lesern einer globalisierten und schon jetzt kompliziert gewordenen Gegenwart entgegen. „Krieg der Seelen“ mag keine ‚literarische‘ SF sein, doch ideenreich, spannend und unterhaltsam ist dieser Roman auf jeden Fall! Durch den deutschen Allerwelt-Titel oder das langweilige Cover sollte man sich nicht täuschen lassen.

_Verfasser_

Iain Menzies Banks wurde am 16. Februar 1954 in Dunfermline in der schottischen Region Fife geboren. Er studierte an der nördlich von Edinburgh gelegenen Universität von Stirling Philosophie, Englisch und Psychologie. Nach seinem Abschluss 1974 durchlief Banks die übliche berufliche Odyssee eines späteren erfolgreichen Schriftstellers und verdiente sein Geld u. a. als Gärtner oder Portier eines Krankenhauses. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre reiste Banks durch Europa. Ein ausgedehnter USA-Trip schloss sich an. 1978 kehrte Banks nach England zurück.

Schon in den 1970er Jahren wurde Banks schriftstellerisch aktiv. Mit „The Wasp Factory“ (dt. „Die Wespenfabrik“) erschien 1984 ein erster Roman, der Banks auf einen Schlag bekanntmachte. 1989 startete er den Zyklus um die „Culture“ (dt. „Kultur“), ein lockeres Bündnis intelligenter Zivilisationen, zu denen auch die Menschheit gehört. Die Serie wird kontinuierlich fortgesetzt und bildet eine „future history“, deren Teile indes nicht in chronologischer Reihenfolge erscheinen.

Außer seinen ‚reinen‘ Science-Fiction-Romanen (für die er im Original als „Iain M. Banks“ zeichnet) schreibt Banks (dann ohne „M“) belletristische Werke und Thriller. Aktuell lebt und arbeitet er in Kent.

|Paperback: 799 Seiten
Originaltitel: Surface Detail (London : Orbit Books 2010)
Übersetzung: Andreas Brandhorst
ISBN-13: 978-3-453-52871-0
eBook: 1037 KB
ISBN-13: 978-3-641-07284-1|
http://www.iain-banks.net
http://www.randomhouse.de/heyne

_Iain Banks beim Buchwurm:_
[„Der Algebraist“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3460
[„Die Sphären“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5407
[„Träume vom Kanal“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1275
[„Vor einem dunklen Hintergrund“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1282
[„Exzession“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1283

Clifford D. Simak – Die unsichtbare Barriere

simak-unsichtbare-barriere-1964-kleinNur im Geiste vermag der Mensch zu den Sternen zu reisen, doch den Mutanten, die dazu in der Lage sind, schlagen auf der Erde Unverständnis, Angst und Hass entgegen, der eines Tages eskaliert … – Wie üblich schildert Simak dies nicht als blutiges Kampfgetümmel, sondern als Konflikt, der ohne naives Gutmenschentum einfallsreich und friedlich gelöst werden kann: ein Klassiker der Science Fiction.
Clifford D. Simak – Die unsichtbare Barriere weiterlesen

Deleeuw, Brian – Andere, Der

_Das geschieht:_

Luke Nightingale ist ein Kind, dem es scheinbar an nichts fehlt. Die Eltern sind vermögend und etabliert in der Gesellschaft von New Yorks Upper West, Mutter Claire leitet einen kleinen aber feinen Verlag, der sich auf Kriminalliteratur spezialisiert hat. Doch die Ehe der Eltern scheitert, denn Claire ist psychisch labil. Immer wieder erlebt sie manische und depressive Phasen, in denen sie zur Gefahr für sich und ihre Familie wird. Gatte James ergreift die Flucht und heiratet neu; Luke lässt er zurück, denn er argwöhnt, dass auch dieser vom Nightingale-Fluch erfasst wurde: Seit Generationen wird da Geschlecht vom Wahnsinn heimgesucht; Claires Mutter Venetia hat sich vor Jahren deshalb umgebracht.

Im Alter von sechs Jahren ruft der introvertierte, einsame, verstörte und genetisch tatsächlich vorbelastete Luke „Daniel“ ins Leben. Der unsichtbare Freund wird zur einzigen Konstanten in seinem chaotischen Alltag. Aber Daniel entwickelt einen eigenen Willen. Er verachtet Luke für die Abhängigkeit von der Mutter, die er als Schwäche betrachtet. Außerdem kann Daniel nicht riskieren, dass jemand die Leere in Lukes Leben füllt, denn dies gefährdet seine Existenz, wie er erfahren muss, als er Daniel dazu bringt, den allzu geliebten Hund zu vergiften: Luke kommt in psychiatrische Behandlung und wird geheilt, was Daniel hilflos in einen Winkel seines Unterbewusstseins verbannt.

Erst zwölf Jahre später kann er sich befreien, weil der durch eine besonders intensive Wahnattacke Claires unter Seelenstress geratene Luke einen Rückfall erlebt. Dieses Mal agiert Daniel vorsichtiger. Er hat aus seinem Fehler gelernt und erweist sich in der Folge als ausgezeichneter Manipulator. Der Umzug ins Studentenwohnheim verstärkt Lukes Unsicherheit. Daniel springt in die Bresche. Immer öfter verlässt sich Luke auf ihn, was Daniels Kraft steigert. Als Luke die Gefahr endlich bemerkt, kommt es zur Konfrontation, die nur einer überleben kann …

_Zwei Seelen wohnen in seiner Brust_

So fasste einst Johann Wolfgang von Goethe das Dilemma des Dr. Faustus zusammen, das sich folgenschwer so fortsetzt: „Die eine will sich von der andern trennen“. Dies kann naturgemäß nicht gut ausgehen, da besagte Seelen auf den gemeinsamen Körper angewiesen sind. Der schottische Schriftsteller Robert Louis Stevenson griff dies 1886 zwar literarisch weniger kunstvoll aber unterhaltsamer auf. In „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ ist nicht die Trennung der Seelen das Problem: Beide wollen sie bleiben, sich den gemeinsamen Körper jedoch nicht teilen, sondern ihn jeweils allein beherrschen. Daraus entwickelt sich ein erbitterter, letztlich bizarrer Kampf, denn der Tod des einen wird auch den anderen umbringen, sind doch beide nur Projektionen desselben Hirns.

Nach Jekyll & Hyde konnte das Thema eigentlich nur noch variiert und verfeinert werden, denn Stevenson hatte alles Grundsätzliche gesagt. Auch Brian DeLeeuw folgt mit „Der Andere“ den tiefen literaturgeschichtlichen Spuren seiner Vorgänger. Er versucht der Geschichte Neues abzuringen, indem er sie einerseits ins 21. Jahrhundert transponiert und sie andererseits stilistisch auf eine höhere Ebene hebt. Das eine funktioniert nur bedingt, das andere greift zu kurz; bei nüchterner Betrachtung schimmert das bekannte Handlungsgerüst deutlich durch.

Sehr modern bedingt kein Wundermittel die Abspaltung von Daniel. Der Keim des Verderbens schlummert bereits in Lukes Genen, denn er ist mindestens Kind und Enkel wahnsinniger Vorfahren. Ausgelöst wird die Schöpfung des „Anderen“ durch Stress und Verwahrlosung. Mutter Claire klammert, was nicht nur durch ihre Krankheit bedingt ist. Sie weiß sehr wohl um die familiäre Schwäche. Ihr obsessives Interesse am Sohn ist deshalb auch Beobachtung, denn spätestens nachdem Luke seinen Hund spektakulär vergiftet hat, ist Claire bewusst, dass ihr Sohn gefährlich werden könnte.

|Auch goldene Käfige sind Käfige|

Literaturkritiker lieben Schriftsteller, die sich an sozialen Schattenseiten abarbeiten. Der Autor wird zum Arzt oder Forscher und präpariert mit dem Skalpell die Schwächen dort heraus, wo sie besonders intensiv negiert und verborgen werden. Also spielt unsere Geschichte in der nicht nur künstlerisch etablierten, sondern auch finanziell auf Rosen gebetteten ‚besseren‘ New Yorker Gesellschaft. Claire und ihr späterer Ex-Gatte James umgeben sich mit den Klugen, Schönen oder wenigstens Interessanten. Sie verlegt Bücher, er wirbt Gelder für kulturelle Projekte ein. Geld spielt keine Rolle, man lebt in bewachten Nobel-Mietshäusern, in denen die Drecksarbeit vom Personal erledigt wird, damit sich die High Society ihren bedeutsamen Aktivitäten widmen kann.

Der Blick hinter die Kulissen soll bei DeLeeuw ernüchtern: Alles ist nur Fassade, dahinter herrschen Chaos und Kälte. Selbst wenn Claire gesund ist, beachtet sie den Sohn nicht wirklich oder instrumentalisiert ihn als Instrument ihrer Selbstdarstellung als allein erziehende Frau und trotzdem beruflich erfolgreiche Geschäftsfrau. Luke ist ihr Accessoire, und begehrt er dagegen auf, flüchtet Claire in den Wahnsinn und wartet auf das Anspringen seines schlechten Gewissens. Vater James hat sich gänzlich zurückgezogen, eine neue, hoffentlich ‚bessere‘ Familie gegründet und widmet sich seinen Pflichten Luke gegenüber nur widerwillig.

Luke erkennt zwar, wie ihm geschieht, doch er bringt nicht die Kraft auf, sich durchzusetzen und seine Gefängnismauern zu sprengen. Dies gelingt nur Daniel. Lukes zweites Ich fühlt und tut, was ihm verwehrt ist bzw. was er sich selbst verwehrt. Die Spaltung bringt Luke Erleichterung, aber er weiß um ihre gefährlichen Aspekte: Einmal aus der Flasche gelassen, will Daniel keineswegs dorthin zurück. Verhängnisvoll ist auch, dass nur Lukes volle Aufmerksamkeit Daniel Kraft und Existenz sichert.

|Kampf ohne Sieger|

Es kommt, wie es kommen muss: Daniel/Hyde beschließt, den schwächlichen aber latent gefährlichen Konkurrenten Luke/Jekyll endgültig zu eliminieren. Da er ihn nicht töten kann, will er ihn übernehmen. Diesen Kampf weiß DeLeeuw in seiner ganzen Absurdität für den Leser nachvollziehbar und spannend darzustellen. Ganz allmählich gerät das Kräfteverhältnis aus der Waage. Die Schale neigt sich zugunsten Daniels. Der Triumph ist jedoch nur Täuschung, denn faktisch ist es ja immer noch und immer nur Luke, der mit sich selbst ringt.

Leider versucht DeLeeuw jetzt, originell zu werden. Während Stevenson geradlinig den Höhepunkt der finalen Auseinandersetzung zwischen Jekyll und Hyde ansteuert, lässt DeLeeuw den potenziell dramatischen Moment, in dem „Daniel“ triumphierend Claire seinen Sieg über Luke schildert, quasi verpuffen: Claire kann gar nicht erkennen, dass sich ihre schlimmste Befürchtung bewahrheitet hat, denn sie ist just selbst endgültig übergeschnappt und hält sich für ihre eigene Mutter. Dieser Symbol-Overkill erschüttert nicht, er irritiert nur.

Im Finale wird es noch einmal kryptisch, denn der nun offen ausbrechende Kampf zwischen Daniel und dem keineswegs verschwundenen Luke bricht offen aus und endet nicht nur tragisch, sondern mündet quasi auch in die Einleitung ein: Eine neue Generation steht wie anfänglich Luke bereit, denn Weg in den Irrsinn einzuschlagen. Auch diese Volte greift nicht bzw. kann dem Leser nicht mehr einen letzten Schrecken versetzen. „Der Andere“ endet, wie er begann: stilistisch anspruchsvoll im engen Rahmen eines begrenzt originellen Psychogramms. Nur punktuell kann DeLeeuw zumindest jene eher genregeprägte Fraktion des Publikums packen, die auf eine überraschende Lektüre hofft.

_Autor_

Brian DeLeeuw wurde in den frühen 1980er Jahren in New York City geboren, wo er auch aufwuchs und noch heute lebt. Er studierte Kreatives Schreiben an der Princeton University; seinen Master-Abschluss machte er an der New School.

Beruflich ist DeLeeuw für das „Tin House Magazine“, ein in Portland (Oregon) und New York City ansässiges, viermal jährlich erscheinendes Magazin für amerikanische Literatur tätig. „Der Andere“ ist sein Romandebüt.

|Taschenbuch: 344 Seiten
Originaltitel: In This Way I Was Saved (New York : Simon & Schuster 2009)
Übersetzung: Ulrike Clewing
ISBN-13: 978-3-426-50387-4
eBook: 467 KB
ISBN-13: 978-3-426-41310-4|
http://www.brianDeLeeuw.com
http://www.knaur.de

Kirkman, Robert / Bonansinga, Jay – The Walking Dead

_Das geschieht:_

Eines Tages kehrten die Toten aus ihren Gräbern zurück. Sie überrannten die überraschten und entsetzten Lebenden und haben die meisten von ihnen entweder gefressen oder gebissen, was zuverlässig weitere Zombies entstehen lässt. Unter dem milliardenfachen Ansturm der von der Gier nach Menschenfleisch beherrschten, nur durch einen gezielten Kopfschuss auszuschaltenden Untoten ist die Zivilisation zusammengebrochen.

Auch die USA existieren nicht mehr. Versprengte Gruppen verzweifelter Flüchtlinge suchen nach Orten, an denen sie vor den Zombies sicher sind. Zu ihnen gehören die Brüder Philip und Brian Blake. Mit Tochter bzw. Nichte Penny sowie den Freunden Nick und Bobby, die ebenfalls von der Apokalypse entwurzelt wurden, machen sie aus der heimatlichen Provinz des US-Staates Georgia auf in die Hauptstadt Atlanta. Dort soll die Regierung ein Flüchtlingslager eingerichtet haben, zu dem man sich durchschlagen will.

Die Reise wird zu einer Odyssee des Grauens. Überall lauern die Untoten, die niemals schlafen und immer hungrig sind. Jeder Moment der Unaufmerksamkeit oder gar der Entspannung ist lebensgefährlich. Ohne den charismatischen aber auch jähzornigen und skrupellosen Philip wäre die Gruppe verloren. Energisch lässt er das Ziel ansteuern. Aber das endlich erreichte Atlanta erweist sich als Metropole der Untoten. Sie haben jeglichen menschlichen Widerstand längst weggefegt.

Selten treffen die Flüchtlinge auf lebende Leidensgefährten. Die Menschen sind nicht nur vor den Zombies auf der Hut. Selbsternannte ‚Führer‘ nutzen die Gunst der Stunde und schaffen sich kleine Königreiche. Jeder ist sich in dieser Welt selbst der Nächste – eine Lektion, die schnell gelernt sein muss, bevor es zu spät ist …

_Zombies als Superstars!_

2003 hatte Autor Robert Kirkman die Idee seines Lebens: Er schuf (in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Tony Moore, der später von Charlie Adlard abgelöst wurde) die Comic-Serie „The Walking Dead“. Hier mischten sich geschickt inhaltlich einschlägige Klischees und formale Brillanz und generierten einen durchschlagenden Erfolg. Dieser gipfelte 2010 in einer gleichnamigen TV-Serie, die ihrerseits zumindest dort neue Maßstäbe setzte, wo es um die offene Darstellung plakativen Horrors ging: Spätestens jetzt hatte das Fernsehen den Horrorfilm eingeholt oder sogar übertroffen.

Die Möglichkeit, malerisch zerfallende, kannibalische, aufregend hässliche Zombies explizit darzustellen, ist sicherlich DAS Pfund, mit dem „The Walking Dead“ als Comic und im Fernsehen wuchern kann. Als Treibriemen dienen der Handlung ansonsten seit Jahrzehnten bewährte und zweckdienlich adaptierte Seifenoper-Elemente, die vor allem die in der US-Unterhaltungskultur unentbehrlichen |family values| durchspielen. Im Mittelpunkt des Geschehens steht eine kleine Gruppe Überlebender um den ehemaligen Sheriff Rick Grimes. Man schlägt sich und verträgt sich wieder, intrigiert und sympathisiert, während in regelmäßigen Abständen die Zombies angreifen und für Abwechslung sowie den Abgang diverser Haupt- (selten) und Nebenfiguren (ständig) sorgen.

Auf diese Weise funktionierten früher u. a. TV-Western-Serien, mit denen sich „The Walking Dead“ gut vergleichen lässt. Die Zombies ersetzen die feindlichen Indianer, die wiederum vor allem die Bedrohung von außen symbolisieren, der sich die belagerte Gruppe zu stellen hat. Nicht mehr wie einst mit den Planwagen, sondern in Kombis und geländegängigen SUVs ziehen die Überlebenden durch das Land und bilden eine schützende Wagenburg, wenn sie ihr Lager aufschlagen.

Da Flucht unmöglich ist, müssen sonst verdrängte Konflikte ausgetragen werden, was nicht nur die Gruppendynamik erhöht, sondern auch für zwischenmenschlichen Wirbel sorgt. Dabei müssen die Untoten keineswegs ständig sichtbar sein. Das Wissen um ihre Präsenz sorgt bereits für eine ständige Spannung, die sich immer wieder entladen muss.

|Der Aufstieg eines entschlossenen Irren|

In der TV-Serie trat der sadistische „Gouverneur“ Philip Blake erst in der dritten Staffel erstmals auf. Schon in seiner gezeichneten Inkarnation hatte er sich als Bösewicht etabliert, den man gern hasste, weil er so abwechslungsreich böse war. Allerdings tauchte er als uneingeschränkter Herrscher von Woodbury quasi aus dem Nichts auf – ein Warlord und ein irres Genie, wie es nur die triviale Unterhaltung hervorbringen kann.

Da der Erfolg von „The Walking Dead“ auch auf möglichst breiter Medienpräsenz beruht, verstärkt das Franchise sein Fundament, indem es nun Romane auf den Markt wirft. Robert Kirkman beschloss, die Vorgeschichte des „Gouverneurs“ in eine Buch-Trilogie zu gießen. Da ihm auf diesem Gebiet die notwendige Erfahrung (noch) fehlte, stellte man ihm einen Profi zur Seite. Jay Bonansinga schreibt nicht nur Horror-Romane, sondern ist außerdem nachweislich ein schneller Autor, was für das Franchise den letzten Ausschlag gab; literarische Qualitäten standen dagegen eher nicht auf dem Anforderungsprofil, wie der Blick auf das Bonansingasches Œvre rasch enthüllt.

Freilich trägt nicht Bonansinga, sondern Kirkman die Schuld daran, dass dieser „Walking-Dead“-Roman der Serie einen Bärendienst erweist. Was gezeichnet oder in Szene gesetzt eindrucksvoll und erschreckend wirkt, ist und bleibt hier Papier. Kirkman hat keine originellen Ideen, und Bonansinga ist ein Zeilenfüller. Das Ergebnis ist Horror-Junkfood, wie es durchschnittlicher kaum sein könnte.

|Nicht Neues nach dem Ende der Welt|

Faktisch hat George A. Romero in seinen ersten drei „Zombie“-Filmen alles Themenrelevante gesagt. Er stellte es unfreiwillig selbst unter Beweis, als er in seiner zweiten Zombie-Trilogie zum eigenen Plagiator wurde. In der Tat ist das von den Untoten präsentierte Schreckens-Spektrum denkbar schmal. Wir können keine Raffinesse von Kreaturen erwarten, deren Hirne bis auf den Hirnstamm abgestorben sind. Instinktgesteuert herrschen sie allein durch ihre Quantität: Für jeden mühsam endgültig ausgeschalteten Zombie springen umgehend zehn neue Moderlinge in die Bresche.

Diese Omnipräsenz ist es, die sie so gefährlich macht. Kirkman favorisiert die ‚klassischen‘ Zombies, die ungelenk und ohne Intelligenz umher schlurfen. Dies macht sie nicht faszinierender. Viele, viele Seiten füllt das Autorenduo mit detailfroh geschilderten Schlachten zwischen Mensch und Zombie. Diese folgen identischen Mustern, sodass sie schnell langweilen. Kirkman & Bonansinga versuchen gegenzusteuern, indem sie ihre Helden die Zombies förmlich pürieren lassen – zwecklos, wenn man dies nicht sehen kann.

Zu den unverzichtbaren Elementen erfolgreicher, d. h. routiniert nach bewährten Mustern gestrickter Unterhaltung gehört der schon erwähnte menschliche Faktor. Sogar der „Gouverneur“ schlüpfte nicht als Finsterling aus einem Schlangenei. Umstände und Erfahrungen haben ihn geprägt. Nun erzählt uns Kirkman, was ihm zugestoßen ist. Bloß: Wollen wir das eigentlich wissen?

|Auch große Schurken fangen klein an|

Die Antwort lautet wie so oft „Nein!“ Ein ‚erklärter‘ „Gouverneur“ ist auch ein ‚entzauberter‘ „Gouverneur“. Sobald wir wissen, wie er entstand, hat sich mit dem Mythos ein Großteil der Faszination verflüchtigt. Dies gilt vor allem, weil Kirkman & Bonansinga uns diese Vorgeschichte abermals mit der ganz groben Kelle servieren.

Bruderzwist, Dauerstress, der Verlust von Familienangehörigen und Freunden, Verrat durch Räuber, die eigentlich Verbündete sein müssten: Es ist nie schlüssig nachvollziehbar, wieso ausgerechnet Philip Blake aus diesen Erlebnissen die Kraft zieht, sich zum Tyrannen aufzuschwingen. Die Figurenzeichnung gibt die dafür erforderliche Stärke nicht her. Die Autoren haben es selbst bemerkt, weshalb sie Blake auf den letzten Seiten eine Epiphanie erleben lassen: Als er vor die Gemeinde von Woodbury tritt, zuckt ihm eine Art Blitz durchs Hirn, der ihn schlagartig in den „Gouverneur“ verwandelt.

Auch sonst stammen die von den Autoren oft beschworenen Emotionen aus der Plastikflasche: Sie werden wie Ketchup über das blutige Geschehen gegossen. Die entstehende Mixtur ist geschmacklich indifferent. Noch viele, viele hundert Romanseiten wird sich dies fortsetzen und die Rechnung des Franchises dabei aufgehen: Bestseller-Status ist für die „Walking-Dead“-Trilogie vorprogrammiert. Der kritischer eingestellte Leser, der seine Lektüre durchaus mit einigen frischen Ideen versetzt vorzieht, kann auf diesen „Roman zur Blockbuster-Kultserie“ – eine brachiale Wortneuschöpfung skrupel- und grammatikbefreiter Werbestrategen – getrost verzichten.

_Autoren_

Robert Kirkman (geb. 1978) ist (bisher) weniger als Schriftsteller, sondern als Autor für Comics bekannt geworden. Schon 2000 brachte er in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Tony Moore die Superhelden-Parodie „Battle Pope“ heraus. Nach einigen anderen Projekten verwirklichten Kirkman und Moore ab 2003 „The Walking Dead“. Aufgrund ständiger Terminschwierigkeiten stieg Moore aus und wurde von Charlie Adlard ersetzt. „The Walking Dead“ wird weiterhin fortgesetzt. Zwischenzeitlich arbeitete Kirkman für „Marvel Comics“, wo er u. a. für Serien wie „Avengers Disassembled“, „Marvel Knights“ oder „Fantastic Four“ schrieb.

2008 wechselte Kirkman zu „Image Comics“; 2010 gründete er das Imprint „Skybound“. Parallel dazu wurde er einer der Produzenten und Autoren der Fernsehserie „The Walking Dead“, die unter der Leitung von Frank Darabont zu einem TV-Ereignis wurde. Ab 2011 veröffentlichte Kirkman mit Ray Bonansinga die Roman-Trilogie „Rise of the Governor“, die ebenfalls im „Walking-Dead“-Universum spielt. Mit seiner Familie lebe Robert Kirkman lange in Kentucky. Um ’seiner‘ TV-Serie näher zu sein, ist er nach Los Angeles umgezogen.

Jay R. Bonansinga (geb. 1959) verfasst seit 1994 auf Unterhaltung getrimmte Krimi- und Horror-Thriller der unterhaltsamen aber rasch wieder vergessenen Art. Der in Sachen Eigenwerbung (s. Website) sehr kreative Autor lebt mit seiner Familie in Evanston, US-Staat Illinois, wo er als Gastprofessor für kreatives Schreiben an der Northwestern University lehrt.

In Deutschland ist Bonansinga erschienen Mitte der 1990er Jahre die Thriller „Black Mariah“ („The Black Mariah“, 1994) und „Sick“ („Sick“, 1995). Kurz darauf versuchte es der Goldmann-Verlag mit den Bonansinga-Krimis „Killer-Parade“ („The Killer’s Game“, 1997) und Kopf an Kopf („Head Case“, 1998), wobei sich der Erfolg ebenfalls in Grenzen hielt. Ende 2005 nahm Rowohlt mit einer Serie um den mit dem Übersinnlichen konfrontierten Ermittler Ulysses Grove einen neuen Anlauf.

|Taschenbuch: 441 Seiten
Originaltitel: The Walking Dead: Rise of the Governor (New York : Pan Macmillan 2011)
Übersetzung: Wally Anker
ISBN-13: 978-3-453-52952-6|
http://www.jaybonansinga.com
http://www.randomhouse.de/heyne

|eBook: 548 KB
ISBN-13: 978-3-641-07196-7|
http://www.randomhouse.de/heyne

|Hörbuch-Download: 696 Minuten (ungekürzt)
Gelesen von Michael Hansonis
ISBN-13: 978-3-8371-1657-1|
http://www.randomhouse.de/randomhouseaudio

_Robert Kirkman auf |Buchwurm.info|:_
[„Gute alte Zeit“ 2257 (The Walking Dead 1)
[„Ein langer Weg“ 2677 (The Walking Dead 2)
[„Die Zuflucht“ 3735 (The Walking Dead 3)
[„Was das Herz begehrt“ 3862 (The Walking Dead 4)
[„Marvel Zombies“ (MAX 17)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4091

Nicholas Blake – Ein glühend Messer

Zwei Männer planen den perfekten Doppelmord, den jeder für den anderen begehen soll; die Umsetzung gelingt, aber die Polizei ist findiger als befürchtet, nachträgliche Vertuschungsversuche missglücken, und die Angelegenheit entgleitet den Tätern mit dramatischen Folgen … – Obwohl der Autor (unwissentlich) einen schon damals sehr bekannten Plot aufgreift, gelingt ihm ein höchst spannender Psycho-Thriller, in dem sich die Mörder mindestens so hart belauern wie ihnen die Polizei im Nacken sitzt.
Nicholas Blake – Ein glühend Messer weiterlesen

Ellery Queen – Das zwölfte Geschenk

Queen Dreizehnter Gast Cover 1982 kleinDas geschieht:

Das Weihnachtsfest des Jahres 1929 wird Schriftsteller und Privatdetektiv Ellery Queen auf Einladung des Druckereibesitzers Arthur Craig in dessen Landhaus beim Städtchen Alderwood bei New York verbringen. Zwölf Gäste umfasst die Gesellschaft insgesamt, zu der noch Craigs Mündel John Sebastian, seine Verlobte Rusty Brown, deren Mutter Olivette, der Komponist Marius Carlo, die Schauspielerin Valentina Warren, Queens Verleger Dan Freeman, der Anwalt Roland Payn, der Arzt Dr. Sam Dark und der Priester im Ruhestand Arthur Gardiner gehören. Ellery Queen – Das zwölfte Geschenk weiterlesen

George, David R. III. – Star Trek Crucible 1: Feuertaufe: McCoy – Die Herkunft der Schatten

_Das geschieht:_

Im Jahre 2267 wird ein Forschungsteam des Föderations-Raumschiffs „Enterprise“ unter dem Kommando von James T. Kirk auf einem namenlosen Planeten aktiv. Dort stieß man auf den „Hüter der Ewigkeit“, ein Wesen oder eine Maschine, die als Portal in die Zeit funktioniert.

An Bord der „Enterprise“ kommt es derweil zu einem folgenschweren ‚Arbeitsunfall‘: Schiffsarzt Leonard McCoy injiziert sich während einer Routinebehandlung versehentlich ein Medikament, das überdosiert paranoide Wahnvorstellungen hervorruft. In diesem verwirrten Zustand flüchtet er auf den Planeten und gerät durch das Zeitportal in das irdische New York des Jahres 1931. Kirk und sein Wissenschaftsoffizier Spock folgen McCoy. Sie können ihn finden und an Bord der „Enterprise“ zurückbringen. Der bald geheilte McCoy er- und überlebt in den nächsten Jahrzehnten viele abenteuerliche Missionen.

Mehr als 300 Jahre in der Vergangenheit versucht sich ein ‚alternativer‘ McCoy damit abzufinden, dass er nach einem versehentlich verursachten Zeitparadoxon für immer im 20. Jahrhundert gestrandet ist. Zu allem Überfluss hat er den Ablauf dieses Zeitstrangs beeinflusst, sodass die Ereignisse ab 1931 einen neuen Verlauf nehmen. McCoy gelingt es, sich in dieser Welt eine neue Existenz aufzubauen. Im Gegensatz zu seinem Leben in der Zukunft ist er auch privat glücklicher, bis er ein Opfer des hier auch im Jahre 1955 noch tobenden II. Weltkriegs wird.

In der Zukunft suchen den ‚originalen‘ McCoy verstärkt Albträume heim, die ihm mit beunruhigender Klarheit ein völlig anderes Leben suggerieren, das er in einer Vergangenheit geführt hat, die niemals Realität wurde. Unterstützt durch Spock bemüht sich McCoy, diesem Rätsel auf den Grund zu gehen …

|Remake als Relaunch?|

Mehr als vier Jahrzehnte „Star Trek“ fordern ihren Tribut. In fünf mehr oder weniger langlebigen TV-Serien (plus eine Zeichentrick-Version), nach vielen hundert Episoden sowie zehn Kinofilmen, zu denen sich ebenso zahlenstark Romane und Comics gesellen, ist jene Zukunft, die Gene Roddenberry einst schuf, bis auf den Grund ausgelotet. Um dem dennoch weiterhin lukrativen Franchise neues Leben einzuhauchen, wurde „Star Trek“ 2009 erfolgreich „rebootet“, d. h. die Geschichte von Kirk, Spock & Co. mit jungen Darstellern und in einer ‚frischen‘ Zukunft neu gestartet.

David R. George III. schrieb die „Crucible“-Trilogie 2006/07. Sie entstand, um das damals anstehende 40-jährige Jubiläum der ‚klassischen‘ Serie zu zelebrieren, die 1966 erstmals auf Sendung gegangen war, was das Franchise wie üblich als Aufgabe verstand, für ein Produkt zu sorgen, das möglichst viele Käufer finden würde. Falls „würdig“ auch mit „umfangreich“ übersetzt werden kann, hat George die ihm gestellte Aufgabe glänzend gelöst: Einen Buch-Brocken wie diesen gab es zuvor nur in Gestalt von „Star-Trek“-Sammelbänden.

Normalerweise werden „Star-Trek“-Serien auf mehrere Bände verteilt. Auch „Crucible“ ist ein Dreiteiler. Nichtsdestotrotz ist „Feuertaufe: McCoy“ ein abgeschlossener Roman. In einem Vorwort beschreibt der Verfasser sein Problem, in jener dicht geknüpften Chronologie, die den offiziellen „Star-Trek“-Kanon markiert, noch eine Ereignislücke zu finden, die ein ’neues‘ Abenteuer ermöglichte. George wollte bereits aufgeben, als er eine Möglichkeit fand: Mit „Feuertaufe: McCoy“ schlug er einen Parallelkurs zum Kanon ein.

|Bekanntes wird garniert|

In der Tat bietet der in der Zukunft spielende Handlungsstrang über viele hundert Seiten eine Nacherzählung von Ereignissen, die der „Star-Trek“-Fan kennt. Sie werden zur Grundlage einer Geschichte, die sich ansonsten vor allem der Psyche der Hauptfigur widmet: Wer ist Leonard McCoy wirklich, der zwar mit Kirk und Spock zu den „großen Drei“ der klassischen „Star-Trek“-Saga gehört, ohne sich bei seinen zahlreichen Auftritten wirklich in die Karten bzw. hinter die sorgfältig gepflegte Maske der knurrigen ‚Landarztes‘ blicken zu lassen?

Dies führt zu einer ersten Folgefrage: Müssen oder wollen wir den ‚privaten‘ McCoy überhaupt in wahrhaft epischer Breite kennenlernen? Die Antwort ist einfach und für George bitter: eigentlich nicht – und sicher nicht so, wie der Autor es sich und uns McCoy vorstellt. Er tappt dabei in eine für „Star Trek“ typisch gewordene Falle: Die wohl bekannten Helden werden zumindest in ihrer literarischen Version allzu heftig von einem weihevollen Hauch quasi historischer Bedeutsamkeit umweht; schon die Untertitel der drei „Feuertaufe“-Romane sind in ihrem hohlen Pathos nur lächerlich. Dabei ist vor allem die Crew der ersten „Enterprise“ durch ihre Entschlussfreudigkeit und den Hang zum riskanten Abenteuer bekannt und beliebt geworden. Dass George sie nunmehr pompöse Gedanken durch die Köpfe wälzen lässt, bekommt ihnen nicht. Sie sollten weniger denken und mehr handeln, sonst werden sie langweilig.

Aus dem Kanon bekannte Ereignisse werden aufgegriffen, dramatisch vertieft und erläutert. Dabei fügt George ihnen erneut unnötig Schaden zu. Nimmt man vor allem die „Star-Trek“-Abenteuer der ersten Fünfjahresmission unter die Lupe, enthüllen sie einen überaus trivialen Kern. McCoys kurze aber heftige Liebesbeziehung mit der Hohepriesterin Natira („For the World Is Hollow, and I Have Touched the Sky“, dt. „Der verirrte Planet“, Staffel 3, Folge 8) ist ein gutes Beispiel. Sie ist nicht tragisch sondern gefühlsduselig und eine Kette reiner Klischees, die sich als 45-minütiges TV-Spektakel goutieren aber beim besten Willen nicht ‚aufwerten‘ lassen.

|Durch die Pforte, durch den Spiegel|

Alternative Leben sind im „Star-Trek“-Universum keine Seltenheit. Vor allem Jean-Luc Picard würde dies unterschreiben, der in „Inner Light“ (dt. „Das zweite Leben“, ST: The Next Generation, Staffel 5, Folge 25) eine entsprechende Erfahrung machte. Allerdings war dieser Spuk nach 30 TV-Minuten vorüber. McCoys Leben im 20. Jahrhundert zieht sich dagegen nicht nur über viele, viele Seiten, sondern generell in die Länge.

McCoy lernt sogar auf zwei Zeitebenen, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Ist dies ein Prozess, der besonderes Interesse weckt? Erneut muss man antworten: nicht so, wie George die Sache angeht. Bis ins Detail dürfen oder müssen wir miterleben, wie McCoy eine Suppenküche renoviert, in einer Getreidemühle schuftet, Rassisten verprügelt sowie als (dieses Mal echter) Landarzt praktiziert. Dabei hält er sich tunlichst abseits der ‚großen‘ Geschichte, um nicht noch größeren Schaden anzurichten; die „Enterprise“ und ihre Besatzung hat er ohnehin aus der Geschichte radiert und Adolf Hitler den Weg zur Weltherrschaft geebnet.

Stattdessen lernt McCoy, sich den Menschen und hier besonders den Frauen zu öffnen, mit denen er stets Schwierigkeiten hatte. Schön für ihn, dass es gelingt, aber ‚gutes‘ = unterhaltsames „Star Trek“ ist das nicht, sondern langweilige Soap-Opera. Wie man die Strandung in der Vergangenheit nicht zur Geschichte macht, sondern in eine (spannende) Geschichte einbettet, zeigt u. a. Barbara Hambley in ihrem 1990 entstandenen „Star-Trek“-Roman „Ishmael“.

Nicht einmal vorgeblich gibt es in „Feuertaufe: McCoy“ eine vergleichbare Hintergrundgeschichte. George arbeitet ausschließlich an seinem doppelten McCoy-Psychogramm. Irgendwann merkt der Leser, dass die Fülle von Details nicht auf kommende Ereignisse vorbereitet, sondern Selbstzweck ist. Spätestens nach diesem Moment der Erkenntnis beginnt er auf der Suche und in der Hoffnung auf ein großes, spannendes Finale den Text zu überfliegen und zu überblättern.

|Moral statt Finale|

Ihm steht eine Enttäuschung bevor, denn in dieser Hinsicht kommt nichts. Der „originale“ und der „alternative“ McCoy begegnen sich nie, der alternde McCoy aus der Zukunft beginnt irgendwann, von seinem ‚anderen‘ Leben zu träumen. Das war’s dann schon. Statt die beiden Handlungsstränge definitiv getrennt zu lassen, konstruiert George diese feigenblattartige Verbindung, die weder logisch noch sinnvoll im Rahmen der erzählten Geschichte ist.

Unendlich viele Seiten widmet George der Vita des ‚alternativen‘ McCoy. Urplötzlich sticht ihm ein notgelandeter Nazi-Pilot ins Herz, woraufhin er tot umfällt. Ende dieser Geschichte, der auf diese Weise jeder Sinn genommen wird. Der Leser fühlt sich nicht grundlos betrogen, wenn ihn der Autor ausschließlich mit der frohen Kunde entlässt, dass McCoy seine chronische Bindungsangst zuvor überwunden hatte.

In der Zukunft geht es ähnlich gänseblümchenhaft weiter. Obwohl George angeblich außerhalb des Kanons schreibt, klebt er dennoch an dessen Vorgaben. Was ihm selbst einfällt, ist belanglos. Das eigentliche Mirakel ist die damit verbundene Entstehung eines Romans, der in seiner deutschen Übersetzung mehr als 800 Seiten umfasst. Es wird noch seltsamer: In zwei (allerdings deutlich seitenreduzierten) Bänden geht das „Feuertaufe“-Epos weiter – freilich definitiv ohne diesen Rezensenten!

_Autor_

David R. George III. gehört zu jenen „tie-in“-Autoren, die sich (bisher) gänzlich der Lohnarbeit für das Star-Trek-Franchise widmeten. In dessen Ereignishorizont geriet er erstmals 1995, als es ihm gelang, ein Skript für die ST-Serie „Voyager“ zu schreiben, das unter dem Titel „Prime Factors“ (dt. „Das oberste Gesetz“) als Episode 10 der ersten Staffel verfilmt wurde.

Während dies Georges einziges (umgesetztes) Drehbuch blieb, begann er ab 1998 Romane und Storys zu schreiben, die im „Star-Trek“-Universum spielten. 1998 stellte man ihn zunächst dem „Deep-Space-Nine“-Darsteller Armin Shimerman an die Seite, der seine Rolle als Ferengi Quark so verinnerlicht hatte, dass er sie in Buchform wieder aufleben lassen wollte.

Nachdem George abermals seine Tauglichkeit als zuverlässig und pünktlich liefernder, sich an die Franchise-Vorgaben haltender Autor, unter Beweis gestellt hatte, wurde er ab 2000 verstärkt mit Aufträgen bedacht. Er arbeitete sich hoch, nahm sich keine Freiheiten heraus oder wurde gar originell und wurde deshalb 2006 für würdig befunden, zum 40. Jahrestag der „klassischen“ ST-Serie „Raumschiff Enterprise“ die Jubiläums-Trilogie „Crucible“ zu realisieren. Da die Leser zufrieden waren bzw. fleißig kauften, rekrutierte das Franchise George 2010 für die neue ST-Buchreihe „Typhon Pact“.

|Taschenbuch: 813 Seiten
Originaltitel: Star Trek Crucible: McCoy – Provenance of Shadows (New York : Pocket Books/Simon & Schuster 2006)
Übersetzung: Anita Klüver
ISBN-13: 978-3-942649-51-3|

|eBook: Dezember 2011 (Cross-Cult-Verlag)
1576 KB
ISBN-13: 978-3-942649-97-1|
http://www.cross-cult.de
http://www.startrekromane.de

_“Star Trek“ bei |Buchwurm.info|:_
[„Sternendämmerung“ (Star Trek) 673
[„Sternennacht“ (Star Trek) 688
[„Star Trek Voyager – Das offizielle Logbuch“ 826
[„Star Trek V – Am Rande des Universums“ 1169
[„Jenseits von Star Trek“ 1643
[„40 Jahre STAR TREK – Dies sind die Abenteuer …“ 3025
[„Star Trek Deep Space Nine: Neuer Ärger mit den Tribbles“ 4171
[„Star Trek Voyager: Endspiel 4441
[„Star Trek – Vanguard 1: Der Vorbote“ 4867
[„Star Trek – Titan 1: Eine neue Ära“ 5483
[„Star Trek – Next Generation: Tod im Winter“ 6051
[„Star Trek – Next Generation: Widerstand“ 6141
[„Star Trek – Next Generation: Quintessenz“ 6199
[„Star Trek: Deep Space Nine – Sektion 31 – Der Abgrund“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6378
[„Star Trek – Destiny 1: Götter der Nacht“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6622

Colin Willock – Dreimal schlug das Schicksal zu

_Das geschieht:_

Nathaniel Ironside Goss, erfolgreicher Verleger mit ausgeprägten Hang zum Privatdetektiv, möchte dieses Mal keine kriminellen, sondern einfach nur dicke Fische erlegen: Mit einem Freund, dem Fotografen Peter Winters, reist er in die Grafschaft Somerset, um dort in den Fischgründen des Ford Stark Hotels den einheimischen Wasserbewohnern nachzustellen.

Allerdings weiß Goss um die Nähe von Caistor House, einem inzwischen verlassenen Landhaus, zu dem ein See gehört, in dem sich seit Jahren von Anglern ungestört dicke Karpfen tummeln. Dieser Verlockung können die beiden Urlauber nicht widerstehen. In der Nacht schleichen sie unbefugt auf das Grundstück.

Aus dem erhofften Erfolg wird eine wilde Flucht, denn die Eindringlinge werden beinahe erwischt. Reumütig wirft Goss seine Angel am nächsten Tag im Fluss Stark aus, wo dies erwünscht und gestattet ist. Freilich trifft ihn dabei beinahe der Schlag in Gestalt eines gewaltigen Felsens, der vom Steilufer gegen ihn losgetreten wird. Die Verfolgung des Übeltäters bleibt erfolglos – sie endet mit dem Fund der Leiche des Reverends Dewsby, der ebenfalls im Stark Ford Hotel logiert.

Die alarmierte Polizei interessiert sich jedoch mehr für Goss, denn aus dem Caistor-See zog man am Morgen eine Leiche, in deren Rücken der Haken seiner Angel steckt. Glücklicherweise ist Goss für Chefinspektor Fford ein alter Bekannter, der den Verleger nicht verdächtigt. Dabei hält Goss diverse Indizien zurück, denn er hat beschlossen, wieder einmal selbst zu ermitteln. Winters wird zwangsverpflichtet und die abenteuertaugliche Verlags-Sekretärin Miss Lutyens gerufen.

Gemeinsam kommt man nicht nur einem nie gelösten Verbrechen, sondern auch einem sagenhaften Schatz auf die Spur. Allerdings erregt dies die Aufmerksamkeit zahlreicher Schurken, die der ‚Konkurrenz‘ sehr unfreundlich begegnen …

_Dicke Fische, schwere Jungs_

Das Verfassen sowohl vertrackter als auch möglichst unterhaltsamer Kriminalromane gilt nicht grundlos als Steckenpferd gebildeter Briten, die sich auf diese Weise den Kopf für jene wichtigen Arbeiten freimachten, die sie im Dienst der Regierung oder an den Elite-Universitäten des Empires leisteten. Natürlich befinden wir uns hier in einer Vergangenheit, die weder das Fernsehen noch das Internet kannte. Stattdessen würzte man die Unterhaltung gern mit Anspielungen auf antikgriechische oder römische Autoren, die man aus dem Gedächtnis zitieren konnte.

In dieser seltsamen Zeit, die als Selbstverständlichkeit etwa vor einem halben Jahrhundert zu Ende ging, entstanden zahlreiche Genreklassiker. Gar nicht selten blieben ihre Autoren Eintagsfliegen, die nur ein- oder wie in unserem Fall dreimal zur Feder griffen, bevor sie der Alltag endgültig in die schriftstellerfernen Höhen politischer, wissenschaftlicher oder militärischer Prominenz davontrug; Colin Willock verschlug es indes zum Fernsehen, wo er allerdings geradezu unanständig erfolgreich und berühmt wurde und für den Kriminalroman verlorenging.

Das ist jammerschade, denn er verstand dieses Handwerk meisterhaft. Durch den pathetisch hohlen bzw. einfach nur dämlichen deutschen Titel darf man sich wieder einmal nicht täuschen lassen: „Death at the Strike“ steckt im Original klipp & klar das Feld ab: Hier wird gemordet, wo sonst nur Fische im sportlichen Angelwettstreit ihr Leben lassen.

|Stille Wasser sind tödlich|

Der Engländer sieht sich gern als geborener Sportmann. Folgerichtig kommt man nicht ins Stark Ford Hotel, um sich zu erholen, wie die ahnungslos mitgereisten Ehefrauen zu ihrem Leidwesen erfahren müssen. Die Jagd nach dem Fisch ist eine bitterernste Sache, die generalstabsmäßig geplant und durchgeführt wird. Schlechtes Wetter und körperliche Schwächen gehören zum Wettkampf, der hier auf die Essenz des Wortes zurückgeführt wird: Allabendlich wird wie Beute des Tages verglichen, wobei die dicksten Fische möglichst wie nebenbei präsentiert werden: (Falsche) Bescheidenheit ehrt den Angler und ärgert die Konkurrenz.

Diesen Höhepunkt des Jahres lässt sich der echte Angler deshalb nicht verderben, nur weil ein Pechvogel tot im Fischwasser trieb: |“Auf der marmornen Platte in der Hotelhalle lagen Dr. Bartletts Lachs und Mr. Goss‘ Forelle. Auf einer Marmorplatte im Leichenschauhaus von Tinscombe befanden sich die sterblichen Überreste von Reverend Michael Dewsby.“| (S. 44) Für den Briten ist damit die Form in jeder Hinsicht gewahrt.

Dieser unerbittliche Sportsgeist ist es auch, die den kriminellen Teil der Handlung ins Rollen bringt. Nathaniel Goss, sonst jederzeit eine Stütze des erwähnten Empire, zögert keine Sekunde, als die Entscheidung ansteht, in tiefer Nacht dort feisten Karpfen nachzustellen, wohin er ansonsten pflichtbewusst niemals seinen Fuß gesetzt hätte. Doch so beginnt eine Tragikomödie der Irrungen & Wirrungen, in der nicht einmal die Schurken jemals die Übersicht behalten. Wer gehört zu ihrer Bande, wer kocht sein eigenes Süppchen? Wer gehört zur Polizei, wer schnüffelt sonst wieso herum? Niemand weiß es, was nicht ohne Folgen bleibt.

|Die Gegenwart der Vergangenheit|

„Dreimal schlug das Schicksal zu“ spielt im Sommer des Jahres 1952. Die Handlung gründet indes in doppelter Weise in der Vergangenheit. Den Untaten der Gegenwart ging sechs Jahre früher ein aufsehenerregendes Verbrechen voraus. Im Laufe der Ermittlungen stellt sich heraus, dass man wesentlich weiter zurückblicken muss: Caistor House steht auf historischem Grund: Zwischen 1642 und 1649 tobte in England der Bürgerkrieg zwischen den Anhängern König Karls I. und ihren republikanischen Widersachern unter Oliver Cromwell. Die Caistors waren Royalisten und dem Zorn der siegreichen Republikaner ausgesetzt. Sie schufen deshalb ein System unterirdischer Tunnel, in denen sie sich und ihre Schätze in Sicherheit bringen konnten.

In den ersten beiden Dritteln ist „Dreimal schlug …“ ein lupenreiner Rätselkrimi. Ganz klassisch und im Geist des sportlichen Miträtselns stellt uns Willock den Ort des Geschehens und das dort anwesende Personal detailliert vor; es gibt sogar eine Kartenskizze. Im letzten Drittel wird es – gut vorbereitet durch entsprechende Handlungspassagen – eher abenteuerlich: Die Ereignisse verlagern sich in geheime Gänge, eine alte Gruft, eine noch ältere Schatzkammer und schließlich in ein unterirdisches Höhlensystem, das sich nach einem Unwetter mit Flutwasser füllt.

Diese Kombination ist unwiderstehlich und lässt vergessen, mit welcher Beharrlichkeit Willock die Realitäten des Jahres 1952 ausblendet. Es schlägt sich bei ihm höchstens in der Anwesenheit von Automobilen oder Taschenlampen nieder, könnte man nur leicht übertreibend konstatieren. Ansonsten fallen Caistor House und das Stark Ford Hotel aus der Zeit heraus.

|Drama benötigt Personal|

Dazu passt die Figurenzeichnung. Schon die Wahl eines Verlegers als ‚Helden‘ ist pure Ironie. In seinem Berufsalltag lernen wir den kleinen Mann mit dem pompösen Namen Nathaniel Ironside Goss nicht kennen – wir wollen es auch nicht. Lieber ist uns der heimliche Abenteurer gleichen Namens, der nur mangelhaft bemänteln kann, mit welcher Freude er sich kriminalistisch betätigt. Dem trägt er durch eine Entschlossenheit Rechnung, die ihn mehrfach an den Rand einer Verhaftung bringt.

Aber sogleich klammert Autor Willocks die Realität wieder aus. Der spielverderberische Inspektor Carter wird von Chefinspektor Fford abgelöst, der nicht nur ein alter Bekannter, sondern ein Seelenverwandter von Goss ist. Also kann dieser seine Streitmacht ergänzen: Zum eifrigen Fotografen Winters gesellt sich die karikaturesk überzeichnete Miss Lutyens, die angeblich Sekretärin sein soll, aber nie in dieser Hinsicht tätig wird. Stattdessen bildet sie die dritte Seite des privatermittelnden Dreiecks sowie das weibliche Element der Geschichte.

Zwar gibt es noch weitere Frauen, doch diese sind entweder alt und schrullig oder verdächtig wie die schöne aber allzu „erfahrene“ – der Zeitgenosse wusste, was dieses Adjektiv umschrieb – Jane Saxe, die deshalb ein böses Ende nimmt. Miss Lutyens wird zwar von Goss und Winters durch den Spitznamen „Lutch“ als Teil der Gang akzeptiert und ist nicht nur hübsch, sondern auch selbstbewusst, taugt aber dennoch als „Frau in Gefahr“, die von den Schurken gefangengenommen und im Finale gerettet werden muss.

|Die Romantik des Abenteuers|

Selbstverständlich sind auch diese Bösewichte nicht von dieser Welt. Vor allem John Storm – nomen est omen – wirkt in Willocks Beschreibung wie ein Pirat, den es in die englische Provinz verschlagen hat. Im Zweiten Weltkrieg hat er im französischen Untergrund die Nazis in Angst und Schrecken versetzt; auch später war er eher eine tragische Gestalt: ein Abenteuer, der in die falsche Zeit geboren wurde.

Ohne jede Angst vor dem Klischee und diesem tatsächlich immer in letzter Sekunde ausweichend zeichnet Willock den bis zuletzt namen- und gesichtslosen Oberschurken als modernen Moriarty, der aus dem Hintergrund die Fäden zieht und bis zum Finale den Guten wie den Bösen stets einen Schritt voraus ist; wie es sich gehört, endet er nicht durch eine schnöde Festnahme.

Zum wesentlichen Element der Handlung wird die englische Landschaft. Hier spiegelt sich Willocks lebenslange Liebe zur Natur wider, der er im Rahmen zahlreicher Artikel, Bücher und TV-Dokumentation beredt Ausdruck zu verleihen wusste. Nie wird er kitschig sondern hält den Leser am Haken, um im Thema zu bleiben.

Dass dies auch in Deutschland so problemfrei gelingt, liegt an einer fabelhaften Übersetzung, für die einmal mehr Georg Kahn-Ackermann verantwortlich zeichnet. 1960 hat er sie vorgelegt, und sie ist höchstens gereift aber nicht veraltet. So mischt sich für den Rezensenten in die Freude, ein Lektüre-Juwel entdeckt zu haben, die traurige Erkenntnis, dass nur jene sie teilen werden, die sich auf eine Antiquariats-Expedition begeben.

_Autor_

Am 13. Januar 1919 in Finchley (Nord-London) geboren, besuchte Colin Dennistoun Willock Tonbridge School in der Grafschaft Kent. Er verließ die Schule mit 16 Jahren und wollte Journalist werden. Als der Zweiten Weltkriegs ausbrach, wurde Willock Soldat. Er ging den Royal Marines und diente in Afrika und Italien.

Nach dem Krieg gab Willock verschiedene Zeitschriften und Magazine heraus. Aubrey Buxton (1918-2009), Leiter des Fernsehsenders Anglia Television, holte ihn 1961 für eine neue TV-Serie. „Survival“ wurde eine der erfolgreichsten Natur-Doku-Reihen der Fernsehgeschichte und lief vier Jahrzehnte. Bis 1991 schrieb und produzierte Willock knapp 500 „Survival“-Episoden. Diese Arbeit führte ihn um den gesamten Erdball.

Darüber hinaus blieb Willock schriftstellerisch und journalistisch aktiv. Bekannt wurden seine Bücher über das Fischen, die Jagd und den Naturschutz. Insgesamt schrieb er 36 Bücher, darunter drei Kriminalromane. Im Alter von 86 Jahren ist Colin Willock am 26. März 2005 gestorben.

|Taschenbuch: 204 Seiten
Originaltitel: Death at the Strike (London : William Heineman 1957)
Übersetzung: Georg Kahn-Ackermann|

Golden, Christopher (Hg.) – The New Dead. Die Zombie-Anthologie

_Das geschieht:_

19 Autoren schrieben eigens für diese Sammlung neue Geschichten über böse oder gute, dumme oder schlaue, langsame oder schnelle aber immer tote Zombies:

– John Connolly: _Lazarus_ |(Lazarus)|, S. 9-18: Die kurze, so bisher unbekannte und tragische Geschichte des berühmtesten Zombies der biblischen Geschichte.

– David Liss: _Maisie_ |(What Maisie Knew)|, S. 19-58: Der perfekte Mord wird noch komplizierter, wenn das Opfer wieder zum Leben erweckt werden kann.

– Stephen R. Bissette: _Copper_ |(Copper)|, S. 59-98: Ihr Land hat sie vergessen, aber für tote US-Soldaten gibt es in ihrem kriminell verrottenden Heimatland viel zu tun.

– Tim Lebbon: _Im Staub_ |(In the Dust)|, S. 99-130: Als Überlebende einer Zombie-Seuche wurden sie in ihrer Stadt festgehalten, die sich nun vom Gefängnis zur Zuflucht wandelt.

– Kelley Armstrong: _Zum Leben verurteilt_ |(Life Sentence)|, S. 131-150: Wer reich und skrupellos genug ist, kann dem Tod durch Krankheit womöglich als Luxus-Zombie ein Schnippchen schlagen.

– Holly Newstein: _Delice_ |(Delice)|, S. 151-162: Wenn kriminelle Lebende zu mächtig sind, um für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden, können Untote diesen Job übernehmen.

– Brian Keene: _Der Wind ruft Mary_ |(The Wind Cries Mary)|, S. 163-168: Er ist tot, sie ist tot, und dennoch können sie nicht zueinanderkommen.

– Jonathan Maberry: _Familienbetrieb_ |(Family Business)|, S. 169-234: Zombies kann man ausrotten – oder sie im Auftrag der Hinterbliebenen von ihrem Elend erlösen.

– M. B. Homler: _Der Zombie, der vom Himmel fiel_ |(The Zombie Who Fell from the Sky)|, S. 235-262: Die Attacke der Untoten wird durch Experimente allzu fahrlässiger Militär-‚Experten‘ ausgelöst.

– Derek Nikitas: _Dolly_ |(My Dolly)|, S. 263-282: Wer wissen will, ob es ein Leben nach dem Tode gibt, muss einen Zombie fragen.

– Mike Carey: _Dritter Frühling_ |(Second Wind)|, S. 283-308: Der Untod erweist sich als Idealzustand für einen arbeitswütigen Börsenmakler.

– Max Brooks: _Abschluss mit beschränkter Haftung_ |(Closure, LTD)|, S. 309-316: Sie wollen ein untotes Familienmitglied oder ihre/n Geliebte/n erlösen? Das kann arrangiert werden.

– Aimee Bender: _Unter uns_ |(Among Us)|, S. 317-322: Wie definiert man „Zombie“ – und sind die Untoten nicht längst unter uns?

– Rick Hautala: _Geisterreuse_ |(Ghost Trap)|, S. 323-344: Tief unter dem Meer wartet ein untoter Fischersmann geduldig auf Beute.

– Tad Williams: _Die Sturmtür_ |(The Storm Door)|, S. 345-366: In einer fremden Dimension warten gierige Kreaturen auf durch Tod freigewordene Menschenhirne.

– James A. Moore: _Kinder und ihre Spielsachen_ |(Kids and Their Toys)|, S. 367-386: Viel interessanteren Zeitvertreib als normales Fundgut kann ein fast vollständig erhaltener Zombie bieten.

– Joe R. Lansdale: _Rack ’n‘ Break_ |(Shooting Pool)|, S. 387-402: Der Trickspieler will ein Landei ausnehmen und gerät an einen gänzlich toleranzlosen Zeitgenossen.

– David Wellington: _Die Geheimwaffe_ |(Weaponized)|, S. 403-434: Der globale Krieg gegen den Terror könnte von Untoten geführt werden, was freilich auch dem Gegner bekannt ist.

– Joe Hill: _Twittern aus dem Zirkus der Toten_ |(Twittering from the Circus of the Dead)|, S. 435-470: Der verhasste Urlaub mit den Eltern nimmt für das pubertierende Mädchen ein gänzlich unerwartetes Ende.

– Die Autoren, S. 471-476

|Sie kommen einfach immer wieder|

Die klassischen Monster der Unterhaltungsgeschichten sind zwar unsterblich aber keineswegs stetig präsent. Sie scheinen ihr Unwesen in Zyklen zu treiben. Mal sind sie weit außer Sichtweite, dann kehren sie mit Wucht zurück und sind quasi allgegenwärtig. Derzeit teilen sich Vampire – aktuell in ihrer genitalfreien Schmuse-Version – und Zombies die Bühne. Zumindest Letztere sind sich treu geblieben, d. h. hässlich, stinkend und menschenfressend.

Ein wenig seltsam ist es schon, dass sie sich dennoch – oder gerade deswegen? – solcher Beliebtheit erfreuen. Zumindest in Film und Fernsehen beschränkt sich die inhaltliche Variation des Zombie-Horrors in der Regel auf die Frage, ob die Untoten schlurfen, wie es George A. Romero 1968 in „Night of the Living Dead“ festgelegt hat, oder flinkfüßig ihren Opfern nachsetzen, wie dies seit dem „Dawn-of-the-Dead“-Remake von 2004 offiziell sanktioniert ist.

Auch in der Literatur sind die Zombies nicht gerade wandlungsfähige Unholde. Zumindest gilt dies, wenn sie in Romanlänge durch die Welt wanken. In ihrer Eigenschaft als Untote, die eigentlich unter die Erde gehören, nachdem man sich trauernd von ihnen verabschiedet hat, erzeugen sie Primär-Schrecken durch ihr Wiedererscheinen als grässliche Karikatur des geliebten Verstorbenen. Zweitens bildet der Zombie in der Horde eine handfeste äußere Bedrohung, der sich die Lebenden stellen müssen. Das Spannungselement resultiert hier aus dem Durchspielen der diversen Möglichkeiten.

|Zombie-Dienst nach Vorschrift|

Solche Zombies treffen wir selbstverständlich auch in den hier gesammelten Kurzgeschichten. Tatsächlich sind dies die Storys, die den geringsten Eindruck hinterlassen, weil sie nur einmal mehr aufwärmen, was wir längst kennen. Tim Lebbon und besonders M. B. Homler liefern reine Horror-Routine ab, auch wenn sich Homler (erfolglos) bemüht, seine Geschichte vom hart geprüften Hähnchen-Brater mit schwarzem Humor erträglicher zu gestalten.

Noch am besten schlägt sich unter den Vertretern der altbekannten Zombie-Eskapaden Rick Hautala. Er erreicht dies, indem er die Handlung unter den Meeresspiegel und dem Horror dadurch in eine fremdartige Umgebung verlegt. Das Geschehen bleibt ohne Überraschungen und das Ende schwach, aber die Atmosphäre gleicht es aus. Einen marginal anderen Weg schlägt David Wellington ein, der nie ein Freund des subtilen Grauens war. Er geht vom staatlich getragenen Missbrauch des Zombies als ferngelenkten Soldaten aus, findet aber starke Bilder für seine Story, die durch die betonte Sachlichkeit der Darstellung zusätzlich gewinnt.

Weder spannend noch stimmig zieht sich Tad Williams aus der Affäre. Er versucht, die Zombie-Thematik mit dem „Cthulhu“-Mythos des H. P. Lovecraft zu verbinden und scheitert dabei an beiden Ufern. Immerhin schlägt er eine Brücke, denn ihn beschäftigt wie viele andere Verfasser immer wieder eine Frage: Wie hirntot sind Zombies wirklich?

|Sie können auch anders|

Die Antwort hebt die Zombie-Thematik auf eine völlig neue Ebene. Tot aber denkfähig: Diese Kombination ist erschreckend – für jene, die sich mit klugen Menschenfressern herumschlagen müssen, aber auch für jene, die sich selbst in einem toten Körper wiederfinden. Die klassische Reaktion ist weniger das blanke Entsetzen, sondern das nagende Gefühl, betrogen worden zu sein. John Connolly thematisiert es eindrucksvoll am Beispiel von Lazarus, der von Jesus Christus in ein Leben zurückgerufen wird, das er im Tod längst hinter sich gelassen hat und in das er sich nicht mehr einfinden kann.

Durch den Kriegseinsatz psychisch geschädigte Soldaten werden nicht nur in den USA gern außer Sichtweite jener gehalten, die einer Fortsetzung des Kampfes zustimmen oder selbst einrücken müssen. Dieses Verdrängen funktioniert so perfekt, dass sich bei Stephen R. Bissette eine untote Truppe formieren kann, die sich selbst einen Auftrag gibt. Bissette ist zwar sentimental, glänzt aber auch durch Sarkasmus: So definieren sich die Untergrund-Zombies weiterhin US-patriotisch durch den Kampf gegen die Kriminalität, vor der die Lebenden längst die Waffen gestreckt haben. Eine ähnliche Laufbahn lässt Holly Newstein ihre über dem Gesetz stehenden und dadurch als Richter & Henker einsetzbaren Untoten einschlagen.

Am extremen Ende der Zombie-Evolution stehen jene Zeitgenossen, die im Un-Tod die Überwindung von Beschränkungen sehen, denen sie im Leben ausgesetzt sind. Mike Carey schildert einen besessenen Börsenspekulanten, den nicht einmal der Tod durch Überanstrengung von seinem Tun abhält. Er wird bewusst zum Zombie – und muss feststellen, dass auch dieses ‚Leben‘ gewissen Regeln folgt. Während Carey schlüssig nachzeichnet, wie unser Zombie-Spekulant erkennt, worauf er sich eingelassen hat, legt Kelley Armstrong eine thematisch ähnlich angelegte, stark startende Story vor, der in einem herbei gezwungenen, moralisierenden Ende die Luft abrupt ausgeht.

|Die Faszination des greifbaren Todes|

Wie geht man mit seinen Toten um, wenn diese zurückkehren? Mit dieser Frage beschäftigen sich ebenfalls mehrere Autoren. Gemeint ist wiederum nicht der Schrecken als Reaktion, sondern die Schwierigkeit, zwischen dem geliebten Toten und dem Zombie zu differenzieren. „Trauer“ und „Abschied“ müssen neu definiert werden, wenn der Abschied nicht ewig, sondern zeitlich begrenzt ist. Max Brooks lässt finanziell gut gepolsterte Hinterbliebene nach ihren Untoten fahnden, um sie vom demütigenden Zombie-Dasein zu erlösen. Auf eine ähnliche Mission – dieses Mal in einer post-apokalyptisch herabgesunkenen Welt – begibt sich Jonathan Maberrys Zombie-Jäger, der eher ein Sterbehelfer ist.

Wo die Zombies in Schach gehalten werden können, geraten sie in Gefahr, der alltäglichen menschlichen Grausamkeit zum Opfer zu fallen. James A. Moore lässt eine Horde neugieriger Kinder auf einen hilflosen Untoten los, die über dem ‚Spiel‘ mit der Kreatur die Grenzen der Menschlichkeit überwinden. David Liss entwirft eine Gesellschaft, die ihre perversen Gelüste an Untoten auslässt, für deren Misshandlung und Missbrauch niemand zur Rechenschaft gezogen werden kann.

|Leben und Tod|

Scheinbar am Thema vorbei gelingt Aimee Bender eine dennoch faszinierende Geschichte. Sie sammelt willkürliche, den Nachrichten entnommene Ereignisse, die zu der Frage führen, ob sich der zivilisierte Mensch nicht längst dem geistigen Untod ergeben hat. Gefangen und berieselt von den Massenmedien ist es womöglich gar nicht notwendig zu sterben, um sich in einen Zombie zu verwandeln.

Radikal mit dem Thema dieser Sammlung bricht Joe Lansdale. Er ignoriert den unterhaltsamen Horror der Untoten, indem er ihn mit der realen Gewalt konfrontiert. Dabei kommt er eindrucksvoll überzeugend zu dem Schluss, dass „tot“ einfach „tot“ bedeutet: das wahre Ende alldessen, was einen Menschen ausmacht, ist Tragödie genug und sorgt für einen Schrecken, der die nur mögliche Existenz von Zombies tief in den Schatten stellt.

Die Bandbreite des Zombie-Horrors ist breiter als gedacht, wie „The New Dead“ unter Beweis stellt. Nicht alle Autoren sind gleichermaßen erfolgreich in ihrem Bemühen – Brian Keene erleidet kurz und schmerzhaft Schiffbruch mit seinem Einfall, dem Untoten das klassische Gespenst gegenüberzustellen -, und gänzlich Neues beschränkt sich wie bei Joe Hill auf den Versuch, eine Gruselgeschichte unter Berücksichtigung der technischen Einschränkungen zu erzählen, die das Twittern mit sich bringt; übrigens kann sich das Ergebnis tatsächlich lesen lassen.

In Routinen und Klischees mischen sich oft Sentimentalitäten, die ans Herz oder wenigstens an die Nieren gehen sollen, aber eher auf den Magen schlagen oder gar Hirnsausen und Ärger verursachen. Dennoch ist die Mehrzahl der Storys lesenswert, und einige sind richtig gut in dem Sinn, dass sie nicht ’nur‘ Unterhaltung bieten, sondern zum Nachdenken anregen. Stehen beide Anliegen in einem ausgewogenen Verhältnis, können sogar Gammelfleisch-Zombies für Lektüre-Genuss sorgen!

_Herausgeber_

Christopher Golden wurde am 15. Juli 1967 im US-Staat Massachusetts geboren, wo er noch heute mit seiner Familie lebt. Er begann Anfang der 1990er Jahre, erste Bücher zu veröffentlichen. Für „Cut! Horror Writers on Horror Film“ wurde Golden von der „Horror Writers Association“ mit einem „Bram-Stoker-Award“ für das beste Sachbuch des Jahres 1992 ausgezeichnet.

1995 erschienen erste Romane, die ihn weniger als Schriftsteller, sondern als Handwerker zeigten, der sehr rasch und abgabepünktlich Auftragsarbeiten erledigen konnte. Dies prädestinierte ihn als Arbeiter in den Minen modernen Unterhaltungs-Franchises, die das Publikum – hier gleichgesetzt mit der Höchstmenge zahlungswilliger Käufer – gern mit maßgeschneiderten Produkten beliefern. Ab 1997 etablierte sich Golden im zu diesem Zeitpunkt blühenden Universum von „Buffy the Vampir Slayer“.

Seine unglaubliche Produktivität und seine Bereitschaft, mit Co-Autoren zusammenzuarbeiten, ließen ihm Zeit für weitere Bücher zu Filmen und TV-Serien. Außerdem skriptet Golden Comics sowie Videogames und schreibt Gamebooks; er gibt Story-Sammlungen heraus und findet immer wieder die Zeit, eigene Serien zu starten. Aus Goldens Feder stammt außerdem die Krimi-Serie „Body of Evidence“, die er ab 2000 Rick Hautala weiterführen ließ. Um seine Omnipräsenz als Fließband-Schreiber ein wenig zu kaschieren, legte sich Golden 2009 das Pseudonym „Thomas Randall“ zu, unter dem er eine weitere Reihe startete.

|Paperback: 476 Seiten
Originaltitel: The New Dead. A Zombie Anthology (New York : St. Martin’s Griffin 2010)
Übersetzung: Firouzeh Akhavan-Zandjani
Cover: Per Haagensen
ISBN-13: 978-3-8332-2253-5|
http://www.paninicomics.de

_Christiophe Golden bei |Buchwurm.info|:_
[„Hohle Erde“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2571

Campbell, Ramsey – Späte Gäste

_Das geschieht:_

19 Gruselgeschichten transportieren meisterhaft klassische Horrorthemen in die Gegenwart und decken dabei vom sehr ‚körperlichen‘ Gespenst bis zum Geist, der vor allem oder nur im Hirn seines Opfers lauert, das gesamte Spektrum der Phantastik ab:

– Aus dem Kamin |(The Chimney)|, S. 7-30: Was in der Weihnachtsnacht aus dem Kamin kriecht, schenkt einem unglücklichen Kind vor allem Albträume.

– Die Ratten im Schacht |(Down There)|, S. 31-48: Als die vom verrückt gestorbenen Hauseigentümer im Keller gehorteten Lebensmittel entsorgt sind, kommt hungrig zum Vorschein, was sich bisher von ihnen genährt hatte.

– Über der Welt |(Above the World)|, S. 49-64: Frisch geschieden erfreut sich Knox seiner Freiheit, bis er auf einer Wanderung an seine unglücklich geendete Ex-Gattin und deren ‚Lebens‘-Partner gerät.

– Napier Court |(Napier Court)|, S. 65–86: Im Fieberwahn wähnt sich die junge Frau nicht allein im Haus; sie erfährt sehr rasch, wie recht sie hat.

– Nachdruck verboten |(Out of Copyright)|, S. 87-96: Der geizige Verleger hat sich nie um Druckrechte gekümmert, weshalb ein lange toter Autor seine Sache selbst in die Klauenhand nimmt.

– Mörderische Träume |(The Depths)|, S. 97-126: Seine scheußlichen Albträume werden real, bis die Realität diesen Fehler und seinen Verursacher radikal tilgt.

– Der Untermieter |(Vacant Possesion)|, S. 127-133: Die böse Hexe hat ihn versklavt, aber es kommt ein Tag, an dem sie unachtsam ist.

– Eine leise Stimme |(The Little Voice)|, S. 135-159: Einst hat sie einen Fehler begangen – und der verfolgt sie jetzt und treibt sie in den Wahnsinn.

– Die Erholung |(Drawing In)|, S. 161-171: Dass sein Vermieter Spinnen sammelt, missfällt dem Feriengast sehr, und das Exemplar aus Transsylvanien gibt ihm den Rest.

– Grober Unfug |(The Trick)|, S. 173-193: Die böse Hexe unterschätzt ihre kleinen Widersacherinnen, aber auch diese müssen lernen, dass nicht jeder Sieg vollkommen ist.

– Nicht den Kopf verlieren! |(Heading Home)|, S. 195-201: Der verrückte Wissenschaftler gedenkt nicht, den Mord an seiner Person auf sich beruhen zu lassen.

– Die letzte Vorstellung |(The Show Goes On)|, S. 203-219: Zu spät erinnert sich Lee daran, wieso er in dem alten Kino einst Todesängste ausstand.

– Wer mit den Wölfen heult! |(The Change)|, S. 221-237: In das Thema seines neuen Grusel-Romans hat sich Don deutlich zu intensiv eingearbeitet.

– Neujahrsgrüße |(Calling Card)|, S. 239-246: Ihm wurde übel mitgespielt, doch da er nie der Hellste war, kommt er erst nach seinem Tod dazu, sich zu rächen.

– Baby |(Baby)|, S. 247-270: Die exzentrische Alte führe ihr Vermögen in einem alten Kinderwagen bei sich, heißt es; Dutton findet heraus, was wirklich dort nistet.

– Die Verwandlung |(Conversion)|, S. 271-276: Der rachedurstige Schwager wird von Graf Dracula nicht nur über den Tisch gezogen.

– Mackintosh Willy |(Mackintosh Willy)|, S. 277-298: Der von den Kindern gefürchtete Tramp ist tot, was ihn keineswegs sanftmütiger gestimmt hat.

– Ruf doch mal an! |(Call First)|, S. 299-306: Zu seinem Unglück findet Ned heraus, wie der alten Hexenmeister sein Haus gegen Einbrecher schützt.

– Der Begleiter |(The Companion)|, S. 307-320: Stone liebt Rummelplätze, doch um diesen hätte er einen großen Bogen schlagen sollen.

_Unglück und Grauen_

Gruselgeschichten von Ramsey Campbell sind mit Vorsicht zu genießen. Sie gehen ans Gemüt, und man sollte nicht allzu viele davon hintereinander lesen. Dies zu beherzigen ist allerdings schwierig, weil dieser Mann ein Meister seines Faches ist und seit vielen Jahrzehnten sein Publikum in Angst & Schrecken zu versetzen versteht. Darin erschöpft sich sein Talent nicht. Selbst dort, wo er sehr handfesten Spuk entfesselt, macht Campbell deutlich, dass der in der Regel Schrecken von Menschen mitgestaltet wird.

Dabei erwischt es nicht unbedingt jene Zeitgenossen, die etwas klassisch Böses getan haben. In „Ruf doch mal an!“ packt der Hausgeist nicht den Hexenmeister, sondern den tumben Ned, der wenigstens einmal seinem langweiligen Job entkommen und nur seine Neugier befriedigen wollte. Auch der unglückliche Stone hat sich in „Der Begleiter“ nichts zu Schulden kommen lassen, dass sein grausiges Ende ‚gerecht‘ wirken ließe. Oft spürt man echtes Mitleid mit denen, die Campbell dem Grauen vorwirft, werden sie doch im bzw. vom Leben genug gebeutelt. Die einsame Lehrerin in „Eine leise Stimme“, die unterdrückte Tochter in „Napier Court“ oder der Säufer Dutton in „Baby“ sind bereits Opfer, bevor der Schrecken in ihre Leben tritt.

|Die Schrecken des Alltags|

Faktisch ist es dieser Zustand des Unglücks, der Campbells Figuren empfänglich für die Besucher aus dem Jenseits macht. In langen, quälend überzeugenden Sequenzen stellt der Verfasser Menschen dar, die an den Rand der Gesellschaft geraten sind und nun endgültig über die Kante stürzen. Einsam kann man auch in der Ehe („Wer mit den Wölfen heult“) oder in der Familie („Aus dem Kamin“) sein. Campbells Protagonisten sind in einer grauen Alltagswelt gefangen. Sie schuften freudlos in schlecht bezahlten Jobs, hausen in ungemütlichen Wohnungen oder Häusern, die niemals Heim sind, leben anonym in den hässlichen Vierteln ohnehin kalter, gleichgültiger Großstädte. Furcht und Misstrauen bestimmt diese Karikatur einer ‚Gemeinschaft‘. Nicht einmal die Jugend ist unschuldig („Mackintosh Willy“) oder vor dem Verderben gefeit („Grober Unfug“).

Allmählich können diese Menschen ihre Niedergeschlagenheit nicht mehr vor sich bemänteln. Der Schutzpanzer bekommt Risse, das Leben gerät aus der Bahn. Nur verdrängte, nie verarbeitete Demütigungen und Ängste, aber auch unerfüllte Triebe und unterdrückte Lüste brechen neu und stärker denn je auf. Aus Einsamkeit wird Paranoia, das Leben degeneriert zum endlosen Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Die Opfer werden zur Gefahr: für sich und für ihre Umwelt. Nicht immer ist ein ‚echtes‘ Monster erforderlich. Diese Figuren erschaffen ihre Monster selbst („Grober Unfug“, „Baby“, „Mackintosh Willy“). Mit dem ihm eigenen, sehr zynisch gefärbten Sinn für Ironie gestaltet Campbell das tragische Ende doppelt schaurig: Das eingebildete Grauen entpuppt sich plötzlich als real.

Die weiter oben erwähnte ‚Gefahr‘ lässt sich in die Frage fassen, ob der Leser für die Stimmungen absoluter Hoffnungslosigkeit empfänglich ist, die Campbell mit diabolischem Geschick zu beschwören weiß. Dunkelheit, Kälte, Feuchtigkeit, Schmutz, Verfall, Krankheit: Nicht nur das eigene Hirn, sondern auch die Natur scheint mit dem Grauen zusammenzuarbeiten. Wenn die Sonne ausnahmsweise hell am Himmel steht, sorgt sie nicht für Wärme und Behaglichkeit, sondern dörrt und blendet. Systematisch versperrt Campbell seinen Figuren jeden möglichen Ausweg. Dies zu beobachten, lässt den Leser zusätzlich schaudern.

|Ein Unglück kommt niemals allein|

Einen ‚Sinn‘ muss das Geschehen nicht zwangsläufig ergeben. Was dem Wanderer Knox in „Über der Welt“ tatsächlich zustößt, ist ebenso rätselhaft wie das Ende von „Die letzte Vorstellung“. Die „Ratten im Schacht“ sind natürlich keine Nagetiere, und die Visionen, die den unglücklichen Knaben in „Aus dem Kamin“ plagen, sind nur Schrecken, weil sich ihre Warnungen nicht erschließen.

Wenigstens manchmal gönnt uns Campbell einen Lichtblick, weil der Schrecken jene fällt, denen wir ihr Schicksal gönnen. Dem arroganten Verleger in „Nachdruck verboten“ einen toten Autor auf den Hals zu hetzen, dürfte dem Schriftsteller-Profi Campbell, der in dieser Hinsicht seine eigenen Erfahrungen machen musste, persönliches Vergnügen bereitet haben. Auch die Hexe in „Der Untermieter“ hat ihr Ende selbst herausgefordert; das Böse lässt sich vielleicht unterdrücken, aber es wartet geduldig auf jenen Moment der Schwäche, der nur allzu menschlich ist und auch für den Schurken kommen wird … Wie Campbell in „Nicht den Kopf verlieren!“ eindrucksvoll belegt, ist dieses Risiko immer aktuell, denn das scheinbar wehrlose Opfer kann mit einem gänzlich unerwarteten Trumpf aufwarten.

In diesen Geschichten stellt Campbell klar, dass nicht nur H. P. Lovecraft (1890-1937) sein großes Vorbild ist. Der stille, rabenschwarze Humor und die unendliche Rachsucht seiner Spukgestalten zeigt ihn auch als modernen Meister der „ghost story“ im Stil von Montague Rhodes James (1862-1936). Die bemerkenswert effektvolle Darstellung von Angst und Bedrohung erinnert an Algernon Blackwood (1869-1951). Lovecraft, James und Blackwood können zufrieden sein. In Ramsey Campbell haben sie nicht nur einen talentierten Epigonen, sondern einen Nachfolger mit eigener, klarer, furchterregender Stimme gefunden.

|Anmerkung:|

Verzichten muss der deutsche Leser übrigens auf die Storys „The Man in the Underpass“ und „In the Bag“. Für die hierzulande erscheinende Ausgabe von „Dark Companions“ war verlagsseitig ein Höchstumfang von 320 Seiten festgelegt und die Einhaltung des kalkulierten Kostenrahmens wichtiger als eine vollständig übersetzte Sammlung – schließlich ging es nur um Horror …

_Autor_

John Ramsey Campbell, geboren am 4. Januar 1946 in der englischen Großstadt Liverpool. Ist seit einem halben Jahrhundert als Schriftsteller aktiv und gilt längst als einer der Großmeister der modernen Phantastik. Die frühen Kurzgeschichten sind noch stark vom Vorbild H. P. Lovecraft (1890-1937) geprägte aber durchaus innovative Beiträge zum klassischen „Cthulhu“-Mythos. Später siedelte Campbell seine Geschichten in England an und emanzipierte sich von Lovecraft.

In seiner Kollektion „Demons by Daylight“ zeigte er 1973, dass er eine eigene, trügerisch leise doch unüberhörbare Stimme gefunden hatte. Das Grauen kam zunehmend psychologisch begründet daher, nistete in den Köpfen der unglücklichen Protagonisten und wurde in klarer Prosa entfesselt. Zunehmend bezog Campbell die soziale Realität als Katalysator für seine Geschichten ein. Armut, Arbeitslosigkeit, Gewalt in der Familie, Kindsmissbrauch – das alltägliche Grauen ließ den Horror „von drüben“ oft reichlich blass wirken.

1976 veröffentlichte Campbell seinen ersten Roman, der ausgerechnet in Deutschland ein übles Schicksal erlebte: „The Girl Who Ate His Mother“ wurde unter dem Titel „Die Puppen in der Erde“ rüde gekürzt und sinnentstellt. („Butchered in German“, zürnt Campbell immer noch auf seiner Website.) Die nächsten Romane verschafften Campbell die Aufmerksamkeit der Kritik sowie ein begeistertes Publikum.

Campbell blieb als Verfasser von Kurzgeschichten sehr aktiv. Er experimentiert thematisch und stilistisch und weiß immer wieder zu überraschen; eine lange Liste nationaler und internationaler Preise belegt eindrucksvoll seinen Erfolg und seine Bedeutung für die moderne Phantastik. Sein einschlägiges Wissen über das Horrorgenre stellt er als reger Herausgeber in zahlreichen Horrormagazinen unter Beweis, wobei ihm oftmals interessante Neu- und Wiederentdeckungen glücken. Als Präsident der „Society of Fantastic Films“ ist Campbell auch im Medium Film vertreten. Er rezensiert Horrorfilme und -DVDs für das BBC Radio Merseyside.

|Taschenbuch: 320 Seiten
Originaltitel: Dark Companions (London : Fontana 1982)
Übersetzung: Irene Paetzold (13), Ingrid Herrmann (3), Regine Miosga (3)
Cover: Jill Baumann
ISBN-13: 978-3-404-13081-8|
http://www.ramseycampbell.com
http://www.luebbe.de

Clark Ashton Smith – Die Stadt der Singenden Flamme (Gesammelte Erzählungen – Band 1)

Der erste Band einer geplanten Gesamtausgabe der Erzählungen von Clark Ashton Smith (1893-1961) sammelt dessen spannend-schwarzhumorige Geschichten über die vorzeitliche Insel Hyperborea; hinzu kommen Grusel- und SF-Storys, die Smith für zeitgenössische Magazine schrieb: eine großartige Sammlung betörend exotischer, absurder, einfallsreicher Texte, die einen hierzulande noch immer wenig bekannten Großmeister der Phantastik offenbaren.
Clark Ashton Smith – Die Stadt der Singenden Flamme (Gesammelte Erzählungen – Band 1) weiterlesen

O’Carroll, Gerry – Seelenrächer, Der

_Das geschieht:_

Als Eva Quinn am Jahrestag des Unfalltodes ihres Sohnes noch spät in der Nacht an seinem Grab trauern möchte, wird sie auf dem Glasmerin-Friedhof der irischen Hauptstadt Dublin überfallen und entführt; der Kidnapper begräbt sie lebendig, denn sie soll jämmerlich verdursten – ein Tod, der zuvor schon sechs andere Frauen ereilt hat.

Dieses Mal hat sich der Täter an der Ehefrau eines Polizisten vergriffen: Moss Quinn ist Detective Inspector bei der Garda Síochána, der irischen Nationalpolizei, sein Kollege und Freund Sergeant Joe Quinn ist Evas Onkel. Der Affront geht noch weiter, denn genau diese beiden Beamten hatten bisher die Mordserie bearbeitet und sogar einen geständigen Täter präsentiert. Doch Doyle hatte Conor Maggs, der schon seit seiner Jugend als Prügelknabe herhalten musste, beim ‚Verhör‘ brutal zusammengeschlagen; Maggs wurde entlassen und lebt seitdem in London. Quinn und Doyle gerieten unter den Druck der Justiz und der Medien, der Mörder treibt weiterhin sein Unwesen.

72 Stunden kann Eva ohne Wasser überleben. Diese Frist bestimmt die Ermittlungen, die hektisch und ohne Rücksichten vorangetrieben werden. Mit Feuereifer heizt die Garda der Unterwelt von Dublin ein. Doch hier ist man ratlos; nie würde man die Polizei auf diese Weise reizen. Folglich müssen persönliche Gründe hinter der Entführung stecken – und dies weist auf Conor Maggs hin, der guten Grund zur Rache hätte.

Als Quinn und Doyle erfahren, dass Maggs längst heimlich nach Dublin zurückgekehrt ist, setzen sie ihm erneut hart zu. Doch Maggs wehrt sich nicht nur, er weckt auch Zweifel: Ist den Polizisten bekannt, dass Patrick McGuire, ein Freund der Familie Quinn, seit Jahren unsterblich aber hoffnungslos in Eva verliebt ist? Diese Information birgt Zündstoff, denn Patrick ist der Bruder von Chief Superintendent Frank McGuire, Quinns Vorgesetzten. Ein Verdacht keimt auf, und er ist ebenso gefährlich wie unmöglich unter Verschluss zu halten …

_Die Unsterblichkeit der Vergangenheit_

Nicht nur alte Liebe rostet nicht; Hass ist sogar noch beständiger. Er kann an der Oberfläche längst überwunden sein und doch in einem windstillen Winkel des Gedächtnisses weiterschwelen, bis ihn eine provokationsfrische Brise eines emotionalen Tages wieder anfacht. In unserem Fall verbindet sich gut abgelagerter, hochprozentiger Hass mit beträchtlicher Cleverness.

Der Mörder ist ein Ungeheuer, aber er wurde quasi zu einem gemacht, und die Hauptfiguren dieses Dramas haben ahnungslos oder gleichgültig ihren Anteil daran gehabt. Diese Erkenntnis ist das Ergebnis nur einer der Wendungen, die Gerry O’Carroll die Handlung immer wieder nehmen lässt. „Der Seelenrächer“ ist trotz des deutschen Plump-Titels, der wohl das Publikum für Psycho-Kitsch à la Joy Fielding locken soll, ein Thriller, der durch seine Kompromisslosigkeit gleichermaßen überrascht wie fasziniert.

Hier treten nur scheinbar die üblichen Abziehbilder – der irre aber geniale Schurke, der beruflich bedrängte und privat gescheiterte Polizist – gegeneinander an. Zwar anwesend aber ebenfalls nicht in ihrer üblichen Funktion als Zeilenschinder sind die leidende Gattin, die traurigen Kinder, die verführerische Kollegin u. a. Figuren, die gern zu Lektürespaß-Dieben entarten. O’Carroll läßt nicht zu, dass sie das Geschehen an sich reißen und einen guten Krimi mit billiger Seifenoper verwässern.

|Die Ratlosigkeit der Profis|

Im Zentrum steht der Fall, ohne dass der Autor die menschlichen Aspekte des Geschehens vernachlässigen würde. Der Suspense-Druck ist allgegenwärtig. So gibt es keine Kapitelüberschriften, sondern nur Tagesdaten und Uhrzeiten: Obwohl O’Carroll nur selten zu Eva in ihrem Erdgrab umschaltet, wissen wir, dass die Uhr tickt und ihre Zeit abläuft.

O’Carroll spiegelt dies in einer Handlung wider, die an Tempo unmerklich aber stetig zunimmt. Die Not heiligt wie der Zweck die Mittel, doch unter Zeitdruck und Stress leidet die Fahndungsmethodik, was wiederum dem Täter in die Hände spielt. Dieser ist wie gesagt clever aber keineswegs ein Genie. Einer systematischen Ermittlung könnte er nicht lange standhalten, aber Raffinesse ist in der beschriebenen Situation unmöglich. Entscheidungen müssen schnell getroffen werden, auch wenn sie falsch sein mögen: Es muss vorangehen!

Die Polizisten sind ratlos, müde und zunehmend verzweifelt. Den sorgfältig zusammengestellten Botschaften des Täters schenken sie zunächst kaum Beachtung. Stattdessen wird die Ermittlungsmaschinerie auf Hochtouren gebracht – und läuft ins Leere, denn dies ist eben kein Verbrechen, das sich durch Routine und Insidertricks klären ließe, indem man die Unterwelt unter Druck setzt. Hier spielen Emotionen die Hauptrolle; sie verleihen der Polizeiarbeit einen zunehmend schrillen Unterton.

|Fallverlauf mit Hakenschlägen|

Die Kunst des Twists ist auch die tragische Geschichte literarischen Versagens. Der Versuch, eine auf Kurs gebrachte Handlung so aus dem Ruder laufen zu lassen, dass geschilderte Ereignisse plötzlich eine gänzlich andere Bedeutung gewinnen, ist riskant und schwierig. Wenn er allerdings glückt, ist der Erfolg garantiert. O’Carroll gelingt dies gleich dreifach. Jedes Mal sind wir davon überzeugt, jetzt die Entlarvung des Täters zu erleben. Stattdessen schlägt die Handlung einen weiteren Haken und landet schließlich dort, wo wir sie sicherlich nicht erwartet hätten.

Dabei hat es O’Carroll nicht einmal nötig, sich an dem im Genre heute so beliebten Epilog-Twist zu versuchen, der nach Abschluss der eigentlichen Handlung für Sensationen sorgen soll, die ausschließlich dem Leser gelten und der Story oft schaden. „Der Seelenrächer“ endet, wenn das letzte Ereignis-Steinchen gesetzt ist. Wie es den Überlebenden nach dem Schlussgong ergeht, spart O’Carroll aus.

Abermals sorgt die Beschränkung auf das Wesentliche für Spannung. Die Unsicherheit der Ermittler teilt sich dem Leser mit. Polizei-Humor, wie ihn Ian Rankin oder Stuart MacBride einfließen lassen, sucht er hier vergebens. Hier wirft man sich nicht gegenseitig Knüppel zwischen die Beine. Zwar wird ausgiebig gestritten, doch man arbeitet zusammen.

|Lokalkolorit ist mehr als Ortskenntnis|

Gerry O’Carroll ist ‚vom Fach‘. Viele Jahre war er selbst für die Garda Síochána tätig. Für innerpolizeiliche Probleme ist er keineswegs blind, aber als Kritiker sieht er sich höchstens, wenn es darum geht zu schildern, wie der Polizei seitens der Politik, der Medien oder der Öffentlichkeit Unrecht getan wird, die alle fern vom Schuss auf Ergebnisse pochen, doch sich dafür die Finger nicht schmutzig machen wollen.

So sollte man mit O’Carrolls nicht gerade optimistische Weltsicht berücksichtigen, um diesen Thriller verstehen und genießen zu können. Joe Doyle, dem gern die Faust ausrutscht, ist kein Kandidat für die Anklagebank, sondern nach O’Carroll genau der grobe Klotz, der eine Ordnungsmacht effizient komplettiert. Nur mit Männern wie Doyle lässt sich eine Kriminalität in Schach halten, die sich an keine Vorschriften halten muss. Auf diese Weise hat sich ein ungeschriebenes Regelwerk mit wenigen aber wichtigen Kapiteln entwickelt, an das sich sowohl die Dubliner Unterwelt als auch die Polizei hält – bisher, denn der Verfasser deutet zumindest an, dass auch das Verbrechen sich globalisiert. Vor allem aus Asien und den Staaten des untergegangenen Ostblocks drängen neue Organisationen ins Land, die sich an Ganovenehre nicht gebunden fühlen. Auf diese Weise zahlt das moderne Irland seinen Preis für den Anschluss an die Welt. Dabei sind nicht einmal die Probleme der eigenen Vergangenheit bewältigt. Vor allem die Jahrhunderte der oft grausamen britischen Oberherrschaft, die erst 1922 mit der Gründung Republik Irland endete, sind keineswegs überwunden, zumal der Nordosten weiterhin zum Königreich gehört.

Dass den Leser eine angenehme Überraschung erwartet, ist an dieser Stelle hoffentlich klar zum Ausdruck gekommen; dies muss auch deshalb herausgestrichen werden, weil „Der Seelenfänger“ zwar gut übersetzt wurde, aber mit einem nichtssagenden Cover ‚getarnt‘ in der in die Buchmärkte schwappenden Taschenbuch-Flut unterzugehen droht. Dabei ist dies keineswegs ein typischer Verbrauchs-Krimi, sondern ein Roman, der Aufmerksamkeit verdient!

_Autor_

1947 in Irland geboren, trat Gerry O’Carroll in den frühen 1970er Jahren in den Dienst der Garda Síochána, der irischen Nationalpolizei. In den nächsten drei Jahrzehnten arbeitete nicht nur an einigen der berühmtesten Kriminalfälle mit, sondern wurde auch immer wieder mit den Folgen des Terrors konfrontiert, der aus der Spaltung Irlands resultiert. So war er beispielsweise prominent an den Ermittlungen gegen Martin „The General“ Cahill, einen brutalen Gangsterboss in Dublin, beteiligt, der 1994 von der RAF ermordet wurde.

Seit er den aktiven Polizeidienst verlassen hat, ist O’Carroll als Fachmann für das moderne Verbrechen gern gesehener Gast in den Medien. Außerdem schreibt er für Zeitschriften. Als der Regisseur John Boorman 1998 Aufstieg und Fall des Martin Cahill unter dem Titel „The General“ (dt. „Der General“) verfilmte, beriet O’Carroll den Schauspieler Jon Voight, der als „Inspector Ned Kenny“ quasi in seine Rolle schlüpfte.

Erstmals als Buchautor trat O’Carroll 2004 hervor. Unter dem Titel „The Sheriff“ erinnerte er sich an seine größten Fälle. 2010 erschien „A Gathering of Souls“ (dt. „Der Seelenrächer“). O’Carroll blieb im Thema und schrieb einen Polizei-Thriller im Umfeld der Garda Síochána.

|Taschenbuch: 381 Seiten
Originaltitel: The Gathering of Souls (Dublin : Liberties Press 2010)
Übersetzung: Birgit Moosmüller
ISBN-13: 978-3-442-47514-8|
http://www.randomhouse.de/goldmann

|eBook: 708 KB
ISBN-13: 978-3-641-06626-0|
http://www.randomhouse.de/goldmann

|Hörbuch-Download: 704 Min.
Gelesen von Hans Jürgen Stockerl
ISBN-13: 978-3-8445-0821-5|
http://www.randomhouse.de/hoerverlag

Rosenhayn, Paul – Elf Abenteuer des Joe Jenkins

_Das geschieht:_

Unmögliche Übeltaten sind die Spezialität des Detektivs Joe Jenkins, der im Europa des Jahres 1915 elf eben doch nicht so genialen Gaunern auf die Schliche kommt:

– Gestatten, Paul Rosenheyn. Eine kurze Vorstellung von Rob Reef, S. 7-9

– |Das grüne Licht|, S. 13-37: Über nur scheinbar gut versteckten Geheimpapieren leuchtet immer wieder ein unheimliches Licht, das Joe Jenkins einem sehr realen Verursacher zuordnen kann.

– |Wenn die Toten wiederkehren|, S. 38-54: Als die Gattin ihren verstorbenen Ehemann zu sichten glaubt, landet sie in der Zwangsjacke; Joe Jenkins sieht Zusammenhänge zwischen dem Spuk und einem reichen Erbe.

– |Proszeniumsloge Nr. 1|, S. 55-72: Dass ausgerechnet ein Prominenten-Mord den erfolgreichen Start einer neuen Zeitung begleitet, ruft Joe Jenkins auf den Plan.

– |Der Geldbrief|, S. 73-83: Der Raum war nachweislich fest verschlossen, trotzdem verschwand der titelgebende Brief; Joe Jenkins löst das Rätsel und damit den Fall.

– |Ein Ruf in der Nacht|: S. 85-97: Nächtliche Telefonanrufe und mysteriöse Botschaften ängstigen einen Fabrikanten, bis Joe Jenkins dem Geheimnis auf den profanen Grund geht.

– |Das Haus im Schatten|, S. 99-111: Was sein neuer Mieter in dem alten Gebäude treibt, dünkt den Besitzer so seltsam, dass er Joe Jenkins um Hilfe bittet.

– |Das Logenbillett|, S. 113-123: Der Einbruch scheint ein klarer Fall zu sein, bis Joe Jenkins entdeckt, dass der geleerte Safe von innen aufgeschweißt wurde.

– |Rauch im Westwind!|, S. 125-143: Die Elite der skandinavischen Flugpioniere wird durch eine Absturzserie dezimiert, der Joe Jenkins ein Ende zu bereiten gedenkt.

– |Der Similischmuck|, S. 145-170: Dass die junge Frau von einem Hausierer Schmuck erwarb, dessen Wert sich im sechsstelligen Bereich bewegt, kommt nicht nur dem Gatten, sondern auch Joe Jenkins verdächtig vor.

– |Die Amati|, S. 171-192: Der Musikus fühlt sich von einem gespenstischen Doppelgänger verfolgt, aber nach Joe Jenkins‘ Meinung spukt diesem Geist vor allem die wertvolle Geige seines Opfers im Kopf herum.

– |Die Visitenkarte|, S. 195-212: Immer wieder werden dem reichen Geschäftsmann die Visitenkarten eines längst verstorbenen Zahnarztes zugeschickt; Joe Jenkins klärt mit dem Rätsel auch eine alte Tragödie auf.

|Von wegen „altmodisch“!|

Das Jahr 1915 dürften die meisten Menschen des 21. Jahrhunderts mit der Zeit Napoleons oder gar dem Mittelalter gleichsetzen. Auf flimmernden, stummen Filmbildern eilen seltsam gekleidete Männer und Frauen zappelig über seltsame Schauplätze; man möchte sie fast bedauern, weil sie in einer Welt ohne Fernsehen, Internet oder Handy leben mussten.

Doch solches Mitleid wäre nicht nur fehl am Platz, sondern denkbar falsch. Das Leben in einer Großstadt wie Berlin – hier spielen die meisten Joe-Jenkins-Geschichten dieses Bandes – war 1915 erstaunlich modern. Es gab Elektrizität, Automobile oder das Telefon; diese und viele andere Errungenschaften waren längst im alltäglichen Einsatz, und Joe Jenkins bedient sich ihrer mit virtuosem Geschick. Hinzu kam ein Eisenbahnnetz, dessen Funktionalität die Kaputtsparer der Gegenwart schamvoll erröten lassen müsste: Jenkins hat kein Problem, jede Großstadt Europas binnen beachtlich kurzer Zeit zu erreichen, und über die Meere dieser Welt spannt sich zusätzlich ein dichtes Netz gut organisierter Schifffahrtslinien. Das Telegramm ersetzt sehr effizient SMS und E-Mail. Jenkins kann problemlos diesseits und jenseits des Großen Teiches arbeiten.

Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Protagonisten der hier gesammelten Geschichten in einer gar nicht primitiven Vergangenheit – die für sie natürlich Gegenwart ist – tummeln, bildet ein Jahrhundert später sicher die größte Überraschung für den Leser. Auch die Sprache stört nicht den Lektüregenuss, obwohl es natürlich steife Formulierungen und Begriffe gibt, die inzwischen dem Zahn der Zeit zum Opfer fielen. (Für die Neuausgabe griff Herausgeber Reef hier und da behutsam ein; aus einem „Nigger“, der 1915 ebenso selbstverständlich wie heute undenkbar so genannt werden konnte, wurde beispielsweise ein „Schwarzer“.)

|Verbrechen ist nicht ganz zeitlos|

Das Alter der Geschichten macht sich anderweitig bemerkbar. Der schon modernen Technik hinken die Menschen in ihrem Denken und Handeln deutlich hinterher. Die Gesellschaftsordnung wird noch stark durch eine Vergangenheit geprägt, die dem Adel quasi automatisch einen höheren Status zubilligte als dem womöglich ebenso vermögenden aber ‚gewöhnlichen‘ Fabrikanten und Geschäftsmann. In den Nischen dieses Kastensystems kann sich ein Mann wie Joe Jenkins frei bewegen. Er verkörpert in gewisser Weise die Zukunft: Nicht der in die Wege gelegte Stand, sondern Intelligenz und Erfolg öffnen Jenkins alle Türen. Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für den Rest der (zivilisierten) Welt, denn Joe Jenkins ist das frühe Exemplar eines ‚globalisierten‘ Menschen, der sich um politische Grenzen wenig schert.

Diese Freiheit ermöglicht es ihm, hinter Fassaden zu blicken sowie sich die Starrheit des Systems zunutze zu machen. Jenkins ist selbstverständlich auch ein Meister der Maske. Als solcher imitiert er das zum jeweiligen Umfeld passende Verhalten und verschmilzt so mit den dort ahnungslos bleibenden Menschen, denen ein solches Verhalten fremd ist. Auf diese Weise gelingen Jenkins Tarnungserfolge, die der heutige Leser, dem die Getäuschten außergewöhnlich naiv erscheinen, schwer nachvollziehen kann. Zusätzlich irritierend ist ein sentimentaler Grundton, der Gefühle zur Rührseligkeit ausarten lässt: Jede Zeit rührt auf ihre eigene Weise am Herzen des Lesers!

|Ermittler der Stirn und der Faust|

Zwar ist Joe Jenkins ebenso wie sein Vorbild Sherlock Holmes eine reine Kunstfigur. Dennoch gibt es beträchtliche Unterschiede, die sich nicht darauf beschränken, dass Jenkins wesentlich wagemutiger und aktiver wirkt. Noch stärker als bei Arthur Conan Doyle steht für Paul Rosenhayn „der Fall“ im Mittelpunkt. Das Cover der aktuellen Neuausgabe greift die Konsequenz zufällig aber zutreffend auf: Es zeigt Jenkins als Mann ohne Gesichtszüge.

In der Tat ist dieser Detektiv weniger Mensch als |thinking machine| – ein Ermittlungs-Roboter, dem Gefühle völlig fremd zu sein scheinen. Doyle ergänzte seine Holmes-Geschichten klug durch Passagen, die den Detektiv als beherrschten und exzentrischen aber eben auch menschlichen Helden zeigten. Die daraus resultierende Identifizierung des Lesers mit Holmes geht Jenkins vollständig ab. Zumindest in diesen elf Abenteuern zeigt er Teflon statt Gemüt. Selbst der Name ist nichtssagend, obwohl ihn Gut & Böse in aller Welt kennt und ehrfürchtig bzw. angstvoll ausspricht. Wir mögen Jenkins bewundern, aber wir bangen weder mit noch um ihn.

Zumal Jenkins niemals wirklich in Gefahr gerät. Manchmal gerät er in Fallen. Kurz darauf stellt sich heraus, dass er über deren Vorhandensein längst informiert war und Gegenmaßnahmen ergriffen hat. Jenkins kann und weiß im Grunde alles. Er scheint auf ein beachtliches Netz von Informanten und Helfern zurückzugreifen, doch Rosenhayn geht diesbezüglich nie ins Detail. Auch einen Watson, der nicht nur berichtet, sondern auch kommentiert, gibt es nicht.

Die Emotionslosigkeit einer Figur, die immerhin eine eigene Serie trägt, überrascht sehr. Dass Rosenhayn schnell schrieb und die Joe-Jenkins-Geschichten triviale Unterhaltung bieten sollten, muss dafür nicht verantwortlich sein, denn Conan Doyle war ähnlich rasch mit der Feder. Rosenhayn hat Jenkins womöglich absichtlich schwach konturiert. Seine Leser scheint dies nie gestört zu haben. Bis zu Rosenhayns Tod lasen sie begeistert immer neue Jenkins-Geschichten und -Romane.

|Die Mechanismen der Spannung|

Dafür griff Rosenhayn oft und tief in die Trickkiste. Was Spannung versprach, wurde aufgegriffen. Gern arbeitete der Autor mit Elementen des Schauerromans. Geister und verrückte Wissenschaftler schienen ihr Unwesen zu treiben und wurden von Rosenhayn mit entsprechenden stilistischen Mitteln heraufbeschworen, um in einem doppelt überraschenden Finale erstens auf menschliche Umtriebe zurückgeführt zu werden, während zweitens der Verursacher als Übeltäter identifiziert wurde. Dabei riss Rosenhayn meist die Maske vom Gesicht eines Biedermanns, der bisher als unverdächtiger Zeuge oder gar als Opfer galt.

Diese Szenen wirken heute wenig überraschend. Oft ahnt oder weiß der Leser bereits, wer hinter der jeweiligen Lumperei steckt. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass Rosenhayn für ein Publikum schrieb, das 1915 noch längst nicht so ‚erfahren‘ war und für das folglich vieles neu und erstaunlich war. So dürfte eine Geschichte wie „Proszeniumsloge Nr. 1“, die schließlich in der Identität von Erzähler und Täter gipfelt, für Aufsehen gesorgt haben. Heute gilt immerhin anzumerken, dass Agatha Christie erst 1926 (in „The Murder of Roger Ackroyd“, dt. „Alibi“) auf diese Idee kam!

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden also in Deutschland Kriminalgeschichten, die sich auch heute noch spannend und interessant zugleich lesen. Selten genug werden sie der Vergessenheit entrissen, Dass Robert Schulze das Risiko einging, Joe Jenkins nach vielen Jahrzehnten eines reinen Archivdaseins wieder aufzulegen, sollte die verdiente Aufmerksamkeit in Gestalt vieler interessierter Leser finden. Krimi-Klassik ist keine rein britische Angelegenheit – auch hierzulande wurde sie gepflegt.

_Autor_

Paul Rosenhayn wurde am 11. Dezember 1877 in Hamburg als Sohn eines Handelskapitäns geboren. Er wuchs zunächst in England auf, wo er auch zur Schule ging, bis er auf ein deutsches Gymnasium wechselte. Später studierte Rosenhayn einige Semester Jura, entschied sich dann jedoch für eine journalistische Laufbahn. Seine guten englischen Sprachkenntnisse öffneten ihm die Welt. Rosenhayn reiste ausgiebig durch Europa und Amerika; in Indien siedelte er sich für mehrere Jahre an. In dieser Zeit schrieb er für englische und deutsche Zeitungen.

Als der I. Weltkrieg diesem Wanderleben ein Ende setzte, kehrte Rosenhayn nach Deutschland zurück und begann Kriminalgeschichten zu schreiben. Sich vage am Vorbild Sherlock Holmes orientierend, schuf er den ähnlich scharfsinnigen aber wesentlich tatkräftigeren Joe Jenkins, der zwar aus den USA stammt, aber in Europa und hier vor allem in Deutschland wie zu Haus ist.

Rosenhayns zweites Standbein wurde die Filmindustrie. Nicht Kino-Kunst, sondern Unterhaltung ließ die Kassen klingeln, und Rosenhayn konnte liefern. Zuverlässig und schnell schrieb er insgesamt etwa 40 verfilmte Drehbücher, wobei er den Krimi bevorzugte und sich stark auf tagesaktuelle Ereignisse stützte. Dank seiner Zweisprachigkeit konnte Rosenhayn seine Werke auch im Ausland anbieten. 1929 entstand in den USA der (Ton-) Film „Careers“, zu dem Rosenhayn mit Alfred Schirokauer die Vorlage geliefert hatte. Der Weg über den Atlantik und eine Zukunft in Hollywood schienen nahe, als Paul Rosenhayn am 11. September 1929 im Alter von nur 52 Jahren in Berlin starb.

In den Jahren der Nazi-Diktatur geriet Rosenhayns allzu kosmopolitisches Werk in Vergessenheit. Auch nach dem II. Weltkrieg wurde es nicht mehr aufgelegt. Die meisten nach Rosenhayn-Drehbüchern gedrehten Filme sind verlorengegangen.

|Paperback: 212 Seiten
ISBN-13: 978-3-9423-1602-6|
http://www.tallyho-verlag.de

Strieber, Whitley – Heimsuchung, Die

_Das geschieht:_

Oscola ist eine abgelegene Kleinstadt im Adirondack-Gebirge des neuenglischen US-Staates New York. Hier lebt zurückgezogen der ehemalige Physiker Brian Kelly. Er übt seinen Beruf nicht mehr aus, seit vor Jahren seine Ehefrau und Kollegin Mary und Tochter Caitlin in einem Feuer starben, das auch ihn schwer verletzte. Aktuell ist Kelly mit der Vietnamesin Loi verheiratet, die im achten Monat schwanger ist.

Unheimliches geht neuerdings vor in und vor allem um Oscola. Auf dem Grundstück des alten Richters terBroeck dringen Schreie aus der Erde. Während die Suche hier ins Leere läuft, wird an anderer Stelle eine Frau aus der Tiefe gezogen; ihre Knochen wurden förmlich pulverisiert. Das Rätsel ruft Ellen Maas, Eigentümerin der „Gazette“, auf den Plan. Sie sieht terBroeck als treibende Kraft hinter den mysteriösen Ereignissen; eine nächtliche Exkursion zeigt ihr sein Haus als Treffpunkt eines Kultes. Als die Journalistin entdeckt wird, versucht sie eine Art Kollektivintelligenz aus riesigen Leuchtkäfern außer Gefecht zu setzen.

Auf Bitten seines Freundes, des State Troopers Robert West, unterstützt Kelly die Polizei bei ihren Ermittlungen. Der Physiker stellt fest, dass man seine Experimente an anderer Stelle fortgesetzt hat, nachdem er das Projekt verließ. Dabei ging es um die Erforschung von subatomaren Partikeln, die möglicherweise rückwärts durch die Zeit reisen können. Sollte auf diese Weise eine Brücke in eine Vergangenheit geschlagen worden sein, deren Bewohner nun unheilvoll in die Gegenwart drängen?

Aus dem Verdacht wird Gewissheit, als West entführt wird, aber befreit werden kann: Unter der Erde hat sich eine der Menschheit feindlich gesonnene Macht eingenistet. Oscola wird von der Außenwelt abgeschnitten, bevor sie eines Tages hervorbricht, um mit der Invasion der Erde zu beginnen. Nur Kelly und einige Verbündete nehmen den Kampf gegen den unerbittlichen Gegner auf …

_Der Meister und sein Schüler?_

Wer hätte gedacht, dass man H. P. Lovecraft (1890-1937) ehren kann, ohne ihn zu imitieren? Die meisten Lovecraft-Epigonen – es gibt sie übrigens auch oder sogar besonders zahlreich hierzulande – gehen entsprechende Storys als Pastiches an, beschränken sich auf das vom Meister vorgegebene Inventar und ignorieren tunlichst, dass sich auch die literarische Welt seit 1937 weitergedreht hat.

„Die Heimsuchung“ erschien 1993 und war deutlich weniger erfolgreich als frühere Strieber-Romane. Viele Jahre später kann man zu dem Schluss kommen, dass der Autor seiner Zeit ein wenig zu weit voraus war. In einem Meer vor allem blutrünstiger Splatter-Spektakel hält sich die angejahrte „Heimsuchung“ inzwischen wacker. Die Geschichte ist klassisch: Nicht der Gore-Effekt, sondern der Plot steht im Vordergrund. Er wird eingeleitet, sorgfältig entwickelt und gipfelt in einem Finale, das die Story nicht nur bündelt, sondern eine Reihe sich aufschaukelnder Höhepunkte noch einmal gewaltig steigert.

Striebers Horror-Opus funktioniert übrigens auch ohne Kenntnis des Lovecraft-Subtextes prächtig. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Lovecrafts Idee einer ‚universellen‘ Historie, die Äonen zurück in eine Vergangenheit reicht, in der es die Menschen noch nicht gab, in der gegenwärtigen (Unterhaltungs-) Literatur längst zum Topos (und womöglich zum Klischee) geworden ist.

|Eine besondere Art von Monster|

Das formlose, dem Urschleim nicht nur zeitlich nahe Leben ist eine weitere Idee, für die Lovecraft nicht das Patentrecht beanspruchen könnte; er hat es auch nie getan, sondern selbst auf jene hingewiesen, die das Grauen vor ihm auf diese Weise beschworen. Lovecraft nannte Arthur Machen (1863-1947), William Hope Hodgson (1877-1918) oder Clark Ashton Smith (1893-1961), aber er selbst kann für sich in Anspruch nehmen, den amorphen Schrecken in (s)ein universelles Konzept mit einer Vielzahl ähnlich bizarren, fremdartigen und feindseligen Kreaturen eingebunden zu haben.

Strieber erweitert diese Vorgabe um eine besondere Komponente: Nicht reine, quasi angeborene Bosheit lässt die Macht unter der Stadt Oscola ihre schauerlichen Taten begehen, sondern begründete Existenzangst. Einerseits fremd und andererseits beinahe ‚menschlich‘ wirkt die Entscheidung, nicht den friedlichen Kontakt zu suchen, sondern zur Invasion zu schreiten.

Auf der anderen Seite ist es die so malträtierte Menschheit selbst, die das Böse rief, das nun nicht mehr weichen will. „Die Heimsuchung“ steht deutlich in einer recht jungen Tradition: Spätestens seit den 1970er Jahren hatten nicht nur die Bürger in den USA gelernt, dass man der Regierung nicht unbedingt trauen konnte oder sollte. Das schlimmste Unrecht wurzelte nicht mehr im kommunistischen Ostblock. Es war jetzt hausgemacht. In „Die Heimsuchung“ muss Physiker Kelly feststellen, dass man die von ihm angestoßenen Forschungen nach seinem Ausscheiden keineswegs eingestellt, sondern fortgesetzt und ausgeweitet hat. Wer dafür die Verantwortung trägt, bleibt ungesagt, ist aber für die Geschichte keineswegs unerheblich: Zwar wird der Feind zurück in den Abgrund der Zeit getrieben, aber eine anonyme Macht – die Regierung? – übernimmt erneut die Aufsicht. Soldaten besetzen das Labor, in dem das Grauen seinen Anfang nahm. Mit einem Neustart der Experimente ist also zu rechnen, der Teufel wurde gegen Beelzebub ausgetauscht.

|Verloren aber standhaft|

Mit dem Schrecken konfrontiert wird bei Strieber nicht die übliche Schar scheinbar durchschnittlicher US-Bürger, die in der Not den Pionier in sich wiederentdecken und über sich selbst hinauswachsen. Zwar scheint dies auf den ersten Blick so, aber sehr schnell wird deutlich, wieso die Gegenwehr gegen den an sich übermächtigen Feind gelingen kann: Zu den Hauptfiguren zählen einige echte Überlebenskünstler.

Für den heutigen Leser ist der Vietnamkrieg Episode einer längst versunkenen Vergangenheit. 1993 lag sein Ende erst wenige Jahre zurück; noch war er nicht historische Erblast, sondern in seinen Folgen alltäglich präsent. Auch in Oscola gibt es frische Wunden. Kellys Ehefrau Loi musste in Vietnam als „Tunnelratte“ im Dschungelkrieg mitkämpfen. State Trooper West verkörperte die Gegenseite; er gehörte zu den US-Soldaten, die in die unterirdischen Stellungen des Vietcongs eindrangen und sie im erbarmungslosen Kampf Mann gegen Mann räumten.

Auch an der ‚Heimatfront‘ ist der Krieg keineswegs vergessen. In Oscola ist niemals eine Vietcong-Bombe gefallen. Trotzdem hegen die Bürger Vorurteile gegen Loi Kelly, die in der aktuellen Krise durchbrechen und zur Verschärfung der Situation beitragen: Der Mensch schafft sich seine Hölle, ohne dass Teufel aus Raum & Zeit ihm zur Hilfe kommen müssen.

Ohnehin wird Solidarität von Strieber kritisch beurteilt. Da gibt es den Pfarrer, der zum Gebet statt zu Flucht oder Gegenwehr rät. Auf der anderen Seite stehen die Rednecks des Ortes, die auf kaliberstarke Waffen setzen. Soll man sich verbarrikadieren, soll man flüchten, soll man kämpfen? Strieber spielt sämtliche ‚Alternativen‘ durch und kommt zu dem (ketzerischen) Schluss, dass es tatsächlich Gegner gibt, gegen die weder Gott noch Gewalt helfen.

|Worte für das Unaussprechliche|

Dem lässt der Verfasser zum einen eindeutige Taten bzw. Worte folgen, während er auf der Suche nach einer plausiblen Auflösung ins Schwurbeln gerät. Striebers Einfallsreichtum, mit dem er die zunehmend und buchstäblich miteinander verschmelzende Vergangenheit und Gegenwart beschreibt, ist beachtlich. Zudem ist er in der Lage, den Horror um einen zu Lovecrafts Zeiten quasi undenkbaren Faktor zu bereichern: Die böse Macht erkennt, dass man Mäuse mit Speck und Menschen mit Sex fängt. Deshalb mischt sie ihren Sirenengesängen entsprechende Reize bei und erzielt damit beträchtliche Erfolge.

Wenn es zur endgültigen Konfrontation mit dem nun maskenlosen Gegner kommt, wird es metaphysisch – oder rührselig; es hängt vom Standpunkt des Lesers ab. Die Kraft des neugeborenen, ‚reinen‘ Menschen bringt den Tunnel zwischen den Zeiten zum Einsturz. Strieber beschränkt sich auf entsprechende Beschreibungen und drückt sich wohlweislich um die Frage nach der Logik dieses Prozederes: Die existiert nämlich nicht. Vorsichtshalber schließt sich doch eine profane Flucht durch Gänge und Fahrstuhlschächte an, die fatal an entsprechende Szenen aus „Aliens“ (1986) erinnert.

Der kritische, das Happy-End wie bereits erwähnt in Frage stellende Schluss versöhnt mit diesem etwas missratenen Versuch einer etwas anderen Auflösung oder einem etwas zu sehr in die Länge gezogenen Mittelteil. Wenn „Die Heimsuchung“ Fahrt aufgenommen hat, ist sie nicht mehr zu bremsen. Während andere Strieber-Romane durch die Epiphanie des Verfassers, der sich von Aliens entführt und indoktriniert wähnt, deutlich leiden, kann „Die Heimsuchung“ ohne gravierende Einschränkungen empfohlen werden.

_Autor _

Louis Whitley Strieber wurde am 13. Juni 1945 in der texanischen Stadt San Antonio geboren. Er studierte an der „University of Texas“ sowie an der „London School of Film Technique“. Nach seinem Abschluss 1968 arbeitete Strieber in der Werbung. 1977 gab er eine durchaus erfolgreiche Karriere auf, um als freier Schriftsteller tätig zu werden.

Strieber schrieb die sofort Aufsehen erregenden, modernen Horrorromane „The Wolfen“ (1978) und „The Hunger“ (1981), die beide (1981 bzw. 1983) ebenso erfolgreich verfilmt wurden. Viel diskutiert wurde sein mit James Kunetka verfasster, tagesaktueller ‚Tatsachenroman‘ „Warday“ (1984), der vor dem Hintergrund des im Vorjahr gegründeten SDI-Programms der USA einen ‚begrenzten‘ nuklearen Weltkrieg und dessen katastrophale Folgen schildert.

Spätere Werke wurden nicht mehr so bekannt, bis Strieber in seinem 1987 veröffentlichten Buch „Communion“ die Behauptung aufstellte, von Aliens entführt und den üblichen Experimenten unterzogen worden zu sein; dies schon seit seiner Kindheit. Seine angeblich verschütteten und nun wieder ins Gedächtnis zurückschwappenden ‚Erinnerungen‘ füllten mehrere seltsame ‚autobiografische‘ Sachbuch-Romane, die Striebers Glauben an ein „Multiversum“ verdeutlichen: Der Kosmos ist eine unendliche Folge paralleler Universen, zwischen denen Kontakte möglich sind; auch die Aliens sind hier zu orten. Dieses Konzept konnte Strieber verfeinern, nachdem ihn 1998 ein Bote aus dem All besucht hatte.

Trotz seiner offensichtlichen psychischen Probleme ist Strieber wieder verstärkt als Schriftsteller aktiv. Über seine ‚Erfahrungen‘ als UFO-Laborratte und damit im Zusammenhang gesehene Phänomene breitet er sich in seinem Podcast „Dreamland“ aus. Einen Einblick in Striebers wirre Welt(en) bietet die Website „Unknown Country – The Edge of the World“.

|Gebunden: 384 Seiten
Originaltitel: The Forbidden Zone (New York : E. P. Dutton 1993)
Übersetzung: Heinz Zwack
ISBN-13: 978-3-86552-143-9|

Homepage


http://www.festa-verlag.de

_Whitley Strieber bei |Buchwurm.info|:_
[„Der Kuss des Vampirs“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=977