Archiv der Kategorie: Fantasy / Science-Fiction

Stephan R. Bellem – Tharador (Die Chroniken des Paladins 1)

Handlung

Tharador Suldras ist Kommandant der Stadtgarde von Surdan. Doch er wird von ständig wiederkehrenden Albträumen geplagt, die ihn immer mehr dazu bringen, in den Norden gehen zu wollen. Also desertiert er zusammen mit seinem Freund Queldan und macht sich auf über das Gebirge in Richtung Norden. Dort treffen die beiden den Zwergenprinzen Khalldeg, der zur Gruppe der Berserkerzwerge gehört.

Währenddessen hat der Magier Tarvin Xandor alle anderen Magier in Surdan getötet und hilft den Orks und deren Häuptling Ul’goth mit seiner schwarzen Magie dabei, die Mauern von Surdan zu erstürmen und die Stadt einzunehmen. Xandors Plan sieht vor, die Orks weiter gen Süden zu schicken, und die anderen Städte in einen Krieg zu verwickeln, um von seinen Plänen. das mächtige Zauberbuch Karand zu finden, abzulenken. Doch Ul’goth will nicht weiter in den Krieg ziehen, sondern sich mit seinem Stamm in Surdan niederlassen.

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John Meaney – Tristopolis

In einer fernen Zukunft gewinnt die Menschheit ihre Energie aus den Knochen der Toten. Kriminelle Elemente haben es auf die Leichen besonders ‚energ(et)ischer‘ Zeitgenossen abgesehen, was eine kleine Gruppe von Polizisten zu verhindern sucht … – Nicht originelle aber einfallsreich variierte Mischung aus Science Fiction, Mystery & Thriller, die sich ein wenig zu offensichtlich diverser phantastischer Vorlagen aus Literatur und Film bedient: gern gelesen & genossen aber auch bald vergessen. John Meaney – Tristopolis weiterlesen

Abercrombie, Joe – Feuerklingen (The First Law 2)

Die |“The First Law“|-Trilogie:
Band 1: [Kriegsklingen 4190 (The Blade itself)
Band 2: _Feuerklingen_ (Before they are hanged)
Band 3: Königsklingen (Last Argument of Kings)

Die Lage für die Union spitzt sich dramatisch zu: Im Norden bedrängt König Bethod das Reich. Um den traumtänzerischen Kronprinz Ladisla ein wenig mehr Respekt bei der Bevölkerung zu verschaffen, will ihn Marschall Burr als Kriegsheld aufbauen und gleichzeitig an einen unbedeutenden Frontabschnitt versetzen und so aus dem Weg räumen, bevor er Unheil anrichten kann. Collem West wird zum Oberst befördert und der Aufpasser des Prinzen und inoffizielle Befehlshaber seiner Truppe. Logens Nordmänner schließen sich West an und entdecken Schreckliches: Bethod ist nahe und marschiert geradewegs auf Ladisla zu – der sich zum heldenhaften Kampf stellen will!

Im Süden übernimmt Superior Glokta die Befehlsgewalt in Dagoska. Eine riesige gurkhisische Armee rückt an, und in der Stadt wimmelt es nur so von potenziellen Verrätern. Sein Vorgänger Davoust verschwand eines Nachts spurlos, man geht davon aus, dass er getötet wurde. Doch wer hält die Fäden in der Hand? Die schöne Carlot dan Eider von der Händlergilde, der ehrgeizige Sohn des greisen Statthalters Vurms, der inkompetente General Vissbruck oder der käufliche, aber kompetente Söldnerführer Cosca? Zudem muss er die einheimische Bevölkerung, die von der herrschenden ausländischen Oberschicht diskriminiert wird, auf seine Seite ziehen, wenn er die Stadt halten will. Das scheint angesichts der Stärke des auf ihn zumarschierenden Heeres immer fragwürdiger, doch Erzlektor Sult besteht darauf, dass die Stadt unter allen Umständen gehalten wird. Glokta kommt den Verschwörern auf die Spur und erkennt, dass diese edlere Motive haben als das Königreich oder Sult.

Bayaz erreicht währenddessen Adua, die zerstörte alte Hauptstadt des von Juvens geschaffenen Kaiserreichs. Er will dort ein Artefakt bergen, mit dem er in den Krieg gegen Khalul ziehen kann, seinem Erzfeind und ebenfalls ein Magi-Schüler Juvens. Dieser verzehrt Menschenfleisch als Quelle seiner Macht und bricht somit das zweite Gesetz der Magie. Bayaz ist bereit, sich gegen das erste zu versündigen und ein Tor zur anderen Seite zu öffnen, nur um es mit ihm aufzunehmen. In Adua angelangt entdecken sie, dass die Stadt von den Schanka verseucht ist. Luthar erlebt seine erste Schlacht, ist völlig überfordert und wird schwer verletzt. Er lernt den Barbaren Logen zu schätzen, für den er zuvor wenig übrig hatte. Bayaz erzählt seiner Gruppe mehr über die glorreiche Vergangenheit und die Konflikte zwischen den Söhnen des göttlichen Euz und seinen Schülern. Khalul scheint jedoch nicht die einzige Gefahr zu sein, denn einige Nordmänner laufen zu der in Logens Abwesenheit von Dreibaum geführten Gruppe über, da sie die „Hexe“, dank deren Hilfe Bethod sich mit den Schanka verbünden konnte, fürchten.

_Der Autor_

Joe Abercrombie wurde 1974 in Lancaster geboren und studierte Psychologie an der Universität Manchester. Dort zeigte er einen recht ausgeprägten Spieltrieb, er liebt Würfel- und Computerspiele. In dieser Zeit entstand auch die Figur des Barbaren Logen Neunfinger, die ihm jedoch selbst als etwas zu aufgeblasen erschien und schnell verworfen wurde. Schließlich zog Abercrombie nach London, um als Cutter in einem Post-Production-Studio zu arbeiten. Nach zwei Jahren verließ er das Studio und arbeitet seitdem freischaffend im selben Beruf. Im Jahr 2002, dank seiner freischaffenden Tätigkeit mit mehr Freiraum für andere Dinge, schrieb er erneut über die tragischen Abenteuer Logens. Im Jahr 2004 vollendete er „The Blade itself“, den ersten Band der „First Law“-Trilogie, die seit 2005 von |Gollancz| und seit kurzem von |Heyne| auch auf Deutsch verlegt wird. Der Erstling war zugleich sein Durchbruch und ein Erfolg auf der ganzen Linie: Die Serie wird bereits in acht Ländern in sieben verschiedenen Sprachen vertrieben.

_Ein Königreich in Nöten_

Die Bedrohung der Union gewinnt durch die Beteiligung der Magi an den verschiedenen Fronten eine ganz neue Dimension, allerdings ist auch ohne diese verdeckte Bedrohung die Lage bereits kritisch. Ohne zu viel verraten zu wollen: Kronprinz Ladisla wird vernichtend geschlagen und muss mit den Nordmännern und West flüchten, der ihn zähneknirschend gegenüber dem berechtigten Spott der Nordmänner verteidigen muss. Wie wird das nur enden?

Glokta muss sich von einem reichen Bankhaus bestechen lassen, will er seinen Befehlen nachkommen und Dagoska verteidigen. Dafür wird er für die Zukunft um einen „Gefallen“ gebeten. Im Spiel um die Macht wird er erneut zur Figur. Seine Ermittlungen in Dagoska ergeben, wie nutzlos die Stadt für das Reich ist und welch verheerende Folgen Widerstand gegen Gurkhul für die Stadt hätte. Zumal die Gurkhisen anscheinend auch noch ehrlichen gemeinten Frieden anbieten, im Austausch gegen Dagoska. Doch obwohl dies im Sinne der Union wäre, torpedieren einige Gruppen insgeheim diesen Frieden …

Dank des recht pathetisch die Größe der Vergangenheit preisenden Bayaz, was sowohl bei seinem Lehrling als auch bei Ferro und Logen für Belustigung sorgt, erfährt der Leser einige interessante Details, die den Konflikten eine ganz neue Dimension und Bedeutung geben. Bayaz wird leider so gut wie nichts gelingen, der mächtige Magi steht schon bald ziemlich ratlos da.

Joe Abercrombie spinnt seine Geschichte geschickt weiter; ich habe einige entscheidende Details wie das Schicksal von Prinz Ladisla, das intrigante Bankhaus, Khalul oder die „Hexe“ im Dienste Bethods nur am Rande erwähnt. Wie sich diese Geschichten entwickeln, zeigt erneut Abercrombies große Kunst, den Leser stets im Ungewissen zu lassen. Man kann nie sicher sein, wie sich die Dinge entwickeln werden, besonders Bayaz muss gehörig improvisieren und umplanen. Das macht Abercrombies Welt so lebendig. Negativ fällt mir mittlerweile das Fehlen einer Karte Anglands auf, da die Handlung aufgespalten auf viele weit voneinander entfernte Orte ist, die ich nur noch mit Mühe geographisch zuordnen kann. Obwohl Abercrombie die Weichen für den dritten Band stellt und vieles enthüllt, kann man dennoch keine Vorhersagen über die zukünftige Handlung machen, was sich langsam zu seinem Markenzeichen zu entwickeln scheint. Das ist neben den ausgefeilten Charakteren seine große Stärke.

_Fazit:_ Die Handlung wird immer komplexer, man erhält neues Wissen und so wesentlich mehr Durchblick über das große Ganze als im ersten Band, dennoch bleibt sie unvorhersehbar – Respekt! Auch die Charaktere entwickeln sich in sehr positiver Weise weiter. Abgesehen von der zickigen Ferro, mit der ich nie so richtig warm werde, zeigt sich das besonders bei Glokta und Luthar. Insbesondere bei Glokta könnte ich mir eine Abwendung von Erzlektor Sult im letzten Band vorstellen, während Luthar ordentlich seine Hofschranzen-Attitüden ausgetrieben worden sind. Aber auch der mittlerweile zum Oberst beförderte West hat beträchtlich an Profil und Charakter gewonnen und wird zu einer zentralen Figur im Kampf gegen Bethod. Bis auf das schmerzliche Fehlen einer Karte habe ich an „Feuerklingen“ nichts auszusetzen; wer im ersten Band eine klare Linie vermisste, wird jetzt nicht mehr ganz so arg im Dunkeln gelassen, ohne dass Abercrombie vorhersehbar würde, was mir sehr gut gefällt.

In seinem Blogeintrag vom 12. September schreibt Joe Abercrombie übrigens über „Feuerklingen“ und gibt ein paar interessante Gedanken zur deutschen Fassung und Fantasy im Allgemeinen zum besten: |“The slightly-abstract-titles-derived-from-quotes approach evidently doesn’t work for our cousins across the channel. (…) The Germans have gone stripped-down and ready for battle with Kriegsklingen, Feuerklingen, and I don’t know what they’re planning to call Last Argument of Kings, but I bet it’s got Klingen on the end of it. Not enormously closely related to the content, but looking at titles and covers of current German fantasy series, there does seem to be a trend over there for these simple, punchy, repetitive series titles and these dark, graphicy covers. A linguistic thing? A cultural thing? Who knows, but one can only assume that the publishers know their own markets, and brand their products accordingly …“|

|Originaltitel: Before they are hanged
Übersetzt von Kirsten Borchardt
Mit Illustrationen von Dominic Harman
Paperback, 800 Seiten, 13,5 x 20,6 cm|
http://www.heyne.de/

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Abercrombie, Joe – Kriegsklingen (The First Law 1)

Die |“The First Law“|-Trilogie:
Band 1: _Kriegsklingen_ (The Blade itself)
Band 2: [Feuerklingen 4199 (Before they are hanged)
Band 3: Königsklingen (Last Argument of Kings)

Fast hätte ich Joe Abercrombie in die Kategorie „noch ein britischer Fantasy-Jungautor“ eingeordnet. Denn der Klappentext von „Kriegsklingen“ klang so klischeehaft wie der Titel, der mit dem englischen „The Blade itself“, einem verkürzten Homer-Zitat („The Blade itself leads to violent action“), nur sehr wenig zu tun hat. Als ich dann die Auflistung „Ein Barbar. Ein Inquisitor. Ein Magier.“ auf den Buchrücken las, habe ich das Buch erst einmal zur Seite gelegt. Ein schwerer Fehler. Denn als ich es dann erst einmal in den Händen hatte, konnte ich mich kaum noch davon losreißen – und habe anschließend ungeduldig auf den mittlerweile erschienenen zweiten Band „Feuerklingen“ gewartet.

_Der Autor_

Joe Abercrombie wurde 1974 in Lancaster geboren und studierte Psychologie an der Universität Manchester. Dort zeigte er einen recht ausgeprägten Spieltrieb, er liebt Würfel- und Computerspiele. In dieser Zeit entstand auch die Figur des Barbaren Logen Neunfinger, die ihm jedoch selbst als etwas zu aufgeblasen erschien und schnell verworfen wurde. Schließlich zog Abercrombie nach London, um als Cutter in einem Post-Production-Studio zu arbeiten. Nach zwei Jahren verließ er das Studio und arbeitet seitdem freischaffend im selben Beruf. Im Jahr 2002, dank seiner freischaffenden Tätigkeit mit mehr Freiraum für andere Dinge, schrieb er erneut über die tragischen Abenteuer Logens. Im Jahr 2004 vollendete er „The Blade itself“, den ersten Band der „First Law“-Trilogie, die seit 2005 von |Gollancz| und seit kurzem von |Heyne| auch auf Deutsch verlegt wird. Der Erstling war zugleich sein Durchbruch und ein Erfolg auf der ganzen Linie: Die Serie wird bereits in acht Ländern in sieben verschiedenen Sprachen vertrieben.

_Eine Welt mit ungewöhnlich komplexen Beziehungsgeflechten_

Joe Abercrombie erzählt stets aus der Perspektive eines seiner zahlreichen ausgefeilten Hauptcharaktere, die zu Beginn getrennt voneinander an völlig verschiedenen Orten agieren. Dabei wechselt er jedoch nie in die Ich-Perspektive.

Dankenswerterweise beginnt die Geschichte recht einfach mit Logen Neunfinger, dem vermeintlich archetypischen Barbaren. Sein Stamm wurde gerade von den „Plattköpfe“ genannten Schanka, einer Art Orks, überrannt. Alleine und getrennt von seiner Jagdtruppe, die er für tot hält, kämpft Logen um sein Überleben. Im weiteren Verlauf der Handlung erfahren wir die Geschichte Logens, der sich als der „Blutige Neuner“ – einen Finger hat er bereits in der Schlacht verloren – einen Namen gemacht hat. Er diente auch unter Bethod, der sich selbst zum König des Nordens ausgerufen hat – ein Unding, denn so etwas gab es noch nie. Jeder Krieger oder Clan folgt nach alter Tradition einem von ihm selbst aufgrund seiner Fähigkeiten oder seines Rufes anerkannten Häuptling. Doch Bethod will mit seinen Mannen über den ganzen Norden herrschen, und er hat sein Auge auf die geschwächte Union im Süden gerichtet. Logen hat zudem noch ein Problem mit Bethod, mit dessen Söhnen er eine seiner zahlreichen Fehden führt.

Im Süden leidet die reiche von Adelsfamilien beherrschte Union unter ihrem schwachen König, der vor sich hin kränkelt und nur zwei leidlich geeignete Söhne hat. Die wahre Macht liegt bei der Inquisition, den Bluthunden des Königs. Diese hat das Recht, in der Art einer Staatspolizei jeden mutmaßlichen Feind des Königreichs unter der Folter zu befragen – und macht davon reichlich Gebrauch. In Sachen Religion hält sich Abercrombie bedeckt, sie ist unbedeutend und wird kaum thematisiert.

Großinquisitor Sand dan Glokta, ein verkrüppelter und von den Gurkhisen gefolterter ehemaliger Kriegsheld, ist der erfolgreichste Mann von Erzlektor Sult. Mit Gloktas Hilfe gelingt es ihm, die Macht der Tuchmachergilde zu brechen und der Inquisition noch mehr Macht im Inneren Rat zu verschaffen. Glokta sollte ein gebrochener Mann sein, er hat keine Zähne und keine Zehen mehr, humpelt und wird von Muskelkrämpfen gepeinigt. Doch sein zynischer Selbsthass macht ihn zu einem exzellenten Folterknecht, der seinem alten Leben als Liebling des Hofes und Kriegsheld nachtrauert. Die Gurkhisen haben ihn zu einem körperlichen Wrack gefoltert, und die wenigsten seiner alten Freunde wollen noch etwas mit ihm zu tun haben. Gemeinsam mit seinen Praktikalen (Schläger, Folterknechte und Diener in Personalunion) Frost und Severard klärt Glotka die vertracktesten Fälle, nur um festzustellen, das er von Erzlektor Sult für höchst eigennützige Ziele benutzt wird. Doch so schlau Glokta auch sein mag, er muss dieses perfide Spiel mitspielen – denn irgendwie hängt er trotzdem noch am Leben.

Der junge Adelige Jezal dan Luthar ist das, was Glokta einmal war: ein Frauenheld, Säufer, Zocker und Tunichtgut, der allerdings das Zeug zu einem begabten Degenfechter hat. Er soll wie einst Glokta das jährliche Fechtturnier gewinnen und wird deshalb von Marschall Burr zu einem harten Training verdonnert. Burr selbst hält abgesehen davon nicht viel von ihm, dafür aber umso mehr von seinem fechterisch nicht ganz so begabten, aber dafür vernünftigen und verantwortungsbewussten bürgerlichen Freund Collem West, der unter seinen Fittichen Karriere macht. Dessen hübsche Schwester Ardee verdreht Jezal gehörig den Kopf, für den es eine verstörende Erfahrung ist, dass eine Frau mit ihm spielt, und nicht umgekehrt. Doch die Affäre kommt West zu Gehör, und er verpasst Ardee eine ordentliche Maulschelle, während sich Jezal eingestehen muss, dass er Ardee trotz des in seinem bornierten Weltbild unüberbrückbaren gesellschaftlichen Unterschiedes liebt.

Die verschiedenen Charaktere treffen sich schließlich in der Hauptstadt der Union. Logen wurde von dem mächtigen Zauberer Bayaz, einem Schüler des mächtigen Juvens selbst, als Leibwächter angeworben. Doch niemand glaubt dies dem kahlköpfigen und ganz und gar nicht mächtig aussehenden Bayaz. Er muss erst mit einem misstrauischen Glokta und Luthar als Zeugen das seit Jahrhunderten magisch versiegelte Haus des Meisterschöpfers Kanedias öffnen, um sein Anrecht auf einen Sitz im Inneren Rat geltend zu machen.

Hier endet die Geschichte vorerst, und auch die Wege der Hauptpersonen trennen sich erneut. West wird mit Kronprinz Ladisla in den Norden geschickt, um der Bedrohung durch Bethod zu begegnen. Ardee bleibt zurück, während Luthar mit Bayaz, Logen und der auf Rache sinnenden Südländerin Ferro Maljinn in den Süden aufbricht, um einer vorerst von Bayaz diffus beschriebenen Bedrohung zu begegnen. In den Süden verschlägt es auch Glokta, der im Auftrag des Erzlektors die Stadt Dagoska gegen seine Erzfeinde, die Gurkhisen, verteidigen soll – angesichts der widrigen Umstände ein wahres Himmelfahrtskommando.

_Der Anfang einer unvorhersehbaren Geschichte_

Um was es eigentlich in dieser Trilogie geht, wird im ersten Band noch nicht ersichtlich. Vorerst baut Abercrombie seine faszinierenden Charaktere auf. Egal ob es Glokta, Logen oder Luthar sind – sie sind alle frisch und unverbraucht, man kann sie genauso wenig in Stereotypen pressen wie die Handlung. Diese entwickelt sich dynamisch, man weiß nie, wie es weitergeht. Das ist das herausragende Talent Abercrombies neben seiner Gabe, interessante und vielschichtige Charaktere zu schaffen. Seine Welt lebt, die Dinge entwickeln sich zeitgleich und man kann die Bedrohung nicht sofort im Sinne eines allwissenden Lesers identifizieren. Nur bruchstückhaftes Wissen erhält man appetitlich häppchenweise vorgesetzt, den Rest der Zeit verwendet Abercrombie auf seine Charaktere und die Kultur der Nordmänner, ihre Beziehungen untereinander und die Situation in der dekadenten Union, die zusätzlich von einem zwielichtigen Kaiser aus dem Süden bedroht wird – Khalul, wie Bayaz ein ehemaliger Schüler von Juvens. Dieser hat sich über einige Gesetze hinweggesetzt, die von Juvens und den anderen Söhnen des Euz propagiert wurden. Dazu gehören Gebote, kein Tor zu der „anderen“ Seite zu öffnen, dem Reich der Dämonen, oder kein Menschenfleisch zu verzehren. Leider ist jegliche Form der Magie letzen Endes ein Zugriff auf diese Mächte, was mitunter zu recht großzügiger Auslegung des ersten Gesetzes geführt hat …

Der von Kirsten Borchardt sehr gut übersetzte 796 Seiten dicke Schmöker ist somit keine abgeschlossene Geschichte, sondern der Anfang einer Trilogie. Trotz des martialischen Titels und des bei einem Folterknecht und Barbaren zu erwartenden Gemetzels machen blutige Schlachten und Folterszenen nur den geringsten Teil des Buchs aus; der Fokus liegt auf der Charakterisierung seiner Figuren, Abercrombie legt keinerlei Wert auf Splatter um des Splatters willen, wie in den oft nur aus aneinandergereihten Kampfeinlagen bestehenden |D&D|-Romanen der schlechteren Art – er spielt mehrere Klassen höher. Die Handlung geht so leider etwas unter, und mancher Leser mag sich deshalb etwas orientierungslos vorkommen, allerdings möchte ich keine Seite missen, auf der Abercrombie sein einzigartiges Talent zur Charakterisierung zeigt. Er bietet nicht nur abwechslungsreiche Geschichten einzelner Charaktere wie Logen, Luthar, Glokta oder Ferro, er verknüpft sie geschickt miteinander und schafft so eine lebendige und realistische Welt voller Dramatik garantierender Beziehungsgeflechte.

Nach und nach wird dem Leser die Haupthandlung klarer, während die Charaktere an ganz unterschiedlichen Orten nur individuelle Teile des großen Ganzen erleben. Diese geschickte und unvorhersehbare Handlungsführung ist neben der Charakterisierung der größte Pluspunkt des Romans und setzt neue Akzente in einem vor Stereotypen sonst nur so strotzendem Genre. Der zynische und selbstironische Humor Gloktas, seine messerscharfen Einsichten und der für einen Barbaren auf praktische Weise recht kluge Logen runden das positive Bild ab. Sogar der geckenhafte Luthar wird menschlich beschrieben und nicht zum Gespött gemacht, er ist glaubhaft und keine Witzfigur. Er wird von allen Charakteren in der Folge wohl die deutlichste Wandlung durchmachen.

_Fazit:_ Joe Abercrombie scheint Klischees zu bedienen – und zeigt, was man aus altbekannter Machart mit ein paar Kniffen in der Erzählweise, Handlungsführung und begnadeter Charakterisierung machen kann. Wenn er mit George R. R. Martin und Glen Cook und anderen Größen verglichen wird, ist das keineswegs anmaßend – Abercrombie selbst ist bekennender Leser und Kenner derselben und in dem dezidierten Martin-Forum http://www.westeros.org/ und bei [SFFWorld]http://www.sffworld.com/ aktiv an Diskussionen beteiligt. Auf seiner Webseite und in seinem Blog findet sich viel Lesenswertes über den Autor und seine Serie.

Ich kann das Buch nur ausdrücklich empfehlen. Ein derartiges Lesefieber habe ich sonst nur bei meinen Favoriten George R. R. Martin, David Gemmell oder Raymond Feist erlebt.

|Originaltitel: The Blade Itself – The First Law Book 1
Originalverlag: Orion
Aus dem Englischen von Kirsten Borchardt
Mit Illustrationen von Dominic Harman
Paperback, 800 Seiten, 13,5 x 20,6 cm|
http://www.heyne.de

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Blazon, Nina – Sturmrufer, Die (Die Meerland-Chroniken 1)

Nina Blazon ist ein Arbeitstier. Alleine dieses Jahr erschienen von ihr vier Bücher, darunter die historischen Romane „Der Maskenmörder von London“ und „Katherina“ und in der Reihe |Die Taverne am Rande der Welt| die beiden Bände „Die Reise nach Yndalamor“ und „Im Land der Tajumeeren“. Mit „Die Sturmrufer“ begibt sich die Autorin zurück zu ihren Wurzeln. Der Fantasyroman für Jugendliche ist der erste Band der Reihe |Die Meerland-Chroniken|.

Die Geschichte beginnt an einem wohlbekannten Ort. Die Küstenstadt Dantar spielte schon im ersten Teil der |Woran|-Saga, „Im Bann des Fluchträgers“, eine kleine Statistenrolle. Dieses Mal steht sie im Vordergrund, denn Amber, ein junges Mädchen aus den Bergen, möchte Bürgerin der Stadt werden und dort leben und arbeiten. Dumm nur, dass sie einen Bürgen braucht, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Noch dümmer, dass sie erstens noch niemanden in der großen Stadt kennt und sich zweitens mit ihrer kratzbürstigen Art und dem Talent, Menschen ständig vor den Kopf zu stoßen, keine Freunde macht.

Als ein heftiger Sturm mit einer riesigen Flutwelle über die Stadt hinwegfegt, lernt sie in ihrem Versteck den jungen Seiler Inu kennen. Sie benimmt sich ihm gegenüber abweisend. Dennoch besorgt er ihr einen Job als Ruderin, denn bei dem Unwetter sind Handelsschiffe gesunken. Nun sollen Taucher nach den wertvollen Ladungen suchen. Gemeinsam mit Inu, der stolzen Taucherin Sabin und dem freundlichen Navigator Tanijen rudert Amber zu einer Sandbank, wo Sabin teuren Schmuck aus einem Wrack holen soll.

Doch das Wetter macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Ohne Vorwarnung zieht ein neuer Sturm auf und schwemmt das kleine Boot der vier an eine unbekannte, anscheinend unbewohnte Insel. Sie finden Zuflucht in einer verlassenen Festung, die irgendwie unheimlich ist. So wie die ganze Insel. Vögel, die Wind machen, ein Schiffsfriedhof, Bäume, aus denen Fischen schlüpfen – hier geht es augenscheinlich nicht mit richtigen Dingen zu.

Die Versuche, die Insel zu verlassen, scheitern. Erst als Tanijen dem Geheimnis des verwunschenen Ortes auf die Spur kommt, scheint auch die Flucht in greifbare Nähe zu rücken. Doch weder Tanijen noch die anderen drei ahnen, wie gefährlich dieses Geheimnis ist …

Nina Blazon konzentriert sich dieses Mal hauptsächlich auf die vier Jugendlichen, die sehr unterschiedlich sind. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Konflikte. Während Amber und Sabin mit Erlebnissen in ihrer Vergangenheit zu kämpfen haben, steht zwischen Tanijen und Inu das Ende der gemeinsamen Freundschaft. In der Abgeschiedenheit brechen diese Konflikte erneut auf und es kommt erschwerend hinzu, dass gerade die Mädchen sehr einzelgängerisch sind.

Emotionaler Zündstoff ist dementsprechend vorhanden, und die Stuttgarter Autorin nutzt das für ihre Zwecke aus. Sie flicht ein dichtes, authentisches Netz aus Problemen und Konflikten, das aus seiner Tiefe Spannung bezieht. Sie weiß genau, wie sie die einzelnen Personen zueinander platzieren muss, um den Leser in den Bann zu ziehen.

Das ist natürlich eng mit den Personen selbst verbunden, die bestechend gut ausgearbeitet sind. Sie besitzen Ecken und Kanten, und Blazon hat jede mit einer traurigen Geschichte ausgestattet. Die Figuren werden richtiggehend lebendig und geben dem Leser – obwohl sie in einer ganz anderen Welt leben – die Möglichkeit, sich mit ihnen zu identifizieren.

Anders als in ihren vorherigen Büchern schlägt die Autorin einen ernsteren, erwachseneren Ton an. „Die Sturmrufer“ ist sicherlich nicht so witzig und leichtfüßig wie ihre Reihe |Die Taverne am Rande der Welten|, dafür aber dementsprechend tiefgehender. Der Schreibstil bleibt im Großen und Ganzen der Gleiche. Blazon verzichtet – aufgrund der Ernsthaftigkeit des Buches – auf ihren köstlichen Humor und überdrehte, beinahe satirische Fantasyelemente. Trotzdem schreibt sie bunt und lebendig, auch wenn sich dies eher auf das Innenleben der Charaktere bezieht als auf die Welt, in der die Geschichte spielt.

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Küstenstadt Dantar und die geheimnisvolle Insel blasse Örtchen in einer wässrigen Fantasywelt wären. Im Gegenteil stattet die Autorin den Schauplatz erneut mit vielen wunderbaren Details aus und beweist ein ums andere Mal, wie fantasievoll sie sein kann. Ihr Einfallsreichtum hört nicht einfach so beim Hintergrund der Geschichte auf, sondern reicht weit in den Schreibstil hinein. Immer wieder benutzt sie Elemente der Umgebung um Dantar, um daraus bildhafte, leicht verständliche Metaphern zu bauen, welche die Geschichte sehr anschaulich werden lassen.

Bei all dem Lob gibt es aber auch etwas zu bemängeln. Manchmal scheint sich die Autorin, die 2003 den Wolfgang-Hohlbein-Preis gewann, ein wenig zu sehr auf dem Beziehungsgeflecht der vier Protagonisten auszuruhen. Die Handlung besteht zwar aus sehr vielen guten Einfällen, aber diese sind zumeist nicht sauber kombiniert. Oft fehlt es an Glaubwürdigkeit und an Ordnung, obwohl der Anfang sehr vielversprechend ist. Dadurch wirkt das Buch manchmal recht beliebig, beinahe kraftlos, und es kommt dementsprechend nur wenig Stimmung auf.

Gut, dass man sich aber trotzdem bei Nina Blazon immer auf zwei Dinge verlassen kann: originelle Charaktere und einen fesselnden Schreibstil. Davon gibt es auch in „Die Sturmrufer“ wieder eine hochwertige Kostprobe. Da dies der erste Band der Trilogie |Die Meerland-Chroniken| ist, bleibt nur zu hoffen, dass die Charaktere uns erhalten bleiben und in den beiden folgenden Büchern Abenteuer erleben, wie man sie von Blazon gewohnt ist.

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http://www.ninablazon.de

_Alle Bücher von Nina Blazon auf |Buchwurm.info|:_

[„Im Bann des Fluchträgers (Woran-Saga 1)“ 2350
[„Im Labyrinth der Könige (Woran-Saga 2)“ 2365
[„Im Reich des Glasvolks (Woran-Saga 3)“ 2369
[„Der Bund der Wölfe“ 2380
[„Die Rückkehr der Zehnten“ 2381
[„Der Spiegel der Königin“ 3203
[„Die Reise nach Yndalamor (Die Taverne am Rande der Welten 1)“ 3463
[„Im Land der Tajumeeren (Die Taverne am Rande der Welten 2)“ 3980
[„Der Maskenmörder von London“ 3983

Marzi, Christoph – Malfuria – Die Hüterin der Nebelsteine

Mit [„Malfuria“ 3398 hat Christoph Marzi vor ein paar Monaten den ersten Teil einer neuen, vielversprechenden Trilogie geschaffen. Eine Fantasygeschichte, die sich für Jugendliche wie auch für Erwachsene angenehm liest und von den Abenteuern der Catalina Soleado berichtet.

Catalina lebt in Barcelona in einer Zeit voller Wunder und hat eine besondere Fähigkeit: Mit einem einzigen Federstreich kann die junge Kartenmacherin die Welt verändern. Darum kamen die Schatten nach Barcelona und suchten das Mädchen. Doch Catalina ist den Schatten entwischt. Ihren neu gewonnen Gefährten, den Lichterjungen Jordi, hat sie dabei leider aus den Augen verloren, doch kurz bevor die Schatten sie zu packen bekommen konnten, gelang Catalina die Flucht nach Malfuria.

Malfuria ist kein spezifischer Ort, sondern ein Sturm aus wirbelnden Rabenfedern, deren Form und Erscheinungsbild sich stetig verändern. In Malfuria trifft Catalina die Zigeunerhexe Makris de los Santos und die große Hexe Agata la Gataza. Mit Makris schließt Catalina schon bald Freundschaft, und gemeinsam machen sich die drei auf die Suche nach Catalinas Großmutter Nuria Niebla, eine verschollene mächtige Hexe, die im Kampf gegen die Schatten helfen soll …

Währenddessen irrt Jordi durch die zunehmend von der Dunkelheit verschluckten Gassen Barcelonas. Er hat seine Erinnerung verloren, weiß weder, wer er ist, noch kann er sich an Catalina erinnern. Er trifft zufällig auf einen Mann namens Kopernikus, dem die Schatten eigenartigerweise nichts anhaben können. Gemeinsam mit dem Mann flieht Jordi in Richtung Hafen und trifft im Leuchtturm auf einen verloren geglaubten Teil seines alten Lebens: seinen Vater, der ihnen bei der weiteren Flucht vor den alles verschlingenden Schatten hilft …

„Die Hüterin der Nebelsteine“ knüpft nahtlos an die Geschehnisse des ersten Bandes an, was insofern sehr gut ist, als dieser sehr abrupt endete. Man kann also direkt weiterlesen, was auch durchaus ratsam ist, da Marzi nicht viel Zeit auf Wiederholungen und Zusammenfassungen verschwendet. Man sollte also schon noch halbwegs frisch im Gedächtnis haben, was im ersten Teil passiert ist, damit man nicht den roten Faden verliert.

Jordi und Catalina gehen nun getrennter Wege. Der Plot gabelt sich in zwei unterschiedliche Erzählstränge, wird zum Ende hin aber wieder zusammengefügt, wenn sich die Wege der unterschiedlichen Protagonisten erneut kreuzen. Catalina flieht mit den beiden Hexen und Malfuria aus Barcelona und macht sich auf die Suche nach ihrer Großmutter. Sie werden von den Schatten verfolgt und begegnen einigen eigenartigen feindlichen Kreaturen, z. B. magischen Buchstabenwesen und unheimlichen Mosaikschlangen.

Malfuria und damit dem gesammelten Wissen der Hexenheit droht Gefahr. Agata la Gataza weiß um diesen Umstand, und darum müssen die drei Frauen Catalinas Großmutter finden, die nach dem von Catalinas Mutter begangenen Verrat von entscheidender Bedeutung wäre.

Insgesamt betrachtet passiert in diesem Handlungsstrang eigentlich eher wenig. Catalina ist in Malfuria sicher vor den feindlichen Häschern, wenngleich sie über den Verlust von Jordi sehr unglücklich ist. Und so läuft Jordi Catalina in diesem Band ein bisschen den Rang ab; seine Geschichte ist wesentlich spannender. Seine Flucht mit Kopernikus führt ihn zunächst auf den Leuchtturm seines Vater und dann hoch hinaus in die Lüfte.

Auch Kopernikus als sein rätselhafter Begleiter ist als Figur interessant. Er ist immun gegen die Macht der Schatten, was allerdings nicht bedeutet, dass die beiden vor den dunklen Mächten sicher wären. So verläuft dieser Handlungsstrang recht spannend und unterhaltsam, während die Erzählung um die eigentliche Hauptfigur Catalina gemächlich vor sich hinplätschert.

Konnte der erste Band noch durch seine schön skizzierte Welt und seine fantastischen Einfälle überzeugen, so liefert Marzi im zweiten Teil leider nicht viel Neues. Der Funke mag nicht so recht überspringen, und es schleicht sich das Gefühl ein, „Die Hüterin der Nebelsteine“ könnte ein etwas unausgegorener Schnellschuss sein. Fand ich bislang noch alle Marzi-Romane sehr gelungen, so kam mit diesem Band zum ersten Mal eine gewisse Langeweile auf.

Der Plot ist nicht so temporeich, Marzis Einfälle wirken blasser und farbloser als sonst und nicht zuletzt ist es auch die Hauptfigur Catalina, die einen faden Beigeschmack hinterlässt. Sie tappst irgendwie leidenschaftslos durch den Plot, tut nicht viel, aber wenn, wird sie nur durch ihre Intuition gesteuert und macht – ohne dass viel erklärt würde, warum – direkt alles richtig. Wäre als Gegengewicht nicht noch der Plot um Jordis Erlebnisse mit Kopernikus, so wäre „Die Hüterin der Nebelsteine“ eher als Schlafmittel denn als unterhaltsame Lektüre geeignet.

So schafft man es dann leider auch nicht so recht, in die Geschichte einzutauchen und mitzufiebern. Marzi reicht mit dem zweiten Band der „Malfuria“-Reihe bei weitem nicht an die Qualitäten des ersten Bandes heran, und das drückt leider ziemlich die Motivation, die Geschichte weiterzuverfolgen. Man schlägt das Buch am Ende ziemlich unbeeindruckt zu und staunt höchstens über das viele verschenkte Potenzial in Anbetracht der Vorzüge des ersten Teils.

Bleibt also unterm Strich ein schwacher Eindruck zurück. „Malfuria – Die Hüterin der Nebelsteine“ setzt leider nicht konsequent fort, was Marzi in „Malfuria“ angefangen hat. Die Geschichte plätschert teilweise spannungsarm und unmotiviert vor sich hin. Die Figuren (insbesondere Protagonistin Catalina) wirken teilweise blass und aufgesetzt. An Ideen liefert Marzi nicht viel Neues und man fiebert kaum mit. Der Erzählstrang um die Erlebnisse von Jordi kann zwar noch einiges wettmachen, dennoch ist „Malfuria – Die Hüterin der Nebelsteine“ allenfalls als mittelmäßig zu bezeichnen. Schade, denn eigentlich wissen wir mittlerweile ja, dass Christoph Marzi es wesentlich besser kann, aber hier wird er den Erwartungen einfach nicht gerecht. Hoffen wir, dass das nur ein Ausrutscher war und die nächsten Bücher wieder fesselnder und leidenschaftlicher ausfallen.

http://www.malfuria.de/
http://www.christophmarzi.de/
http://www.arena-verlag.de

_Christoph Marzi auf |Buchwurm.info|:_

[„Lycidas“ 1081
[„Lilith“ 2070
[„Lumen“ 3036
[„Malfuria“ 3398

Martinez, A. Lee – Kompanie der Oger, Die

_Ein Leben nach dem Diner des Grauens._

Erst letztes Jahr durften wir uns an einem flockigen Horrorspaß erfreuen, als A. Lee Martinez eben jenes Genre durch den Kakao zog. Aber Martinez ist ein umtriebiger Bursche, der schon bei der Veröffentlichung vom [„Diner des Grauens“ 2614 ankündigte, dass „The Nameless Witch“ schon so gut wie fertig sei, „Nessys Castle“ ebenfalls, dass der Autor an einer Noir-Verhohnepipelung mit dem Titel „Automatic Detective“ bastle und dass „Die Kompanie der Oger“ schon längst vollendet wäre. Was bleibt, ist die bange Frage: Wie sieht es mit Qualität aus in diesem schaffenstechnischen Sturzbach? Die Werbemaschinerie ist jedenfalls voll des Lobes:

_Schneller, bunter, besser …_

So wird sie nämlich angekündigt, die Geschichte um „Never Dead Ned“, einen Angestellten in der Buchhaltung der „Unmenschlichen Legion“. Ganz seinem Namen entsprechend tut sich Ned nämlich ziemlich schwer mit dem Sterben – oder besser ausgedrückt: Mit dem Totbleiben, denn über den Jordan hopst er relativ häufig. Es ist nachzuvollziehen, dass ständiges Ableben keine sehr angenehme Sache ist, und deswegen fühlt sich Ned in seiner recht ungefährlichen Buchhaltung ziemlich wohl. Das ändert sich allerdings, als er versetzt wird: Fortan soll er die Kompanie der Oger befehligen, einen himmelschreiend verkommenen Haufen, der sich derart an die Vorzüge fehlender Vorgesetzter gewöhnt hat, dass jedem Neuankömmling im Offiziersgewand rasch ein unglückliches Unglück widerfährt …

Nun ja, aber selbst die dümmsten Oger bemerken irgendwann, wie sinnlos die Anstrengung ist, jemanden töten zu wollen, der einfach nicht tot bleibt. Ned darf sich also fortan darum bemühen, seiner Truppe etwas Disziplin beizubiegen und bekommt es dabei mit allerlei schräger Fabelbevölkerung zu tun: Da gibt es einen Gestaltwandler, eine Amazone, eine Sirene, ein Baumwesen, eine fette Elfe, ein blindes Orakel und außerdem Oger, Orks und Kobolde.

Der erste Konfliktstoff zeichnet sich ab, als sich die sonst männermordende Amazone Regina in Ned verguckt, denn ihre Rivalin Miriam hat einen sehr eindrucksvollen Vorteil: Sie ist eine Sirene.

Zwischen deren Kabbeleien versucht sich Ned mit dem Kämpfen vertraut zu machen und wird dabei wiederum versehentlich ins Jenseits befördert, aus dem ihn, wie immer, die geheimnisvolle rote Frau zurückholt. Das ist dann auch der Punkt, an dem der Leser erfährt, dass es einen Grund dafür gibt, warum Ned stets von den Toten zurückgeholt wird. Dieser Grund zitiert dann auch einen mächtigen Zauberer herbei und, was noch viel schlimmer ist, einen herrschsüchtigen Dämonen, der (mal wieder) die Macht über alles und jeden erringen will. In einem gigantischen Schlachtengetümmel darf die Kompanie der Oger schließlich zeigen, was sie wert ist.

_Zu früh geschossen, mein Herr!_

Schon das „Diner des Grauens“ hatte in der Ehrenloge der Fun-Fantasten nichts verloren. Ein weiter qualitativer Abstand musste da attestiert werden, zu Asprins Dämonenzyklus, zu Pratchetts Scheibenwelt und natürlich zum „Per Anhalter durch die Galaxis“-Zyklus von Adams. Es war zwar nicht zu erwarten, dass sich „Die Kompanie der Oger“ plötzlich in die Riege der Meister einreihen dürfen würde, aber ein wenig mehr hatte ich mir vom „Diner …“-Nachfolger schon erhofft.

Die Story hat ein entscheidendes Problem: Sie kann sich nicht entscheiden. Herumalbern? Oder dem Leser etwas Spannendes erzählen? Zwar punktet der Anfang durchaus mit amüsanten Betrachtungsweisen der Eigenarten bestimmter Spezies, aber über ein paar müde Schmunzler kommt man selten heraus: Wenn es etwa um die „musikalischen Fähigkeiten“ von Orks geht, oder um gynäkologische Andeutungen, die den Erregungszustand von Trollfrauen betreffen. Von einer Story ist da weit und breit noch nichts zu bemerken. Na gut, man kann der Amazonenkriegerin und der Sirene dabei zusehen, wie sie sich um Ned kabbeln, und jede der Figuren darf in amüsanten kleinen Szenen ihre Eigenarten zur Schau stellen, aber ohne eine gescheite Handlung fängt man irgendwann an, unruhig auf dem Buchrücken herumzutippen: Alles klar! Lustig. Wie sieht’s mit Story aus? Die kommt spät. Und sie donnert dem Leser den Fantasy-Standard-Holzhammer vor den Schädel. Aber dazu später.

Vorher noch ein paar Worte zum Humor, denn der sitzt diesmal alles andere als sicher. Viel zu oft scheint Martinez aus der Hüfte zu schießen und viel zu oft landet er dabei nur halbherzige Treffer. Am schlimmsten daran: Es klingt alles wie eine missglückte Huldigung des Scheibenwelt-Humors.

Beim „Diner des Grauens“ hat auch nicht jede Pointe gesessen, aber alles war ausgewogener und liebevoller: An schrägen Fabelfiguren gab es eigentlich nur Earl, den weinerlichen Vampir, und Duke, den jähzornigen Werwolf; das schräge Potenzial beider Figuren wurde da viel besser ausgenutzt! In der „Kompanie der Oger“ gibt es viel mehr Schräges, aber Martinez hat sich keine Mühe gegeben, auszuschöpfen, was die Ideen hergegeben hätten – abgesehen vielleicht von einem toll choreographierten Gefecht zwischen Amazone Regina und dem Gestaltwandler Seamus.

Im letzten Drittel des Buches geht der Humor dann in einem Action-Feuerwerk fast vollkommen unter. Natürlich versucht sich Martinez noch in amüsanten Vergleichen und unterhaltsamen Bildern, aber die Story selbst ist ein bierernster Showdown um Neds Schicksal. Das ist wie gesagt auch das Dilemma der „Kompanie der Oger“. Es ist zu wenig amüsant für einen echten Schenkelklopfer und viel zu klischeehaft und vorhersehbar für einen ernst zu nehmenden Fantasyroman. Martinez hat, man muss es leider sagen, eine lieblose Geschichte zusammengezimmert und dann versucht, sie mit seiner Situationskomik zu „beleben“. Hat nicht funktioniert.

Okay, auch spätere Werke aus der Fließbandproduktion eines Terry Pratchett hatten ihre Längen, aber selbst seine schwächsten Scheibenwelt-Bücher haben den Leser nie mit seitenlangen Schlachtenszenen gelangweilt. Pratchetts Glanzleistungen zeichneten sich außerdem nicht nur durch amüsante Szenen aus, sondern konnten vor allen Dingen immer mit scharfsinnigen und pointierten Spannungsbögen punkten, mit einer Grundidee, über die man meist noch Wochen nach Lesegenuss gelacht hat, vollkommen unkontrolliert, mitten im Schulbus manchmal, wofür man sich dann den einen oder anderen verwunderten Blick eingefangen hat. Und so etwas fehlt der „Kompanie der Oger“ vollkommen: Die Idee um die Unsterblichkeit von Never Dead Ned kann es nicht ansatzweise mit den schreiend absurden Gedankenspielereien aufnehmen, die es etwa im unvergesslichen „Schweinsgalopp“ zu lesen gibt. Die Idee hinter Neds Unsterblichkeit ist einfach derart unsensibel an den Haaren herbeigezogen, dass sie eigentlich schreien müsste. Schade! Da kann man nur hoffen, dass Martinez von seinem Fließband-Trip herunterkommt und seine Geschichten künftig mit Ruhe und Liebe ausfeilt.

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Troisi, Licia – Auftrag des Magiers, Der (Die Drachenkämpferin 2)

Band 1: [„Im Land des Windes“ 2488

_Story_

Nach der unschönen Trennung zwischen Sennar und Nihal gehen die beiden einstigen Lehrlinge ihren Weg fortan alleine. Sennar hat vom hohen Rat der Magier den Auftrag bekommen, die Reise in die Untergetauchte Welt anzutreten und dort nach Verstärkung im Kampf gegen den schier übermächtigen Tyrannen zu suchen. Noch nie zuvor ist jemand aus dieser Welt zurückgekehrt, so dass auch Sennar sich damit abfindet, eventuell in einer tödlichen Sackgasse zu landen. An Bord eines Piratenschiffes, dessen Besatzung er auf der Überfahrt nicht nur fürstlich entlohnt, sondern auch durch den Einsatz von Magie vor dem Tod bewahrt, gelingt es ihm tatsächlich, bis in die Nähe der mystischen Unterwasserwelt vorzudringen. Doch dort angekommen, stellt sich sein Unterfangen als beinahe aussichtslos heraus. Er wird sofort eingekerkert, und sein unvermeidlicher Schuldspruch scheint ihm den befürchteten Tod zu bringen. Ganz auf sich alleine gestellt, muss er nun beweisen, dass er ein würdiger Vertreter des Rates ist und den Frieden für alle Länder zum Ziel hat.

Unterdessen sucht auch Nihal innerhalb der Armee der Drachenritter nach Unterstützung im Kampf gegen den Tyrannen. Sie wird in ein fremdes Lager ausgesandt und trifft auf ihrem Weg den alten Weggefährten Laio, der nach wie vor bis ins Mark verängstigt, aber dennoch bereit ist, seiner Bestimmung als Knappe der Drachenritter zu folgen. Jedoch ist sein Vater ein mächtiger Mann an der Spitze der Armee und verachtet seinen Sohn. Noch während sie Laio in Schutz nimmt und ihn dazu ermutigt, sich dem Wahnsinn seiner Familientradition zu widersetzen, erfährt sie immer mehr über ihre verborgene Vergangenheit – bis sie eines Tages vor dem Angesicht des Mannes steht, der einst ihr Volk ausrottete und nun auch die letzte Halbelfin beseitigen möchte. Doch damit nicht genug: Der fürchterliche Gnom Dola hat eine unverhoffte Verbindung zu einem ihrer engsten Freunde …

_Persönlicher Eindruck_

Ein geschlagenes Jahr hat man auf die Fortsetzung des fabelhaften Auftakts der Trilogie um die Drachenkämpferin Nihal warten müssen, ein Jahr jedoch, in dem die sympathische Geschichte um die ehrgeizige junge Halbelfin und ihren Verbündeten aber nie so wirklich aus dem Gedächtnis verschwunden war. Nun liegt seit dem Frühjahr die deutsche Erstausgabe des zweiten Romans der italienischen Erfolgsautorin Licia Troisi in den Händlerregalen bereit und erfreut sich dort, völlig zu Recht, anscheinend recht großer Beliebtheit.

Anders als noch im ersten Band konzentriert sich die Autorin dieses Mal verstärkt auf den zweiten Protagonisten Sennar, dessen Abenteuer an Bord des Piratenschiffes zwar nicht mehr ganz dem Fantasy-Bereich zuzuordnen sind, die sich aber dennoch einfach fabelhaft lesen. Zwar ist die Übersetzung sprachlich betrachtet nicht wirklich anspruchsvoll und die Geschichte damit auch eher auf ein jugendliches Publikum zugeschnitten, aber alleine schon durch die fantastische Erzählatmosphäre wird die manchmal etwas kindliche Sprache mit Leichtigkeit wieder aufgefangen. Des Weiteren besitzt Troisi ein echtes Talent dafür, neue Welten zu umschreiben und Stimmungen und Emotionen zu vermitteln. Auch „Der Auftrag des Magiers“ besticht abseits der actionreichen Abenteuerhandlung mit tollen Umschreibungen von Zwischenmenschlichem, den dazugehörigen wunderbaren Charakterzeichnungen und schließlich mit einem sehr detailliert entworfenen Setting, das nicht zu Unrecht sehr stark an das umjubelte literarische Werk von [„Eragon“ 3228 erinnert.

Indes durchleben unsere tapferen beiden Helden zahlreiche Gefahren, werden vor schwierige Entscheidungen gestellt und kämpfen gegen unzählige Widerstände, um ihre Verbündeten von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Sowohl Sennar als auch Nihal trachten nach nichts anderem als einem Leben in Frieden und sind fest entschlossen, selbst gegen die Obrigkeit ihres Standes eine kleine Palastrevolution anzuzetteln. Dies bewirkt einmal mehr, dass man sich sofort mit der nunmehr zum Drachenritter gekürten Heldin verbunden fühlt. Ihr unbändiger Wille sowie ihr oftmals verzweifelter Heldenmut sind Attribute, mit denen man sich als Anhänger des Genres auf Anhieb identifizieren möchte. Und ebenso fühlt man mit ihr, als sie von einem intriganten Verrat erfährt, ihr persönliches Schicksal am seidenen Faden hängt oder aber ihre Herkunft von grausamen Schatten verdunkelt wird. Im Laufe des Buches ist es schließlich doch wieder Nihal, die als eigentliche Heldin im Vordergrund steht. So fantastisch Sennars Auftritt zu Beginn auch sein mag: Nihal ist es, die in „Die Drachenkämpferin II“ die Akzente setzt und dem Leser schlussendlich wieder die entscheidende Begeisterung vermittelt – und das will beim tollen Start an Bord des Piratenschiffes durchaus etwas heißen.

Ein nennenswerter Minuspunkt ist indes, dass die Spannung häufig durch die recht eindeutigen Überschriften genommen wird. Gerade erst entwickelt sich ein weiterer Bogen, doch mit dem Ende eines Kapitels, also just an dem Zeitpunkt, an dem man gar nicht mehr abwarten kann, wann die individuelle Bombe platzt, folgen Überschriften, die in wenigen Worten zusammenfassen, welchen Lauf die Handlung nehmen wird. Und gerade zum Schluss, wo sich einige inhaltliche Puzzlestücke nahtlos zusammenfügen, wünscht man sich schon, dass die Geschichte über die Erzählung als solche transferiert wird und man nicht schon vorab die Highlights herausfiltern kann. Dies wird sicherlich auch dadurch begünstigt, dass manche Charaktereigenschaften und künftige Handlungsstränge in groben Zügen vorhergesagt werden können. Es fällt schwer zu glauben, dass Nihal eines Tages ihrem Schicksal erliegen wird, so oft sie dieses Mal auch am Rande des Todes steht, und auch ein Ableben Sennars würde für den Verlauf der Geschichte eher ein ungünstiges Handlungselement darstellen, da die Wege der beiden Protagonisten auf kurz oder lang sowieso zusammenzuführen scheinen.

Allerdings ist es auch in „Der Auftrag des Magiers“ die Art und Weise, wie Licia Troisi die Verknüpfungen herstellt, die den Leser letztendlich mitreißt. Die herrliche Atmosphäre, die sympathischen Charaktere und die grundsätzlichen, netten Ideen machen auch den zweiten Teil der Trilogie zu einem Festival der Fantasy-Literatur für junge Leser, welches einerseits zwar keine großen Ansprüche an die Leserschaft stellt, dafür aber andererseits mit wertvollen Attributen glänzt. Ich schließe mich der Meinung an, dass diese Italienerin zu den hoffnungsvollsten Vertreterinnen der modernen Fantasy gehört und gebe ein zweites Mal meine Empfehlung für „Die Drachenkämpferin“.

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Schäfer, Rüdiger – Atlan – Das Sphärenrad (Rudyn-Trilogie 2)

Band 1: [„Die Psi-Kämpferin“ 4061

_Story_

Die Anzeichen der Existenz eines weiteren Zellaktivgators führen Atlan fortan mit seiner neuen Kollegin Trilith Okt nach Rudyn, einem Stützpunkt der Zentralgalaktischen Union, die der USO gegenüber zwar diplomatisch eingestellt ist, die United Stars Organisation und ihre Anführer Atlan und Perry Rhodan jedoch nicht in ihrem Machtbereich duldet. Insofern ist auf der Reise ins Ephelegon-System größte Vorsicht geboten, zumal die Kalfaktoren Rudyns derzeit mit der Aufrüstung eines gewaltigen Sphärenrads beschäftigt sind, welches dem Volk sowohl militärischen als auch wissenschaftlichen Fortschritt gewähren soll.

Allerdings wird die Suche nach dem Zellaktivator gleich von mehreren problematischen Umständen begleitet, die außerhalb des Einflusses des Lordadmirals liegen. Die politische Führung Rudyns ist in Intrigen und Hinterlisten verstrickt, angeführt vom Kalfaktor der Wissenschaften Ponter Nastase, der sich still und heimlich den kürzlich auf Finkarm entdeckten Zellaktivator gesichert und alle Beweise über dessen Existenz und sein schmieriges Handeln anschließend beseitigt hat.

Atlans Aufgabe ist es nunmehr nicht bloß, den Garanten für die Unsterblichkeit sicherzustellen, sondern auch das politische Gleichgewicht, bestimmt von liberalen Vordenkern wie Neife Varidis, zu wahren. Doch Nastases teuflischer Plan leitet alsbald ein Horror-Szenario ein, welches Atlans jüngstes Unternehmen zu einer waghalsigen Schlacht um Leben und Tod geraten lässt.

_Persönlicher Eindruck_

Mit großen Erwartungen verfolgte ich in den letzten Tagen die Fortführung des wirklich beachtlich debütierten „Rudyn-Zyklus“, der bereits mit dem Auftaktband ein weitaus höheres Potenzial als die vorangegangene „Lepso-Trilogie“ aufwies und vor allem die zunächst enttäuschten Fans des treuen Gefährten Perry Rhodans beschwichtigen konnte. Nun, da ein weiterer Autor das Regiment übernommen hat, waren die Befürchtungen ob der jüngsten Erfahrungen mit der neuen „Atlan“-Serie recht groß, „Die Psi-Kämpferin“ könne womöglich eine Ausnahmeerscheinung in diesen Reihen sein. Jedoch nimmt Rüdiger Schäfer etwaigen Vorbehalten bereits mit den ersten Kapiteln von „Das Sphärenrad“ jeglichen Wind aus den Segeln. Vielmehr führt er die Story auf einem noch höheren Niveau fort und etabliert eine Erzählkultur, die definitiv an die besten Momente des großen Bruders Rhodan erinnert. Intelligent, facettenreich und dennoch aufs Wesentliche fokussiert – so stellt man sich moderne, gehobene Science-Fiction schließlich auch vor. Aber auch die inhaltlichen Fortschritte sind vorzüglich, sowohl was die spannungsvoll aufgebaute Struktur der Erzählung als auch die zahlreichen Wendungen betrifft, denen man in mittleren Band der „Rudyn-Trilogie“ beiwohnen darf.

Interessant ist in diesem Sinne vor allem die Charakterisierung der verschiedenen Hauptakteure, die hier in vielen kleinen Kapiteln kategorisch vorgestellt werden und dennoch bisweilen ein Mysterium bleiben. So erfährt man zwischenzeitlich einiges über den Verbleib von Trilith Okt, bevor diese mit Atlan zusammentraf, und bekommt anhand der unzähligen Charakterprofile auch einen immer besseren Überblick über die politischen Ränke, die sich zwischen den Organisationen der Galaxis im Stillen abspielen.

Doch gerade jenes Zwischenkapitel um Trilith Okt und das dramatische Schicksal der weiblichen Besatzung eines Raumers, der auf dem Planeten Fauron abstützte, bereichern die Geschichte ungemein, auch wenn sie eingangs wegen der noch nicht erkennbaren Verbindungen zum eigentlichen Plot als überflüssig empfunden werden. Jedoch schafft es Schäfer sehr treffsicher, die vielen Nebenstränge zu einer homogenen Einheit zu formen und die Ereignisse stets in Zusammenhang mit den nachfolgenden Begebenheiten, die für die aktuelle Haupthandlung wichtig sind, zu bringen.

Was die Fortsetzung der Story betrifft, unternimmt der Autor jedoch einen recht radikalen Schwenk. Trilith und Atlan treten nun als Einheit für das gemeinsame Ziel auf, sind sich aber nicht wirklich grün. Atlan schätzt die Psi-Kämpferin für ihre kämpferischen Begabungen und ihren Überlebensdrang, hasst dafür aber ihre kompromisslose, eiskalte Art. Okt hingegen hält den Lordadmiral für einen Mann großer Reden und bescheidener Taten, bis sie irgendwann doch zu dem Schluss kommt, „… dass der Anführer der USO Eier in der Hose hat“. Dieses Dilemma zieht sich als interessanter Nebenstrang durch die Geschichte und bestimmt auch einen Teil der Atmosphäre, die von vielen unberechenbaren Momenten geprägt ist, welche wiederum auf dieses ungleiche, nun jedoch nicht mehr losgelöst voneinander auftretende Paar zurückzuführen ist. Störend ist in dieser Hinsicht allerdings das manchmal zu selbstgefällige Auftreten Atlans, dargestellt in Erfahrungsberichten, die seine Person rühmen, in dieser Form aber eher prahlerisch wirken. Dies ist jedoch insgesamt nur eine Begleiterscheinung, die im gesamten Kontext des Auftretens unseres Titelhelden kaum noch nennenswert ist.

Dafür glänzt Rüdiger Schäfer in den entscheidenden Momenten jedoch mit raschen Szenenwechseln und verschärftem Tempo. Obwohl der Autor nun die beiden Protagonisten an einem Schauplatz versammelt hat, ist er weiterhin darauf angewiesen angewiesen, zwei parallel zusammenlaufende Geschichten zu erzählen, für dessen souveränes Gelingen ihm ebenfalls großes Lob gebührt. Sowohl die Reise des Diskusraumers, in dem sich Trilith und der Lordadmiral befinden, als auch das korrupte, intrigante Machtspiel, welches inmitten des Sphärenrads ZUIM vor sich geht, werden überzeugend dargestellt und steuern unwiderruflich auf ein baldiges Finale zu, welches die Spannung bereits an den Siedepunkt treibt.

Insofern kann man abschließend auch nur resümieren, dass der Autor den Faden intelligent weitergesponnen hat und den Anspruchslevel dank der detailverliebten Beschreibungen, der raschen Sprünge zwischen den recht unterschiedlichen Szenarien und der Steigerung des sprachlichen Niveaus noch einmal hat erhöhen können. Die undankbare Aufgabe, den mittleren Teil einer Trilogie zu schreiben, ist ihm ergo auch nicht zum Verhängnis geworden. Stattdessen hat er die gute Vorlage genutzt und mit einer teils spektakulären Story zielsicher verwandelt. Nun ruht alle Hoffnung auf Michael Buchholz, dass er die „Rudyn-Trilogie“ ebenso würdig zu Ende bringt, wie sie bis dato verlaufen ist. Es steht nämlich mittlerweile außer Frage, dass diese Mini-Reihe nicht zuletzt wegen des hier erstmals aufblitzenden, sarkastischen Humors (in den Dialogen zwischen Atlan und seinem Extrasinn) potenziell zu den besten aus dem weitläufigen Universum Atlans gehört. Ein Comeback des klassischen Atlan also? Nun, nach den Eindrücken des insgesamt fünften Romans der neuen Serie muss man dies beinahe uneingeschränkt bejahen!

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Charles Stross – Dämonentor. Die mysteriösen Fälle des Bob Howard

Der Heyne-Verlag deklariert diesen Roman mit dem Schriftzug: »Die große Mystery-Serie«. Sollen wir also davon ausgehen, dass dies der erste Band einer Serie wie »Akte X« ist, wie uns der Umschlag glauben macht? Auf der Autorenhomepage findet sich nur der Hinweis auf den Roman »The Atrocity Archives«, der in England ein großer Erfolg gewesen sei und nun unter anderem ins Deutsche für den Verlag übersetzt wurde. Jedensfalls erschließt sich daraus nicht, ob es zu »Dämonentor« weitere Romane geben wird. Lesen wir ihn also unter dem Gesichtspunkt der Eigenständigkeit.

Bob Howard arbeitet für eine Abteilung des britischen Geheimdienstes, die unter Eingeweihten als »Wäscherei« bekannt ist. Er ist für die Netzwerke und einzelnen Rechner der Einrichtung verantwortlich und integriert sich mit wachsender Beteiligung in den aktiven Außendienst. Dabei kümmert sich die Abteilung um mathematische Grundlagen zur Erschaffung sogenannter Tore zu anderen Universen, durch die je nach Beschaffung Daten oder auch feste Körper transferiert werden können. Die Wäscherei sorgt dafür, dass diese Mathematik der breiten Bevölkerung unzugänglich bleibt, da die außeruniversalen Wesen oft den schlimmsten Alpträumen entsprungen zu sein scheinen und für die Erde die Vernichtung bedeuten könnten, außerdem ist dieselbe Wirkung durch physikalische Einflüsse zu befürchten, wenn die Tore nicht richtig gesichert werden.

Auch in Deutschland ist Charles Stross kein Unbekannter mehr, denn mit seinen drei Science-Fiction-Romanen »Singularität«, »Supernova« und »Accelerando« wurde er regelmäßig für Preise nominiert. Er schreibt mit außergewöhnlichem Stil und mit außergewöhnlichen Ideen und ist schon von daher lesenswert, plus den hohen Unterhaltungsfaktor seiner Geschichten.

Die drei bisher erschienenen Romane waren Science-Fiction, bei »Dämonentor« fällt die Einordnung nicht so leicht. Durch übernatürliche und okkulte Aspekte macht der Verlag keinen Fehler, wenn er das Buch als Mystery führt, allerdings kennt der Protagonist die mathematischen Hintergründe dieser Geschehnisse und nimmt damit diesen »mystischen« Hauch echter unerklärlicher Geschichten.

Der Protagonist ist ein kleiner Computerfreak, der sein Schicksal gelassen sieht. Es hat ihn für immer in die Wäscherei verschlagen, also macht er das Beste daraus und versucht, dem Papierkram der Bürokratie möglichst aus dem Weg zu gehen. Dabei faszinieren ihn die Theorien über Außerirdische, Paralleluniversen und die Praxis dazu stark. Er versucht, über alle für ihn erreichbaren Quellen auf dem aktuellen Stand der Fälle zu sein, dadurch gerät er mit seinen hochbürokratischen Vorgesetzten aneinander. Zu seinem Glück ist ein höheres Tier der Gesellschaft ein Freund von ihm, ein anderer erkennt sein Potenzial und übernimmt ihn.

Howard stellt sein Licht immer unter den Scheffel, außerdem steht er ziemlich weit unten auf der Karriereleiter. Trotzdem wird schnell deutlich, dass er sich ausgezeichnet auskennt und einer der besten und intelligentesten Agenten der Wäscherei ist, auch wenn weder diese noch er selbst das ohne weiteres eingestehen.

Stross lässt seinen Protagonisten Ich-erzählen, wodurch die Ereignisse mit interessanten Kommentaren gespickt werden können. Außerdem kann er ihn die fiktiven technisch-mathematischen Hintergründe seiner Paralleluniversumstheorie erläutern lassen, was dann auf das Wesen des Protagonisten zurückgeführt werden kann und das Mitteilungsbedürfnis des Autors versteckt.

Zum Unterhaltungswert des Buches kann man nur sagen: eins-a. Stross ist ein begnadeter Erzähler, er lässt Bob Howard in ironischer, teilweise fatalistischer Art über seine Arbeit sprechen und spinnt durchweg einen spannenden Erzählfaden. Der Entwurf dieser geheimen Agentenabteilung mit ihren Intrigen, ihrer Bürokratie und der Würze der Charaktere bietet tatsächlich die Grundlage für eine großartige Serie. Bei der Menge heutiger Serien sollte man nur hoffen, dass Stross es nicht übertreibt und sein Potenzial nach ein paar Romanen um Howard auch anderen Projekten zur Verfügung stellt.

Fazit: »Dämonentor« ist trotz des deutschen Titels ein Buch für jedermann, der sich spannender, intelligenter Thrillerunterhaltung mit einem ironischen Spritzer Mystery hingeben will.

Originaltitel: The Atrocity Archives
Aus dem Amerikanischen von Mechthild Barth
Taschenbuch, 400 Seiten

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (14 Stimmen, Durchschnitt: 2,79 von 5)

 

Mehnert, Achim – Atlan – Die Psi-Kämpferin (Rudyn-Trilogie 1)

_Story_

Man schreibt das Jahr 3012 alter terranischer Zeitrechnung. Atlan und die Mitglieder der United Stars Organisation scheinen von größeren Zwischenfällen verschont, als plötzlich ein merkwürdiger Notruf vom USO-Stützpunkt auf dem Planeten Finkarm die Zentrale im Quinto-Center erreicht. Mit letzter Kraft hat jemand die Information über einen versteckten Zellaktivator an den Lordadmiral entsenden können, bevor er hilflos und vom Kampf gezeichnet zusammenbricht und stirbt. Atlan zögert nicht lange und erforscht mit einem Spezialeinsatzteam die USO-Außenstation, um die merkwürdigen Ereignissen zu rekapitulieren.

Tatsächlich bemerkt er mit seinem unwirschen Einsatz auf Finkarm, dass der Einfluss eines Unsterblichkeit versprechenden Zellaktivators die Atmosphäre bestimmt und selbst Agenten der USO mit radikalen Mitteln in den Besitz des wertvollen Geräts zu kommen versuchen. Aus Angst, von seinen eigenen Leuten überrumpelt zu werden, tritt der Lordadmiral alleine den einsamen Weg durch die Wüste des Xanthab-Systems an und wird dort Zeuge mehrerer grausamer Begebenheiten.

Unterdessen an einem gänzlich anderen Schauplatz: Das junge Mädchen Trilith Ork wird auf seinem Heimatplaneten von einer Piratentruppe aufgegabelt und von ihnen in den rauen Lebensalltag auf See eingeführt. Über die Arbeiten in einem Bordell gelangt sie schließlich an eine Reihe unterschiedlicher Herren, die ihre Ausbildung zur Kämpferin vorantreiben und ihr immer deutlicher das Gefühl geben, dass ihr gesamter Lebensweg vorbestimmt ist. Allerdings kommt ihr eines Tages der Gedanke, dass immerzu Menschen sterben müssen, damit dieser Weg beschritten werden kann. Aber nach all ihren Erfahrungen ist Trilith abgebrüht und eiskalt – und entwickelt sich vielleicht zur größten Gefahr für das gesamte Universum …

_Persönlicher Eindruck_

Nach dem zufriedenstellenden, aber sicherlich nicht vollends überzeugenden Auftakt der neuen „Atlan“-Romanreihe mit der „Lepso-Trilogie“ bahnt sich mit dem zweiten Drillingskonzept dieser Tage nicht nur eine erhebliche Steigerung, sondern mitunter eine der besten, spannungsreichsten Storys der jüngsten, literarischen Science-Fiction-Vergangenheit an. Die einzelnen Akteure wurden in vielerlei Hinsicht besser ausgearbeitet, die Charakterprofile sind schlüssiger und man fühlt sich über weite Strecken ein ganzes Stück intensiver in die Figuren und die Handlung hineinversetzt. Außerdem gelingt es Autor Achim Mehnert sehr gut, die beiden parallel verlaufenden Stränge gleichwertig in Szene zu setzen und den Fokus nicht ausschließlich auf den Titelhelden zu konzentrieren. Gegenteilig ist es nämlich in erster Linie Trilith Ork, deren schicksalhaften Lebensweg der Leser vordergründig begleitet und die insgesamt weitaus dominanter im Mittelpunkt steht.

Merkwürdig, andererseits aber auch wieder fortschrittlich ist dabei die Aufarbeitung ihrer persönlichen ‚Karriere‘ im Rahmen einer Fantasy-Handlung. Trilith schlägt sich mehrere Jahre auf einem Piratenschiff durch, kämpft später auf dem Schlachtfeld und hat überhaupt keine Vorstellung von den übergeordneten, für sie unvorstellbaren kosmischen Konstellationen, die das gesamte Universum bestimmen. Ihr Horizont endet jenseits der See bzw. an der Himmelspforte, und auch ihre Umwelt wirkt im Science-Fiction-Setting von „Atlan“ eher altertümlich und infolge dessen auch äußerst kontrastreich, was den Vergleich zur Haupthandlung um den Lordadmiral betrifft. Im Gegensatz dazu ist Atlans Einsatz trotz der neuerlichen Brisanz eher eine Routinemission und in diesem Sinne eine völlig typische, wenn auch sehr gut ausstaffierte Science-Fiction-Erzählung, die zunächst einmal gar nicht mit den Geschehnissen in Triliths Heimatwelt in Einklang zu bringen ist. Mehnert knüpft im ersten Band zwar diverse Verbindungspunkte, doch zunächst offenbaren sich dem Leser nur zwei völlig divergierende Welten samt komplett losgelösten Zusammenhängen, jedoch beide auf ihrem Level sehr spannend und im Falle Triliths auch partiell echt bewegend.

Allerdings bleibt vorerst auch nur festhalten, dass dieser Auftakt nur das mächtige Potenzial aufbereitet, dass die „Rudyn-Trilogie“ bis auf Weiteres zu bieten hat. Welten öffnen sich, Verfolgungsjagden sind an der Tagesordnung, und irgendwo zwischendrin bewegen sich die beiden Hauptakteure mit einer unheimlichen Eleganz, die den SF-Begeisterten schnell in ihren Bann ziehen wird. „Die Psi-Kämpferin“ ist dementsprechend eine sehr ansprechende Verquickung von Fantasy, Science-Fiction und Drama und bringt den besten Freund Perry Rhodans mit einem Mal wieder zurück auf eine der Führungspositionen im deutschen Science-Fiction-Genre. Sollten die beiden nachfolgenden Bände von Rüdiger Schäfer respektive Michael H. Buchholz nahtlos daran anknüpfen können, darf man endlich von einem gelungenen Comeback sprechen!

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Gaiman, Neil – Anansi Boys

Neil Gaiman wird gemeinhin als Fantasy-Autor bezeichnet. Dieser Begriff weckt vage Assoziationen an Elfen und Drachen, an Zwerge, verzauberte Schwerter und tausend andere Dinge, die dem Klischee entsprechen. Wer den Begriff Fantasy jedoch nur in den engen Bahnen von „Harry Potter“, „Lord of the Rings“ und „Narnia“ denkt, wird überrascht sein, mit welch erfrischendem Geschick Gaiman dem Genre neues Leben einhaucht.

In seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen Roman „Anansi Boys“ kommen weder Elfen oder Drachen noch Zwerge oder Zauberschwerter vor. Das muss nicht sein, das haben andere schon vor ihm gemacht. Die Geschichte spielt im Hier und Jetzt, wobei Hier zu gleichen Teilen London und Florida meint, einen kurzen Abstecher auf eine Pazifik-Insel ausgenommen. Der phantastische Teil von „Anansi Boys“ ist eng mit der Realität verwoben. Der Leser bemerkt zunächst gar nicht unbedingt, dass er sich in einem Fantasy-Szenario befindet. Wenn Gaiman im ersten Kapitel seine Hauptfigur Charles Nancy vorstellt (den alle nur Fat Charlie nennen, obwohl er gar nicht dick ist) und ihn berichten lässt, wie und auf welche Weise sein Vater in einer Karaoke-Bar starb, erscheint alles zunächst nur etwas merkwürdig und eigenartig, vielleicht nur eine lange Reihe von Zufällen. Dennoch enthält der Text verborgene Hinweise, Bruchstücke eines großen Ganzen, das die Geschichte überwölbt.

Fat Charlies Vater starb singend, angetrunken, auf einer Bühne in einer Bar. Er brach plötzlich zusammen, fiel vornüber und landete mit der Nase in dem ausladenden Ausschnitt einer blonden Touristin, mit der er kurz zuvor noch geflirtet hatte. Das ist ein Abgang, der für ein ganzes Leben stehen kann. Als Fat Charlie auf der Beerdigung seines Vaters erfährt, dass er einen Bruder hat, beginnt für den Leser das Spiel mit der Wirklichkeit. Charlie, dessen psychische Konstitution hart auf die Probe gestellt wurde und dessen Leben wahrlich kein Zuckerschlecken ist, könnte in seiner Not einen Bruder erfunden haben, der genau so ist, wie er selbst schon immer sein wollte. Während Fat Charlie träge, geduldig und gutmütig ist, benimmt sich sein Bruder wie das genaue Gegenteil: Er ist frech, unruhig und clever. Irgendwie ähnelt er dem jungen Frank Sinatra. Dieser Bruder heißt Spider, und der Leser darf sich fragen, ob ihm da nur ein äußerst skurril-witziges Familientreffen vorgesetzt wird oder ob er Einblick in die schizophrene Innenwelt der Hauptfigur erhält.

Durch Spider gewinnt Fat Charlie Einblick in eine völlig neue Welt. Er lernt, dass die Dinge nicht statisch sind, was ihm neue Perspektiven auf seine Beziehung zu der gutherzig-langweiligen Rosie Noah eröffnet als auch auf seinen Job in dem Künstler-Büro des verschlagenen Grahame Coats. Lange hält Fat Charlie es jedoch mit Spider nicht aus. Er bringt Charlies Leben völlig durcheinander. Und Spider will nicht wieder von selbst verschwinden, sondern es sich im Leben seines Bruders richtig gemütlich machen. Ob es Charlie hilft, den Teufel mit Belzebub auszutreiben?

Hier und da wird behauptet, „Anansi Boys“ sei der Nachfolger von Gaimans Roman „American Gods“. Abgesehen von der Idee, dass einige alte Götter unerkannt unter den Menschen leben, haben beide Romane jedoch keinerlei Berührungspunkte. Hinzu kommt, dass die Geschichte von „Anansi Boys“ kompakter ist, irgendwie runder als „American Gods“, das größtenteils eine lockere Aneinanderreihung von Ereignissen war. Gaiman, der ein großartiger Erzähler von Kurzgeschichten ist, wie die Anthologie „Die Messerkönigin“ und die Comic-Serie „Sandman“ zeigen, wird geübter mit Romanen. Und er wird freundlicher, sanfter. „Anansi Boys“ ist hauptsächlich eine lustige Geschichte, bunt geschmückt mit originellen Details und witzigen Figuren. Mancher Leser, der beispielsweise „Niemalsland“ mochte, wird die dunklen, ekelhaften und gewalttätigen Nuancen vermissen, die Gaiman ebenso beherrscht wie das Humorvolle. Was Romane angeht, ist Gaiman also noch längst nicht am Ende seines Könnens angelangt. Sein nächster Roman möge bitte genau so geschlossen und rund sein wie „Anansi Boys“, aber bitte einen Schuss bösartiger, mit mehr Action und Gänsehaut. Und – hier eine Bitte an den deutschen Verleger – mit einer besseren Übersetzung. Die holpert nämlich leider viel zu oft bei der deutschen Fassung von „Anansi Boys“.

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Novik, Naomi – Drachenprinz (Die Feuerreiter Seiner Majestät 2)

Mit [„Drachenbrut“, 3781 dem ersten Teil ihrer Trilogie „Die Feuerreiter seiner Majestät“, hat Naomi Novik ein unterhaltsames und eigenwilliges Fantasy-Debüt vorgelegt. Entsprechend groß sind logischerweise die Erwartungen an „Drachenprinz“, den zweiten Band der Reihe.

Nach den bestandenen Schlachten aus dem ersten Teil erwarten Feuerreiter Will Laurence und seinen Drachen Temeraire nun neue Abenteuer. Schon am Ende des ersten Teils deutete sich ein Szenario an, das nun vollends Gestalt annimmt. Temeraire war ursprünglich als Geschenk des chinesischen Kaisers an Napoleon gedacht. Nach dem Kapern einer französischen Fregatte fiel Temeraires Drachenei den Engländern in die Hände, und dort hat er nach Meinung der Chinesen gar nichts zu suchen. Vor allem wird Laurence auch als nicht würdig empfunden, als Kapitän dieses hochgeschätzten und äußerst seltenen Himmeldrachen zu dienen. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Die Chinesen wollen Temeraire, bzw. Lung Tien Xiang, wer er bei den Chinesen heißt, zurückhaben.

Zu diesem Zweck reist eine chinesische Delegation nach England, um den Drachen dort abzuholen, möglichst ohne ihren Kapitän. Doch so einfach lässt Temeraire sich nicht ohne seinen geliebten Laurence entführen. Durch Temeraires Weigerung sind die Chinesen gezwungen, auch Laurence die Reise nach China zu erlauben, wo alles weitere geklärt werden soll. Die Engländer erhoffen sich durch diese Reise nicht zuletzt eine günstige Verhandlungsposition in politischen und wirtschaftlichen Fragen.

Und so steht Temeraire und Laurence eine abenteuerliche Reise nach China bevor, auf der es so manche brenzlige Situation zu meistern gibt: Angriffe des Feindes, verheerende Stürme, Begegnungen mit Meeresungeheuern sowie Spannungen und Intrigen an Bord des Drachentransporters „Allegiance“. Doch so wirklich abenteuerlich wird es erst, als die beiden chinesischen Boden betreten …

Nach dem überaus positiven Eindruck von „Drachenbrut“, hat „Drachenprinz“ verständlicherweise mit einem ziemlichen Erwartungsdruck zu kämpfen. Naomi Novik hat die Latte mit dem ersten Band schon sehr hoch gelegt, und so bekommt sie im Laufe des zweiten Bandes dann doch stellenweise Schwierigkeiten, diese Erwartungen auch wirklich auszufüllen.

Schnell ist der Leser wieder mittendrin in der Handlung. Der Einstieg fällt leicht, und Temeraire, Laurence und die übrige Drachenbesatzung wachsen einem schnell wieder ans Herz. Erste Spannungen bauen sich gleich zu Beginn auf, als die chinesische Delegation in England die Herausgabe des Drachen fordern. Die Beziehung zwischen Laurence und Temeraire ist durch die Geschehnisse in Band eins gefestigt und sehr innig, eine Trennung der beiden somit auch für den Leser undenkbar.

Die Reise nach China, die eine Eskalation der Situation vermeiden und zu einer Verbesserung des englisch-chinesischen Verhältnisses beitragen soll, ist von Anfang an nicht mehr als ein fauler Kompromiss. Die Reise steht unter schlechten Vorzeichen, und so gibt es auf der Monate dauernden Fahrt so manche unangenehme Situation durchzustehen. Dass die chinesische Delegation unter der Leitung von Prinz Yongxing mit an Bord reist, verschärft die Situation nur und sorgt für weitere Spannungen.

Die Seereise der „Allegiance“ nimmt etwa die Hälfte des Buches in Anspruch, und da wären wir auch schon beim ersten Kritikpunkt. Die Fahrt zieht sich schier endlos, immer wieder unterbrochen von kleineren Abenteuern, Spannungen und Intrigen. Auch wenn es natürlich logisch ist, dass ein Segelschiff in der damaligen Zeit eine halbe Ewigkeit von England nach China unterwegs war, hätte man sich als Leser doch eine etwas straffere Abhandlung der Reise gewünscht.

So geht im Verhältnis betrachtet der Showdown in China viel zu schnell. Das Finale wird geradezu im Hauruck-Verfahren vorangetrieben und wirkt etwas gehetzt. Hätte Novik die Seereise etwas gestrafft, hätte sie für das Finale mehr Zeit gehabt. Dem Roman hätte das sicherlich gutgetan. Die Geschehnisse in China sind schließlich derart verwickelt, dass ihre Auflösung etwas mehr Platz verdient hätte, um sie stichhaltig und nachvollziehbar darzulegen. So wirkt die Schilderung mancher Ereignisse in China leider etwas unausgegoren, und gerade der Überfall der Hunhun-Bande erscheint etwas überzeichnet und in seinem Verlauf geradezu unwahrscheinlich.

Das ist insbesondere deswegen schade, weil Novik sich ansonsten sichtlich Mühe gibt, eine stimmige Atmosphäre heraufzubeschwören. Sie unterstreicht die kulturellen Unterschiede zwischen China und Europa und entwirft für die Chinesen eine völlig entgegengesetzte Art der Drachenkultur. Durch diesen Gegensatz haben auch Laurence und Temeraire reichlich Diskussionsstoff, der sicherlich auch ein wichtiger Bestandteil des nächsten Teils der Reihe sein wird, da dieser Themenkomplex über die Unterschiede in der Drachenhaltung zu bedeutungsvoll ist, als dass Novik ihn für die Zukunft einfach wieder fallen lassen könnte.

Die charakterliche Entwicklung der Figuren wird vor allem von dem Druck einer eventuell bevorstehenden Trennung von Laurence und Temeraire geprägt. Gerade Temeraire reift unter diesem Druck weiter heran. Er lernt, sich gegenüber den Chinesen zu behaupten, sieht sich aber gleichzeitig mit einer fremdartigen Welt konfrontiert, die gleichermaßen ein Teil von ihm wie auch völlig neu ist. Interessant dürfte sein, wie diese neuen Eindrücke Temeraires weitere Entwicklung beeinflussen. Das werden wir ab Oktober sehen, wenn mit „Drachenzorn“ der dritte Band der Reihe vorliegt.

Bleibt unterm Strich also ein etwas durchwachsener Eindruck zurück. Die Geschichte um Laurence und Temeraire ist noch immer eine sehr liebenswürdige. Novik legt ihre Welt mit viel Fantasie an und vermittelt sie dem Leser plastisch und farbenprächtig. Das Kampfgeschehen sorgt wie schon im ersten Teil für viele Spannungsmomente, dennoch hat „Drachenprinz“ auch mit ein paar Schwächen zu kämpfen.

So nimmt die Seereise im Verhältnis zu viel Raum ein, es schleichen sich einzelne Längen ein, wohingegen das Ende der Geschichte dann teilweise zu hastig abgespult wird und dabei nicht immer überzeugen kann. Trotzdem macht Naomi Noviks Fantasy-Reihe „Die Feuerreiter seiner Majestät“ noch immer Spaß: Lockere, unterhaltsame und größtenteils spannende Fantasy-Unterhaltung für Jung und Alt.

Offizielle Homepage der Autorin:
http://www.temeraire.org/

Deutsche Fanseite:
http://www.temeraire.de/

Website des Verlags:
http://www.cbj-verlag.de

Harrison, M. John – Nova

Saudage ist in ihren Außenbezirken eine verfallene, von Randexistenzen und Kriminellen bewohnte Stadt auf einem erdfernen Planeten der Zukunft, die indes eine Besonderheit aufweist: Vor Jahren tat sich ein Riss im Raum-Zeit-Gefüge auf, der Saudage zur Hälfte verschlang bzw. eine Region mit fest umrissener Grenze schuf, innerhalb derer die bekannten Naturgesetze keine Gültigkeit besitzen.

Menschen können hier geraume Zeit überleben, doch sie zahlen dafür mit Krankheit und einem beschleunigten Alterungsprozess. Das Risiko gehen Glücksritter gern ein, denn die „Aureole“ birgt außerirdische Artefakte, mit denen sich viel Geld verdienen lässt. Weil das Risiko groß ist, dass sich diese als gefährlich entpuppen, steht das Betreten des Ereignisgebiets unter Strafe.

Einer dieser Abenteurer ist Vic Serotonin. Derzeit steht er unter Druck, denn er hat ausgerechnet dem mächtigen Schwarzhändler Paulie DeRaad ein Artefakt verkauft, das diesen körperlich und geistig mutieren lässt. Außerdem ist ihm der hartnäckige Ermittler Lens Aschemann auf den Fersen, der ihn angeblich überführen möchte, während er tatsächlich selbst Ungesetzliches plant. Zu allem Überfluss verliebt sich Vic in die psychisch instabile Elisabeth Kielar, die eine neue Lebensperspektive ausgerechnet im Inneren der Aureole sucht, wohin Vic sie führen soll.

Die Aureole wächst, und in ihrem Inneren geht Seltsames vor, das zunehmend auf die Außenwelt übergreift. Wie weit wird diese Ausbreitung gehen – und lässt sie sich notfalls zum Stoppen bringen? Fieberhaft studiert Vic die verworrenen Aufzeichnungen Emil Bonaventuras, seines Mentors, der angeblich bis ins Zentrum der Aureole vorgedrungen ist. Ist dort der Schlüssel zum Verständnis dieses Phänomens zu finden? Vic geht zurück, und Elisabeth will ihn auf seine Expedition begleiten. An der schwankenden Grenze zur Aureole treffen sie auf Aschemann und einen schrecklich veränderten, rachsüchtigen Paulie. Vic und Elisabeth flüchten in die Aureole, wohin Aschemann ihnen folgt …

Die Zukunft wird ein absonderlicher Ort sein. Das mag als Einleitung zur Rezension eines Science-Fiction-Romans wie eine Binsenweisheit klingen. Wer diese Lektüre liebt und sie sich nicht durch „Battletech“-Balla-Ballereien, Fließband-Epen und andere Sünden des Genres vermiesen lässt, muss freilich viel oft feststellen, dass die Welt von Morgen als mehr schlecht als recht getarntes Spiegelbild der Gegenwart daherkommt. Simpel-Action und Soap-Opera scheinen sich mit leichten futuristischen Elementen prächtig zu verkaufen, aber Science-Fiction ist das nicht.

Der Mensch wird sich voraussichtlich – oder sollte man sagen: hoffentlich? – in seinem Denken und Handeln weiterentwickeln, obwohl Grundsätzlichkeiten vermutlich bleiben werden; Liebe und Hass, Gier und Großzügigkeit, Mut und Angst prägen uns und werden uns immer prägen. Das Umfeld dieser Menschen der Zukunft wird hingegen ein deutlich anderes sein, und es wird die beschriebenen Emotionen und Denkweisen und die daraus resultierenden Handlungen beeinflussen.

Das ist das Spielfeld für ‚richtige‘ SF. Sie stellt Ansprüche an ihre Autoren, fordert sie heraus, eher zu extrapolieren als zu variieren. Auf der anderen Seite sehen sich die Leser intellektuell herausgefordert. Wenn sie sich einem ambitionierten Verfasser wie M. John Harrison anvertrauen, werden sie erfreut feststellen, dass es abseits der ausgetretenen Pfade literarisches Neuland zu entdecken gibt.

Die Expansion der „Aureole“ ist nur ein Handlungsstrang; er ist nicht einmal der wichtigste und endet noch weit vor dem Finale. „Nova“ ist ein Roman, in dem Handlung und Stimmung sich die Waage halten. Harrison beschreibt eine fremdartige, exotische Welt, die er nicht unbedingt erklärt. Er betrachtet sie durch die Augen seiner Figuren, die selbstverständlich mit ihr vertraut sind und sich die Erläuterung des Alltags sparen. Das lässt viel Raum für eigene Interpretationen, was reizvoll sein aber durchaus in Verwirrung enden kann. Davon sollte man sich nicht schrecken lassen; nur jene Leser, die partout keine ungelösten Rätsel, schwer zu deutenden Visionen oder offen bleibenden Fragen lieben, sollten besser in ihrer kleinen, klaren Welt bleiben, wie sie z. B. in der „Sendung mit der Maus“ definiert wird.

Denn das Unerklärliche ist Programm in Saudage. Nicht umsonst liegt die Stadt direkt neben einer Anomalität, die ihre Grenzen sprengt und lange Zeit unbemerkt die Realität, wie wir bzw. die Bewohner von Saudage sie kennen, nachhaltig unterminiert. Was geschieht wirklich, was beruht auf Einbildung bzw. der Fehlfunktion von Sinnesorganen; gibt es eine erschreckendere Entdeckung als die, dass man seinen eigenen Augen nicht mehr trauen kann? So ergeht es auch uns Lesern, denen der Verfasser den festen Boden unter unseren Füßen wegzieht.

Inhaltlich wie stilistisch lässt sich „Nova“ als Post-Cyberpunk kategorisieren. Der Cyberpunk, ein SF-Subgenre, das in den 1980er Jahren für Aufsehen sorgte, weil es der Science-Fiction eine gänzlich neue literarische Dimension zu bieten schien, hat sich längst im breiten Strom der SF aufgelöst. M. John Harrison bedient sich bekannter Cyberpunk-Klischees, erschafft eine Welt mit scharfen gesellschaftlichen Kontrasten, in der sich jede/r selbst der Nächste ist. Cyberpunks sind Außenseiter, die sich um das Gesetz nicht scheren, sondern mit mehr als einem Bein im multimedialen Datenstrom stehen, der die Gegenwart dieser Zukunft prägt. Saudage ist auf allen Ebenen vernetzt, Hightech steht auch den Armen und Ausgestoßenen zur Verfügung, hat sie aber entgegen der Prognosen futurfixierter Vordenker keineswegs aus dem Elend befreit, sondern altbekannte Missstände nur in neue Formen gegossen.

Vic Serotonin ist so ein später Cyperpunk, nur dass ihm so gar kein anarchistischer Impetus mehr innewohnt. Die digitale Revolution hat längst ihre Kinder gefressen. Vic ist kein idealistischer Gegner des Systems, sondern ein Kleinkrimineller, der sich ohne Hoffnung auf eine positive Wende durch sein trübsinniges Leben treiben lässt.

So wie ihm geht es den meisten Menschen in seinem Umfeld. Nicht einmal die Tatsache, dass Vic sich regelmäßig in die Aureole wagt, macht ihn zu einer besonderen Person. Er hat keine Ahnung, was dort geschieht, sondern sammelt ängstlich Artefakte, die er nicht versteht, und verkauft sie weit unter Wert an skrupellose und clevere Ausbeuter, ohne sich Gedanken über mögliche Folgen zu machen.

Die Gesellschaft von Saudage scheint allerdings ohnehin an einem Punkt angekommen zu sein, an dem ihr herzlich gleichgültig ist, was ihr da aus fremder Dimension ins Haus schneit. Die Grenzen zwischen Realität und Aureole sind mindestens ebenso verwischt wie die Grenzen zwischen ‚analogem‘ und ‚digitalem‘ Alltag. Die Menschen lassen sich operativ ‚umschneidern‘, verwandeln sich in bizarre Kreaturen, die eine neue Mode in noch groteskere Gestalten treiben kann; sie lassen ihr Hirn und ihre Sinne künstlich ‚aufrüsten‘ und schaffen sich Ebenbilder aus Bits & Bytes – wie sollen sie überhaupt registrieren, dass etwas wirklich Fremdes über sie kommt?

In dieser Stadt der Haltlosen wirkt Lens Aschemann als Gesetzeshüter nicht fehl am Platze. Er entscheidet, was ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ ist. Scheinbar ist er niemandem Rechenschaft schuldig. Dabei ist Aschemann ein psychisch arg aus der Bahn geworfener Zeitgenosse, der sich mit seiner toten Gattin zu unterhalten pflegt und auch sonst ein auffälliges Verhalten an den Tag legt. Seine Assistentin wirkt auf den ersten Blick systemkonformer, doch sie hegt ihre eigenen Neurosen und ist eine Sklavin ihres ‚getunten‘ Körpers.

So leben die Bewohner von Saudage, obwohl auf allen Ebenen vernetzt, im Grunde nebeneinander her. Eine traurige Zukunft ist das, von der Harrison uns erzählt. „Nova“ kennt keine Helden, keine Schurken, sondern nur durchschnittliche Menschen in einer unwirtlichen Welt.

Die wirkt zu großen Teilen wie aus einem von Ted Benoits „Ray Banana“-Comics übernommen. Harrison übertreibt es mit seinem offensiven Mix aus futuristischer Hightech im Retro-Gewand. Wieso sollten die Bewohner von Saudage eine Vorliebe ausgerechnet für die irdische Architektur, Mode, Musik etc. der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besitzen? Antwort: So lässt sich Hirnschmalz sparen, das sonst in die Darstellung einer wirklich fortschrittlichen oder wenigstens fortgeschrittenen Gesellschaft investiert werden müsste.

Aus dem „Film Noir“ ist die düstere Atmosphäre ‚entliehen‘. Alle Figuren sind quasi verdammt, wenn wir sie kennen lernen. Manche – wie Vic oder Emil – haben es erkannt und akzeptiert, manche glauben wie Fat Antoyne Messner und Irene, die Mona, noch immer an eine Chance, die sich ihnen u. a. an Bord des Raumschiffs „Nova Swing“ schließlich bieten wird.

Post, Retro, Film Noir – Eine positive aber objektive Kritik darf und muss sogar erwähnen, dass „Nova“ nicht zwangsläufig ‚Literatur‘ sein muss, nur weil der Verfasser mit den Regeln der Simpel-SF bricht. Harrison beherrscht sein schriftstellerisches Handwerk. Dennoch keimt der Verdacht auf, dass er hier weniger neu kreiert als routiniert abspult. Auch ‚anspruchsvolle‘ Literatur kann nach Autopilot entstehen – eine Tatsache, die Literaten und Literaturwissenschaftler gern abstreiten. Sie setzen dabei erfolgreich auf die heimliche Angst des Lesers, er (oder sie) sei schlicht zu dumm, den geistigen Höhenflügen des Verfassers zu folgen. Man darf sich da nicht irremachen lassen: Hinter manchem Adler versteckt sich nur eine lahme, aber schlaue Ente.

„Nova“ ist letztlich durchschnittliche SF mit Anspruch – interessant, aber simpel geplottet, was Harrison durch eine fein ziselierte Sprache (die ihre Übersetzung wohlbehalten überstanden hat) gleichzeitig zu veredeln und zu bemänteln weiß. Die Antwort auf die Frage nach der ‚Qualität‘ dieses Romans muss sich der Leser deshalb vor allem selbst beantworten. Wer dennoch Führung wünscht, mag sich an der Tatsache orientieren, dass „Nova“ mit einem „Arthur C. Clarke Award“ als bester Roman des Jahres 2006 ausgezeichnet wurde.

Michael John Harrison wurde am 26. Juli 1945 in der englischen Stadt Rugby (Warwickshire) geboren. Nach seiner Schulzeit arbeitete er zunächst in einem Reitstall, ging dann zum College, ließ sich zum Lehrer ausbilden, ging aber ohne Abschluss nach London und versuchte sich als Schriftsteller.

Schon 1966 erschien seine erste Science-Fiction-Story in Michael Moorcocks berühmten Magazin „New Worlds“. 1968 wurde Harrison hier redaktioneller Mitarbeiter; er blieb es bis 1975 und veröffentlichte in diesen Jahren nicht nur weitere Kurzgeschichten, sondern auch Essays und Rezensionen, die sich durch Genrekenntnis und Schärfe auszeichneten.

Ein erster Roman („The Pastell City“, dt. „Die Pastell-Stadt“) erschien 1971. Harrison zeigte sich schon hier und zunehmend in seinen späteren Werken als Autor, der vordergründige Action mied und stattdessen Science-Fiction schrieb, die offene Fragen und Missstände der Gegenwart auslotete. Die Schrecken einer skrupellosen Globalisierung, das Versagen der Politik oder den Zerfall von Gesellschaften bildeten und bilden die Themen, mit denen Harrison sich beschäftigt, dem deshalb die Kritik eher gewogen ist als die breite Leserschaft. Auch seine Fantasy (u. a. der „Viriconium“-Zyklus) ist fern aller Tolkien-, Williams- oder Pratchett-Tümelei.

Der Privatmann M. John Harrison ist ein passionierter Bergsteiger. Für seinen Roman „Climbers“ wurde er 1989 mit einem „Boardman Tasker Prize for Mountain Literature“ ausgezeichnet. Auch für seine SF-Romane und Kurzgeschichten verlieh man ihm diverse Preise, so 2006 einen „Arthur C. Clarke Award“ für den Roman „Nova Swing“ (dt. „Nova“).

http://www.heyne.de

_M. John Harrison auf |Buchwurm.info|:_

[„Licht“ 907
[„Die Centauri-Maschine“ 2851

Roberts, Adam – Sternensturm

_Kleiner Ausschnitt einer großen Bibliographie._

Adam Roberts ist ein umtriebiger Autor, der seit 2000 bereits zehn Science-Fiction-Romane veröffentlicht hat, eine Science-Fiction-Kurzgeschichtensammlung und zwei Bücher über Science-Fiction. Dazu kommen noch sechs Parodien, die |Dr. Who| auf die Schippe nehmen, das |Silmarillion|, den |kleinen Hobbit|, |Star Wars|, |Matrix| und den |Da Vinci Code|. Zur deutschen Übersetzung haben es davon „Das Stiehlnemillion – Die Tolkien-Parodie“ geschafft, „Der kleine Hobbnix – Die Tolkien-Parodie“ und „Star-Warped – Die Krieg-der-Sterne-Parodie“.

Nicht zu vergessen, dass Roberts als Dozent tätig ist, an der University of London, um sich zum einen mit Literatur des 19. Jahrhunderts zu befassen, aber auch mit der Postmoderne – insbesondere mit Science-Fiction.

Von Roberts‘ Science-Fiction-Ergüssen sind nur wenige ins Deutsche übersetzt worden: sein Erstling „Salt“ („Sternennebel“), „Stone“ („Sternenstaub“) und das vorliegende „Sternensturm“ (im Original: „Polystom“). Dazu sei gesagt, dass die drei Romane inhaltlich nicht zusammenhängen, auch wenn die deutsche Titelgebung etwas Derartiges suggeriert. Jedenfalls ist „Polystom“ bereits 2003 erschienen, während die fünf Nachfolger noch auf ihre Übersetzung warten: die Kurzgeschichtensammlung „Swiftly“ (2004), „The Snow“ (2004), „Gradisil“ (2006), „The Land of the Headless“ (2007) und „Splinter“ (2007). Nicht vergessen werden sollen auch die unübersetzten Vorgänger von Polystom: „On“ (2001), „Park Polar“ (2002) und „Jupiter Magnified“ (2003)

_Ein verkannter Profi des Besonderen._

Wenn man sich die Lesermeinungen in diversen Online-Buchgeschäften so ansieht, die um Roberts übersetzte Science-Fiction-Werke kreisen, schwinden alle Hoffnungen, dass die besagten Polystom-Nachfolger jemals den Weg in die deutschen Büchereien schaffen. Grund für den allgemeinen Unmut mag vielleicht die etwas ungeschickte Coverwahl von |Heyne| sein, denn hypermoderne Riesenraumschiffe finden sich in „Sternensturm“ nicht, ebenso wenig wie die krasse Hardcore-Science-Fiction, deren Erwartung einem der werbewirksam abgedruckte Kommentar von Stephen Baxter einflüstert. Stattdessen begegnet Roberts der Science-Fiction auf eine wunderbar unkonventionelle Art, die dem Raumschiff-Puristen mit Sicherheit aufstößt, aber hiermit jedem Leser empfohlen sei, der sich auf die etwas andere Science-Fiction einlassen kann und Abstand braucht von altbekanntem Weltraumgeballer.

_Was wäre, wenn …_

… es den Äther tatsächlich gäbe, wenn die Sonne in einer Atmosphäre arbeitete, wenn man zwischen den Planeten mit Zeppelinen und Flugzeugen fliegen könnte, wenn Himmelswale durch den Äther zögen, um sich von interplanetarem Plankton zu ernähren? Dann wären die Planeten um einiges kleiner, als sie es in unserer Welt sind, und es wäre auch nichts Besonderes, wenn einzelne Menschen Verwalter ganzer Welten wären. Dementsprechend ist Polystom ein solcher Verwalter, auf dem Papier zumindest, denn eigentlich ist er der Sohn des verstorbenen „echten“ Verwalters und eher adligem Nichtstun verpflichtet als politischen Aufgaben. Polystoms Herz schlägt für die Poesie und für die Wälder, die sein Gut umwachsen, für sein Flugzeug außerdem und für seinen Onkel Kleonikles, den er des Öfteren auf dem Mond besucht – um sich auszuweinen meistens.

Nun, der Leser jedenfalls erfährt schon auf der ersten Seite des Buches, dass Kleonikles nur noch drei Tage zu leben hat. Bevor dieses Ereignis aber eintritt, streift man durch Polystoms Vergangenheit, erlebt seine gescheiterte Ehe mit der seltsamen Beeswing und erfährt, dass Kleonikles der absurden Theorie nachhängt, es könnte auch Planeten- und Sonnensysteme in einem Vakuum geben. Dann, wenn man dem Leben und Leiden dieser beiden Figuren zugesehen hat, wird Kleonikles wie angekündigt umgebracht und Polystoms Leben nimmt eine weitere Wendung.

Er verpflichtet sich dazu, am Krieg auf dem Schlammplaneten teilzunehmen, wo sich Bedienstete gegen ihre Herren aufgelehnt haben und nun schon Jahre ihrer Niederwerfung trotzen konnten. Polystom lässt einen Teil seiner eigenen Dienerschaft ausbilden und fliegt selbst mit auf den Schlammplaneten, als diensthabender Offizier, um dort schmerzhaft lernen zu müssen, dass Krieg alles andere als poetisch und heldenhaft ist. Außerdem, und das ist viel wichtiger, stößt er dort auf ein Geheimnis, das ihn vor eine schwere und schicksalhafte Entscheidung stellt …

_Weltraumabenteuer mit Figuren-Fokus._

Wo andere Science-Fiction-Romane großen Wert auf ihr Universum legen und auf möglichst abgefahrene Techno-Spielereien, legt Roberts in diesem Roman den größten Wert auf seine Figuren. Das obig skizzierte Szenario mag gähnend langweilig erscheienen, und mit Sicherheit wäre es das auch, würde Roberts seine Feder nicht so pointiert und scharfzüngig führen. Seine Bilder sind frisch und unverbraucht, seine Dialoge treffen voll ins Schwarze und nie hätte ich gedacht, dass man Gehässigkeit so geschickt zwischen die Zeilen eines Buches packen kann.

Sympathische Figuren sucht man in „Sternensturm“ jedenfalls vergeblich. Polystom etwa, diese selbstverliebte, Untergebene verheizende, dummdreiste, naive, standesdünkelnde Heulsuse, stürzt einen ständig in ein Wechselbad der Gefühle: Entweder hasst man ihn, oder man bemitleidet ihn. Seine gescheiterte Ehe etwa … Als man am Anfang des Buches davon erfährt, hat man noch das Standardbild der gescheiterten Ehe vor Augen: eine normale Beziehung, man lebt sich auseinander, wie eine Ehe eben so kaputtgeht. Aber von wegen. Diese „Ehe“ verdient ihre Bezeichnung nur in Polystoms Wahrnehmung, der Leser erlebt ein grauenhaftes Fiasko durch die narzistisch selbstüberschätzende Brille, die Polystom trägt. Alleine schon sein Balzverhalten lässt einen gehässig Tränen lachen, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen oder beides. Das Ganze gipfelt allerdings in einem knallharten Psychoduell, bei dem irgendwann auch der dunkelsten Seele das Lachen im Halse stecken bleibt: Ständig betrachtet man die Geschehnisse aus dem Blickwinkel des „höherwertigen Polystom“, der von seiner Frau Respekt einzufordern versucht, weil sie „diese Ehe als ein Geschenk betrachten und mit Respekt würdigen sollte, da sie gesellschaftlich weit unter ihm stünde.“

Die ganze Gesellschaft in dieser parallelen Welt ist geprägt von einem beinharten Hierarchiesystem und es ist sicher nicht übertrieben anzunehmen, dass Roberts mit „Sternensturm“ einen herben Angriff auf blaublütigen Dünkel verüben will und auf die Natur des Menschen im Allgemeinen. Der ganze Roman ist eine einzige Spitze, vollgepackt mit giftigem Humor, der manchmal so bitter zynisch und pechschwarz ist, dass man sich nur noch hinter vorgehaltener Hand zu lachen traut. Zum Ende hin verflüchtigt sich der Humor allerdings und leidenschaftlicher Zynismus gewinnt die Oberhand: Die Bilder werden zunehmend drastisch, als Polystom den Krieg auf dem Schlammplaneten erlebt, und Roberts‘ Stil überschreitet ein ums andere Mal die Grenze zum Bösartigen. Und hier, man hat schon gar nicht mehr erwartet, nimmt dann doch die Science-Fiction die Zügel in die Hand und überrascht den Leser mit einem unerwarteten Finale.

_Besondere Kost für besondere Leser._

Ja, der Science-Fiction-Anteil von „Sternensturm“ hält sich definitiv in Grenzen, beschränkt sich auf die Beschreibung der alternativen Physik des Universums, auf die Forschungsbeschreibungen von Polystoms Onkel und auf den Clou am Ende. Auch dieser Clou wird nicht jeden Geschmack treffen, ich wage zu behaupten, dass man ihn entweder liebt oder hasst, aber das trifft mit Sicherheit auf das ganze Buch zu. Dementsprechend ist es nicht ganz einfach, die Zielgruppe einzugrenzen, die an „Sternensturm“ ihre Freude haben könnte.

Wer sich ein Buch mit dem Titel „Sternensturm“ sonst nicht kaufen würde, hat jedenfalls schon mal gute Chancen für die Kandidatenliste. Wer sich bei Raumschiffen auf dem Buchcover sonst mitleidig lächelnd abwendet, sollte ebenfalls hellhörig werden. Wer sich auf eine gallige Gesellschaftsfiktion einlassen kann, mit einem Humor, der manchmal so böse zwischen den Zeilen hockt, dass er diese Bezeichnung kaum noch verdient, bekommt ebenfalls Pluspunkte auf seinem Kandidatenindex. Jetzt braucht es nur noch eine Begeisterung für das futuristisch-philosophische Gedankenexperiment, um sich guten Gewissens auf den Weg in das nächste Buchgeschäft zu machen. „Sternensturm“ ist ein mutiges Kleinod von ausgesuchter Gemeinheit!

http://www.heyne.de

|Adam Roberts auf Buchwurm.info:|

[„Sternenstaub“ 2308
[„Der kleine Hobbnix“ 477
[„Star Warped“ 1495

Arthur C. Clarke – Inseln im All

clarke-inseln-im-all-cover-1983-kleinJüngling Roy besucht eine Raumstation, lernt den schwerelosen Alltag kennen und erlebt viele lehrreiche Abenteuer … – Aus heutiger Sicht naiver „Roman für die Jugend“, der allzu didaktisch daherkommt, aber sehr interessant die längst verworfene Vision einer Zukunft beschreibt, in der Technik und Wissen für Weltfrieden und Wohlstand sorgen.
Arthur C. Clarke – Inseln im All weiterlesen

Bionda, Alisha (Hg.) / Borlik, Michael (Hg.) – Wellensang

_Autoren:_

Christel Scheja
Irene Salzmann
Barbara Jung
Alisha Bionda
Barbara Büchner
Marlies Eifert
Armin Rößler
Heike Reiter
Solveig Perner
Frank W. Haubold
Michael Borlik
Andrea Tillmanns
Linda Budinger
Arthur Gordon Wolf
Eddie M. Angerhuber
Dominik Irtenkauf
Ines Haberkorn
Lutz Schafstädt
Stefanie Bense

Alisha Bionda und Michael Borlik haben sich die Arbeit gemacht und aus über 200 Texten die 18 besten ausgewählt und eine Anthologie herausgebracht, die so in ihrer Form und Aufmachung wohl einzigartig ist. Nicht zuletzt, weil mit Patrick Hachfeld ein Künstler gewonnen werden konnte, der jede Geschichte mit einer extra angefertigten Illustration versehen hat. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit liegt dem Leser nun als „Wellensang“ vor und versteht es bereits von der ersten Seite an, den Leser zu fesseln, zu begeistern und die Fantasie schweifen zu lassen.

18 Autoren und Autorinnen haben ihrer Kreativität freien Lauf gelassen und Kurzgeschichten verfasst, die fast sämtliche Spielarten der Fantasy-Literatur umfassen. Mal gefühlvoll wie in der titelgebenden Story „Wellensang“ von Linda Budinger oder in „Welt zwischen den Zeilen“ von Alisha Bionda, mal geheimnisvoll und mysteriös wie in „Das Lied der Krähe“ von Christel Scheja. Dass Fantasy nicht immer realitätsfremd und abgehoben sein muss, beweist unter anderem Arthur Gordon Wolf in seiner Geschichte „Von Zähnen, Sternen und Feen“. Dabei reicht die Palette von bekannten Namen der modernen deutschen Literatur bis hin zu unbekannten, aber ungemein talentierten Newcomern. Auffallend ist dabei, dass es eben nur deutsche Autoren sind, die den Beweis dafür antreten, dass anspruchsvolle Fantasy nicht immer von englischsprachigen Schriftstellern verfasst werden und auch nicht unbedingt in Hunderte von Seiten zählende Wälzer ausarten muss.

Die Autoren schöpfen sämtliche Möglichkeiten dieser Literatur-Gattung aus und bieten dem Leser eine abwechslungsreiche Mischung von Kurzgeschichten. Dass dabei nicht jede Story den eigenen Geschmack trifft, muss man akzeptieren und ist bei dieser Fülle an Storys unumgänglich.

Den Abschluss der Anthologie bildet Stefanie Bense, die mit ihrem Artikel „Fantasy im Dickicht der Definitionen“ ein wenig Struktur und Klarheit in das Genre bringt, welches selbst für Kenner oftmals eine unübersichtliche Zahl an Subgenres beinhaltet.

Fazit: Phantastisches Lesebuch mit märchenhaften Illustrationen und Geschichten voller Einfallsreichtum und Kreativität.

http://www.schreib-lust.de

_Florian Hilleberg_

Duncan, Dave – Omar, der Geschichtenhändler

Omar, der Geschichtenerzähler, ist ein typischer Vertreter seiner Zunft. Mit der Wahrheit nimmt der gewitzte Schelm es nicht so genau, auch wenn er von sich selbst behauptet, aus hehren Motiven Geschichten|händler| geworden zu sein, für ihn ist das ein wesentlicher Unterschied zum bloßen Geschichtenerzähler: Die meisten Geschichten sind bloß nacherzähltes Garn, nur wenige Geschichten hingegen sind wahr und werden so erzählt, wie sie sich zugetragen haben. Omar sieht es als seine Aufgabe an, solch große Geschichten selbst mitzuerleben, nur so kann er sicher sein, dass sie auch authentisch sind. So gerät er oft in gefährliche Situationen und wird selbst Teil der Geschichte.

Als Omar über die |Straße der Plünderer| nach Zanadon kommt, auf der Flucht vor den barbarischen Horden der Vorkan, wird er versklavt. Doch gewitzt wie er ist, kann er mit seinem Gefährten Thorian ausbrechen. Zufällig wird er Zeuge einer verschlagenen Intrige, mit der die Priesterschaft, der Kriegsherr und reiche Kaufleute die Macht an sich reißen wollen. Die bildschöne Shalial Tharpit soll Hohepriesterin werden und als Marionette gemeinsam mit dem legendären Kriegsgott Balor, in Wahrheit Publian Fotius, ein brutaler und unfähiger Enkel des Kriegsherren, über Zanadon herrschen. Omar und Thorian haben Mitleid mit der von der Priesterschaft übertölpelten Shalial und helfen ihrem Liebhaber, sie zu retten. Doch ohne die Vermählung der Hohepriesterin mit dem Kriegsgott selbst würde Zanadons Armee den Glauben an den uralten Mythos der Unbesiegbarkeit verlieren, der auf dieser Geschichte beruht …

Auch in der |Jägerschenke| befindet sich Omar in einer sehr misslichen Situation: Er ist splitternackt, hat kein Geld und den Hund des Wirts erschlagen. Dieser möchte ihn ohne viel Federlesens in die tödliche, eiskalte Nacht hinausjagen. Omar lässt sich auf einen Wettstreit ein, um seine Haut zu retten: Jeder der Gäste erzählt eine Geschichte, und Omar muss sie überbieten. Leider erweisen sich viele Gäste als begabte Erzähler mit schier unglaublichen Geschichten, doch Omar ist raffiniert: Er erzählt seine „wahre“ Version der Geschichte, die entweder noch unglaublicher ist, oder die Geschichte mit einem Cliffhanger fortführt, so dass man ihn gewinnen lassen muss, damit er weitererzählen kann …

_Der Autor_

Dave Duncan wurde 1933 in Schottland geboren, lebte und arbeitete aber nach Abschluss seines Universitätsstudiums seit 1955 in Kanada als Geologe auf Erdölfeldern. Er ist verheiratet und hat mit seiner Frau Janet drei Kinder und wohnt derzeit in Victoria, British Columbia. Seine Karriere als Schriftsteller begann 1988 mit der Trilogie „Das Siebte Schwert“, 1990 folgte die „Pandemia-Saga“. Er schrieb auch Science-Fiction und historische Romane unter den in Deutschland eher unbekannten Pseudonymen Ken Hood und Sarah B. Franklin. Am bekanntesten dürfte er für die Serie „Des Königs Klingen“ (1998) sein, Mantel- und Degengeschichten in einem fiktiven Mittelalter mit einigen Spritzern Magie. Der bisher letzte Teil der noch nicht abgeschlossenen Serie, „Die Jaguar-Krieger“, erschien 2007 in deutscher Übersetzung bei |Bastei Lübbe|. Drei ein wenig mehr auf Jugendliche ausgelegte Abenteuer junger Klingen, scherzhaft „Des Königs Dolche“ genannt, erschienen 2006 als Sammelband gleichen Namens im |Otherworld|-Verlag.

Auch „Omar, der Geschichtenhändler“ ist ein Sammelband aus denselben Verlag, der die beiden bisher erschienenen Romane um Omar vereint: „Die Straße der Plünderer“ und „Die Jägerschenke“.

_Ein gewitzter Schelm, so wie sein Schöpfer_

Omar dürfte sehr viel von seinem Schöpfer Dave Duncan besitzen; der Humor, mit dem er über dessen (Un-)Taten schreibt, zeugt von viel Selbstironie. Das Szenario ist vor allem in „Die Straße der Plünderer“ sehr orientalisch; hier kann Omar seine an 1001 Nacht erinnernden märchenhaften Geschichten blumig und wortgewaltig zum Besten geben. Doch leider muss er seine Gabe meistens für Lügenmärchen verwenden, nur um seinen Kopf zu retten. Das Umschlagbild zeigt den nackten Omar in der Jägerschenke, eine für ihn typische Situation; oft besitzt er nichts anderes mehr als seine Geschichten und seinen Verstand, um sich aus misslichen Situationen zu befreien. Ein reicher Mann ist Omar nicht, verwahrt sich aber vehement gegen die Bezeichnung „Bettler“. Ein königlicher Gewaltherrscher und sogar ein Gott war er schon im Verlaufe seines ereignisreichen Lebens. Nun ja, alles leider nur für sehr kurze Zeit, eben bis der Schwindel aufgeflogen ist.

In „Die Straße der Plünderer“ ist Omar selbst in das Geschehen verwickelt, gemeinsam mit seinem Gefährten Thorian, von dem in der zweiten Geschichte des Sammelbands, „Die Jägerschenke“, keine Rede mehr sein wird. Der Reiz dieser Geschichte ist die Vermischung von Omars Geschichten, Zanadonischen Legende und Wahrheit. Viele Charaktere sind nicht das, was sie von sich zu sein behaupten, einige sind mehr, als es den Anschein hat. Selbst Omar wird überrascht, und weder für ihn noch den Leser ist es ganz klar, ob nicht doch der Gott Balor schließlich der Stadt zur Hilfe gekommen ist, oder ob es nur ein einfacher Mensch war. Omar selbst darf als Gott der Geschichte an der Seite des Kriegsgotts wandeln, während das Volk ihnen zujubelt.

„Die Jägerschenke“ spielt in einem eisigen Nordland, es gibt keinen Bezug zur Omars vorherigen Abenteuer. Die gesamte Handlung spielt in der Schenke, in der ein – wieder einmal – splitternackter Omar mit einem Geschichtenerzählerwettstreit seine Haut zu retten versucht. Das besondere Vergnügen dieses Romans ist, wie Omar aus einer anfangs recht simplen Geschichte einen langen Faden spinnt, bis alle Geschichten zusammen einen schlüssigen Geschichtenzyklus ergeben. Sehr witzig ist, wie er selbst die absurdesten Geschichten seiner Mittbewerber elegant zurechtbiegt und in seine eigene Geschichte einbringt. „Die Jägerschenke“ braucht ein wenig Zeit, bis sie fesseln kann, sie steigert sich deutlich, je mehr man liest und kann am Ende fast mit der von mir favorisierten „Straße der Plünderer“ mithalten.

_Fazit:_ Omar ist ein liebenswerter Gauner, der den Leser mit Witz und Verstand sowie unvorhersehbaren und angenehm überraschenden Wendungen bei Laune hält. Leider existieren nur diese beiden in den Jahren 1992 und 1995 geschriebenen Romane, gegen das weitaus umfangreichere und detailliertere Universum der „Klingen des Königs“ können sie nur schwer bestehen. Für Fans von Dave Duncan und den „Klingen“ jedoch sind die Geschichten um Omar ein humoriger Leckerbissen erster Güte, bei dem Dave Duncan seine ganze Finesse als Geschichtenerzähler eindrucksvoll demonstrieren kann. Die stilsichere und hervorragend gelungene Übersetzung stammt von Michael Krug, der bereits Dave Duncans „Klingen des Königs“ und Paul Kearneys „Königreiche Gottes“ übersetzte. Leider ist sie nicht ganz frei von einigen Wortdrehern und Setzfehlern, was dem Lesevergnügen und der Qualität der Übersetzung an sich jedoch keinen Abbruch tut. Bindung und Druck sind von erster Güte, das Lesebändchen rundet den gelungenen Eindruck ab.

http://www.otherworldverlag.com/

Yoshida, Sunao – Trinity Blood – Reborn On The Mars 1 – Der Stern der Trauer

_Story_

In einer fernen Zukunft: Große Teile der Zivilisation wurden unlängst vom katastrophalen Armageddon zerstört. Die Erde ist seitdem in mehrere Herrschaftsgebiete zersplittert, welche von den verbliebenen Spezies, den Menschen und den Vampiren, regiert und im erbitterten Widerstreit angeführt werden. In der neutralen Stadt Istvan versucht jedoch ein radikaler, vampirischer Monarch, das seit kurzem bestehende Gleichgewicht zwischen dem ‚Reich‘ und dem Vatikan zu stürzen und die Menschheit ein für allemal auszulöschen.

Tatsächlich ist es ihm, dem Marquis von Hungaria, gelungen, den längst vergessenen ‚Stern der Trauer‘ zu reaktivieren, eine Waffe, mit deren Kraft er ganze Landstriche ausradieren kann. Als der Vatikan von Gyulas Vorhaben erfährt, entsendet er seinen Spezialagenten Abel Nightroad nach Istvan, um dem Treiben des misanthropischen Grafen ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Doch schon die Ankunft des Paters birgt große Probleme; schnell zieht er die Aufmerksamkeit des Marquis und dessen städtischer Miliz auf sich und sorgt in der Kleinstadt für gehörige Unruhe.

Doch währenddessen schlagen sich die Gegner Gyulas auf Abels Seite und schützen den Pater vor Schlimmeren. An der Seite der Klosterschülerin Esther Blanchett schlägt sich Nightroad undercover durch die Straßen Istvans und erfährt mit eigenen Augen die Grausamkeit des schier übermächtigen Gegners. Als der Gesandte des Vatikans schließlich erfährt, dass das gesamte Treiben an seinem neuen Aufenthaltsort nur dazu gemacht ist, um den alten Streit zwischen Menschen und Vampiren in einem finalen Krieg wieder aufleben zu lassen, sieht er sich gezwungen, sofort zu handeln. Doch hierzu ist es auch unabdinglich, dass Abel seine wahre Identität preisgibt.

_Persönlicher Eindruck_

„Trinity Blood“ gehört zweifelsohne zu den erfolgreichsten und besten Mangas, die der hiesige Markt in diesem Jahr zu bieten hat. Zudem hat die Serie aus der Feder von Sunao Yoshida auch schon längst den Anime-Markt erobert und gilt auch dort als feste Größe inmitten der bärenstarken Konkurrenz. Die Basis all dessen bieten jedoch die beiden Romanzyklen, die Yoshida einst vorab verfasst hatte. Den Beginn machte dabei „Reborn On The Mars“, eine Story, die der Autor bereits 2001 verfasste und die maßgeblich zu der Entstehung der illustrierten Fassung von „Trinity Blood“ beigetragen hat.

Wie erwartet trifft man im ersten Teil „Der Stern der Trauer“ zahlreiche Bekannte wieder, als da wären: der etwas schrullige Pater Nightroad, die fürsorgliche, entschlossene Esther Blanchett, der hinterhältige Misanthrop Gyula und nicht zuletzt der rationale Tres Iqus – alles Charaktere, die man im Laufe der Manga-Serie kennen und lieben gelernt hat. Jedoch weicht der Inhalt jenes Romans recht deutlich von den Ereignissen im gleichnamigen Asia-Comic ab; so erfährt man in „Der Stern der Trauer“ einiges mehr über das erste Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten Nightroad und Blanchett, bringt einiges über die Hintergründe des gespaltenen Verhältnisses zwischen Menschen und Vampiren in Erfahrung und bekommt zu guter Letzt auch eine recht genaue Vorstellung von der klar strukturierten Aufteilung des Schauplatzes und den Beziehungsgeflechten untereinander.

Doch wer glaubt, er würde die Akteure bei all diesen Informationen im Nachhinein durchschauen können, täuscht sich ganz gewaltig. Yoshidas Stärke ist es nämlich, dem Leser eine Vertrautheit zu den einzelnen Figuren zu vermitteln, die in den letzten Zügen der Intensivierung dann völlig aus dem Kontext gerissen wird. Das mag sich erst einmal recht negativ anhören, ist aber bei genauerer Betrachtung ein ausgezeichnetes Mittel, um der Story rasche Wendungen zu verpassen und die Undurchschaubarkeit der tragenden Charaktere weiter zu fördern. Im Verlauf der Handlung trifft man so auf mehrere Stellen, an denen man erst einmal schlucken muss, weil wieder mal eine weitere Person Verrat betrieben hat, obwohl man sie kurze Zeit vorher noch für glaubwürdig und gewissenhaft gehalten hatte. Problematisch wird dies lediglich zum Ende hin, als sich derartige Szenarien häufen und nicht mehr so innovativ wie zunächst noch wirken. Doch genau zu jenem Zeitpunkt hat die Action auch überwiegend die Initiative übernommen und lenkt den Plot auf ein vorzeitiges, recht spektakulär ausgetragenes Finale zu, welches im Endeffekt zwar nicht so breit hätte ausgetragen werden müssen, für sich genommen aber dennoch Beachtung verdient.

Beachtlich ist unterdessen aber der gesamte Roman, sowohl auf die Spannungskurve bzw. den generellen Aufbau bezogen als auch hinsichtlich der Charakterentwicklungen und der ansprechenden Kombination aus Humor, Action und Überraschungseffekten. Lediglich die Atmosphäre einer futuristischen Endzeitwelt will in diesem Zusammenhang nicht aufkeimen, was man durchaus auch als Manko bezeichnen kann. Und natürlich stößt das vollkommene Ausbleiben von Moral und Werten, das gerade im erbarmungslosen Kampf einer Glaubensgemeinschaft wie dem Vatikan schwerlich zu akzeptieren ist, ein wenig bitter auf, sollte dies doch eigentlich die Tragkraft für den gesamten Rahmen der Story aufbieten. Nichtsdestotrotz ist „Reborn On The Mars“ ein wirklicher guter, bisweilen auch düsterer Roman, der inhaltlich sogar noch ein wenig brutaler ist als der nachfolgende Manga, insgesamt aber definitiv auf eine Stufe mit der illustrierten Adaption zu stellen ist. Und gerade dies scheint in einer Zeit, in der Romane dieser Gattung vermehrt ins Bereich der Ausschussware sortiert werden, vielleicht sogar die größte Überraschung!

Eine Info am Rande: Zum Ende des Romans gewährt Yoshida noch einen kurzen Einblick in sein späteres Werk in Form einer Leseprobe des ebenfalls bei |Panini| veröffentlichten Mangas. Wer also noch nicht Blut geleckt hat, bekommt gleich doppelt die Gelegenheit, sein Nachholbedürfnis zu befriedigen.

http://www.paninicomics.de

|Siehe ergänzend dazu unsere Rezensionen zur Mangareihe:|

[Trinitiy Blood 1 2888
[Trinity Blood 2 3060
[Trinity Blood 3 3400

Hoffmann, Markolf – Splitternest (Das Zeitalter der Wandlung 4)

Das |Zeitalter der Wandlung|:
Band 1: [Nebelriss 473
Band 2: [Flammenbucht 1280
Band 3: [Schattenbruch 2288
Band 4: _Splitternest_

Das Zeitalter der Wandlung strebt seinem apokalyptischen Finale entgegen. Nicht nur die unversöhnlichen Zauberer Mondschlund und Sternengänger streben nach der Macht und danach, den Menschen von Gharax die Rettung und eine neue Welt nach ihren Vorstellungen aufzuzwingen. Auch die Goldéi und die Bathaquar haben ihre Vorstellungen der kommenden neuen Ordnung, folgen ihren eigenen Interessen, Legenden und Glaubensgrundsätzen. Das Schicksal der gemeinen Menschen ist allen Gruppierungen nicht so wichtig wie ihre eigenen Ziele, niemand fragt sie nach ihren Wünschen. Es liegt in den Händen abtrünniger Anhänger der Zauberer, Fürsten und Kirchen, sich von dem Blendwerk aus Lug und Trug, das diese zugunsten ihrer Sicht der Dinge verbreitet haben, zu befreien und ihre eigene Welt zu schaffen. Doch scheint man keine wirkliche Wahl zu haben, wie sollte man sich dem Chaos der entfesselten Quellen stellen, ohne sich mit einem der Zauberer zu verbünden? Gibt es eine Alternative oder muss man sich mit der Wahl des kleineren Übels zufriedengeben?

Der abschließende Band des „Zeitalters der Wandlung“ ist eine Tragödie. Die Welt Gharax liegt im Sterben, alte Ordnungen zerbrechen, eine neue Welt ist im Entstehen. Doch bereits in den Todeswehen streitet man um die Macht in der neuen Welt oder begleicht alte Rechnungen, nimmt Rache. Viele liebgewonnene Hauptcharaktere werden sterben, einige überraschend überleben. Viele können nicht Abschied von den alten Zeiten ihrer Macht nehmen, wie Binhipar Nihirdi, die Könige Eshandrom von Kathyga und Tarnac von Gyr ebenso wenig; Durta Slargin lässt sie geködert mit der Aussicht auf Rettung grausam wie Puppen nach seiner Pfeife tanzen. Talomar Indris jagt bis zuletzt fanatisch einer verlorenen Liebe hinterher, die zu einer fixen Idee geworden ist, die mit Liebe nichts mehr zu tun hat. Falsche Legenden und Versprechungen führen zu Gräueltaten, begangen in bestem Wissen und Gewissen.

Dieses Grundgerüst bringt die Stärken des Romans sehr gut zur Geltung: Das unrühmliche Ende einiger „Bösewichte“ machte mich sehr traurig, selbst mit ihnen konnte ich mitfühlen. Besonders schockiert hat mich das Schicksal von Laghanos, der wenig mehr als ein Werkzeug für Durta Slargin gewesen ist, der ihn, die Goldéi und viele andere benutzt und genarrt hat. Er hatte nie eine Chance und eine Wahl in diesem Spiel. Gelungen ist auch die zwiespältige Darstellung Durta Slargins, der, zuerst als der große Held der Menschheit dargestellt, in den Folgebänden in ein immer düstereres Licht gehüllt wurde, je mehr über seine Taten bekannt wurde. Doch wer erzählte dem Leser eigentlich |seine| Geschichte über Durta Slargin, zu welchem Zweck? Denn auch sein Widersacher Mondschlund, zuerst verschrien als „Der Blender“, ist kein verkannter Heiland. Die Anhänger der Zauberer erkennen dies nach und nach und glauben ihnen nicht mehr vorbehaltlos. Dieser höchst dynamische Erkenntnisprozess ist spannend und überzeugend dargestellt. Viele Einzelschicksale werden beschrieben in ihrer ganzen Tragik, allen ist zueigen, dass sie sich nicht von den Lügen und dem Einfluss anderer lösen konnten. Selbst die entstehende neuen Welt ist nicht frei vom Keim der Lügen, den Hoffmann bereits im Prolog dieses Bands anspricht. Neue Legenden und Lügen warten darauf, geboren zu werden, um auch diese Welt ins Verderben zu stürzen, mit Gewalt und Verrat.

Hoffmann zeigt sich wie stets wortgewandt, was gerade in den hitzigen Dialogen, wenn gläubige Anhänger mit abtrünnigen Bürgern zusammenstoßen, für eine fantastische Atmosphäre sorgt, die Verzweiflung und Angst der betreffenden Charaktere, aber auch der feste Wille, sich nicht mehr dem Willen anderer unterzuordnen, werden so lebendig. Dies gilt auch für die tragischen Szenen, die mich nachdenklich stimmten und lange über Leben und Handeln der betreffenden Charaktere nachdenken ließen.

_Fazit:_ „Splitternest“ ist ein hervorragendes Finale für die Tetralogie, das mitreißend und spannend ist sowie nachdenklich macht. Der Abschlussband arbeitet vorzüglich die bewussten Lügen und Täuschungen der vorherigen Bände auf, der Leser selbst wird in Zweifel versetzt, welche Lösung für die Welt Gharax und ihre Menschen die beste wäre. Zwar bleibt bei der enormen Fülle an Charakteren und Handlungsorten für einige nur wenig Zeit, doch gerade diese Vielfalt und die Tragik jedes einzelnen Schicksals machen in der Summe den Reiz des Romans aus.

Von dieser Art Fantasy würde ich gerne mehr lesen; starke und interessante Charaktere, eine faszinierende Welt am Rande des Untergangs, eine spannende Geschichte über ein Netz aus Legenden, Lügen und Intrigen – das macht das Zeitalter der Wandlung aus. Besonders die Abgeschlossenheit der Handlung und das gelungene Finale möchte ich herausheben, denn gerade daran kranken viele Fantasyromanen und aktuelle Endloszyklen. Jeder Band dieses Zyklus hat andere Schwerpunkte gesetzt und somit für Abwechslung gesorgt, „Splitternest“ hat mich jedoch am meisten beeindruckt; bei keinem anderen fühlte ich mich dermaßen in die Handlung hereingesogen. Diese Tragödie aus Lug und Trug stellt wahrlich einen krönenden Abschluss für den Zyklus „Das Zeitalter der Wandlung“ dar.

Offizielle Homepage des Autors:
http://www.nebelriss.de/

Verlagshomepage |Serie Piper Taschenbuch|:
http://www.piper-verlag.de/serie/

[Unser Interview mit Markolf Hoffmann]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=34