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Kammerer, Iris – Tribun, Der (Tribun 1)

Das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, südwestlich von Detmold, erinnert an den Cheruskerfürsten Arminius und die legendäre Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr., wo Arminius/Hermann viele germanische Stämme vereinigte und drei Legionen des römischen Senators Publius Quinctilius Varus vollständig vernichtete.

Germanien wurde von dem römischen Erobern nie vollständig besetzt. In verschiedenen Feldzügen wurde dennoch so mancher Stammesfürst unterworfen oder beugte sich freiwillig der militärischen römischen Macht, doch untereinander waren sie einander niemals einig.

Arminius konnte die Römer nur besiegen, weil er aufgrund seiner Erziehung ein römischer Bürger und Tribun wurde, also ein hoher Offizier, der die Schwachstellen, die Taktik und das persönliche Vertrauen von Varus kannte und nutzte. Dieser Freiheitsheld führte ein Doppelleben, und schließlich führte genau das zu seinem unausweichlichen Schicksal.

„Der Tribun“ von Iris Kammerer widmet sich diesem Thema und den Leben und Kämpfen der Römer in Germanien.

_Die Geschichte_

Germanien, 9 n. Chr. Der adlige, junge römische Tribun Gaius Cinna ist zusammen mit drei Legionen des römischen Senators und Statthalters Varus in Germanien stationiert. Es herrscht kein Frieden in dieser von Rom weit entfernten Provinz. Immer wieder gibt es Unruhen und kleinere Aufstände, die von der römischen Besatzung mit brutaler Härte beendet werden. Aber auch die verschiedenen Stämme in Germanien sind sich, wie es sich den Römern darstellt, nicht einig.

Doch es gibt Gerüchte um einen möglichen Aufstand unter den germanischen Stämmen, die für die römische Besatzung und deren Familien eine Gefahr darstellen.

Tribun Gaius Cinna bekommt von seinen Vorgesetzen die Order, den Statthalter Varus aufzusuchen, um ihn vor der drohenden Gefahr zu warnen. Doch es ist bereits zu spät; auch die Germanen haben Spione unter den römischen Hilfstruppen. Cinna wird verraten und findet sich schwer verletzt als Geisel eines cheruskischen Fürsten wieder.

Inzwischen werden die drei Legionen des Varus vom römisch erzogenen und militärisch ausgebildeten Arminius vollständig vernichtet und Cinna bleibt allein gelassen und wahrscheinlich von seiner Familie für tot gehalten auf sich selbst gestellt zurück.

Die Situation für Cinna erscheint ausweglos; seiner Würde und Ehre beraubt, fristet er von nun an ein Sklavendasein. Trotzdem wird er von der Familie des Cheruskischen Fürsten menschlich, beinahe schon nett behandelt. Vor allem die junge Tochter Sunja weckt seine Aufmerksamkeit, und trotz aller Vorbehalte und Vorurteile verlieben sie sich ineinander.

Mit der Zeit lernt der sehr eingebildete und hochnäsige Cinna das Leben, das Denken und Handeln des germanischen Stammes kennen, der doch unter den Römern nur als ungebildetes Barbarenvolk gilt. Langsam erwachen Sympathien in ihm, und er findet Freunde und Anteilnahme in der Gefangenschaft.

Doch als Arminius die Auslieferung von Cinna verlangt, um ihn zu verhören und ggf. ihren Göttern zu opfern, spitzt sich die Situation weiter zu. Er begreift, dass der germanische Aufstand einen wahren Flächenbrand auslösen könnte, dass es weitere Übergriffe auf die römische Besatzung geben könnte und vielleicht auch auf das inzwischen befriedete Gallien.

Die einzige Lösung liegt in der Flucht, aber Cinna kennt das Gebiet nicht, und der nächste römische Vorposten ist aufgrund der Lage nicht bekannt …

_Kritik_

„Der Tribun“ ist unheimlich gut recherchiert. Basierend auf erforschten geschichtlichen Fakten, spiegelt der Roman das Leben und Wirken der Römer und Germanen in der Zeit 9 n. Chr. wider. Auch die schwierige politische Lage der teilweise verfeindeten germanischen Stämme wird dem historisch interessierten Leser glaubhaft und korrekt erklärt.

Mit viel Liebe zum Detail entwickelt sich die Geschichte um den Tribun, der ein Sklave wurde. Mitfühlend und spannend wird seine Gefangenschaft erzählt; aus dem ehemals adligen und arroganten römischen Befehlshaber wird ein offener und sensibler Charakter, der zwischen beiden Welten lebt.

Iris Kammerer kann wahrlich gut erzählen und schweift dabei nicht wie viele andere Autorinnen in fast schon klischeehaft romantische Ausführungen ab. Ihre Charakterstudien und ihr Wissen rund um diese Epoche und ihre Kultur wissen zu beeindrucken. Auch den Nebencharakteren wird viel Raum gegeben, sich zu erklären und zu beweisen, so dass die Handlung nicht an Spannung verliert.

Historische Romane sollen in erste Linie natürlich unterhalten, aber trotzdem bleibt immer die Erwartungshaltung, dass diese auch Wissen um die jeweilige Epoche vermitteln sollten. Dem „Tribun“ von Iris Kammerer gelingt beides in grandioser Weise.

Die historischen Personen und Schauplätze sind sorgfältig recherchiert wiedergegeben worden. Im Anhang des Romans befinden sich u. a. eine Zeittafel sowie ein Personenregister; auch die geographischen Bezeichnungen werden erklärt, so dass der Leser einen ausgesprochenes gutes Bild von Germanien unter römischer Herrschaft erhält.
Auch die Auseinandersetzungen zwischen den Römern und den Germanen werden spannend erzählt, genauso wie die innenpolitische Lage im römischen Imperium, was ein weiterer Pluspunkt für den Roman ist.

Für zartbesaitete Gemüter ist die Geschichte sicherlich nicht unbedingt geeignet. Die Misshandlungen und die Folter, die Cinna in der Gefangenschaft erdulden muss, sind gewalttätig, aber durchaus nachvollziehnar aus Sicht der Germanen. Die Autorin verzichtet auf überzeichnete Actioneinlagen, aber auch auf romantische Liebesszenen. Mit dem Romandebüt „Der Tribun“, dem ersten Roman einer Trilogie, hat sie ein sehr lehrreiches und interessantes historisches Epos geschaffen.

_Die Autorin_

1963 wurde Iris Kammerer in Krefeld geboren. Sie studierte Klassische Philologie, Philosophie und Literaturwissenschaften in München und Marburg. Sie arbeitet als Redakteurin, Texterin und Beraterin in Marburg, wo auch ihre Familie wohnt. Ihr Romandebüt „Der Tribun“ ist der Auftakt zu einer historischen Trilogie um den römischen Offizier Gaius Cinna.

Taschenbuch, 592 Seiten
Originalausgabe
http://www.heyne.de
http://www.iris-kammerer.de/

Dunnett, Dorothy – Niccolòs Aufstieg (Das Haus Niccolò 1)

Claes ist mit Felix, dem Sohn seiner Dienstherrin, und Julius, deren Rechtskonsulent, auf einem Boot unterwegs nach Brügge. An einer Schleuse treffen sie auf ein anderes Boot, beladen mit einem seltsam klobigen, langen Teil sowie mit illustren Passagieren besetzt: ein schottischer Bischof samt Gefolge, eine vornehme Kaufmannstochter auf dem Weg nach Hause und ein recht hochnäsiger Lord mit seinem Hund. Im Verlauf dieses ohnehin schon eher unangenehmen Treffens kommt es zu einem Unfall, infolgedessen die Ladung des wartenden Bootes sinkt. Aber nicht nur die Versenkung der Ladung hat weitreichende Folgen …

Dorothy Dunnetts Geschichte über das bewegte Leben eines jungen Färberlehrlings ist nicht so leicht beizukommen. Schon allein der historische Hintergrund droht den Umfang zu sprengen. Deshalb hier nur das Nötigste:

_1459:_ In England toben die Rosenkriege. Der regierende König Heinrich VI. aus dem Hause Lancaster ist aus vielerlei Gründen in seiner Heimat höchst unbeliebt, nicht zuletzt, weil er den hundertjährigen Krieg gegen Frankreich verloren hat. Außerdem ist er krank.

Der schottische König Jakob II. weiß nicht so recht, auf welche Seite der englischen Bürgerkriegsparteien er sich schlagen soll, York oder Lancaster. Abgesehen davon ist Schottland ohnehin noch vom Unabhängigkeitskrieg geschwächt. Auf jeden Fall aber ist ihm ein Dorn im Auge, dass England noch immer eine letzte schottische Burg besetzt hält, Roxburgh Castle.

Frankreich dagegen weiß genau, wen es unterstützen will. Dem selbst auf eher wackligem Thron sitzenden Karl VII., der überhaupt nur dank Jeanne d’Arc König geworden ist, ist es lieber, in England regiert der schwache Lancaster als ein starker York. Denn Karl VII. hat nicht nur Probleme mit England. Im Königreich Neapel wurde das französische Herrscherhaus der Anjou durch das spanische Haus Aragon ersetzt, was die Franzosen gerne rückgängig machen würden. Außerdem hat der Dauphin, der spätere Ludwig XI., sich mit seinem Vater überworfen und nach Burgund abgesetzt.

Der Herzog von Burgund und Flandern, Philipp der Gute, seinerseits hat sich – obwohl sein Territorium offiziell zu Frankreich gehört! – bereits im Hundertjährigen Krieg auf Seiten Englands geschlagen, da der französische König – damals noch Dauphin – Philipps Vater hat ermorden lassen.

Ferdinand I. von Neapel wehrt sich derweil mit Unterstützung Mailands gegen die Franzosen und ihre Verbündeten, darunter die Venezianer.
Venedigs Stern ist allerdings bereits im Sinken begrifen. Das Osmanische Reich blockiert einen Großteil des Handels mit dem Osten, durch den Venedig groß geworden ist, unabhängig davon hat Portugal inzwischen einen Seeweg nach Indien entdeckt, wodurch Venedig sein Monopol auf den Gewürzhandel verloren hat.

In Mailand regiert Francesco Sforza, der Sohn eines Condottiere, eines Söldnerführers, in Florenz Cosimo di Medici. Beiden ist keineswegs an einer Ausdehnung von Frankreichs Machtbereich gelegen. Gleichzeitig unterhalten sie rege Geschäftsbeziehungen mit dem Dauphin.

Pius II. dagegen scheint es egal zu sein, wer auf welchem Thron sitzt. Er will nur endlich Frieden haben, damit er sowohl England als auch Frankreich finanziell in die Pflicht nehmen kann, denn er will einen neuen Kreuzzug gegen die Osmanen, die 1453 Konstantinopel erobert haben und für den Geschmack des Papstes viel zu begehrliche Blicke nach Westen werfen.

Auf dieses Gewirr aus politischen Bündnissen wurden ein weiteres aus finanziellen Verwicklungen und Beziehungen geflochten. Im Zentrum des Interesses steht dabei das Alaun, ein Mineral, das unter anderem zum Fixieren der Farben beim Stofffärben benutzt wurde. Je reiner das Alaun, desto besser die Wirkung. Alaun wird an verschiedenen Orten gewonnen, doch die ergiebigsten und reinsten Vorkommen liegen in Phökea, das inzwischen zum osmanischen Reich gehört. Da das christliche Abendland mit den Osmanen aus religiösen Gründen nicht Handel treiben darf, haben die Osmanen eine Lizenz an christliche Handelsleute vergeben, die dadurch quasi eine Monopolstellung genießen.

Außerdem spielt natürlich Geld eine Rolle. Das Bankensystem ist neu erfunden und hat geradezu ein neues Universum eröffnet. Gehandelt wird nicht mehr nur mit Waren wie Tuch, Gewürzen oder Edelsteinen, sondern zum ersten Mal auch mit Dienstleistungen. So werden Kriege seit einiger Zeit nicht mehr nur von Rittern geführt, die aufgrund ihres Lehensverhältnisses ihren Herrschern Waffendienste schuldeten, sondern vielfach von Söldnern, die für ihre Dienste ausgerüstet und bezahlt werden. Das gilt vor allem für Italien mit seinen vielen kleinen Stadtstaaten. – Mit der Erfindung des Wechsels können finanzielle Forderungen an Leute weitergegeben werden, die mit dem ursprünglichen Handelsgeschäft gar nichts zu tun hatten. Dadurch wird mehr denn je das Geld auch zum politischen Instrument, was wiederum zur Folge hat, dass Nachrichten zu einer der bestbezahlten Waren gehören, und damit auch Chiffriercodes. Zuverlässige Kurierdienste sind Gold wert!

_Charaktere_

In diesen Kontext setzt die Autorin ihre Hauptfigur. Claes, wie er vorerst genannt wird, ist ein gutmütiger, stets lachender Bursche, der ständig in Schwierigkeiten gerät und für seinen Unfug schon so manche Prügelstrafe aushalten musste. Was erstaunlich ist, denn den Sohn seiner Herrin kann er – meistens zumindest – aus größeren Schwierigkeiten heraushalten. Bei den Mädchen ist Claes äußerst beliebt, aber auch bei den übrigen Arbeitern im Färbergeschäft seiner Herrin, der Witwe Marian de Charetty, denn er besitzt nicht nur Charme, sondern auch Witz und die Gabe, andere Menschen sehr treffend nachzuahmen.

Was die Leute weniger zur Kenntnis nehmen, ist seine ungewöhnliche mathematische Begabung. Claes kann hervorragend mit Zahlen umgehen. Und mit Chiffren … Den meisten seiner Bekannten scheint ebenfalls zu entgehen, dass seine Fähigkeit, Menschen zu parodieren, von einer hervorragenden Beobachtungsgabe herrührt. Und dass sein Erfolg, Felix vom gröbsten Unfug fernzuhalten, daher kommt, dass Claes generell sehr gut mit Menschen umgehen kann.

Der Witwe Charetty entgehen diese Eigenschaften durchaus nicht. Immerhin hat sie ihn von seinem zehnten Lebensjahr an großgezogen. Abgesehen davon scheint sie aber auch noch etwas über ihn zu wissen, was sonst niemand weiß. Es hat mit Claes Herkunft zu tun. Seine Mutter war die Tochter eines Kaufmanns aus Genf. Sein Vater aber, sagt man, sei ein Dienstbote gewesen! Aber ist das wirklich die Wahrheit? Duldet die Witwe Charetty Claes plötzlich erwachendes Interesse am Geschäft nur aufgrund seiner unbestritten nützlichen Fähigkeiten?

Felix jedenfalls scheint ein Problem damit zu haben. Er mochte Claes, so lange dieser der etwas dümmliche, gutmütige Bursche war, mit dem man alles anstellen konnte, ohne dass er je etwas nachtrug. Je mehr Claes allerdings erreicht, desto mehr verändert sich sein Verhalten. Er wird selbstbewusster. Der etwas eitle und gleichzeitig faule Felix beobachtet diese Veränderung mit Skepsis und einer gewissen Portion Neid.

Abgesehen von diesen unmittelbaren Angehörigen der Familie Charetty wartet Dorothy Dunnett mit einer wahren Flut an weiteren Charakteren auf. Ein durchaus nicht kleiner Teil davon ist historisch belegt, so sämtliche Vertreter der Medici, ein Großteil der Kaufleute in Brügge sowie diverse ausländische Personen, angefangen beim Schatzmeister des Dauphin über den Leibarzt des Herzogs von Mailand bis hin zu einem Abkömmling griechischer Fürsten. Die zeitgenössischen Herrscher werden zwar erwähnt, außer dem Dauphin taucht jedoch keiner persönlich auf.

Trotz dieser Masse an Charakteren unterschiedlichster Couleur ist es der Autorin gelungen, ihnen allen ein persönliches Profil zu verleihen. Nicht unbedingt immer von gleicher Tiefe, aber stets so, dass sie nicht plakativ oder hölzern wirken.

_Die Handlung_ dagegen lässt sich zunächst eher träge an. Der Leser erlebt mit, wie aus der Puppe Claes allmählich der Schmetterling Nicholas schlüpft, wobei sich die Autorin dafür viel Zeit nimmt. Obwohl dem Leser recht bald bewusst wird, dass Nicholas von nahezu allen seinen Mitmenschen unterschätzt wird, weiß die Autorin das wahre Ausmaß von Nicholas‘ Aktivitäten bis zum Schluss bedeckt zu halten.

Ansonsten bietet die Handlung eher wenig Bewegung. Die Hauptgewichtung liegt auf Gesprächen, die – vor allem bei geschäftlichen oder politischen Themen – zu einem erheblichen Teil aus Andeutungen bestehen. Ein weiterer zentraler Punkt besteht im Zeit- und Lokalkolorit. Ereignisse, die jährliche Höhepunkte bedeuten – wie die Ankunft der venezianischen Flandern-Galeeren voller Luxusgüter oder der Karneval – werden sehr stimmungsvoll dargestellt; Gewänder und Kopfbedeckungen werden beschrieben, ohne übermäßig ins Detail zu gehen; die Ehe und sämtliche damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge sind ein Thema; und natürlich nicht zu vergessen der Klatsch, der zum Teil gutmütig, zum Teil aber auch äußerst boshaft die Wertvorstellungen und Ansichten aller Bevölkerungsschichten wiedergibt. All das summiert sich zu einem sehr lebendigen, plastischen Bild einer wohlhabenden Kaufmannsstadt zur Zeit der Renaissance.

Da sich die Entwicklung der Ereignisse eher unauffällig vollzieht, hat der Leser allerdings gelegentlich den Eindruck, dass sich im Grunde überhaupt nichts tut. Trotz der malerischen und gelungenen Ausarbeitung des historischen Hintergrunds zieht sich das Geschehen stellenweise doch ziemlich. Zwar bietet der Handlungsverlauf ein paar kleine Höhepunkte – diverse Anschläge auf Claes/Nicholas‘ Leben, einen Werkstattbrand, zwei Duelle und einen kurzen Ausschnitt aus dem Krieg in Italien – doch fast alle bleiben ohne größere Auswirkungen, soll heißen: auf den Verlauf von Nicholas‘ Aufstieg haben sie kaum Einfluss. So etwas wie Spannung kommt folglich erst ganz am Ende auf, als sich herausstellt, was genau Nicholas da eigentlich in Gang gesetzt hat.

Wer also von seiner Lektüre vor allem Action, Spannung oder Dramatik erwartet, der wird sich bei diesem Buch wahrscheinlich langweilen. |Das Haus Niccolò| ist, zumindest was den ersten Band betrifft, eine Geschichte der leisen Töne und entwickelt seine Stimmung nur allmählich. Außerdem braucht man Zeit, um sich einzulesen. Davon abgesehen jedoch bietet „Niccolòs Aufstieg“ ein gelungenes Bild einer bewegten Epoche, viele interessante Charaktere und am Ende eine gewisse Überraschung. Das Rätsel um Nicholas‘ wahre Herkunft dürfte dabei den roten Faden für die folgenden Bände bilden.

_Dorothy Dunnett_ stammte aus Schottland und studierte in Edinburgh und Glasgow. Ihr erster Roman „Das Königsspiel“, Teil I der |Lymond Chronicles|, erschien interessanterweise zuerst in den USA, da das Manuskript von britischen Verlagen abgelehnt wurde. Letztlich wuchs der Zyklus auf sechs Bände an. Zu ihren Werken zählen neben den |Lymond Chronicles| und |Das Haus Niccolò| vor allem „The King Hereafter“, ein Roman über den historischen Macbeth, sowie eine Reihe von Kriminalromanen. Dorothy Dunnet starb 2001 in Dunfermline.

http://www.dorothydunnett.de
http://www.ddra.org/Deutsch/startseite.html

|Originaltitel: The house of Niccolò, Niccolò Rising
Deutsche Erstausgabe 1986 bei |Wunderlich/Rowohlt|, übersetzt von Margaret Carroux und Sonja Schleichert
Neuübersetzung 2006 von Britta Mümmler und
Mechtild Sandberg-Ciletti
736 Seiten,gebunden mit Schutzumschlag, Lesebändchen, farbige Vorsätze, Karten, Lesezeichen mit den Hauptfiguren|

Meyer, Kai – Faustus

Der Name „Faust“ oder „Faustus“ ist uns geläufig, nicht nur durch den Dichterfürsten Goethe mit seiner Interpretation der Faust-Legende, die zweifellos die berühmteste ist. Auch in Werken von Christopher Marlowe oder Thomas Mann und anderen zahllosen bekannten wie auch unbekannten Autoren hat die Figur des Dr. Faust, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht, zu Gedichten, Dialogen, Romanen, Dramen und Theaterstücken inspiriert.

Es gibt ein Faust-Museum in Knittlingen und die Weimarer Bibliothek verfügt über 13000 wissenschaftliche und literarische Werke zu dem Thema. Doch es gibt auch viele widersprüchliche Quellen, viele rätselhafte Geheimnisse um den Dr. Faust, der neben der Theologie auch Medizin, Astrologie und Astronomie studiert hat.

Was Dr. Faust oder Faustus interessant und zur mystischen Legende gemacht hat, sind seine Interessen an den dunklen Künsten, der schwarzen Magie und am Hexenwerk, die ihn zu einen mächtigen Schwarzkünstler stilisierten.

Sein gewaltsamer Tod – letztlich hat ihn der Teufel doch seiner Seele beraubt – hat ihm abschließend eine Hauptrolle in der Weltliteratur eingebracht.

1587 – fünf Jahrzehnte nach seinem Tod setze in der Erzähltradition ein wahrer Faustboom ein, der dem guten Doktor wahrlich die erwünschte Unsterblichkeit eingebracht hat, wenigstens in der Literatur und auf der Bühne.

Mehr zum historischen Faust gibt es bei [Wikipedia]http://de.wikipedia.org/wiki/Johann__Faust nachzulesen.

In „Faustus“ vom deutschen Autor Kai Meyer wurde dieser legendären Figur ein neues Bild verliehen. Mit dem historischen Dr. Faust hat dieser nur am Rande Ähnlichkeit, doch Meyers historisch-phantastischer Roman ist unabhängig davon lesenswert.

_Die Geschichte_

Anno Domini 1515. Überall in Europa brennen im Namen der Heiligen Inquisition die Scheiterhaufen. Die Opfer: Männer und Frauen, die als Ketzer denunziert wurden, weil sie anderes glaubten, anders lebten oder einfach nur jemand anderem persönlich im Wege standen. Aber nicht nur diese wurden durch die Kirche gejagt, gerade Mediziner, Astrologen, eben jene intelligenten Menschen, die nicht einfach durch die Drohung von Verdammnis, den endlosen Qualen der Hölle oder durch Enteignung des kargen Besitzes und Androhung der notpeinlichen Folter im Zaum zu halten und daher den Kirchenfürsten ein Dorn im Augen waren. Diese Personen wurden verdächtigt, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen oder die abartigen und sonderbaren Künste der schwarzen Magie auszuüben.

Dr. Faustus ist dem Hexenjäger und Inquisitor Konrad von Asendorf nach langer Jagd in die Falle gegangen. Auf dem Wittenberger Dorfplatz steht Dr. Faustus auf einem Scheiterhaufen, verurteilt in den Augen der Kirche wegen schwarzer Magie und ähnlicher Vergehen; die Henker stehen bereit, den Schwarzkünstler Faustus dem reinigen Feuer zu übergeben.

Doch inmitten der Hinrichtung taucht eine Gruppe von „Pestkranken“ auf und Panik breitet sich aus; ein jeder hat Angst vor dem Schwarzen Tod, der unter der Bevölkerung von Unfreien und Adligen keinen Unterschied kennt. Es ist eine List; die „Pestkranken“ verwandeln sich in todbringende und brandschatzende Attentäter, die die Kirche zu Wittenberg in Brand setzen und den Priester erbarmungslos verbrennen. Einer der Attentäter befreit wahrscheinlich aus Mitleid den fast schon brennenden Faustus, dessen Scheiterhaufen im Tumult Feuer gefangen hat. Es ist eine junge Frau, maskiert und selbst durch die züngelnden Flammen schwer verletzt.

Dr. Faustus verwirrt, versucht in dem Durcheinander auf dem Marktplatz zu fliehen, wird aber von den Landsknechten gefangen genommen. Der Inquisitor von Asendorf schlägt Dr. Faustus einen Handel vor – die Identität der Attentäter zu lüften, um der Gefangennahme zu entgehen. Von Asendorf lässt Dr. Faustus eine Bedenkzeit bis zum nächsten Morgen, ansonsten wird er in den Flammen brennen.

In der Nacht wird Faustus von Christof Wagner befreit, dem jungen Schüler des Priesters Martinius, der sich später mit seinen Theorien unter dem Namen Martin Luther noch mehr Feinde unter den Klerikern machen wird. Christof Wagner wird fortan ein Schüler des Dr. Faustus sein und diesen auf seinen Reisen und Abenteuern begleiten. Er wird vieles erlernen, viel erleben und sich in gewisser Weise auch einen Namen machen.

Auf der Flucht vor den Landsknechten des Inquisitors treffen Dr. Faustus und Christof Wagner eine herumziehende Schar von Gauklern und Zirkusartisten, die den Vogelfreien für eine Nacht Unterschlupf und Nahrung gewähren. Aber nicht nur den beiden Flüchtigen wurde in dieser Nacht geholfen, eine schwer durch Brandwunden entstellte junge Frau mit merkwürdigen, tiefen Schnittwunden auf dem Rücken, dem Tode näher als dem Leben, nehmen sich die Gaukler rührend auf.

Dr. Faustus erkennt in dem schwer verletzten Mädchen seine Retterin wieder, die Person, die ihn vor der Hinrichtung bewahrt hat. Die Gaukler sagen über diese junge Frau, sie wäre ein gefallener Engel! Dr. Faustus empfindet Mitleid und Interesse an dem Mädchen und überredet die Gaukler dazu, Angelina, wie sie genannt wird, in seiner Obhut zu geben.

Dr. Faustus will herausfinden, was es auf sich hat mit dem „gefallenen Engel“ und den Attentätern, die in den Augen der Kirche eine Gefahr darstellen. Gehetzt von den Schergen der Inquisition, beschreiten Faustus und Wagner einen unheilvollen Weg bis in das Zentrum der Heiligen Kirche nach Rom. Doch bis dahin müssen sie noch mysteriöse Morde im verfluchten Schloss des Schlangenkönigs im Spreewald aufklären, bis sie die Lösungen in den Fundamenten des Vatikans finden.

_Kritik_

Wie schon oben erwähnt, hat die Figur des Dr. Faustus mit der historischen Person des Schwarzkünstlers nicht viel gemein. Trotzdem ist der Roman von Kai Meyer spannend und unterhaltsam geschrieben und kann den Leser wirklich für Stunden an das Buch ketten.

Der Roman bzw. die Trilogie – „Der Engelspakt“, „Der Traumvater“ und „Die Engelskrieger“ – wird in der Ich-Form aus der Sicht des „Zauberlehrlings“ Christof Wagner erzählt. Für den Leser ist es wichtig, die Romane der Reihe nach zu lesen; zwar ist jeder Roman in sich eine abgeschlossen Erzählung, doch um die Charakter und ihr Streben verstehen zu können, ist es unabdingbar, die Geschichte fortführend zu erfahren.

Die Charaktere und ihre Beziehung zu- und miteinander entwickeln sich stetig weiter. Die Hauptperson, um die es geht, stellt zwar die Figur des Dr. Faustus dar, doch alle drei Protagonisten spielen faktisch gleich wichtige Rollen. Der Autor hat es gut verstanden, den Spannungsbogen auszubauen und die Geheimnisse der gefallenen Engel und des Vatikans dem Leser plausibel zu beschreiben.

Mir haben besonders die Passagen gefallen, in denen der Lehrling Wagner versucht, Dr. Faustus seine Geheimnisse zu entlocken. Die Sage, Dr. Faustus hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, wird in dem Roman dagegen nicht aufgelöst. Dr. Faustus weiß das Thema geschickt zu umgehen, er bezieht keine eindeutige Stellung, weder pro noch contra. Es bleibt dem Leser überlassen zu entscheiden, welchen tatsächlichen Pakt Dr. Faustus geschlossen hat, doch es gibt genügend Hinweise, die zu Interpretationen führen.

Der Charakter des Christof Wagner ist am besten beschrieben. Mal Großmaul und sehr arrogant, dann wieder ein Feigling und doch ein über seinen Schatten springender mutiger junger Mann. Vielleicht ist diese Figur zwangsläufig deswegen so vielschichtig, weil diese die Geschichte des Dr. Faustus dem Leser erzählt, doch in jedem Falle hat sich der Autor hier wirklich die größte Mühe gegeben.

Wer aber einen gut recherchierten historischen Roman erwartet, dem sei leider zu sagen, dass dieser in keiner Form auf Fakten beruht. Auch das Leben im Zeitalter von Hexenverbrennungen und Inquisition wird nicht abschließend und historisch korrekt wiedergegeben. Hier hat sich der Autor viele, viele Freiheiten gelassen, was aber hinsichtlich der Spannung und des Unterhaltungswertes akzeptabel ist. Im Nachwort erklärt der Autor Kai Meyer auch seine Motivation.

Dr. Faustus wird zwar als Person interessant dargestellt, aber es bleiben viel zu viele Fragen offen. Es stellt sich die Frage, was den Dr. Faustus zu der erklärten Legende machte. Hier bleibt vieles im Dunkel der Geschichte verborgen und ich hätte gerade in der Entwicklung der Figur mehr erwartet. Die Lebensgeschichte des Dr. Faustus wird nicht zu Ende erzählt, der Roman endet nicht mit dem Tod der Hauptfigur, was vielleicht, wie Kai Meyer es selbst erwähnt, auf eine Fortsetzung schließen lässt.

_Der Autor_

Kai Meyer wurde 1969 geboren. Durch Romane wie „Das Buch von Eden“, „Herrin der Lüge“, „Frostfeuer“ und „Die Fließende Königin“ sowie die „Wellenläufer“-Trilogie wurde er international bekannt, seine Romane wurden in zwanzig Sprachen übersetzt. Kai Meyer lebt und schreibt zurzeit in der Eiffel.

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Dübell, Richard – Spiel des Alchimisten, Das

[„Der Tuchhändler“ 2750
[„Eine Messe für die Medici“ 3288
[„Die schwarzen Wasser von San Marco“ 3323

Der Kaufmann Peter Bernward und seine Gefährtin Jana Duglosz befinden sich noch immer auf der Heimreise von Italien nach Polen. Bernward legt einen Abstecher nach Augsburg ein, um seine Tochter Maria zu besuchen. Er möchte ihr die wahren Hintergründe des Todes ihres Mannes in Florenz erklären. Kleinschmidt wurde als Beteiligter des Attentates auf die Medici hingerichtet und Bernward selbst hatte seinen Schwiegersohn ans Messer geliefert, um Jana zu retten.

Da sein Schwiegersohn im Dienste des Handelshauses der Hoechstetter stand, sucht Bernward als Erstes deren Verwalter Stinglhammer auf, um zu erfahren, wo seine Tochter wohnhaft ist. Und als käme er wie gerufen, findet er den Mann unter seltsamen Umständen ermordet auf. Der Tatort, das Büro des Verwalters, war von innen verschlossen, ebenso die Fenster, und ein seltsames, heidnisches Symbol verziert den Fußboden. Schnell zieht die Angst vor einem Dämon, einem Todesengel durch die Stadt. Doch Bernward kennt das Symbol. Vor mehr als dreizehn Jahren, als er noch der Untersuchungsbeamte des Bischofs Peter von Schaumberg war, gab es ähnliche Mordfälle mit dem gleichen Symbol. Die Geister der Vergangenheit dringen wieder in seinen Kopf ein und vor allem sein ehemaliger Freund, der Bischof selbst, mischt kräftig mit.

Hinzu kommt, dass sein damaliger Partner Gregor von Welden, nun der Burggraf des jetzigen Bischofs, seine Hilfe bei der Aufklärung erbittet. Bernward ist alles andere als begeistert. Erst als seine Tochter bei dem Begräbnis eines zweiten, unter identischen Umständen getöteten Mannes auftaucht und danach wieder verschwindet, übernimmt er die Ermittlung. Er ahnt bereits früh, dass seine Tochter irgendwie in die Morde verwickelt sein muss, und hofft, sie während der Untersuchung zu finden und beschützen zu können. Zur Seite stehen ihm dabei der alte, ehemalige Kutscher des Bischofs Albert und dessen Enkeltochter Elisabeth, als Gegner finden sich die reichen und mächtigen Herren des Handelshauses Hoechstetter und vor allem deren Prügelnabe Lutz, der Bernward kräftig zusetzt. Doch was Bernward noch mehr zu schaffen macht, ist der Alchimist Hilarius Wilhelm, der immer wieder beteuert, den Dämon mit Hilfe seines schwachsinnigen Helfers in die Hölle zurückschicken zu können …

Die Krimireihe um Peter Bernward geht mit „Das Spiel des Alchimisten“ in die vierte Runde. Und dieses Mal wird der Schleier über der Vergangenheit des sympathischen Charakters deutlich durchsichtiger. In Augsburg hatte Bernward jahrelang im Dienste des Bischofs gestanden, der schließlich sein Freund wurde. Nun kehrt er in die ehemalige Heimatstadt zurück und ermittelt in einem ähnlichen Fall wie dem, der ihm damals keine Ruhe ließ. Und was viel schlimmer ist: Seine Tochter steckt in der ganzen Sache mit drin und ist nicht einen Funken bereit, mit ihrem Vater zu reden oder sich gar von ihm helfen zu lassen. Der Konflikt zwischen den beiden muss nun bearbeitet werden; Bernward hatte nach dem Tod seiner Frau seine Kinder allesamt extrem vernachlässigt und seine Beteiligung um den Tod von Marias Mann macht seine Mission nicht einfacher. Beide Charaktere kämpfen um das, was sie als Recht empfinden. Die Tochter ist verbittert und vergrämt ob des Vaters früheren Verhaltens, der Vater will seine vergangenen Sünden wieder rückgängig machen. Klärungsbedarf und große Emotionen sowie die Verwicklung in die Morde stehen jedoch im Weg.

Dübell hat mit „Das Spiel des Alchimisten“ erneut einen spannenden und mitreißenden historischen Krimi geschaffen, dessen Charaktere eine einzigartige Ausstrahlung und Lebhaftigkeit besitzen. Wie immer zeigen seine genauen und bildhaften Beschreibungen nicht nur die Umgebung, sondern auch das Innenleben der Protagonisten. Und natürlich enttäuscht die Auflösung der Morde nicht im Geringsten, es wäre auch zu simpel, einfach einen Dämon töten zu lassen. Viel spannender ist doch eine Verbindung zwischen namhaften Handelshäusern, dem Medici-Attentat und Geld!

Im angefügten Nachwort gibt Dübell Erläuterungen zu den historischen Persönlichkeiten, die in seinem Roman vorkommen. Und natürlich erklärt er wieder, welche Ereignisse in der Geschichte tatsächlich geschehen sind. Dieses Mal waren es die Hinrichtung des Augsburger Bürgermeisters und die Ermordung seines Nachfolgers im Jahr 1478, die den Autor zu dieser Story führten. Schön finde ich ebenfalls, dass Dübell immer wieder eine Verbindung zu den vorherigen Büchern aufbaut; hier zieht sich die Linie zu „Eine Messe für die Medici“, in dem Bernward und seine Gefährtin mitten in das Medici-Attentat geraten.

Wie alle bisherigen Dübell-Romane ist auch „Das Spiel des Alchimisten“ absolut lesens- und empfehlenswert! Noch ein Hinweis: Man sollte unbedingt die Reihenfolge der Bücher beachten, um die erwähnten Rückblicke auf vorangegangene Geschehnisse zu verstehen. Dann steht dem Lesevergnügen nichts mehr im Wege.

Homepage des Autors: http://www.duebell.de
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Peinkofer, Michael – Erben der schwarzen Flagge, Die

Seit dem Film [„Fluch der Karibik“]http://www.powermetal.de/video/review-369.html mit Johnny Depp in seiner hervorragenden schauspielerischen Darstellung des etwas schrulligen und sonderbaren Käpt’n Jack Sparrow hat das Piratengenre eine wahre Wiederbelebung durchgemacht. In der Literatur kennen wir natürlich den Piraten „John Long Silver“ von Stevensons „Schatzinsel“, auch der immer bekanntere Freibeuter Klaus Störtebecker entführt den Leser in eine wilde, freie und ab und an romantische Abenteuergeschichte voller Gefahren, Schätze und Liebe.

Trotzdem bleibt dabei immer etwas Mystisches und Sagenhaftes im Verborgenen. Die Geschichtsschreibung weiß im Grunde nicht viel über die Piraterie, auch wenn es diese schon seit Anbeginn der Seefahrt geben mag. Fakten und Mythen vermengen sich unzertrennlich und bilden so den Stoff für Romane und Filme, die fast schon zur Tradition nicht nur unserer Kindheit gehören.
Einige Romane lassen sowohl den historischen Kontext als auch die klassische Abenteuergeschichte geradezu aufblühen, und schon entstehen Erzählungen, die geradezu Seemannsgarn sind.

Die karibische See ist oft und gerne Schauplatz einer Piratengeschichte, siehe „Fluch der Karibik“. Auch der Film beherbergt durchaus historisch einwandfreie Fakten. Tortuga und Port Royal waren im späten 17. Jahrhundert wirklich Piratenstädte, fernab von der Zivilisation mitsamt ihren Gesetzen und ihrer Gerichtsbarkeit.

Der deutsche Autor Michael Peinkofer hat mit „Die Erben der schwarzen Flagge“ einen solchen Piratenroman veröffentlicht.

_Die Story_

Die karibische See im späten 17. Jahrhundert. Spanien ist zur Weltmacht geworden, auch zu einer beeindruckenden Seemacht und führt immer wieder Kriege mit anderen europäischen Ländern, um die alleinige Macht in den Weltmeeren zu erreichen. Spanien hält verschiedene Kolonien in der Karibik, wo Kriegsgefangene und Sklaven brutale Frondienste leisten müssen.

Nick Flanagan ist einer dieser Sklaven, und zusammen mit vielen anderen Männern aus aller Herren Länder muss er für die Spanier Silber abbauen. Ein Menschenleben zählt nichts in den Sklavencamps von Maracaibo, und die meisten Gefangengen verlassen das Lager nicht lebend. An Flucht von dieser Insel ist nicht zu denken, und so geben sich die gefangenen Sklaven selbst auf.

Nick Flanagan, der schon seit seiner Kindheit ein Sklave ist, verfolgt nur ein einziges Ziel: die Flucht aus dem Sklavencamp. Als sein Vater durch die körperliche Anstrengungen und brutalen Misshandlungen durch die Aufseher immer schwächer wird, tötet Nick einen der Peiniger. Der Gouverneur der Insel lässt die Tat nicht ungestraft und den Vater von Nick zu Tode foltern, als Strafe und Mahnung für die anderen.

Kurz vor der Folter, im Gefängnis, löst der Ziehvater die Geheimnisse um die Herkunft von Nicks Träumen und Erinnerungen auf, und nimmt ihm das Versprechen ab, seiner Bestimmung zu folgen, um herauszufinden, wer seine wirklichen Eltern waren. Nick gelingt eines Tages zusammen mit seinem besten Freund die Flucht aus dem Sklavencamp und sie treffen auf Bukaniere – auf Piraten, denen sie sich anschließen.

In der karibischen See erzählt man sich von einem Fluch, einen Piraten mit dem Namen Bricassart, der unsterblich sein soll und im Besitz eines schwarzen Schiffes ist, der |Leviathan|. Dieser ist eine große Gefahr für die Galeonen, welche die Schätze der Neuen Welt ins spanische Königreich bringen sollen, und auch Nick, der inzwischen für die Spanier zu einer ernsthaften Gefahr auf den Handelsrouten geworden ist, wird zum Ziel des geheimnisumwitterteren Freibeuters.

Nick, inzwischen zum gewählten Kapitän bei den Bukanieren geworden, kann die zwölf Jahre in Sklaverei nicht vergessen und fasst einen Entschluss. Zusammen mit seiner Mannschaft will er zurück nach Maraciabo, um die Sklaven zu befreien und den Gouverneur der Insel seines wertvollsten Schatzes zu berauben, seiner Tochter Elena; diese soll im Austausch für Lösegeld als Geisel der Seeräuber dienen.

Der Gouverneur aber ist nicht gewillt, das Lösegeld zu zahlen, stattdessen verbündet sich dieser mit dem berüchtigten Seeräuber Bricassart, um Nicks habhaft zu werden, doch Bricassart hat seine ganz eigenen Pläne.

_Kritik_

Es gibt durchaus Parallelen zu „Fluch der Karibik“, wie man leider deutlich erkennen kann. Der Autor Michael Peinkofer bediente sich dafür bei den klassischen Instrumenten dieses Genres: Rache, Leidenschaft, Liebe und auch des schwarzen Zaubers des Voodoo.

„Die Erben der schwarzen Flagge“ ist ein unterhaltsamer Abenteuerroman, den man zwischendurch lesen mag, aber den man genauso schnell auch wieder vergisst. Die Charaktere, allen voran Nick Flanagan, sind gar typisch gezeichnet – schwarz und weiß, gut und böse. Die Erzählungen rund um die Piraterie mitsamt ihrer Gefechte auf See, ihrer Fechteinlagen und den unverzichtbaren Liebesschwüren sind pure Unterhaltung, ohne wirklich den Leser fesseln zu können.

Einzig und allein die Passagen, in denen der Pirat Bricassart die Hauptrolle spielt, haben mich fasziniert und ein wenig fesseln können. Dieser Charakter hätte meiner Meinung nach viel weiter und noch mysteriöser ausgebaut werden können.

Der Roman birgt keine Überraschungen, nicht einmal bezieht er sich auf wirklich gut recherchiertes Material. Gerade ein historischer Roman sollte doch dieser Erwartungshaltung gerecht werden. Einzig und allein die Schauplätze und Regionen hat Michael Peinkofer gut recherchieren können. Wie schon in der Einleitung erwähnt – Port Royal und Tortuga waren Piratenstädte, doch keine Person in „Die Erben der schwarzen Flagge“ ist historisch verbürgt.

Die Geschichte entwickelt sich von Kapitel zu Kapitel haarsträubend voraussehbar und übertreibt zum Schluss des Romans noch mit aberwitzigen, phantastischen Einlagen, die mich noch mehr enttäuscht haben.

Für einen Piratenroman ist „Die Erben der schwarzen Flagge“ abschließend beurteilt eher schlecht und wenig kurzweilig. Es gibt weitaus bessere, z. B. von Wilbur Smith. Hier wird man eher fündig.

_Michael Peinkofer_ studierte in München Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaft. Ab 1995 arbeitet er als freier Übersetzer, Autor und Filmjournalist. Bekannt wurde Michael Peinkofer durch den Roman [„Die Bruderschaft der Runen“. 1024

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Mondfeld, Wolfram zu / Wertheim, Barbara zu – Schule der Gladiatoren, Die

Morituri te salutant – die Totgeweihten grüßen Dich: Diese Parole ist wohlbekannt aber historisch nicht korrekt, denn nur ein einziges Mal ist dieser Gruß an dem herrschenden Cäsar (Kaiser) überliefert worden.

Trotzdem kennen wir Gladiatoren aus Filmen wie „Spartacus“ mit Kirk Douglas oder zuletzt „Gladiator“ mit Russel Crowe, der zwar ein wirklich guter Film war, aber mit der Darstellung einer echten Gladiatur historisch gesehen nichts zu tun hatte. Wenn wir von Gladiatoren hören oder lesen, selbst in „Asterix“, so verbinden wir das immer mit einem Kampf zweier Kontrahenten auf Leben und Tod.

In der Regel stimmt das schon, aber ein solcher Kampf hatte ähnlich wie ein Boxkampf heute feste Regeln, mehrere Schiedsrichter, und ein Kämpfer hatte, wenn er die Gunst des Publikums erlangte, eine große Chance, das Kolosseum oder überhaupt die Arena, durch eine Missio (eine Begnadigung für diesen Kampf) zu verlassen.

Gladiatorenkämpfe gab es von ca. 264 vor Christus bis etwa Anfang des 5. Jahrhunderts. Nicht alle römischen Kaiser waren gewillt, die legitimen und gesetzlichen Kämpfe zwischen zwei Gladiatoren zu befürworten; Augustus, Tiberius und Mark Aurel waren jedoch zweifellos Verfechter dieses Kampfsportes.

Der Roman „Die Schule der Gladiatoren“ von Wolfram zu Mondfeld und seiner Frau Barbara zu Wertheim gibt ein recht gut recherchiertes historisches Bild dieser Epoche und des Berufsstandes der Kämpfer wieder und räumt mit Vorurteilen und falschen Informationen der antiken Welt auf.

_Die Geschichte_

Im Jahre 55 nach Christus im 13. Regierungsjahr des erhabenen Cäsars Claudius wächst der junge Eppor im großen Römischen Reich auf. Seine Familie bewirtschaftet einen eigenen Hof mit Landwirtschaft und Viehzucht und verkauft ihre Waren an die Legionäre (Soldaten) und ihre Familien. Doch es gibt hin und wieder Raufereien zwischen den Einheimischen und den römischen Kindern besserer Herkunft, die sich als Patrizier bezeichneten. Eppor verprügelt und demütigt den Sohn eines angesehen römischen Offiziers, was nicht ohne Folgen bleibt.

Die Geldstrafe würde den Hof der Familie in einen finanziellen Abgrund stürzen und keiner seiner Familienangehörigen dürfte sich danach noch als frei bezeichnen.

Eppor ist stolz und vernünftig, und sieht ein, dass er seine Familie nur retten kann, wenn er in die Sklaverei geht. Auf dem Sklavenmarkt wird er von der Gladiatorenschule „Felix Felix“ gekauft, und für Eppor, der den Namen Scorpio erhält, beginnt eine harte und sehr lehrreiche Ausbildung zum Retiarius – einem Kämpfer, der sich in der Arena mit Dreizack und Netz behaupten muss. In der Schule und während der Ausbildung wird „Felix Felix“ zu seiner neuen Familie. Neue Freundschaften entstehen und er findet Freude am doch oftmals rauen Leben. Nach seinem ersten Kampf gewinnt Scorpio nicht nur die Gunst der Zuschauer, sondern wird auch für seine hervorragenden Leistungen im Gefecht mit einem Lorbeerkranz ausgezeichnet.

Im Laufe der Jahre wird Scorpio einer der bekanntesten Gladiatoren im Römischen Imperium und die Freundschaft des mysteriösen Etruskers Tarquinius, der sich nicht zu Unrecht für einen Gott hält, wird ihn prägen und begleiten. Nach vielen Siegen und dem Gewinn von Preisgeldern kann sich Scorpio nun die Freiheit erkaufen, doch er bleibt der Laufbahn eines Gladiatoren und seiner Schule „Felix Felix“ treu. Der Lanista, der Inhaber der Schule, erkennt in dem jungen Mann viel Potenzial und möchte in ihm seinen Nachfolger sehen, doch Scorpio lehnt zunächst ab.

Als Kaiser Nero in Rom die besten Gladiatoren der Schulen für seine Spiele anfordert, wird auch Scorpio in der Arena kämpfen müssen. Es kommt zu einem ungleichen Kampf, den er trotzdem für sich entscheiden kann. Doch sein Gegner, ein arroganter Senatssohn, kann seine Niederlage nicht verkraften und verletzt Scorpio schwer, als dieser dem Gegner den Rücken kehrt, um von Kaiser Nero den Preis entgegenzunehmen.

Von diesem Tage an ist Scorpio querschnittsgelähmt und verliert fast seinen Lebenswillen. Doch seine Freunde und nicht zuletzt Tarquinius stärken seine Lebensfreude, und schließlich nimmt er das Angebot des Inhabers der Gladiatorenschule an und hilft diesem beim Leiten der Schule und der Ausbildung der neuen Generation von Gladiatoren.

Die Kämpfe in den Arenen Roms fordern von der Schule „Felix Felix“ einen hohen Blutzoll. Viele angesehene und gute Kämpfer sterben im Sand der Arena für die Unterhaltung der römischen Bevölkerung. Doch nach diesen Wettkämpfen gehört die Ausbildungsstätte Felix Felix endgültig zu den Eliteschulen für Gladiatoren.

Scorpio leitet nun die Geschicke der Schule und sein Freund Tarquinius rächt dessen Verletzung und die Tode seiner Freunde schrecklich. Dieser wird zu einer Legende unter den Gladiatoren, ein etruskischer Totengott, der in der Arena tödliche und perfekt einstudierte Schwerttänze aufführt. Er wird zum Schrecken aller Verbrecher unter den Gladiatoren, die regelwidrig kämpfen und Lust am Töten verspüren.

Der 18.07.64 nach Christus wird zu einem historischen Tag im Imperium. Kaiser Nero verfällt immer mehr dem Wahnsinn und gibt den Auftrag, Rom anzuzünden. Die Verantwortlichkeit und Schuld an dem Inferno gibt er einer neuen Sekte, den Christen, die Nero zu Tausenden auf brutale Weise hinrichten lässt. Auch die Gladiatoren von „Felix Felix“ nehmen an den neuen Spielen teil, allerdings ohne sich am Töten der unschuldigen Christen zu beteiligen. Geschockt und verstört verlassen diese das Zentrum der römischen Welt.

Doch mehr und mehr verliert Nero die Gunst des Volkes und des Senats. Wie viele andere Kaiser wird er das Opfer einer Verschwörung und ermordet. Nun beginnt eine unruhige Zeit mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Viele Herrscher werden gewählt und wieder abgesetzt. Es wird Jahre dauern, bis Ruhe einkehrt, und die Gladiatoren der Schule „Felix Felix“ reisen durchs Römische Reich, um nicht den Säuberungen der amtierenden Kaiser zum Opfer zu fallen.

Erst Kaiser Vespasian bringt wieder Stabilität und Vertrauen, so dass die Gladiatoren wieder ganz ihr Leben auf die Schule ausrichten können. Doch auch hier gibt es Intrigen und Feindschaften. Scorpio und Tarquinius leiten beide nun nach dem Tod des Inhabers die Schule mit viel Geschick und Gespür für gute Gladiatoren, die dem Namen der Schule alle Ehren machen.

Erst der Ausbruch des Vesuv und die totale Zerstörung Pompejis verändert das Leben von Scorpio und Tarquinius.

_Kritik_

„Die Schule der Gladiatoren“ des Autorenehepaars Wolfram zu Mondfeld und Barbara zu Wertheim belebt die Welt der literarischen Antike und ist historisch einwandfrei recherchiert. Die Autoren entführen den Leser in eine andere Epoche, die man auch als Zeit von „Brot und Spielen“ umschreiben könnte.

Durch die gewählte Ich-Form des Scorpio, der die Geschichte von Tarquinius erzählt, kann sich der Leser vom Denken und Handeln der Protagonisten im Römischen Imperium ein sehr gutes Bild verschaffen. Das Lebensgefühl eines Sklaven, eines Römers, eines Christen haben die Autoren fabelhaft in Szene gesetzt. Auch die politische Lage mitsamt der Kaiser und Eroberungskriege birgt viel an historischen verbürgten Informationen. Besonders interessant waren für mich die Passagen der Christenverfolgung sowie die Eroberung und Zerstörung von Jerusalem.

Trotzdem kann dem einen oder anderen Leser „Die Schule der Gladiatoren“ manches Mal langatmig vorkommen, da sich die Autoren im religiösen und gesellschaftlichen Leben etwas verrennen.
Die Einstudierung der Charaktere ist bis ins kleinste Detail durchdacht. Den beiden Hauptfiguren Scorpio und Tarquinius, deren Wichtigkeit und Entwicklung dem Leser unterschiedlich viel Freude bereiten, widmen sich die Autoren besonders deutlich. Der Legende rund um die Figur eines Gladiators haben die Autoren viel, viel Zeit und noch mehr Recherche gewidmet. Das allein zeigt schon, wie wichtig es ihnen war, aus einem historischen Roman nicht wie so oft eine Märchenstunde zu machen.

Der Roman ist unterteilt in drei einzelne Bücher, zwischen den Kapiteln verdeutlichen Zeichnungen der verschiedenen Gladiatorentypen dem Leser, was man sich unter den verschieden ausgerüsteten Gladiatoren vorstellen mag. Im Anhang des Romans werden die Rüstungstypen der Gladiatoren, die Besonderheiten und die Regeln eines Kampfes detailliert beschrieben.

Insgesamt kann ich die unterhaltsame und informative Lektüre dieses Romans guten Gewissens empfehlen.

_Das Autorenehepaar_ lebt in der Nähe von Augsburg, dem antiken Augusta Vindelicum. Wolfram zu Mondfeld ist unter anderem bekannt geworden, durch das Werk [„Der Meister des siebten Siegels“. 54 Spezialisiert hat sich der Autor als Verfasser von Geschichten, die mit der Seefahrt zu tun haben, bis zu einem Standardwerk zu historischen Schiffsmodellen. Seine Frau Barbara zu Wertheim ist eine namhafte Hellseherin, die auch an dem Roman „Mose – Sohn der Verheißung“ mitgewirkt hat.

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Vantrease, Brenda – Illuminator, Der

England um 1380: Das Land befindet sich in großer Unruhe. Nach dem Tod Edward III. folgt ihm sein erst zehnjähriger Enkel Richard II. auf den Thron, eine umstrittene Nachfolge, die für Trubel im Königshaus sorgt. Das Volk ist der Herrschaft von Adel und Klerus ausgeliefert. Aber nicht nur die armen Leute, auch die Höhergestellten leiden unter der Härte und der Willkür der Gesetze. Zu ihnen gehört Lady Kathryn, die Herrin von Blackingham Manor. Vor einem Jahr verstarb ihr ungeliebter Mann Sir Roderick. Seitdem bemüht sie sich, ihren beiden knapp sechzehnjährigen Söhnen Alfred und Colin ein angemessenes Leben zu bieten, obwohl ihre einst reichhaltigen Mittel immer bescheidener werden. Während der selbstbewusste und launische Alfred seinem Vater nachschlägt, handelt es sich bei Colin um einen stillen, verträumten Jungen, der am liebsten auf seiner Laute spielt.

In dieser Zeit des Umbruchs erhält Lady Kathryn einen Auftrag vom Vorsteher der Abtei Broomholm. Der Illuminator Finn wird eine Ausgabe des Johannes-Evangeliums kunstvoll illustrieren. In dieser Zeit soll er im Kloster wohnen, doch der verwitwete Mann will sich nicht von seiner jungen Tochter Rose trennen. Daher soll Lady Kathryn ihnen gegen Bezahlung seitens der Abtei für einige Monate Unterkunft gewähren. Angesichts ihrer schwierigen finanziellen Lage willigt Lady Kathryn ein, ohne zu ahnen, welche Komplikationen damit auf sie zukommen. Zwischen ihr und dem intelligenten Illuminator entwickelt sich nach zögerlichem Beginn eine geheime Liebesbeziehung. Seine Tochter Rose wiederum verliebt sich in den scheuen Colin, während der eifersüchtige Alfred für Zwietracht sorgt.

Doch das ist noch nicht alles: Finn arbeitet insgeheim für den scharf umstrittenen Kirchenkritiker John Wycliff, der die Bibel ins Englische übersetzt, damit auch das einfache lateinunkundige Volk endlich die Heilige Schrift lesen kann. Jedes Bekenntnis für Wycliff wird als Verrat betrachtet und eine Entdeckung von Finns Diensten als Illuminator für ihn wären eine Katastrophe. Als auch noch ein Priester der Abtei nach seinem Besuch auf Blackingham ermordet aufgefunden wird, überschlagen sich die Ereignisse. Lady Kathryn und ihre Söhne schweben genauso in Gefahr wie der Buchmaler Finn und seine Tochter …

In ihrem Debütroman befasst sich Brenda Vantrease mit einem bunten und gefährlichen Zeitalter. Vor dem Hintergrund der beginnenden englischen Reformation und der Bauernaufstände gelingt ihr die Schilderung einer fesselnden Geschichte voller interessanter Schicksale.

|Überwiegend interessante Charaktere|

Im Mittelpunkt stehen sowohl der titelgebende Illuminator Finn als auch die vornehme Lady Kathryn. Lady Kathryn präsentiert sich als starke Frau, die mit allen Kräften bemüht ist, ihren geliebten Söhnen das Erbe zu sichern. Ungern erinnert sie sich an die unglückliche Zwangsehe mit ihrem verstorbenen Mann zurück, sieht ihre Söhne aber als großes Geschenk. Die Einkünfte werden mit der Zeit immer geringer, der hinterhältige Ernteaufseher Simpson scheint sie zu betrügen und es wird immer schwieriger, den einstigen Status aufrechtzuerhalten. Auch wenn es stets für gute Kleidung und genügend Essen reicht, sorgt sich Lady Kathryn mit Recht um die Zukunft des Anwesens. Als Herrin über Blackingham kann sie sich nur wenige Schwachheiten erlauben. Dem ruhigen und intelligenten Illustrator gelingt es zwar, ihr Herz zu gewinnen – doch er bemerkt bald, dass sie sich bei aller Liebe nicht überwinden kann, gewisse Prinzipien zu brechen.

Nur wenige Charaktere sind eindeutig bei Schwarz oder Weiß einzuordnen. Lady Kathryn ist eine sympathische Identifikationsfigur, aber wegen ihrer Liebe zu ihren Söhnen schlägt sie auch opportunistische Wege ein. Der Illuminator wiederum erscheint glatter, idealistischer, durch seine zurückhaltende und nachdenkliche Art dem Leser aber nicht weniger sympathisch. Automatisch bangt man um sein Leben und spürt seine Verzweiflung, als nach und nach die Schwierigkeiten über ihn hereinbrechen: Die Sorge um seine Tochter, die Bedrohung durch die Kirche, Missverständnisse mit Kathryn. Der Mann, der bereits seine geliebte Frau nach der Geburt der Tochter verlor, muss viele Niederlagen einstecken, und es gelingt der Autorin gut, den Leser in seine Lage hineinzuversetzen.

Ein sehr zwiespältiger Charakter ist Kathryns Sohn Alfred. Zweifellos gleicht er seinem dominanten und herrschsüchtigen Vater, doch der Einfluss seiner gütigeren Mutter ist nicht ohne Folgen geblieben. Immer wieder schwankt der junge Mann zwischen seiner Bewunderung für den Vater und seiner Zuneigung für die tapfere Mutter. Einerseits ist er ein Hallodri, der auch die schöne Rose gerne in seinem Besitz hätte und im Gegenzug den sanften Bruder Colin verachtet. Andererseits gelingt es Kathryn in wichtigen Situationen durchaus, ihn an seine kindliche Liebe zu ihr zu erinnern und das fast verschüttete liebevolle Wesen in ihm zum Vorschein zu bringen. Daher bleibt bis zum Schluss offen, welchen Weg der junge Alfred tatsächlich einschlagen wird.

In der alten Köchin Agnes, dem Dienstmädchen Magda und dem Zwerg Halb-Tom finden sich drei ausgesprochen vielschichtige Nebencharaktere, die beim Lesen viel Freude bereiten und fast zu kleinen Hauptfiguren avancieren. Halb-Tom ist ein kleinwüchsiger Mann, der in den Sümpfen lebt und trotz seiner widrigen Lage als Außenseiter den Ärmeren hilft. Seine Verbindung zu Blackingham besteht hauptsächlich in Botengängen, doch darüber hinaus fasst er auch große Zuneigung zu der heranwachsenden Magda. Das aus ärmsten Verhältnissen stammende Mädchen wird wegen seiner Schweigsamkeit lange Zeit für zurückgeblieben gehalten, aber es kristallisiert sich heraus, dass man sein liebes, naturverbundenes Wesen damit gründlich unterschätzt. Die aufkeimende Zuneigung zwischen dem Zwerg und dem kindlichen Mädchen bildet einen kleinen aber feinen Nebenstrang, den man gerne verfolgt. Für humorvolle Szenen sorgt vor allem die alte Agnes, die nicht nur gegenüber Kathryn eine vertraute und fast mütterliche Stellung einnimmt, sondern auch gelegentlich deftige Bemerkungen von sich gibt. Ihre brummelige und oft derbe Art sorgt bei Kathryn zwar zeitweilig für Verstimmung, beim Leser jedoch für Erheiterung.

Rose Finn, die Tochter des Illuminators, ist genau wie Colin über weite Strecken zu glatt und zu harmlos geraten. Gottesfürchtig, demütig und scheu, wie sie sind, verhalten sie sich insgesamt zu vorhersehbar und langweilig. Ebenfalls ausnehmend gut, aber viel interessanter ist die Figur der Einsiedlerin Julian, die ebenfalls in die Fronten zwischen Kirche und Volk gerät. Die gütige Frau mit dem tiefen Glauben wird trotz oder gerade wegen ihrer Hingabe für das einfache Volk von der Kirche misstrauisch beäugt und schwebt kaum weniger in Gefahr als Lady Kathryn und Finn.

|Spannung in mehrfacher Hinsicht|

Spannung erfüllt die Geschichte gleich auf mehreren Ebenen: Zum einen verfolgt man natürlich mit großem Interesse die schwankende Entwicklung der Liebesbeziehung zwischen Lady Kathryn und Finn. Lady Kathryn befindet sich im ersten Witwenjahr, sollte also nach Ansicht der Außenwelt angemessen um ihren Ehemann trauern, sodass eine neue Beziehung gesellschaftlich undenkbar wäre. Dazu kommt die für damalige Verhältnisse erschreckende Enthüllung, dass Finns verstorbene Frau eine Jüdin war. In einer Zeit, in der die Juden für alles denkbare Übel inklusive der Pest verantwortlich gemacht wurden, tut der Illustrator gut daran, dieses Detail seiner Vergangenheit geheim zu halten. Selbst die gütige Lady Kathryn empfindet diese Tatsache als Schock, der ein dunkles Licht auf ihr Verhältnis wirft. Als wären dies nicht bereits Schwierigkeiten genug, bedeutet auch der Standesunterschied zwischen dem bürgerlichen Finn und der adligen Frau ein Gegenargument zu ihrer Verbindung.

Zu diesen äußeren Komplikationen gesellt sich auch die Angst vor den Reaktionen sowohl seitens des eifersüchtigen Alfreds, der das Ansehen seines Vaters verteidigt, als auch des schmierigen Sheriffs Sir Guy, der Heiratsabsichten mit Kathryn hegt. Die möglichen politischen und persönlichen Konsequenzen schweben folglich wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen und halten die Spannung aufrecht. Das gilt, wenn auch in abgeschwächter Form, ebenfalls für das nicht minder intime und geheime Verhältnis zwischen Colin und Rose. Die beiden haben zwar nicht so schlimme Konsequenzen zu befürchten, doch Finn vertraut auf die Tugend der beiden, während Lady Kathryn eher von Alfred fürchtet, dass er Rose zu nahe tritt.

Ein wenig Krimiflair erhält die Handlung durch den Mord an dem Priester. Bei den ersten Ermittlungen verneint Lady Kathryn vorsichtshalber, den Priester am fraglichen Tag gesehenen zu haben, doch ihre Lüge wird entlarvt und lenkt den Verdacht auf Blackinghams Bewohner. Bis zum Schluss muss der Leser fürchten, dass ein Unschuldiger für die Tat büßt, während man Lady Kathryns grausamen Zwiespalt verfolgt, sich zwischen Finn und einem ihrer Söhne entscheiden zu müssen.

|Viele historische Details|

Eine Vielzahl von historischen Personen lässt die Historienfreunde voll auf ihre Kosten kommen. Die sanfte Einsiedlerin Julian von Norwich hat es ebenso gegeben wie den Kirchenkritiker John Wycliff und den despotischen Bischof Henry Despenser, ganz zu schweigen natürlich von den Mitgliedern des Königshauses. Der Illuminator ist zwar fiktiv, doch die Autorin verwebt seine Geschichte geschickt mit der realen Existenz einer Paneele mit der Passion Christi, deren Künstler bis heute unbekannt ist. Auch bei der Figur von Julian von Norwich, über die man nur sehr wenige Zeugnisse besitzt, musste mit viel Phantasie ausgeschmückt werden, und das geschieht so überzeugend, dass man gerne gewillt ist, sich die Einsiedlerin so vorzustellen, wie Brenda Vantrease sie dargestellt hat.

Darüber hinaus besticht der Roman durch Sachkenntnis und realistische Details aus der damaligen Zeit, bei denen wenig beschönigt wird. Das Elend der armen Leute wird dem Leser deutlich vor Augen geführt, aber auch die Konflikte und Schwierigkeiten von scheinbar Begünstigteren wie Lady Kathryn, die ebenfalls unter den Bedingungen leiden. Allerdings bleiben vor allem die herrschaftlichen Hintergründe etwas im Dunkel. Der Leser erfährt nicht viele Angaben zum regierenden Richard II. und seinen Vorgänger. Daher empfiehlt es sich, parallel zum Roman auch ein paar Blicke in Geschichtsbücher zu werfen, um sich mit der politischen Situation vertraut zu machen. Für das Verständnis des Inhalts ist es nicht notwendig, aber zur besseren Gesamtbeurteilung der Epoche anzuraten, wenn keine Vorkenntnisse vorhanden sind. Etwas schade ist außerdem die negative Darstellung von John of Gaunt, des Herzogs von Lancester, der nicht eigenständig in Erscheinung tritt, aber oft von Beteiligten erwähnt wird. Der Sohn von Edward III. fungierte als Berater seines Neffen, des kindlichen König Richard II., und unterstützte den aufrührerischen John Wycliff. Doch nicht nur Johns Gegner, auch Wycliff selber sieht im Roman vor allem den Eigennutz von John of Gaunt, der durchweg negativ beschrieben wird. Tatsächlich war der historische John of Gaunt beim Volk unbeliebt, doch im Ausland und in der heutigen Forschung bewundert man ihn eher für seine Reformen und seine politische Weitsicht, die zu seiner Zeit verkannt wurde.

Die edle Aufmachung der deutschen Ausgabe passt exzellent zur thematisierten Buchkunst und dürfte Bibliophilen das Herz höher schlagen lassen. Im Gegensatz zu manch anderen Historienromanen verwendet die Autorin hier zudem angenehmerweise keine allzu geschwollene Sprache, sondern benutzt einen sehr gut lesbaren Stil, der nicht anspruchslos, aber unschwer zu verfolgen ist.

_Als Fazit_ bleibt zu sagen, dass der von den Medien herangezogenen Vergleich mit Umberto Ecos Meisterwerk „Der Name der Rose“ übertrieben ist, aber dennoch können Freunde von historischen Romanen hier bedenkenlos zugreifen. Das Werk besticht durch eine spannende Handlung, berührende Schicksale, interessante Charaktere und detaillierte Sachkenntnis. Die wenigen Schwächen haben keinen großen Einfluss auf den positiven Gesamteindruck dieses gelungenen Erstlings.

_Die Autorin_ Brenda Vantrease, Jahrgang 1945, studierte und promovierte in Tennessee in englischer Literatur. Anschließend arbeitete sie als Englischlehrerin und Bibliothekarin. Auf ausgiebigen Reisen nach Großbritannien und Irland erkundete sie die Schauplätze der Geschichte und verfasste zahlreiche Essays und Kurzgeschichten. „Der Illuminator“ ist ihr Romandebüt. Gegenwärtig arbeitete die Autorin an ihrem nächsten historischen Werk.

|Originaltitel: The Illuminator
Originalverlag: St. Martin’s Press 2005
Aus dem Amerikanischen von Gloria Ernst
Taschenbuch, 576 Seiten, 12,5 x 18,3 cm|
http://www.blanvalet.de

Gablé, Rebecca – Hüter der Rose, Die

Vor einigen Jahren erschien das historische Epos [„Das Lächeln der Fortuna“ 1522 der deutschen Autorin Rebecca Gablé. Diese Geschichte rund um die ritterliche Laufbahn des Robin of Waringham faszinierte mich; am Ende des Romans habe ich jedoch nicht erwartet, dass es einen zweiten Teil geben könnte, der die Familiengeschichte weitererzählt.

Nun erschien im |Ehrenwirth|-Verlag der Fortsetzungsroman „Die Hüter der Rose“, der innerhalb der Geschichte einen Generationswechsel vorsieht. Die Hauptrollen spielen natürlich die Warninghams, die treu und ergeben dem englischen Königshaus dienen.

Mit recht hoher Erwartungshaltung las ich diesen Nachfolger und kann bereits vorwegnehmen, dass er zwar gut ist, aber nicht so fesselnd, so durchdacht und bildlich dargestellt wie „Das Lächeln der Fortuna“.

_Die Geschichte_

Waringham, England, April 1413.

Earl Robin of Waringshams Sohn John ist mit dreizehn Jahren der jüngste Spross seines Vaters und steht im ständigen, ruhmreichen Schatten seiner Brüder Raymond und Mortimer. Immer wieder versucht er zielstrebig und ehrgeizig, seinen Brüdern und seinem Vater zu beweisen, dass er ein echter Waringham und zu großen Taten bestimmt ist.

Als die Familie Besuch von Bischof Henry Beaufort, dem Onkel des derzeitigen Königs Henry V. (genannt Harry), bekommt und John ahnt, dass ihn sein Vater in eine kirchliche Laufbahn drängen will, reißt er aus und macht sich auf den Weg nach Westminster, um ein Diener und Ritter des Königs zu werden.

Doch bevor er sich Ehre und Ruhm verdient, muss John in den nächsten Jahren als gewöhnlicher Knappe, genau wie sein Vater zuvor, lernen, was es heißt, ein Ritter zu werden. Ernüchternd stellt er schnell fest, dass auch Ritter nicht immer selbstlos und edel sind, sondern genauso grausam und hartherzig sein können wie Normalsterbliche auch.

An der Seite des Königs erlebt er erst als einfacher Knappe die Schrecken und die Grausamkeit des wieder aufkeimenden Hundertjährigen Krieges gegen die französische Krone. Kurz vor der legendären Schlacht von Agincourt (Frankreich) wird John vom König zum Ritter geschlagen. König Henry V. geht als ruhmreicher Sieger aus der Schlacht hervor und John wird einer der Vertrauten des jungen Königs, genauso wie seine Freunde und sein Bruder Raymond.

Auch am königlichen Hofe gibt es Intrigen sowie kleinere und größere Machtspielchen um die Krone Englands. Die Familie Lancaster, welcher der König angehört und deren Wappen eine rote Rose ist, steht gegen die Yorks (weiße Rose). Der Krieg steuert aber noch immer das Leben der Lords und Ladys, der Kirche und der Ritterschaft.

Auch an John gehen die Schrecken des Krieges gegen die französischen Soldaten und auch an der Zivilbevölkerung nicht spurlos vorbei. Als Bote des Königs wird er von französischen Rittern gefangenen genommen, schwer gefoltert und misshandelt. Nur durch die geschickte Diplomatie des Bischofs Henry Beaufort kann John freigekauft werden. Einige Zeit verbringt dieser noch in Frankreich und bringt der zukünftigen Ehefrau Katherine de Valois auf Wunsch seines Gönners Kardinal Beaufort die englische Sprache bei.

Inzwischen verstirbt sein Vater Robin of Waringham, der nächste Earl of Waringham wird sein Bruder Raymond, der aber wenig Interesse an den wirtschaftlichen Leistungen des Hofes besitzt. Er bestimmt seinen jüngeren Bruder John zum Leiter seiner Grafschaft.

Der Krieg geht derweil weiter, die Ränkespiele am Hofe ebenso. John, der die uneheliche Tochter des Bischofs, Juliana of Wolvesey, kennen und lieben gelernt, brennt mit ihr durch, heiratet sie und geht zurück nach Waringham. Obwohl John nun ohne die Zustimmung des Bischofs und des Königs eine Lancaster geheiratet hat, vergibt ihm der Bischof und spätere Kardinal Beaufort, und wenig später auch der König selbst, der doch zunächst recht verstimmt war.

Mitten im Feldzug verstirbt König „Harry“, jedoch, ohne einen Sohn zu hinterlassen, der ihm auf den Thron folgen könnte. Ein Machtvakuum entsteht, dessen Gefährlichkeit dem Krieg in Frankreich in nichts nachsteht.

Der sterbende König vertraut John of Waringham seinen Sohn an – Henry VI. Von nun an an liegt es an der Familie von John und seiner Frau und ebenso seinen Freunden, den zukünftigen König von England zu erziehen, um diesen zu einen ruhmreichen und ehrlichen Herrscher zu formen.

Inzwischen taucht auf den französischen Schlachtfeldern eine Frau auf – Jeanne von Domrèmy, die die englischen Besatzer aus Frankreich verjagen soll und will – die Frau, die später als Johanna von Orléans in die Geschichte eingeht …

Das Kriegsglück der Engländer scheint sich zu wenden, und auch John wird immer stärker bewusst, dass nicht nur der junge König gefährdet ist, sondern auch seine eigene Familie. Die Lords der „Rose“ kämpfen mit allen Mitteln um die Macht der Krone …

_Kritik_

Je länger ich den Roman las, je schneller sich die Geschichte entwickelte, desto enttäuschter wurde ich. Rebecca Gablé ist sicherlich eine gute Autorin im Genre der gistorischen Romane, aber bei „Die Hüter der Rose“ fiel auf, dass sie immer wieder auf den gleichen Stil und Aufbau zurückgreift und sich erneut ein ähnlicher roter Faden durch die Geschichte zieht.

Gablé könnte viel mehr aus ihren Geschichten machen, denn farbenfroher kann eine Autorin das Mittelalter dem Leser kaum vermitteln. In „Das Lächeln der Fortuna“ waren die Charaktere besser und tiefer dargestellt, mit viel mehr Schwächen und Stärken. Der Titelheld John of Waringham kam mir immer sehr wohlbehütet vor, immer ein Glückspilz und immer wird befreit, gerettet, geliebt … Auch bei den anderen Figuren wiederholt sich vieles; die Männer sind stolze Recken, die Frauen holde Burgfräulein. Ich hätte mir gewünscht, dass die Charaktere deutlich besser ausgebaut wären und sich die Beschreibungen nicht immer so glichen.

Die Figur des Bischofs und späteren Kardinals Henry Beaufort finde ich am gelungensten; der Charakter ist vielschichtig, interessant und bewegt sich nicht nur in eine Richtung. Besonders gefallen haben mir die Gespräche zwischen dem Kirchenfürsten und dem oft naiven John. Die Sichtweise zum Krieg in Frankreich, die Rolle der katholischen Kirche und nicht zuletzt die nationale Politik Englands werden hier dem Leser detailliert vermittelt, ohne langweilig zu sein.

Die Handlung selbst ist historisch korrekt. Allein schon wegen der vielen historischen Persönlichkeiten ist dieser Roman Interessierten zu empfehlen; die einzigen nicht historischen Figuren sind die der Waringhams. Die Vorliebe der Autorin für England ist natürlich kein großes Geheimnis. Manchmal hätte ich mir allerdings gewünscht, dass der Hundertjährige Krieg in der Geschichte etwas neutraler dargestellt worden wäre. Selbst die Figur von Jeanne von Domrèmy (Johanna von Orléans) wird völlig überzogen dargestellt; in dieser Geschichte kommt sie nicht gerade gut davon, ihre Rolle hätte ich mir ausführlicher gewünscht.

Man kann „Die Hüter der Rose“ als eigenständigen Roman lesen, ohne vorher „Das Lächeln der Fortuna“ gekannt zu haben, doch empfehle ich es nicht. Als Fazit bleibt zu sagen das der Roman nicht mehr als akzeptabel ist. „Das Lächeln der Fortuna“ war dagegen grandios und wird wohl das beste Werk der Autorin bleiben. Bleiben wir jedoch gespannt darauf, was uns der dritte Band erzählen wird. Vielleicht geht es die so genannten „Rosenkriege“ der Lancasters und Yorks? Ich werde den nächsten Roman sicherlich lesen, und sei es nur in der Hoffnung, dass Rebecca Gablé nicht wieder zu sehr ihrem Stil treu bleibt und die Geschichte vielleicht etwas weniger transparent gestaltet. Für Liebhaber historischer Romane ist dieses Buch sicherlich empfehlenswert. Wer allerdings bereits einige Romane der Autorin gelesen hat, wird vielleicht enttäuscht sein.

_Die Autorin_

Rebecca Gablé ist ein Künstlername. Geboren wurde die Autorin als Ingrid Krane-Müschen 1964 in Wickrath bei Mönchengladbach.

Nach dem Abitur absolvierte sie eine Ausbildung zur Bankkauffrau, bevor sie sich völlig neu orientierte und an der Düsseldorfer Universität Anglistik und Germanistik studierte. Seit 1999 hat sie einen Lehrstuhl für altenglische Literatur an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf inne.

1995 erschien ihr erster Roman – kein historischer, sondern ein Kriminalroman mit dem Titel „Jagdfieber“. Der Durchbruch kam aber mit dem historischen Epos „Das Lächeln der Fortuna“. Es folgten weitere historische Romane wie „Das zweite Königreich“ und „Der König der purpurnen Stadt“.

Neben ihrer Neigung zur Literatur ist sie interessiert an Theater und Musik. Sie spielt Klavier und singt.

Historische Informationen bei |Wikipedia|:

[Hundertjähriger Krieg]http://de.wikipedia.org/wiki/Hundertj%C3%A4hriger__Krieg
[Jeanne d’Arc]http://de.wikipedia.org/wiki/Jeanne__d%E2%80%99Arc

Richard Dübell – Die schwarzen Wasser von San Marco. Historischer Thriller

[„Der Tuchhändler
[„Der Jahrtausendkaiser
[„Eine Messe für die Medici

Venedig 1478: Aus den trüben Wassern der Lagune wird vor den Augen des deutschen Händlers Peter Bernward die Leiche eines Kindes geborgen. Bald darauf kommen zwei weitere Kinder ums Leben – Gassenjungen, die als Zeugen gesucht wurden. Wussten sie zu viel? Bernward beschließt, den wenigen Hinweisen nachzugehen. Dabei dringt er tief in das Räderwerk der Macht vor, mit der Venedig seit 400 Jahren den Handel in Europa kontrolliert – und gerät in ein Netz aus Verbrechen und Intrigen, das die dunkle Seite der Stadt offenbart … (Verlagsinfo)

Handlung

Nachdem sich die Wirren um das Attentat auf Giuliano und Lorenzo de Medici in Florenz gelegt haben, machen sich der Landshuter Tuchhändler Peter Bernward und seine Gefährtin, die polnische Kauffrau Jana Duglosz, auf den Heimweg. Doch heftige Schwächeanfälle, die Jana während der Reise überfallen, zwingen die beiden zu einem vorübergehenden Aufenthalt in Venedig.

Nach nur zwei Tagen, während denen Jana mit ihrer mysteriösen Krankheit niederliegt, wird Bernward von einem venezianischen Kaufmann, Enrico Dandolo, um Hilfe gebeten. Sein Neffe Pegno ist seit ein paar Tagen verschwunden, und noch bevor Bernward Informationen sammeln oder gar Ratschläge geben kann, kommt die Nachricht, dass die Leiche eines Jungen im See San Daniele geborgen wurde. Dandolo identifiziert seinen Neffen, obwohl das Gesicht des toten Jungen dermaßen verunstaltet wurde, dass ein Erkennen eigentlich auszuschließen sein sollte. Doch zwei hinzukommende Gassenjungen bestätigen seine Aussage.

Somit stellt sich Bernward und der ermittelnde Polizist Paolo Calendar die Frage, wie es der Junge auf das Gelände des Arsenals – Schiffswerft und Flottenbasis der Republik Venedig – geschafft haben soll und ob in diesem Fall ein Selbstmord oder ein Mord vorliegt. Bernwards Nachforschungen bringen relativ schnell ans Licht, dass dessen Vater Fabio Dandolo seine Söhne wohl falsch eingeschätzt hatte. Pegno, der ältere Sohn, sollte das Familiengeschäft erlernen, während Andrea für ein Leben hinter Klostermauern vorgesehen war. Doch Pegno war offensichtlich für die Geschäftswelt ungeeignet, weswegen er von seinem Vater nur Verachtung erntete und schließlich seinem Onkel als „Lehrling“ in Obhut gegeben wurde. Hatte Pegno sich selbst aus Gram und Enttäuschung ertränkt?

Bereits einen Tag später stößt Bernward durch Zufall auf eine weitere Kinderleiche: Einer der beiden Gassenjungen, die Pegno identifiziert hatten und nun von der Polizei als Zeugen gesucht werden, ist ermordet worden. Bernward ist von einem Zusammenhang überzeugt, und auch Calendar scheint an ein größeres Komplott zu glauben. Allerdings ist der Polizist alles andere als bereit, mit dem deutschen Kaufmann zusammenzuarbeiten, und so macht Bernward sich alleine auf die Suche nach Hinweisen auf den oder die Mörder. Die Spur führt über das Waisenhaus der Rara de Jadra, eine Frau, die Mädchen von Sklavenhändlern aufkauft, um sie später als Dienstmädchen, Kindermädchen oder Ähnliches in reiche Haushälter abgeben zu können. Unter ihrer Obhut befindet sich die Schwester des Gassenjungen Fratellino, der sich seit dem Mord an seinem Kumpanen versteckt hält. Doch das Mädchen ist zu verängstigt, um Bernward Informationen liefern zu können.

Erst als die Herbergswirtin Hilfe für Jana bei einer Kräuterkundigen sucht und diese das Mädchen Fiuzetta mitbringt, kommt etwas Licht ans Dunkel. Fiuzetta war bei Rara aufgewachsen und erzählt, dass die Mädchen von der Frau in allen Liebeskünsten ausgebildet werden, um dann Kunden zu bedienen. Bernward steigert sich daraufhin noch mehr in diesen Fall hinein, möchte zudem den Mädchen helfen und gerät dabei selbst in Lebensgefahr. Der Sumpf, den er nach und nach aufdeckt, zieht sich bis in die höchsten politischen Kreise Venedigs – und niemand hilft ihm, bis Calendar sein abweisendes Verhalten langsam aufgibt, und die zwei den Kampf gegen die mächtigen Gegner aufnehmen.

Und noch einen Kampf hat Bernward zu führen: Janas Krankheit heißt Schwangerschaft, und das Bild seiner Frau Marie steht ihm vor Augen. Marie starb bei der Geburt ihres vierten Kindes und auch das Baby überlebte nicht. Seine unbändige Angst, erneut seine Liebe zu verlieren, lässt ihn den Kopf verlieren …

Meine Meinung

Ohne zeitliche Verzögerung setzt Dübell da an, wo [„Eine Messe für die Medici“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=3288 aufhört. Die beiden Protagonisten Bernward und Jana erreichen Venedig, wollten eigentlich weiter nach Polen, müssen aber eine Zwangspause einlegen, weil Jana erkrankt ist. Und wie sollte es auch anders sein, Bernward wird in einen Todesfall verstrickt, der natürlich ganz und gar nicht einfach aufzuklären ist. In bewährter Manier wird der alte Kaufmann von einer Rätsellösung zur nächsten geschickt und wie immer macht es Freude, ihm zu folgen. Der Fall ist verzwickt, die Zeugen sind eingeschüchtert, der Polizist hütet ein Geheimnis und die höchsten Stadtherren sind mehr als dubios. Schön inszeniert der Autor eine Jagd, die tempo- und auch actionreich quer durch das mittelalterliche Venedig führt.

Nicht zu vergessen, dass die Beziehung zwischen Bernward und Jana weitergeht. Durch die Schwangerschaft Janas erfährt der Leser nun mehr aus der Vergangenheit des deutschen Kaufmanns. Erinnerungen an seinen alten Lehrmeister, den Bischof von Augsburg, und den tragischen Tod seiner Frau Marie geben dem Charakter noch mehr Präsenz und Ausdruckskraft. Er ist nun gezwungen, sich seiner Angst zu stellen, eventuell erneut seine Familie zu verlieren. Schön, dass Dübell den Charakter nach wie vor reifen und ihn dem Leser somit glaubwürdig erscheinen lässt.

Unterm Strich

Wie schon in dem Vorgängerroman hat Dübell auch in „Die schwarzen Wasser von San Marco“ einen historisch belegten Vorfall zum Inhalt gemacht. Die Dalmatinerin Rara de Jadra wurde 1500 in Venedig hingerichtet, weil sie und zwei Helferinnen in ihrem Bordell junge Mädchen in verschiedensten Perversionen ausgebildet und an entsprechende Kunden vermittelt hatten. In dem Roman verschleiert die Frau ihr Bordell als Waisenhaus, verkauft sich selbst als eine Art Heilige, die es den Mädchen ermöglicht, später mittels einer guten Anstellung im Hause einer reichen Familie zu leben. Ein gewohntes Nachwort des Autors erläutert die Hintergründe, gibt Informationen zum Venedig des Mittelalters und erklärt die literarischen Freiheiten des Romans.

Es bleibt mir nur zu sagen, dass mich auch Dübells Buch Nummer vier voll und ganz überzeugt hat. Ich habe die Seiten verschlungen und werde sicherlich genauso das nächste spannende Abenteuer von Bernward in mich aufsaugen. Wie alle bisher besprochenen Romane des Autors Richard Dübell ist auch dieser eine glasklare Empfehlung wert!

Anmerkung zur Taschenbuchausgabe 2004:

Aus irgendeinem Grund wurde vor einem Bindestrich immer das Gradzeichen gedruckt, z. B. … als er nach Hause wollte° – sein Haus befand sich … Das ist gerade zu Beginn sehr verwirrend, ich konnte mich jedoch nach einigen Seiten daran gewöhnen.

Taschenbuch: 542 Seiten
ISBN-13: 978-3404151028

www.luebbe.de

Die Autorin vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (13 Stimmen, Durchschnitt: 1,46 von 5)

Masot, Núria – Labyrinth der Schlange, Das

„Nicht schon wieder der heilige Gral!“, möchte man schreien, wenn man „Im Labyrinth der Schlange“ von Núria Masot in die Hand nimmt und das Zeichen der Tempelritter auf dem Buchrücken entdeckt. Doch diese Sorge ist völlig unbegründet, denn der historische Krimi möchte uns nicht mit noch einer Version dieser alten Legende quälen.

Guillem de Montclar, ein junger Spion für die Tempelritter, kehrt aus Palästina nach Spanien zurück, um dort das Geheimnis des Baumeisters Serpentarius aufzuklären. Der Baumeister der Templer verschwand vor hundert Jahren spurlos aus der Gegend der Burg Miravet. Plötzlich entdeckt man in den Gemäuern des Klostern ein verborgenes Arbeitszimmer von Serpentarius und nun soll Guillem aufklären, wie der Baumeister damals verschwand.

Zur gleichen Zeit geschehen im nicht weit entfernten Wald Fontsanta mehrere Morde und die Bewohner des Klosters Santa María des Maleses und des nahe liegenden Dorfes sind in heller Aufregung. Man ruft die Templer zu Hilfe, denn vor hundert Jahren hat es bereits schon einmal mehrere Morde an der heiligen Quelle gegeben. Beginnt der Schrecken von damals wieder? Und was haben die Mönche des Klosters damit zu schaffen? Gibt es vielleicht eine Verbindung zwischen den beiden Fällen? Guillem, der ihm zur Seite gestellte Mönch Folch und der junge, clevere Stallbursche Abro müssen sich nicht nur mit Tatsachen, sondern auch mit dem Aberglauben der Gottesbrüder auseinandersetzen …

„Das Labyrinth der Schlange“ verbleibt zunächst im Fahrwasser historisch beschreibender Romane. Sowohl Handlung als auch Schreibstil sind einfach, trocken, stellenweise vielleicht sogar ein wenig spröde gehalten, was das Aufkommen von Spannung lange behindert. Gerade am Anfang scheint sich die Autorin nicht sicher zu sein, wo sie eigentlich genau hin möchte. Sie lässt zwar schon deutlich zwei Stränge durchschimmern, aber erst gegen Mitte des Buches geht es mit großen Schritten Richtung Spannung. Tatsächlich gewinnt der Roman letztendlich an Fahrt, kann die historische Lähmung aber nicht vollständig abschütteln.

Im schönen Gegensatz zu der trockenen Handlung stehen die lebendigen Charaktere, die man als Leser wirklich ins Herz schließt. Gerade Guillem sticht dadurch hervor, dass er sich durch Intelligenz und nicht vorhandenen Aberglauben von den meisten anderen Figuren im Buch unterscheidet. Auch der junge Ebro weiß zu begeistern, denn Masot gelingt die Darstellung des übereifrigen Jungen sehr authentisch. Seine fixen Ideen und seine Anhimmelung des Templers Guillem sind typisch für sein Alter und unglaublich plastisch dargestellt.

Der Schreibstil ist, wie bereits erwähnt, ein wenig trocken und anfangs auch ein wenig gewöhnungsbedürftig. Dabei benutzt Masot bzw. ihre Übersetzerin noch nicht mal besonders viele alte Begriffe. Es sind eher die verschachtelten, emotionslosen Sätze, die man erst auf den zweiten Blick entwirren kann. Erneut sind es die Personen, die die Situation retten. Die herzlichen Dialoge, vor allem zwischen den drei Ermittelnden, lockern den Erzählfluss auf, so dass der trockene Eindruck des Beginns sich mit der Zeit minimiert.

Núria Masots Roman ist sicherlich kein Glanzlicht des Genres, aber die Handlung liefert, nach anfänglichen Schwierigkeiten, gute Unterhaltung. Der Schreibstil ist zwar ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber nicht im Sinne von unlesbar, und die wunderbar ausgearbeiteten Charaktere und die steigende Spannung machen einiges wieder wett.

|Originaltitel: El Laberinto de la Serpiente
Originalverlag: Roca Editorial, Barcelona
Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek, Anja Lutter
Taschenbuch, 576 Seiten|
http://www.heyne.de

Dübell, Richard – Eine Messe für die Medici

_Story_

Es ist das Jahr 1478, und Italien durchlebt gerade den Machtkampf zweier herrschender Parteien: Der Papst Sixtus IV. versucht, der Familie de Medici ihren alleinigen Machtanspruch über Florenz, dessen Umgebung und einige weitere Regionen abzuschnüren. Somit befindet sich das Land in dem dazugehörigen Zustand: Überfälle gesetzloser Banden machen die Straßen unsicher, italienische Kaufleute fragen sich, mit welcher Partei sie ihre Geschäfte abwickeln sollen, und daraus wiederum ergibt sich ein Andrang ausländischer Handelshäuser, die die großen Gewinne riechen. Zu eben jenen zählt auch die polnische Kauffrau Jana Dlugosz, deren Vater gerade verstorben ist und ihr das Handelshaus Dlugosz hinterlassen hat. Da ihre Verwandten aber gegen die Führung einer Frau sind und ebenfalls ein Auge auf das gutgestellte Unternehmen werfen, haben sie Jana einen Dienstboten namens Stepan Tredittore zur Überwachung geschickt. Dieser soll jegliche Verfehlung Janas sofort berichten, damit ihre Absetzung beschlossen werden kann. Allerdings hat die junge Frau in ihrem Gefährten, dem Landshuter Kaufmann Peter Bernward, eine tatkräftige Unterstützung, die auch Tredittore unter Kontrolle halten kann.

Nachdem Jana in Prato, 20 Kilometer von Florenz entfernt, ein gutes Geschäft abschließen konnte, will sie weiter nach Florenz, um dort mit noch mehr Gewinn ihre Verwandten von ihren Fähigkeiten überzeugen zu können. Bernward ist aufgrund der Unruhen im Lande zwar dagegen, stimmt der Reise aber letztendlich zu – immerhin bestehen in der noch jungen Beziehung zwischen ihm und Jana genug Differenzen. Doch in Florenz angekommen, geraten beide sehr schnell in einen Alptraum: Während der Ostermesse im Dom Santa Maria del Fiore wird ein Attentat auf Giuliano und Lorenzo de Medici ausgeführt – Giuliano wird von einem Priester mit einem Messer erstochen, Lorenzo kann verwundet entkommen. Sofort lässt Lorenzo nach den Verschwörern fahnden, und im Zuge seiner Verfolgung wird auch Jana verhaftet. Bernward macht sich auf die Suche nach Beweisen für die Unschuld seiner Gefährtin. Er findet Verbindungen von Jana zu Anhängern der Pazzi-Familie, der Familie, die mitunter die Hauptbeteiligten der Verschwörung sind. Und je weiter er forscht, desto mehr Zweifel kommen auf: Hat Jana sich in ihrem Wunsch nach dem dicken Fang blenden lassen? Während der Kaufmann immer tiefer in die Pazzi-Verschwörung eintaucht, legen ihm sowohl Tredittore als auch sein eigener Schwiegersohn Kleinschmidt Steine in den Weg. Dabei läuft dem alten Mann die Zeit davon, denn auf Jana wartet bereits die Folterkammer …

_Meine Meinung_

Der Roman erzählt über einem Zeitraum von genau fünf Tagen: Am 24. und 25. April 1478 weilen Jana und Bernward in Prato. Sie erleben die Hinrichtung einer Sklavin, die ihren Herrn vergiftet hat. Diese Szene verdeutlicht den Machtverlust, den die Medici-Familie bereits 20 Kilometer von Florenz entfernt hinnehmen muss. In den politischen Kampf gegen den Papst verstrickt, vernachlässigen sie ihre Gerichtsausübung in der Umgebung und verlieren damit den Einfluss über die Menschen. Am 26.04. findet das Attentat auf die ranghöchsten Mitglieder der Medici statt, und Florenz erhebt sich danach zu einem Berg aus Gewalt und Angst. Einer der Hauptverschwörer, der 70-jährige Jacopo de‘ Pazzi, wird von der rachsüchtigen Meute auf der Straße quasi in Stücke gerissen und danach in den Fluss Arno geworfen, seiner Familie werden die florentinischen Besitztümer weggenommen. Ein weiterer Verschwörer, der Erzbischof Francesco Salviati, wird an der Mauer des Palazzo della Signoria (dem Regierungsgebäude von Florenz) aufgehängt, mit ihm die zwei tatausführenden Priester. Obwohl Lorenzo gegen diese Lynchmorde war, gelang es ihm nur, den dritten Hauptbeteiligten, den Kardinal Raffaele Riario, zu retten.

Der Tag des 27.04. ist von Bernwards Nachforschungen ausgefüllt, die ihn sowohl Ungereimtheiten als auch Beweise für Janas Schuld finden lassen. Seine Zweifel, seine Verzweiflung und seine immer wieder erwachenden Hoffnungen stellen den zweiten wichtigen Bestandteil des Romans dar. Zudem gesellt sich die Verlockung in Form von Beatrice Pratini hinzu, eine Frau, die den alten Kaufmann dazu bringt, seine Liebe zu Jana zu hinterfragen und schließlich zu bestätigen. Erst da kann Bernward mit ganzem Herzen und sogar unter Einsatz seines eigenen Lebens die Gefährtin unterstützen. Schlussendlich bleibt der 28.04., der Tag, der die Auflösung um die Schuld oder Unschuld Jana Dlugoszs bringt, der die Hintergründe von Janas Geschäften aufzeigt und der vermeintlich Unschuldige plötzlich in einem ganz anderen Licht dastehen lässt.

Dübell kann es einfach! Der Autor hat einen guten Riecher für Storys, ein geschicktes Händchen für die Ausarbeitung der Charaktere und ein schriftstellerisches Talent, um das Ganze zu einem fesselnden Buch zusammenzufügen. Das Medici-Attentat war wohl weit umfangreicher und komplizierter ausgefallen, als Dübell es schildert, allerdings sind die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse und Personen korrekt eingefügt. Dübell selbst erläutert die Freiheiten, die er sich für den Roman herausgenommen hat, wie so viele Autoren in einem Nachwort, das ebenfalls noch zusätzliche Informationen zu der Pazzi-Verschwörung enthält.

Sehr zu meiner Freude ist Peter Bernward, der Landshuter Kaufmann, mit von der Partie. Bereits in Dübells Debüt [„Der Tuchhändler“ 2750 war ich von diesem Charakter sehr angetan und auch bei seinem zweiten Auftritt bleibt er der Freund für mich. Bernward ist durch und durch menschlich – obwohl der offensichtliche Held der Geschichte, hat er Ängste, Zweifel und Hoffnungen. Er ist nicht der Heroe, sondern darf Fehler machen, er darf Schwäche zeigen, und das macht ihn zur Identifikationsfigur schlechthin. Und er fällt nicht aus seiner Zeit heraus, wie die Hauptpersonen anderer historischer Romane, die irgendwie immer ihrer Zeit voraus sind und nur damit einen Konflikt erzeugen können. Nein, Bernward ist ein Kaufmann des 15. Jahrhunderts, er ist eingespannt in die mittelalterliche Glaubenswelt, er hat Angst vor der großen Welt außerhalb seines kleinen Landshuts. Er ist mit seinen über 40 Jahren bereits alt – und so wird er auch beschrieben, als alter Mann, der nur aufgrund seines Köpfchens seiner Gefährtin helfen kann. Mit Bernward steigt oder fällt der Spannungsbogen der Geschichte, und da ihm Auszeiten zugestanden werden – die ein alter Mann ja auch braucht -, kann der Leser immer wieder das gerade Erzählte reflektieren und seine eigenen Überlegungen anstellen. Das ist von Dübell sehr geschickt gemacht und führt zu einem spannungsgeladenen Übergang zur nächsten Szene, die sich garantiert wieder überschlägt und den Leser atemlos zurücklässt.

Und noch etwas spricht für Dübell: Seine Ortsbeschreibungen lassen jedes Dorf und jede Stadt lebendig werden. Florenz erstrahlt im Angesicht von Kunstwerken, versumpft in der Armut von Elendsvierteln, wird zur reißenden Bestie, wenn ihre Bewohner Rache üben, und wird zum Bollwerk für ausländische Besucher, wenn sich Florenz innerhalb seiner Mauern uneins ist. Florenz ist das Zentrum der Macht der Medici-Familie, und Lorenzo de Medici verkörpert Florenz. Viele der Verschwörer hassten ihn nicht, sondern sie neideten ihn; um sein Geld, seinen Einfluss und wohl auch um seine Beliebtheit. Dübell schildert eindrucksvoll das Entsetzen der Florentiner nach dem Angriff, aber noch lebhafter und nachhaltiger bleiben mir wohl die Racheakte dieser unaufhaltsamen Menschenmenge im Kopf, die einen der Mörder mitten auf dem Platz vor dem Palazzo in Stücke reist – Menschen, die zusammen ein Ungeheuer bilden, dessen Wut und Zorn erst abebbt, als der Priester ein Haufen Fleischklumpen ist. Das Ungeheuer fällt in Ungläubigkeit und Scham ob des eigenen Tuns panikartig zusammen. Was für ein Bild!

Somit hat mich auch das dritte Buch von Dübell begeistert. „Ich darf Ihnen versichern, dass ich mich gesegnet fühle, meinen Traumberuf zum Broterwerb gemacht zu haben …“, schreibt Dübell auf seiner Homepage. Ich darf sagen, ich freue mich riesig, dass er das geschafft hat, und werde mir gleich den nächsten Roman um Bernward vornehmen. Wie schön das Lesen doch sein kann!

Homepage des Autors: http://www.duebell.de
http://www.bastei-luebbe.de

Yarbro, Chelsea Quinn – Palast der Vampire

[„Hotel Transylvania“ 2706 war der erste Streich in Chelsea Quinn Yarbros episch angelegter Chronik um den Vampir Saint-Germain. Damals trieb er im Paris des 18. Jahrhunderts sein Unwesen – wobei „Unwesen“ zu viel gesagt wäre: Saint-Germain ist nämlich ein Untoter mit Anstand und einem Faible für die schönen Dinge des Lebens. Anstatt sich wie sein berühmtester Artgenosse an Burgmauern hinabzuhangeln und das Blut von unschuldigen Jungfrauen in alle Ecken des Zimmers zu verspritzen, beschäftigt er sich lieber mit Kunst – und mit der genussvollen Verführung schöner und williger Frauen!

Wer nun aber denkt, der zweite Band „Palast der Vampire“ knüpfe nahtlos an „Hotel Transylvania“ an, der irrt. Yarbro überrascht ihre Leser damit, dass sie den Roman nicht nur in einem anderen Land, sondern auch in einer anderen Zeit spielen lässt. Diesmal befinden wir uns im Florenz des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Florenz ist zu dieser Zeit ein florierendes wirtschaftliches und kulturelles Zentrum Europas. Unter der Führung der Medici wird nicht nur Tuch exportiert, sondern auch Künstler wie Botticelli werden gefördert. Also genau der richtige Ort für Saint-Germain, der sich mit Vorliebe am Puls der Zeit niederlässt.

Zwar gilt er in Florenz als Ausländer, doch ist er gebildet und faszinierend genug, um von den Florentinern akzeptiert zu werden. Mit großem Brimborium baut er einen Palazzo – natürlich mit geheimen Kammern für seine alchimistischen Studien. Diese sollen ihm jedoch bald zum Verhängnis werden, denn als Laurenzo de Medici stirbt, schlägt die liberale Stimmung in Florenz rasch um.

Mehr und mehr reißt nämlich der Dominikanermönch Savonarola die Macht in Florenz an sich. Mit einer rigiden Bibelauslegung verdammt er alle Kunst, alle Annehmlichkeiten und alle Schönheit als eitle Sünde aus der Stadt. Seine Militia Christi, bei genauer Betrachtung nicht mehr als eine Gruppe randalierender Jugendbanden, dringt in Häuser ein und zerstört die Einrichtung. Gemälde werden verbrannt, das Spielen von Musik untersagt. Und Saint-Germain als Ausländer wird natürlich schnell zur Zielscheibe von Savonarolas Hass. Als eine ehemalige Geliebte in einer öffentlichen Beichte seinen Namen in den Schmutz zieht, muss Saint-Germain fliehen. Doch was ist mit seinem Protegé Demetrice, die darauf besteht, in Florenz zu bleiben?

Es ist ganz allein der Erzählkunst der Autorin zu verdanken, dass „Palast der Vampire“ ein so gelungenes Lesevergnügen ist. Denn wenn man es genau betrachtet, bietet der zweite Band gegenüber „Hotel Transylvania“ nicht viel Neues: Wir haben den Vampir, seinen treuen Diener, eine sich schüchtern entwickelnde Liebesgeschichte und äußere Einflüsse, die sich dem Paar entgegenstellen. Nach dem gleichen Schema verfuhr Yarbro schon in „Hotel Transylvania“, und doch ist „Palast der Vampire“ kein billiger Abklatsch. Und Langeweile kommt auf den 500 Seiten gleich gar nicht auf. Es muss also die Erzählfreude Yarbros sein, die den Leser so bei der Stange hält.

Saint-Germain ist ein Vampir für romantische Frauenträume. Er spielt lieber auf der Laute als Menschen umzubringen. Für ihn ist die Teilnahme am Leben der Menschen, an deren Kultur und Sorgen offensichtlich ein Lebenselixier, das er genauso benötigt wie Blut. Es ist seine Art, die Ewigkeit erträglich zu machen. Dass sich ihm dabei gern eine schöne und ebenso kluge Frau an die Seite stellt, macht die Sache nur noch interessanter. Demetrice ist, wie schon Madeleine in „Hotel Transylvania“ keineswegs ein Frauchen. Sie ist studiert, hat die Bibliothek des Medici katalogisiert und überredet Saint-Germain, sie in der Alchimie zu unterrichten. Erst als klar ist, dass beide gleichberechtigte Partner sein können, bringt Yarbro zarte Gefühle ins Spiel.

Ebenso faszinierend ist ihr Florenz des 15. Jahrhunderts. Wie auch schon im ersten Band, ist „Palast der Vampire“ in erster Linie ein historischer Roman. Yarbro versteht es, ins Detail zu gehen, ohne zu langweilen. Der Roman lebt von dem Gegensatz zwischen dem schöngeistigen Saint-Germain und dem radikalen Mönch Savonarola. Für Yarbro ist das Florenz des 15. Jahrhunderts keineswegs der Sündenpfuhl, den der Dominikaner darin sieht. Florenz ist für sie das Zentrum der Renaissance. Durch die Medici kommt die Stadt zur Blüte, Kunst und Naturwissenschaft sind auf dem Höhepunkt. Ausländer und Studenten strömen in die Stadt, um am Fortschritt teilzuhaben. Savonarola jedoch wirft Florenz um Jahre zurück. Mit seinen apokalyptischen Prophezeiungen vom Ende der Welt trifft er offensichtlich einen Nerv bei der Bevölkerung. Doch das führt nur dazu, dass in Florenz der Scheiterhaufen vorweggenommen wird, der später ganz Europa überziehen wird.

Wie auch schon im ersten Band, steht Saint-Germain wieder ein verlässlicher Diener zur Seite. Seinerzeit aus einer offenbar misslichen (und fast tödlichen) Lage befreit, ist Ruggiero seinem Meister treu ergeben. Er ist der einzige Charakter, den ich mir mehr ausgebaut gewünscht hätte. Außer seiner Treue zu Saint-Germain bedenkt ihn Yarbro mit keinen weiteren Charaktereigenschaften, und doch hat man als Leser ständig das Gefühl, hinter der Fassade des Dieners verberge sich ebenfalls eine spannende Geschichte, die das Erzählen lohnen würde. Doch wer weiß, vielleicht erfährt man in einem späteren Band ja mehr über Ruggerio.

„Palast der Vampire“ ist ein echter Schmöker, den man im gestreckten Galopp verschlingen wird. Auf 500 Seiten präsentiert Yarbro eine Geschichte ohne Hänger und Längen, mit einer ausgewogenen Mischung aus Historie, Erotik, Spannung und einem wirklich verachtenswerten Bösewicht. Wenn sie es schafft, dieses Erzähltempo auch in den Folgebänden zu halten, dann steht der geneigten Leserin ein langanhaltender Lesegenuss bevor, schließlich umfasst die Serie bereits 19 Bände!

http://www.festa-verlag.de

Riebe, Brigitte – Liebe ist ein Kleid aus Feuer

_Die Autorin_

Die Autorin Brigitte Riebe, privat Brigitte Bögle, wurde 1953 in München geboren, wo sie auch heute noch als freie Schriftstellerin lebt. Sie ist promovierte Historikerin, war zunächst als Museumspädagogin tätig und hat später lange Jahre als Verlagslektorin gearbeitet, bevor sie selbst begann, Romane zu schreiben. Unter ihrem Pseudonym Lara Stern veröffentliche sie u. a. die Sina-Teufel-Romane, mit denen sie auch bekannt wurde. Bereits im Handel erhältlich ist ihr neuester Roman „Auge des Mondes“, eine Katzengeschichte, die im alten Ägypten spielt.

_Story_

Im Harz 946 n. Chr.: Auf der Burg des Grafen Raymond von Scharzfels wartet dessen Tochter Eila sehnsüchtig auf seine Rückkehr, um mit ihm zusammen auf die Falkenjagd zu gehen. Derweil vertreibt sie sich die Zeit mit ihren Tauben, die sie züchtet, und mit Träumen von ihrem neuen Geschwisterchen, das im Bauch ihrer Mutter Oda gerade heranwächst. Wenn es nur überleben würde, denn das Schicksal ließ bisher nur Eila am Leben, während vier tote Brüder bereits begraben werden mussten.

Raymond lauscht währenddessen den Trauerausbrüchen des Königs Otto I., dessen Frau im Kindbett das Leben verlor. Seine Gedanken sind ebenfalls bei seinem ungeborenen Kind – voller Angst und Grauen, was ihn erwartet, sollte er endlich wieder nach Hause zurückkehren dürfen. Doch danach sieht es erstmal nicht aus, denn der König schickt ihn in eine seiner Provinzen, wo eine Seuche wütet und er nach dem Rechten sehen soll. Dort angekommen, macht er die Bekanntschaft des außergewöhnlich begabten Schmieds Algin und dessen Familie. Kurz entschlossen, den Schmied in seinen Dienst zu nehmen, lässt er den König die Familie zum Umzug nach Scharzfels zwingen.

Auf der Burg ist inzwischen Besuch eingetroffen: Der „Strick“ – der irgendwann einmal dem Strick tatsächlich entkommen ist und der hässlichen Narbe am Hals seinen Namen verdankt – macht der Burgherrin seine Aufwartung und bietet ihr Hilfe für die Geburt an, sodass das Kind überleben kann. Die verzweifelte Oda lässt sich darauf ein, nicht ahnend, dass der Strick nichts anderes im Sinn hat, als sich an Raymond für vergangenes Übel zu rächen. Aber für Eila bringt der unsympathische Mann eine neue Freundin mit: Die kleine Roswitha wurde von ihrem Vater, ein Schwertbruder des Grafen, nach Scharzfels geschickt. Doch Rose, wie Eila sie nennt, hat eine mysteriöse Krankheit: Ohne Grund verliert sie das Bewusstsein und wird von Krämpfen geschüttelt. Und nicht nur das macht sie außergewöhnlich, Rose kann Wolken und Bäume sprechen hören, trägt ein heidnisches Symbol als Kette von ihrer verstorbenen Mutter und besitzt Wissen, das einem 12-jährigen Mädchen weit voraus ist.

Kurz darauf trifft Raymond mit der Schmiedfamilie ein. Das Baby ist tot, seine Frau Oda noch kälter und hasserfüllter als vorher. Verzweifelt stürzt er sich auf Rose, die er als sein neues Kind annimmt und die ihn mit ihrer Klugheit in Bann schlägt. Er lässt die beiden Mädchen von einem Priester unterrichten, und während Eila ihren Drang zur Freiheit unterdrücken muss, erwacht in Rose das Feuer der Poesie. Das Schicksal schlägt zu, als sich Eila in den Schmiedejungen Lando verliebt und Raymond die beiden ertappt. Der Graf verbannt Lando in die Minen des Berges, wo er lebenslang nach den Schätzen der Erde graben muss, und seine Tochter ins Kloster zu Gandersheim, wohin ihr ihre Freundin Rose folgt. Wie kann Eila ihren Lando wiedersehen, ohne Rose aufgeben zu müssen, die sich im Kloster wie zu Hause fühlt?

_Meine Meinung_

Zu viele Handlungsstränge ziehen sich durch das 633-seitige Buch, um sie alle in der Inhaltswiedergabe berücksichtigen zu können. Die beiden Hauptstränge stellen die Freundschaft zwischen Rose und Eila und die Liebe zwischen Lando und Eila dar. Die zwei so unterschiedlichen Mädchen – Rose eher still und bescheiden, Eila wild und zielbewusst – verbindet eine Freundschaft, die selbst Trennung und Schicksalsschläge überstehen kann. Rose wächst über sich hinaus, als Lando in Lebensgefahr schwebt, während Eila immer zur Stelle ist, um die schmächtige Dichterin zu beschützen und aufzumuntern. Während Rose in ihrem Glauben an die Jungfrau Maria ihr Seelenheil findet, verzweifelt Eila an der Trennung von Lando, dessen Verbleib sie nicht kennt. Die Liebe zwischen den beiden entwickelt sich aus der sexuellen Neugier zweier Teenager, die vom anderen Geschlecht fasziniert sind. Doch schnell ist klar, dass die Gefühle der beiden tiefer gehen, und trotz Trennung sind sie in Gedanken immer beieinander. Lando bleibt dem Leser am Anfang sehr fremd, weil er als oberflächlich ausgearbeiteter Charakter in Erscheinung tritt. Aber mit seiner Verbannung beginnt sein eigentlicher Reifeprozess, er gewinnt an Substanz und damit auch an Identifizierungspotential. Während Eila und Rose den Leser von Beginn an für sich einnehmen, gelingt das Lando erst als Mann. Durch seinen Unfall im Berg liegt er lange Zeit im Koma, und mir erschien es so, dass er danach erst richtig zum Leben erweckt wurde.

Die Beziehungen zwischen den einzelnen Charakteren sorgen für aufregende Spannung. Ähnlich wie in „Straße der Sterne“ verzichtet Riebe auch hier auf allzu viele Action, und auch hier ist diese nicht nötig. Die Dialoge zwischen Raymond und Oda zum Beispiel lassen von Anfang an Ungutes erahnen. Der „Strick“ sät Zwietracht und Hinterlist, wo er auch auftaucht – eine Gestalt, der man die intelligente Bösartigkeit gut abkauft und deren Motive bis zum Ende gut verschleiert bleiben. Hinzu kommen noch Auseinandersetzungen zwischen Otto I. und dessen Sohn Luidolf, der sich schließlich gegen seinen Vater stellt und die Ritter in zwei Lager spaltet. Und auch Oda geht ihren eigenen Weg – als Mätresse des Königs, der sie doch für eine neue Braut fallen lässt. Oda selbst ist übrigens ein sehr interessanter Charakter: Aus Liebe mit Raymond verheiratet, hat sie nun nur noch Verachtung und Abscheu für ihn übrig, glaubt selbst an eine Bestrafung, weil sie immer ihre Babys verliert, ist zu ihrer Tochter – ihrem einzigen Kind! – eiskalt, ja empfindet sie sogar als Ballast. Kein Wunder, dass Eila sie die „Eiskönigin“ getauft hat.

Was mir immer wieder an den Romanen von Brigitte Riebe gefällt, ist ihre Liebe zum Detail und den Kleinigkeiten, die entweder ihre Charaktere oder ihre Schauplätze ausmachen, die sie im Übrigen gerne öfter vorher besichtigt. In diesem Fall sind es die Narben im Gesicht der Schmiedfrau Gunna. Als Raymond in die Stadt der Schmiedfamilie kommt, ist das „Antoniusfeuer“ gerade am Abklingen und hat unzählige Tote hinterlassen. Gunna selbst hatte die Krankheit, die durch verderbtes Getreide hervorgerufen wird, als Kind bekommen und überlebt, doch die Narben bleiben ihr. Gunna versuchte, den Menschen den Grund für die Krankheit klarzumachen, blieb jedoch unerhört – wie so oft in der damaligen Zeit, wo die Menschen eher an Gottes Strafe oder Hexenwerk glaubten als an rationale Erklärungen.

Ebenfalls ausführlich recherchiert hat die Autorin das Thema des Bergwerks zur damaligen Zeit. Gut beschrieben wird die Arbeit der „Montani“, der Männer, die direkt im Stollen nach Erzen und Silber schürfen, und ihr Leben am Rammelsberg mit zu viel schwerer Arbeit und zu wenig Tageslicht, mit zu wenig Frauen, um Kämpfe unter den Männern zu verhindern. Ein trostloses, verlassenes Leben entweder in der ewigen Nacht des Berges oder in der Glut der Schmelzöfen. Und mittendrin ein Charakter, der sich durch einen Unfall daraus befreien kann und nicht komplett verrückt wird.

Der Geschichte folgt ein 13-seitiges Nachwort. In diesem erläutert die Autorin kurz die politische Situation der damaligen Zeit. Außerdem gibt sie Informationen zu der jungen Dichterin Roswitha von Gandersheim, der die Figur der Rose nachempfunden ist. Mehr Informationen über die Dichterin des Frühmittelalters finden interessierte Leser [hier.]http://de.wikipedia.org/wiki/Roswitha__von__Gandersheim Und schlussendlich darf der Leser erfahren, was Wahrheit und was Fiktion in „Liebe ist ein Kleid aus Feuer“ ist.

_Fazit_

Eine gute Story und sehr schöne Charaktere mit Hauptaugenmerk auf deren Beziehungen lassen „Liebe ist ein Kleid aus Feuer“ zur kurzweiligen, spannenden Lektüre werden. Riebe hat an ihren letzten historischen Roman [„Die Hüterin der Quelle“ 2190 problemlos anknüpfen können und bietet mit diesem Buch wieder einen empfehlenswerten Ausflug ins Mittelalter.

Homepage der Autorin: http://www.brigitteriebe.com/

http://www.randomhouse.de/diana/

Loren D. Estleman – Der Büffeljäger

Ein alternder Jäger, ein junger Abenteurer und ein heimatloser Indianer folgen der Spur des vielleicht letzten freilebenden Büffels durch Nordamerika, doch bald werden sie selbst von Killern, diversen Gesetzeshütern und einem tollwütigen Hund gehetzt ¼ – Abgesang auf den „alten Westen“, der sich selbst überlebt bzw. ausgelöscht hat, präsentiert als allegorische Suche nach dem heiligen Gral, der hier als Bison-Bulle daherkommt: lakonisch, spannend, nie gefühlsduselig und hoch über tumben „Zieh, Cowboy“-Klischees schwebend. Loren D. Estleman – Der Büffeljäger weiterlesen

Pears, Iain – Urteil am Kreuzweg, Das

England, 1663, zur Zeit der Restauration. Oliver Cromwell ist tot, Charles II., Sohn des von Cromwell geköpften Charles I., ist an der Macht. Der Friede ist nur oberflächlich, noch immer herrscht großes Misstrauen zwischen Puritanern und Royalisten, zwischen Katholiken und Anglikanern. Marco da Cola ist ein junger Gentleman und Kaufmannssohn aus Venedig, der Arzt werden will und zunächst in den Niederlanden und anschließend in Oxford studiert. Ein Empfehlungsschreiben bringt ihn zum bekannten Progfessor Boyle, und der junge Mediziner Richard Lower wird bald zu da Colas engstem Vertrauten in England. Sein erster Patient ist eine alte Frau von ärmlicher Herkunft, die sich ein Bein gebrochen hat. Ihre Tochter Sarah wird wenig später als Mörderin verhaftet. Sie soll den Arzt Dr. Grove, Mitglied des ehrenwerten New College, vergiftet haben und wird dafür gehenkt. Obwohl da Cola das Mädchen für seinen Mut und Eigensinn zeitweilig bewunderte, schließt er seinen Reisebericht mit der Überzeugung, dass sie den Mord tatsächlich begangen hat.

Doch es gibt auch gegenteilige Ansichten. Jack Prescott, der mit de Cola Bekanntschaft schloss, sieht die Dinge ganz anders. Sein verschwundener Vater gilt als Verschwörer, der die Royalisten an Cromwell verraten haben soll. Prescott glaubt an seine Unschuld und die Suche nach der Wahrheit brachte ihn sogar zeitweilig ins Gefängnis, aus dem er mit einer List entfliehen konnte. Er findet Marco de Cola zwar recht sympathisch, schenkt seinem Bericht aber keinen Glauben und legt stattdessen seine Sicht der Ereignisse um den Mord an Dr. Grove und die Hinrichtung von Sarah Blundy schriftlich dar.

John Wallis liefert den dritten Bericht ab, der wieder eine andere Sicht offenbart. Wallis ist ein großer Mathematiker, Professor an Oxford und Spezialist für Geheimschriften. Früher arbeitete er als Kryptograph für Oliver Cromwell, heute steht er im Dienst des Königs. Mit großer Verachtung für Marco da Cola, den er eines Komplotts beschuldigt, schreibt er über die politischen und gesellschaftlichen Verstrickungen, die in Verschwörung und Verrat münden. Der vierte Bericht stammt vom Archivar Anthony Wood, ein kauziger Junggeselle, der für eine überraschende Wendung sorgt, die den Kreis um die widersprüchlichen Darlegungen schließt …

_Vier Ansichten und ein Todesfall_

Ian Pears entführt den Leser in eine turbulente Epoche. England befindet sich im Um- und Aufbruch, politische Verschwörungen und Ränkeschmiede bestimmen das Bild, Fremde misstrauen einander und der allmähliche Einzug der Aufklärung prallt gegen traditionelle und von Aberglauben beherrschte Denkweisen.

|Vier Erzähler, vier Wahrheiten|

Der besondere Clou dieses Mammutwälzers von über 900 Seiten liegt in der Präsentation vierer Sichtweisen, die den gleiche Vorfall behandeln und doch unterschiedlicher kaum sein könnten, was auch für die Charaktere der Berichterstatter gilt. Den Anfang macht Marco da Cola, der auch gleich den amüsantesten Bericht abliefert. Marco da Cola ist ein Fremder in England, ein Italiener, der mit viel Staunen und Befremden die Gepflogenheiten der Engländer kennen lernt. Mit Schaudern beschreibt er die Essensgewohnheiten des Landes, die ihm ein ums andere Mal Magenschmerzen verursachen, mit Kopfschütteln kommentiert er die Angewohnheiten und Bräuche seiner Gastgeber, verfolgt fassungslos ein Theaterstück, das jeder seiner Vorstellungen von Kultur widerspricht, und wird nicht müde, die Gepflogenheiten Englands mit denen seiner Heimat zu vergleichen. Der distanzierte Leser schmunzelt öfters über diese Ansichten und die Missverständnisse, die sich aus den verschiedenen Mentalitäten ergeben; nicht zuletzt auch über Nebencharaktere wie John Lower, der ständig eifrig bemüht ist, an Leichen für seine medizinischen Untersuchungen zu gelangen und dabei wenig feinfühlig vorgeht. Da Cola versteht es trotz seiner Fremdheit, sich in seinem Umfeld Sympathien zu verschaffen und sich einigermaßen zu etablieren. Dem Leser erscheint er in seinem Bericht als humorvoller und durchaus glaubwürdiger Erzähler, wenn man auch manchmal ein wenig spöttisch über seine gezierte Art lächeln muss. Gut nachvollziehbar ist sein zwiespältiges Verhältnis zu Sarah Blundy, die ihn einerseits beleidigt und die andererseits nicht nur da Cola durch ihren Stolz, ihre Intelligenz und ihre Willenskraft beeindruckt.

Der zunächst plausible Bericht da Colas wird erheblich geschwächt durch die folgenden Sichtweisen. Sowohl Prescott als auch John Wallis und Anthony Wood bezweifeln einige seiner Aussagen und stellen die Ereignisse jeder in ein anderes Licht. Prescott bezichtigt Sarah Blundy der Hexerei und lässt seinen fast wahnhaften Vorstellungen, die von der verzweifelten Suche nach der Wahrheit über seinen Vater verstärkt werden, freien Lauf. Der geniale wie hinterhältige John Wallis macht keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber da Cola und hebt die Geschichte in den Stand eines großangelegten Komplotts, das sich um höchste politische Kreise dreht. Als Leser rätselt man hin und her, welchem der Erzähler man am besten Glauben schenken soll, denn jeder von ihnen bringt Argumente vor, doch scheinen all die Berichte nicht in Einklang zu bringen zu sein. Erst durch die abschließende Darlegung von Anthony Wood, den zurückhaltenden Archivar, gelangt Licht in die Angelegenheit – und den Leser erwartet nicht nur Klärung, sondern auch eine große Überraschung. Auch für erfahrene Leser von Krimis und ähnlich knifflig angelegten Werken, die zum Mitdenken auffordern, werden die finalen Enthüllungen sicherlich Verblüffung in mehrfacher Hinsicht mit sich bringen, wenn sich gewisse Dinge als völlig anders als zunächst dargestellt präsentieren, und letztlich auch Erleichterung, dass sich der Kreis endlich schließt.

|Bunter Detailreichtum|

Über den Plot hinaus präsentiert sich dem Leser ein ungemein detailgenaues Sittengemälde der Restaurationszeit mit all seinen positiven wie negativen Facetten. Die angespannte politische Lage, die Vorgeschichte um Cromwell und die Folgen seiner Regierung werden ebenso aufgezeigt wie das Leben der verschiedenen Stände, von den adligen Kreisen bis hin zu den Ärmsten der Armen, zu denen die Blundys zählen. Der epische Umfang des Buches ergibt sich nicht nur aus den präzisen Darstellungen der zentralen Ereignisse, sondern auch aus den Schilderungen des alltäglichen Lebens, inklusive Exkurse in die Bereiche der Philosophie oder der Medizin. Vor allem beim geschwätzigen Marco da Cola erfährt der Leser über etliche Seiten hinweg genaue Informationen zum Stand der damaligen Wissenschaft. Mal mit Abscheu und mal mit Faszination verfolgt man die teils abergläubischen und teils gewagt fortschrittlichen Ansichten und Experimente. Einerseits glauben selbst gelehrte Bürger noch an Tierexkremete als Salbenersatz, andererseits wagen Marco da Cola und sein Freund und Kollege John Lower ohne Kenntnisse über Blutgruppen in einer Zeit, in der der Aderlass noch populär war, Experimente mit Bluttransfusionen. Zartbesaitete Leser müssen sich darauf gefasst machen, dass hier nicht mit sinnlichen Eindrücken gegeizt wird, etwa bei medizinischen Behandlungen oder auch bei Details zum Sezieren von Leichen. An anderer Stelle wird man wiederum zu einem passiven Teilnehmer an spitzfindigen, seitenlangen Diskussionen über philosophische, religiöse und medizinische Aspekte, die das Denken der damaligen Zeit auf den Punkt bringen. Ein besonderes Schmankerl bilden die zahlreichen historischen Personen, die in die Handlung eingeflochten werden. Im Anhang nimmt der Autor sich die Zeit, zu den wichtigsten Figuren ein paar Sätze zu schreiben, die dem Leser sagen, ob sie fiktiv oder historisch sind. Neben den einst realen Ich-Erzählern John Wallis und Anthony Wood begegnen wir unter anderem dem Theologen Thomas Ken, dem „Vater der Chemie“ Robert Boyle und dem Philosophen John Locke. Sarah Blundy und Jack Prescott dagegen sind zwar fiktive Gestalten, besitzen jedoch historische Vorbilder, an deren Schicksal sich ihre Charaktere anlehnen.

|Langatmige Stellen|

Allerdings sind ein langer Atem und viel Geduld die Voraussetzungen, damit man dieses Epos nicht vorzeitig zur Seite legt. So interessant und vielfältig die Geschehnisse auch sind, der übermäßige Detailreichtum übertreibt es mitunter. Die Sprache der Erzähler ist gestelzt, es werden altmodische und ausschweifende Formulierungen verwendet. Viele der Nebenschauplätze sind unangemessen ausführlich gestaltet, doch ein Überfliegen wäre riskant, da man sonst Gefahr läuft, wesentliche Aspekte zu überlesen. Schwierig mag es auch sein, ganz ohne Vorkenntnisse der Epoche an den Roman heranzutreten. Die Anhangsinformationen über die zentralen politischen Gestalten reichen beileibe nicht aus, um sich klar zu werden über die Situation in England und Europa. Grundlegende Hintergründe zu Stichworten wie Oliver Cromwell, englischer Bürgerkrieg, die Konfrontationen zwischen König und Unterhaus sowie zwischen Katholiken, Presbyterianern, Puritanern und Anglikanern sollten bekannt sein, da das Lesevergnügen sonst getrübt wird. Mit jedem weiteren Erzähler ist es zudem schwierig, den Überblick zu behalten über Lüge und Wahrheit. „Das Urteil am Kreuzweg“ ist definitiv kein Buch, das man nebenbei im Urlaub lesen kann, sondern es gehört zu den Werken, die den Leser fordern und die die eine oder andere kleine Durststrecke mit sich bringen.

_Als Fazit_ bleibt ein sehr vielschichtiger Historienkrimi aus dem 17. Jahrhundert, der durch detailgenaue Anschaulichkeit und gekonnte Verstrickungen bis zum überraschenden Schluss besticht. Vier verschiedene Erzählperspektiven garantieren Abwechslungen, fordern aber auch Geduld vom Leser ab, ebenso wie der ausgeschmückte Stil und die zahlreichen Abschweifungen. Sehr gekonnt werden viele historische Persönlichkeiten in die Handlung eingebunden. Trotz eines kleinen Anhangs mit Erläuterungen sind Vorkenntnisse zur Epoche jedoch fast unabdinglich für das Lesevergnügen.

_Der Autor_ Iain Pears, Jahrgang 1955, studierte in Oxford und arbeitete anschließend als Journalist, Kunsthistoriker und Schriftsteller. Sein Spezialgebiet sind historische Kriminalromane. Weitere Werke sind unter anderem „Scipios Traum“ und „Die makellose Täuschung“.

http://www.heyne.de

|Originaltitel: An instance of the fingerpost
Originalverlag: Diana HC
Aus dem Englischen von Edith Walter, Friedrich Mader
Taschenbuch, 928 Seiten, 12,0 x 18,7 cm|

Meyer, Kai – Buch von Eden, Das

Aelvin ist ein junger Novize und für seinen Stand ziemlich unternehmungslustig. Das sollte allerdings nicht heißen, dass er sich eine Reise in den Orient gewünscht hätte. Doch genau in eine solche Reise schlittert er hinein, als eines Tages ein Mann und ein Mädchen in seinem Kloster auftauchen. Der Mann ist der berühmte Albertus Magnus, das Mädchen eine junge Novizin namens Favola. Sie haben eine geheimnisvolle Pflanze bei sich, die Lumina. Sie soll aus dem Garten Eden stammen und die letzte ihrer Art sein. Albertus ist davon überzeugt: Sollte es gelingen, die Lumina an ihrem ursprünglichen Heimatort wieder einzupflanzen, würde das Paradies wieder neu erstehen und die Welt zu einem besseren Ort machen. Leider ist es so, dass der machtgierige Erzbischof von Köln das neu erstandene Paradies lieber in seinem Küchengarten hätte! Und schon wird aus der Reise in den Orient eine halsbrecherischen Flucht …

Sinaida ist eine Prinzessin. Ihre Schwester Doquz ist die Frau Hulagu Khans, des Bruders des Mongolenherrschers. Mit einem Heer von dreihunderttausend Mann belagern die Mongolen Alamut, die Burg der Nizari. Gegen diese Übermacht haben die Nizari, trotz ihrer ungewöhnlichen Fähigkeiten im Töten, keine Chance. Das wissen die Mongolen und auch die Nizari. Um sein Volk zu retten, bietet der Alte vom Berge dem Khan der Mongolen an, sich zu unterwerfen und die Mongolen die Kampftechniken der Nizari zu lehren. Eine politische Heirat zwischen dem Herrn der Assassinen und Sinaida soll den Pakt besiegeln.

Auf ihrem langen Weg von den mongolischen Steppen bis in die Elburzberge hat Sinaida genug Tod und Blutvergießen gesehen, und eine politische Heirat steht ihr ohnehin bevor. Also stimmt Sinaida zu, den Alten vom Berge zu heiraten. Zu ihrer eigenen Überraschung verlieben sich die beiden sogar in einander, und alles wäre in bester Ordnung. Gäbe es nicht Neid und Ehrgeiz und Verrat …

|Charakter-Reigen|

Es ist klar, dass es zwischen diesen beiden Handlungssträngen irgendwann einen Berührungspunkt geben muss. Doch Kai Meyer lässt sich Zeit damit. Erst im letzten Viertel des Buches treffen die Personen aus beiden Teilen aufeinander.

Die Gruppe, die aus den Eifelbergen Richtung Osten flieht, ist ziemlich seltsam zusammengesetzt:
ein alter Mönch, ein blinder Ritter, eine Taube, eine Wildkatze und ein Held, der davon nichts weiß. In Bagdad kommt noch eine Rachegöttin dazu.
Die Zusammensetzung als solche zieht ihre Absonderlichkeit hauptsächlich aus der Tatsache, dass ausgerechnet der Ritter blind ist, und ausgerechnet der Mönch der Anführer. Wobei man es vielleicht auch schon als Besonderheit ansehen kann, dass Albertus Magnus keinem der beiden sonst gern bemühten Klischees des mittelalterlichen Mönchs entspricht: er ist weder der fanatische Eiferer noch der väterliche Weise.

Abgesehen davon bleiben an Außergewöhnlichem hauptsächlich die Gaben der beiden Mädchen. Libuse kann das Erdlicht beschwören, eine magisches Licht aus Kraft und Wärme, das der Erde und den Bäume innewohnt. Favola hat – außer einer ungewöhnlichen Bindung zur Lumina – einen besonderen Sinn, der ihr bei Berührung anderer deren Tod zeigt. Zumindest glaubt sie das, aber davon später mehr. Im Übrigen zeichnen sich die Protagonisten eher durch Charakterschemata aus, die man bereits kennt und die durch die oben verwendete Typisierung bereits ausreichend beschrieben sind.

Weniger exotisch fallen die Gegner der Protagonisten aus:

Der eine ist ein Mann auf der Suche nach dem Garten Allahs. Außer dieser Suche scheint es in seinem Leben keine Leidenschaften zu geben. Aber für diese eine Sache ist er bereit, alles zu tun. Wobei man sagen muss, dass er sogar mehr tat als nötig. Zum Beispiel war es für die Erreichung seines Ziels völlig überflüssig, die Bibliothek in Bagdad zu zerstören. Von einem Mann, der gegen alles andere als seine große Leidenschaft so gleichgültig war wie dieser, hätte ich so viel Beachtung einer belanglosen Sache gar nicht erwartet.

Der nächste ist Gabriel, ein typischer Söldner. Sein einziger Ehrgeiz ist es offenbar, die Aufträge seines Herrn auszuführen und sich dessen Wohlwollen zu erhalten. Um sein Ziel zu erreichen, setzt er vor allem brutale Gewalt ein, um sich die Menschen gefügig zu machen. Und so ist es kein Wunder, dass er ausgerechnet denjenigen Mann am meisten fürchtet, dem er nicht mit Gewalt kommen kann: Oberon, den Nigromanten des Erzbischofs. Auch hierzu später mehr.

Außerdem gibt es am Rande noch einen Dritten. Aus Corax‘ Erzählung ist vor allem zu entnehmen, dass er einer von den Machtgierigen ist, zu hinterhältigen Methoden wie Erpressung und Bestechung neigend, und außerdem ein Lüstling. Sein Zusammentreffen mit Sinaida macht darüber hinaus eine ausgeprägte Eitelkeit deutlich, die sich in diesem Fall nicht auf Äußerlichkeiten bezieht, sondern auf Stellung und Ruf. Sinaidas Eindringen in den Palast bedeutet für ihn eine Blamage, deshalb lässt er die junge Frau im Haarem verschwinden und verschweigt ihre Warnung. Das hätte ihn selbst dann den Kopf gekostet, wenn er nicht so dumm gewesen wäre zu übersehen, dass seine größte Rivalin um die Macht, die Mutter des Kalifen, die Herrin über den Haarem ist! Denn die Mongolen hätten ihn in jedem Fall einen Kopf kürzer gemacht!

Diese Personenkonstellation zeigt schon ziemlich deutlich, dass hier keine allzu große Vielschichtigkeit gegeben ist. Von Anfang an ist klar, wer die Guten und die Bösen sind, und dabei bleibt es auch.

|Handlungsebenen|

Am meisten Bewegung bietet naturgemäß der Handlungsstrang um die Lumina, allein durch die Tatsache bedingt, dass Favola und ihre Gefährten unterwegs nach Osten sind. Die stetige Verfolgung durch die Schergen des Erzbischofs sowie die Bedrohung durch Räuberbanden sorgen dafür, dass die Reise turbulent bleibt. Die Erzählsicht wechselt unauffällig immer wieder mal, hauptsächlich zwischen Libuse und Aelwin, gelegentlich auch zu Favola. So werden die Gefühle aller Beteiligten sichtbar und plausibel, und die Entwicklung der Beziehungen zwischen den einzelnen Personen innerhalb der Gruppe bleibt objektiv.

Im zweiten Handlungsstrang um Sinaida geht es ruhiger zu, was auch daran liegt, dass der Gegner hier kein Wolf ist, sondern eine Spinne. Allerdings wechselt hier die Erzählsicht nicht. Von den Motiven und Absichten des Verräters erfährt man also nur aus Sinaidas Sicht. Das macht die Verfolgung des Komplotts einerseits ziemlich hautnah, man wird von der Entwicklung ähnlich überrascht wie die Protagonistin. Andererseits hinterlässt diese Vorgehensweise auch Lücken. So fragte ich mich zum Beispiel, wie der Verräter Hulagu davon überzeugen konnte, es seien Attentate auf ihn geplant gewesen, wenn er keinen Attentäter präsentieren konnte. Und wenn er einen präsentieren konnte, wo hat er ihn hergenommen? Wer von den Nizaris war wohl so verrückt, nach der Heirat ihres Herrschers mit der Mongolenprinzessin noch ein Attentat auf den Khan zu versuchen? Vielleicht hat der Autor diese Dinge bewusst im Dunkeln gelassen.

Was der Geschichte einen gewissen Pfiff verleiht, ist der Hauch von Fantasy, der sich gerade in Romanen über das Mittelalter sehr gut unterbringen lässt. Der Glaube der Menschen, der in vielen Dingen eher an Aberglaube grenzt als an Religiosität, bietet dafür die beste Grundlage.
Eine Legende über die Lumina habe ich bei meiner zugegebenermaßen kurzen Suche nicht gefunden. Dennoch bietet sie genau die Art Stoff, um die sich zu jener Zeit Wunder- und Aberglaube gerankt hätten!

Etwas weniger handfest als die Lumina ist die Schlange ausgefallen, die sich in Gabriel eingenistet hatte. Eine kurze Sequenz ziemlich weit hinten, als der Mann schon fast Bagdad erreicht hat, bietet einen ziemlich deutlichen Hinweis darauf, dass da jemand buchstäblich den Teufel im Leib hat, und zwar bereits in Regensburg. Oder ist der Kerl doch einfach nur wahnsinnig geworden? Denn wieso hätte die Schlange nach Gabriels Tod einfach verschwinden sollen? Das passt nicht ganz zu dem, was beim Kampf gegen die serbischen Räuber geschehen ist, wo es heißt, dass die Schlange ihre volle Präsenz nach Oberons Tod voll auf Gabriel übertragen hat. Wieso hat sie das nicht auch in Bagdad versucht? Fehlte ihr dafür ein Nigromant, wie Oberon einer war? Aber für ihren Wechsel von Oberon zu Gabriel hatte sie auch keinen, denn Oberon starb schließlich gerade! – Hier sind die Grenzen fließend und verwischt, und es bleibt dem Leser selbst überlassen, was er davon halten will.

Auch Favolas Todsicht, wie sie es nennt, bietet nichts, was man präzise benennen oder feststellen könnte. Das Problem mit dem Voraussehen der Zukunft und dem Eintritt der Voraussagen allein deshalb, weil sie bekannt waren, ist ein altbekanntes, vor dem auch Favola steht. Eine Antwort entzieht sich dadurch, dass das, was Favola über Aelvins Tod sieht, nicht eindeutig ist. Hat sie selbst sich durch ihre letzte Tat ihren Visionen entzogen, waren sie also doch nicht zwangsläufig? Oder war ihre Sicht von Aelvin einfach keine Todsicht, sondern etwas anderes? Aber warum etwas anderes, wenn es bei allen anderen eindeutig der Tod war, den sie gesehen hat?

Dieses Ausweichen in das Uneindeutige macht die Geschichte interessant. Hier geht es nicht um Fantasy, wo die Magie einen festen Bestandteil der Welt bildet und mehr oder weniger detailliert ausgebaut und plausibel erklärt wird. Hier geht es um Historie, und da wären Beweise und Plausibilität im Hinblick auf Magie eher ein Stilbruch. Insofern hat Kai Meyer genau die richtige Prise an Wundern erwischt, die der Geschichte zuträglich war und sie vor dem Austrocknen bewahrte, ohne sie damit zu überladen, wie [„Baudolino“ 776 damit überladen wurde.

Die sprachliche Gestaltung unterstützt diesen Hauch von Magie sehr gekonnt. Die Wortwahl ist nicht übermäßig poetisch, bringt aber – hauptsächlich in den ruhigeren Passagen – ein deutliches Bild mit viel Stimmung zustande.

|Unterm Strich| muss ich sagen, das Buch hat durchaus seine Momente. Die Spannung konnte sich trotz aller Turbulenzen allerdings nicht immer halten. Da die beiden so unterschiedlichen Handlungsstränge so lange getrennt bleiben, fragt sich der Leser irgendwann, was die beiden überhaupt miteinander zu tun haben. Es zieht sich ziemlich … Die Charaktere bleiben zwar menschlich – so hat Libuse trotz allen Zorns und aller Rachegelüste immer noch eine Heidenangst vor Gabriel, selbst als er gefesselt ist -, durch die starke Polarisation Gut-Böse verlieren sie jedoch an Tiefe und Echtheit. Und auch das Ende empfand ich als seltsam und etwas enttäuschend. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Albertus wäre enttäuscht! Denn obwohl ihm Libuse und Aelvin berichteten, die Lumina sei gepflanzt und habe Blüten getrieben, ist das Paradies bis heute nicht wiedererstanden. Zumindest ist die Welt nicht besser geworden, wie Albertus es gehofft hat. Vielleicht wäre es im Hinblick darauf doch passender gewesen, die Lumina wäre nicht neu erblüht.

|Kai Meyer| hat mit vierundzwanzig Jahren seinen ersten Roman geschrieben. Seither hat er sowohl im Jugendbuchbereich als auch für Erwachsene zahlreiche Bücher veröffentlicht, unter anderem „Die fließende Königin“, die Wellenläufer-Trilogie und die Merle-Trilogie. Für [„Frostfeuer“ 2111 erhielt er den internationalen Buchpreis Corine. Sein neuestes Buch „Seide und Schwert“ ist der Auftakt zu einer neuen Trilogie, deren zweiter Band unter dem Titel „Lanze und Licht“ im Januar nächsten Jahres erscheinen soll. Zur Entstehung des „Buches von Eden“ hat der Autor eine Art Tagebuch geführt, das er auf seiner Homepage veröffentlicht hat.

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|Siehe ergänzend dazu auch unsere [Rezension 890 zur Hörbuchfassung.|

Wilder Perkins – Das verschollene Schiff

Perkins Verschollenes Schiff Cover kleinDas geschieht:

Für einen geborenen Seemann wie Leutnant Bartholomew Hoare ist es in diesem Jahr 1805 besonders bitter, ans Land gefesselt zu sein. England liegt wieder einmal mit Frankreich im Krieg, der hauptsächlich auf dem Wasser ausgetragen wird. Da würde Hoare gern mitmischen, aber schon 1794 traf ihn im Gefecht eine feindliche Musketenkugel am Kehlkopf. Seitdem kann er nur noch flüstern, was seiner Karriere abträglich war, denn Lautstärke zählt seit jeher zu den unabdingbaren Voraussetzungen für eine Offizierslaufbahn in der englischen Marine.

Wegen seiner Verdienste wurde Hoare nicht entlassen, sondern dem Stab des Admirals Sir George Hardcastle zugeteilt. Dieser befiehlt über den wichtigen Seehafen Portsmouth. Hoare machte er zum „Sonderbevollmächtigten“ ohne besonderes Ressort, d. h. zum Mädchen für alles. Allerdings ermittelt Hoare auch in Kriminalfällen, die sich im Hafenbereich ereignen. Gerade untersucht er das mysteriöse Verschwinden des Linienschiffes „Scipio“, das offenbar einem Bombenattentat auf See zum Opfer fiel, als ihn ein Kamerad um Hilfe bittet. Wilder Perkins – Das verschollene Schiff weiterlesen

Dübell, Richard – Jahrtausendkaiser, Der

Köln im Jahre 1245 n. Chr.: Der Besuch des Kardinals Giovanni da Uzzano aus Florenz bringt Unruhe auf das Gut Raimunds von Siebeneich. Der Kirchenmann bittet seinen alten Kreuzzuggefährten um Hilfe bei einem etwas heiklen Unternehmen. Raimunds Truchsess (führender Hofangestellter) und Kämmerer Philipp wird mit der Aufgabe betreut, Urkunden für einen Mann zu fälschen, der um seine Anteile an einem Erzvorkommen betrogen wurde, während er im Heiligen Land kämpfte. Als er zurückkehrte, brachte er es angeblich aus Liebe zu seiner Frau nicht über sich, ihre Familie zur Rede zu stellen. Aber nun, nach ihrem Tod, will er das Erbe für seine Tochter zurückgewinnen, allerdings sind seine Ansprüche bereits verjährt.

Philipp – von Anfang an misstrauisch dieser Geschichte des Kardinals gegenüber – macht sich auf den Weg zum Haus des Radolf Vacillarius, immer mit dem Bewusstsein, dass sein Herr die verstorbene Frau, Katharina, einstmals geliebt hatte und nun wünscht, dass der Tochter Dionisia ihr Erbe zurückgegeben wird. Als ehemaliger Novize und Kopist in einem Zisterzienserkloster sollte ihm die Aufgabe nicht allzu viele Schwierigkeiten bereiten. Wenn aber doch etwas schiefgehen sollte, so hatte der Kardinal unmissverständlich klar gemacht, dass mit seiner Hilfe nicht zu rechnen sei, sondern alles auf Phillip und dessen Herrn zurückfiele.

Währenddessen hält das Land eine Diskussion in Atem: Ist der Kaiser oder der Papst der mächtigste Anführer des Volkes? Die Kaiserlichen argumentieren mit der überlieferten Selbstkrönung des Kaisers Karolus Magnus (Karl der Große) und dessen Heiligsprechung, während die Päpstlichen darauf hinweisen, dass nur der Papst einen Kaiser krönen und heiligsprechen kann, da er der von Gott berufene Auserwählte ist. Außerdem sei Karolus Magnus von einem vom Kaiser bestimmten Gegenpapst heiliggesprochen worden und damit diese Heiligsprechung hinfällig. Als auf dem Marktplatz die Rede eines Propheten zur handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien führt, wird deutlich, dass sich die Lage zuspitzt. Die Aggressionsbereitschaft des Volkes wächst und hinterlässt eine desorientierte Hilflosigkeit, die die Tür für Betrug, Überfälle und Mord öffnet. Die einfachen Priester sehen sich über dem Recht des Landesherrn, fällen eigene Gottesurteile. Die Kaiseranhänger verhöhnen die Christlichen, provozieren durch Gotteslästerei und missachten die Gebote der Kirche.

Philipp, der auf seinem Weg zu seiner unangenehmen Aufgabe in Köln den jungen Sänger Minstrel kennen lernt, schenkt diesen Vorgängen wenig Beachtung und auch Minstrels mysteriöses, vom Alkohol entstelltes Gebrabbel vom Untergang der Welt und dem Jahrtausendkaiser, der das Volk in eine neue Ära führen soll, schockt ihn nur kurzfristig. Viel aufgebrachter ist er wegen der Verwüstung seiner Unterkunft durch den Sänger, nachdem er ihm eine Schlafstätte und Geld gegeben hatte, um ihm zu helfen. Was hatte der Sänger bei ihm gesucht? Welche wichtige Persönlichkeit wollte er in Köln treffen und warum?

Bei Vacillarius angekommen, erfährt Philipp, dass der Herr keine Originaldokumente über die Mitgift seiner Frau mehr vorlegen kann. Angeblich sind alle verbrannt. Der Mann lebt mit seiner Tochter alleine in dem heruntergekommenen Haus, nur der Pferdeknecht kommt ab und an mal, um die Tiere zu versorgen. Als Philipp versucht, durch diesen Knecht nähere Informationen über die Familie zu bekommen, stellt sich schnell heraus, dass das gesamte Dorf davon überzeugt ist, der Herr wäre verhext und zwar von seiner verstorbenen Frau. Was Philipp allerdings feststellen kann, ist, dass Radolf ein alkoholabhängiger, verwirrter Mann ist, der den Sinn seines Lebens in seiner Tochter sieht. Diese ist auch in Philipps Augen ein begehrenswerter Grund, um die Fälschung durchzuführen. Doch ohne die Originaldokumente kann er seine Aufgabe nicht durchführen und so begibt er sich auf die verhängnisvolle Suche nach den Heiratspapieren der Familie und gerät dadurch immer mehr in den Sumpf, den die Kirche rund um ihren Machtanspruch angelegt hat.

Als auch noch Minstrels Frau Aude auftaucht, um nach ihrem Mann zu suchen, ahnt Philipp, dass sich ein großes Komplott um Radolf Vacillarius und sogar den Kardinal gesponnen hat. Welchen Umfang dieses Komplott allerdings wirklich hat, erschließt sich Philipp erst, als die ersten Toten seinen Weg kreuzen und er erkennen muss, dass er verraten und verkauft wurde …

_Meine Meinung_

Diese Inhaltsangabe gibt höchstens ein Zehntel davon wieder, was sich alles auf diesen knapp 600 Seiten ereignet: die Suche der Originaldokumente in Philipps ehemaligem Kloster und bei den jüdischen Geldverleihern, die Verhaftung dieser Juden und die Verbrennung ihrer aufbewahrten Unterlagen (die Bewahrer der Vergangenheit), das Auftauchen des Ritters Ernst Guett’heure, dem das Herz von Dionisia gehört und der erfundene Geschichten vom Kreuzzug erzählt, den er angeblich mit Radolf zusammen erlebt hatte. Die sinnlose Ermordung des Hofkaplans Thomas, der Überfall auf eine Bauernfamilie, deren Oberhaupt Lambert Philipp von einem Händler gekauft hatte und der sein Geheimnis eben jenem Kaplan anvertraut hatte. Philipps erwachende Liebe zu Aude, die verzweifelt herauszufinden versucht, was ihr Mann wem erzählen wollte und wo er geblieben ist. Und nicht zuletzt Philipps eigenes Geheimnis, das sich in seiner Jugend im Kloster abspielte und mit dem er nie fertig wurde.

„Der Jahrtausendkaiser“ ist ein groß angelegter, extrem spannender Roman um das ewige Streiten der beiden größten Mächte im Reich: Papst und Kaiser. Wer hat mehr Anspruch auf die Führung des Volkes? Wer hat mehr Macht über die einfachen Leute? Der Papst belegt den Kaiser mit einem Bann, der Kaiser belegt seine Macht mit Karolus Magnus. Das Volk ist hin- und hergerissen und fragt sich ängstlich, ob die Propheten mit ihrer Weissagung Recht haben: Der Drachen wird kommen und jene, die dem rechten Pfad nicht folgen, vernichten. Doch was ist der rechte Pfad? Woran erkennt man den Jahrtausendkaiser, der die Welt in ein tausendjähriges Reich führen wird? Ist es der jetzige Kaiser? Oder der kommende? Hat der Papst vielleicht als Einziger die Macht dazu, den bestimmten Kaiser zu erkennen? So schaukelt sich die Unwissenheit und Ungewissheit so weit hoch, dass sich die Lager an die Gurgel gehen, um ihre Ansichten mit Gewalt durchzusetzen. Das Land versinkt im Chaos und weder der Papst noch der Kaiser scheinen irgendetwas dagegen zu unternehmen.

Mit dieser Kulisse als Hintergrund steht der junge Philipp mit seinem Problem, der Urkundenfälschung, recht alleine da. Er ist ein großartiger Charakter mit seiner Aufrichtigkeit, seinem häufig ausbrechenden Sarkasmus und seiner einerseits total naiven und andererseits immens abgeklärten Lebensauffassung. Sein Aufwachsen in dem Kloster hat ihm seinen Wunsch auf Gemeinschaft gezeigt, aber nie erfüllt. Als Einzelkämpfer fühlt er sich ebenfalls auf dem Hof seines Herrn, der ihn aus dem unglücklichen Klosterdasein befreit hat. Philipps Charakter hat eine sehr besondere Eigenschaft: Er ist fähig zu reifen. Am Anfang des Buches erscheint er als ein Junge, der zwar Verantwortung besitzt, aber nie lernen musste, um die Gunst anderer zu kämpfen. Er verbarg sich hinter Späßen und ironischen Bemerkungen, um sein Selbst nicht zeigen zu müssen. Im Laufe seiner mehr und mehr grauenvollen Suche verwandelt er seinen Zynismus in Standfestigkeit, er erkennt die wichtigen Elemente seines Lebens, er gewinnt an Stärke und Zutrauen. Er wird zum Mann mit allen Stärken und Schwächen eines Mannes. Dübells Talent, seine Charaktere zu echten Sympathieträgern zu machen, erstrahlt durch Philipp (genauso wie bei Peter Bernward aus [„Der Tuchhändler“) 2750 wieder einmal in seiner ganzen Pracht.

Richard Dübell hat den richtigen Ton getroffen. Auch „Der Jahrtausendkaiser“ fesselte mich bis zur letzten Seite. Die einzelnen Handlungsstränge enden erwartungsgemäß im gleichen Strick, doch schenkt uns der Autor eine überraschende Auflösung aller kleinen und großen Rätsel, die am Ende zu einem befriedigenden Finale zusammenprallen. Großes Kino! Aber genau das wäre es: Ich wünschte, dieses Buch würde verfilmt werden – Stoff und Spannung sind ausreichend vorhanden, um einen Kultstreifen à la „Der Name der Rose“ hervorzuzaubern. Aber egal, das Buch ist glasklar empfehlenswert. Es ist Unterhaltung pur und mitreißend bis zum Ende!

Homepage des Autors: http://www.duebell.de
http://www.luebbe.de

Wickenhäuser, Ruben (Hg.) / Müller, Titus (Hg.) / Gablé, R. / Wassermann, S. / Hyde, M. / Dieckmann, – zwölfte Tag, Der

Der Roman „Der zwölfte Tag“ basiert auf den historischen Begebenheiten, die sich in der Zeit vom 1. bis 12. August 1100 in England ereigneten. Die Erzählung wurde von zwölf Autoren gemeinsam verfasst, von denen jeder die Geschehnisse eines Tages in Form von zwei Kapitel beschrieb. Doch treffen in diesem Buch nicht nur die zwölf unterschiedlicher Erzählstile der einzelnen Autoren aufeinander, sondern auch eine Vielzahl an Persönlichkeiten, deren Charaktere sich weitaus häufiger widersprechen, als sie einander ergänzen.

Im ersten Kapitel begegnet dem Leser der weltfremde Mönch Oswin, der sich selbst zum Propheten erklärt und aufgrund einer Vision zum Hofe des Königs begibt, um diesen vor seinem bevorstehenden Tod zu warnen. Als nächstes trifft der Leser auf den Adeligen Walter Tirel of Poix, der gemeinsam mit dem König auf Hirschjagd geht. Als der König während der Jagd von einem Pfeil getroffen wird, verdächtigt man Walter des Königsmordes. Auf seiner Flucht begegnet Walter Achae, die mit einer Gruppe angelsächsischer Gesetzloser im Wald lebt. Und während am Hofe des Königs die Intrigen um die Thronfolge und die Neuverteilung der Machtpositionen ihren Gang nehmen, versuchen Walter, Achae und Oswin auf ganz unterschiedlichen Wegen, den wahren Mörder des Königs zu finden.

Liebe, Lügen, Verrat, Mord, Eifersucht, Täuschung, Machthunger … alles in allem ein Stoff, der viele Möglichkeiten bietet und viele Motive vereint. Leider schaffen es die zwölf Autoren nicht, all diese Möglichkeiten auszunutzen. Die einzelnen Motive werden nicht zu einem stimmigen Ganzen verarbeitet, sondern stehen scheinbar zusammenhanglos zwischen den Ereignissen. Jede der Figuren geht einen eigenen, ausschließlich egoistisch motivierten Weg, auch wenn einige von ihnen dasselbe Ziel verfolgen. Der Handlungsverlauf wirkt holprig und ist gespickt mit unglaublichen Zufällen, wie z. B. Toten, die mehrmals wieder auferstehen, neugierigen Lauschern, die sich ganz zufällig immer im rechten Moment am rechten Ort aufhalten und dadurch den Verlauf der Handlung plötzlich um 180 Grad drehen, und fragwürdigen „göttlichen“ Offenbarungen.

Während die Handlung zu Beginn der Geschichte eher träge verläuft und durchaus vorhersehbar ist, steigert sich die Spannung im zweiten Teil des Buches merklich und es entsteht eine größere Handlungsdichte. Der ständige Wechsel zwischen den einzelnen Erzählperspektiven wirkt jedoch zunehmend verwirrender, da immer mehr Personen auftauchen, die allesamt aus der Ich-Perspektive erzählen.

Sprachlich bietet sich dem Leser hingegen ein ganz anderes Bild. Obwohl das Buch von zwölf Autoren geschrieben wurde und somit zwölf unterschiedliche Erzählstile enthalten sollte, wirkt die Erzählung recht harmonisch. Eine Zuordnung der Kapitel zu den einzelnen Autoren lässt sich ohne die Übersicht im Anhang kaum bewerkstelligen, dafür erkennt man deutliche Qualitätsunterschiede im Vergleich zu anderen Einzelwerken der Autoren. Dies bezieht sich sowohl auf die sprachliche Qualität als auch auf die inhaltliche Gestaltung der Geschichte. Ein jeder dieser Autoren hätte aus dem Stoff vermutlich einen wesentlich unterhaltsameren Roman fertigen können.

Da „Der zwölfte Tag“ sowohl sprachlich als auch im Bezug auf das geschichtliche Vorwissen wenig anspruchsvoll ist, erscheint das Buch für Jugendliche ab 12 Jahren bestens geeignet. Erwachsenen würde ich jedoch empfehlen, bei der Suche nach historischen Romanen auf die Einzelwerke der jeweiligen Autoren zurückzugreifen.

http://www.aufbauverlag.de

Barrett, Andrea – Jenseits des Nordmeers

An einem Maitag des Jahres 1855 verlässt der ehemalige Walfänger „Narwhal“ den Hafen der Südstaaten-Metropole Virginia. Mit hehren Zielen ist man gen Arktis in See gestochen, will der seit acht Jahren verschollenen Expedition des Entdecker-Helden Sir John Franklin auf die Spur kommen, die polarnahe Natur erforschen und womöglich die lange gesuchte Nordwestpassage finden, die es angeblich ermöglicht, den nordamerikanischen Kontinent per Schiff im Norden zu umrunden. Ja, Zecheriah Vorhees, der charismatische, erst 26-jährige Kommandant der „Narwhal“, versteht es außerordentlich, für sich und seine Sache die Werbetrommel zu rühren!

Aus ganz anderem Holz geschnitzt ist sein väterlicher Freund und zukünftiger Schwager Erasmus Darwin Wells. Mit seinen 40 Jahren sieht er sich selbst als im Leben Gescheiterter. Einst schien die Welt dem begabten und belesenen Naturforscher offen zu stehen. Doch er wurde um die Forschungsergebnisse jener Weltreise geprellt, die ihm den Weg in eine wissenschaftliche Karriere ebnen sollte. Von diesem Schlag hat sich Wells nie erholt. Als kurze Zeit darauf auch noch seine Braut starb, versank Erasmus in Lethargie, ließ sich treiben und hat sich in einen verbitterten Eigenbrötler voller Ängste und Frustrationen verwandelt. Vorhees’ Einladung, an Bord der „Narwhal“ auf eine neue Reise zu gehen, sieht er als letzte Gelegenheit, seinem Leben wieder einen Sinn zu geben.

Doch die Expedition steht unter keinem guten Stern. Vorhees zeigt sich seinem Amt nur bedingt gewachsen. Die für die Wissenschaft so wichtige Dokumentation langweilt ihn. Er will Entdeckungen machen, um berühmt zu werden! Seinen Visionen haben sich Besatzung und Passagiere gefälligst unterzuordnen. Während Letztere ihrem Kommandanten lange hilflos gegenüberstehen, wächst unter Ersterer der Widerstand, so dass die „Narwhal“ schließlich nicht nur hart am Rande des bedrohlichen Packeises, sondern auch einer Meuterei steht, während sie vom zusehends größenwahnsinnigen Vorhees immer weiter in den Norden getrieben wird, bereit, den Weg seines Vorbildes Franklin bis zum bitteren Ende zu gehen.

Die Fahrt der „Narwhal“ endet in einer Katastrophe. Das Schiff, von Vorhees wider alle Vernunft zu lange an der Rückfahrt gehindert, wird vom Eis eingeschlossen. Mannschaft und Passagiere erleben einen fürchterlichen Kälte- und Hungerwinter, den nicht alle überleben. Dessen ungeachtet drängt Vorhees auf weitere Erkundungen. Als sich seine Begleiter weigern, zieht er allein in die Polarwüste und verschwindet spurlos. Erasmus soll die wenigen Überlebenden dorthin führen, wo Rettung zu erwarten ist. Diese Flucht über das Eis entwickelt sich zum tödlichen Albtraum, der Erasmus und die wenigen Überlebenden schrecklich zeichnet. Zudem waren alle Qualen umsonst: Nach der Rückkehr stellt sich heraus, dass Vorhees die „Narwhal“ in ein Gebiet lenken ließ, das längst erforscht wurde … Statt gefeiert zu werden, muss sich Erasmus als Versager und Feigling beschimpfen lassen. Doch sein Leidensweg hat nicht einmal begonnen, denn eines Tages kehrt Zeke Vorhees aus dem Eis zurück – ein ruhmreicher Held, beladen mit den Ergebnissen eigener Forschungen, von denen Erasmus genau weiß, dass sie zu schön sind, um wahr zu sein. Doch ihm fehlen die Beweise, und so muss er ohnmächtig mit ansehen, wie der betrügerische Vorhees sich skrupellos seinen Platz in der Geschichte verschafft …

„Jenseits des Nordmeers“ gehört wohl eindeutig zu den wenigen historischen Abenteuerromanen, die in den letzten zehn Jahren das meiste Kritikerlob und (was gleichzeitig normalerweise unmöglich ist) die ungeteilte Aufmerksamkeit des lesenden (und denkenden) Publikums auf sich lenken konnten. Nur wenige Seiten Lektüre geben deutlich Aufschluss über den Grund: „Jenseits des Nordmeers“ ist schlicht und ergreifend ein in Inhalt und Form verdammt gutes Buch!

Der Kraftausdruck sei im Positiven Ihrem Rezensenten gestattet, der sonst an dieser Stelle mit Zorn, Frustration und Resignation die meisten der so genannten „historischen“ Romane geißelt, für die guter Wald abgeholzt wird, statt der Sauerstofferzeugung vorbehalten zu bleiben. Geschichte auf TV-Seifenopern-Niveau ist es, die meist im (fadenscheinigen) Gewand des Krimis auf die Leser losgelassen wird. Das Gespür für vergangene Zeiten erschöpft sich gar zu oft darin, die Figuren in ulkige Gewänder zu stecken oder eine feurige Prä-Feministin gegen klotzköpfige Kirchenfürsten antreten zu lassen.

Ganz anders dagegen Andrea Barrett. Ihr ist nicht nur eine spannende Geschichte eingefallen, was an sich bereits eine anerkennenswerte Leistung und die halbe Autorenmiete ist: Sie wird auch noch so mitreißend erzählt, dass selbst einem alten Lesekämpen wie Ihrem Rezensenten mehr als 400 Seiten wie im Fluge vergehen; eine leider Gottes seltene Erfahrung, wenn der Buchberg eines Leserlebens Himalaja-Höhen erreicht hat.

Die Grundkonstellation ist denkbar einfach, aber viel erprobt und immer noch funktionstüchtig, wenn man die Gebrauchsanweisung kennt: Versammle einige Personen möglichst unterschiedlichen Charakters an einem Ort, von dem sie nicht fliehen können (hier das gute Schiff „Narwhal“), schicke sie dann auf eine gefährliche Reise und warte ab, was geschieht! Geht es jetzt mit einem recht primitiven Gefährt hinauf in das eisige Oberstübchen unseres Globus‘, ist das abenteuerliche Element schon einmal sichergestellt!

Jetzt zu den Hauptpersonen unseres Dramas. Treffen wir an Bord der „Narwhal“ die sprichwörtlichen dreizehn Mann auf des toten Mannes Kiste (mit ’ner Buddel voll Rum), d. h. gesichtslose und austauschbare Gestalten, die dem einzigen Zwecke dienen, neben dem eigentlichen Helden vom Mast zu stürzen, sich die Pest einzufangen oder in einen Haifisch-Rachen zu stürzen? Oh nein, echte Individuen hat Barrett mit Sachkenntnis und Liebe zum Detail in ihre Romanwelt gestellt. Helden gibt es übrigens auch nicht, sondern nur Menschen. An ihrer Spitze steht Erasmus Darwin Wells, eine traurige Gestalt, die aus einer gescheiterten Existenz hinaus auf die See flüchtet, um dort die Erfahrung zu machen, dass ungelöste Probleme mit ihren unglücklichen Besitzern zu reisen pflegen. Mit dieser Erkenntnis und den Folgen bleibt Erasmus nicht allein; mit seltenem Geschick und düsterer Konsequenz schildert Barrett eine hehre Mission, die weniger an den Unbilden der Natur als an menschlichem Versagen erst krankt und dann scheitert.

Ähnlich dürfte es der Expedition Sir John Franklins ergangen sein, auf dessen Spur sich die Crew der „Narwhal“ gesetzt hat. Dieses reale Rätsel der Entdeckungsgeschichte bildet den idealen Rahmen für Barretts Drama. Mit viel Vorschusslorbeeren und in einem sehr modern anmutenden Medien-Gewitter war der von seinen britischen Landsleuten verehrte und weltweit anerkannte Polar-Pionier im Mai 1845 mit zwei Schiffen gen Nordpolarmeer aufgebrochen, um endlich die sagenhafte Nordwestpassage zu finden. Eigentlich war Franklin schon viel zu alt und auch nicht gesund genug für eine solche Expedition, doch wie Zecheriah Vorhees versessen darauf, den eigenen Ruhm weiter zu mehren. So ersetzte ein regelrechter Ausrüstungs-Overkill eine realistische Planung des Unternehmens, das in einem schrecklichen Fiasko endete: Die Schiffe gingen verloren, und alle 135 Männer kamen grausam zu Tode; verirrt, erfroren, verhungert oder gar vergiftet durch die eigenen, mit Blei (!) schlampig verschweißten Konserven.

Es dauerte 140 Jahre, bis der Großteil dieser traurigen Wahrheit ans Licht kam. Als Erasmus Wells in See stach, herrschte dagegen noch Hoffnung. Lady Jane, John Franklins Gattin, drängte unermüdlich jeden Seemann und Entdecker, in den Norden zu dampfen oder zu segeln, um dort auf die Suche zu gehen. Sie war viele Jahre sehr überzeugend, zumal immer wieder Relikte der verschollenen Expedition entdeckt wurden. Die „Narwhal“ reiht sich deshalb unauffällig in die Flotte echter Schiffe ein, die zwar nie John Franklin fanden, aber immerhin das Wissen um den hohen Norden entscheidend zu mehren wussten.

Wenn sie denn ihre Abenteuer überlebten. „Jenseits des Nordmeeres“ verzeiht die Natur keine Schwächen, das macht uns der gleichnamige Roman eindrucksvoll klar. Dabei ist die Arktis keine tödliche Eishölle, sondern ein Ort, an dem es sich durchaus leben lässt, solange man bereit ist, sich den Verhältnissen anzupassen. Barrett schildert präzise den Zwiespalt, der die Entdecker des 19. Jahrhunderts immer wieder in selbst verschuldeten Krisen untergehen ließ: Sie kamen nur scheinbar in fremde Landstriche, um zu lernen, während sie unterbewusst davon überzeugt waren, schon alles Wissenswerte zu kennen. Barrett beschreibt, was Erasmus Wells in den Laderäumen der „Narwhal“ verstaut; mindestens die Hälfte ist in der Arktis völlig nutzlos und fehl am Platze, während wirklich Wichtiges oft fehlt. Aber: Ein Gentleman reist halt so, und außerdem muss er vor den „Wilden“ die Überlegenheit der weißen Rasse demonstrieren!

Nur Erasmus und sein neuer Freund, der Schiffsarzt, entwickeln einen echten Sinn für die Schönheit der Welt, die sie bereisen. Durch ihre Augen sieht der Leser dank Barretts Talent den hohen Norden in seiner ganzen Pracht. Während sich minder begabte Autoren gern vor Landschaftsbeschreibungen drücken oder in bleierne Langeweile abrutschen, entwickelt Barrett eine Wortgewalt, die einfach mitreißend ist. Hierin gleicht sie tatsächlich dem im Klappentext als Wink mit dem Zaunpfahl genannten Herman Melville [(„Moby Dick“), 1144 ohne ihn jedoch jemals zu imitieren. „Jenseits des Nordmeers“ ist ein absolut eigenständiges Werk, ein moderner Klassiker des Genres Reiseabenteuer, ein Literaturkapitel, das man oft schon für abgeschlossen hält, da doch die Welt inzwischen bis in die letzten Winkel erforscht ist. Aber so ist es nicht, und selten macht es so viel Spaß, vom Gegenteil überzeugt zu werden!

Und als Erasmus Wells in die Zivilisation zurückkehrt, ist gerade die Hälfte des Romans gelesen! Jetzt geht es erst richtig los: Als ob sie die Eiswüste nie verlassen hätten, setzen Wells und Vorhees ihr auf der „Narwhal“ begonnenes Duell mit unverminderter Härte fort. Vorhees verkörpert dabei die dunkle Seite der noch heute meist ohne Einschränkung verehrten Heldengestalten der Entdeckungsgeschichte. Doch die Männer, die das Neue suchten, benahmen sich in der Fremde nicht selten wie die sprichwörtliche Axt im Walde. Besonders im Umgang mit den Ureinwohnern der besuchten (oder besser eroberten) Gebiete geschah vieles, das in den offiziellen Forschungsberichten lieber verschwiegen wurde. Barrett nennt diese Dinge beim Namen, und siehe da: Diese zweite Hälfte, die in der Tat „Jenseits des Nordmeers“ spielt, gibt der ersten in Sachen Dramatik und Spannung nicht das Geringste nach!

PS: Famos übersetzt wurde das Werk auch noch!