Archiv der Kategorie: Horror & Unheimliches

del Toro, Guillermo / Hogan, Chuck – Saat, Die

Ein Flugzeug aus Berlin befindet sich im Landeanflug auf New York. Pilot und Tower tauschen letzte Instruktionen aus, bevor die Maschine Kurs auf die Landebahn nimmt. Die Worte des Piloten, „ist doch immer wieder schön, nach Hause zu kommen“, sind die letzten, die gesprochen werden. Das Flugzeug landet planmäßig, doch danach bricht der Funkverkehr ab. Die Maschine hat sich offensichtlich komplett abgeschaltet – kein Licht, kein Funkverkehr, und auch keine panischen Anrufe von den Passagieren im Inneren. Sie steht einfach still und tot auf dem Rollfeld. Nachdem sich das Flughafenpersonal die Situation nicht erklären kann, schlagen sofort Notfallpläne an, schließlich geht man im Moment von einem terroristischen Anschlag aus – 9/11 ist gerade in New York immer noch gegenwärtig. Außerdem ruft man die CDC, die Seuchenschutzbehörde hinzu, schließlich könnte es auch sein, dass mit dem Flug irgendetwas Biologisches eingeschleppt wurde.

Und so tritt Ephraim Goodweather auf den Plan, der eigentlich ein Wochenende mit seinem Sohn verbringen wollte. Stattdessen findet er sich auf dem Flughafen wieder, wo er in voller Schutzmontur dabei ist, das Flugzeug zu betreten. Er und seine Kollegin können die Passagiere nur noch tot bergen – bis auf vier Ausnahmen, die sofort ins Krankenhaus zur Untersuchung geschafft werden. Der Rest der Insassen zeigt keinerlei Anzeichen eines Kampfes oder gar Angst. Alle scheinen so schnell gestorben zu sein, dass für derlei keine Zeit blieb.

Niemand kann sich auf diese seltsame Geschichte einen Reim machen. Zwar ist es verdächtig, dass sich im Frachtraum eine riesige, mit Erde gefüllte Holzkiste findet. Doch bevor man diese näher untersuchen kann, ist sie auch schon verschwunden. Und da man sich auch nicht in der Lage sieht, die vier Überlebenden unter Quarantäne zu stellen, sind die bald auf dem Weg zu ihren Familien. Ein fataler Fehler, wie sich schnell heraus stellt. Denn mit dem Flieger ist tatsächlich eine Seuche eingeschleppt worden – eine vampirische nämlich. Und während die Passagiere des Flugzeugs sich langsam in bluthungrige Untote verwandeln, verfolgt der Besitzer der Holzkiste offensichtlich eine größere Agenda. Und aufhalten können ihn nur Ephraim und seine Mannen.

„Die Saat“, der erste Teil einer Trilogie, stammt aus der Feder von Guillermo del Toro und Chuck Hogan. Wobei man natürlich nur spekulieren kann, wer wie viel Schreibarbeit übernommen hat, schließlich ist del Toro eher als Regisseur und Produzent bekannt geworden. Kein Zweifel allerdings besteht darüber, wer die zentralen Ideen für den Romanstoff geliefert hat. Das Buch ist eindeutig in del Toros Ideenwelt angesiedelt und es ist nicht schwer, Motive zu identifizieren, die del Toro auch in seinen Filmen immer wieder anzitiert. Besonders deutlich wird das, wenn man den Film [„Blade II“]http://www.powermetal.de/video/review-299.html kennt, bei dem del Toro seinerzeit Regie führte. Beim Lesen von „Die Saat“ fühlt man sich immer wieder an die mutierten Vampire aus „Blade II“ erinnert und es ist nahe liegend anzunehmen, dass del Toro dieses Romanprojekt dazu genutzt hat, Ideen, die er für den Film hatte, auszuformulieren und weiter zu führen. Allerdings bleibt er, wie in „Blade II“ auch, eher an der Oberfläche und konzentriert sich aufs Herumrennen und Abknallen, anstatt seinen Figuren Tiefe und Dreidimensionalität zu verleihen.

Sowohl im Film als auch im vorliegenden Buch sind Vampire weder romantisch noch anziehend. Stattdessen sind sie fast zombiehafte Kreaturen, die es nach Blut gelüstet – bei dessen Beschaffung sie selbstverständlich über Leichen gehen. Sie sind kahlköpfig, blass, haben rotglühende Augen und weisen einige physische Veränderungen auf. Denn Vampirismus ist eine hochansteckende Seuche, sie wird durch Kontakt mit dem Blut eines Vampirs übertragen. Wie ein Krebsgeschwür bilden sich daraufhin im Körper des Wirts neue Organe, während andere verkümmern.

Der Roman beginnt viel versprechend: Das gestrandete Flugzeug erscheint nach ein paar Seiten tatsächlich tot und verlassen und den Autoren gelingt es, eine unheimliche und bedrohliche Stimmung herauf zu beschwören. Auch als Leser weiß man in diesen Momenten noch nicht, wohin die Reise gehen wird. Alles ist ungewiss, und doch dräut das Unglück schon über der Handlung. Diese Szenen sind sehr atmosphärisch und bilden den frühen Höhepunkt des Romans. Dass es danach mit den Erzählkünsten und dem Spannungsbogen nur noch abwärts geht, lässt allerdings schnell Enttäuschung aufkommen. Die ohnehin eher schablonenartigen Hauptcharaktere verlieren sich in einem Wust von Nebencharakteren, Nebenschauplätzen und belanglosen Details.

Del Toro und Hogan haben ihr Buch als großes grauenerregendes Panorama angelegt, doch leider geht diese Rechnung nicht auf. Bei ihrem Versuch, dem Leser in Cinemascope-Manier viele einzelne Szenen zu präsentieren, um so das empfundene Grauen zu potenzieren, verlieren sie über weite Strecken den roten Faden der Handlung aus den Augen. Da wird zwanzig Seiten lang eine Sonnenfinsternis beschrieben, die für den weiteren Verlauf des Romans absolut nicht von Belang ist. Da wird wieder und wieder beschrieben, wie Vampire Menschen angreifen, die sich dann wiederum in Vampire verwandeln anstatt an einem gewissen Punkt einfach einen Schlussstrich zu ziehen und sich mit „und viele Menschen wurden gebissen“ zu begnügen. Da werden dem Protagonisten Eph zu allem Überfluss eine Scheidung und ein Sohn angedichtet, um beim Leser Sympathie hervorzurufen (eine billige Hollywood-Taktik, die eher dazu führt, dass man sich von Ephs zwischenmenschlichen Problemen zunehmend genervt fühlt).

Schlussendlich kann man sich nach der Lektüre des Eindrucks nicht erwehren, trotz der 520 Seiten nicht wirklich viel erfahren zu haben. Der Obervampir Sardu, Grund für die in New York ausbrechende Seuche, wird nur angerissen und bleibt mysteriös. Seine Motive bleiben im Dunkeln, ebenso wie die Frage, warum er Eph immer nur droht, anstatt ihn einfach ins Jenseits zu befördern (der alte Fehler aller billigen Fieslinge). Ebenso ergeht es dem Strippenzieher in den USA, einem Magnaten namens Eldritch Palmer, der zwar immer mal wieder im Roman vorkommt, aber ebenfalls keine tragende Rolle erhält. So fühlt sich „Die Saat“ wie ein besonders langer Prolog an, was der Roman angesichts der geplanten weiteren zwei Teile vielleicht auch ist. Doch stellt man den Roman für sich, lässt er einen unbefriedigt und mit zu vielen Fragen zurück.

Dabei hat das Autorenduo del Toro/Hogan einige interessante Ideen. So gibt es viele Anleihen sowohl bei Bram Stokers [„Dracula“ 210 als auch beim südosteuropäischen Volksglauben zum Thema Vampir. Wie das Flugzeug völlig ohne Lebenszeichen auf der Rollbahn strandet, erinnert stark an die Demeter, das Schiff, mit dem Dracula in Stokers Roman nach England reist, und das mit toter Mannschaft während eines Sturms in den Hafen von Whitby einläuft. Ebenfalls bei Stoker angelehnt ist die Figur des kautzigen, alten Vampirjägers Abraham (!) Setrakians, der in seiner Jugend in einem KZ bereits die Bekanntschaft Sardus machte und seitdem Vampiren den Kampf angesagt hat. Insgesamt können die guten Ideen und versteckten Anspielungen jedoch nicht über die offensichtlichen Längen des Romans hinweg täuschen. Der Roman lohnt sich somit vor allem wegen des wunderbar gelungenen Beginns. Der Rest, die Jagd auf die Vampire und der Versuch, die Seuche einzudämmen oder auszurotten, bleibt leider im Mittelmaß stecken.

Pekearo, Nicholas – Wolfsrache

„Wolfsrache“ ist kein normaler Debütroman. Vielmehr handelt es sich um das erste und vermutlich auch einzige Buch des jungen New Yorkers Nicholas Pekearo. Dieser wurde 2007 bei seiner ehrenamtlichen Arbeit bei der Polizei erschossen. „Wolfsrache“ erscheint nun dank seines Lektors posthum.

Marlowe „Marley“ Higgins lebt in der amerikanischen Kleinstadt Evelyn und verbringt seine Zeit mit seiner Arbeit als Koch und mit Wirtshausschlägereien. Er ist als Rauf- und Trunkenbold verschrien, als Krimineller, doch niemand weiß, wie gefährlich er wirklich ist. Denn Marley hat ein dunkles Geheimnis: Jeden Monat zu Vollmond verwandelt er sich in einen Werwolf und muss einen Menschen umbringen, um das Biest in ihm zufrieden zu stellen.

Da alle Versuche, das Biest zu vertreiben oder die Verwandlung zu unterdrücken, fehlgeschlagen sind, hat er sich mit seinem Problem arrangiert und eine Tugend daraus gemacht. Wenn der Wolf ihn ruft, zieht er los, um Menschen zu töten, die es verdient haben: Mörder und Vergewaltiger. Eines Tages findet man in Evelyn die Leiche eines jungen Mädchens, wenig später die einer Prostituierten. Der Rosenmörder, wie er genannt wird, treibt sein Unwesen. Er hat wahllos Frauen in ganz Amerika getötet und ihnen dann Rosen in die leeren Augenhöhlen gesteckt. Marley beschließt, diesem Treiben beim nächsten Vollmond ein Ende zu setzen, doch etwas geht schief. Das Biest kann keine Fährte aufnehmen und tötet stattdessen einen Unschuldigen …

„Wolfsrache“ ist, trotz des Titels, mehr ein verdammt guter Thriller als ein Dark-Fantasy-Buch. Das merkt man schon daran, dass Marley das einzige übernatürliche Wesen im Buch ist und auch er ist noch ziemlich menschlich. Das Biest ist kein Teil von ihm, sondern mehr oder weniger ein unliebsamer Parasit, der einmal im Monat seinen Tribut fordert. Im Vordergrund steht deshalb die Suche nach dem Mörder. Marley ermittelt auf eigene Faust und das durchaus spannend. Er findet immer wieder interessante Zusammenhänge mit Hilfe Danny Pearces, dem Polizisten im Ort und seinem einzigen Freund. Allmählich steigert sich die Geschichte und deutet nach einer langen Strecke der Unwissenheit auf den Täter. Der Aufbau des Romans ist in dieser Hinsicht geradezu klassisch. Unterbrochen durch kurze Abrisse aus Marleys Vergangenheit und wenige, aber wichtige Nebenhandlungen baut sich eine konsistente Spannung auf, die zusätzlich durch die Figur des Marley aufrecht erhalten wird.

Marley Higgins als Figur ist der sprichwörtliche einsame Wolf. Ruppig, aber nicht herzlos, stets auf der Suche nach Trouble, aber zu intelligent für einen Proleten – Marley ist eine verkrachte Existenz, die mit den erotischen Lebemännern aus ähnlicher Literatur rein gar nichts zu tun hat. Er fügt einem Genre, das momentan stark weiblich besetzt ist, eine sehr männliche Perspektive hinzu, was unglaublich erfrischend ist. Da er aus der ersten Person berichtet, spielen seine Gedanken, Gefühle und Erinnerungen eine tragende Rolle. Sie helfen nicht nur dabei, seine Persönlichkeit in all ihren Facetten zu verstehen, sondern verleihen Marley als Figur und „Wolfsrache“ als Buch eine ungewöhnliche Tiefe.

Pekearos Schreibstil passt perfekt zu seinem Protagonisten. Lakonisch, humorvoll, intelligent, gleichzeitig aber auch derb, denn Marley ist nun mal keine besondere Frohnatur. Anschaulich und mit vielen expliziten Begriffen sowie ansprechenden Metaphern und anderen Sprachbildern erzählt der Autor und rundet damit das Gesamtpaket ab.

Man muss kein Fan des Dark-Fantasy-Genres sein, um Pekearos Debüt zu mögen, denn „Wolfsrache“ ist ein spannender Thriller mit einem etwas ungewöhnlichen Protagonisten. Das Buch verdient nicht nur Aufmerksamkeit wegen der tragischen Geschichte seines Autors, sondern vor allem wegen seiner literarischen Qualität.

|Originaltitel: The Wolfman
Deutsch von Bernhard Kleinschmidt
379 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3499252518|

http://www.rowohlt.de

Asquith, Cynthia (Hg.) – Schrecksekunden. Aus dem Geisterkabinett der Lady Cynthia Asquith

17 Kurzgeschichten sollen eine Momentaufnahme der ‚modernen‘ Phantastik darstellen, wie sie 1952 gesehen wurde:

|Elizabeth Bowen: Vorwort|, S. 7-10

|Rosemary Timberley: Weihnachtliches Zusammentreffen| („Christmas Meeting“), S. 11-14: An besagtem Feiertag trifft eine Frau einen Geist – oder war es umgekehrt …?

|L. A. G. Strong: Danse Macabre| („Danse Macabre“), S. 15-21: Nach dieser Ballnacht an der Seite einer unirdisch schönen Frau entsagt Lebemann Flanagan schlagartig allen Ausschweifungen …

|G. W. Stonier: Aus den Erinnerungen eines Geistes| („The Memoirs of a Ghost“), S. 22-26: Nach dem Tod wird das Leben nicht unbedingt besser, wie uns diese frustrierte Spukgestalt erläutert …

|Nancy Spain: Die Verwirrung der Schlange McKoy| („The Bewilderment of Snake McKoy“), S. 27-40: In seinem Haus lernt der Schriftsteller eine Mieterin kennen, die schon lange auf die Möglichkeit zum Beginn eines neuen Lebens wartet …

|V. S. Pritchett: Don Juans seltsamstes Abenteuer| („A Story of Don Juan“), S. 41-46: Der große Liebhaber wird in eine gespenstische Falle gelockt, wofür er sich auf die ihm eigene Art rächt …

|Walter de la Mare: Schutzgeist| („The Guardian“), S. 47-61: Einem Nachtmahr entspringt eine zarte aber tragische Liebesgeschichte …

|Rose Macaulay: Die Rehabilitierung des Tiberius| („Whitewash“), S. 62-67: Ein römischer Kaiser frönt auch 2000 Jahre nach seinem Tod perversen Spielchen …

|C. H. B. Kitchin: Die Chelsea-Katze| („The Chelsea Cat“), S. 68-89: Es gibt einen guten Grund, wieso Sammler Mallowbourne die erworbene Porzellankatze buchstäblich wie die Pest zu hassen beginnt …

|L. P. Hartley: W. S.| („W. S.“), S. 90-101: Autor Streeter erhält böse Briefe von einem ebensolchen Leser, und aus den Absendern wird deutlich, dass dieser ihm unaufhörlich näher kommt …

|Mary Flitt: Das Amethystkreuz| („The Amethyst Cross“), S. 102-127: Im einsamen Haus am Moor lebt eine alte Gewalttat um Mitternacht bedrohlich wieder auf …

|Eleanor Farjeon: Spooner| („Spooner“), S. 128-140: Wenig hilfreich ist es, wenn nur die Katze weiß, was den alten Freund nach seinem Tod so unruhig umgehen lässt …

|Evelyn Fabyan: Fliegerangriff bei Nacht| („Bombers‘ Night“), S. 141-152: Die tote Gattin kehrt zurück und fordert die am Traualtar geschworene ewige Liebe ein …

|John Connell: Zurück an den Anfang| („Back to the Beginning“), S. 153-160: Auch für einen modernen Teufelspakt muss der Preis schließlich gezahlt werden …

|Collin Brooks: Eigentum bei Fertigstellung| („Possession on Completion“), S. 161-172: Wenn erst ein Gespenst ein Haus heimisch wirken lässt, kann man notfalls eines erschaffen …

|Elizabeth Bowen: Die Hand im Handschuh| („Hand in Glove“), S. 173-185: Die hartherzige Nichte hätte die Kleidertruhe der wunderlichen Tante nicht gar so heftig plündern sollen, denn diese hat dort eine garstige Überraschung hinterlassen …

|Eileen Bigland: Eine ätherische Erscheinung| („The Lass with the Delicat Air“), S. 186-202: Ein hässliches Eifersuchtsdrama nimmt viele Jahre nach dem Tod der Opfer ein versöhnliches Ende …

|Cynthia Asquith: Ein Grab zu wenig| („One Grave Too Few“), S. 203-219: Das neue Haus hat einen alten Makel: Schwangere Bewohnerinnen werden hier nie alt …

_Eine Bestandsaufnahme zeitgenössischen Horrors_

Die Phantastik unterliegt wie alle literarischen Genres bestimmten Moden, die wiederum an gesellschaftliche Entwicklungen gekoppelt sind. Der frühe Grusel gab sich deshalb gern moralisch; Attacken aus dem Jenseits wurden als ‚gerechte‘ Strafen für Verfehlungen im Hier & Jetzt liebevoll ausgemalt, auf dass die Leser daraus (hoffentlich) lernten, sich an Gesetze und Regeln zu halten.

Spätestens der I. Weltkrieg brachte ein Ende solcher Bigotterie; sie starb zwar nicht aus, aber sie wirkte antiquiert in einer Zeit, die ganz andere Quellen des Schreckens offenbart hatte. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstand außerdem die Wissenschaft der Psychologie, die sich trotz ihrer Fehler und Anfeindungen behaupten konnte. Die Erforschung des menschlichen Hirns, seiner Funktionen und – für die Phantastik von besonderem Interesse – seiner Fehlfunktionen versetzte der Phantastik einen Energiestoß: Der Schrecken, den bisher pittoreske Gestalten aus dem Totenreich verbreitet hatten, kam nunmehr auf dem Umweg über besagtes Hirn in diese Welt – wenn er nicht sogar ausschließlich dort seinen Ursprung hatte!

Der II. Weltkrieg brachte die Gewissheit, dass der Mensch grundsätzlich keine Gespenster, Vampire oder Werwölfe benötigt, um sich das Leben zur Hölle zu machen; er schafft dies sehr gut allein. Die Geistergeschichte passte sich auch dem an. Sie kappte ihre Wurzeln nicht, aber sie gedieh sehr gut auch im modernen Alltag. Mit „The Second Ghost Book“ wollte (Lady) Cynthia Asquith (1887-1960), selbst Autorin und eine profunde Kennerin der Phantastik, diesen Wandel 1952 belegen. Sie sammelte 20 aktuelle Kurzgeschichten, die den Status der ’neuen‘ Geistergeschichte dokumentieren sollten. Ihr diese Aufgabe zu übertragen, lag nahe, denn Lady Cynthia hatte 1927 herausragende Exempel der klassischen „ghost story“ zu einem ersten „Ghost Book“ zusammengestellt.

_Eine durchwachsene Grusel-Mischung_

Das neue Projekt wurde schon von zeitgenössischen Kritikern nicht durchweg für gelungen gehalten. (Erfolgreich war es allerdings; Lady Cynthia edierte vor ihrem Tod noch ein drittes „Ghost Book“, dann übernahmen andere Herausgeber und führten die Reihe bis 1977 fort; sie umfasst insgesamt – das ist kein Scherz – 13 Bände.) Dafür ist zum einen die schwankende Qualität der aufgenommenen Erzählungen verantwortlich. Die meisten Storys lesen sich unterhaltsam, aber herausragend sind nur wenige. Fatalerweise sind zum anderen viele Geschichten, die sich ausdrücklich ‚modern‘ geben, reichlich misslungen, d. h. langweilig.

Rose Macaulay (1881-1958) setzt auf die Wirkung einer Idee, die nicht so originell ist, wie sie wohl dachte. Walter de la Mare (1873-1956), ein Großmeister der hintergründigen Phantastik, liefert ein ebenso prätentiöses wie lahmes Mini-Drama ab, das bereits die meisten Erstleser nicht berührte, sondern ratlos zurückließ; was sonst von der Literaturkritik gern damit begründet wird, dass besagte Leser dem Künstler intellektuell nicht gewachsen sind, kann hier beim besten Willen nicht geltend gemacht werden. Eleanor Farjeon (1881-1965) stellt mit einer Tiergeister-Mär unter Beweis, wie schlüpfrig der schmale Grat zwischen Rührung und Rührseligkeit ist. Eileen Bigland (1898-1970) und Evelyn Fabyan schlagen (oder stürzen) mit ihren durch den Tod nicht beendeten Liebesdramen in dieselbe Kerbe. Was ‚moderner‘ Grusel sein kann, vermag Collin Brooks (1893-1959) deutlich zu machen. Seine Geschichte vom Jedermann, der dem Wahnsinn verfällt, ist stringent durchkomponiert und verfehlt ihre Wirkung nicht.

Gern endet die ‚moderne‘ Geistergeschichte offen. Der Leser muss sich zusammenreimen, was geschehen ist oder geschehen sein könnte. Nancy Spain (1917-1964) und Leslie Poles Hartley (1895-1972) setzen auf diese Form, doch am besten und gewiss nicht beabsichtigt gelingt ihnen der Beweis, dass man diesen Trick beherrschen muss, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Wie man es besser macht, zeigt Rosemary Timberley (1920-1988) in ihrer nur dreiseitigen Kurzgeschichte.

Interessanterweise wirken vor allem jene Storys gelungen, die sich an die klassischen Vorgaben halten. Clifford Henry Benn Kitchin (1895-1967), Leonard Alfred George Strong (1896-1958) oder Cynthia Asquith selbst legen Geschichten vor, die sehr gut ins erste „Ghost Book“ gepasst hätten. Die ‚alte‘ Geistergeschichte fasziniert offensichtlich trotz ihrer antiquierten Formen zuverlässiger als die betont gegenwärtige Phantastik – und so ist es geblieben, denn die erwähnten Erzählungen stechen auch im 21. Jahrhundert noch positiv hervor. Auch hier kommt es freilich auf das individuelle Talent an: Die an sich sehr stimmungsvolle Gruselmär von Mary Flitt leidet unter ihren Abschweifungen und einem unnötigen Perspektivensprung, der die Unmittelbarkeit des Geschehens negiert.

_Geister können komisch sein_

Schrecken und Humor scheinen einander auf den ersten Blick auszuschließen. Doch das „befreiende Gelächter“ gehört zur Geistergeschichte, die ihre Wirkung durch wohl dosierten Witz erstaunlich erhöhen kann. George Walter Stonier (1903-1985) amüsiert mit dem ungewöhnlichen Blick eines ‚Insiders‘ auf das Jenseits, das hier ebenso schrecklich wie vergnüglich prosaisch erscheint. Victor Sawdon Pritchett (1900-1997) parodiert die klassische Don-Juan-Sage; er bewahrt ihren Duktus und verschneidet sie geschickt mit einer durchaus klassischen Geisterstory, die einen für alle Beteiligten ungewöhnlichen Verlauf nimmt. John Connell interpretiert die alte Geschichte vom Pakt mit dem Teufel formal wie stilistisch nicht nur sehr zeitgemäß, sondern befleißigt sich dabei eines trockenen und sardonischen Humors. Elizabeth Bowen (1899-1973) erzählt eine Geistergeschichte, deren Auflösung wenig schlüssig erscheint. Der Reiz des Erzählten beruht auf einem hinterlistigen Unterton, der das Geschehen wirkungsvoll konterkariert.

Letztendlich erweist sich „Schrecksekunden“ ungeachtet des hehren Anspruchs als Sammlung nur bedingt gelungen. Nach mehr als einem halben Jahrhundert müssen und können die Geschichten für sich selbst bestehen – oder auch nicht. Anthologien sind stets wie Wundertüten: Der Inhalt kann sowohl überraschen als auch enttäuschen. In diesem Fall überwiegen – knapp – die erfreulichen Entdeckungen.

PS: Von wegen „ungekürzte Ausgabe“, wie im Impressum behauptet wird! Es fehlen in der deutschen Fassung drei Storys der Originalausgabe: „Autumn Cricket” (von Lord Dunsany), „Captain Dalgety Returns“ (von Laurence Whistler) und „The Restless Rest-house“ (von Jonathan Curling).

_Impressum_

Originaltitel: The Second Ghost Book (London : J. M. Barrie 1952) bzw. A Book of Modern Ghosts (New York : Charles Scribner’s Sons 1953)
Übersetzung: Jeannie Ebner
Dt. Erstausgabe: April 1973 (Fischer Verlag/TB Nr. 1348)
219 Seiten
ISBN-13: 978-3-596-21348-1
http://www.fischerverlage.de

Shirley, John – In der Hölle

_Handlung:_

H ist ein Wesen aus einer anderen Dimension und gehört einer Lebensform an, die keinen Körper besitzt, sondern nur aus mentaler Energie besteht. Daher erscheint die Menschheit mit all ihren körperlichen Bedürfnissen, Trieben und Abgründen als außerordentlich interessant und faszinierend.

Die menschliche Neigung, sich gegenseitig zu schaden und Schmerzen zuzufügen, rückt schließlich in den Fokus von Hs Aufmerksamkeit. Zu Versuchsobjekten in seinem perversen Spiel werden unter anderem der Filmproduzent Younger und die Maklerin Jane. Gemeinsam mit einigen anderen Menschen werden sie in einer Fabrikhalle eingesperrt, die sich als raffiniertes Gefängnis entpuppt, aus dem es keinerlei Entrinnen gibt. Bald kochen die Emotionen über und die Situation eskaliert. Das Entsetzen der Menschen ist übermächtig, als sie erkennen, dass sie nicht sterben können und immer wieder gesund und munter von den Toten auferstehen, egal, wie oft sie ermordet werden. Doch welche Grenzen kennt die menschliche Grausamkeit, wenn sie selbst den Tod nicht fürchten muss?

Die Gefährten Hs wenden sich voll Entsetzen von ihm ab, als sein Experiment aus den Fugen zu geraten droht …

_Eindrücke:_

John Shirleys Roman von einer Lebensform, die Menschen als Versuchskaninchen missbraucht, ist nicht nur ungewöhnlich schmal ausgefallen, sondern bildet auch eine interessante Mischung aus Horror, Fantasy und Sciencefiction, wobei die typischen Elemente, die mit den drei Genres verbunden werden, fehlen.

Auffallend ist der triste, hoffnungslose Stil, in dem die Geschichte erzählt wird. Laut Shirley besteht die Welt nur aus Bosheit, Neidertracht und Gewalt. Von den handelnden Personen sind die beiden Überwesen, die Hs Vorgehensweise verabscheuen und verurteilen, noch die sympathischsten Zeitgenossen. Das Buch gliedert sich in drei Kapitel. In den ersten beiden werden zwei Einzelschicksale detailliert und eindringlich geschildert und erwecken den Eindruck, Kurzgeschichten zu lesen, in deren Verlauf die Protagonisten von H beeinflusst werden. Erst im letzten und dritten Kapitel laufen die Fäden zusammen und finden sich die handelnden Personen in dem eigentlichen Versuchslabor der übermächtig erscheinenden Entität namens H wieder.

Das Schreckensszenario, in dem sich Jane, Younger und all die anderen wiederfinden und dessen Ausmaß sie erst viel später in seiner Ganzheit begreifen, ist von beklemmender Intensität und beschreibt die Sinnlosigkeit einer Gesellschaft, die unfähig ist zu sterben. Leider beschränkt sich der Autor die meiste Zeit darauf zu schildern, in welcher Art und Weise sich die Menschen gegenseitig das Leben nehmen oder ihrer sexuellen Enthemmtheit frönen. Hinzu kommt die geradezu skizzenhafte Charakterisierung der Personen, die alle mit ihren hervorstechendsten Wesenszügen vorgestellt werden, aber nur wenig Tiefe erreichen und kaum Nähe zum Leser aufbauen. Der Plot des Romans birgt ein nahezu unerschöpfliches Potenzial, das leider nur begrenzt genutzt wurde. „In der Hölle“ ist brutal, minimalistisch, schonungslos und – zumindest für Genrefans – unterhaltsam. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Das Umschlagbild von Frank Fiedler ist, neben seiner Kunstfertigkeit, die treffendste optische Darstellung des Titels. Mit dem Inhalt direkt hat es allerdings nur wenig zu tun. Da es jedoch schwierig ist, die Situation der Menschen im perfiden Spiel des Überwesens oder H selbst angemessen zu zeichnen, ist die Lösung der |Edition Phantasia| die beste.

_Fazit:_

Wahrhaft höllisch! John Shirleys Schreckensvision von einem übermächtigen, außerirdischen Wesen, das die menschlichen Abgründe studiert, ist beklemmend und eindringlich, in ihrer Hoffnungslosigkeit aber auch recht einseitig.

|Originaltitel: The View from Hell; Akron, Ohio 2001
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber
Titelillustration von Frank Fiedler
151 Seiten Paperback
ISBN-13: 9783937897226|
http://www.edition-phantasia.de
http://www.darkecho.com/JohnShirley/

_Außerdem von John Shirley auf |Buchwurm.info|:_

[„Stadt geht los“ 1786

_Florian Hilleberg_

Ketchum, Jack – Beutegier

_Handlung:_

Elf Jahre sind vergangen, seitdem Sheriff George Peters und seine Kollegen eine Sippe zurückgebliebener Kannibalen töteten und dabei auch Unschuldige in Verkennung der Situation erschossen. Viel ist in der Zwischenzeit geschehen. Peters ist im Ruhestand, seine Frau ist gestorben und der ehemalige Sheriff kann die traumatischen Bilder nur durch Alkohol ertragen.

Da bittet ihn der neue Sheriff, Vic Manetti, in einem grausigen Doppelmord um Hilfe. Peters wähnt sich in einem Alptraum, als er die verstümmelten, angefressenen Leichen zweier Frauen sieht. Die Kannibalen sind zurückgekehrt und haben grausam zugeschlagen. Eine Babysitterin und die gerade heimgekehrte Mutter wurden Opfer der blutgierigen Menschenfresser, von dem Säugling fehlt jede Spur. Was Peters und Manetti nicht wissen, ist, dass damals eine der Töchter der Kannibalensippe schwer verwundet überlebt hat und eine neue Familie gründen konnte. Gemeinsam begeben sie sich wieder auf die Jagd. Die Beute sollen dieses Mal ein junges Ehepaar und ihre neugeborene Tochter werden, die gerade Besuch von einer gemeinsamen Freundin und ihrem achtjährigen Sohn haben. Die Gier der Kannibalen kennt keine Grenzen …

_Eindrücke:_

Elf Jahre mussten zumindest die deutschen Leser nicht warten, bis sie in den Genuss der Fortsetzung von [„Beutezeit“ 4272 kamen, neben „Evil“ mit Sicherheit die deftigste Kost, die Autor Jack Ketchum zurzeit auf dem deutschsprachigen Buchmarkt zu bieten hat. Mit seinen Werken über eine degenerierte, kannibalisch lebende Sippe an der Ostküste der Vereinigten Staaten hat Ketchum die Gefilde des plakativen Unterhaltungsromans verlassen und Horror in seiner reinen Form geschaffen. Der Anspruch offenbart sich dabei erst auf den zweiten Blick, wenn man den Schleier aus Ekel und Entsetzen gelüftet hat und auf die atavistischen Triebe blickt, die in jedem von uns schlummern und in unserer zivilisierten Welt nur in Extremsituationen oder unter psychischen Belastungen zutage treten.

Obwohl es in der Beschreibung der Grausamkeiten nicht ganz so deftig zugeht wie in dem Vorgänger „Beutezeit“, so muss der sensible Leser sich dennoch auf einige leidvolle Lesestunden gefasst machen, denn dieses Mal geraten auch ein Säugling und ein achtjähriger Junge in das Visier der Menschenfresser. Auch in diesem Roman wird der Leser emotional nicht geschont, und in erschreckender Intensität beschwört Ketchum ein Szenario herauf, das durchaus glaubhaft ist, von dem wir in unserem Innersten fasziniert sind, und das wir doch um keinen Preis der Welt jemals am eigenen Leib erfahren wollen.

Der Erzählstil des Autors ist schonungslos offen und fängt dort an, wo andere Autoren aufhören oder abblenden. Die rasante, flüssige Schreibe macht diesen Roman ebenso wie die anderen Titel von Jack Ketchum zu einem Pageturner, den man nicht mehr aus der Hand legen möchte. Die Wortwahl ist angemessen und hebt sich von der üblichen Fäkalsprache, die bedauerlicherweise in diesem Genre nur allzu oft bemüht wird, deutlich ab. Ketchums Charaktere sind glaubwürdig und machen es dem Leser leicht, sich in sie hineinzuversetzen. In diesem Fall ist es sogar so, dass eigentlich alle Personen sehr sympathisch und liebenswert erscheinen und man insgeheim hofft, dass es die Menschen schaffen zu entkommen. Doch wer Ketchum kennt, der weiß, dass es Opfer geben wird.

Auch dieses Mal legt der Autor viel Wert auf die Beschreibung der Emotionen und Motive der Menschen, die in Extremsituationen über sich selbst hinauswachsen. Im Gegensatz zu „Beutezeit“ hat Jack Ketchum das Szenario um einen interessanten Aspekt erweitert. Denn der psychopathische Ehemann der Mutter des achtjährigen Jungen will seine Familie um jeden Preis wiederhaben. Hier trifft die perverse Brutalität zivilisierter Monster im Anzug auf die primitive Gewalt grobschlächtiger Kannibalen.

„Beutegier“ ist ein Buch, das bis zur letzten Zeile packend und blutig ist. Ein kleines Manko mag sein, dass der Autor gerade zum Ende hin ein wenig in die vorhersehbaren Abläufe eines amerikanischen Hollywood-Filmes hineingerät. Dadurch verliert das Finale an Glaubwürdigkeit. Dafür kann der Leser ruhiger schlafen, was den Preis wert sein könnte.

Die Aufmachung von „Beutegier“ ähnelt dem ersten Kannibalen-Roman von Jack Ketchum und sorgt für einen hohen Wiedererkennungswert. Papier, Umschlag und Satz sind von allererster Güte.

_Fazit:_

„Beutegier“ ist ein würdiger Nachfolger von „Beutezeit“, der mit interessanten neuen Szenarien aufwartet. Jack Ketchum bewegt sich bei der Charakterisierung von Menschen in extremen psychischen Belastungssituationen wie ein Fisch im Wasser. Die Kannibalen sind nicht weniger zimperlich als zuvor und bringen den Leser an die Belastungsgrenze. Mahlzeit!

|Originaltitel: Offspring; Georgia, USA, 1989
Aus dem Amerikanischen von Joannis Stefanidis
288 Seiten
ISBN-13: 978-3453675629|

Home Author


http://www.heyne-hardcore.de
http://www.heyne.de

_Mehr von Jack Ketchum auf |Buchwurm.info|:_

[„Evil“ 2151
[„Beutezeit“ 4272
[„Amokjagd“ 5019
[„Blutrot“ 5488

_Florian Hilleberg_

Harrison, Kim – Blutnacht

„Blutnacht“ ist der mittlerweile sechste Band von Kim Harrisons Reihe um die chaotische Hexe Rachel Morgan und es ist kein Ende in Sicht. Am Ende der Geschichte wirbt Heyne bereits für den siebten Band mit Titel „Blutkind“ – zum Glück! Was würde der Fan sonst ohne die wohl amüsanteste Hauptfigur des Dark Fantasy-Genres machen?

_Rachel steht vor_ den Trümmern ihres Lebens: Ihr Freund, der Vampir Kisten, ist tot; mit ihrer Mitbewohnerin Ivy, einer untoten Vampirin mit Blutdurst, läuft es im Moment auch nicht besonders gut, und sie hat in Cincinatti den Ruf weg, eine Dämonenbeschwörerin zu sein. Dabei scheint sie wenigstens an diesem Punkt Glück gehabt zu haben: Al, der Dämon, der sie seit fast einem Jahr verfolgt, wurde im Jenseits hinter Gitter gebracht.

Dummerweise ist der Dämon jedoch sehr hartnäckig. Irgendjemand schafft es, ihn nach Sonnenuntergang aus dem Gefängnis ins Diesseits zu beschwören und dort hat er natürlich nichts Besseres zu tun, als Rachel zu suchen, um sie aus dem Weg zu räumen. Immerhin pfuscht sie ihm immer wieder ins Handwerk und selbstverständlich lässt die sture Rachel seine Drohung nicht auf sich beruhen. Sie zieht los, um den Menschen ausfindig zu machen, der Al beschwört, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, den Dämonen aus dem Jenseits zu rufen.

Kim Harrison wäre nicht Kim Harrison wenn das die einzigen Ereignisse in der Geschichte wären. In der Kirche, die Rachel und Ivy ihr Eigen nennen, geht es wie gewohnt drunter und drüber. Jenks und seine fünfzigköpfige Pixiefamilie bereitet sich für die Überwinterung in Rachels Schreibtisch vor, die Elfe Ceri von nebenan ist schwanger – und dann auch noch von Quen, dem Leibwächter von Rachels Erzfeind Trent. Tatsächlich laufen sich auch diese zwei wieder über den Weg – und dabei kommen sie weiteren Geheimnissen um Rachels Herkunft und das Ableben ihres Vaters auf die Spur …

_Dieses Buch zeichnet_ sich vor allem dadurch aus, dass Rachel ungeahnt ernste Zwischentöne anschlägt. Der Tod ihres Freundes Kisten nimmt sie immer noch mit und sie beginnt sich existenzielle Fragen zu stellen. Hinzu kommt das Problem ihrer Herkunft. Da Trents Vater Genexperimente mit ihr durchgeführt hat, ist sie sich bis heute nicht sicher, was sie eigentlich genau ist. Eine einfache Hexe ist sie nicht, denn dafür ist sie zu mächtig, doch was dann? Vielleicht schon eine Dämonin, nachdem sie durch ihren stetigen Kontakt mit diesen Wesen eine kontaminierte Aura und mehrere Dämonenmale hat? Kim Harrison stellt den inneren Zwiespalt, in dem sich ihre Hauptfigur befindet, sehr anschaulich dar, ohne dabei aber zu vernachlässigen, dass diese ein unglaubliches freches Mundwerk hat und Katastrophen magisch anzieht. Nach sechs Bänden hat Harrison mit ihrer Protagonistin mittlerweile eine Tiefe und Intensität erreicht, die andere Autoren in ihrer ganzen Karriere nicht erreichen.

Leider kommen bei dieser starken Konzentration auf die Hauptfigur Andere dieses Mal etwas zu kurz. Gerade Jenks und seine Familie, die den Leser sonst häufig erheitert haben, treten weniger auf. Dafür werden andere Figuren umso öfter eingesetzt, Rachels Mutter beispielsweise. Sie kam vorher eher selten vor, wird in „Blutnacht“ aber endlich ausführlich vorgestellt. Genau wie ihre Tochter – und alle andere Figuren im Buch – ist sie sehr sauber ausgearbeitet und sprüht nur so vor Originalität – und Geheimnissen. Es ist wirklich bewundernswert, wie die Autorin es auch nach so vielen Seiten schafft, noch Spannendes aus Rachels Vergangenheit aufzudecken.

Diese Geheimnisse bringen Schwung in die Handlung, die dieses Mal zwar nicht die üblichen Längen hat, aber trotzdem nicht wirklich zünden möchte. Ihr Kern – die Auseinandersetzung mit Al – ist ziemlich lasch und die Kämpfe zwischen den beiden werden allmählich langweilig. Immerhin werden die einzelnen Nebenhandlungen sorgfältig und trotz ihrer beträchtlichen Anzahl geordnet weiter erzählt. Sie bieten noch genug Stoff für viele weitere Bücher und es bleibt zu hoffen, dass diese dann spannender sind als „Blutnacht“.

Wobei es vermessen wäre, zu behaupten, dass Harrisons sechster Rachel-Morgan-Band wirklich schlecht ist. Die kleine Handlungspanne ist das einzige, was stört. Der Schreibstil hingegen ist das gewohnte Feuerwerk aus Schimpfwörtern, einer temperamentvollen Ich-Erzählerin, viel Fantasie und wunderbaren, umfangreichen Beschreibungen. Harrison ist sogar noch stärker als zuvor, da Rachels tiefsinnige Gedanken Platz für Metaphern und völlig neue, sanftere Töne machen.

_“Blutnacht“_ ist vielleicht nicht so gut wie einige seiner Vorgänger, vereint aber alle Vorzüge von Kim Harrison zwischen zwei Buchdeckeln: Witz, Temperament und viel Fantasie.

|Originaltitel: |The Outlaw Demain Wails|
Aus dem Englischen von Vanessa Lamatsch
702 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3453526167|

http://www.heyne.de
http://www.kimharrison.net

_Kim Harrison bei |Buchwurm.info|:_

[„Blutspur“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3253
[„Blutspiel“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4512
[„Blutjagd“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5252
[„Blutlied“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5897

del Toro, Guillermo / Hogan, Chuck – Saat, Die

_Das geschieht:_

Auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen in New York landet ein Passagierflugzeug. In seinem Inneren findet man mehr als 200 blutleere Leichen und vier desorientierte Überlebende, die keine Ahnung haben, wie ihnen wann geschah. Die US-Seuchenbehörde alarmiert ihre „Canary“-Truppe, die das Flugzeug und seinen Inhalt penibel auf mögliche Giftspuren untersuchen soll; im Jahr acht nach 9/11 liegt in den USA die Vermutung einer raffinierten Terroristen-Attacke nahe.

„Canary“-Leiter Ephraim Goodweather und sein Team stellen im Rumpf der Maschine nur eine Abweichung vom Normalzustand fest: Dort steht ein uralter, mit Erde gefüllter Sarg, der kurz darauf spurlos verschwindet. Während der Leser längst seine Schlüsse gezogen hat, herrscht in den Köpfen der Ermittler weiterhin Leere. Erst Abraham Setrakian, ein alter rumänischer Pfandleiher und Wissenschaftler, bringt Goodweather und Co. auf die richtige Spur. Als junger Mann wurde er in ein Konzentrationslager verschleppt, dessen Insassen tagsüber von den Nazis ermordet und nachts von einem Vampir heimgesucht wurden. Setrakian hat dessen Attacken einst überlebt und ist ihm viele Jahre heimlich gefolgt. Nach seiner Emigration in die USA wartet er auf die Wiederkehr des Ungeheuers, um ihm endlich den Garaus zu machen.

Die Ankunft des Vampirs verdankt die noch ahnungslose Menschheit dem ebenso milliardenschweren wie kranken Konzern-Magnaten und Theologen Eldritch Palmer, der so sehr an seinem Leben und seiner Macht hängt, dass er sogar einen Pakt mit dem Teufel eingegangen ist: Der Biss des Vampirs verheißt Gesundung, Unsterblichkeit und übermenschliche Kräfte. Allerdings unterschätzt Palmer die Dankbarkeit seines ‚Gastes‘, der eigene Pläne hat, die sich um die Weltherrschaft drehen. In schmaler Besetzung bemühen sich Goodweather und Co., den „Meister“ zu stoppen, während in den Straßen von New York dessen Saat für Angst und Mord zu sorgen beginnt …

_Breitgetretener Grusel-Quark_

Existiert der Begriff „Event-Bestseller“ eigentlich schon? Falls nicht, habe ich ihn hiermit erfunden und werde ihn umgehend mit Leben füllen; Leben, das diesem seltsamen ‚Roman‘ weitgehend abgeht. Wo beginnt man, wenn man Scheitern einerseits und Enttäuschung andererseits in Worte fassen möchte? Noch stärker als in der modernen Buchindustrie ohnehin üblich, wirkt nebensächlich, was zwischen die Einbanddeckel gebunden wurde. Viel Energie wird stattdessen eingesetzt, um „Die Saat“ multimedial und möglichst werbewirksam zum Ereignis aufzubauschen. Es gibt sogar einen Videoclip zum Buch, der einen Kinofilm anzukündigen scheint.

Das ist nicht unbedingt abwegig, denn „Die Saat“ gilt als geistiges Kind von Guillermo del Toro, der zweifellos ein begnadeter Filmemacher ist. „Cronos“ (1993), „Hellboy“ (2004 u. 2008), „Pans Labyrinth“ (2006) und bald „Der Hobbit“ sind nur die Höhepunkte einer Liste phantastischer Kinowerke. Aber wie stark war und ist del Toro in das „Saat“-Projekt faktisch involviert? Hat er – der Verdacht liegt nahe – nur die „Idee“ gehabt und in groben Zügen entwickelt, worauf ein Lohnschreiber dem vielbeschäftigten Meister zur Seite sprang und das eigentliche Formulieren übernahm? Dass del Toros Name deutlich größer auf dem Titel prangt als „Chuck Hogan“, spricht keineswegs dagegen; del Toro trägt nun einmal den prominenteren und damit kundenlockenden Namen.

_Aus Friedhofserde wird Bockmist_

Ausgerechnet Vampire! Man spricht diese beiden Worte mit einem Stöhnen aus. Die Blutsauger treten sich längst gegenseitig auf die Totenhemden. Vor allem seit sie zur Projektionsfigur für pubertäre Mädchen degenerierten, suchen die Untoten die Unterhaltungsmedien dieser Welt inflationär heim. Immer neue Trittbrettfahrer springen auf diesen Zug auf und versuchen, mit minimalem Erzähltalent ihr Publikum maximal auszubeuten. Schwülstige Lovestory und stumpfer Metzel-Horror bilden die Enden dieser Vermarktungskerze, die an beiden Enden kräftig brennt.

Von einem Mann wie Guillermo del Toro hätte man neue Impulse in Sachen Vampir-Horror erwartet. Stattdessen drischt er nur Stroh. „Die Saat“ bietet keine echte Idee, sondern präsentiert ausschließlich Bekanntes, Bewährtes und Ausgelaugtes im Gewand einer Hit-&-Run-Story. Wer während der Lektüre echte Unterhaltung sucht, mache sich den Spaß, die gerade gelesenen Passagen Szenen aus Filmen zuzuordnen, von denen sie ‚inspiriert‘ wurden. (Keine Sorge, dies ist möglich, ohne dass darüber der rote Faden der Geschichte verloren ginge.)

Dreist proklamiert das Autorenduo die Alleinherrschaft des Klischees. Was eigentlich schon nach wenigen Buchseiten eindeutig ist, wird als Geheimnis förmlich zelebriert. Endlos lassen del Toro und Hogan ihre offenbar zum Wohle der Handlung lobotomisierten ‚Helden‘ über die ‚Rätsel‘ eines mit Erde gefüllten Sarges oder blutleer gesaugte Menschen spekulieren. Verdammt noch einmal – jedes Kind weiß, dass hier Vampire ihr Unwesen treiben! Um das spannungsförderlich zu verschleiern, müssten die Autoren deutlich raffinierter vorgehen.

_Tempo, Tempo, damit niemand einschläft!_

War „Die Saat“ ursprünglich als Drehbuch geplant? Der ‚Roman‘ zerfällt in unzählige Kapitel und Kapitelchen, die einen hektisch geschnittenen, ’schnellen‘ Film vor- und widerspiegeln. Vielleicht ist das gut so; hat der Leser nach wenigen Zeilen begriffen, dass ihm ein weiteres vorgestanztes Ereignismodul vorgesetzt wird und er daraufhin einzunicken droht, wird er zur nächsten ‚Sensation‘ gerissen.

Paradoxerweise tritt die Handlung trotz ständiger Ortswechsel auf der Stelle. An sich klar verständliche Szenen werden erneut ins schier Unendliche gedehnt. Schon die Bergung der scheintoten Flugzeug-Passagiere beansprucht beinahe ein Buchdrittel. Technobabbel soll Realitätsnähe suggerieren. Noch das kleinste und unwichtigste Detail wird exzessiv beschrieben. Vermutlich kann der Leser nach der „Saat“-Lektüre mit geschlossenen Augen ein Flugzeug der Marke Boeing 777 auseinandernehmen und wieder zusammensetzen. Später wird der Vampirismus als virale Mutation ‚wissenschaftlich‘ erklärt, was die Story weder fordert noch ihr hilft.

Als die ’neuen‘ Vampire dann durch die Straßen von New York stürmen, lassen die Autoren ihnen immer wieder neue Bürger ahnungslos vor die Fänge laufen. Dass die Blutsauger gefährlich sind, haben wir spätestens nach der zweiten oder dritten Metzelei verstanden. Folglich ist es unnötig bis kontraproduktiv, uns mit Blutbad vier bis zehn zu langweilen, statt endlich die eigentliche Handlung voranzutreiben!

_Hohle Helden für ein grobes Buch_

Dem dürren Handlungsfaden entsprechend fällt die Figurenzeichnung so flach aus, dass der Mediziner wahrscheinlich von einer Flatline spräche. Ernsthaft fragt man sich, ob ein Name wie „Ephraim Goodweather“ Ironie andeuten soll. Da die Handlung generell unter ihrem Bierernst zusammenzubrechen droht, ist davon nicht auszugehen. Die nicht mit der Schreibfeder, sondern wie mit dem Maschinengewehr zum Einsatz gebrachten Klischees bestätigen die unguten Vermutungen. Ephraim ist ein zerstreutes Genie und viel zu nett für diese grobe Welt. Das zielt primär gegen seinen der Politik und den Medien hörigen Chef, der ihm im Kampf gegen die Vampire ständig in die Parade fährt, um „Panik zu vermeiden“.

Auch privat hat es Ephraim nicht leicht. Von Gattin Kelly wurde er geschieden, weil sie seine idealistische Hingabe an den Job nicht ertrug. Inzwischen hat er in seiner Assistentin Nora eine viel ‚bessere‘ Lebensgefährtin gefunden. Weil er Kelly insgeheim noch immer liebt – so ein Guter ist unser „Eph“! -, merkt er das aber nicht. Stattdessen frönt er seiner Affenliebe zu Sohn „Zach“, einer pubertierenden Pestgestalt, die muffig wird, wenn Papa die Welt retten will, statt mit ihm am Sonntag zum Baseballspiel zu gehen.

Als wissend-würdiger Graubart in beratender Funktion agiert Abraham Setrakian, den die Autoren offensichtlich nach Bram Stokers Dracula-Jäger Van Helsing formten. Während sein Vorbild dem Vampir-Grafen höchst nachdrücklich auf den Fersen war, beschränkt sich Setrakian darauf, im Keller seiner Pfandleihe Anti-Vampir-Waffen zu bunkern. Zu einem echten Plan hat er es nie gebracht. Erst Eph beendet den Dornröschenschlaf dieses ‚Spezialisten‘.

_In der Gewalt von Proll-Vampiren_

Die Gegenseite ist nicht eindrucksvoller aufgestellt. Der vampirische „Meister“ legt großen Wert auf eindrucksvolle Auftritte, die er mit bedrohlichen Ankündigungen à la „Jetzt hat deine letzte Stunde geschlagen!“ zu würzen pflegt. Obwohl er so böse und schlau und böse und stark und böse ist, wird er vom schwächlichen Eph und seinen Mitstreitern mächtig in den untoten Arsch getreten; das kommt auch für den Leser überraschend, nachdem es bis kurz vor dem Finale so aussah, als liefe alles nach Plan für den „Meister“.

Des Meisters untote Schergen entsprechen dem modernen Klischeetyp zwei – sie schmachten keine Jungfrauen an, sondern schneiden ihnen die Hälse durch. Auch sonst können sie vor Kraft kaum laufen, toben meuchelnd durch die Stadt, lassen sich mit Kugeln unterschiedlichsten Kalibers vollpumpen (nützt nichts) und zerbröseln detailfroh eklig, wenn sie angeleuchtet werden oder man ihnen die Köpfe abschlägt – ein Effekt, der in unzähligen Variationen wiederholt wird.

Das Ende bleibt offen, denn „Die Saat“ ist nur der Start in eine Trilogie, für deren Verlauf der erste Teil wahrscheinlich als Blaupause dient: Es wird ca. weitere 1000 Seiten verfolgt (Eph & Co.) und getückt („Meister“ und Brut) sowie gerannt und gemetzelt (alle). Höchstens die Dimension des künstlich aufgerührten Grauens ändert sich, wenn ab Band zwei noch sechs weitere „Mächtige“ mitmischen, die bisher die Umtriebe ihres abtrünnigen Gefährten zwar ungnädig, aber tatenlos zur Kenntnis nahmen. Ob die daraus resultierenden Verwicklungen jene versöhnen können, die sich durch den Auftaktband gekämpft haben? Ekstatisch werden dagegen jene Leser auf die Fortsetzung warten, die ein Faible für frisch aus der Klischee-Retorte gezapften Krawall-Horror haben. Wenigstens sie dürfen sich gut bedient fühlen.

_Die Autoren_

Guillermo del Toro (geb. 1964 in Guadalajara/Mexiko) ist bisher primär als Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent bekannt geworden. Nachdem er zunächst eine Firma für Spezialeffekte gegründet hatte, drehte del Toro 1993 seinen ersten Spielfilm. „Cronos“ dokumentiert bereits die Vorliebe seines Regisseurs für das phantastische Genre, wobei del Toro das Übernatürliche gern als märchenähnliches Element in den realen Alltag einbrechen lässt. So spielen sowohl „The Devil’s Backbone“ (2001) als auch „Pans Labyrinth“ (2006) im faschistischen Spanien des II. Weltkriegs.

Um seine filmischen Fantasien im großen Stil verwirklichen zu können, ging del Toro in den 1990er Jahren nach Hollywood, wo er sich zunächst als kompetenter und filmindustriekompatibler Regisseur für Popcorn-Horror („Mimic – Angriff der Killerinsekten“, 1997; „Blade II“, 2002) empfahl, bevor er sich mit „Hellboy“ (2004) nicht nur einen aufwändigen Filmtraum erfüllen konnte, sondern auch Kommerz mit Imagination zu mischen verstand. Vorläufiger Höhepunkt dieses gelungenen Spagats stellt das Engagement als Regisseur der zweiteiligen Verfilmung des Tolkien-Klassikers „Der Hobbit“ dar, mit der del Toro 2010 und 2011 in die Fußstapfen von Peter Jackson („Der Herr der Ringe“) treten wird.

Guillermo del Toro arbeitet als Drehbuchautor nach eigener Auskunft wie ein Schriftsteller. Für die einzelnen Rollen entwirft er regelrechte Biografien, auf die sich die Darsteller stützen können. Insofern war der Schritt zum ‚echten‘ Buchautoren wohl nur eine Frage der Zeit.

Da del Toro ein vielbeschäftigter Mann ist, holte er sich professionelle Schützenhilfe. Obwohl Chuck Hogan bereits seit 1995 Thriller veröffentlicht, die (auch in Deutschland) von der Literaturkritik positiv aufgenommen werden, blieb der eigentliche Durchbruch als Bestseller-Autor bisher aus. Die Zusammenarbeit mit Guillermo del Toro soll und könnte hier Abhilfe schaffen.

Die „Saat“/“Strain“-Trilogie erscheint im Wilhelm-Heyne-Verlag:

(2009) The Strain (dt. „Die Saat“)
(2010) The Devouring (noch nicht erschienen)
(2011) Eternal Night (noch nicht erschienen)

_Impressum_

Originaltitel: The Strain (New York : HarperCollins 2009)
Übersetzung: Jürgen Bürger u. Kathrin Bielfeldt
Deutsche Erstausgabe (geb.): September 2009 (Wilhelm Heyne Verlag)
527 Seiten
EUR 19,95
ISBN-13: 978-3-453-26639-1
http://www.heyne.de
http://www.heyne.de/diesaat

Als Audio-Book: September 2009 (Random House Audio)
Gesprochen von David Nathan
6 CDs (ca. 420 min)
EUR 24,95
ISBN-13: 978-3-8371-0165-2
http://www.randomhouseaudio.de

Ransom, Christopher – Haus der vergessenen Kinder, Das

_Das geschieht:_

Durch Versicherungsgeld nach dem Unfalltod des Vaters zu Vermögen gekommen und ohnehin auf der Suche nach einem neuen Heim, erwirbt Conrad Harrison, ehemals erfolglos in Hollywoods Filmindustrie tätig, in Black Earth, einem abgelegenen Städtchen im Südwesten des US-Staates Wisconsin, ein 140 Jahre altes Haus. Gattin Joanne, eine erfolgreiche Geschäftsfrau, lässt sich zum Wohl der kriselnden Ehe auf das Abenteuer ein; man denkt sogar über Kinder nach.

Die Harrisons bringen ihre ungelösten Konflikte mit ins neue Heim. Bald verlässt Joanne Black Earth, um an einem achtwöchigen Fortbildungslehrgang teilzunehmen. Allein und eifersüchtig bleibt Conrad zurück. Er mag an Joannes Treue nicht glauben. Außerdem wird ihm sein Haus bald unheimlich. Frauengestalten tauchen trotz sorgfältig verschlossener Türen in den Zimmern auf, Babygeschrei ertönt, eine hässliche und sehr lebendige Kinderpuppe bedroht ihn im Schlafzimmer.

Der erschrockene Neubesitzer stellt Nachforschungen an. Das alte Haus hat eine Vorgeschichte. Es diente lange als „Geburtshaus“. Während des I. Weltkriegs kamen ledige oder verwitwete Frauen hierher, um betreut von einem Arzt ihre Kinder zur Welt zu bringen. Als Spukhaus gilt das Gebäude in Black Earth nicht. Trotzdem wissen einige Bürger mehr, als sie Conrad mitzuteilen gedenken. So hat Nadia Grum, die hochschwangere Tochter der unmittelbaren Nachbarn, Unerfreuliches in dem Haus erlebt, als es noch den Laskis gehörte, deren Kinder dort sämtlich debil und behindert geboren wurden.

In seiner Einsamkeit macht sich Conrad an Nadia heran, was deren labilen Freund Eddy in gefährlichen Zorn versetzt. Während die Erscheinungen im Geburtshaus an Stärke und Gewalt zunehmen, beginnt Conrad an seinem Verstand zu zweifeln. Vergangenheit und Gegenwart mischen sich, bis es – geschürt durch den Geist des Hauses – zur Tragödie kommt …

_Leben & Tod_

Wir haben: das alte, unheimliche Haus; seinen geistig derangierten und daher spukempfänglichen Bewohner; ein ungesühntes Unrecht, das eine Seele nicht in ihrem Grab ruhen lässt; allerlei Freunde, Nachbarn und brave Bürger, die zwar etwas wissen, aber bockig schweigen oder rein gar nichts merken und dem Grauen in die Hände arbeiten.

Wie lässt sich aus diesen Elementen noch Überraschendes destillieren – und wollen wir das überhaupt? Das verfluchte Haus ist ein Klassiker, der eigentlich nur variiert, aber nicht neu erfunden werden muss. Das klappt sowieso nicht, wie viel zu viele Bücher und Filme fatal unter Beweis stellen. Auf die üblichen Zutaten mag oder kann auch Christopher Ransom deshalb nicht verzichten. Trotzdem findet er die Weiche auf ein zwar ebenfalls frequentiertes, aber nicht gar zu oft befahrenes Nebengleis: Nicht alte Schuld und der Drang nach Rache aus dem Totenreich wecken das Geburtshaus. Ausgerechnet die Sehnsucht nach dem Leben gerät außer Kontrolle und gipfelt in einem blutigen Drama.

Die Liebe als dem Hass an Stärke ebenbürtige (und von manchen Philosophen als seelenverwandt betrachtete) Emotion ist wesentlich schwieriger in ein überzeugendes Ungeheuer für eine phantastische Geschichte zu verwandeln als die Botschafter des Todes. Vampire, Zombies, Werwölfe und andere Gestalten der Finsternis sind mehr oder weniger fest definierte Größen, die leicht abgerufen werden können. Doch welche Gestalt nimmt die Liebe an, wenn sie ihre Schattenseite offenbart?

_Sex & Geburt_

Sex und Fortpflanzung sind zwei Manifestationen. Lust und Freude werden nicht selten durch Zorn und Angst gespiegelt. Solche Emotionen bringen die Harrisons ausgerechnet in ein Haus mit, das einst als Geburtsstätte errichtet wurde. Seine Mauern haben sich förmlich vollgesogen mit unkontrollierten Gefühlen. Dazu kommt (natürlich!) ein dunkles Geheimnis, das dazu führt, dass sich die Spannung im Haus zwar über die Jahre abgeschwächt hat, ohne indes verschwunden zu sein, da ihre Quelle weiterhin existiert. Als die Harrisons erscheinen, ‚lädt‘ das Haus sich erneut auf, und seine unsichtbaren Bewohner erscheinen.

Ransom gibt sich – ein wenig zu deutlich – große Mühe, dieses Konzept realistisch mit literarischem Leben zu füllen. Drei Jahre hat er an seinem ersten Roman geschrieben, hat (wie er in einem ausführlichen Nachwort beschreibt) viele persönliche Erlebnisse und Erfahrungen verarbeitet und wurde dabei von einem Eifer getrieben, der ihn über das Ziel manchmal hinausschießen ließ. „Das Haus der vergessenen Kinder“ soll ‚modernen‘ Horror im Stil von Clive Barker, Peter Straub oder Stephen King bieten. Faktisch haben die drei Altmeister jedoch nicht nur das Zweigestirn Tod & Liebe deutlich besser im Griff, sondern auch das Talent und die Erfahrung, eine Geschichte zügig und eindringlich zu erzählen.

_Anfang & Mitte & Ende_

Der Berg kreiste und gebar ein Mäuslein, lautet ein altes Sprichwort, das Ransoms Dilemma präzise beschreibt: Noch bevor wir Black Earth überhaupt betreten haben, stecken wir bereits bis zum Hals in dramatischen Eheproblemen, die zur Explosion mit üblen Folgen eigentlich gar kein Spukhaus benötigen. Conrad und Joanne machen sich das Leben perfekt zur Hölle. Kein Wunder, dass Joanne über viele hundert Seiten aus dem Geschehen verschwinden muss, damit der aufgewühlte Conrad überhaupt in die Lage gerät, das Erscheinen der Gespensterfrau Alma zu registrieren.

Dieser Mittelteil gehört Conrads Kampf mit Einsamkeit und Eifersucht sowie dem Zerfall einer Psyche, die durch ebenfalls aufwendig eingespielte Schuldgefühle aus den Fugen gerät. Freilich ist uns das ziemlich gleichgültig; während es Stephen King gelungen wäre, aus Conrad eine sympathische Figur zu machen, hätten Peter Straub oder Clive Barker ihn in einen überzeugenden Widerling verwandelt. In jedem Fall hätten wir Anteil an seinem Schicksal genommen. Ransoms Conrad ist vor allem irrational. Was ihn treibt und bedrängt, will uns der Autor wort- und bildreich und bitterernst verdeutlichen. Solcher Nachdruck wäre gar nicht nötig und ist eher kontraproduktiv, weil er aufs Tempo drückt und Leerlauf produziert.

In der Zwischenzeit beginnt der Hausspuk genretypisch anzuschwellen. Hier konzentriert sich Ransom auf die üblichen Vorkommnisse: Schatten, Geräusche, dann huschende Gestalten und verängstigte Hunde, schließlich offenes Geistern diverser unzufriedener Seelen. Davon wünscht man sich mehr, denn das weiß der Verfasser eloquent zu beschreiben. Ransom ist kein Subjekt-Prädikat-Objekt-Punkt-Stammler, sondern arbeitet mit Worten, die sich gern zu langen, verschlungenen Sätzen fügen, und er vermag Stimmungen zu vermitteln.

Im Finale zieht Ransom die Zügel fester an. Erst jetzt und jetzt endlich verschmelzen Form und Inhalt. Die Auflösung ist erschreckend (und auch erschreckend banal), aber sie geht in einer Handlung auf, der es an Schock und Konsequenz nicht fehlt. Das versöhnt mit dem langen Weg dorthin, wozu sich die Freude über einen Schriftsteller gesellt, der „Horror“ nicht mit Buh-Grusel für junge oder (im Kopf) allzu jung gebliebene Leser gleichsetzt, sondern (beileibe nicht perfekt aber plausibel) belegt, dass dies auch ein Genre für ein erwachsenes Publikum ist.

_Der Autor_

Christopher Ransom wurde im Jahre 1972 in Boulder (US-Staat Colorado) geboren. Hier wuchs er auf, ging zur Schule und studierte Literatur an der Colorado State University. Nach seinem Abschluss arbeitete Ransom für einen Hersteller von Sportartikeln, bevor er für eine Firma tätig wurde, die Schlangen und andere Reptilien aus tropischen Regionen importierte und verkaufte.

Nach einem zweijährigen Intermezzo in New York City ging Ransom, inzwischen verheiratet, Ende der 1990 nach Los Angeles, wo er sich vergeblich als Drehbuchautor versuchte. 2004 verließen die Ransomes die Filmstadt. In Mineral Point im US-Staat Wisconsin erwarben sie ein altes Haus, dessen Geschichte Ransom zu seinem Romanerstling inspirierte, der nach dreijähriger Arbeit 2009 unter dem Titel „The Birthing House“ (dt. „Das Haus der vergessenen Kinder“) veröffentlicht wurde. Ransom zeigte sich hier als Schriftsteller in der ‚phantastischen‘ Tradition von Dan Simmons, Stephen King, Clive Barker oder Jack Ketchum. Dem Genre blieb Ransom auch in seinem zweiten Roman („The Haunting of James Hastings“) treu.

Über sein Leben und seine Arbeit informiert Christopher Ransom auf seiner Website: [www.ransomesque.com.]http://www.ransomesque.com

_Impressum_

Originaltitel: The Birthing House (New York : St. Martin’s Press 2009)
Dt. Erstausgabe: Juni 2009 (Ullstein Verlag/TB Nr. 28042)
Übersetzung: Marie Rahn
430 Seiten
EUR 8,95
ISBN-13: 978-3-548-28042-4
http://www.ullstein-taschenbuch.de

Lindqvist, John Ajvide – Menschenhafen

_Das geschieht_

Die Insel Domarö liegt in der schwedischen Ostsee. Früher lebten hier vor allem Fischer, aber inzwischen bringen die Sommerurlauber vom Festland das meiste Geld. Die Einheimischen lieben sie nicht und bleiben am liebsten unter sich, zumal sie ein düsteres Geheimnis hüten.

Zwischen den Lagern steht Anders Ivarsson. Sein Vater stammt von Domarö, und seine Großmutter lebt noch immer hier. Bis zum Februar 2004 war Anders ein glücklicher Mann – verheiratet mit seiner Jugendliebe Cecilia und Vater der sechsjährigen Maja. Bei einem Winterspaziergang über das Meereseis zum Leuchtturm von Gåvasten verschwand das Kind spurlos vor den Augen der entsetzten Eltern.

Den Verlust von Maja hat vor allem Anders nie verwunden. Er begann zu trinken, und Cecilia trennte sich von ihm. In seiner Not kehrt Anders auf die Insel zurück, um seiner toten Tochter nahe zu sein. Großmutter Anna-Greta und ihr Lebensgefährte, der Zauberkünstler Simon, nehmen ihn herzlich auf.

Doch Anders findet keinen Frieden. Seltsame Träume und Visionen suchen ihn heim. Er beginnt zu glauben, dass Maja noch lebt und um Rettung fleht. Auf Domarö ereignen sich seltsame Vorfälle. Seltsame Akte sinnloser Gewalt verstören die Inselbevölkerung, die durchaus ahnt, was da vorgeht, wie Anders herausfindet. Vor vielen Jahren wurde ein Pakt mit einer mysteriösen Macht im Meer geschlossen. Auch Maja fiel ihr zum Opfer; für Anders ein Grund, der Kreatur den Kampf anzusagen. Die Herausforderung wird angenommen und stürzt die Menschen von Domarö ins Grauen: Die Toten kehren aus dem Meer zurück, und sie sind unbarmherzig in ihrem Zorn …

_Schöne Insel mit hässlicher Geschichte_

Wer Schubladen liebt, sortiert auch seine Lektüre gern entsprechend. „Phantastik“ klingt vielversprechend und kündigt Überraschungen an, die buchstäblich jenseits unserer Realexistenz beheimatet sind. Leider zeigt genau dieser Aspekt im Horror der Gegenwart gewaltige Defizite. In der Regel werden alte und viel zu gut bekannte Pfade eingeschlagen. Wir kennen die Kreaturen der Nacht und wissen, wie sie sich verhalten werden. Auch das kann spannend sein, ist es aber meist nicht, weil sich gleich ein Heer weder talentierter noch inspirierter Autoren auf die Ausbeutung längst ausgelaugter Ideen-Minen beschränkt.

John Ajvide Lindqvist ist an sich kein Neuerer des Genres. Auch er bedient sich klassischer Gruselfiguren. In „So finster die Nacht“ war es der Vampir, in „So ruhet in Frieden“ der Zombie. In „Menschenhafen“ ist es das namenlose Grauen aus dem Meer. Allerdings bringt Lindqvist frischen Wind in nur scheinbar erstarrte Konventionen. Die Schrecken der Vergangenheit sind durchaus noch gegenwartstauglich. Lindqvist bringt sie ins 21. Jahrhundert. Das gelingt ihm mit „Menschenhafen“ besser denn je.

_Schrecken sickert in die Welt ein_

Er bedient sich dabei einer Methode, die unter anderem Stephen King meisterhaft beherrscht, an der dessen Epigonen jedoch in der Regel scheitern: Das Grauen benötigt Zeit, bekannte Gesichter sowie jenes (trügerische) Gefühl von Sicherheit, das sich aus alltäglicher Routine speist. Zunächst werden Schauplatz und vor allem Figurenpersonal geschildert und entwickelt. Als die Finsternis über Domarö kommt, haben wir die Insel und ihre Bewohner trotz oder gerade wegen ihrer Eigenheiten liebgewonnen. Wenn sie das Verhängnis einholt, nehmen wir Anteil. Solche Emotionen lassen sich keinesfalls einfach wecken. Ein Schriftsteller muss sein Handwerk beherrschen, um diesen Effekt zu erreichen. Lindqvists dimmt in „Menschenhafen“ den Horror auf einen eher diffusen Schauer und legt das Schwergewicht auf Figurenzeichnung, Atmosphäre und Landschaftsbeschreibungen.

In diesen drei Punkten leistet Lindqvist Bemerkenswertes. Selbst dem auf Monster und Blutspritzereien geeichten Horrorfreund dürfte „Menschenhafen“ gefallen. Domarö wird im Guten wie im Bösen ein Ort, der vor dem inneren Auge Gestalt annimmt. Lindqvist gönnt sich den Luxus, die (scheinbare) Zentralgeschichte immer wieder auszusetzen. Stattdessen erzählt er vom Alltag auf einer kleinen Insel und den Erlebnissen ihrer Bewohner. Historische Rückblicke und naturwissenschaftliche Einschübe mischen sich mit Anekdoten, wobei der chronologische Zusammenhang nicht gewahrt bleibt. Mit fortschreitender Handlung wird der Leser zwischen diesen Zeilen unheilvolle Ankündigungen und Hinweise auf zukünftiges Unheil erkennen.

_Realität und Verzweiflung_

„Menschenhafen“ ist ein seltsamer Buchttitel. Er wurde ausnahmsweise korrekt übersetzt, d. h. vom Original übernommen. Faktisch kündigt er an, was geschehen wird bzw. die eigentliche Geschichte darstellt. Domarö ist der Hafen. Er wird zum Kristallisationspunkt für das Grauen aus dem Meer, das sich im Kampf mit seinen Gegnern auf dessen menschliche Schwächen verlassen kann.

Dieses Grauen verblasst vor dem realen Entsetzen, das der Zerfall einer ganz normalen Familie ausstrahlt. Die Liebesgeschichte von Anders und Cecilia wird so nachdrücklich eingeführt, dass sie nach den Gesetzen des Trivialromans den Prüfungen der Zukunft standhalten müsste. Auf dieses ausgefahrene Gleis lässt sich Lindqvist glücklicherweise nicht locken. Lange besteht der Schrecken von „Menschenhafen“ darin, dass wir gezwungen werden, Anders‘ Schmerz zu teilen.

Als der Verdacht aufkeimt, dass Maja noch lebt, klingt dies höchstens dem Vater hoffnungsfroh in den Ohren. Der Leser weiß bereits, dass Majas Wiederkehr furchtbar werden könnte. Den wahren Grund weiß Lindqvist freilich geschickt zu verschleiern. Seine Enthüllung deckt gleichzeitig eine zentrale Lebenslüge von Anders auf. Dass diese nicht im Klischee versinkt, sondern tatsächlich Betroffenheit hervorruft, spricht abermals für das Talent des Verfassers.

Zu den Hauptfiguren gehören nebens Anders seine Großmutter und ihr Partner Simon. Anna-Greta wird zur ‚Kontaktperson‘ zwischen Domarös mysteriöser Vergangenheit und gestörter Gegenwart. Simon verkörpert einerseits den ‚Auswärtigen‘, während er andererseits – auch durch seine Erfahrungen als Bühnenmagier – objektiver im Umgang mit dem Unerklärlichen ist.

_Das Meer als namenlose Kraft_

Außerdem ist Simon auf seine Weise mit dem Meer als gesichtslose aber reale Wesenheit vertraut. Der „Spiritus“, eine willenlose und mächtige Teil-Verkörperung dieses Meeres, verleiht ihm die Kraft eines echten Zaubermeisters. Das scheinbare Privileg erweist sich mit den Jahren als zwiespältiges und in der Anwendung gefährliches ‚Geschenk‘, dem Simon manche unerwünschte Erkenntnis verdankt.

Das Meer als Monster bleibt dem Leser von „Menschenhafen“ erspart. Man erahnt es höchstens im übertragenen Sinn aus dem Augenwinkel. Selbst seine Verkörperungen bleiben ohne ‚logische‘ Erklärungen. Das Seltsame geschieht und wird geschildert. Die Deutung bleibt dem Leser überlassen; der Autor gibt nur Hinweise. Das steigert die Ratlosigkeit und den Schrecken, die der Leser mit den Menschen von Domarö teilt.

Erst im Finale wird Lindqvist deutlicher, aber auch jetzt meidet er allzu offensichtliche und abgedroschene Effekte. Beinahe ertappt sich der Leser bei dem Gedanken, dass „Menschenhafen“ auch ohne Horror funktionieren, unterhalten und fesseln würde. Bedenkt man, wie bravourös der Autor Emotionen wie Liebe, Trauer oder Zorn vermitteln und dabei Spannung mit knochentrockenem Humor zu mischen vermag, überrascht dies nicht. Mit „Menschenhafen“ hat Lindqvist bewiesen, dass der ‚europäische‘ Horror kein Abziehbild US-amerikanischen Grusel-Mainstreams sein muss. Für den Beweis, dass dies gelingen kann, aber noch mehr für eine außergewöhnliche Geschichte kann man ihm dankbar sein.

_Der Autor_

John Ajvide Lindqvist wurde 1968 in Blackeberg, einem Vorort der schwedischen Hauptstadt Stockholm, geboren. Nachdem er schon in jungen Jahren als Straßenmagier für Touristen auftrat, arbeitete er zwölf Jahre als professioneller Zauberer und Comedian.

Sein Debütroman „Låt den rätte komma“ (dt. „So finster die Nacht“), eine moderne Vampirgeschichte, erschien 2004. Bereits 2005 folgte „Hanteringen av odöda“ (dt. „So ruhet in Frieden“), ein Roman um Zombies, die in Stockholm für Schrecken sorgen. „Pappersväggar“ ist eine Sammlung einschlägiger Gruselgeschichten. Lindqvist schreibt auch Drehbücher für das schwedische Fernsehen. Das prädestinierte ihn dafür, das Script für die erfolgreiche Verfilmung seines Romanerstlings zu verfassen, die 2008 unter der Regie von Tomas Alfredson entstand.

Als Buchautor ist Lindqvist in kurzer Zeit über die Grenzen Schwedens hinaus bekannt geworden. Übersetzungen seiner Werke erscheinen in England, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Polen und Russland.

_Impressum_

Originaltitel: Människohamn (Stockholm : Ordfront Förlag 2008)
Übersetzung: Paul Berf
Deutsche Erstausgabe: Mai 2009 (Lübbe Verlag/Paperback)
556 Seiten
EUR 14,95
ISBN-13: 978-3-7857-6006-2
http://www.luebbe.de

Als Hörbuch: Mai 2009 (Lübbe Audio)
6 CDs, gelesen von Sascha Rotermund
439 min
EUR 19,95
ISBN-13: 978-3-7857-3828-3
http://www.luebbe-audio.de

_Mehr von John Ajvide Lindqvist auf |Buchwurm.info|:_

[„So finster die Nacht“ 5218
[„So ruhet in Frieden“ 5364

Fritz Leiber – Hexenvolk

Ausgerechnet eine Universität wird zum Stützpunkt eines Hexenclubs, der seine Privilegien mit tödlichen Flüchen zu sichern weiß. Ein junger Professor und seine Frau bekämpfen die Zauberfrauen mit ihren eigenen Mitteln … – Nach über einem halben Jahrhundert wirkt dieser phantastische Klassiker ungemein frisch. Spannend und überzeugend bringt Leiber das Thema in die Gegenwart: Qualitäts-Horror für Leser, die vom Genre mehr als scheinbrünstige Vampirchen fordern. Fritz Leiber – Hexenvolk weiterlesen

Handeland, Lori – Wolfsglut (Geschöpfe der Nacht 3)

Band 1: [„Wolfskuss“ 5012

Ausnahmsweise ist einmal die Frau die Bestie – oder zumindest ein bisschen. In Lori Handelands Romantic-Fantasy-Buch „Wolfsglut“ hütet die junge, hübsche Virologin Dr. Elise Hanover nämlich ein düsteres Geheimnis: Bei Vollmond verwandelt sie sich in einen Werwolf …

Allerdings tut sie gleichzeitig Gutes. In einem streng geheimen Labor der Organisation der „Jägersucher“ forscht sie nach einen Gegenmittel gegen das Virus, das Menschen zu Werwölfen werden lässt. Niemand weiß von ihrer Existenz, doch eines Tages taucht Nic, ihre alte Liebe, die sie vor sieben Jahren Hals über Kopf verlassen hat, wieder bei ihr auf. Er ist FBI-Agent und auf der Suche nach vermissten Personen.

Obwohl sie immer noch Gefühle für einander empfinden verhält sich Elise ihm gegenüber abweisend. Als wenig später Elises Labor in die Luft fliegt, bleibt ihnen allerdings nichts anderes übrig, als zusammen zu arbeiten. Das Labor liegt nämlich abgelegen in einem Waldstück, und als mit einer Silberkugel auf Elise geschossen wird, ist ihr klar, dass jemand weiß, was sie ist und hinter ihr her ist. Gemeinsam mit Nic flieht sie nach Winsconsin, wo Elises Chef ein Rudel von Werwölfen jagt. Doch ihre Verfolger bleiben ihnen auf den Fersen. Nic hat noch immer keine Ahnung, was Elise ist – und der Vollmond nähert sich …

_“Wolfsglut“_ bietet Romantic Fantasy mit viel Gewicht auf „Romantic“ und weniger Gewicht auf „Fantasy“. Dass einmal die Frau das Monster ist, ist eine nette Abwechslung, aber ansonsten ist Handelands Roman nicht unbedingt eine Bereicherung des Genres. Die Werwölfe werden als menschenfressende Monster dargestellt, weitere übernatürliche Wesen findet man kaum in der Geschichte. Einzig ein wenig Indianerzauber kommt noch vor, doch von der Kreatitivität einer Kim Harrison oder Patricia Briggs ist die Autorin weit entfernt.

Trotz der Werwölfe spielt das Buch in einer sehr alltäglichen Welt. Die Handlung selbst bezieht viel Dynamik aus den unausgesprochenen und später ausgelebten Gefühlen zwischen Nic und Elise. Die Jagd nach den Monsterwölfen in Winsconsin und die Verfolger, die es auf das verhinderte Liebespaar abgesehen haben, spielen auch nur eine Nebenrolle. Wirklich spannend ist die Geschichte deshalb nicht. Es gibt zwischendurch Durststrecken, vorhersehbare Ereignisse und so gut wie keine Überraschungen.

Bei den Personen konzentriert sich die Autorin auffällig stark auf Nic und Elise. Sie erzählt zwar nur aus der Ich-Perspektive von letzterer, aber alle anderen Personen spielen nur am Rande eine Rolle. Sämtliche von Elises Jägersucherkollegen werden erwähnt, aber nicht wirklich charakterisiert. Sie bleiben verschwommen und können dadurch nicht viel zur Geschichte beitragen. Elise hingegen wird recht deutlich gezeichnet, vor Allem, was ihre Vergangenheit angeht, aber auch sie hinterlässt keinen bleibenden Eindruck. Dafür mangelt es ihr an Wesenszügen, die sie wirklich von Anderen abhebt.

Das einzige, was die Protagonistin ausmacht, ist ihr dezenter Humor und ihr Erzählstil. Sie wendet sich während der Geschichte immer wieder direkt an den Leser und erklärt auch entsprechend, als ob sie genau wüsste, wer dieses Buch liest. Diese geschickt gewählte Strategie sorgt dafür, dass man sich als Leser mit Elise verbunden fühlt. Ansonsten schreibt Handeland sicher und flüssig, aber nicht besonders originell.

_In der Summe_ ist „Wolfsglut“ daher ein Buch, dass man lesen kann, aber nicht lesen muss. Wer kein Fan von romantischen Liebesgeschichten ist, wird vermutlich wenig Freude an der Geschichte haben.

|Originaltitel: Dark Moon
Aus dem Englischen von Patricia Woitynek
352 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3802582073|
http://www.egmont-lyx.de
[Website der Autorin]http://www.lorihandeland.com

Ilona Andrews – Die Nacht der Magie (Stadt der Finsternis 1)

Ilona Andrews klingt auf den ersten Blick wie ein ganz gewöhnlicher Autorenname. Tatsächlich verbergen sich dahinter aber zwei Menschen, nämlich ein amerikanisches Ehepaar, das gemeinsam begonnen hat, eine Dark-Fantasy-Reihe mit dem Titel „Stadt der Finsternis“ zu schreiben. Wie fruchtbar eine solche Partnerarbeit sein kann, zeigt der erste Band „Die Nacht der Magie“.

_Kate Daniels_ ist eine Söldnerin, die Magie und Kampfkunst beherrscht. Sie vertreibt magische Wesen aus Atlanta und Umgebung, die von den Wellen Magie, die die Stadt immer wieder heimsuchen, in das Leben der Menschen gespült werden. Diese Arbeit ist nicht besonders einträglich, aber Kate ist ihre eigene Herrin und keinem Arbeitgeber unterworfen.

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Saintcrow, Lilith – Höllenritt (Dante Valentine – Dämonenjägerin 2)

Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu geben, dass besagt, dass die Heldinnen in Dark Fantasy-Büchern immer wunderschöne, fast schon elfengleiche Wesen von großer erotischer Ausstrahlung sein müssen. Die amerikanische Autorin Lilith Saintcrow hüpft mit ihrer „Dante Valentine – Dämonenjägerin“-Serie aus der Reihe. Dante ist zwar auch überirdisch schön, doch seit sie im ersten Band mit Luzifer aneinander geraten ist, ist sie Halbdämonin. Ihre rechte Hand ist verkrüppelt, die meisten Menschen finden sie einschüchternd – doch das stört die kämpferische Einzelgängerin nicht wirklich. Dass ihr Geliebter, der Dämon Japhrimel, tot ist, hingegen schon.

_Um sich von ihrer Trauer_ abzulenken, geht Dante ihrem Job als Kopfgeldjägerin nach. Sie geht dabei ständig aufs Ganze und begibt sich in Lebensgefahr. Zusammen mit ihrem Mitarbeiter Jace, ihrem ehemaligen Geliebten, der immer noch etwas für sie empfindet, machen sie im dystopischen Saint City Verbrecher dingfest. Eines Tages wird Dante von ihrer Freundin Gabe gebeten, ihr bei einem Kriminalfall zur Seite zu stehen. Ein brutaler Mörder hat einen Menschen, eine Sexhexe und eine Nekromantin umgebracht. Dante, die in Menschengestalt selbst eine Nekromantin war, soll sich in die Leiche von Christabel Moorcock hinein versetzen. In ihrer neuen halbdämonischen Gestalt hat sie das noch nicht getan und es endet beinahe tödlich für sie, als sie es versucht.

Christabel hat jedoch vor ihrem Tod eine Nachricht hinterlassen, die nach Rigger Hall führt. Rigger Hall war Schule und Waisenhaus für Dante und andere psionische Kinder (Kinder mit magischen Kräften), die dort ausgebildet wurden, aber auch unter ihrem sadistischen Direktor und dessen Methoden leiden mussten. Die Erinnerung an diese Zeit raubt Dante fast die Kraft. Als auch noch ihr Kollege Jace getötet wird, schwört sie Rache – wer auch immer hinter den Morden steckt …

_Im zweiten Band_ der Reihe muss sich die toughe Dante mit ihrer schrecklichen Kindheit auseinandersetzen. Das ist ein sehr geschickter Schachzug. Der Leser lernt sie dadurch besser kennen und Saintcrow macht nicht den Fehler, den Leser durch schwachbrüstige Krimihandlungen, die mehr als Mittel zum Zweck dienen, zu quälen. Die Handlung ist dementsprechend spannend, da sie immer wieder neues aus Dantes düsterer Vergangenheit zu Tage bringt. Mitreißend und actionreich bietet „Höllenritt“ kaum einen Moment der Ruhe. Gepaart mit dem intensiven Einblick in Dantes Gedankenwelt entwickelt sich ein fesselnder, dichter Plot, der den Leser wahrlich auf einen Höllenritt mit nimmt.

Dies geschieht in einer Science-Fiction-Welt, die sich stark von dem unterscheidet, was andere Dark Fantasy zu bieten hat. Alles ist neu in dieser Welt. Es gibt zwar bekannte Städte- und Ländernamen, aber das gesamte Regierungssystem ist ein anderes. Die Welt wird durch Hegemonien beherrscht, es ist die Rede von einem Siebzigtagekrieg, ständig geht es um Psione, also „magiebegabte“ Menschen und andere Übersinnlichkeiten. Es gibt keine Autos, kaum die gewohnte Elektronik. Stattdessen werden Gleiter verwendet, Datbänder, Holovids – Saintcrow hat sich ihre eigene Kulisse gebastelt und weiß durch Detailgenauigkeit und Sorgfalt zu überzeugen. Der Einstieg in diese Welt erfolgt zwar etwas ruppig, aber bereits nach wenigen Seiten hat man sich an sie gewöhnt. Das Glossar am Ende des Buches ist dabei sehr hilfreich, auch wenn es ruhig etwas umfassender hätte sein können. Gerade die alltäglichen Gerätschaften werden dort kaum erwähnt, aber auch in der Geschichte nie wirklich beschrieben.

Andere Kleinigkeiten schlachtet die Autorin dafür umso mehr aus. Sie erzählt aus Dantes Ich-Perspektive und lässt kaum einen Gedanken ihrer Protagonistin aus. Einzelne Situationen beschreibt sie seitenlang, obwohl man sie auch wesentlich kürzer abhandeln könnte. Gerade der Anfang wird dadurch zu einer Qual, doch ist der Einstieg erstmal gelungen, zieht Saintcrow das Tempo an. Ihr Erzählstil wird knapper, sicherer und macht mehr Spaß. Er wird vor allem durch die düsteren, deprimierten Gedanken Dantes und ihren Humor geprägt. Beides lässt ihn unverwechselbar werden.

Das Gleiche gilt für die Protagonistin selbst. Auch sie findet sich in ähnlicher Form in keinem anderen Buch. Während sie im [ersten Band]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5288 der Reihe noch menschlich war, hat sie sich mittlerweile in eine Halbdämonin verwandelt. Das ist eine nette Abwechslung zu all den Vampiren, Hexen und Werwölfen. Abgesehen davon hat sie auch wesentlich mehr Biss. Sie ist eine Kämpferin, sie kann sich selbst verteidigen und sie ist vor Allem emanzipiert. Sie verfällt nicht in eine besinnungslose Schwärmerei für die Reize eines attraktiven Mannes – im Gegenteil. Sie steht mit beiden Beinen im Leben, ohne dabei unweiblich zu wirken. Die Härte, die sie nach außen zeigt, und die innere Zerrissenheit, von der nur der Leser erfährt, erzeugen eine faszinierende Frauenfigur, die man als Leser gerne bei ihren Abenteuern begleitet.

_Was am Ende bleibt_ ist ein unglaublich gut gemachter, spannender, mitreißender Dark Fantasy-Roman. Dass Saintcrows Detailverliebt sie ab und an stolpern lässt, ist ein Manko, das man in Kauf nehmen muss. Allerdings ist es auch diese Kleinteiligkeit, die bewirkt, dass Saintcrows Fantasiewelt vor den Augen des Lesers zum Leben erwacht. „Höllenritt“ ist sogar noch besser als „Teufelsbraut“ und zementiert Saintcrows Platz in den oberen Rängen der Dark Fantasy-Autorinnen.

|Originaltitel: Dead Man Rising
Aus dem Englischen von Katrin Mrugalla und Richard Betzenbichler
426 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3802581953|
http://www.egmont-lyx.de

_Lilith Saintcrow bei |buchwurm.info|:_
[„Teufelsbraut (Dante Valentine – Dämonenjägerin 1)“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5288

Eileen Wilks – Verlockende Gefahr (Wolf Shadow 1)

Mit dem Aufkommen von Dark Fantasy – Büchern mit einem guten Schuss Romantik hat sich der |Lyx-Verlag| als eine verlässliche Quelle für Fans dieses Genres etabliert. Mit „Wolf Shadow: Verlockende Gefahr“ startet eine neue Reihe von Eileen Wilks, die einmal mehr Werwölfe in den Mittelpunkt rückt.

Allerdings nennen sie sich in diesem Fall Lupi und werden weniger als blutrünstige Monster als vielmehr als intelligente, verführerische Muskelmänner dargestellt. Menschen und Wölfe leben vielleicht nicht reibungslos nebeneinander, aber eine amerikanische Bürgerrechtsbewegung setzt alles daran, die Unterdrückung der Lupi abzuschaffen.

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Holt, Ian / Stoker, Dacre – Dracula – Die Wiederkehr

Am 18. Mai 1897 veröffentlichte der irische Schriftsteller Bram Stoker seinen Roman [„Dracula“ 3489 und schuf damit eine postmoderne Figur, die auch heute noch in vielen Romane, Filmen und auch Bühnenstücken vertreten ist.

Stokers Erfolg mit „Dracula“ blieb zu seinen Lebzeiten aus. Zwar schuf er mit der Figur des Grafen Dracula den ersten Vampir in der Literaturgeschichte, der sein Profil in unzähligen weiteren Romanen und Verfilmungen zur Verfügung stellte, doch gab es keine offizielle Fortsetzung des Romans oder ein Aufgreifen seiner Figuren um Dracula, Mina und Jonathan Harker sowie Prof. van Helsing und Arthur Holmwood. Stattdessen gibt es noch immer einige rechtliche Auseinandersetzungen mit der Familie Stoker und diversen Verlegern und Produzenten.

„Dracula“ ist ein Schauerroman, aber ebenso ein Reise- oder Liebesroman in Tagebuchform. Der Erzähler ist nicht nur eine Person, die Perspektive wechselt, und so erhält der Roman „Dracula“ dokumentarische Züge.

In „Dracula“ steht die Figur des in Gottes Ungnade gefallenen Grafen im Vordergrund. Aber Dracula selbst kommt nicht zu Wort. Konzipiert wurde dieser von Stoker als das „Böse“ in Person, obwohl es Ansätze gibt, die andeuten, dass er eher eine tragische Gestalt sein könnte (was in der Verfilmung von Francis Ford Coppola gut zum Ausdruck kommt). Seine Liebe und Leidenschaft die er für Mina empfindet, ist zugleich seine Rettung und seine Vernichtung. Was Dracula empfindet, welche Motive er hat und warum er sich von Gott verraten fühlt, konnte der Leser nur zwischen den Zeilen interpretieren. Von Generation zu Generation wurde er als das Monster beschrieben, die, süchtig nach Blut der Menschen, deren Leben nimmt. „Dracula“ ist eine tragische Gestalt, und die Geschichte um ihn, so hatte man immer das Gefühl, ist noch nicht zu Ende erzählt.

_Inhalt_

London 1912 – Es ist 25 Jahre her, seit Dracula von Professor van Helsing zusammen mit Lord Arthur Holmwood, Jonathan Harker, dem Arzt Jack Seward und dem Texaner Quincey P. Morris in einem dramatischen Kampf vernichtet wurde. Doch die Ereignisse auf Draculas Burg haben sichtbare und unsichtbare Spuren bei den Streitern hinterlassen, auch bei Mina Harker, der die Leidenschaft und Liebe Draculas viel abverlangt hat.

Selbst Mina und Jonathans Sohn Quincey hat zu kämpfen mit der Vergangenheit seiner Eltern. Sein Verhältnis zu seinem Vater Jonathan ist zerrüttet, denn Quincey möchte den Wunsch seines Vaters, ebenfalls eine juristische Laufbahn einzuschlagen, ignorieren. Quincey hat die Universität von Sorbonne verlassen, um all seine Energie für seine Karriere als Schauspieler am Theater aufzuwenden.

Mina und Jonathen Harker haben die Ereignisse nicht abschütteln oder verarbeiten können. Ihre Ehe ist seit Jahren zerrüttet, Minas Ehemann sucht im Alkohol das Vergessen und geht seiner Frau möglichst aus dem Weg. Nach über 25 Jahren hat sich das äußere Erscheinungsbild von Mina nicht verändert; seit den dramatischen Tagen ist Mina körperlich nicht gealtert. Durch die Bluttaufe mit Dracula hat sich ihr Körper verändert – es scheint so, als wäre ihr Leben für die Ewigkeit bestimmt. Noch immer steht ihr Verlangen, ihre Leidenschaft, die sie früher für den Grafen entwickelt hat, im Widerspruch zu ihren Gefühlen für ihren Ehemann.

Auch die anderen Kämpfer tragen ihre schicksalhafte Vergangenheit wie eine erdrückende Last mit sich. Jack Seward ist drogensüchtig, Arthur Holmwood ist ‚tot‘, er hat seinen früheren Namen ausradiert und lebt still und zurückgezogen in Trauer um seine Verlobte Lucy, der er einen Pflock durchs Herz geschlagen hat. Ihre Schreie in der Gruft hört er in stillen, dunklen Nächten noch allzu laut.

Als Quincey Harker den irischen Schriftsteller Bram Stoker am Theater kennenlernt, der seinen Roman „Dracula“ als Bühnenstück inszeniert, ist er fasziniert von der Geschichte des blutrünstigen Grafen. Beim Lesen des Romans fällt dem jungen Mann aber sofort auf, dass hier die Geschichte seiner Eltern erzählt wird. Eine Geschichte, die er zum allerersten Mal erfährt. Schockiert und wütend geht Quincey auf die Suche nach der Wahrheit.

Inzwischen wurde Jack Seward, der frühere Arzt und Schüler van Helsings, tot aufgefunden. Augenscheinlich wurde er von einer Kutsche überrollt, doch die Polizei bleibt skeptisch, denn Seward ist mit dem Schwert in der Hand ins Jenseits gewandert. Es bleibt nicht der einzige mysteriöse Tod, denn nur wenige Tage später entdeckt ein kleiner Junge den gepfählten Körper Jonathen Harkers mitten auf dem Piccadilly Circus. Die Indizien und Spuren weisen logischerweise auf Mord hin und die Witwe Mina Harker muss sich den unbequemen Fragen der Polizei stellen.

Quincey vertraut sich am Theater dem weltgewandten Schauspieler Basarab an, der schnell für den naiven Mann zu einer Vaterfigur wird. Trost und Verständnis, aber auch Stärke und Leidenschaft zeigt der charismatische Mann nicht nur auf der Bühne, sondern behandelt Quincey in genau der Weise, die er so schmerzlich an seinem Vater vermisst hat.

Mina glaubt nicht an Zufälle. Sie kombiniert in wenigen gedanklichen Schritten, dass sich hier ein grausames Muster offenbart. Kann es sein, dass ihr Graf Dracula den Kampf vor knapp einem Vierteljahrhundert überlebt hat, er seinen Tod vortäuschen konnte und sich nun an blutig an den Männern rächt, die ihn töten wollten? Oder gibt es andere Vampire, die den Tod ihres Meisters vergelten und die Nachfolge des Blutgrafen antreten wollen? Als Mina den früheren Lord Holmwood kontaktiert und auch van Helsing wieder in London auftaucht, wird jedem schnell klar, dass die Vergangenheit noch lange nicht zur Ruhe gekommen ist und das Verlangen nach Blut und Rache sich grausamer denn je zeigt …

_Kritik_

„Dracula – Die Wiederkehr“ von Dacre Stoker, einem Urgroßneffen Bram Stokers, und dem Drehbuchautor und Stoker-Forscher Ian Holt ist die offizielle Fortsetzung des 1897 erschienen Romans „Dracula“ und ein Garant für spannende Unterhaltung.

In diesem Roman spielen alle tragischen überlebenden Protagonisten aus dem bekannten ersten Teil eine tragende Rolle. Doch der Kreis schließt sich letztlich um die Aussage „Blut ist Leben“. Das Autorenduo hat großartige Arbeit geleistet und thematisch dort angesetzt, wo der erste Teil endete. Dass dazwischen eine zeitliche Lücke von 25 Jahren klafft, ist dabei uninteressant, vielmehr war es wichtig für die Figuren, sich mit dem erlebten Grauen auseinanderzusetzen und vielleicht auch an diesem Versuch zu scheitern. Verlust und Trauer, so negativ und ungerecht uns die auch vorkommen mag, sind immer auch die Chance zur Entwicklung, mit einer Botschaft, die der Leser in diesem Fall erst am Ende verstehen wird.

„Dracula – Die Wiederkehr“ – der Titel sagt eigentlich schon alles – ist ein gutes Stück vorhersehbar, aber dies mindert keinesfalls die Spannung. Zu sehr packend sind die Protagonisten in den Szenen beschrieben, als dass man aufhören könnte weiterzulesen. Es gibt mehrere kleinere Nebenhandlungen und Orte, und es tauchen andere Personen der Dunkelheit auf, deren Motive erst gegen Ende hin nachvollziehbar werden.

Die Perspektive ändert sich mit den Protagonisten, was die Handlung wie eine abgefeuerte Pistolenkugel vorantreibt, bis sie schließlich in einem spektakulären Ende ihr Ziel trifft. Die Autoren haben das Werk „Dracula“ sehr genau studiert und sich anhand der vorgegebenen Quellen und Recherchen Stokers die Mühe gemacht, in ihrem Roman den Stil Stokers nachzuempfinden.

Die Geschichte wird als Fortsetzung vielen Lesern gefallen, genauso aber auch Filmfans, die „Dracula“ aus der erfolgreichen und gelungenen Verfilmung von Francis Ford Coppola kennen. Diese Verfilmung kam dem Roman von Stoker inhaltlich am nächsten, und man erkennt im zweiten Teil durchaus Elemente, die einen Aha-Effekt auslösen.

Die Essenz Draculas kommt hier vom literarischen Standpunkt aus gesehen zu ihrer gänzlichen Entfaltung. In Stokers Werk war Dracula ein verlorener Charakter, ein kultivierter und gebildeter Edelmann, der nur geleitet wird von seinen Überlebensinstinkten und seiner Bösartigkeit. Jedenfalls ist das die Perspektive aus der Sicht seiner Gegner, wie zum Beispiel Harker oder van Helsing. In „Dracula – Die Wiederkehr“ kommt der (un)tote Graf selbst zu Wort; zwar wird er von der Außenwelt noch immer als Monster angesehen, aber aus dem Blickwinkels Draculas offenbart sich dem Leser ein ganz anderer Charakter mit hohen Moralvorstellungen und einer gewissen Verantwortung gegenüber anderen.

Wie schon in „Dracula“ nimmt Mina eine Schlüsselrolle ein. Ähnlich wie Dracula lebt sie zwischen den Welten, genauer gesagt zwischen Stolz und Vorurteil, Verstand oder Gefühl. Ihr Schicksal ist unausweichlich mit dem Draculas verbunden.

„The Un-Dead“, so der Titel im Original, lässt natürlich schnell den logischen Schluss zu, dass „Dracula“ noch immer präsent ist, und einzelne Szenen sind sehr vorhersehbar. Doch konzentrieren sich die beiden Autoren auf die Handlungen und die Schicksale der Protagonisten, und tatsächlich finden auch hier Kämpfe und Auseinandersetzungen unter den einstmaligen Streitern statt, die vorher noch in stiller Eintracht Dracula bekämpften. Für Überraschungen ist also gesorgt, so vorhersehbar auch manches bleibt.

Für blutige Szenen und Kämpfe ist gesorgt, und der Leser wird hier auch mitverfolgen können, dass Vampire zwar untot, aber nicht unsterblich sind. Dacre Stoker und Ian Holt halten sich größtenteils an die Stokersche Vampirmythologie und erfinden keine Vampire mit neuen und sagenhaften Eigenschaften.

_Fazit_

„Dracula – Die Wiederkehr“ ist ein absolut spannender und abwechslungsreicher Schauerroman mit vielen Horrorelementen. Mit viel Gespür fürs Detail wurde hier verstaubten und totgesagten Charakteren wieder Leben eingehaucht und viel Raum und Zeit gewährt, um Draculas Geschichte zum Abschluss zu bringen.

„Dracula“ bleibt eine jener literarischen Figuren, die man fast endlos auf verschiedene Art und Weise interpretieren kann, doch in dem vorliegenden Roman entpuppt sich diese als eine Gestalt, die auch für kommende Bücher und Verfilmungen neue Seiten aufzeigt und definiert. Dracula ist eben über Generation hinweg eine Trendfigur, der man sich nur schwerlich entziehen kann.

Am Ende des Romans kommen die beiden Autoren noch zu Wort und erklären ihre Motive dafür, Dracula zu reanimieren und die Legende weiterzuerzählen. Der Leser sollte sich ruhig Zeit dafür nehmen, denn auch dieser Part ist wichtig und aufschlussreich.

Spannend, abwechslungsreich, voller Tempo, zugleich mit Gefühl und Leidenschaft bewegt sich Dracula mit dieser Geschichte in unsere Zeit und wird wieder einmal viele Leser überzeugen.

„Dracula – Die Wiederkehr“ ist eine brillante Fortsetzung und für sich genommen ein spannender Roman, der lange in Erinnerung bleiben wird, denn Bram Stoker wurde hier ein Denkmal gesetzt.

_Die Autoren_

Als Urgroßneffe von Bram Stoker, dem ursprünglichen Verfasser von „Dracula“ (1897), trug sich der Kanadier Dacre Stoker bereits seit einiger Zeit mit dem Gedanken, eine Fortsetzung dieses Klassikers der Horrorliteratur zu schreiben. In dem Drehbuchautor und Stoker-Forscher Ian Holt fand er schließlich den idealen Co-Autor. Auf der Grundlage von Originalmaterial aus dem Nachlass Bram Stokers entstand „Dracula – Die Wiederkehr“ als Fortführung der Geschichte, die im ursprünglichen Roman erzählt wird.

|Originaltitel: Dracula: The Un-Dead
Ins Deutsche übertragen von Hannes Riffel
592 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-8025-8220-2|
http://www.egmont-lyx.de

Woodworth, Stephen – Sprache des Blutes, Die (Violet Eyes 3)

_Abenteuer der Violetten: Treffen mit Pizarro_

Die Polizei nennt sie die „Violetten“, denn sie haben eine besondere Gabe: Sie können Mörder mit ihren violetten Augen erkennen. Und sie können mit den Toten sprechen. Weltweit gibt es nur noch etwa zweihundert von ihnen. Medium Natalie Lindstrom hat durch den Angriff eines Toten ihren Mann und um ein Haar auch ihre Tochter Callie verloren.

Um diesen Erinnerungen zu entfliehen und ihr Konto aufzubessern, nimmt sie einen lukrativ erscheinenden Forschungsauftrag in Peru an. Doch auch dort begegnet sie Mord, Betrug und Gier, und die Stimmen in ihrem Kopf werden wieder wach …

_Der Autor_

Stephen Woodworth lebt in Kalifornien und schreibt seit Jahren für Magazine und Zeitschriften. 1999 besuchte er die Schriftstellerwerkstatt des Clarion West, in dem gestandene Science-Fiction-Autoren Erfahrungen weitergeben und die Erzeugnisse ihrer Schüler kritisch bewerten. Der Autor bedankt sich ausführlich im Nachwort für diese Schützenhilfe. Woodworth kommt also ursprünglich aus der SF-Ecke, doch mit dieser Schublade würde man seinem Werk Unrecht tun.

„Das Flüstern der Toten / Through violet eyes“ war sein erster Roman, mit dem er in USA auf Anhieb Erfolg hatte. Der zweite Roman „Die Stimmen der Toten“ erschien 2007 auf Deutsch, der dritte Roman „Die Sprache des Blutes / In golden blood“ ist im September 2008 ebenfalls bei Heyne erschienen. Während im Originaltitel stets Farbe eine Rolle spielt, sind die deutschen Titel etwas unheimlicher.

1) [Das Flüstern der Toten 2849
2) [Die Stimmen der Nacht 5886
3) Die Sprache des Blutes

_Hintergrund_

Man stelle sich eine Welt vor, die der unseren bis aufs Haar gleicht, nur mit einem winzigen, aber folgenreichen Unterschied: Die Toten existieren nicht irgendwo über den Wolken oder in einem Reich unter der Erde, sondern weiterhin um uns herum, nur eben unsichtbar. Aber, und das ist wichtig, sie verfügen über diverse Fähigkeiten und Eigenschaften, mit denen sie sowohl aufgespürt und kontaktiert werden können, mit denen sie aber auch einen entsprechend vorbelasteten Menschen geistig übernehmen können. Letztere Menschen sind die Violetten.

Die Violetten, so genannt wegen ihrer ungewöhnlichen Augenfarbe, sind Mutanten, die an einer speziellen Schule ausgebildet werden und offiziell in der „Nordamerikanischen Gesellschaft für Jenseitskommunikation“ (NAGJK) organisiert sind. Diese verfügt über eine straffe Führung, welche die Dienste ihrer Mitglieder der Gesellschaft anbietet. Einer dieser Dienste besteht in der Ermittlung der Täterschaft bei Todesopfern, zum Beispiel bei Mord …

_Handlung_

Natalie Lindstrom ist nicht nur abgebrannt, sondern wird auch noch überwacht. Das Leben ist also keineswegs einfach. Hinzu kommt noch, dass sie als Medium mitunter von den Geistern der Toten heimgesucht wird. Für solche Fälle hat sie zum Glück ein Schutzmantra. Ebenso wie ihre etwa sechsjährige Tochter Callie, die regelmäßig von ihrem grausamen Entführer träumt. Natalie hält sich mit illegalen Aufträgen über Wasser, seit sie die Organisation aller Jenseitsmedien NAGJK verlassen hat.

Doch als ihr Vater eine Bypass-Operation nicht bezahlen kann, kommt ihr das Angebot, einen Forschungsauftrag in Peru zu übernehmen, wie gerufen. Und wer würde schon 400 Riesen ausschlagen? Der Bieter, ein Archäologe namens Prof. Abe Wilcox, scheint ihr sympathisch, fast als sei ihm wirklich etwas an ihr gelegen. Als er ihrer Tochter, die sie zu den Schwiegereltern nach Kalifornien bringt, auch noch ein riesiges Stofftier schenkt, enden ihre Zweifel.

|Nach Peru|

Ihre körperliche und geistige Tüchtigkeit wird vor Ort auf eine harte Probe gestellt. Auf über 300 Metern Höhe suchen heftige Kopfschmerzen Natalie ein. Erschöpft trinkt sie Koka-Tee und sinkt in eines der wunderbar heißen Naturquellenbäder. Doch hier „klopft“ unvermittelt der Geist eines Toten bei ihr an. Und er sieht genauso aus wie Prof. Abe Wilcox! Sein Geist ist voller Hass auf den Träger eines bestimmten Gesichts. Wer kann das bloß sein, und was ist der Grund für diesen Hass, fragt sie sich bestürzt.

Den Träger dieses Gesichts bekommt Natalie erst am Ziel ihrer Reise zu Gesicht: Mr. Nathan Azure aus Großbritannien, ein Hobbyarchäologe. Das Grabungslager liegt auf über 4000 Metern Höhe und Natalies Schläfen pochen vor Kopfschmerz zum Zerspringen. Nathan Azure ist kein geduldiger Mensch, denn er wartet hier schon wochenlang auf das Erscheinen der Violetten und allmählich geht ihm das Geld aus.

|Francisco Pizarro|

Er sagt ihr klipp und klar, was er von ihr erwartet. Der Brustharnisch des Eroberers Perus, Marques Francisco Pizarro, dient als Kontakt zu dem Toten. Natalie hat schon Wilcox‘ Buch über den Konquistador gelesen und weiß über Inca Atahualpas trauriges Los Bescheid. Aber wo ist das Gold, das Pizarro nicht an den Kaiser abgeliefert hat, damals, im 16. Jahrhundert, geblieben, will Azure wissen. Wo hat der alte Bastard es versteckt, bevor seine eigenen Männer ihn meuchelten?

Die Kontaktaufnahme gelingt einwandfrei, denn der Massenmörder ist nur zu froh, den Nachstellungen und Schmähungen seiner eigenen Opfer, darunter Atahualpa, für eine Weile zu entkommen. Mit ihrer Diszipliniertheit gelingt es Natalie zudem, den alten Bastard im Zaum zu halten. Doch er spielt mit dem Engländer, will das Versteck nicht verraten. Natalie kann nur mentale Bilder erhaschen und hält diese insgeheim auf ihrem Zeichenblock fest. Der einheimische Fahrer, der nur mit ihr englisch spricht, hat sie davor gewarnt, Azure vorzeitig das zu geben, was er verlangt. Es solle ihr nicht so gehen wie dem Professor. Welchen Professor meint er, fragt sie sich zweifelnd, womöglich Wilcox.

|Flucht|

Azure verliert die Geduld und setzt sein Medium auf Wasser und Brot. Doch Natalie hat Wilcox auf ihrer Seite. Aber sie braucht mehr Informationen. Die bekommt sie durch zwei Dinge: Sie ohrfeigt den wütenden Azure ins Gesicht und hat sofort Kontakt mit einem Toten: dem wahren Wilcox? Und als sie den Pass des falschen Wilcox beschafft und berührt, stellt sie geschützten Kontakt mit dem wahren Professor her: Azure hat ihn ermordet! Und ein gewisser Trent spielt nun seine Rolle. Doch weiß, wie lange noch?

Mit dem Wissen des echten Prof. Abel Wilcox in ihrem Kopf bereitet Natalie ihre Flucht zurück in die Zivilisation vor. Doch sie hat nicht mit der Rachsucht Azures und seiner Gier nach Pizarros Gold gerechnet …

_Mein Eindruck_

Die in Fortsetzungen erzählte Saga der Natalie Lindstrom geht also weiter. In den zwei vorhergehenden Romanen erfuhren wir mehr von ihrem Leben: von ihrer zwangsweisen Einschulung bei den Violetten der „Nordamerikanischen Gesellschaft für Jenseitskommunikation“, von ihren ersten Fällen, ihrer einwöchigen Romanze mit Dan, dem Daddy ihrer kleinen Callie, und dessen frühzeitigen Tod.

Doch wer die des Weiteren in diesem Band erwähnten Herrschaften wie Hyland, Thresher und Pearsall sind, weiß nur der, der auch Band zwei gelesen hat. Das war mir nicht klar und verwirrte mich. Hiermit sei jedem Leser nahegelegt, die drei Romane in der richtigen Reihenfolge und komplett zu lesen, um nicht in die gleiche ärgerliche Verwirrung wie ich zu geraten.

|Der neue Fall|

Wenigstens hat die Vergangenheit nichts mit Natalies neuestem Fall zu tun, der sie nach Peru in die rauen Anden führt. Hier wird der Leser, der vielleicht keine Ahnung vom 16. Jahrhundert hat, vollständig über die Vergangenheit aufgeklärt: über die Konquistadores, Pizarro, die Inkas und ihr Reich, die Eroberung dieses Reiches und die schändlichen Morde an seinen Bewohnern. Vor allem über die unermesslichen Gold- und Silberschätze des Landes.

Denn diese sind es, die den britischen Industriemogul Nathan Azure zu seinen verbrecherischen Ausgrabungen geführt haben, die Prof. Abel Wilcox das Leben kosteten. Nun soll Natalie aushelfen. Für sie ist es ja schon schlimm genug, einen Fremden/Toten in ihren Kopf zu lassen, ohne dass es Sicherheitsmaßnahmen gibt, aber dann soll es auch noch ein Massenmörder sein. Würde jemand Hitlers Seele in seinen Kopf lassen? Wohl kaum.

Für entsprechende Spannung wäre also eigentlich gesorgt, doch Pizarro erweist sich in dieser Hinsicht als Versager, und so leidet auch der Roman ein wenig – es ist alles halb so wild, wie es scheint. Zwar kommt es zu Folter- und Mordszenen durch Azures Schergen, doch es ist lediglich das Finale in Pizarros Schatzhöhle, dass die Erwartungen einlöst. Spannung, Action, Ali Babas Schatzhöhle und die Wunder des Inkareiches – hier kommt alles zusammen, was der Roman und das Marketing versprechen.

Mehr gibt’s aber auch nicht. Die Story ist nach anfänglichem Hin und Her sowie diversen Enthüllungen geradlinig auf den Showdown ausgerichtet. Kein Leser sollte Schwierigkeiten haben, den Verlauf der Story zu kapieren. Sowohl Männer als auch Frauen werden angesprochen, durch Themen wie Schätze, Action, Kinder, Familien und Liebe.

|Riskante Kontakte|

Das wichtigste Merkmal aller Violetten-Romane Woodworths ist die Verbindung mit der Vergangenheit, die durch Seelen der Toten heraufbeschworen wird. Es ist eine zerbrechliche und riskante Verbindung, doch diesmal geht die Reise weit in der Zeit zurück, genauer gesagt, fast 500 Jahre. Eines der Risiken besteht in Kontaktobjekten wie etwa Knochen und Blut.

Man kann sich daher lebhaft vorstellen, wie es Natalie auf einem Friedhof zumute wäre. Da die Inka und ihre Vorgänger keine Friedhöfe anlegten, sondern Totentürme, ist der Aufenthalt in einem solchen Gebäude für die erschöpfte Natalie höchst riskant. Das Gleiche gilt natürlich auch für einen Schatz wie Pizarros, in dem die Geister der Toten nur darauf warten, über Natalie herzufallen …

|Die Übersetzung|

Die Übersetzung ist einfühlsam und vor allem sprachlich und stilistisch korrekt. Aber wer, zum Kuckuck, ist Harry Winston, der auf Seite 306 erwähnt wird? Er kommt im Buch nicht vor und aus dem Allgemeinwissen ist er mir auch nicht bekannt. Vielleicht ist er ja einer der drei Ghostbuster, von denen zuvor die Rede ist: „Winston, wenn dich einer fragt, ob du ein Gott bist, sagst du einfach ja, klar?“

_Unterm Strich_

Wer mit klassischem Thriller und moderner Mystery im Doppelpack etwas anfangen kann, ist bei „Die Sprache des Blutes“ genau richtig. Die Story ist auch diesmal geradlinig und auf einen fulminanten Showdown ausgerichtet. Der Leser sollte nur darauf achten, auch die zwei Vorgängerromane gelesen zu haben, denn sonst verwirren ihn – wie mich – die zahlreichen Verweise auf unbekannte Figuren, die in diesem Buch überhaupt nicht auftauchen, die aber für Natalies und Callies geistige Gesundheit große Bedeutung haben. Die drei Bücher eignen sich sowohl für weibliche Leser, die auf Emotionen und menschliche Beziehungen Wert legen, als auch für männliche, die Action und Spannung zu ihrer Unterhaltung erwarten.

|Originaltitel: In golden blood, 2005
Aus dem US-Englischen von Helmut Gerstberger
351 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-81144-7|
http://www.heyne.de

Briggs, Patricia – Schatten des Wolfes (Alpha & Omega 1)

Patricia Briggs ist in Deutschland bislang vor allem für ihre Mercy-Thompson-Reihe bekannt, in deren Mittelpunkt eine toughe junge Frau steht, die sich in einen Schakal verwandeln kann und beständig mit ihren Werwolfnachbarn aneinander gerät. Mit „Schatten des Wolfes“ startet die Autorin eine neue Reihe bei |Heyne|. Im Mittelpunkt von „Alpha und Omega“ steht erneut eine ungewöhnliche Außenseiterin.

_Anna ist eine Werwölfin_, aber keine gewöhnliche. Sie ist eine so genannte Omega. Sie unterscheidet sich insofern von anderen unterwürfigen Wölfen, als dass sie der Befehlsgewalt, die ein Alphawolf über sein Rudel hat, nicht gehorcht. Seine Macht gleitet an ihr ab, während sie gleichzeitig eine beruhigende, neutralisierende Wirkung auf jeden Menschen und Werwolf in ihrem Umfeld hat.

Sie selbst ist jedoch fest davon überzeugt, dass „Omega“ zu sein bedeutet, dass jeder sie ausnutzen und erniedrigen darf. Leo, der Alpha ihres Rudels, hat ihr dies jedenfalls vermittelt. Als sie bemerkt, dass in ihrer Heimat Chicago seltsame Dinge geschehen die mit den Wölfen zusammenhängen, ruft sie Bran an, den Marrok von Amerika. Er ist der Oberwolf und es ist seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Rudel sich benehmen und nicht von den Menschen entdeckt werden. Bran schickt ihr seinen Sohn Charles, der helfen soll, Annas durchtriebenem Alpha Leo und seinem Rudel das Handwerk zu legen.

Er nimmt die völlig verängstigte Anna unter seine Fittiche und erklärt ihr, was ein Omega eigentlich ist. Ehe er sich versieht, hat sich sein „Bruder Wolf“ in Anna verliebt und er nimmt sie mit zurück nach Montana. Anna fällt es schwer, Charles zu vertrauen, aber sie bleibt bei ihm. Als das Gerücht herum geht, dass ein Ungeheuer in den Bergen unterwegs ist und wahllos Wanderer angreift, machen sich die beiden auf, um es zu stellen. Doch sie haben nicht damit gerechnet, dass das Untier, das sie finden, eigentlich gar keins ist …

_Die Autorin_ scheint ein Faible für Werwölfe zu haben. Sie spielen in den Mercy-Thompson-Büchern eine große Rolle und hier stehen sie sogar im Mittelpunkt. Tatsächlich haben wir es mit der gleichen Welt zu tun. Figuren wie Bran, Charles oder Samuel kennt der Fan bereits aus den Mercy-Büchern und die Schakalin selbst wird immerhin namentlich genannt. Darüber hinaus muss man auch in diesem Buch Briggs‘ tolle Fantasiewelt loben. Die Art und Weise, wie sie das gesellschaftliche Leben der Werwölfe regelt und dabei in den Alltag des normalen Amerikas einfügt, ist einzigartig und sucht seines Gleichen. Angenehm ist auch, dass sie sich auf diese eine Spezies konzentriert und anders als beispielsweise ihre Kollegin Kim Harrison kein Feuerwerk von Fantasy-Wesen zündet.

Das wiederholt sie bei der Handlung leider nicht. Diese splittet sich in der deutschen Übersetzung in zwei Teile auf. Der erste Teil mit dem Titel „Alpha und Omega“ beschreibt den Beginn der Liebe zwischen Charles und Anna und hat eine eigene kleine Handlung. Es stellt sich die Frage, wieso diese Bonusgeschichte nicht zur eigentlichen Geschichte gehört, denn immerhin stellt sie einen wichtigen Teil dar und erklärt einiges. Der eigentliche Roman setzt sich dann aus einer halbgaren Mischung aus Romanze, Abenteuer, Fantasy und Thriller zusammen. Dadurch, dass keiner der Handlungsstränge wirklich im Vordergrund steht, bleibt die Spannung auf der Strecke. Einzig das Zwischenmenschliche ist halbwegs kontinuierlich. Da Anna und Charles, die beiden Hauptfiguren, schön ausgearbeitet und interessant sind, wird dadurch viel wieder wett gemacht.

Hinzu kommt, dass Patricia Briggs durchaus gut schreiben kann. Sie schildert ihre Welt und die Figuren darin anschaulich und lebendig. Dem Leser ist stets präsent, dass die Menschen nicht nur Menschen, sondern gleichzeitig auch Werwölfe sind. Sie benehmen sich zwar nicht unmenschlich, aber ein wenig anders und dieses „wenig“ weiß die Autorin perfekt aufzuzeigen. Ab und an verwendet sie einen leichten Humor oder beschreibt die Gefühle eines der Erzähler ausführlich. Insgesamt beschränkt sie sich aber auf einen geradlinigen, die Handlung unterstützenden Stil.

_“Schatten des Wolfes“_ ist der gute Beginn einer neuen Serie. Während Hintergrundkulisse, Figuren und Schreibstil bereits jetzt sehr stark sind, sollte die Autorin an der Art und Weise, wie sie eine Handlung aufbaut, noch feilen. Wirklich spannend ist die Geschichte nicht, doch Fans von Mercy Thompson werden sich freuen, Bran und sein Rudel einmal aus einer anderen Perspektive zu sehen.

|Originaltitel: Cry Wolf (Alpha and Omega 1)
Aus dem amerikanischen Englisch von Regina Winter
491 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3453525405|
http://www.heyne.de
[„Webauftritt der Autorin“]http://www.patriciabriggs.com

_Patricia Briggs bei |buchwurm.info|:_
[„Drachenzauber“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3933
[„Rabenzauber“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4943
[„Ruf des Mondes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4490
[„Bann des Blutes“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5091

Woodworth, Stephen – Stimmen der Nacht, Die (Violet Eyes 2)

_Die Seelenkäfige: Mausefallen für Violette_

Die Polizei nennt sie die „Violetten“, denn sie haben eine besondere Gabe: Sie können Mörder mit ihren violetten Augen erkennen. Und sie können mit den Toten sprechen. Weltweit gibt es nur noch etwa zweihundert von ihnen. Medium Natalie Lindstrom ist für die Polizei eine wertvolle Mitarbeiterin. Im vorliegenden Fall geht es um einen reichen, verwöhnten Teenager, der im Verdacht steht, seine Eltern umgebracht zu haben. Natalie soll nun mit den Toten Kontakt aufnehmen, um die Wahrheit herauszufinden. Sie ahnt nicht, auf was sie sich einlässt …

_Der Autor_

Stephen Woodworth lebt in Kalifornien und schreibt seit Jahren für Magazine und Zeitschriften. 1999 besuchte er die Schriftstellerwerkstatt des Clarion West, in dem gestandene Science-Fiction-Autoren Erfahrungen weitergeben und die Erzeugnisse ihrer Schüler kritisch bewerten. Der Autor bedankt sich ausführlich im Nachwort für diese Schützenhilfe. Woodworth kommt also ursprünglich aus der SF-Ecke, doch mit dieser Schublade würde man seinem Werk Unrecht tun.

„Das Flüstern der Toten / Through violet eyes“ war sein erster Roman, mit dem er in USA auf Anhieb Erfolg hatte. Der zweite Roman „Die Stimmen der Toten“ erschien 2007 auf Deutsch, der dritte Roman „Die Sprache des Blutes / In golden blood“ ist im September 2008 ebenfalls bei |Heyne| erschienen. Während im Originaltitel stets Farbe eine Rolle spielt, sind die deutschen Titel etwas unheimlicher.

1) [Das Flüstern der Toten 2849
2) Die Stimmen der Nacht
3) Die Sprache des Blutes

_Hintergrund_

Man stelle sich eine Welt vor, die der unseren bis aufs Haar gleicht, nur mit einem winzigen, aber folgenreichen Unterschied: Die Toten existieren nicht irgendwo über den Wolken oder in einem Reich unter der Erde, sondern weiterhin um uns herum, nur eben unsichtbar. Aber, und das ist wichtig, sie verfügen über diverse Fähigkeiten und Eigenschaften, mit denen sie sowohl aufgespürt und kontaktiert werden können, mit denen sie aber auch einen entsprechend vorbelasteten Menschen geistig übernehmen können. Letztere Menschen sind die Violetten.

Die Violetten, so genannt wegen ihrer ungewöhnlichen Augenfarbe, sind Mutanten, die an einer speziellen Schule ausgebildet werden und offiziell in der „Nordamerikanischen Gesellschaft für Jenseitskommunikation“ (NAGJK) organisiert sind. Diese verfügt über eine straffe Führung, welche die Dienste ihrer Mitglieder der Gesellschaft anbietet. Einer dieser Dienste besteht in der Ermittlung der Täterschaft bei Todesopfern, zum Beispiel bei Mord …

_Handlung_

Im Fall der Ermordung des Unternehmerehepaars Hyland aus Los Angeles ist dessen Sohn Scotty angeklagt. Sein Anwalt Lathrop hat angekündigt, vor Gericht das Medium Lyman Pearsall die beiden Getöteten herbeirufen zu lassen. Staatsanwältin Inez Mendoza bittet Natalie Lindstrom um Hilfe. Doch als Natalie die Kontaktobjekte, mit denen sich die Seelen von Toten herbeirufen lassen, berührt, kann sie weder Mrs. Hyland noch ihren Mann herbeizitieren. Irgendetwas ist hier oberfaul.

Während des Gerichtsverfahrens hält sich der Verteidiger Lathrup auffällig mit Fragen an die Zeugen, welche die Staatsanwältin aussagen lässt, zurück. Offenbar basiert seine ganze Verteidigung auf den von Lyman Pearsall vermittelten Aussagen der beiden Hylands. Die Spannung steigt nicht zuletzt auch bei Natalie, die dem Prozess als Zuschauerin beiwohnt. Für Lathrop klappt alles wie am Schnürchen.

Der kleine, dicke Lyman Pearsall bäumt sich in seinem Stuhl auf, als sei eine Seele in ihn gefahren, und der Seelenscanner schlägt ebenfalls aus. Natalie ist verblüfft: Wie macht er das bloß? Nacheinander beschuldigen Mr. und Mrs. Hyland den früheren Partner des Unternehmers, sie getötet zu haben. Der Mann ist wie vor den Kopf geschlagen, war er es doch, der die Veruntreuungen und Unterschlagungen durch Hyland Junior aufdeckte.

Die Geschworenen sind von Pearsalls Vorstellung gebührend beeindruckt. Sie glauben ihm – schließlich handelt es sich um ein vereidigtes Mitglied einer angesehenen Gesellschaft, die der Polizei und der Justiz bislang zuverlässig geholfen hat. Die Schöffen sind sich einig, dass Scotty Hyland unschuldig sein muss. Die Staatsanwältin ist verbittert. Doch Natalie ist misstrauisch: Pearsall hat möglicherweise schon einmal eine Falschaussage geschauspielert, im Fall des Mordes an einer Prostituierten. Auch damals kam der Mörder frei. Sie beschließt, dass es keine weiteren Freisprüche mehr geben darf, wenn es keine Opfer mehr geben soll.

In den Unterlagen, die sie von Inez Mendoza über Pearsall erbittet, sowie im Internet stößt sie auf den entscheidenden Hinweis. Pearsall hatte im Januar mit der Leiche eines Opfers von Vincent Thresher zu tun. Unglückerweise kennt Natalie diesen verurteilten und hingerichteten Serienmörder nur zu gut: Threshers Seele besucht ihre arme Mutter Nora, eine Violette, regelmäßig in ihrer Zelle in der Nervenheilanstalt von Los Angeles. Kein Wunder: Noras Aussage als Medium hatte Thresher seinerzeit in die Gaskammer gebracht.

Als Nora ermordet aufgefunden wird, deuten alle Indizien auf eine Tat des toten Vincent Thresher hin, insbesondere das in die Haut des Opfers gestickte Bild. Eine fremde Krankenschwester hatte Dienst, als die Tat geschah, und so wie es aussieht, handelte es sich um Lyman Pearsall, der von Thresher besessen ist. Thresher, der Puppenspieler, treibt wieder sein Unwesen. Doch Natalie kann Pearsall nicht anklagen, seit sie der Gesellschaft den Rücken gekehrt hat. Niemand würde ihr glauben.

Schon bei ihrem letzten Besuch Noras hat Natalie in die von Thresher besessenen Augen Noras geblickt: Er wolle sie gerne näher kennenlernen, sagte er und jagte ihr damit Schauder über den Rücken. Am Sarg Noras geschieht es erneut, dass eine tote Seele Natalie besucht, doch es ist Nora. Sie warnt sie eindringlich vor dem Killer.

Wenig später ist Natalies fünfjährige Tochter Callie verschwunden. Ist sie Thresher und Pearsall in die Hände gefallen?

_Mein Eindruck_

Wie schon im ersten Band seiner Trilogie über die Violetten beginnt die Handlung recht langsam mit dem Privatleben von Natalie Lindstrom. Wir werden erst einmal darüber informiert, was sich alles seit ihrem ersten Abenteuer mit dem Violettenkiller und dem Tod ihres geliebten Dan Atwater getan hat.

Fast sechs Jahre sind vergangen, und ihre und Dans Tochter Callie sind ein zufriedenes, aber keineswegs sorgloses Paar. Denn die NAGJK will Callie für sich haben, um sie an ihrer Schule auszubilden, genau wie damals bei Natalie. Rund um die Uhr überwachen Agenten der NAGJK Heim und Fahrten von Natalie. Sie hat nur einen Freund unter ihnen: George, der Französisch lernt und einen Roman schreiben will. Wie sich zeigen wird, ist George Natalies einzige Rettung, als sie Threshers Falle gegenübersteht.

Denn die erst von der NAGJK und dann von Pearsall/Thresher entführte Callie dient lediglich als Köder, um Natalie in eine tödliche Falle zu locken. Abseits der Zivilisation und von einem Gewittersturm umgeben, muss sich Natalie in die vorbereitete Falle begeben …

|Bösewichte|

Dieser Showdown ist der spannende und dramatische Höhepunkt für eine so vor sich hinplätschernde Handlung. Es gibt zwar hier und da zu Herzen gehende Szenen, insbesondere mit Nora Lindstrom, doch keine beeindruckte mich sonderlich. Ganz anders hingegen der Bösewicht: Das ist ein wirklich schweres Kaliber und obendrein höchst faszinierend. Thresher wurde bis zu seinem zwölften Lebensjahr von seiner Mutter, die ihren verschwundenen Mann hasste, als Mädchen aufgezogen: Vanessa. Doch spätestens in der Mädchenumkleide seiner Schule musste die Wahrheit ans Licht kommen – ein Riesenskandal.

Thresher brachte nicht nur seine gehässige Mutter um, er rächte sich auch am ganzen weiblichen Geschlecht. In einer Szene, die eines gruseligen Psychothrillers von Karin Slaughter oder Mo Hayder würdig ist, macht der tote Killer, der Lyman Pearsalls Körper wie eine Marionette bedient, seine Opfer erst stumm, dann stickt er den Betäubten schöne Muster in die Haut, wie er sie von seiner Mutter gelernt hat. Dass Vincent es beherrscht, sich wie eine Frau zu schminken und zu kleiden, versteht sich von selbst. Die Krankenschwester, die es auf Nora Lindstrom abgesehen hat, tritt sehr überzeugend auf.

Doch es gibt nach dem Showdown ja noch einen weiteren Schurken im Stück. Während Pearsall zum mitleiderregenden Opfer wird, ist es ja Scotty Hyland, der freigesprochen wurde. Er kann nicht zweimal für das gleiche Verbrechen verurteilt werden. Nur, wie bringt man einen Unantastbaren zur Strecke? Ganz einfach: Natalie erinnert sich an die Visitenkarte eines Journalisten …

_Unterm Strich_

Bislang kannte ich Seelenkäfige nur von einem Album, das Sting mal vor Jahren unter dem Titel „The Soul Cages“ aufgenommen hat. Sie bezeichnen die innere Erstarrung von Menschen. In „Die Stimmen der Nacht“ erhalten Seelenkäfige eine düstere und ganz konkrete Bedeutung. Da die Seelen von Toten, so die Hypothese des Autors, elektromagnetischer Natur sind – ein höchst prekärer Zustand, um es mal gelinde zu formulieren – lassen sie sich auch in einem Faradayschen Käfig einsperren beziehungsweise abschirmen.

Was zunächst abstrus klingt, nimmt für Natalie Lindstrom eine höchst bedrohliche Qualität an: Es sind Käfige für Seelen, die über die nichts ahnende Violette herfallen können. Doch wie sich zeigt, kann derjenige, der stark genug ist, den Spieß auch umdrehen …

„Die Stimmen der Nacht“ ist ein weiterer faszinierender Thriller um die Violetten. Er lehrt den Leser, dass es Seelen überall um uns herum gibt und sie in unseren Kopf wollen, falls wir dafür empfänglich sind. Die Kunst des Autors besteht darin, diesen besonderen Daseinszustand als Violetter möglichst lebendig und spannend zu schildern, und das geht am besten mit einer hochemotionalen Mutter-Kind-Beziehung, die jedes Frauenherz berühren dürfte, sowie mit einer spannenden Handlung, die eben dieses Glück bedroht. Das Rezept ist einfach, man muss es nur richtig umsetzen. Der Autor hat dies jedenfalls drauf. Die fehlerlose Übersetzung wird seinem Können gerecht.

|Originaltitel: With red hands, 2004
Aus dem US-Englischen von Helmut Gerstberger
380 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-40372-7|
http://www.heyne.de

Harrison, Kim – Blutlied

2352 Seiten voller Abenteuer hat Kim Harrison mit ihrer beliebten Heldin, der Hexe Rachel Morgan, bereits geschrieben – in vier Bänden. Nummer fünf, „Blutlied“, fügt diesem beachtlichen Werk weitere 734 hinzu, und ein Ende der Reihe ist nicht in Sicht. Doch schafft man es nach so vielen Seiten wirklich noch, die Leser mitzureißen?

_In Anknüpfung_ an „Blutpakt“ steht Rachel Morgan, die chaotische, freche Hexe, vor dem Problem, dass sie den Fokus in ihrem Besitz hat und ihn gut verstecken sollte. Dieses Artefakt ermöglicht den Werwölfen, Nachkommen zu schaffen, was den Vampiren in Cincinnati natürlich missfällt. Glücklicherweise sind beide Lager davon überzeugt, dass der Fokus zusammen mit Rachels Exfreund verschwunden ist.

Eines Tages wird die Hexe jedoch vom FIB, einer dem FBI ähnlichen Organisation, zu Rate gezogen, um diesem bei der Aufklärung mehrerer Morde an Werwölfen zu helfen. Schnell findet sie heraus, dass es zwei verschiedene Arten von Opfern gibt: neue Werwölfe, die sich aus Verzweiflung und Schmerz während der ersten Verwandlung selbst umgebracht haben; und zwei, deren Selbstmord nur fingiert wurde. Bei diesen zweien handelt es sich ausgerechnet um die Handlanger der beiden größten Werwolfrudel in der Stadt. Rachel wird klar, dass die beiden sich wegen des Fokus‘ bekriegen. Außerdem findet sie heraus, dass die Opfer allesamt mit ihrem Werwolffreund David befreundet waren, der momentan den Fokus für sie hütet. Ob es da einen Zusammenhang gibt?

Zu allem Überfluss macht der Dämon Al ihr immer noch das Leben schwer. Er hat Besitz von einem jungen Asiaten ergriffen und belästigt Rachel, wo er nur kann. Als sie ein verlockendes Arbeitsangebot von ihm ausschlägt, verwüstet er das Nachtleben in der Stadt, um ihr zu drohen. Weil sich die Behörden nicht anders zu helfen wissen, entlassen sie Piscary, den größten Vampir der Stadt, aus der Haft, damit er Al banne. Rachel ist davon alles andere als begeistert. Immerhin hat sie Piscary hinter Gittern gebracht, und dieser erhebt Anspruch auf ihre Mitbewohnerin Ivy. Und dann ist da auch noch Rachels vampirischer Freund Kisten, dem Piscary nicht mehr besonders wohlgesonnen ist …

_Ein Buch aus_ der Rachel-Morgan-Serie zu lesen, ist wie nach Hause zu kommen. Bereits die ersten Sätze ziehen den Fan direkt in das magische Cincinnati und lassen ihn erst wieder los, wenn er das Buch schon längst geschlossen hat. Die Welt, die Harrison erschaffen hat und in jedem Band weiter ausbaut, ist schier überwältigend. Das beginnt bei den unterschiedlichen Institutionen, Regeln und Traditionen, die das Zusammenleben von Menschen und Inderländern regeln, und findet seinen Höhepunkt in der Masse von fantastischen Wesen, die die Autorin in ihrer Geschichte ver- und ausarbeitet. Exemplarisch sei an dieser Stelle Jenks, der Pixie und Mitarbeiter von Ivys und Rachels Kopfgeldjägeragentur genannt, der mit seiner Familie in einem Garten hinter der Kirche der Hauptfiguren lebt. Harrison beschreibt ihn, sein Familienleben und seinen Charakter so anschaulich, interessant und humorvoll, dass man das Gefühl hat, ihn persönlich zu kennen – obwohl es ihn selbstverständlich nicht gibt.

Neben Pixies kommen in der Geschichte auch Elfen, Fairys, Tiermenschen, Hexen, Hexer, Vampire, Werwölfe und andere vor. Dass die Autorin bei diesem Gewusel nicht nur selbst den Überblick behält, sondern das Ganze auch für den Leser nicht verwirrend werden lässt, ist ihr hoch anzurechnen. Sie ist überaus geschickt darin, einzelne Fäden und Elemente in ihrem Buch zu harmonisieren, denn ansonsten würde der Leser bei einer umfassenden Handlung, wie man sie in all ihren Bücher findet, schnell den Überblick verlieren. Neben der eigentlich Kernhandlung im Buch – den Werwolfmorden – spielen nämlich auch die Handlungsstränge, die in den vorherigen Bänden entwickelt worden sind, eine große Rolle. Es empfiehlt sich deshalb dringend, bei Neueinstieg mit dem ersten Band anzufangen. Da Harrison darauf verzichtet, Vergangenes noch mal breit auszuwalzen (was bei dem Umfang ihrer Geschichten auch wirklich zu weit führen würde), ist ein gewisses Vorwissen notwendig, um die verschiedenen Beziehungen zwischen den Charakteren, ihre Feind- und Liebschaften zu durchblicken. Diese spielen nämlich ebenfalls eine gewichtige Rolle in dem Roman und sorgen für einigen Zündstoff.

_Die Charaktere_ haben stark im ersten Band begonnen und sich seitdem kontinuierlich weiterentwickelt. Auf einem dementsprechend hohen Level befinden sie sich in Band fünf. Manchmal hat man wirklich das Gefühl, Ivy, Rachel und Co. persönlich zu kennen. Dank ihrer Macken, Probleme und Charakterzüge wirken sie lebendig, auch wenn Kim Harrison es ab und an etwas übertreibt, um für Unterhaltung zu sorgen. Wirbelwind Rachel beispielsweise stolpert von einem Fettnäpfchen ins nächste, was vielleicht nicht unbedingt authentisch, aber unglaublich unterhaltsam ist.

Garniert wird das Ganze durch Harrisons frischen, frechen Schreibstil. Sie erzählt aus Rachels Perspektive, deren impulsive, leidenschaftliche Persönlichkeit dadurch fantastisch zum Tragen kommt. Ihr böser Humor und ihr leicht dreckiges Mundwerk sorgen dafür, dass es nie langweilig wird, selbst wenn die Autorin einmal wieder ein bestimmtes Ereignis seitenlang beschreiben muss. Das passiert nämlich häufiger und ist das einzige Manko des Buches: Harrisons sprachliche Langatmigkeit. Allerdings bügelt sie dies mit Sarkasmus und Witz wieder aus, so dass es in der Summe kaum auswirkt.

_Alles in allem_ ist „Blutlied“ eine tolle Fortsetzung der Rachel-Morgan-Reihe mit einer actionreichen Handlung, großem Gefühlschaos, Unmengen von Fantasie und einer wunderbar humorvollen Hexe als Hauptfigur.

|734 Seiten, Taschenbuch
ISBN-13: 978-3-453-52472-9|
http://www.kimharrison.net
http://www.heyne.de

_Kim Harrison bei |Buchwurm.info|:_

[„Blutspur“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3253
[„Blutspiel“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=4512
[„Blutjagd“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5252

Fingerman, B. H. – Blutraub

_Vampirromane_ liegen im Moment voll im Trend und überschwemmen den Markt in derartiger Fülle, dass es dem Lesefreudigen leicht fallen dürfte, sich mit nichts anderem als der Lektüre von Vampirromanen die Zeit zu vertreiben. Doch die Tatsache, dass dieses Genre so rasant angewachsen ist, birgt natürlich auch Gefahren – vor allem die der Wiederholung und des Klischees. Die Buchhandlungen sind voll von depressiven Vampiren, die fantastisch aussehen und nur darauf warten, in einer kleinen grauen Maus die Frau für die Ewigkeit zu finden. Oder von taffen Dämonenjägerinnen, die es auf die ebenso taffen (aber trotzdem gut aussehenden) Vampire abgesehen haben.

Einen wirklich originellen Vampirroman und einen andersartigen Vampir nieder zu schreiben, scheint also eine recht schwierige Aufgabe zu sein, bei der sich männliche Autoren besser schlagen als ihre weiblichen Kolleginnen – sicherlich, weil sie keine Skrupel haben, dem Vampir seine romantische Komponente zu nehmen. Auch Bob Fingerman, der eigentlich Comic-Zeichner ist und mit „Blutraub“ seinen ersten Roman vorgelegt hat, schlägt in diese Kerbe. Sein Vampir Phil will schonungslos realistisch sein und Vampirismus jenseits von adligen Blutsaugern und schlanken Frauenhälsen zeigen.

_Als Mensch war Phil_ nämlich ein ganz normaler New Yorker mit Frau und mit Job – ein totaler Durchschnittstyp also. Doch dann ändert sich plötzlich alles, als er nachts in der U-Bahn angegriffen und zurückgelassen wird. Die Polizei hält ihn zunächst für tot, doch als er sich plötzlich wieder aufrappelt, lassen ihn die völlig verdutzten Beamten einfach gehen. Auch Phil hat keine Ahnung, was mit ihm passiert ist. Als er jedoch endlich realisiert, was geschehen ist – nämlich, dass er von einem Vampir angegriffen wurde und jetzt selbst einer ist -, geht es mit seinem geregelten Leben bergab.

Seine Frau verlässt ihn, und auch wenn er es schafft, bis zum Tod seiner Eltern Kontakt mit ihnen zu halten, muss er sich doch ständig von seinem Vater Vorwürfe darüber anhören, dass er nur nachts erscheint und immer so blass aussieht. Arbeiten kann er natürlich auch nur während der Nacht (ja tatsächlich – ein Vampir, der arbeitet) und seine Jobs muss er immer nach einigen Jahren aufgeben, damit niemandem auffällt, dass er nicht altert. Seine Skrupel führen dazu, dass er sich nur von Pennern und Abschaum ernährt, vor dem er sich eigentlich ekelt (daher der amerikanische Titel „Bottomfeeder“). Ein Sozialleben hat er nicht. Den einzigen Freund, den er aus seinem Leben als Mensch in seine vampirische Existenz hinüberretten konnte, ist Shelley, ein wehleidiger, stotternder Trinker.

_Fingerman_ ist mit seinem Ich-Erzähler Phil ein überzeugender Gegenentwurf zum romantischen und sogar zum gefährlich-tödlichen Vampir gelungen. Phil war zu Lebzeiten ein Normalo und ist es auch im Tode noch. Als ihn sein neuer Vampirbekannter Eddie in die Vampirgesellschaft New Yorks einführt (mit Penthouse, Marmorböden und lebenden Blutspendern, die hinter einer Bar aufgebaut sind), stößt ihn die offensichtliche Dekadenz und Lebensfeindlichkeit ab. Er spürt deutlich, dass er nicht dazu gehört und sich sein sozialer Status nicht automatisch mit seiner Vampirwerdung verbessert. Weder hat er einen französischen Akzent, noch kommt er unversehens zu Reichtum, noch wirkt er auf Frauen wahnsinnig anziehend. Er muss immer noch arbeiten, um die Miete für sein kleines Apartment zahlen zu können, und er fährt immer noch U-Bahn. Stattdessen hat ihn seine Lage zu einem bitterbösen Zyniker gemacht, und er beobachtet seine Umgebung mit gnadenlosem Auge und spitzer Zunge.

Leider trägt die pure Idee eines Anti-Vampirs wie Phil nicht den ganzen Roman, denn was Fingerman in „Blutraub“ vermissen lässt, ist eine spannende Handlung. Man merkt dem Autor seinen Hintergrund als Comic-Zeichner an: Da, wo er Szenen und Details beschreibt, wo es um Momentaufnahmen und Stimmungen geht, ist er unglaublich plastisch und lässt mit Leichtigkeit Bilder im Kopf des Lesers erstehen. So begleitet er Phil zu seiner Arbeit, wo dieser alte Fotografien (meist von tödlichen Unfällen oder Morden) digitalisiert. Was Phil sieht, wird auch dem Leser auf dem Silbertablett präsentiert. Jeder Tropfen Blut, jedes verrenkte Glied, jede groteske Todesart wird genüsslich in deutliche Worte übersetzt. Allerdings wird natürlich keine Spannung aufgebaut, wenn nur eine beschreibende Szene an die nächste geknüpft wird, und man fragt sich zwangsläufig, welchen roten Faden Fingerman eigentlich in seinen Roman eingebaut hat.

Ja, im Verlauf der Handlung trifft Phil auf andere Vampire (und Fingerman stellt wunderbar die Dekadenz des Vampirismus und seine absolute Realitätsferne bloß) und ja, auch sein alter Freund Shelley wird schlussendlich eine wichtige Rolle spielen (und für eine ironische Brechung eines typischen Vampirtopos sorgen – mehr sei nicht verraten). Doch grundsätzlich ist „Blutraub“ unglaublich handlungsarm. Wirkliche Langeweile kommt zwar nie auf, da Fingerman es durchaus versteht zu schreiben und seine Leser bei Laune zu halten. Aber Spannung zu erzeugen, eine tragende Handlung aufzubauen, das ist Fingermans Talent nicht.

_Trotzdem_, für ein Debüt hat „Blutraub“ viele Elemente, die überzeugen und überraschen, und Fingermans Grundidee des stinknormalen Vampirs liest sich erfrischend zwischen all den noblen Vampiren im Spitzenhemd. Und auch seine Stadt (er ist selbst New Yorker) lässt er detailreich und ohne rosarote Brille vor des Lesers geistigem Augen erstehen. Nach der Lektüre von „Blutraub“ wird man es sich wohl zweimal überlegen, ob man je wieder in New York U-Bahn fährt. Und so gibt es in seinem Roman viel zu entdecken: Viele schräge Persönlichkeiten, dysfunktionale Beziehungen und Freundschaften, die dem Mangel an Alternativen geschuldet sind. Wer bei einem Autor auf eine genaue Beobachtungsgabe Wert legt und neue Blickwinkel mag, der ist bei Fingerman richtig.

|Originaltitel: Bottomfeeder
Aus dem Amerikanischen von Michael Koseler
332 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-492-29188-0|
http://www.bobfingerman.com
http://www.piper-fantasy.de