Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Birgit Erwin – Neun Leben

Die junge Catherine strotzt vor Unternehmungsgeist und Selbstsicherheit und sieht toll aus. Sie ist ein Profi als Privatdetektivin und Tochter einer reichen, adligen Familie in Nordengland. An ihrem Geburtstag besucht sie das Anwesen ihrer Eltern, und für ihren bodenständigen Freund Michael zeigt sich die Gesellschaft so intellektuell und spröde wie im Mittelalter. Der Haussegen hängt schief, Catherines Zwillingsbruder ist nicht gekommen und die alten Geschichten über ihren Berufsweg werden ausgegraben. Catherine und Michael verschwinden so bald wie möglich.

Ein anonymes Schreiben ruft sie an einen sehr persönlichen Ort der Freundschaft zwischen ihrem Zwillingsbruder und ihr, den sonst niemand kennt. Catherine und Michael besuchen ihn in der Nacht, in der Hoffnung auf ein heimliches Treffen mit dem Bruder. Sie finden ihn auch, ermordet.

Die Beziehungen, die Catherine über ihre Familie nutzt, führen dazu, dass ein Freund und Verehrer aus der schottischen Polizei (der Mord geschah knapp in Schottland) den Fall übernimmt. Catherine selbst stürzt sich auf ihren aktuellen Auftrag, der sich mit einer Sekte beschäftigt. Sie hat den Tod ihres Bruders noch nicht verarbeitet und grübelt über ihre Beziehung und setzt alle neuen Erlebnisse mit ihm in Verbindung.

Catherine wird im Zuge ihrer Ermittlungen plötzlich gehäuft in Unfälle verwickelt, aus denen sie immer wie durch ein Wunder nur leicht verletzt hervorgeht. Ihr Arzt wird misstrauisch und befürchtet Verbindungen zu ihrer Arbeit, aber sie glaubt nicht an Mordversuche. Erst ihre Ermittlungen bei der Sekte bewirken eine schleichende Veränderung.

Und während ihr Fall immer mehr unerwartete Verbindungen mit ihrem Bruder bekommt, sie selbst mit den Ansichten der Sekte konfrontiert wird und die Polizei in ihrer Ermittlung nicht vorankommt, macht sich ihr Freund Michael Sorgen und ermittelt auf eigene Faust und auf seine Art als Journalist. Er kommt der Wahrheit auf die Spur und sieht seine Freundin sich immer tiefer verstricken, immer weiter zurückziehen und immer stärker entfremden. Er bekommt ernsthaft Angst, sie zu verlieren.

Wie schon in ihrem Erstling »Lichtscheu« greift Birgit Erwin auf ein verbreitetes unerklärliches Phänomen und einen Glauben zurück, um ihrer Geschichte die phantastische Note zu verleihen. Waren es dort Vampire, sind es hier die ägyptischen Mythen, aus denen Erwin ein Detail aufgegriffen hat. Die Göttin Isis, Schwester des Obergottes Osiris und gleichzeitig seine Frau und Liebesgefährtin, steht als Pate für die Sekte, in deren Fänge es Catherine treibt. Diese Sekte besteht aus sogenannten Kriegern und Kriegerinnen der Isis, die weiterhin ihre Ziele verfolgen und in ihrem Sinne kämpfen. Sie sollen nach dem Glauben der Sekte neun Leben besitzen, um ihren gefährlichen Aufgaben gerecht werden zu können. In einer recht schnellen Wandlung gelangt Catherine von ihrer spöttisch-herablassenden Art, die sie vor allem ihrer sterndeutenden Mutter gegenüber hervorkehrt, zu der Überzeugung, selbst eine Kriegerin mit neun Leben zu sein. Mit diesem Glauben erscheinen die vielen Unfälle in ihrem Leben in einem ganz neuen Licht: Überlebte sie nur aufgrund ihrer Eigenschaften? Überlebte sie also gar nicht, sondern verlor lediglich ein Leben?

Man könnte die Wandlung in ihrer Schnelligkeit kritisieren. Erwin hat geschickt den Tod des Bruders als Erklärungsansatz für Catherines Labilität geliefert, andere Agonisten spekulieren im Laufe der Geschichte, dass sie gar nicht so selbstsicher sei, sondern durch ihre Entwicklung und selbst durch die Beziehung zu ihrem Bruder in ihrer Psyche geschwächt sei.

Michael hat ebenfalls seine Probleme. Er ist sich weder seiner Liebe zu Catherine noch ihrer Liebe zu sich sicher. Wenn er auch nicht als Alkoholiker bezeichnet wird, kommt man doch nicht umhin zu sehen, dass er seine Probleme in Bier ertränkt. So wie der zur Flasche greift, ist das jedenfalls nicht völlig normal. Das gemeinsame Leben der beiden zeugt bis zu dieser Situation auch nicht gerade von Harmonie. Und in dieser »heißen Phase« kommunizieren sie über gekritzelte Notizen und leben aneinander vorbei, statt die Probleme miteinander anzugehen. Seine Neigung zum Alkohol lässt auch ihn nicht gerade als Sympathieträger auftreten.

Erwins Stil ist persönlich und modern, trifft damit sicher den Geschmack vieler Leser und stößt andere vielleicht ab. Flüche, wie sie sonst oft vermieden oder dezent eingesetzt werden (zum Beispiel »Scheiße«) kommen in naturalistischer Häufung vor, und wahrscheinlich wird im normalen Leben noch mehr geflucht und geschimpft. Spannend und unterhaltsam ist die Geschichte auf jeden Fall, flüssig zu lesen, weitgehend glaubwürdig. Vor allem in die Überlegungen von Catherine kann man sich hineinversetzen, man kann sogar den Schwenk in die Übernatürlichkeit mit vollziehen. Nochmal bedacht, ergibt er sich aus der Angst und dem großen Verlust, den Catherine erfahren und der ihrem Leben eine gleichmäßige Stütze genommen hat. In dieser Phase erkennt sie ihren Lebensgefährten nicht als Hilfe.

So steuert der Roman einem beinahe klassischen Finale entgegen, wobei man sich über weite Strecken fragen könnte, wohin der Weg führt. Lange bleibt der Sinn des Titels verborgen, so dass er sogar aus dem Bewusstsein verschwindet. Schließlich wird alles mit einem Schlag deutlich und das Ende ist absehbar, aber in seiner Dramatik doch überraschend.

Gerade der Epilog befriedigt die Spannung, die sich über den Roman aufbaut und in unerwarteter Tragik entlädt. Er kann aber nicht verschleiern, dass die Geschichte lange ohne Ziel verläuft und so nur die Hoffnung auf ein gutes Ende bleibt.

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Donzowa, Darja – Spiele niemals mit dem Tod

Das Leben als Schriftsteller muss wunderbar sein. Ruhig und friedlich, den ganzen Tag nur am Schreibtisch sitzen und schreiben. Die Russin Darja Donzowa ist da allerdings anderer Ansicht.

Die vierzigjährige, aufgeweckte Tanja ist gerade als Haushälterin im Haus des berühmten Krimi-Autors Kondrat Rasumow und seiner jüngeren, schönen Frau eingestellt worden, als der Autor bei dem allabendlichen Kriegsspiel mit seinem vierjährigen Sohn plötzlich zusammenbricht – tot, wie sich herausstellt. Erschossen mit einer Waffe, die jemandem dem spielzeugwaffenvernarrten Wanja in die Hand gedrückt hat. Es ist ganz klar, dass der Vierjährige seinen Vater nicht mit Absicht ermordet hat, aber wer hatte dem Jungen die scharfe Waffe zugesteckt?

Für die Miliz ist der Fall klar. Es war Lena, denn Rasumow war ein ziemlicher Schürzenjäger und sie nicht sonderlich glücklich darüber. Die Einzige, die an Lenas Unschuld zu glauben scheint, ist Tanja, und die macht sich jetzt auf die Suche nach dem wahren Täter. Anhaltspunkte findet sie im letzten, noch unveröffentlichten Werk von Rasumow, in dem er über einige Menschen aus seinem Leben herzieht. Tanja beschließt, diese Leute aufzusuchen und sie darüber auszufragen, wie sie zu dem Schriftsteller standen, doch irgendwie scheinen all diese potenziellen Zeugen ums Leben zu kommen …

Einer der großen Boni von „Spiele niemals mit dem Tod“ ist die unglaublich sympathische Hauptperson Tanja, die mit ihrer resoluten Art den Haushalt des Schriftstellers auch nach seinem Tod zusammenhält. Gleichzeitig kümmert sie sich aber auch noch mit einer großen Portion Herz um die Tochter und auch um den Nachbarn Andrej, ein ehemaliger Gangster, der ihr während ihren Ermittlungen zur Seite steht.

Tanja weiß genau, wie sie an die Zeugen herankommt, und sie ist sehr geschickt, wenn es darum geht, Lügen zu erfinden, um die Leute zu treffen. Trotzdem schafft Donzowa es, Tanjas heimliche Ermittlungsarbeiten sehr authentisch wirken zu lassen, da sie nicht auf Superheldenkräfte setzt, sondern in so kleinen, nachvollziehbaren Schritten vorgeht, dass es tatsächlich real wirkt. Dabei ist ja gerade die Frage nach der Realität diejenige, die man sich in Büchern, bei denen der Normalbürger ermittelt, gerne stellt.

Donzowa meistert diese Hürde unglaublich gut und schafft es dabei auch noch, eine Menge Spannung aufzubauen. In Tanjas Leben tauchen plötzlich so viele fremde Menschen auf, dass weder sie noch der Leser wissen, wem sie jetzt eigentlich vertrauen können. Die Autorin schafft es dadurch, einige falsche Spuren auszulegen und Tanja immer tiefer in einen Sumpf geraten zu lassen, bei dem man nicht immer zwischen aufrichtigem, aber illegalem Angebot und Bosheit unterscheiden kann.

Wer ist der Mörder des Schriftstellers? Lange wird diese Frage noch nicht mal ansatzweise beantwortet, aber schlussendlich, nach vielen Wendungen und Überraschungen kommt die Wahrheit ans Licht – und ist vielleicht das Überraschendste am ganzen Buch.

Neben Tanja als Hauptperson, die aus der Ich-Perspektive erzählt, ist aber vor allem Donzowas Schreibstil bezeichnend für „Spiele niemals mit dem Tod“. Nicht umsonst wird sie auf dem Buchrücken als „Die große Satirikerin unter den Krimi-Frauen“ (|Literaturen|) bezeichnet. Gewitzt und nicht unkritisch lässt sie Tanja das Leben in Moskau beschreiben. Dabei schafft sie es auf der einen Seite, sehr liebevoll und sauber zu schreiben, so dass sich ein flüssig zu lesendes Ganzes ergibt, und auf der anderen Seite unterhält sie den Leser mit ihren kleinen Witzchen, Bemerkungen, Anspielungen, die manchmal beinahe sarkastisch klingen. Der Roman ist also in einem frischen, flüssigen, manchmal zum Lachen animierenden Stil geschrieben ist, den man sofort ins Herz schließt.

Genau wie das ganze Buch. „Spiele niemals mit dem Tod“ hebt sich schon deshalb von anderen Kriminalromanen ab, weil im Mittelpunkt eine Frau aus dem gewöhnlichen Volk steht, die gelernte Harfenistin ist, aber als Haushälterin arbeitet und dabei in eine Sache schlittert, die eigentlich eine Nummer zu groß für sie ist. Eine sympathische Protagonistin, ein Fall mit Winkeln und Ecken und ein unterhaltsamer Schreibstil – diese Zutaten sorgen dafür, dass „Spiele niemals mit dem Tod“ ein richtig gutes Buch ist!

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Clark, Robert – Verbrechen des Mr. White, Das

Herbert White gehört zu jenen unauffälligen Zeitgenossen, die ihr gesamtes Leben am Rande der Gesellschaft verbringen und dort von ihren Mitmenschen kaum zur Kenntnis genommen werden. Dabei ist es nicht einfach, ihn zu übersehen, ist er doch auffällig groß und kräftig und trotz seiner Jugend mit einer spiegelblanken Glatze geschlagen. Mit ruhiger Regelmäßigkeit geht er seinem farblosen Angestelltenjob nach und verbringt die Feierabende und Wochenende daheim. Dort schneidet er Zeitungsartikel aus, die über Neues in der Welt berichten. Für White ist das wichtig, denn er leidet an Gedächtnisstörungen und kann sich schlecht merken, was in den letzten Tagen und Wochen geschehen ist oder er selbst getan hat.

Das ist fatal, denn es sichert ihm zusammen mit seinem zweiten Zeitvertreib die ungeteilte Aufmerksamkeit der örtlichen Polizei. Herbert White fotografiert gern – am liebsten junge und schöne Frauen. Dafür ist er schon bekannt bei den Tänzerinnen der „White Castle“-Bar, denen seine harmlose Obsession eine schöne Nebenerwerbsquelle erschließt. Doch wir schreiben das Jahr 1939, und St. Paul, Whites Heimatort, ist keine weltoffene Großstadt, sondern ein kleines Nest irgendwo im US-Staat Minnesota. Hier gelten eigene, oft ungeschriebene Regeln, deren wichtigste lautet, dass jeder als verdächtig gilt, der sich „anders“ verhält als die braven Bürger.

Und Verdächtige sind Männern wie den Polizisten Welshinger und Trent vom Sittendezernat des Städtchens St. Paul ausgeliefert – selbstherrlichen, rassistischen und korrupten Männern, die gern Landstreicher, Schwarze, Juden und andere Minderheiten, die sich nicht wehren können, schurigeln, demütigen oder erpressen. Die meisten ihrer Kollegen sind aus demselben Holz geschnitzt. Lieutenant Wesley Horner ist allerdings anders – ein beruflich integerer Mensch, dem privat viel Schlimmes widerfahren ist. Seine Ehefrau ist nach langer Krankheit gestorben, die Tochter fortgezogen. Nun ist er allein und grübelt zu viel. Der Dienst leidet aber nicht darunter, was nur gut ist, als in einer lauen Spätsommernacht die Leiche der Tänzerin Charlene Mortensen entdeckt wird; die junge Frau wurde erschlagen. Mord ist ein seltenes Delikt in St. Paul. Die Polizisten schwärmen aus, doch Eifer ersetzt solide Fahndungsarbeit. Ein Täter muss her, und das möglich rasch, denn Presse und Öffentlichkeit werten jede Verzögerung als Schwäche. Da ist die Versuchung groß, die Ermittlungen ein wenig abzukürzen. Es dauert auch nicht lange, bis Herbert White ins Visier der Beamten gerät. Er passt nicht nur gar zu gut in ihr beschränktes Weltbild, sondern eignet sich auch hervorragend als Hauptverdächtiger. Sein umständliches Verhalten, seine angeblichen Gedächtnislücken und sein ungewöhnliches Hobby verschaffen ihm einen schweren Stand. Gar zu gern würden Welshinger und Trent ihm die Bluttat anhängen. Zwar ist die Indizienkette mehr als dünn, doch dem ließe sich nachhelfen …

Als „Mr. White’s Confession“ 1999 von den ehrwürdigen „Mystery Writers of America“ als bester Kriminalroman des Jahres mit dem „Edgar Allan Poe Award“ ausgezeichnet wurde, war niemand erstaunter als Robert Clark, der niemals einen klassischen Thriller im Sinn hatte, als er die traurige Geschichte des Herbert White niederschrieb. Nachdem man sie gelesen hat, versteht man ihn gut, denn in der Tat steht „Das Verbrechen …“ zwischen den Genres: Krimi, Liebesgeschichte, historischer Rückblick, psychologische Studie – das alles und noch mehr steckt in der Geschichte, die trotzdem ein harmonisches und sehr stimmiges Ganzes ergibt und glänzend ihren Verfasser bestätigt, der es ablehnt, sich in literarische Schubladen sperren zu lassen.

Ist der Leser bereit, über seinen (oder ihren) Schatten zu springen und sich auf die Geschichte einzulassen, bleibt die Belohnung nicht aus. Ja, es ist wahr: In diesem Roman geschieht nicht gerade viel, und es gibt eigentliche keine Figur, die wirklich sympathisch wäre. Das schließt Herbert White, den tragischen Anti-Helden, ausdrücklich mit ein. Sogar die wenigen Polizisten, die sich tatsächlich bemühen, Recht und Ordnung zu vertreten, sind recht unbedarft und leicht auf falsche Fährten zu locken. Das mindert jedoch in keiner Weise die Wirkung einer ganz spezifischen Rekonstruktion des Jahres 1939. Dabei beschränkt sich Robert Clark auf ganz wenige Pinselstriche, wenn er das St. Paul von einst wiedererstehen lässt. Er hat es nicht nötig, Authentizität durch ausufernde historische Reiseberichte zu erzwingen. Die Vergangenheit wird nur dort beschworen, wo sie für die Handlung relevant ist.

Die scheint wiederum Jim Thompson Recht zu geben, der stets der Meinung war, die scheinbare Idylle der kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt und man sich stets untereinander hilft, könne sich als arger Saustall entpuppen, in dem es genauso schmutzig zugeht wie in der verluderten Metropolis. Doch Clark ist kein Zyniker wie Thompson, und St. Paul kein Höllenpfuhl, sondern einfach ein Ort, bewohnt von Menschen, die grundsätzlich bemüht sind, ihr Leben regelkonform zu führen. Das schützt sie nicht vor dem Scheitern: „Das Verbrechen des Mr. White“ ist eine ganz einfache Geschichte, wie sie das Leben tatsächlich manchmal schreibt, und weil ihr Verfasser sein Handwerk versteht, liest sie sich trotzdem spannend. Das Ausbleiben einer Auflösung ändert daran gar nichts. Wer zwischen den Zeilen liest, wird den wahren Mörder ohnehin selbst erkennen. Gewissheit gibt es allerdings nicht: Clark verstreut sehr geschickt Andeutungen und Indizien über den ganzen Text, die neben dem boshaften Welshinger noch andere Verdächtige zulassen. Auch Herbert White wird nie völlig entlastet. So bleibt dem Leser die Entscheidung überlassen.

St. Paul ist übrigens kein fiktiver Ort; er existiert tatsächlich, und Robert Clark ist dort geboren und aufgewachsen. Inzwischen ist er mit Ehefrau und zwei Kindern in Seattle ansässig.

Sidor, Steven – Skin River

Seit anderthalb Jahren ist Buddy Bayes Besitzer der Black Chimney Tavern. Außerhalb Gunnars, einer kleinen Stadt im Nordosten des US-Staates Wisconsin einsam gelegen, ist die Kneipe ein beliebter Treffpunkt für Urlauber, Jäger und Fischer. Sie ist aber auch ein Versteck für Bayes, der in seiner Heimatstadt Chicago den Gangster Red um viel Geld betrogen hat und sich nun verborgen halten muss, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Buddy hat sich eingelebt und in der jungen Mutter Margot auch eine Freundin gefunden; er ist zufrieden.

Natürlich meidet er tunlichst öffentliche Aufmerksamkeit. Daher ist es schlecht, dass ausgerechnet er die Überreste der jungen Melissa Teagles im Skin River treibend findet. Sie ist dem „Ziegenhäuter“ in die Hände gefallen, einem psychopatischen Serienkiller, der seine Opfer mit dem Messer jagt und zerlegt. Die Existenz eines unsichtbar bleibenden Killers, der womöglich zu den Einheimischen gehört, übersteigt das Verständnis des kriminalistisch nur bedingt fähigen Sheriffs Glen Rafferty. Er hält sich an Buddy Bayes, den Neuling in der Gemeinde, der sich ihm als Verdächtiger anbietet.

Notgedrungen muss sich Bayes selbst als Detektiv versuchen. Leider fehlt ihm jede Erfahrung. Seine ungeschickten Ermittlungen bringen den düpierten Red und seine Schergen auf seine Spur. Sie wollen das unterschlagene Geld, und sie wollen Bayes strafen. So wird der Kneipenwirt plötzlich von zwei Seiten unter Druck gesetzt. Zu allem Überfluss wird der „Ziegenhäuter“ auf Bayer aufmerksam. Er stellt ihm eine Falle und plant seine Form von Vergeltung, denn er hat ein Auge auf Margot geworfen …

Solche Thriller liest man gern: Eine einfache und bewährte Story wird mit diversen Hakenschlägen in einen rasanten Thriller verwandelt. „Skin River“ ist stets für eine Überraschung gut. Der Plot wird ordentlich gegen den Strich gebürstet: Die Hauptfigur selbst ist es, die ihren Untergang einleitet. Längst hat der von ihm gefoppte Gangster seine Niederlage als böse Erfahrung abgehakt – er denkt gar nicht daran, seine Zeit damit zu vergeuden, nach Buddy zu suchen. Der hat sich völlig unnötig in der Wildnis eingegraben und tritt jetzt denkbar ungeschickt seinem Gegner noch einmal auf die Füße.

Auf dieser Welt geht eben schief, was schiefgehen kann. „Murphys Gesetz“ ist ein wichtiges Element dieses Romans. Kein Zufall ist so irrwitzig, dass es ihn nicht geben könnte. Bemerkenswerterweise erscheint dem Leser dies nie seltsam, übertrieben oder unlogisch: Sidor hat seine Geschichte vor allem in ihren ersten beiden Dritteln fest im Griff.

Danach wird das bisher so dichte Handlungsgefüge ein wenig löchrig. Der Verfasser muss einen Weg finden, die einzelnen Fäden seiner Story, die er so kundig gesponnen hat, für das Finale zu einem soliden Knoten zu verknüpfen. Hier zeigen sich leichte Schwächen, denn Sidor wählt den einfachen Weg und inszeniert eine wilde Verfolgungsjagd, die einerseits in eine mörderische Abrechnung zwischen Bayes und dem Gangster und andererseits in der Entlarvung des „Ziegenhäuters“ mündet. Das ist wiederum sehr spannend, aber nicht raffiniert.

Das trifft auch auf die Figurenzeichnung zu. Selten treten uns die Protagonisten eines Thrillers so plastisch vor das innere Auge wie hier. Mit Buddy Bayes hat Sidor einen zwielichtigen „Helden“ geschaffen. Anfänglich schildert er uns einen sympathischen Zeitgenossen, der mit seiner verbrecherischen Vergangenheit abgeschlossen hat. Bayes hat einen Schurken betrogen, das ist ja nicht so „schlimm“. Nun führt er eine Kneipe, kommt gut mit seinen Gästen aus und knüpft sogar zarte Bande zu einer schönen Frau.

Dann holt besagte Vergangenheit ihn nicht etwa ein. Bayes weckt sie, denn er hat noch eine zweite, deutlich düsterere Seite. Wenn er in Chicago prüft, ob man ihm auf den Fersen ist, kommt plötzlich der „alte“ Bayes zum Vorschein – ein gewiefter Krimineller, für den Gewalt ein alltägliches „Instrument“ ist. Dieser Bayes droht, schlägt und schießt. Er ist deshalb kein Psychopath, sondern erledigt nüchtern seinen „Job“. Erst weil wir diesen Bayes kennen gelernt haben, erscheint uns die gewaltige Schießerei in und um Buddys Kneipe nicht unwahrscheinlich: Die Situation ist nicht unbedingt neu für unseren bedrängten Mann, und deshalb meistert er sie.

Die zweite zentrale Gestalt des „Skin River“-Dramas ist der „Ziegenhäuter“, ein Psychopath der ganz finsteren Sorte. Sidor schildert ihn erfreulich realistisch nicht als diabolisch genialen Übermenschen, der auf überkomplizierte Art killt und quasi nebenbei die verfolgende Polizei mit sardonischen Scherzen neckt. Sein „Ziegenhäuter“ ist ein Mensch, der von seinem dunklen Trieb beherrscht wird. Mit diesem Drang hat er sich arrangiert, er ist ein „organisierter“ Serienmörder, der seine Spuren verwischt und es im Laufe vieler Jahre auf eine bedrückend beeindruckende Jagdstrecke gebracht hat, ohne auch nur in Verdacht zu geraten.

Doch seine psychische Situation ändert sich. Sidor schildert einen „Ziegenhäuter“, der die Kontrolle über sich zu verlieren beginnt. Die inneren Stimmen in seinem Kopf werden so laut, dass er sich nicht mehr darauf konzentrieren kann, seine Tarnung als liebenswert unkonventioneller Außenseiter in der Gemeinde Gunnar aufrechtzuerhalten. Er wird schlampig, versteckt seine Opfer nicht mehr, sondern präsentiert sie. Größenwahn erfüllt ihn. So würde er sich irgendwann sogar dem engstirnigen Sheriff Rafferty verraten, doch da ist Buddy Bayes. Zwar ist der „Ziegenhäuter“ verrückt, doch dumm ist er nicht. Deshalb legt er falsche Spuren, die Bayes in Verdacht geraten lassen.

Schließlich erfolgt der geistige Zusammenbruch so schnell, dass dem „Ziegenhäuter“ solche Schlichen und seine Maske gleichgültig werden. Der Wahn beherrscht ihn vollständig. Diesen Prozess weiß Sidor eindringlich zu schildern. Der „Ziegenhäuter“ ist auf der einen Seite selbst ein Opfer. Die berühmt-berüchtigte „gestörte Kindheit“ hat ihn geprägt und die Saat für seinen Krankheit gelegt. Auf der anderen Seite ist der „Ziegenhäuter“ womöglich ein Psychopath von Geburt an. Sidor legt sich hier nicht fest und folgt damit der Forschung, die weiterhin nicht wirklich weiß, wie ein Serienmörder „entsteht“ oder „funktioniert“.

Zu guter Letzt bleibt vom „Ziegenhäuter“ nur das groteske Zerrbild eines Menschen. Sidor schildert ihn etwa wie den alten Ed Gein, den berüchtigten Mörder und Leichenschänder, der u. a. als Vorbild für den Horrorfilmklassiker [„Texas Chainsaw Massacre“]http://www.powermetal.de/video/review-58.html diente. Seine letzten Jahre verbrachte Gein in einem Sanatorium für geisteskranke Kriminelle: ein geistig zerbrochener, täuschend friedlicher Mann, der nach Ansicht seiner Ärzte jedoch weiterhin von seinen Dämonen getrieben wurde. Der „Ziegenhäuter“ ist so wahnsinnig geworden, dass sich die in ihm aufgestaute Gewalt nicht mehr gegen unschuldige Opfer, sondern gegen sich selbst entlädt: Die Bestie zerstört sich selbst.

Auch den Randfiguren schafft Sidor detaillierte Biografien. Hier übertreibt er es in seinem Eifer allerdings, denn der Aufwand lohnt sich nur bedingt. So wichtig werden Figuren wie Sheriff Rafferty, Margot oder Gangster Red nicht, dass sie uns so aufwändig vorgestellt werden müssten. Andererseits fällt auch hier auf, wie geschickt der Autor Klischees vermeidet. Er vervollständigt damit das erfreuliche Bild eines Thrillers, der es keineswegs verdient, im Meer jener Durchschnittskrimis zu versinken, die Monat für Monat auf den deutschen Buchmarkt geworfen werden. Das kann leider leicht geschehen, denn sowohl die Aufmachung als auch der alles und gleichzeitig nichts sagende Covertext verschleiern erfolgreich, welches Kleinod hier auf seine Leser wartet!

Viel ist noch nicht bekannt über Steven Sidor, der bisher nur zwei Romane geschrieben hat und ein drittes Werk für 2007 ankündigt. Auch seine [Website]http://www.stevensidor.com zeichnet sich in biografischer Hinsicht durch bestürzende Kargheit aus. Den knappen Verlagsinfos lässt sich entnehmen, dass Sidor das Grinnell College besuchte und an der University of North Carolina in Chapel Hill studierte. Er arbeitete anschließend in der Betreuung psychisch kranker Menschen. Heute lebt Sidor mit seiner Familie in der Nähe von Chicago.

http://www.knaur.de

Gillian Flynn – Cry Baby

Die Werbekampagne des Scherz-Verlages für den Debütroman der hübschen Autorin Gillian Flynn war groß und edel angelegt: Im Börsenblatt blickte einem eine dunkelrote zweiseitige Anzeige entgegen, das Buch wird in einem ansprechend bedruckten Pappkarton und mit einem schicken Schutzumschlag angeliefert und ist schon auf den ersten Blick ein Hingucker. Doch auch wenn man in das Buch hineinschaut und -liest, wird man feststellen, dass einem nicht zu viel versprochen wird durch die schicke Optik, sondern dass dieses Werk in der Tat etwas ganz Besonderes ist…

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Buticchi, Marco – dritte Prophezeiung, Die

Das Interesse von Verschwörungsfanatikern an den Templern ist nach wie vor ungebrochen und auch die katholische Kirche ist immer wieder für einen packenden Thriller gut. So bedient der gefeierte italienische Autor Marco Buticchi sich zweier erfolgversprechender Komponenten für seinen Thriller „Die dritte Prophezeiung“. Und wenn man den Lobpreisungen auf den Umschlagseiten glauben darf, so hält man hier das Buch des italienischen Dan Brown in Händen, der nun endlich der Erste sein könnte, der den großen Brown von seinem Bestsellersockel stoßen könnte. Die Erwartungen sind also hoch, wenn man das Buch aufschlägt und zu lesen beginnt. Schauen wir uns an, was uns zwischen den Buchdeckeln geboten wird:

Zu Beginn begegnen wir im Jahre 1918 dem Unteroffizier Igor Drostin, der der Hinrichtung der Familie Nikolaj Romanows beiwohnt und später in den Kleidern der Romanows eine wertvolle Entdeckung macht, nämlich zahlreiche kostbare Juwelen, von denen er einige auf die Seite schafft. Seinem Enkel Josif Drostin vermacht Igor ein paar abgenutzte Schreibhefte, in denen er verschlüsselt den Weg zu den vergrabenen Juwelen offenbart. Doch noch ahnt Josif nichts von seinem anstehenden Glück und verzweifelt immer mehr an seiner frustrierenden Arbeit in der Fabrik, bei der er zusätzlich von einem cholerischen Vorgesetzten gequält wird. Bevor Josif es allerdings zu großem Reichtum bringt, muss er einige Schicksalsschläge überstehen; seine Freundin wird ermordet und er selbst wird als mutmaßlicher Mörder gesucht. Der Zufall will es aber, dass Josif in russischen Mafiakreisen immer weiter aufsteigt und es schließlich zum mächtigsten Waffenhändler bringt. Ein besonders gefährlicher Auftrag führt Josif allerdings auf eine Kreuzfahrt, die zum Himmelfahrtskommando auszuarten droht.

Im Jahre 1978 beginnt die Erzählung um Pat Silver und seinen besten Freund Derrick Grant, die bei einer manipulierten spiritistischen Sitzung das Herz von Maggie Elliot und Annie Ferguson erobern wollen. Als Pat mit seinem Schauspiel beginnt, fällt Maggie jedoch tatsächlich in Trance und verkündet in einer fremden Sprache, dass sich die Prophezeiung zu erfüllen droht. In den Jahren darauf hat Maggie immer wieder ihre Ahnungen, in denen sie zukünftige Geschehnisse sehen kann und beispielsweise auch das Attentat auf Papst Johannes Paul II. im Jahre 1981 voraussieht. Diese Gabe verhilft Maggie zu einer erstaunlichen Fernsehkarriere, nur privat läuft es alles andere als rosig. Denn ihre heimliche Liebe zu Pat Silver steht unter keinem guten Stern; die beiden kommen einfach nicht zusammen, sodass Maggie schließlich Timothy Hassler heiratet. Pat kann sie allerdings nie vergessen. Der jedoch dreht ein krummes Ding nach dem anderen und verdient sich eine goldene Nase durch seine illegalen Computertricks. Doch das Schicksal der vier Collegefreunde wird eng miteinander verbunden bleiben und auf einer noblen Kreuzfahrt schließlich ein fulminantes Finale hervorbringen …

Diese beiden Haupterzählstränge, die zunächst nichts miteinander zu tun haben, verbinden sich, als Derrick Grant seine drei Jugendfreunde auf die Kreuzfahrt mit dem größten Passagierschiff der Welt einlädt. Auf diesem Schiff reist nämlich auch Josif Drostin, der eine gefährliche Ladung zu übergeben hat.

Eine weitere Erzählebene widmet sich Geschehnissen, die einige hundert Jahre in der Vergangenheit liegen. Hier erleben wir im Jahre 1291 in Akkon das Ende des letzten Großmeisters der Templer mit. Die weiteren historischen Ereignisse schildern die gefährliche Reise des jungen Ritters Bertrand de Rochebrune, der dem Gemetzel in Akkon entfliehen konnte, aber in den darauffolgenden Jahren noch viele Abenteuer zu überstehen hat. Spät offenbart uns Marco Buticchi schließlich auch das Bindeglied zwischen den historischen Ereignissen im ausklingenden 13. und beginnenden 14. Jahrhundert und den Geschehnissen am Ende des 20. Jahrhunderts. Bis dahin heißt es für den Leser Rätsel raten …

In seinem packenden Verschwörungsthriller hat uns Marco Buticchi offensichtlich viele Geschichten zu erzählen. Stilistisch hat er sich in der Tat von Dan Brown und seinen Erfolgen inspirieren lassen, denn er fügt seinem Buch die gleichen erfolgversprechenden Komponenten hinzu und schlägt ein unglaubliches Erzähltempo an, das durch die schnellen Wechsel der Schauplätze immer weiter gesteigert wird. Immer dann, wenn es in der Gegenwart besonders spannend wird, springt Buticchi zurück in die Vergangenheit, wo wir Bertrand de Rochebrune auf seinen Reisen begleiten. Die Wechsel zwischen den verschiedenen Erzähl- und Zeitebenen schaffen allerdings oft genug auch einige Verwirrung, da Buticchi viele Lebensjahre seiner Protagonisten beleuchten will. So zieht sich alleine die Geschichte um Maggie Elliot und ihre Freunde vom Jahre 1978 bis zum Jahre 1999.

Im vorliegenden Roman erwartet einen folglich eine wahre Informationsflut, der man stellenweise kaum folgen kann. Marco Buticchi bemüht sich zwar, seinen Charakteren Leben einzuhauchen, allerdings empfand ich viele der präsentierten Auskünfte als überflüssig. Nehmen wir nur allein die unglückliche Liebe zwischen Maggie Elliot und Pat Silver, die sich über viele Jahre hinzieht und in einem Seitensprung auf dem Luxusdampfer endet. Auf vielen Seiten breitet Buticchi Pat Silvers kriminelles Berufsleben aus, er umschreibt ausschweifend die Eheprobleme zwischen Maggie Elliot und Timothy Hassler, aber all dies bringt die Erzählung kein Stück voran. Diese Handlungen im Leben der Figuren haben nichts mit der eigentlichen Geschichte zu tun, also nichts mit dem geplanten Anschlag auf das Kreuzfahrtschiff. Derlei schmückendes Beiwerk findet sich an vielen Stellen im Buch und stört sowohl den Spannungsaufbau als auch die Glaubwürdigkeit. Meiner Meinung nach hätte sich Marco Buticchi wie sein großes Vorbild Dan Brown auf das Wesentliche konzentrieren sollen. Im Übrigen hat Buticchi an so mancher Stelle eher schlecht geklaut, denn seine Bösewichte verpackt Buticchi so dürftig, dass selbst der ungeübte Leser diese Verräter schnell enttarnt haben dürfte.

Gelungen fand ich in weiten Teilen den Spannungsbogen des Buches, der durch die schnellen Szenenwechsel immer weiter ansteigt und dafür sorgt, dass man das vorliegende Buch nicht mehr aus der Hand legen kann. Auf der anderen Seite hätte ich mir gewünscht, dass Buticchi seine Erzählebenen enger miteinander verknüpft. Zwar offenbart der Autor uns die Verbindung zwischen den Ereignissen im 13./14. Jahrhundert und denen im ausklingenden 20. Jahrhundert, aber mir persönlich war diese Verbindung zu locker. Es ist nicht deutlich geworden, welchen inhaltlichen Sinn die historischen Exkurse hatten und insbesondere hat Buticchi uns nicht klar gemacht, was genau hinter dem Anschlag auf das Kreuzfahrtschiff steckt. In vielen Szenen treffen wir auf mysteriöse Gestalten, die sich hinter einer Kutte verborgen halten und die offensichtlich zum Templerorden gehören, aber ihre Beweggründe sind mir nicht klar geworden.

So kann Marco Buticchi in Ansätzen zwar überzeugen und man entdeckt auch das schriftstellerische Potenzial, das in ihm steckt. An vielen Stellen hätte man sich allerdings ein strafferes Lektorat gewünscht und insbesondere auch den roten Faden, der die einzelnen Ereignisse miteinander verknüpft und den Leser durchs Buch führt. Denn an vielen Verzweigungen seiner Handlungsstränge lässt Buticchi uns alleine stehen und zeigt uns nicht deutlich genug, wo es eigentlich langgehen soll. Viele Fragen bleiben am Ende offen, die einen etwas unbefriedigt zurück lassen, auch wenn „Die dritte Prophezeiung“ durchaus Unterhaltungswert hat und nett zu lesen ist. Aus der Masse der zahllosen Verschwörungsthriller hebt sich das vorliegende Buch allerdings leider nicht ab.

http://www.piper.de

Seghers, Jan – Braut im Schnee, Die

|Jan Seghers ist das Pseudonym für den Frankfurter Journalisten Matthias Altenburg, unter dem er Kriminalromane schreibt. Nach „Ein allzu schönes Mädchen“ veröffentlichte er den Krimi „Die Braut im Schnee“, in dem ebenfalls der leicht verschrobene Hauptkommissar Marthaler ermittelt.|

Die Leiche einer jungen Zahnärztin wird, in grotesker Weise ausgestellt, vor ihrem eigenen Haus gefunden. Die Frau, die kaum Freunde gehabt zu haben schien, führte ein biederes Leben. Sie kannte nur die Arbeit und ihren entfernt lebenden Verlobten, einen schüchternen Installateur. Das Ermittlerteam um Marthaler kann sich überhaupt keinen Reim aus dem Verbrechen machen, doch ihr Chef Herrmann schießt sich sehr schnell darauf ein, dass ein wegen sexueller Vergehen vorbestrafter Fotograf der Schuldige ist, und zieht alle Polizeikräfte für die Fahndung nach dem Fotografen ab.

Marthaler, der noch nie ein gutes Haar an seinem Chef gelassen hat, ist mit diesem Vorgehen nicht einverstanden, was zu seiner vorübergehenden Suspendierung führt.

Als Marthaler wieder im Dienst erscheint, ist der Fall immer noch nicht gelöst. Im Gegenteil gibt es ein zweites Opfer, doch dieses Mal ist der Täter beobachtet worden …

In einem lobenden Zitat am Anfang des Buches wird erwähnt, dass es Henning Mankell war, der Jan Seghers zum Schreiben brachte. Wenn das wahr ist, dann wundert es nicht, dass man die eine oder andere Parallele zwischen Ermittlerschwergewicht Wallander und Marthaler entdeckt. Beide sind alleinstehend und eher etwas zurückgezogen, haben Figurprobleme und widersetzen sich ihren Vorgesetzten.

So weit, so gut, denn Marthaler ist im Vergleich von Wallanders manchmal schon entrückt wirkender Depressivität weit entfernt und wirkt menschlicher und alltagsnaher als der beliebte schwedische Polizist. Was ihn sympathisch macht, ist, dass er keineswegs ein Übermensch ist, sondern wie der nette Nachbar von nebenan wirkt. Ein wenig verschroben manchmal, aber an und für sich ein freundlicher Kerl. Manchmal vielleicht ein wenig zu freundlich, wenn es darum geht, in ihm eine herausragende Persönlichkeit zu sehen, die im Gedächtnis bleibt.

Ähnliches gilt für die Handlung. Die ist auch ein sehr freundlicher Kerl, lässt an einigen Stellen aber die Originalität missen. Damit ist sie in Bezug auf den Punkt Authentizität natürlich auf der sicheren Seite, denn man kann ihr nicht den Vorwurf machen, sie würde mit überzogenen, unrealistischen Ereignissen prahlen.

Allerdings nagt es an der Spannung, wenn man als Leser das Gefühl hat, Ähnliches schon einmal in einem anderen Buch gelesen zu haben. Und da hilft es noch nicht einmal, wenn der Ermittleralltag wirklichkeitsgetreu dargestellt wird, indem man zwischen dem ersten Mord und der Aufklärung über ein halbes Jahr verstreichen lässt. Die harmlose Mischung aus Marthalers Privatleben und den Mordermittlungen inklusive einiger weniger Perspektivwechsel hat zwar ihre kleinen Höhe- und Wendepunkte, läuft aber nie zur Höchstform auf.

Der Schreibstil beweist, dass Seghers alias Altenburg sein Handwerk gelernt hat. Es gibt keine Unannehmlichkeiten und das Buch lässt sich flüssig lesen, auch wenn es an der einen oder anderen zu ausschweifenden Ortsbeschreibung ruckelt.

Insgesamt ist „Die Braut im Schnee“ aber ein sehr angenehmes Buch. Nicht besonders aufregend, aber auch nicht schlecht. Ein netter Krimi für zwischendurch, aber keiner, der sonderlich lange im Gedächtnis haften bleibt.

http://www.rowohlt.de

Pickard, Nancy – Schneeblüte

|Wenn man sich die Preise anschaut, die Nancy Pickard für ihre Kriminalromane bereits eingeheimst hat, erwartet man eigentlich eine spannende Geschichte in „Schneeblüte“. Eigentlich …|

1987 findet der junge Rex zusammen mit seinem älteren Bruder Patrick und seinem Vater, dem Sheriff des kleinen Örtchens Small Plains, die Leiche einer jungen Frau im Schnee. Es wird nie geklärt, wer sie ist oder woher sie kam, denn niemand im Dorf scheint sie zu kennen.

In der gleichen Nacht wollen Abby und Mitch zum ersten Mal miteinander schlafen, doch als Mitch aufsteht, um aus der Hauspraxis von Abbys Vater, der der örtliche Arzt ist, Präservative zu holen, kehrt er nicht mehr zurück. Als Abby am nächsten Morgen bei seinen Eltern klingelt, erfährt sie, dass sie ihn weggeschickt haben, weil er sie angeblich nicht mehr sehen wollte.

Siebzehn Jahre vergehen. Abby und Rex sind mittlerweile erwachsen und die Identität der jungen Toten ist immer noch nicht geklärt. Sie liegt in einem anonymen Grab auf dem Friedhof von Small Plains und hat über die Jahre den Status einer Wunder vollbringenden Jungfrau bekommen.

Es ist der Tod von Mitchs Mutter, der Abby aufweckt und sie daran erinnert, dass die junge Frau immer noch anonym ist. Sie versucht Rex, der mittlerweile das Amt seines Vaters übernommen, zu überreden, den Fall nochmals aufzurollen. Zufällig taucht zur gleichen Zeit Mitch wieder auf, dem man nach dessen Verschwinden vor siebzehn Jahren nachsagte, er könnte das Mädchen umgebracht haben. Abby, die sich immer noch von ihm angezogen fühlt, steht vor einem großen Konflikt …

„Schneeblüte“ ist eines dieser Bücher, die man nach der Lektüre mit einem schalen Beigeschmack zur Seite legt und feststellt, dass man doch nur Zeit verschwendet hat.

Nancy Pickards Roman weist eine Handlung auf, die durchaus schlüssig ist. Sie beginnt mit einem in der Vergangenheit liegenden Leichenfund, der dessen Beteiligte auch nach Jahren noch beschäftigt. Die Autorin versucht auch Spannung aufzubauen, indem sie die wirklichen Wesenszüge einiger Figuren im Dunkeln lässt und dem Leser Einblicke gewährt, die die Hauptpersonen nicht haben.

Trotzdem kommt während des Lesens kaum Spannung auf. Das Buch zieht sich in die Länge, weist immer wieder unnötige Passagen auf (in denen es vornehmlich um die weiblichen Probleme von Abby geht) und hat so gut wie keine sich steigernden Spannungsstufen. Seite für Seite tröpfelt das Geschehen vor sich hin, mal mehr, mal weniger vorhersehbar.

Vorhersehbar ist ein Wort, das man im Zusammenhang mit diesem Buch nicht nur einmal verwenden kann. Die Charaktere sind leider recht einfach gestrickt, geradezu oberflächlich, langweilig. Abby erscheint wie die lockerluftige Dauersinglechaotin eines Frauenromans, und das ist nicht gerade die perfekte Besetzung für ein Buch, das sich „Thriller“ nennen lassen möchte.

Hinzukommt eine klischeehafte Schwarzweißzeichnung der Dorfbevölkerung. Es gibt den Bad Boy, der vom College fliegt, wovon aber niemand etwas wissen soll, und der selbst nach siebzehn Jahren immer noch etwas unreif wirkt und zu Gewalt neigt. Es gibt die Dorfseelen, die Dorfhexen und all diese unbescholtenen Bürger, deren einziger Fauxpas zu sein scheint, in den Fall von vor siebzehn Jahren verwickelt gewesen zu sein, was ihnen aber niemand ansieht, weil sie sich wie normale Menschen benehmen. Nancy Pickard scheint voll und ganz auszuklammern, dass selbst die beste Dorfseele ihre Abgründe hat und dass die Menschen eben nicht immer nur nett zueinander sind.

Dummerweise ist der Schreibstil Pickards genauso belanglos wie die Handlung und die Personen. Gerade Letztere fallen an dieser Stelle noch mal negativ auf, da die Autorin zu exzessiven Personenbeschreibungen neigt, die sie nicht in den Erzählfluss einbettet. An solchen Stellen entstehen Brüche, die nicht hätten sein müssen und vielleicht hätten verhindert werden können, wenn Pickard sich dazu aufgerafft hätte, etwas spannender zu schreiben. Stattdessen reiht sie einen wenig tiefgründigen Satz an den anderen und stürzt den Leser damit in verzweifelte Langeweile.

Beim besten Willen, nein. Es ist sehr schwierig, an „Schneeblüte“ auch nur ein gutes Haar zu lassen. Die Handlung schleppt sich so langsam dahin wie ein trister Tag im Herbst, die Charaktere sind sehr oberflächlich und der Schreibstil glänzt durch seine Langeweile. Langeweile ist wohl der beste Begriff für ein Fazit zu diesem Buch von Nancy Pickard, denn viel mehr weiß selbiges nicht zu bieten.

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Ellroy, James – Black Dahlia – Die schwarze Dahlie

James Ellroy gehört zu den großen Kriminalautoren unserer Zeit, und so ist es kein Wunder, dass sein Erfolgsbuch „Die schwarze Dahlie“ im letzten Jahr mit einer Starbesetzung und unter der Regie von Brian de Palma in die Kinos kam. Für |Ullstein| ist das Grund genug, um den Roman von 1988 nochmals herauszubringen.

Im Mittelpunkt steht Ich-Erzähler Bucky Bleichert, Polizist in Los Angeles, der in Lee Blanchard, einem hochgewachsenen, meist skrupellosen Polizisten, der mit der ehemaligen Freundin eines Gangsters zusammenwohnt, nicht nur einen Partner, sondern auch einen guten Freund findet.

Das Ermittlungsgeschick der beiden ist gefragt, als 1947 die schrecklich zugerichtete Leiche einer 22-jährigen vor einem heruntergekommenen Haus gefunden wird. Bei der Toten handelt es sich um die naive Elizabeth Short, die nach L. A. gekommen war, um beim Film groß herauszukommen – wie so viele andere Mädchen. Tatsächlich landete sie ständig in den Betten anderer Männer und verstrickte sich in Lügengeschichten von Ehen mit tapferen Soldaten anstatt ein Filmstudio auch nur von außen gesehen zu haben.

Der gesamte Polizeiapparat steht unter großem Druck, denn einen Fall, der so hohe Wellen in der Öffentlichkeit schlägt, sollte man nicht ungelöst lassen. Doch obwohl Bleichert und Blanchard ihr gesamtes Repertoire an legalen und illegalen Ermittlungsmethoden ausschöpfen, kommen sie nicht voran. Währenddessen wird der Fall für Blanchard eine Art Obsession, da ihn die Tote, die aufgrund ihres exzentrischen Aussehens – sie färbte sich die Haare schwarz und trug nur schwarze Kleider – von der Presse als Schwarze Dahlie bezeichnet wird, an seine verschwundene kleine Schwester erinnert.

Und auch Bucky verliert den Bezug zur Realität. Er fühlt sich nicht nur von Kay, der Freundin Blanchards, angezogen, sondern beginnt auch ein Verhältnis mit der verwöhnten Unternehmertochter Madeleine Sprague, die sich auffällig für den Fall der Schwarzen Dahlie interessiert …

Was Ellroys Roman vor allem auszeichnet, sind der hohe Realismus und das hohe Maß an Misstrauen, das er seinen Charakteren entgegenbringt. In „Black Dahlia – Die schwarze Dahlie“ gibt es keinen strahlenden Protagonisten – jeder hat Dreck am Stecken und das, obwohl die meisten Personen Gesetzeshüter sind. Aber gerade dieser Dreck am Stecken lässt die Charaktere unglaublich authentisch aussehen und ihre undurchsichtigen Verwicklungen sorgen innerhalb der Handlung immer wieder für Überraschungsmomente.

Diese Überraschungsmomente kann die Handlung ab und an ganz gut gebrauchen. Obwohl die Atmosphäre des Buches stimmt, zieht sich die Handlung an einigen Stellen etwas zu sehr in die Länge. An anderen Stellen weiß sie dagegen zu überraschen und ein beträchtliches Maß an Spannung aufzubauen. Allerdings ist gerade die Auflösung des Falls, die zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr im Vordergrund steht, ein wenig zu haarsträubend geworden.

Was steht denn dann im Vordergrund, wenn nicht der Kriminalfall? Ganz einfach. Es ist Buckys Leben nach dem Verschwinden seines Partners Lee Blanchard. Denn „Black Dahlia – Die schwarze Dahlie“ ist mehr als ein Kriminalfall und geht weit über den stereotypen Ermittlerroman hinaus. Es behandelt viel mehr das Leben von Bleichert, zusammen mit seinen Frauengeschichten und der Männerfreundschaft zu Blanchard. Dadurch bekommt das Buch sehr viel psychologische Tiefe und hebt sich wohltuend von anderen Kriminalromanen ab.

Der Autor zeichnet folglich ein sehr düsteres Bild vom L. A. der 40er Jahre, das er mit dem ebenfalls recht düsteren Ich-Erzählerschreibstil noch eindrücklicher gestaltet. Bucky Bleichert zeichnet sich auch sprachlich nicht gerade durch Überkorrektheit aus, was zu einigen Flüchen und politisch unkorrekten Äußerungen führt. Dadurch und durch die lakonische Schreibweise entsteht eine beinahe schon filmische Atmosphäre, die an alte Ermittlerstreifen erinnert. Da sowohl Bleichert als auch Blanchard früher leidenschaftliche Boxer waren (und auch mal gegeneinander im Ring standen), würzt Ellroy seine Schreibe noch mit ein wenig Boxerslang, was das Ganze noch verruchter erscheinen lässt.

In der Summe ist „Black Dahlia – Die schwarze Dahlie“ das gestochen scharfe Portrait der Traumfabrik L. A. in den 40er Jahren und eines Ermittlerpaares, das sowohl im dienstlichen als auch im privaten Leben keine weiße Weste aufweist. Auch wenn der Kriminalroman an einigen Stellen in der Handlung schwächelt, tut er sich mit einer wunderbar düsteren Atmosphäre, großartigen Charakteren und einem dreckig-authentischen Schreibstil hervor.

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Japrisot, Sébastien – Mord im Fahrpreis inbegriffen

Sébastien Japrisot, dessen bürgerlicher Name eigentlich Jean-Baptiste Rossi lautete, hat sich in seiner französischen Heimat durchaus den Ruf eines guten und beachtenswerten Autors erarbeitet. Japrisots Werke wurden teilweise verfilmt. Hierzulande dürfte sein bekanntestes Werk „Mathilde“ sein, eine Geschichte, die Jean-Pierre Jeunet vor ein paar Jahren Audrey Tautou in der Hauptrolle auf Zelluloid gebannt hat. Japrisot starb 2003. „Mord im Fahrpreis inbegriffen“ ist ein Krimi, den Japrisot 1962 schrieb und der nun im |Aufbau Taschenbuch Verlag| auf Deutsch erschienen ist.

Die Handlung ist schnell erzählt: Es ist 07.50 Uhr, als der Nachtzug aus Marseille in Paris ankommt. Alle Fahrgäste steigen aus, bis auf eine: Georgette Thomas, die erwürgt in ihrer Schlafwagenkoje liegt. Inspektor Grazziano macht sich zusammen mit seinem smarten Kollegen Gabert an die Arbeit. Es gilt, die fünf anderen Fahrgäste des Schlafwagenabteils Nr. 4 zu finden. Doch Grazziano und Gabert sind immer einen Schritt zu langsam. Ein Zeuge nach dem anderen wird ermordet, bevor die Polizei seine Aussage aufnehmen kann. Den beiden ermittelnden Beamten läuft die Zeit davon …

Japrisot strickt einen sehr klassisch anmutenden Krimiplot. Sehr direkt und unvermittelt steigt er in die Handlung ein. Kaum ist die Leiche gefunden, nimmt Grazziano auch schon seine Ermittlungen auf und schon wenig später gibt es die zweite Leiche. Japrisot schildert die Ereignisse in einem sehr schlichten Stil. Beschränkt auf das Wesentliche, beobachtet er die Figuren präzise und schildert den Plot punktgenau.

Sein Erzählstil wirkt dabei mitunter seltsam distanziert. Man braucht seine Zeit um damit warm zu werden, wird dann mit zunehmender Seitenzahl dennoch durch den spannenden Plot und die offene Frage nach dem Täter gefesselt. Scheinbar unbeteiligt gibt Japrisot die Ereignisse aus stetig wechselnden Perspektiven wieder und ist dabei doch mitten im Zentrum des Geschehens. Mit einem Tempo, wie es einer Agathe Christie würdig wäre, liefert er seine Opfer ans Messer und lässt die ermittelnden Beamten dabei anfangs ziemlich dumm aussehen. Bis diese überhaupt merken, was passiert, ist der Mörder richtig warmgelaufen und schon etwa die Hälfte der Fahrgäste aus Schlafwagenabteil Nr. 4 dahingemeuchelt.

Japrisot setzt in der Erzählweise immer wieder neu an, wechselt den Betrachtungswinkel und serviert dem Leser eine Rückschau der Ereignisse in besagtem Schlafwagenabteil aus unterschiedlichen Sichtweisen. Mit jedem Mal verändert sich das Bild, doch lässt Japrisot den Leser genauso im Dunkeln tappen wie Grazziano und Gabert, was Motiv und Täter angeht.

Erst ganz am Ende lässt Japrisot die Bombe platzen, präsentiert den Täter und sorgt damit definitiv für eine Überraschung. Raffiniert löst er die Geschichte auf und liefert einen Täter, auf den man von selbst nicht so schnell kommt. Selbst versierte Krimileser dürften sich an dieser harten Nuss die Zähne ausbeißen. Japrisots Auflösung kommt wirklich überraschend und lässt sich auch nicht mit dem sonst meist sehr erfolgsversprechenden kritischen Suchen nach dem unverdächtigsten (Nicht-)Verdächtigen entlarven. Das Motiv hat mich dabei zwar nicht bis in den letzten Winkel überzeugt, aber raffiniert und ungewöhnlich ist die Auflösung allemal.

Die Ahnungslosigkeit, mit der der Leser über weite Strecken durch das Buch wandelt, sorgt in jedem Fall dafür, dass keine Langeweile aufkommt. Japrisots Stil ist ohnehin sehr kalkuliert und präzise. Kein Satz ist zu viel, und so läuft der Autor keine Gefahr den Leser mit Spannungsabfällen zu langweilen. Kontinuierlich dreht er an der Spannungsschraube, um sie zum Ende hin, wenn der Leser sich schon ganz nah an der Lösung glaubt, noch einmal kräftig anzuziehen.

Was obendrein fasziniert, ist, wie Japrisot die Protagonisten skizziert. Oft wirkt die Betrachtung im ersten Moment eher oberflächlich, zumal Japrisots Wortwahl oft so klingt, als schildere er Dinge, die er von jemand gehört hat, die dieser von jemand anderem gehört hat. Dennoch kann man sich von so manchen Figuren ein erstaunlich deutliches Bild machen. Trotz seiner distanziert wirkenden Erzählweise schafft Japrisot also eine erstaunlich dichte Atmosphäre, und auch wenn er am Ende nicht in allen Aspekten seine Sache hundertprozentig gut macht, so bleibt doch ein überwiegend positiver Eindruck zurück.

Fazit: Japrisot schafft es, mit einer raffinierten Auflösung zu überraschen und erzählt seine Geschichte spannend und stets mit wechselnden Blickwinkeln. Wer klassische, flott und präzise erzählte Krimis mag, dem sei Sébastien Japrisots „Mord im Fahrpreis inbegriffen“ durchaus ans Herz gelegt.

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Gear, Kathleen / Gear, Michael – Lucifers Erbe

Genetik. DNS. Replikation. Chromosomen. Alles Begriffe der Vererbungslehre, die spätestens seit dem Klonschaf „Dolly“ in der Diskussion stehen. Genetik ist immer wieder gern der Hauptdarsteller einer phantastischen Handlung, sei es nun im Film oder in Romanen. Aber nicht nur in negativ behafteten Anwendungen und Forschungen: Ein genetischer Fingerabdruck ermöglicht es in der Kriminologie, den schuldigen Täter anhand seines genetischen Codes zu überführen. Erbkrankheiten können verstanden und behandelt werden. Diese Bausteine des Lebens sind dabei, erforscht und gegebenenfalls manipuliert zu werden.

Wissenschaftler in aller Welt sind dabei, Gottes Puzzleteilchen verändern und bauen zu wollen. Wo aber bleiben der ethische und moralische Aspekt? Einerseits kann man durch die Erforschung von Erb- und Zellkrankheiten völlig neue Therapien und Lösungsansätze erwarten. Ein Segen, eine Hilfe für die Menschheit? Oder werden spätere Generationen das „Leben“ nicht mehr zu schätzen wissen, eben weil man es geschafft hat, eine relative Unsterblichkeit zu erwirken, indem man Krankheiten gar nicht mehr ausbrechen lässt oder durch eine Zelldusche eliminiert? Wird es oder gibt es bereits privatisierte Forschungen, die jegliche Gesetze umgehen, da sie staatlich nicht kontrolliert werden?

In dem hier besprochenen Roman von Gear & Gear, „Lucifers Erbe“, ist die Genetik wieder einmal der Hauptdarsteller in der komplexen und sehr spannenden Handlung. Der Roman ist, und dazu komme ich am Ende meiner Rezension, inhaltlich gar nicht so abwegig, zudem wird er sicherlich zum Nachdenken anregen.

_Die Story_

Dr. Jim Dutton ist ein bekannter und inzwischen recht berühmter Anthropologe mit einem eigenen Forschungsbereich. Im Rahmen einer Langzeitstudie hat dieser an einer von dem privaten Pharmakonzern SAC finanzierten Forschung teilgenommen. Dreizehn Jahre lang war die Bonobo-Schimpansin „Umber“ vollwertiges Mitglied einer kleinen Familie und wuchs mit der etwa gleichaltrigen Brett Dutton auf. Umber ist für Dr. Dutton mehr Tochter als Tier und für Brett mehr Schwester als einfacher Affe.

Umbers Entwicklungsfortschritte wurden von ihrem Jim Dutton dokumentiert und in regelmäßigen Abständen dem rechtmäßigen Besitzer von Umber, SAC, gemeldet. Doch Dr. Dutton manipuliert die Ergebnisse, um den tatsächlichen Fortschritt Umbers nicht erklären zu müssen, denn die Ergebnisse sind alles andere als die erwartete Norm und sprengen damit alle anderen Versuchsreihen.

Umber verfügt über einen Sprachsynthesizer, auf dem sie komplexe Sätze verfassen kann, weiterhin über eine komplizierte Gebärdensprache und sie kann lesen und schreiben. Selbst abstrakte Gedanken über sich selbst und die Gegenwart Gottes sind ihr nicht fremd. Zwar ist sie Besitz des Pharmakonzerns SAC, aber Dutton und seine Tochter sehen sie mehr denn je als menschlich an.

Als SAC dahinter kommt, dass das Entwicklungsstadium von Umber sich außerhalb der kalkulierten Werte befindet, üben sie harten Druck auf Dr. Dutton aus. Schließlich ist dieses Projekt ein milliardenschweres, und sollte etwas an die Öffentlichkeit gelangen, so könnte dies unangenehme Folgen haben und natürlich staatliche Nachforschungen nach sich ziehen. Dies will man in jedem Fall vermeiden, egal mit welchen Mitteln, egal, ob legale oder illegale.

Dr. Dutton soll Umber ihrem „rechtmäßigen“ Besitzer zurückbringen beziehungsweise im Kongo-Gebiet in der Wildnis ansiedeln. Zusammen mit seiner Tochter Brett und der Bonobo-Schimpansin reist er nach Afrika in ein recht geheimgehaltenes Forschungslabor des Konzerns.

Dabei kommt es heraus, dass es noch mehr genetische Versuchsreihen gegeben hat. Nicht immer mit dem gleichen Ergebnis wie bei Umber. Bei einigen Versuchstieren wurde nicht nur die Intelligenz gefördert, sondern auch die Aggressivität kam hierbei nicht zu kurz. Als die ersten Menschen innerhalb des Gebietes vermisst werden, läuft SAC Gefahr, dass die schon skeptische Presse Fragen stellt.

Warum sind die Affen auf einmal so gefährlich und was steckt hinter den genetischen Versuchsreihen? Wo ist noch der Unterschied zwischen einem emotional reagierenden Menschen und einem intelligenten Tier, das jenseits aller Moralvorstellungen reagiert, weil es diese gar nicht kennt?

_Kritik_

Vom ersten Augenblick an ist die Handlung sehr, sehr spannend gehalten und entwickelt sich logisch weiter. Selbst wissenschaftliche und genetische Forschungen werden dem Leser plausibel erklärt. Interessant ist, dass dem Leser die moralische und ethische Verantwortung immer wieder vor Augen geführt wird und dabei nicht ins Reich der Fantasie übergeht.

Der wissenschaftliche Hintergrund zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman und lässt nicht viele Fragen offen. Das Autorenduo Gear & Gear, und wahrscheinlich hier besonders W. Michael Gear, der Anthropologie studierte, setzt sein erlangtes Fachwissen genial um. Forensik und die Evolution von Primaten werden dem Leser auf sehr spannende Weise erklärt.

Der private Pharmakonzern wird dabei im Roman sehr negativ dargestellt und nur nach Profitgier der Manager gemessen, die sich der Verantwortung entziehen wollen. Die Tiere, die Bonobos, allen voran natürlich die sympathische Umber, werden dem Leser als sehr menschlich skizziert. Mit all ihren Schwächen und Stärken, ohne aber in irgendwelchen Klischees und Vorurteilen zu münden.

Ich bin recht begeistert von diesem Buch; für mich eines der besten der Autoren. Der Roman ist absolut empfehlenswert, nicht nur aufgrund der Spannungskurve, sondern auch wegen der guten Mischung von Thriller und Wissenschaft.

_Die Autoren_

Die Eheleute W. Michael Gear und Kathleen O’Neal Gear sind beide Wissenschaftler. Wie schon erwähnt, ist W. Michael Gear Anthropologe und Mitglied der American Association of Physikal Anthrologie. Einige Studien aus den Bereichen der menschlichen Osteologie, Forensik und Evolution von Primaten stammen von ihm.

Seine Frau Kathleen O’Neal Gear war Referentin für Archäologie und Geschichte im US-Innenministerium. Zweimal wurde sie für herausragende Arbeiten mit dem Regierungspreis geehrt.

|Anmerkungen und Hintergrund|

Schon bei intensiver Lektüre wurde mir wieder bewusst, wie gefährlich die genetische Forschung sein könnte und wie sie vielleicht auch hinter versteckten Labortüren, in geheimen, nicht unbedingt staatlichen Instituten ausgeübt wird.

Es gibt sicherlich Wissenschaftler, die in einer moralischen und ethischen Grauzone operieren, finanziert von Pharmafirmen, die auf der Suche nach einer Spur Gottes sind. Sicherlich sind ihre Ideen und ihre Motivation nicht nur negativer Natur, es gibt viele Möglichkeiten in der Gentechnologie: Hier könnten Krankheiten wie Krebs oder AIDS besiegt werden, Erbkrankheiten wie Diabetes ausgelöscht. Nahrungsmittel könnten oder werden schon optimiert, und zu guter Letzt die Reproduktion von Nutztieren. Auch die Militärs hätten das eine oder andere Wunschprogramm.

Wie alles im Leben hat auch diese Forschung und Entwicklung an den kleinsten Bausteinen des Lebens immer zwei Seiten. Im Grunde verstehen wir Durchschnittsbürger die rechtlichen Hintergründe nicht, wir kennen sie gar nicht, genauso wenig lesen wir das (ohnehin nur unvollständige) Kleingedruckte auf unseren Lebensmitteln. Noch weniger wissen wir über die medizinischen Präparate, die wir beim kleinsten Wehwehchen für eine rasche Linderung zu uns nehmen. Im Laufe der nächsten fünfzig Jahre werden alle unsere Hoffnungen und manche unserer Ängste uns vielleicht einholen und jeden Tag Einfluss auf unser Leben nehmen.

Ich hoffe, dass der Leser sich am Ende des Romans ein wenig mit dem Thema beschäftigen wird, denn das ist es wirklich wert. Selten hat mich ein wissenschaftlich gut recherchierter Roman so in den Bann ziehen können.

Als einzigen Kritikpunkt muss ich allerdings das rasche Ende erwähnen. Hier hätte ich mir noch einige Erklärungen gewünscht. Aber vielleicht, so hoffe ich, folgt da noch ein weiterer Teil. Ich würde gerne erfahren, wie es mit den Experimenten weitergeht.

|Bonobos (Zwergschimpansen)|

98.4 %. Nur eine Zahl – aber genau dieser Prozentsatz sagt aus, dass Schimpansen unsere engsten Verwandten sind, denn zu 98.4 % verfügen wir über das gleiche Genom.

Im Roman wurde beschrieben, dass die Affen einen begrenzten Wortschatz haben; das ist durchaus wissenschaftlich belegt. Etwa 500 Wörter können die Tiere intelligent anwenden, genau wie der Gebrauch von Werkzeugen und Kreide ihnen möglich ist.

Einige Forscher setzen sich zudem dafür ein, den Tieren individuelle Rechte geben zu dürfen. Die These, die also im Roman dargestellt wird, ist auch in diesem Punkt nicht so abwegig, denn sollte man wirklich genetische Experimente durchführen, so sind diese uns nahen Verwandten prädestiniert dazu.

Bonobos (Zwergschimpansen) gehören der Gattung der Menschenaffen an und leben zumeist in größeren Gruppen im Kongo-Gebiet. Ihre Art ist aber stark dezimiert worden und gehört damit zu den gefährdeten Tierarten.

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Ellery Queen – Die siamesischen Zwillinge

Queen Zwillinge Cover 1958 kleinDetektiv Ellery Queen und sein Vater Richard stranden in einer einsamen Villa auf der Spitze eines hohen Berges. Der Hausherr bastelt in seinem Labor schauerliche Kreaturen. Als er einem profanen Mord zum Opfer fällt, erwacht in den Queens kriminalistischer Ehrgeiz … – Ungewöhnlicher Ellery Queen-Thriller, der sich der in den frühen 1930er Jahren aktuellen Stimmung der ”Universal”-Horrorfilme bedient. Trotz des bizarren Ambientes werden die Regeln des Genres elegant verbogen, aber nicht gebrochen: Das Böse ist ganz von dieser Welt. Ein Meisterwerk für die Anhänger des klassischen Kriminalromans.
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Jane Adams – Im Bann des Bösen

Das geschieht:

Der wenig erfolgreiche Journalist Simon Emmet und die berühmte Fotografin Tally Palmer bildeten nach allgemeiner Ansicht ein ungleiches Paar. Niemand ist daher erstaunt, als Simon von Tally rüde den Laufpass erhält. Sie liebe ihn zwar, doch es gäbe einen „Jack“, der ältere Rechte geltend machen könne, so Tallys Schlusswort. Simon kann und will den Bruch nicht wahrhaben. Krank vor Eifersucht stellt er der Geliebten nach, überwacht sie heimlich, versucht dem geheimnisvollen Jack auf die Spur zu kommen. Eine letzte Aussprache endet im Streit. Als Simon betrübt den Heimweg antritt, wird er überfallen und niedergestochen.

Hat ihm Jack eine Lektion erteilen wollen? Dies fragen sich Simons Freunde, zu denen auch Detective Inspector Alec Friedman und seine Lebensgefährtin Naomi Blake gehören. Naomi war selbst Polizistin, bis ihr ein Unfall das Augenlicht raubte. Sie hat die unglückliche Liebe zwischen Simon und Tally schon lange verfolgt und kann der Versuchung nicht widerstehen, sich in den Fall einzumischen. Jane Adams – Im Bann des Bösen weiterlesen

Raymond Khoury – Scriptum

Es ist auffällig, wie viele Romane erschienen sind, die im ähnlichen oftmals sogar gleichen Genre wie Dan Browns Erfolgstitel (Sakrileg/Illuminati) spielen und an dessen Erfolgen teilhaben wollen. Fast jeder Verlag versucht ein Stückchen dieses Marktes für sich zu behaupten. Und in jedem Roman spielen der Vatikan, Geheimbünde und Verschwörungen eine Rolle. Hier werden Tatsachen, Theorien der Bibelgeschichte und überhaupt der Geschichte, Magie und Aberglaube miteinander vermischt, es entsteht ein Hang zum Okkulten, ein Drängen danach, die einzige Wahrheit zu finden oder zumindest etwas Licht in die Schattenwelten uralter Geheimnisse zu bringen.

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Ian Rankin – Der diskrete Mr. Flint

Eine Routineüberwachung wird für einen altgedienten Agenten zum Beginn eines Kesseltreibens, das mit seinem Tod enden soll. Der potenzielle Sündenbock kann entkommen und beginnt einen Rachefeldzug gegen seine verräterischen Kollegen … – Dieses frühe Werk des schottischen Meisterschriftstellers ist ein Spionagethriller aus der Zeit des Kalten Kriegs, der seine komplexe Story schnörkellos und mit enormem Tempo über die Runden bringt: eine Ausgrabung, die nicht unbedingt überfällig war aber einen anderen, ebenfalls lesenswerten Ian Rankin präsentiert.
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Berry, Steve – Urbi et Orbi

|Sancti Apostoli Petrus et Paulus, de quorum potestate et auctoritate confidimus, ipsi intercedant pro nobis ad Dominum.

Amen.

Precibus et meritis beatæ Mariae semper Virginis, beati Michaelis Archangeli, beati Ioannis Baptistæ et sanctorum Apostolorum Petri et Pauli et omnium Sanctorum misereatur vestri omnipotens Deus et dimissis omnibus peccatis vestris, perducat vos Iesus Christus ad vitam æternam.

Amen.

Indulgentiam, absolutionem et remissionem omnium peccatorum vestrorum, spatium verae et fructuosae penitentiæ, cor semper penitens et emendationem vitae, gratiam et consultationem sancti Spiritus et finalem perseverantiam in bonis operibus, tribuat vobis omnipotens et misericors Dominus.

Amen.

Et benedictio Dei omnipotentis Patris et Filii et Spiritus sancti descendat super vos et maneat semper.

Amen.|

|Urbi et Orbi| – der Stadt und dem Erdkreis: Damit verbindet wohl ein jeder Christ oder zumindest gläubige Katholik den apostolischen Weihnachts- und Ostersegen, den das Oberhaupt der Römisch-katholischen Kirche, der Stellvertreter Jesu Christi und Nachfolger des Apostelfürsten, pünktlich jedes Jahr zu Milliarden von Menschen rund um den Erdball sendet.

„Urbi et Orbi“ ist auch der Titel eines Romans vom Autor Steve Berry. Der Kundige stöhnt auf: Nicht schon wieder ein Roman, der sich mit dem Vatikan, einer Geheimloge, Verschwörungstheorien und Nachfolgern Christi beschäftigt! Sieht man sich die Auslagen der großen und kleinen Buchhandlungen an, so drängt sich dem literarisch interessierten Mitmenschen der Eindruck auf, dass es eine ganze Reihe von Autoren gibt, die sich im Wirkungskreis eines Dan Brown („Sakrileg“, „Illuminati“) bewegen wollen, um vielleicht einen ähnlich kommerzträchtigen Erfolg vorweisen zu können.

Nur wenige davon haben es bis dato geschafft, mein Interesse wirklich zu wecken und mir positiv in Erinnerung zu bleiben. Der vorliegende Roman ist empfehlenswert und gibt dem Leser viel mehr Einblicke in die Kurie des kleinen Kirchenstaates, als ich es anfänglich für möglich gehalten habe, denn der Buchrücken verheißt nicht wirklich viel Überraschendes.

Autor Steve Berry befasst sich mit alten Prophezeiungen: die „drei Geheimnisse von Fátima“, die als Wunder und daher für viele gläubige Menschen als Beweis für die Existenz Gottes gelten. Die „Echtheit“ wurde seitens der Römisch-katholischen Kirche bestätigt.

_Die Story_

13. Juli 1917. Cova da Iria bei Fátima in Portugal. Die drei ärmlichen Hirtenkinder Lucia dos Santos, Jacinta Marto und Francisco Marto empfangen von der heiligen Jungfrau Maria drei Botschaften, drei Visionen, drei Offenbarungen, die vielmehr eine Prophezeiung sind. Veröffentlicht wurden diese, „drei Geheimnisse von Fátima“ nicht, der Vatikan schenkte den drei Kindern anfänglich keinen Glauben. Der Grund war, dass der Papst die uneingeschränkte und einzige Wahrheit Gottes verkündete, und dass seine Worte niemals angezweifelt werden durften.

Erst 1927 soll Lucia dos Santos die Erlaubnis direkt als Botschaft von Gott erhalten haben, diese Geheimnisse zu lüften und niederzuschreiben. Aber auch hier verbot die Kirche die Veröffentlichung der Geheimnisse.

1941. Vierzehn Jahre später übergab sie die Niederschrift der Geheimnisse dem Bischof von Leiria. Ein Jahr später wurden die ersten beiden Geheimnisse vom Vatikan veröffentlicht. Die drei Kinder hatten mehrere Visionen, mehrere Begegnungen mit der Jungfrau Maria. Die wichtigste und tragendste Rolle spielte dabei Lucia dos Santos, die nicht nur die Jungfrau leibhaftig sah, sondern auch mit ihr als Einzige sprach.

Das dritte Geheimnis wird unter Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 öffentlich verlesen. Er sieht in der Prophezeiung, und interpretiert dies auch in der Öffentlichkeit, dass das Attentat auf ihn direkt damit im Zusammenhang steht.

Aber warum zweifeln Gläubige, Wissenschaftler und selbst Priester das dritte Geheimnis von Fatima an? Verschweigt die Kirche etwas, wodurch ihre Existenz, ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt würde, oder betreffen die Worte der Jungfrau Maria die gesamte Welt, ob nun christlich oder nicht?

Rom, Vatikan, in der Gegenwart. Colin Michener, der irisch-amerikanische Privatsekretär des kränklichen Papst Clemens XV. sorgt sich um den Stellvertreter Christi. Der Papst zieht sich immer öfter in die Geheimen Archive des Vatikanischen Staates zurück und betritt einen Raum, der nur den Päpsten zugänglich ist. Hier, an einem Ort, den nur die wenigsten Sterblichen je sehen, liegen auch die Orginaldokumente der Geheimnisse von Fátima – die originalen Aufzeichnungen von Lucia dos Santos. Papst Clemens sorgt sich um diese düsteren und schwer interpretierbaren Worte eines Hirtenmädchens und schickt seinen Privatsekretär Colin Michener auf eine mysteriöse Reise ins ferne Rumänien. Dort lebt sehr abgeschieden der letzte lebende Zeitzeuge, ein alter Priester, der die Weissagungen von Lucia ins Italienische übersetzte.

Doch die Angst des Papstes beobachten auch andere römische Kirchenoberste. Diese sorgen sich nicht um das Oberhaupt, sondern gieren nach dem Ring des Fischers, nach der Unfehlbarkeit der Papstwürde und der alleinigen Macht.

Ein potenzieller Nachfolger, ein italienischer Kardinal, der den Papst direkt mit seinen Ängsten konfrontiert, wird die größte Gefahr für den Sekretär Colin Michener, der selbst gerne die Kardinalswürde innehätte und über einen dunklen Punkt seiner Vergangenheit nicht hinwegkommt.

In Rumänien kann er das Geheimnis von Fátima mit Hilfe des letzten Zeitzeugen nicht auflösen. Noch mehr offene Fragen stellen sich ihm entgegen und immer mehr vermutet Colin, dass das dritte Geheimnis nicht vollständig veröffentlicht wurde. Im Gegenteil, wurde es gar verändert?

Er weiß nicht, wem er noch trauen kann, der Papst schickt ihn wiederum zu dem Wallfahrtsort Medjugorje (Bosnien Herzegowina), in dem Jugendliche seit den 80er Jahren ebenfalls Marienerscheinungen hatten und diesen ebenfalls Botschaften übermittelt wurden. Der Papst setzt ein offizielles Schreiben an die Seher auf und schickt Colin Michener wiederum auf die Reise, um Licht ins Dunkel der Geheimnisse zu bringen.

_Kritik_

„Urbi et Orbi“ bietet dem Leser einen einzigartigen Einblick in die Hierarchie des Vatikans. In vielen Passagen des Romans werden diverse Rituale und Gegebenheiten des kleinen, aber mächtigen Kirchenstaates erklärt. Der Autor Steve Berry hat für seine Recherche hierzu ein besonderes Lob verdient. Keine haltlosen Theorien, keine Verschwörungen mit Geheimlogen oder Politikern. Nein, ganz im Gegenteil. Berry erzählt in seinem Roman eine wirklich spannende Story, die, befasst man sich mit den Marienerscheinungen von Fátima, der Realität entsprechen könnte.

Auch greift Steve Berry alltägliche Themen und Skandale des kleinsten Staates der Welt auf. Dogmen wie das Zölibat, die Unfehlbarkeit des Papstes und selbst die sexuellen und homosexuellen Ausschreitungen der katholischen Priester werden thematisiert. Und dies weder ausschweifend noch von Vorurteilen geprägt.

Papst Clemens XV., der ja im Roman nur eine fiktive Person verkörpert, wird sehr menschlich dargestellt, mit allen Fehlern und Ängsten, die ein Mensch, sei er auch das Oberhaupt der weltweit größten Kirche, betreffen. Auch der zweiten und eigentlichen Hauptfigur in Person des Privatsekretärs Colin Michener hat der Autor Tiefgang verliehen, der die Protagonisten in thematisch ähnlichen Romanen wie eben „Sakrileg“ oder „Illuminati“ blass erscheinen lässt.

„Urbi et Orbi“ lebt von den Dialogen und bringt den Leser dazu, einen Spannungsbogen zu verfolgen, der anders gelagert ist als bei den meisten klerikalen Thrillern. Die Geheimnisse von Fátima, und dazu komme ich noch am Ende meiner Rezension, werden hier dem Lesen aufmerksam vermittelt, so interessant, dass man gerne mehr darüber erfahren möchte – auch wenn man, wie ich, gerade solchen Phänomenen eher skeptisch gegenübertritt.

Die verborgene Welt des Vatikans tritt hier für den Laien ein wenig deutlicher zutage und bringt dem Leser verständlich nahe, warum die Kirchenfürsten so um ihre weltliche Macht bangen. Ohne durch Detailreichtum an Spannung zu verlieren, liest sich der Roman flüssig und kommt ohne logische Fehler aus.

Ein guter Ansatz zum Gelingen des Werkes ist, dass Steve Berry sichtlich Mühen auf sich genommen hat, genau zu recherchieren, ohne dabei wie andere Autoren maßlos zu übertreiben. Auch wurden Details aufgegriffen wie das Ritual der Exkommunikation eines Priesters, der das Dogma des Zölibats in Frage stellt und sich vor einem Gericht aus Kardinälen dazu rechtfertigen soll. Nur ein Nebenthema in der Geschichte, aber ungemein interessant, spannend und prägend erzählt. Aber das ist nur ein Kleinod der Nebenschauplätze.

_Steve Berry_ ist amerikanischer Anwalt und hat auch „Die Romanow-Prophezeiung“ verfasst, die ebenfalls bei |Blanvalet| erschienen ist.

http://www.blanvalet.de

Thiesler, Sabine – Kindersammler, Der

In unserer heutigen Zeit, und das nicht nur in unserem Land, gibt es, glaubt man den Medien, immer mehr Fälle von Serienmorden. Die Opfer: meist wehrlose Kinder, und finden sich Berichte dieser Morde oftmals detailliert und grausam geschildert in der Presse und in den verschiedenen Nachrichtenmagazinen sowie im Fernsehen wieder. Die Täterprofile ähneln sich; meist unscheinbare, unauffällige Männer, zumeist Einzelgänger. Die meisten werden gefasst, die meisten begehen zum Glück Fehler in dem Versuch, entweder Aufmerksamkeit zu erlangen oder die Taten zu vertuschen.

Psychologen, Polizisten, Politiker versuchen die Psyche dieser oftmals krankhaften Mörder zu ergründen. Vieles wird versucht zu erklären, oftmals durch die Presse bis in grausamste Detail transparent gemacht, nicht nur der Verlauf der Morde, vielmehr geht es um die Frage, warum dieser allen Anschein nach „harmlose“ Mann eine solche Tat begangen hat, die ihm kein Mensch zugetraut hätte.

Ist der Mensch von sich aus „böse“ oder beeinflussen verschiedene Mechanismen, Erlebnisse in der Kindheit den Täter so sehr, dass er nicht mehr unterscheiden kann zwischen Grausamkeit und individueller Auslebung seines devianten Charakters?

|Was macht einen Menschen zum Mörder?|

Der Roman von Sabine Thiesler mit dem Titel „Der Kindersammler“ greift ein Thema auf, das wie oben schon beschrieben immer wieder Schrecken und Angst hervorruft. Gerade junge Eltern können ihre alptraumhaften Ängste gar nicht greifbar machen und denken immer wieder, dass dies nur anderen widerfahren kann, auf gar keinen Fall ihnen selbst.

„Der Kindersammler“ ist ein Roman, der der wahrscheinlichen Realität viel zu nahe kommt. Er berührt, aber zumeist erschreckt er und ein Grauen breitet sich im Leser aus, wie man es selten erlebt. Oftmals fragte ich mich bei der Lektüre: Musste das wirklich so erzählt werden? Musste aus diesem grausamen Muster an Fällen der Vergangenheit ein Roman entstehen?

_Die Geschichte_

Berlin 1986. Alfred, ein junger Mann Anfang dreißig, unauffällig und ein Einzelgänger, lebt vor sich hin. Ein Überlebenskämpfer in der anonymen Größe einer Stadt, immer bereit, dieser so schnell wie es geht den Rücken zu kehren. Er hat schon gemordet, nicht nur Menschen, krampfhaft versucht, dieser Unruhe Herr zu werden, dem Drang zu widerstehen, Kindern seine Macht aufzuzwingen und sie später fast schon in einer theatralischen Szene zu töten.

Seine Kindheit ist ein einziger lang anhaltender Schrecken. Die einzige Bezugsperson ist sein älterer Bruder, der ihn beschützt, nicht nur vor Mitschülern, die ihn hänseln, sondern er gibt Alfred auch Rückendeckung gegenüber der chronisch kranken und sozial schwachen Mutter. Aber dieser erkrankt schwer und stirbt schließlich. Alleine gelassen, glaubt er zu erkennen, dass er die Macht über Leben und Tod hat. Nur er bestimmt, wann der Tod ihn einholt, nur er hat die Kontrolle über sich und andere. Ein Gotteskomplex.

Ein Zufall lässt Alfred in der Gegenwart wieder töten. Bei einem Spaziergang hilft er einen kleinen Jungen, der von zwei Jugendlichen ausgeraubt werden soll. Er verjagt diese und gewinnt dadurch das Vertrauen des kleinen Benjamin. Benjamin Wagner ist kein guter Schüler. Seine Familie ist in Schwierigkeiten, der Vater hoffnungslos damit überfordert, dass seine Frau unheilbar an Multipler Sklerose erkrankt und durch einen erneuten Schub an den Rollstuhl gefesselt ist, seine Abende verbringt er in Kneipen und entflieht mit Alkohol der Gegenwart und der Zukunft. Eine zerstörte Familie, die dem fast schon Zwölfjährigen keinen Rückhalt bietet. Nachts lauscht er den Gesprächen seiner Eltern und morgens geht er übermüdet in die Schule.

Alfred vergewaltigt Benjamin Wagner und tötet diesen, danach präpariert er dessen Leiche. Er versteckt sie nicht, sondern setzt den Körper an einen Tisch und stellt ihn dort gewissermaßen aus. Eine Szene für die Nachwelt; er will jedem zeigen, wer der Herr über Leben und Tod ist. Aber nicht, ohne ein „Souvenir“ des toten Kindes zu behalten.

Doch Alfred wird der Boden zu unsicher, nicht nur in Berlin auch in anderen Städten hat er gemordet. Die Polizei fahndet mit Hochdruck und zusammen mit einer Frau, die ihm nur zur Vertuschung dient, wandert er in die Toskana aus, wo beide mit bescheidenen Mitteln leben.

Aber auch hier mordet Alfred, der jetzt in der Toskana unter dem Namen Enrico weiterlebt. Doch die italienische Polizei verfolgt die Spuren nach einer gewissen Zeit nicht weiter. Sein nächstes Opfer wird wieder ein kleines Kind – Felix, Sohn einer kleinen Familie, die in der Toskana Urlaub macht.

Nach dem Verschwinden ihres Sohnes kehren Anne und Harald wieder zurück nach Deutschland. Doch Anne hat nach zehn Jahren noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben und kehrt an den Ort ihres Verlustes zurück. Sie will auf eigene Faust herausfinden, was damals passiert ist, und bei aller Angst und Ungewissheit ahnt sie nicht, wie nahe sie dem Serienmörder kommt …

_Meine Meinung_

Sabine Thiesler erzählt die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, und genau das ist das Erschreckende an diesem Roman. Den Mord aus der Sichtweise des Opfers, des zwölfjährigen Benjamin Wagner zu schildern, mitsamt all seiner Empfindungen und Ängste, weckt im Leser eine solche düstere Beklemmung, dass er fast schon überlegt, ob es ratsam ist, diesen Roman weiterzulesen. Aber nicht nur diese Sichtweise ist fast schon brutal; die Kindheit des Mörders, die für die Autorin wohl der Auslöser für die Morde ist, ist ebenso deutlich gezeichnet.

Die Autorin spielt mit verschiedenen Varianten des Schreckens. Als Elternteil liest man den Roman wahrscheinlich mit einer ganz anderen Empfindung. Gerade die Sichtweise der besorgten und verängstigen Eltern, die darauf warten, dass der Sohn zur Türe reinkommt, ist gnadenlos. Auch hier musste ich manches Mal den Roman beiseitelegen. Sabine Thiesler spielt mit unseren Urängsten, unseren Beschützerinstinkten, die ein jeder Vater oder eine jede Mutter hat.

Ich gebe zu, der Roman ist spannend, die Story ist jedoch von Klischees überfüllt. Der Mörder, der eine zerstörte Kindheit vorzuweisen hat; die Kinder, die ermordet wurden, kommen entweder aus zerstörten oder zu glücklichen Familien. Ein jeder Leser wird diese „Geschichten“ aus den Medien wiedererkennen. Spannend, aber zugleich viel zu brutal schildert Sabine Thiesler die Sichtweisen der Charaktere: des Mörders – des Opfers – der Eltern.

Brutal ist dieser Roman nur durch die Ängste, mit denen er spielt. Die Morde werden nicht im Detail geschildert, nicht blutig beschrieben. Ganz im Gegenteil. Ist es das, was diesem Roman auf den Bestsellerlisten einen solch hohen Rang einbringt? Ich denke schon. Unsere Zivilisation ist abgestumpft und träge geworden. Aufregung bieten nur die Medien mit ihren täglichen Schreckensbildern, die sich, gleich, aus welchem Land sie kommen, ähneln. Heute ein Mord, morgen eine Naturkatastrophe, übermorgen ein Krieg mit unzähligen Opfern. Aber nichts ist darunter, was uns wirklich schockiert, nur krankhaft fasziniert.

Ich kann diesen Roman nicht guten Gewissens empfehlen, und dies aus vielen Gründen. Unter anderem, weil Kinder die Opfer sind, weil mit ihren Ängsten gespielt wird und mit unserem Voyeurismus. Weil man zwar Nervenkitzel bei der Lektüre erlebt, dies aber weniger der fiktiv-erzählerischen Güte wegen als vielmehr, weil die Darstellung viel zu real gehalten wird. Der Roman zeigt uns, dass jedes Kind verletzlich ist und zum Opfer werden kann, egal, wie viel Liebe und wie viel Sicherheit wir innerhalb der Familie geben können. Wann wird aus einer fiktiven Geschichte Realität, wann wird aus dieser Geschichte erbarmungslose Brutalität? Der Roman schildert nur die Tat und erklärt nicht die Morde, wenn diese ebenso wie die Beweggründe nur als Klischees zu empfinden sind.

_Die Autorin_

Sabine Thiesler wurde in Berlin geboren und wuchs in der Hauptstadt auf. Sie studierte Theaterwissenschaft und Germanistik. Einige Jahre arbeitet sie als Schauspielerin im Fernsehen und auf der Bühne. Außerdem war sie Ensemblemitglied der „Berliner“ |Stachelschweine|. Sie verfasste Drehbücher fürs Fernsehen, z. B. für die Reihen des Tatorts und Polizeiruf 110.

„Der Kindersammler“ ist ihr Debütroman.

|527 Seiten|
http://www.heyne.de

Crichton, Michael – Next

Mit „Next“ legt Michael Crichton seinen neuesten Spannungsroman vor, der im Stile seines letzten Buches [„Welt in Angst“ 880 ebenfalls ein kontrovers diskutiertes aktuelles Thema aufgreift. Nach Crichtons Schilderungen zur Klimaproblematik nimmt er sich dieses Mal die Gentechnik vor und beleuchtet in Romanform einige ihrer „Auswüchse“.

Zunächst lernen wir den Kopfgeldjäger und Privatdetektiv Vasco Borden kennen, der auf der Jagd nach einem Nachwuchsforscher ist, der sich schließlich selbst umbringt, als Borden ihm zu nahe auf die Pelle gerückt ist. Doch der Forscher, der unerlaubterweise Zellen aus seinem Labor entwendet hat, wird nicht Bordens einziger Auftrag in diesem Buch bleiben. Im späteren Verlauf soll er einen Jungen oder seine Mutter kidnappen, wird aber bei diesem Entführungsversuch durch einen Hybriden eines Ohres entledigt.

Ein weiterer Handlungsstrang befasst sich mit Frank Burnet, der nach einer schweren Krebserkrankung wieder genesen ist und nun seinen behandelnden Arzt anzeigt, weil dieser ihm Zellen und Gewebeproben entnommen hat, um sie kommerziell zu vermarkten. Doch Burnet hat nie die Genehmigung für diese Vermarktung unterschrieben und möchte nun zumindest an diesem Milliardengeschäft beteiligt werden. Sehr zu Burnets Verwunderung und zum Entsetzen seiner Tochter Alex, die als Juristin arbeitet und ihren Vater in diesem Fall verteidigt, verliert Burnet den Prozess und ist somit anschließend nicht mehr der Besitzer seiner Körperzellen. Als im Labor die Burnet-Zelllinie kontaminiert wird, ist die Not groß: Die Zellen müssen unbedingt wiederbeschafft werden, allerdings ist Frank Burnet untergetaucht, sodass nun Alex und ihr kleiner Sohn Jamie ins Kreuzfeuer geraten, da sie dieselben Zellen liefern könnten.

Bei einer Expedition in Zentralsumatra beobachten Fotografen einen Menschenaffen, der die Abenteurer in verschiedenen Sprachen beschimpft. Der sprechende Affe macht Schlagzeilen, allerdings ist dies nicht das einzige sprechende Tier, das uns in „Next“ begegnen wird, denn wir lernen auch den Papageien Gerrard kennen, der nicht nur wunderbar sprechen, sondern sogar rechnen kann. Etwas ganz Besonderes ist auch Dave – ein Schimpanse, der von seinem Vater im Labor gezeugt wurde und nun eingeschläfert werden soll. Doch sein leiblicher Vater rettet Dave, bringt ihn zu seiner Familie und schickt ihn sogar zur Schule. Dass dies Probleme mit sich bringen wird, dürfte offensichtlich sein.

Michael Crichton erzählt zahlreiche weitere Geschichten in seinem gut 500-seitigen Wissenschaftsthriller: Josh Winkler gerät in große Probleme, als sein drogensüchtiger Bruder aus Versehen eine Probe inhaliert, die eigentlich für Tierversuche bestimmt war. Als Joshs Bruder anschließend von seiner Drogensucht befreit ist und sein Leben wieder in die richtigen Bahnen lenken kann, ist Joshs Mutter begeistert, allerdings weiß sie noch nicht, dass ihr Sohn durch das Mittel wesentlich schneller altern wird. Gentechnik bringt eben nicht nur Gutes mit sich…

„Next“ mag zwar durchaus Michael Crichtons neues Buch sein, wahrscheinlich wird es sogar sein nächster Bestseller werden, doch eines ist „Next“ ganz sicher nicht: sein nächster ausgefeilter Roman mit überzeugendem Spannungsbogen! Michael Crichton ist einer der Väter des Wissenschaftsthrillers. In „Timeline“ befasste er sich mit der Teleportation und dem vieldiskutierten Quantencomputer, in „Beute“ waren es die Nanoroboter, die sich plötzlich selbständig gemacht und dadurch für allerhand Ungemach gesorgt haben. Gentechnik und die damit verbundene Problematik ist sicher ein brisantes Thema, das viel Potenzial hat, um es in einem spannungsgeladenen Roman auszubreiten. Doch dies war wohl nicht Michael Crichtons Absicht.

Von Beginn an öffnet er zahlreiche Handlungsstränge, stellt uns selbst 100 Seiten vor Schluss noch neue Protagonisten vor und verliert dabei offensichtlich selbst den Überblick, denn es häufen sich die losen Enden, die nicht fortgeführt werden. Viele Figuren werden präsentiert und geraten anschließend in Vergessenheit. Einen roten Faden lässt dieses Buch ebenso vermissen wie einen Spannungsbogen, Hauptcharaktere oder Sympathieträger. Wir lernen so viele verschiedene Figuren kennen, dass es ratsam wäre, sich beim Lesen eine Personenliste zu erstellen. Eine solche wäre mit Sicherheit deutlich hilfreicher gewesen als das kommentierte Literaturverzeichnis, das stattdessen den Abschluss des Buches bildet.

Wieder einmal ist Michael Crichton missionarisch unterwegs. Wie das ausführliche Literaturverzeichnis vermuten lässt, hat sich Herr Crichton in den letzten Monaten oder auch Jahren intensiv mit der Gentechnik beschäftigt und nun ist für ihn die Zeit gekommen, der Welt seine Meinung kundzutun. In Form zahlreicher Handlungsstränge, in denen uns Michael Crichton Forscher als gewissenlose Egoisten vorstellt, führt er uns vor Augen, welch schreckliche Folgen die Gentechnik denn haben kann und wie rücksichtslos Wissenschaftler und Unternehmer mit den Zellen anderer Menschen und auch ihrem Schicksal umgehen. Zwischendurch flechtet Crichton immer wieder fingierte Zeitungsartikel ein, die sich ebenfalls den negativen und erschreckenden Folgen der Gentechnik widmen. Im Grunde genommen ist es natürlich sehr löblich, dass sich Michael Crichton dieses in der Tat sehr wichtigen Themas annimmt, das ja zu Recht kontrovers diskutiert wird und sicherlich nicht nur Gutes bringen wird. Doch leider offeriert Crichton uns nicht nur Fakten und wahre Begebenheiten, anhand derer man sich sein eigenes Urteil bilden kann – nein, Michael Crichton schwingt den Holzhammer, mit dem er uns seine eigene Meinung einhämmern möchte. Das muss zwangsläufig schiefgehen. Als halbwegs gebildeter und eigenständig denkender Mensch muss man sich von diesem Buch einfach veräppelt fühlen. Crichton hält seine Leser offenbar für geistig beschränkt und meint, uns eine Meinung an die Hand geben zu müssen, nämlich seine eigene.

Dabei ist gerade die Gentechnik ein Thema, mit dem man äußerst sensibel umgehen sollte. Wo Politiker Expertengremien bilden, die zu einem fachlich durchdachten Urteil kommen soll(t)en, stellt Crichton sich hin und predigt „die (seine!) Wahrheit über die Gentechnik“, doch so geht es nicht! Natürlich muss man vorsichtig mit menschlichen Zellen umgehen, natürlich ist es fragwürdig, was die heutige Forschung möglich macht bzw. machen kann, und natürlich ist es verwerflich, wenn ein Forscher sich im Labor einen tierischen Nachkommen erschafft. Doch ist nicht alles schwarzweiß – Forschung bedeutet neben all diesem Gräuel auch Fortschritt und mögliche Hilfe bei Krankheiten. Es ist nicht alles schlecht, nur weil ein Michael Crichton dies so darstellt. Meiner Meinung nach ist es gefährlich, dass ein berühmter und erfolgreicher Bestsellerautor ein solches Buch schreiben darf, in dem nur eine einzige Meinung Gültigkeit hat.

In „Next“ werden sämtliche Figuren schwarzweiß gezeichnet, die Forscher, Ärzte, Juristen sind schlecht, rücksichtslos und nur auf Gewinn bedacht, während die Patienten, die ohne ihr Wissen Gewebe gespendet haben, Opfer sind, denen kein Recht an ihren Zellen zugestanden wird. Crichton verwendet Schablonen anstelle von echten Charakteren, keiner Figur verleiht er Tiefe, niemanden stellt er uns so vor, dass er authentisch wirkt oder zum Sympathieträger werden könnte. Möglicherweise mag dies an den „falschen Genen“ der Protagonisten liegen, kann doch durch die Gene alles Verhalten erklärt werden, wie man nach der Lektüre dieses Buches glauben könnte. Das vorliegende Buch wirkt ausgefranst und man kann sich durch die vielen Handlungsstränge und die schnellen Wechsel der Szenerie nicht so recht einlesen. Bis zum Schluss bin ich mit diesem Werk nicht warm geworden und wusste nicht, was der Autor mir eigentlich sagen möchte. Zu Crichtons Gunsten hatte ich zunächst angenommen, er wolle die möglichen Folgen der Gentechnik lediglich überspitzt darstellen, um sein Publikum aufzuschrecken und auf dieses drängende Problem aufmerksam zu machen. Doch das Lesen des Nachwortes macht diese Hoffnung zunichte, denn Crichton möchte mit diesem Buch tatsächlich nur seine eigene Meinung kundtun.

Insgesamt bin ich schlichtweg enttäuscht von diesem literarischen Ausrutscher Michael Crichtons, den ich seit „Timeline“ leider nie wieder in Höchstform erleben durfte und der mir inzwischen eher wie ein Wanderprediger vorkommt. Sehr lobenswert finde ich sein Anliegen, aktuelle und kontroverse Themen für seine Bücher herauszugreifen und dadurch auf diese aufmerksam zu machen. Sein Vorgehen hierbei ist allerdings sehr fragwürdig, denn er lässt keine Meinung neben seiner eigenen zu und vereinfacht die Sachlage viel zu sehr. Wie ein Elefant im Porzellanladen geht Crichton zu Werke, wo stattdessen viel Fingerspitzengefühl gefragt gewesen wäre.

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Harris, Thomas – Hannibal Rising

„Haben die Lämmer aufgehört zu schreien?“, fragte Dr. Hannibal Lecter die noch junge FBI-Schülerin Clarice Starling in dem 1991 verfilmten Roman [„Das Schweigen der Lämmer“ 354 von Thomas Harris.

Mit dem Film entstand rund um den intelligenten, charismatischen und grausamen Dr. Hannibal Lecter ein neues Genre. Nicht nur der Film wurde hoch gelobt und bekam wohlverdient als bester Film mehrere Oscars, auch der Schöpfer dieses jetzt größten Filmschurken verdiente das große Lob seiner Romane.

Die Verfilmungen der Thrilleradaptionen „Roter Drache“ und „Hannibal“ konnten an den Erfolg anschließen und haben einen hohen Maßstab gesetzt, literarisch wie auch cineastisch. Nach „Hannibal“ allerdings hatte der Darsteller des Kannibalen Dr. Lecter – Sir Anthony Hopkins – genug von dieser „wahnsinnigen“ Figur, mit der er auf immer identifiziert werden sollte.

Thomas Harris hat sich mit seinem Roman „Hannibal Rising“ viel Zeit gelassen und geht wie so mancher Autor vor ihm den Weg zurück. Viele Autoren bedienen sich Sequels/Prequels, um an ihren Erfolg anzuknüpfen, und da Anthony Hopkins wie gesagt nicht mehr bereit ist, Dr. Lecter zu spielen, lag es nahe dem interessierten Leser und Zuschauer zu erklären, wie es dazu kam, dass ein hoch gebildeter Doktor der Psychologie solchen Wahnsinn an den Tag legt. Welche Einflüsse und Erlebnisse in jungen Jahren haben Hannibal zu dem Serienmörder gemacht, der er ist – ob nun wirklich böse oder nicht, lassen wir erstmal dahingestellt. Haben wir uns diese Frage nicht immer schon gestellt?

„Hannibal Rising“ von Thomas Harris erschienen Ende 2006 im Verlag |Hoffmann und Campe| und gibt den Lesern Antworten auf die Fragen „Warum“ und „Weshalb“.

_ Die Geschichte_

Litauen 1941: Der achtjährige Hannibal Lecter, Sohn eines Grafen, seine Mutter ist italienischer Abstammung, lebt zusammen mit seiner jüngeren Schwester Mischa auf Burg Lecter. Seit fünf Jahrhunderten ist diese im Besitz der Grafschaft Lecter.

Die Eltern erkennen schon die besondere Intelligenz an dem immer höflichen und interessierten Jungen und fördern seinen unersättlichen Wissensdurst mit Hilfe eines Privatlehrers, zu dem Hannibal bald eine tiefe Freundschaft entwickelt.

Um der immer näher rückenden Front zu entkommen, entschließt sich Graf Lecter mitsamt seiner Familie und dem Lehrer dazu, Zuflucht in ihrem Jagdhaus zu suchen. Doch die Ausläufer des schrecklichen Zweiten Weltkriegs finden auch zufällig dieses letzte Versteck, und bei einem Bombenangriff werden die Eltern sowie der Lehrer getötet. Hannibal und seine kleine Schwester überleben das Inferno und sind nun auf sich allein gestellt.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges finden einige Deserteure und Söldner, die sich als Rot-Kreuz-Helfer tarnen, das kleine Jagdhaus und somit auch Hannibal und Mischa. In der nächsten Zeit wird durch die Grausamkeiten, die Hannibal erlebt, der erste Grundstein seines späteren Verhaltens gesetzt. Beide werden krank, hungern und werden an die Kette gelegt wie wilde Tiere in einem Gefängnis.

Die Deserteure sind unterernährt, erkranken wie die beiden Kinder selbst auch und suchen verzweifelt nach etwas Essbarem. Schließlich muss Hannibal mit ansehen, wie seine Schwester Mischa vor seinen Augen mit einer Axt getötet und ihre kleine Leiche verspeist wird. Dieser Moment, dieses Erlebnis entfacht ihn ihm den Drang nach Rache. Zudem traumatisiert ihn dieses Erlebnis für Jahre, und er verschließt sich unbewusst diesem grausamen Trauma.

Später wird der verletzte und ausgehungerte Hannibal nahe dem Jagdhaus gefunden. Er spricht nicht mehr, ist verstört und kommt in ein Waisenhaus. Inzwischen ist er dreizehn Jahre alt. In der Nacht wird Hannibal immer wieder von Alpträumen geplagt und immer schreit er in der Dunkelheit den Namen seiner Schwester: Mischa, Mischa …! Er durchlebt wieder und wieder die schrecklichen Erlebnisse, ohne sich allerdings bis zuletzt daran erinnern zu können. Tagsüber aber wehrt sich der Jugendliche Hannibal gegen die Geister der Vergangenheit.

Hannibals Onkel, der Bruder seines Vaters, und seine schöne und kultivierte japanische Frau Lady Murasaki nehmen Hannibal in ihre Familie auf und Frankreich wird die nächste Station in seinem noch jungen Leben. Hannibal baut eine tiefe und innige Zuneigung für die schöne und gebildete Lady Murasaki auf, die sich hingebungsvoll seiner annimmt und ihn vieles lehrt. Hannibal entwickelt sich schon hier zu einem interessierten, höflichen jungen Mann. Doch der Schein trügt, sein Temperament ist hitzig, und doch strahlt seine ganze Person kein Gefühl aus.

Als nach dem Tod seines Onkels Lady Murasaki tief beleidigt wird, offenbart sich das Wesen Hannibals langsam. Kalt und berechnend fordert er den Mann auf, sich schriftlich bei Lady Murasaki zu entschuldigen. Dieser nimmt Hannibal nicht ernst und wird zum ersten Opfer des späteren Serienmörders.

Hannibal, ein schulisches Genie, überspringt ein paar Klassen und beginnt interessiert sein Medizinstudium. Besonders bewandert und talentiert ist Hannibal in der Anatomie. Durch einen Zufall kommt er an eine Wahrheitsdroge und durch deren Gebrauch erinnert er sich an den grausamen Mord an seiner Schwester Mischa.

Hannibal sinnt auf Rache; brutal und berechnend sucht er die Männer auf, die sein Leben für immer geprägt haben …

_Kritik_

Der Gedanke, „Hannibal Lecter“ erklären zu wollen, ist ein logisch schlüssiger Ansatz des Autors Thomas Harris. Ganz klar interessiert sich der Leser der vorherigen Romane und Zuschauer der Verfilmungen für die Wurzeln des Bösen Hannibals.

Hannibals schreckliche und grausame Kindheit wird dem Leser in fast schon epischer Breite erzählt, allerdings zunächst ohne darauf hinzuweisen, was seiner kleinen Schwester widerfahren ist. Stilistisch interpretiert Thomas Harris Hannibal natürlich ganz anders als in den drei bisherigen Romanen („Das Schweigen der Lämmer“, „Roter Drache“ und „Hannibal“). Hannibal wird hier zumeist als Opfer gezeigt, nicht als unberechenbares Monster wie in den Büchern zuvor.

Besonders gut gefallen hat mir genau dieser erster Teil des Romans; auch wenn Kindheit und Jugend Hannibal Lecters nicht den Spannungsbogen dieses Romans beherbergen. Er wird als liebenswürdiger und menschlicher Charakter dargestellt. Erst im Waisenhaus zeigt sich in Momentaufnahmen sein aggressives, unberechenbares Verhalten, wenn aus dem stillen und interessierten Jungen auf einmal ein kalter und grausamer Charakter wird, sobald er Unrecht und Unhöflichkeit empfindet.

Die Rache an den Mördern seiner Schwester wird von Thomas Harris fast schon zu nüchtern erzählt, und zuletzt konzentriert sich der Autor, so empfand ich es bei der Lektüre, nur auf diesen Handlungsstrang.

Zwar entwickelt sich zwischen Lady Murasaki und Hannibal eine platonische Liebe, die aber nicht weiter ausgeführt wird. Genauso habe ich es vermisst, die menschliche Seite an Hannibal hervorzuheben; bruchstückhaft wird dies zwar versucht, aber nicht zu Ende geführt. Mich hätte auch das Alltagsleben interessiert, nicht nur die Morde, die er erwarteterweise ausführt.

Ich habe lange auf diesen Roman gewartet, denn die Romane von Harris mit der Figur des Dr. Hannibal Lecter haben mich immer schon fasziniert, zumal Hannibal in den Verfilmungen oftmals zu Unrecht nur als „böses Monstrum“ gezeigt wird. Einzig und allein die Romane zeigen den Mörder auch von seiner menschlichen Seite, nicht nur als Wahnsinnigen, der des Spaßes wegen tötet. Im Gegenteil – Hannibal Lecter hat seine ganze eigene Welt, seinen eigenen Gedankenpalast, und Unhöflichkeit kann dieser kultivierte, intelligente Mann in seinen Maßstäben nicht durchgehen lassen. Dass er dabei die Morde nicht als etwas Böses ansieht, ist für den Zuschauen nicht zu begreifen.

Der Roman „Hannibal Rising“ ist unterhaltsam, aber meine Erwartungen hat er leider nicht erfüllen können. Weniger Morde, dafür mehr Erklärungen wären sinniger gewesen. Leider endet der Roman damit, dass er sein Medizinstudium abschließt und als Assistenzarzt in Baltimore anfängt. Dem Leser bleibt leider verborgen, was zwischen seinem Medizinstudium und den Anfängen von „Roter Drache“ passiert. Mich hätte sehr interessiert zu erfahren, wie sich der Charakter von Hannibal weiterentwickelt.

Ich kann den Roman bedingt empfehlen, und vielleicht hat dieser auch sein Ziel bereits damit erreicht, neugierig auf die Verfilmung zu machen, die Mitte Februar in den deutschen Kinos anlaufen wird. Jedenfalls hat er das bei mir bewirkt.

Thomas Harris hat für einen weiteren Roman unterschrieben; hoffentlich findet der Autor dann die Brücke zwischen den einzelnen Bänden.

_Autor_

Der Autor Thomas Harris wurde 1940 in Jackson, Tennessee geboren. Kurz nach dem Studium entschloss er sich einige Zeit in Europa zu verbringen 1968 wurde er als Reporter in New York tätig. Erst 1975 erschien sein Erstlingswerk „Schwarzer Sonntag“ dem die Hannibal Lecter Romane folgen sollten.

|Bibliographie|

1. Schwarzer Sonntag
2. Roter Drache
3. Das Schweigen der Lämmer
4. Hannibal
5. Hannibal Rising

Alle Romane sind verfilmt worden. Bis auf „Schwarzer Sonntag“ handelt es sich bei allen anderen um Hannibal-Lecter-Romane.

http://www.hoffmann-und-campe.de
http://www.thomasharris.com

Hurwitz, Gregg – Scharfrichter, Die

Selbstjustiz ist gerade in den USA, wo schon so mancher Waffennarr das Recht, einen Einbrecher zu erschießen, für sich beansprucht hat, ein sensibles Thema. So gesehen packt Gregg Hurwitz mit seinem Thriller „Die Scharfrichter“ ein mehr oder minder heißes Eisen an.

Tim Rackley ist US Marshal in Los Angeles. Auch seine Frau Andrea arbeitet bei der Polizei. Tim ist ein rechtsgläubiger Mensch, der an die Gesetze glaubt. Das ändert sich, als seine sechsjährige Tochter Virginia brutal ermordet und der Täter aufgrund eines juristischen Formfehlers freigesprochen wird. Tim sieht plötzliche, wie die Rechtsprechung auch mal im Unrecht sein kann, und das will und kann er nicht so stehen lassen.

Wie es der Zufall so will, klopft just in dem Moment aufkeimender Rachegelüste ein Mann an seine Tür, der sich als Vertreter einer Kommission vorstellt, die es sich zum Ziel gemacht hat, solche Fehlurteile der Rechtsprechung geradezubiegen – auf eigene Faust, versteht sich, und auf nicht ganz legale Weise obendrein. Nach einigem Grübeln schließt Tim sich dieser Kommission an, die sich daraufhin trifft, um sieben Fälle neu aufzurollen, zu verhandeln, Urteile zu sprechen und zu vollstrecken. Der siebte Fall soll der Mörder von Tims Tochter sein.

Zunächst verläuft alles planmäßig, als dann jedoch einige skrupellose Mitglieder der Kommission bei einer Urteilsvollstreckung ein Blutbad anrichten, läuft die Sache aus dem Ruder. Tim muss schon bald erkennen, dass er sich auf ein Spiel eingelassen hat, von dem er besser die Finger gelassen hätte und bei dem am Ende nicht nur sein eigenes Leben in Gefahr ist …

Auf den ersten Blick klingt das alles nach einem spannenden Thriller um Justiz und Rache. Diesen Eindruck will offensichtlich auch der auffällige gelbe Sticker auf dem Buchdeckel erwecken, der „Hochspannung!“ verspricht. Solche Sticker machen mich mittlerweile aber immer misstrauisch, denn schon zu oft entpuppte sich ein solcher „hochspannender“ Thriller oder gar „Thriller des Monats“ als Pleite oder höchstens mittelklassiges Werk.

„Die Scharfrichter“ ergeht es da leider nicht viel anders – zumindest scheint sich der Sticker auf dem Buchdeckel lediglich auf das letzte Buchdrittel zu beziehen. Mag die Thematik im ersten Moment auch noch spannend klingen und auch Hurwitz‘ Einstieg in die Geschichte noch recht vielversprechend erscheinen, so folgt dem mit zunehmender Seitenzahl dann doch immer häufiger ein Stirnrunzeln. Die Geschichte entwickelt so einige Ecken und Kanten, die ein wenig den Lesegenuss trüben.

Und das, obwohl Hurwitz am Anfang noch einen recht guten Eindruck hinterlässt. Die Trauer und Ohnmacht der Eltern wird einigermaßen gut greifbar und steht in den ersten Kapiteln noch im Mittelpunkt der Handlung. Das erste Stirnrunzeln folgt dann mit dem Freispruch des Kindermörders wenig später. Der Täter wird freigesprochen, nachdem die Verteidigung mehrere Gutachten vorlegt, die belegen, dass der Angeklagte taub ist, also nicht hören konnte, wie ihm seine Rechte vorgelesen wurden, als die Polizei ihn mitsamt aller erdrückenden Beweise in seinem Haus vorfand. Dass daher alle in diesem Zusammenhang sichergestellten (und absolut eindeutigen) Beweise und das Geständnis des Täters vor Gericht nicht anerkannt werden, führt zum Freispruch. Dass aber vorher niemand gemerkt haben will, dass der Täter taub ist, wird nicht sonderlich glaubwürdig verdeutlicht.

Auch andere Fehlurteile, die die Kommission später intern noch einmal neu aufrollt, bleiben ähnlich fragwürdig. Warum z. B. die Gerichte einen Mann, der erwiesener Maßen ein Massenmörder ist, freisprechen, weil das Sondereinsatzkommando drei Minuten zu spät seine Wohnung stürmt, wird nicht ganz deutlich. Dafür, dass die USA sich beispielsweise in Guantanamo einen Dreck um die Rechte Verdächtiger scheren, lässt die US-Justiz hier einfach zu freizügig Massenmörder laufen, als dass es glaubhaft wäre.

Und so lässt das Ganze Hurwitz‘ Realitätsbezug ein wenig zu zweifelhaft erscheinen. Mag sein, dass das Rechtssystem einige haarsträubende Schlupflöcher hat, aber dass eine dreiminütige Verspätung der Polizei schwerer wiegen soll als ein 86-facher Mord, erscheint einfach zu unglaubwürdig. Wenn Hurwitz‘ Recherchen wirklich so haarsträubende Probleme in der US-Justiz ergeben hätten, hätte ich mir einen entsprechenden Kommentar im Nachwort gewünscht, um dem irgendwie Glauben schenken zu können, aber ohne einen weiteren Kommentar klingt das für meine Ohren einfach zu fantastisch.

Der Thrillerplot, den Hurwitz aber aus diesem etwas fragwürdigen Stoff spinnt, lässt mit der Zeit zumindest die Spannungskurve ordentlich steigen. Damit lässt er sich zwar auch ein wenig Zeit (in der ersten Hälfte des Buches gibt es immer wieder Phasen, die weniger spannend sind), dafür ist gerade das letzte Drittel des Buches dann doch wirklich spannend. Es entbrennt ein fesselndes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Tim, den anderen Mitgliedern der Kommission und der Polizei, bei dem es um alles geht.

Bei der Schilderung der Vorgehensweise der Kommission, bei allen Aspekten, die sich um Waffen und Technik sowie deren Handhabung drehen, geht Hurwitz äußerst präzise vor. Er schildert solche Dinge geradezu detailverliebt und lässt immer wieder Daten und Fakten einfließen, wie die Stärke des Rückschlag einer Waffe oder die Vorgehensweise zur Ausschaltung eines Bewegungsmelders. Dem gegenüber stehen aber hier und da kleine Flüchtigkeitsfehler in der Kontinuität der Geschichte. So beträgt der Zeitraum zwischen dem Mord an Tims Tochter und den aktuellen Ereignissen des Romans erst 14 Tage, später dann nur noch 11 Tage, und eine Sprengstofftasche, die erst oliv war, ist plötzlich schwarz. Aber das sind sicherlich eher Kleinigkeiten, die man als nicht ganz so schwerwiegend betrachten kann.

Nicht ganz überzeugend finde ich dagegen die Auflösung. Ich hatte befürchtet, dass die Geschichte auf das hinauslaufen würde, was dann zum Ende hin kommt, denn irgendwie liegt das im Laufe des Buches schon in der Luft – überzeugend gelöst finde ich es dennoch nicht. Auch das Ende erscheint mir ein wenig zu typisch amerikanisch. Der strahlende Held bleibt der strahlende Held, trotz all der Dinge, die er tut und erlebt. Das Ende passt zwar zur Geschichte, hinterlässt aber dennoch einen etwas fahlen Nachgeschmack.

Überhaupt wirken die Figuren etwas klischeebehaftet: Tim der Superpolizist auf Abwegen, der nie den Überblick zu verlieren scheint und dessen Heldenaura nur selten Kratzer erleidet. Auch die Kommissionsmitglieder wirken teils sehr klischeeüberfrachtet. Die muskulösen Zwillingsbrüder Masterson, die ihre Aggressionen nicht immer im Zaum halten können. Storch, der hässliche, kränkliche Technikfreak, der ein gesellschaftlicher Außenseiter ist, aber in Sachen Technik ein brillantes Genie. Das sieht alles ein wenig zu sehr nach Hollywoodfilm aus.

Bleiben unterm Strich also gemischte Gefühle zurück. Einerseits baut Hurwitz den Plot spannend auf und gibt der Geschichte gerade zum Ende hin viel Tempo, dennoch bleiben viele Aspekte in Erinnerung, die wenig überzeugend sind. Gerade mit Blick auf die Entscheidungen der Justiz bleibt vieles fragwürdig. Zwar sind die USA ein Land, wo Gerichte auch schon mal den Ausgang einer demokratischen Wahl festlegen (was für sich genommen so haarsträubend ist, dass man all die krassen Fehlurteile, die Hurwitz schildert, sofort glauben möchte), dennoch erscheint mir in dieser Hinsicht manches zu fantastisch. Auch die wenig befriedigende Auflösung und die klischeebehafteten Figuren trüben ein wenig die Freude. Fazit: Spannende Kost zwar, aber dennoch nicht auf ganzer Linie überzeugend.

http://www.knaur.de