Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Littell, Robert – Company, Die

Der letzte Tag des Zweiten Weltkriegs leitete zugleich den Dritten ein, sprach einst ein Zyniker, der aber kein Dummkopf war. Nazi-Deutschland wurde zerschlagen, was weltfremde Träumer zu der Annahme verleitete, die Geschichte beginne wieder bei null und bringe nun Frieden und Einigkeit über die Menschheit. Stattdessen begann der Kalte Krieg, der diese Erde in zwei supermächtige Blöcke zerfallen ließ. Der „freie Westen“, mehr oder weniger offen unter dem Primat der USA, stand gegen die UdSSR und den „Ostblock“. Getrennt wurden beide Sphären durch den „Eisernen Vorhang“, den Stalin niedergehen ließ. Nie hatte sich der sowjetische Diktator davon abhalten lassen, die Welt unter das kommunistische Joch zu zwingen. Unverhohlen nutzte er ab 1945 den Kriegssieg dazu, seinen Einflussbereich in Europa und Asien auszudehnen.

Lange wollten die einstigen Verbündeten USA dies nicht wahrhaben, aber dann lernten sie schnell: 1947 versprach die Truman-Doktrin allen freien Völkern der Welt den Beistand der USA im Kampf gegen jeglichen Totalitarismus. Amerikanische Auslandspolitik wurde zukünftig von umfangreichen Geheimdienstaktivitäten begleitet: Die „Central Intelligence Agency“, kurz CIA, führt seitdem einen Untergrundkrieg gegen ihren mächtigen Gegner, den sowjetischen KGB, in dem sich beide Parteien nicht das Geringste schuldig bleiben.

Macht korrumpiert; eine alte Weisheit: Wie ein Moloch breitet sich die CIA aus, als der Kalte Krieg zu eskalieren beginnt – und sie macht sich selbstständig. Anfang der 50er Jahre zeichnet sich die Gefahr eines atomaren Schlagabtausches immer deutlicher ab. Dem glaubt die CIA nur durch eine intensivierte Unterwanderung der UdSSR und ihrer Trabantenstaaten begegnen zu können. Dazu braucht es mehr Personal – nicht mehr nur ehemalige Soldaten, Schnüffler der alten Schule oder sogar wendehalsiger Nazi-Agenten, sondern junge, ausgebildete Männer und Frauen, die sich nicht scheuen, sich im Dienst der vorgeblich guten Sache die Finger schmutzig zu machen.

Auf Jack McAuliffe und Leo Kritzky trifft dies zu; sie sind idealistisch und patriotisch, d. h. vor allem stramm antikommunistisch. Der dritte im Bunde ist der russische Austauschstudent Jewgeni Alexandrowitsch Tsipin, den es indes bald zur Konkurrenz zieht. Während Jack und Leo von der CIA angeheuert werden, wird Jewgeni ein „Schläfer“, der in den USA lebt und auf seine Einsätze wartet. Im nächsten halben Jahrhundert werden sich die Wege dieser drei Männer immer wieder kreuzen. Das Katz-und-Maus-Spiel wird sie um den gesamten Globus führen – und Opfer kosten, Unschuldige, scheinbar Schuldige und manchmal einen echten Übeltäter.

Der Korea-Krieg, der Volksaufstand in Ungarn, das Desaster in der Schweinebucht, die Watergate-Affäre, der Bürgerkrieg in Afghanistan und schließlich Glasnost und Perestroika sind die Stationen dieses Agenten-Krieges, der zugleich die jüngere und jüngste Weltgeschichte widerspiegelt – bis der Zusammenbruch der Sowjetunion der CIA ihres wichtigsten Gegners und ihrer Legitimation zu berauben scheint. Aber viele Jahrzehnte des heimlichen Krieges haben die Beteiligten gelehrt, dass es irgendwo auf der Welt immer eine Bedrohung geben wird – und wenn man sie selbst ins Leben rufen müsste.

Ein nicht nur im Umfang gewaltiges Werk legt Politthriller-Routinier Robert Littell hier vor. „Die Company“ ist sicherlich das ehrgeizigste Projekt seiner langen Schriftsteller-Karriere. Unerhörte Arbeit hat er investiert, bis ins Detail recherchiert, und unabhängig von der Frage, ob er stets historische Präzision für sich beanspruchen kann (um es vorweg zu nehmen: kann & will er nicht), hat er auf jeden Fall einen Grad der Stimmigkeit und Atmosphäre erreicht, die viele Seiten (trotz eines gewissen Hangs zur historischen Predigt) wie im Fluge verstreichen lassen.

Dabei hat Littell bei allem Aufwand beileibe das Rad nicht neu erfunden. Ein Stilist ist er nie gewesen. Auch „Die Company“ ist denkbar einfach, fast altmodisch strukturiert. Da haben wir eine Reihe von Hauptfiguren, denen wir immer wieder begegnen, und eine Chronologie, die von der Weltgeschichte vorgegeben wird. Die Werbung zitiert Mario Puzos [„Der Pate“ 2767 als Vergleich und tut dabei, als sei dies ein bemerkenswert gutes Buch gewesen, was keineswegs zutrifft.

Tatsächlich steht „Die Company“ als eine Art dramatisiertes, d. h. um fiktive und narrative Elemente ergänztes Geschichtsbuch, das freilich keinen Anspruch auf historische Genauigkeit erheben kann, eher in der Tradition von James Michener (1907-1997), der seinen Ehrgeiz daran setzte, die Geschichte möglichst vieler US-Staaten von der Entstehung der Erde bis in die Gegenwart nachzuerzählen, wobei alle Protagonisten irgendwie miteinander verwandt sind und stets an historischen Brennpunkten auftauchen, so sehr dies die Gesetze der Wahrscheinlichkeit auch strapazieren mag. Die Lücken zwischen dem Weltbewegenden werden mit seifenoperlichen Intermezzos gefüllt, was emotionale Tiefe suggeriert, die indes meist eher Versprechen bleibt und zum gefühlsduseligen Klischee gerinnt. Auch Littell ist in dieser Beziehung kein Meister und beschränkt derartige Anwandlungen klugerweise auf ein Minimum; der Auftrieb geplagter, aber geduldiger und zum Wohle ihres Landes alle Fährnisse (mehr oder weniger) still erleidender Ehefrauen, Mütter etc. ist trotzdem noch groß genug.

Die Handlung als solche zerfällt in voneinander mehr oder weniger unabhängige Episoden, die der Verfasser hintereinander schalten konnte. „Die Company“ umfasst viele hundert Seiten, doch Littell hätte ohne Schwierigkeiten noch einige Kapitel einschieben können. Trotzdem gibt es so etwas wie einen roten Faden. Das Buch erzählt die Geschichte einer Gruppe von Idealisten, die im Dienste einer guten Sache ein ehrgeiziges Projekt verwirklichen, das eine ungute Eigendynamik entwickelt, sie verformt und korrumpiert, ohne dass sie selbst dies zu bemerken scheinen.

Übrigens bleibt fraglich, ob Verfasser Littell sich dieser Interpretation anschließen würde. Er ist eher ein Falke als eine Taube, eindeutig rechts der politischen Mitte, ganz sicher nicht liberal, und das schimmert in seinem Werk nicht nur durch, sondern wird deutlich und markig thematisiert. Hier ist es z. B. die Figur Leo Kritzky, die aufgrund eines Versehens in die Mühlen der eigenen „Firma“ gerät und dabei mit kalter Berechnung genauso übel gefoltert wird, wie dies den teuflischen KGB-Teufeln angelastet wird. Aber was geschieht, als sich Kritzkys Unschuld herausstellt? Weil’s letztlich für Uncle Sam war und jeder schließlich mal irren kann, reiht sich der Geschundene sogleich wieder in Schar seiner Mitstreiter ein und geht wacker erneut auf Kommunisten- und Terroristenhatz. (Zu Littells Ehrenrettung sei erwähnt, dass er nachträgliche Verklärungen ablehnt; sein Porträt des US-Präsidenten Ronald Reagan ist höchst boshaft und ziemlich erschreckend.)

Freilich ist „Die Company“ auch der Versuch, die ganz besondere Geisteshaltung in Worte zu fassen, von der die CIA mindestens bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion geprägt war. Littell zeichnet sehr schön eine ganz eigene Welt, deren Regeln von Paranoia und Misstrauen bestimmt werden – und bestimmt werden müssen, da hinter jedem Ereignis auf dieser Welt „der Feind“ stecken kann, der mit unfassbarer Raffinesse versucht, seinen Gegner zu überlisten. Das prägt und hinterlässt Spuren bei denen, die sich dem „Großen Spiel“ widmen, bis sich CIA und KGB so sehr gleichen, dass man sie für Spiegelbilder halten könnte (was beide Parteien allerdings vehement abstreiten würden).

Überhaupt wirkt der Krieg der Geheimdienste tatsächlich wie ein globales Spiel, das seine Teilnehmer süchtig werden lässt. Kim Philby, der berühmte britische Spion, fasst dies sehr schön in Worte, als er trotz drohender Entdeckung die Flucht in das Land verweigert, für das er viele Jahre spioniert hat: Die UdSSR schätze er ideologisch, meint er da, aber lieber aus der Ferne, denn leben wolle er dort lieber nicht. Geheimdienstler neigen folglich zur Schizophrenie; auf jeden Fall stehen sie unter Dauerstress, was wohl auch die erstaunliche Häufung von Saufexzessen erklärt, die Littell in diesen politisch korrekten Zeiten in sein Werk einflicht. Hinzu kommen die unerhörten Möglichkeiten, die eine mit Macht und Geld genudelte Organisation wie die CIA ihren meist jungen und begeisterten Mitgliedern bietet: Auf Staatskosten bereisen sie die ganze Welt, jagen die Bösen und drehen mit am Rad der Geschichte, was sonst der großen Politik und der Wirtschaft vorbehalten bleibt.

Spätestens in den 1960er Jahren verkam die CIA, die einst gegründet wurde, um taktisch bedeutende Informationen für die US-Regierung zu sammeln, zu einem obskuren Staat im eigenen Staate, der unter Brechung praktisch sämtlicher Gesetze selbst offensive Politik zu treiben begann (und sich dabei denkbar ungeschickt anstellte). Auch dies wird vom Verfasser offen angesprochen, doch wiederum kann man nicht von Objektivität sprechen: Littells CIA war, ist und bleibt im Kern gut und notwendig; ihre hehren Ziele verliert sie womöglich manchmal aus den Augen, aber das ist stets nur einigen Verblendeten, vor allem jedoch notorisch feigen Politikern anzulasten, die den Schwanz einziehen, wo Härte und Rückgrat gefragt wären.

Daher verwundert es nicht, dass der Verfasser das moderne Russland mit denselben misstrauischen Augen betrachtet wie die alte Sowjetunion. Spione werden immer Konjunktur haben, so lautet Littells – durchaus überzeugendes – Resümee, aber nichtsdestotrotz schießt er hier über sein Ziel hinaus: Welt, sei wachsam & lass’ die CIA ihre heilige Arbeit tun, denn der Feind ist noch lebendig und stark; er hat nur seine Methoden geändert. Dass Russland, wirtschaftlich marode, von politischen Krisen und sogar Bürgerkriegen geschüttelt, zur Zeit über die Ressourcen verfügt, das „Große Spiel“ im großen Stil fortzusetzen, mag der Leser nicht ernsthaft glauben, aber das ist ja genau der Anschein, den der böse Iwan erwecken möchte, um uns einzulullen – und mit dieser Erkenntnis haben wir wohl Littells Aufnahmeprüfung in den Club der Paranoiker mit Glanz bestanden … Und schließlich gibt es im Nahen Osten oder mit Nordkorea immer neue Schurkenstaaten, die es unter sorgfältiger Beobachtung zu halten gilt.

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Nesbø (Nesboe), Jo – Fährte, Die

Ein psychopathischer Bankräuber, genannt der „Exekutor“, terrorisiert die norwegische Stadt Oslo. Obwohl er seine Beute ohne Zwischenfälle einkassieren konnte und keine Spuren am Tatort hinterlassen hatte, erschoss er scheinbar ohne Grund eine junge Angestellte. Seitdem hat der hervorragend organisierte Täter noch weitere Verbrechen begangen, die durch ihre kaltblütige Planung und Durchführung auffallen. Für die Presse ist diese Serie ein gefundenes Fressen, was die Politik nervös werden lässt, gilt es doch, das Bild einer vorbildlich regierten Stadt zu wahren, damit dahinter die bekannten Spielchen um Macht und Geld ungestört weiterlaufen können.

Im Polizeidezernat für Gewaltverbrechen ging der „Exekutor“-Fall an den ehrgeizigen aber unfähigen Dezernatsleiter Ivarsson. Als dieser keine schnellen Ergebnisse vorweisen kann, übernimmt Harry Hole, ein Ermittler, der durch seine bemerkenswerten Fahndungserfolge bekannt und wegen seiner alkoholbedingten Ausraster berüchtigt ist. Dank seiner unkonventionellen Methoden und unterstützt durch eine neue Kollegin, die mit dem perfekten Personengedächtnis ausgestattete Beate Lønn, kann Hole trotz der miserablen Indizienlage bald erste Teilergebnisse erzielen.

Allerdings ist Hole abgelenkt. In Abwesenheit seiner Lebensgefährtin Rakel hatte er eine Affäre mit der ehemaligen Geliebten Anna begonnen und war dabei erneut dem Alkohol verfallen. Als er mit Filmriss aus seinem aktuellen Rückfallrausch erwachte, fand man Anna erschossen in ihrem Bett. Die Spuren deuten auf Selbstmord hin. Harry ist sich da nicht sicher. Was ist in der Nacht geschehen, die in seinem Gedächtnis fehlt? Als Polizist schweigt er, der als Hauptverdächtiger gelten würde. Doch Anna ist tatsächlich ermordet worden: Der Täter nimmt Kontakt zu Harry auf und quält ihn mit E-Mails, in denen er droht, die Polizei zu informieren. Harry muss unauffällig nach dem Mörder suchen und gleichzeitig im vollen Rampenlicht nach dem „Exekutor“ fahnden – ein Drahtseilakt, der nicht lange gut gehen kann und nicht nur für Harry in einem Desaster endet …

Wenn man den Drang verspüren sollte, „Die Fährte“ in eine Schublade zu stecken, so könnte man dieses Buch als einen derjenigen Thriller bezeichnen, die Jeffery Deaver – stets vergeblich – zu schreiben versucht. Gemeint ist diese besonders vertrackte Art von Thriller, deren Plot sich dreht und windet wie ein schlüpfriger Aal, seinen Lesern dabei immer wieder zwischen den Fingern durchschlüpft, um im Finale dort zu landen, wo niemand ihn vermutet hätte. Kurz und gut: „Die Fährte“ ist ein Krimi, der sein Publikum gleich mehrfach täuscht und mit neuen Wendungen verblüfft, ohne es durch aus dem Hut gezauberte, quasi übernatürliche Wendungen vor den Kopf zu stoßen. Die atemberaubende Story schlägt ihre Haken sogar, ohne dass ihr die Logik darüber jemals verloren ginge.

Das verwundert durchaus, da „Die Fährte“ ein an Klischees überaus reiches Werk ist. Auch in Nesbøs Skandinavien gibt es offensichtlich keinen Sommer. Harry Hole ermittelt in einem Oslo, das düster und regnerisch ist. Dieses Klima gilt gleichzeitig als Metapher für die gesellschaftliche Kälte: Die Polizei ist kaum mehr Ordnungsmacht, sondern tanzt am Gängelband von Politik und Medien. Streber und Karrieristen geben den Ton an; sie drängen diejenigen Kollegen, die sich auf ihren Job konzentrieren, an den Rand und lassen sie desillusioniert und verbittert zurück. Auch sonst ist die Welt schlecht, d. h. geprägt von Unvernunft, Habgier, Fremdenfeindlichkeit usw. usf. Doch Nesbø übertreibt es nicht und findet ein Gleichgewicht zwischen diesen Unerfreulichkeiten, die einen als Leser deshalb nicht bedrängen oder sich gegenseitig erschlagen, sondern ihren Teil zur Handlung beitragen.

Die Kunst des Jo Nesbø manifestiert sich vor allem in der Figur des Harry Hole: Wie viele einsame, dauerdeprimierte Ermittler, die an der Flasche hängen, verträgt der Krimileser? Hole scheint exakt in diese schon viel zu tief ausgehauene Kerbe zu stolpern. Dennoch schafft er es, Individuum zu bleiben: Harry ist kein Super-Detektiv und privat ein schwacher Mensch. Nesbø findet den schmalen Grat zwischen Routine und Übertreibung und lässt seinen menschlichen Helden dort mit traumwandlerischer Sicherheit meist waghalsige Kunststücke treiben. Zur Spannung der Krimi-Handlung kommt deshalb stets die bange Frage, ob er sich auch dieses Mal halten kann oder endgültig stürzen wird.

Bei seinem Seiltanz hilft Harry mehr als ein Quäntchen eistrockenen Humors. Hole wälzt sich – anders als z. B. ein literarisch ungleich erfolgreicherer Kollege aus dem schwedischen Ystad – nicht stellvertretend für die enttäuschten Gutmenschen dieser Welt leidend im Sumpf der Gemeinheiten & Scheußlichkeiten, die ihre Artgenossen sich einander antun. Zwar kann sich auch Nesbø einige allzu aufdringliche Verweise in diese Richtung nicht verkneifen – Harry verfolgt mehrfach am Fernseher den Stand des US-amerikanischen „Befreiungskrieges“ im Irak und denkt sich seinen Teil -, doch letztlich konzentriert er sich wieder auf den aktuellen Fall, der es so in sich hat, dass sein Verfasser auf den erhobenen Zeigefinger leicht verzichten kann.

Hole fügt der langen Liste seiner persönlichen Verfehlungen dieses Mal gleich mehrere Neueinträge an. Er verfällt abermals seinem persönlichen Dämon, dem Alkohol, lässt sich von einer ehemaligen Geliebten umgarnen, obwohl er inzwischen neu verbandelt ist, und setzt zu einem wahren Kamikazeflug gegen seine ohnehin wenig von ihm eingenommenen Vorgesetzten an. Doch Harry wächst in der Krise über sich hinaus; er scheint den Druck zu benötigen, der den sechsten Sinn des guten Fahnders stimuliert. Zudem kann er sich auf einige wenige treue Freunde verlassen, die wie er zu den Außenseitern gehören und kein Problem damit haben, Gesetze und Regeln ein wenig großzügiger auszulegen, als dies gestattet bzw. toleriert wird.

Das ist nur gut so, denn den Schurken, die uns Nesbø in „Die Fährte“ vorstellt, lässt sich schwerlich unter getreuer Beachtung der Dienstvorschrift beikommen. Da ist zunächst der eiskalte „Exekutor“, der seinen Häschern mehr als ein gelungenes Rätsel aufgibt. Hole speist mit dem Teufel, um ihn zu fassen, wobei er bald merkt, dass der Löffel, den er benutzt, nicht lang genug ist: Raskol Baxhet, ein Bankräuber, der sich aus unerfindlichen Gründen selbst stellte, ist wahrlich ein zwielichtiger Charakter. In einem Augenblick lässt er sich von Hole als „Berater“ in Sachen „Exekutor“ anheuern, im nächsten bedroht er dessen kleine Familie, um sich an einem alten Feind rächen zu können. Aber Harry zeigt sich auch dieser Herausforderung gewachsen: Nicht durch Gewalt kommt er Baxhet bei, sondern indem er dessen Intrigenspiel noch besser spielt als dieser – gerade noch, denn sein Gegner ist ein Meister!

Innerhalb der Polizei kämpft Hole offene und verborgene Schlachten aus. Dezernatsleiter Ivarsson repräsentiert das Establishment, das Quertreiber und interne Kritiker wie Harry hasst und mobbt. Nesbø gönnt uns den Genuss zu beobachten, wie Ivarsson sich selbst demontiert. Aber er bleibt Harrys Vorgesetzter und wird seine Zeit abwarten, um sich zu rächen. Ebenfalls präsent ist Tom Waaler, der die weitaus größere Gefahr darstellt. Sein infamer Feldzug gegen Hole, der ihn des heimtückischen Mordes an einer Kollegin zumindest verdächtigt, ist an Spannung kaum zu überbieten. Waaler nutzt geschickt die Animositäten zwischen Harry und Ivarsson, während er gleichzeitig Beweise manipuliert, die auf Hole als Drahtzieher hinter dem „Exekutor“ hinweisen. Auch dies kann Harry abwehren; er geht sogar einen Schritt weiter und intensiviert seine Ermittlungen gegen Waaler – dieser Subplot wird auch im nächsten Band der Serie eine wichtige Rolle spielen.

Jo Nesbø wurde 1960 in Oslo geboren. Er war zunächst als Finanzanalytiker und Ökonom für die norwegische Handelshochschule in Bergen tätig, arbeitete aber nebenberuflich als Journalist, bevor er sich als Schriftsteller selbstständig machte. Schon für seinen ersten Kriminalroman – „Flaggermusmannen“ (dt. „Der Fledermausmann“) bekam Nesbø 1997 den Preis für den besten Krimi des Jahres. Hier schildert der Autor die Erlebnisse von Kriminalkommissar Harry Hole auf einer verhängnisreichen Dienstreise nach Australien.

Ebenfalls subtil, aber trotzdem volkstümlich ist die Pop-Band „Di Derre“: Frontmann, Vokalist und Komponist Jo Nesbø ist auch ein anerkannter Musiker, der nach Auskunft der Kritik gute Texte mit schwungvollen Popmelodien verbindet.

Kaes, Wolfgang – Herbstjagd

Martina Hahne, alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern, hat kein Glück mit Männern. Nach der Geburt ihrer Tochter verlässt sie ihr Mann, auch alle weiteren Beziehungsversuche enden in einer Enttäuschung. Tochter Jasmin will um jeden Preis Model werden, der ältere Boris rebelliert, die harte Arbeit im Supermarkt reibt die gestresste Mutter auf. Da gibt ihr eine Kollegin den Tipp, sich per Internet eine Bekanntschaft zu suchen. Auf diesem Weg lernt sie Mario kennen, einen reichen Kölner Unternehmer, der sie mit Komplimenten und Aufmerksamkeiten überschüttet. Die ersten Treffen verlaufen zaghaft, erst nach und nach werden sie intim miteinander. Dabei verlangt Mario von Martina so genannte „Liebesbeweise“, die immer demütigender für sie werden. Martinas Liebe verwandelt sich in Angst. Als es ihr zu viel wird, trennt sie sich per E-Mail von ihrem einstigen Traummann. Mario verkraftet das Aus nicht und stellt ihr mit Anrufen und drohenden E-Mails nach.

An einem regnerischen Septembertag verschwindet Martinas Tochter Jasmin. Die Fünfzehnjährige kehrt nicht von der Schule heim. Gegen Mitternacht verständigt Martina die Polizei. Zur gleichen Zeit wird auch die vierzehnjährige Anna vermisst gemeldet. Anna stammt aus gutem Haus und kennt Jasmin nicht, doch bei beiden lässt der Täter den Eltern ein Foto der Mädchen zukommen, aufgenommen nach ihrer Entführung. Anhand eines der Bilder gelingt es der Polizei, die beiden Mädchen in einem Naturschutzgebiet zu finden – aber nur eines von ihnen lebt noch.

Der rauhe Bonner Hauptkommissar Jo Morian und seine junge, burschikose Kollegin Antonia Dix übernehmen den Fall. Obwohl sie in alle Richtungen ermitteln, steht der mysteriöse „Mario“ auf ihrer Verdächtigenliste ganz oben. Doch die Nachforschungen erweisen sich als problematisch. Zeugenaussagen ergeben zwei völlig unterschiedliche Phantombilder von „Mario“ und dem Entführer, wichtige Spuren wurden verwischt und einige Polizeimitarbeiter halten die Stalking-Theorie für unglaubwürdig. Auch persönlicher Druck lastet auf dem Duo – Antonia Dix wird wegen ihrer Unerfahrenheit längst nicht von allen Kollegen respektiert. Morian dagegen fühlt sich gegen seinen Willen zu Annas Lehrerin Dagmar, selbst ein Stalking-Opfer von „Mario“, hingezogen. Für die Ermittler beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn niemand weiß, wann der Täter wieder zuschlägt …

Nach „Todfreunde“ und „Die Kette“ bekommen die Leser nun einen dritten Fall von Kommissar Morian präsentiert, der sich nach Kindesmissbrauch und Terror mit dem Thema Stalking befasst. Auch hier beweist der Autor wieder einmal sein Gespür für brisante Themen und liefert einen äußerst spannenden und gelungenen Thriller ab.

|Charakterstarkes Ermittler-Duo|

Serienermittler gibt es in der Krimi- und Thrillerwelt mittlerweile wie Sand am Meer. Schwer genug für einen Autoren, einen Ermittler zu erschaffen, der sich von seinen zahlreichen Kollegen, heißen sie nun Wallander, Cross, Wexford oder Pitt, abhebt und dem Leser einprägt. Mit der Figur des Kommissar Josef Morian ist ihm so ein Charakter gelungen. Dabei ist Morian, wie ihn fast alle Kollegen nennen, eigentlich ein Durchschnittstyp und gewiss nicht fehlerlos, was ihn aber gerade so sympathisch macht. Der ehemalige Amateurboxer hat mittlerweile an Gewicht zugelegt, lebt nach seiner Scheidung alleine, hat zu wenig Zeit für seine beiden Kinder, schweigt mehr als dass er redet und ist bekannt für das Vertrauen, das er gegenüber Zeugen ausstrahlt. Morian ist kein makelloser Superman, der jedes Verbrechen im Handumdrehen löst, doch er ist ein zuverlässiger Kollege, der mit viel Herzblut an seinen Fällen arbeitet und in seiner aufreibenden Arbeit seine Berufung gefunden hat. Kollegin Antonia Dix bietet den perfekten Gegenpol. Erfreulicherweise bilden die beiden kein Liebespaar, sondern stehen vielmehr in einer Art leicht distanziertem Vater-Tochter-Verhältnis zueinander. Antonia ist knapp dreißig, verbirgt ihre rassige Schönheit hinter einem raspelkurzen Haarschnitt und burschikosen Auftreten inklusive stämmiger Kickboxerin-Figur und Militär-Jacke. Morian schätzt die scharfsinnige und ehrgeizige Ermittlerin und verspürt des Öfteren einen Beschützerinstinkt in ihrer Nähe. Ganz anders sieht es dagegen Oberstaatsanwalt Arentz, der, wie auch einige der Polizeimitarbeiter, der Jugend und der Unerfahrenheit von Antonia skeptisch gegenübersteht. Vor allem Arentz nutzt jede Gelegenheit, um die junge Frau zu diskriminieren und ihr offen zu widersprechen. Bei den Ermittlungen lastet nicht nur der Druck der Öffentlichkeit auf Antonia, sondern der Fall weitet sich für sie zu einer Bewährungsprobe aus. Gerade unter diesem Druck unterlaufen der sonst so gefassten Kriminalbeamtin kleine Schnitzer, die sie noch verletztlicher und menschlicher wirken lassen. Auch das Privatleben der beiden wird gestreift, angenehmerweise aber nie zum Hauptthema erhoben. Antonia ist einsamer Single, Morian wehrt sich gegen seine Gefühle für die Zeugin Dagmar Losem; beide haben mit ihren privaten Empfindungen zu kämpfen, doch im Fokus steht zu jeder Zeit die Jagd nach dem psychopathischen Stalker.

Unterstützung erhält Morian dabei wie schon in den vorherigen Bänden von seinem Freund Max Maifeld, einem ehemaligen Journalisten, der nach den Rachedrohungen eines Schwerkriminellen in Köln-Mülheim untergetaucht ist und nun als Detektiv schwierige Fälle übernimmt. Mit dabei ist der durchtrainierte Schwarzamerikaner Hurl, Max Maifelds Partner, der nicht viele Worte verliert, dafür aber mit bestechender Verlässlichkeit selbst gefährlichste Einsätze übernimmt. Morian, Antonia, Max und Hurl bilden ein buntes Quartett, das sich trotz oder gerade wegen seiner Gegensätzlichkeit als ein nahezu unschlagbares Team präsentiert. Hin und wieder gibt es trotz aller Aufregung und der Ernsthaftigkeit des Themas bei Max und Hurl sogar amüsante Erlebnisse – denn obwohl sie die perfekte Zusammenarbeit liefern, ist vor allem Max zeitweise genervt von den unterschiedlichen Lebensvorstellungen innerhalb der Zwangs-WG.

|Spannung und Dramatik bis zum Schluss|

Über 500 Seiten umfasst der Schmöker, doch beachtlicherweise wird der Spannungsfaktor von der ersten bis zur letzten Seite konstant hochgehalten. Viele Fragen warten auf die Beantwortung: Werden sie dem Internet-Stalker das Handwerk legen? Wird es bis dahin noch weitere Opfer geben? Wer ist der Informant, der die Presse immer wieder mit vertraulichen Polizei-Interna über den Fall versorgt? Glaubwürdig werden Höhen und Tiefen der Ermittlungsarbeit aufgezeigt. Morian und seine Helfer verzeichnen wichtige Erfolge, die sie dem Täter näher bringen, doch es gibt auch zahlreiche Rückschläge – entweder, weil Fehler passieren oder weil „Mario“ ihnen intellektuell gewachsen ist. Positiv ist zudem, dass der Autor sich nicht scheut, Charaktere sterben zu lassen oder lieb gewonnenen Figuren Enttäuschungen geschehen zu lassen. Bereits vor den letzten Seiten ahnt man, dass den Leser hier kein geschöntes Hollywood-Ende erwartet, sondern dass Wolfgang Kaes es durchaus wagt, auch hier konsequent zu sein und die harte Realität einfließen zu lassen, in der nicht alle Konflikte eine ideale Lösung erfahren. Bis zum Schluss heißt es bangen um die Protagonisten und die Nebencharaktere – und hoffen, aber nicht wissen, dass die Gerechtigkeit siegen wird.

Den ganzen Roman über ist offensichtlich, dass der Autor lange Jahre als Polizei- und Gerichtsreporter tätig war. Detailgenau und immer verständlich bringt er Einblicke in die Ermittlungsarbeit, sodass man spürt, dass hier ein Experte über Dinge schreibt, die er selber erlebt hat, nicht bloß über angelesenes Bücherwissen. Gleiches gilt für das ausgeprägte Lokalkolorit. Bewohner des Köln-Bonner Raums werden nicht nur zentralen Örtlichkeiten, die auch flüchtige Besucher der Gegenden kennen, begegnen, sondern auch unscheinbaren Straßen und Ecken, die zeigen, dass hier ein Einheimischer seine Kenntnisse spielen lässt.

|Nur kleine Mankos|

Schwächen besitzt dieser Roman nur wenige. Eine davon liegt in der Fülle von Handlungssträngen, die das Werk äußerst komplex machen. Die Schauplätze wechseln häufig; am meisten steht natürlich Morian im Zentrum, aber es wird auch zu Antonia, zu Max und Hurl, zu Stalking-Opfer und Zeugin Dagmar Losem sowie auch zum Täter selbst übergeblendet. Bei manchen Absätzen muss man sich erst ein paar Sätze lang einlesen, ehe man weiß, in welchem Handlungsstrang man sich gerade befindet. Die vielen Schicksale, darunter natürlich auch die der Familien der Opfer, bilden ein miteinander verbundenes Netzwerk. Zum Schluss laufen tatsächlich alle Fände zusammen – doch bis dahin ist es zeitweise mühsam, den Überblick zu behalten, wer in welcher Form mit dem anderen verbunden ist. Auch der Zufall wird hier manches Mal zu oft bemüht. Ein paar der Verbindungen sind nicht naturgegeben, sondern entstehen durch unvorhersehbare Ereignisse, die dafür sorgen, dass sich die Wege mancher Personen kreuzen. Das macht es Morian und seinem Team mehrmals zu einfach, eine Spur zu verfolgen. Während in der ersten Hälfte viele Untersuchungen im Sande verlaufen und die Jagd nach „Mario“ phasenweise fast aussichtslos erscheint, fallen vor allem im letzten Drittel den Ermittlern einige Erkenntnisse durch Zufälle oder Dummheit der Täter in die Hände.

Nicht abschrecken lassen darf man sich vom Stil, der einem auf der ersten Seite entgegenspringt: In der hektischen Erzählweise der erlebten Rede, sogar bis hin zu Anklängen an den Bewusstseinsstrom, werden hier stakkatoartige Sätze verwendet, die oft nur aus einem Wort und aus inhaltlichen Gedankensprüngen bestehen. Allerdings zeigt sich bald, dass dieser Stil nur bei „Marios“ Perspektive zum Einsatz kommt und selbst dort nie mehr so penetrant wie auf der ersten Seite. Zwar durchzieht gründsätzlich ein nüchterner Stil mit kurzen Sätzen den Roman, der sich aber flüssig lesen lässt.

_Unterm Strich_ bleibt ein hochspannender Thriller über das brisante Thema „Stalking“, das durch ein sympathisch-interessantes Ermittlerduo, überraschende Wendungen und Dramatik bis zum ungewissen Ende besticht.

_Der Autor_ Wolfgang Kaes, geboren 1958 in der Eifel, arbeitete nach seinem Studium der Politikwissenschaft, Kulturanthropologie und Pädagogik viele Jahre lang als Journalist. Er schrieb unter anderem als Polizei- und Gerichtsreporter für den |Kölner Stadt-Anzeiger|, für den |Stern| und als Lokalchef der |Rhein-Zeitung| in Bonn. 2004 erschien sein erster Roman „Todfreunde“, 2005 der Nachfolger „Die Kette“, beide mit dem Ermittler Kommissar Morian. Mehr über ihn gibt es auf seiner Homepage http://www.wolfgang-kaes.de.

http://www.rowohlt.de

Ruth Rendell – Das Verderben

Rendell Wexford Verderben Cover TB 2004 kleinJunge Frauen werden entführt, ein Kind verschwindet, ein Familientyrann wird ermordet: In einer englischen Kleinstadt schürt die Angst die Aufregung zur Lynchstimmung, während die Polizei unter Zeitdruck die wirren Tatfäden zu entwirren versucht … – Der 18. Wexford-Krimi präsentiert einen Plot, der einerseits beliebig und andererseits übertrieben wirkt; besonders logisch ist das Geschehen zudem nicht, weshalb vor allem die Routine einer erfahrenen Autorin für Lektüre-Unterhaltung sorgt.
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Stuart MacBride – Die dunklen Wasser von Aberdeen

Ein perverser Kindermörder sorgt in der schottischen Stadt Aberdeen für Aufruhr. Polizist McRae ermittelt im verzweifelten Wettlauf mit der Zeit, denn der Täter wird wieder töten, während zornige Bürger zur Selbsthilfe bzw. Hexenjagd rüsten … – Auf den Spuren von Ian Rankin wandelt Stuart MacBride, der die Ekelschraube noch ein wenig schärfer anzieht als sein ‚Kollege‘ und einen zwar nicht originellen aber sauber geplotteten, spannend und mit trockenem Witz erzählten, atmosphärisch dichten und somit lesenswerten „Tartan Noir“-Thriller als Start einer neuen Reihe vorlegt.

Das geschieht:

Nach krankheitsbedingter Arbeitspause kehrt Detective Sergeant Logan McRae in den Dienst der Grampian Police im ostschottischen Aberdeen zurück. Bereits am ersten Tag muss er einen grausigen Mordfall übernehmen: In einem Graben fand man den Körper des erst dreijährigen David Reid. Seit drei Monaten wurde das Kind vermisst. Sein Mörder hat ihn erdrosselt. Schlimmer noch: Er ist offensichtlich zur Leiche zurückgekehrt und hat sich „Souvenirs“ abgeschnitten.

Wie sein Chef, der aufbrausende Detective Inspector Insch, schließt McRae aus dem planvollen Vorgehen des Mörders, dass David womöglich nicht dessen erstes Opfer ist. Außerdem ist davon auszugehen, dass er seine kranke Fantasie an einem weiteren Kind ausleben wird. Und tatsächlich verschwindet kurz darauf der fünfjährige Richard Erskine. Die schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bewahrheiten, als auf einer Müllhalde eine Kinderleiche gefunden wird. Allerdings handelt es sich um den Körper eines drei- oder vierjährigen Mädchens, das niemand als vermisst gemeldet hat.

Alle Beamten der Grampian Police ermitteln intensiv in diesen Fällen von Mord und Entführung. Die Öffentlichkeit ist aufgestört, die Medien fachen den die Auflage stärkenden Volkszorn gezielt an. Auch die Politik wird aufmerksam und setzt Insch und seine Leute publicitywirksam unter Druck. McRae muss sich nicht nur um die unbekannte Kinderleiche kümmern. Man überträgt ihm auch einen Mordfall, dessen Opfer man ohne Kniescheiben aus dem Hafenbecken gezogen hat. Es handelt sich um einen engen ‚Mitarbeiter‘ des Gangsters Malcolm McLennan, genannt „Malk the Knife“, der aus Edinburgh in die Unterwelt von Aberdeen drängt. Es wird eng für die Polizei. Immer neue Verdächtige tauchen für alle Fälle auf. Nur langsam klärt sich das Durcheinander; es verschafft dem Kidnapper die Zeit, sich ein weiteres Kind zu schnappen …

Tartan Noir – etwas grobmaschiger

Breit ist der Schatten, den Ian Rankin als Krimiautor über Schottland wirft. Seit er den unvergleichlichen Inspektor John Rebus in ebenso tragische wie bizarre Fälle verwickelt, hat sich für diese nordenglische Variante des Thrillers sogar ein eigener Genrebegriff namens „Tartan Noir“ eingebürgert. Er beschreibt sehr gut ein bestimmtes literarisches Webmuster, das Rankin vorbildhaft vorexerzierte: Düstere Mordfälle geschehen in einer rauen (Stadt-) Landschaft, die von ebensolchen Bewohnern bevölkert wird. Die Stimmungs-Tonart ist (wie das Wetter) Moll, wobei die „skandinavische Tristesse“, die spätestens seit den Wallander-Romanen des Henning Mankell als Markenzeichen für den sozialkritischen europäischen Krimi der Gegenwart gilt, durch einen ruppigen, trockenen Humor angenehm gebrochen wird: Die Welt ist schlecht, aber das muss uns nicht auch noch den Leseabend verderben!

Nun tritt Stuart MacBride in Rankins Fußstapfen – die Parallelen sind unübersehbar. Sie werden vom Verfasser auch gar nicht geleugnet, sondern in einem hübschen In-Joke auf S. 421 angesprochen. „Die dunklen Wasser von Aberdeen“ liest sich wie ein Rebus-Roman, was zunächst einmal als Lob zu verstehen ist. Der Plot ist angenehm vertrackt und wird sauber entwickelt, die Ermittlungen sind spannend geschildert, die Schauplätze plastisch beschrieben, die Figuren wirken lebendig.

Und doch ist da zweierlei, das irritiert. Die Übereinstimmung zwischen Rankin und MacBride ist manchmal allzu auffällig; man spricht nicht nur dieselbe Sprache, sondern auch mit derselben Zunge, wobei Rankin ‚unverdächtig‘ dasteht – John Rebus ermittelt schon seit den 1990er Jahren. (Der deutsche Goldmann Verlag unterstreicht die ‚Verwandtschaft‘ übrigens durch eine Buchgestaltung, die sich eng an die der Rankin-Bestseller anlehnt; hier sollen Leser ‚umgeleitet‘ werden.)

Brachiale Taten, gebeutelte ‚Helden‘

Zweitens missvergnügt MacBrides Versuch, sich durch noch größere Originalität in der Schilderung perverser Gewaltverbrechen zu etablieren. Der Autor setzt hier auf ein Mehr an Blut, Verwesung und Pathologen-Gemetzel. Gleichzeitig nagt er wie ein politisch unkorrekter Biber am ohnehin morschen Stamm eines Tabus: Er lässt seinen Serienmörder auf kleine Kinder los, die er als Opfer unter getreuer Schilderung aller grässlichen Details quasi instrumentalisiert. Dies wäre nicht nötig; ein Irrer, der sich an Erwachsenen vergreift, hätte es genauso getan. MacBride setzt hier unverhohlen auf den unvergleichlichen Schrecken, den das Kapitalverbrechen am ‚unschuldigen‘ Kind auslöst; ein Trick, den man übel nimmt, weil es kalkuliert wirkt.

Ist Logan McRae ein bisher unbekannt gebliebener Bruder von John Rebus? Auch hier sind die Ähnlichkeiten frappant, nur dass das Geschick dem Kollegen aus Aberdeen deutlich heftiger mitgespielt hat – ein weiteres „Mehr“, aber nicht unbedingt „Besser“, das MacBride seinem Helden angedeihen lässt. McRae ist ganz genretypisch ein guter Polizist, was von den bornierten Vorgesetzten natürlich nicht zur Kenntnis genommen wird, dazu ein sperriger Charakter, von Natur aus sogar für einen Schotten ein wenig eigenbrötlerisch, und die Kollegen meiden ihn fast abergläubisch, seit ihn – jetzt dreht MacBride mächtig an der Schicksalsschraube – ein 15-facher Frauenmörder bei einem Kampf auf Leben & Tod mit dem Messer beinahe ausweidete. „Lazarus“ nennt man ihn nun im Revier, ist er doch dem Sensenmann nur knapp entronnen und muss für den Rest seines Lebens mit Narben und Schmerzen leben.

Privat sieht es auch nicht rosig aus. Natürlich – auch hier regiert das Klischee – hat ihn die Freundin verlassen, die ihm indes – Stoff für allerhand zukünftige Verwicklungen ist garantiert – als Arbeitskollegin verbunden bleibt. McRae bläst nach Feierabend ordentlich Trübsal, schaut zu tief in die Flasche, verstrickt sich ungeschickt in perspektivenlose Liebeshändel. Glücklicherweise ist Constable Watson, McRaes Partnerin, recht bodenständig. Sie erdet den manchmal allzu sehr von seiner Inspiration mitgerissenen McRae und vermittelt darüber hinaus dem Leser pflichtschuldig die übliche Palette chauvinistischer Ungerechtigkeiten, denen auch die Polizeibeamtin von Heute ausgesetzt ist.

Debüt als Petrischale

McRaes Vorgesetzter bleibt eine prägnante Nebenrolle als großer Exzentriker. Detective Inspector Insch ist ein poltriger Dickwanst, der pausenlos Gummibärchen, Lakritz und anderen Geleekram mampft. Selbstverständlich verbirgt sich hinter dieser Fassade nicht nur ein wacher Verstand, sondern auch ein mitfühlendes Herz, sodass McRae und Insch sich in jenen Ritualen ergehen können, die in einer wahren Männerfreundschaft sentimentale Sympathiebekundungen ersetzen.

MacBride besetzt viele Rollen seines Krimis geschickt mit überzeichneten Figuren. Hart an der Grenze zum Klischee agieren abgebrühte Polizisten, wüste Ganoven, dreiste Reporter. In der doch sehr düsteren Geschichte sorgen trockene Wortwitze für notwendige humoristische Momente, ohne dadurch den Plot zu unterminieren. In diesem Punkt kann MacBride Ian Rankin übrigens mühelos das Wasser reichen, so dass der Kreis sich schließt: Dieser „Tartan Noir“ kann empfohlen werden, auch wenn er direkt am Webstuhl neben dem Original entstanden ist.

Ein Blick in die Zukunft sei an dieser Stelle gestattet: Rasch emanzipierte sich der Autor von seinem Vorbild. Die Logan-McRae-Serie fand ihr Publikum und wird bis heute regelmäßig fortgesetzt. Dabei hat MacBride seinen eigenen Weg gefunden. Die Routinen des Polizeialltags wichen mehr und mehr dem alltäglichen Irrsinn. Immer abgedrehter wurden die Figuren. MacBride wich vom Konzept des zentralen Falls ab und ließ seine Romane immer episodischer ablaufen. Im Finale werden die Fäden zusammengefasst. McRae ist wesentlich umgänglicher geworden, und seine Verletzung findet kaum mehr Erwähnung. Obwohl Krimi-Puristen murren, kann diesen Romanen weder Spannung noch Unterhaltungswert abgesprochen werden: Logan McRae hat sich freigeschwommen, und wie es aussieht, wird er den Kopf noch eine ganze Weile über den Wasser von Aberdeen & Co. halten können!

Autor

Stuart MacBride wurde am 27. Februar 1969 im schottischen Dumbarton geboren. Die Familie zog wenig später nach Aberdeen um, wo Stuart aufwuchs und zur Schule ging. Studiert hat er an der University in Edinburgh, die er indes verließ, um sich in verschiedenen Jobs (Designer, Schauspieler, Sprecher usw.) zu versuchen. Nach seiner Heirat begann MacBride Websites zu erstellen, stieg bis zum Webmanager auf, stieg in die Programmierung ein und betätigte sich in weiteren Bereichen der Neuen Medien.

Stuart MacBride lebt heute wieder in Aberdeen. Über Leben und Werk informiert er auf seiner Website, die er um einen Autorenblog sowie eigene Kurzgeschichten erweitert hat.

Taschenbuch: 544 Seiten
Originaltitel: Cold Granite (London : HarperCollins UK 2005)
Deutsche Erstausgabe: Oktober 2006 (Wilhelm Goldmann Verlag/TB Nr. 46165)
Übersetzung: Andreas Jäger

eBook: 1310 KB
ISBN-13: 978-3-641-12238-6
http://www.randomhouse.de/goldmann

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (4 Stimmen, Durchschnitt: 1,50 von 5)

Kent, Christobel – Ein Sommer in Ligurien

Rose Fell ist Anfang vierzig, als ihr Mann sie wegen einer jüngeren Frau verlässt. Während er seine neue Freundin heiratet, bricht für Rose eine Welt zusammen. Um wieder auf die Beine zu kommen, beschließt sie, ein radikal neues Leben zu beginnen. Sie verlässt England und kauft sich ein kleines Haus an der ligurischen Küste. In der Abgelegenheit eines ländlichen Dorfes richtet sie sich ihr neues Zuhause ein und geht ihrem Beruf als freie Journalistin nach. Doch die Eingewöhnung fällt nicht leicht. Für die überwiegend älteren Dorfbewohner bleibt sie eine Außenseiterin, eine Ausländerin mit fremder Kleidung und fremden Einstellungen. Ihre Tochter Jess lebt ein Studentenleben und meldet sich nur selten, die alten Freunde kommen sie nicht besuchen. Nur der wortkarge Gennaro, der im Dorf kaum weniger als Außenseiter gilt als sie, sucht ihren Kontakt. Rose droht zu vereinsamen, ehe sie per Zufall den reichen und attraktiven Engländer Richard Bourn kennenlernt.

Unweit von Rose lebt die einstige Leinwandschönheit Elvira Vitale, von den Bewohnern wegen ihrer früheren Ehe mit einem Grafen „Contessa“ genannt. Vor vielen Jahren war sie ein gefeierter Star, doch heute lebt sie zurückgezogen mit ihrem Mann Jack auf ihrem Anwesen. Während Elvira unter ihrem Alter leidet, vergnügt sich ihr Mann auf Partys mit jüngeren Frauen. Als Rose davon erfährt, dass Elvira in ihrer Nähe wohnt, hofft sie auf ein Interview mit der Diva. Ein Regisseur, den sie aus einer früheren Zusammenarbeit kennt, soll Elvira eine Empfehlung über Rose vermitteln.

Gerade als Rose sich einzuleben beginnt, erschüttert ein Mordfall das Dorf. Am Strand wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die erst erwürgt und dann aus einem fahrenden Zug geworfen wurde. Der ermittelnde Commissario Cirri erinnert sich an den Mord an einer Prostituierten im vergangenen Jahr, der bis heute nicht geklärt wurde. Besteht etwa ein Zusammenhang? Auch die Bevölkerung zeigt Unruhe, im Dorf wird viel geredet. Rose reagiert vorsichtig auf Richard Bourns Einladungen, obwohl sie sich zu dem interessanten Mann hingezogen fühlt. Elviras Haushälterin, die junge Ania, verschwindet in diesen Tagen und die Contessa erstattet eine Vermisstenanzeige. Nach und nach kreuzen sich die Wege der beiden Frauen Rose und Elvira, trotz ihrer unterschiedlichen Schicksale …

|Interessante Charaktere|

Das malerische Ambiente der italienischen Küstenstadt Levanto bildet den trügerisch-idyllischen Schauplatz für eine Mixtur aus Krimi und Frauenroman. Im Mittelpunkt steht die knapp vierzigjährige Rose, die misstrauisch beäugte Ausländerin, die sich fern von ihrer Heimat England ein neues Leben aufbaut. Die ganze Handlung über bleibt Rose eine sympathische Bezugsperson für den Leser.

Dafür ist vor allem die Ausgewogenheit ihres Charakters verantwortlich: Einerseits fühlt man mit der verlassenen Frau, die weder Familie noch Freunde in ihrer Umgebung hat und auch nach einem Jahr noch verletzt und deprimiert an ihre gescheiterte Ehe zurückdenkt. Andererseits aber präsentiert sie sich als Kämpfernatur, trotzt der Ablehnung, die ihr in Italien entgegenschlägt, und bemüht sich beharrlich darum, endlich den Touristinnen-Status unter den Einwohnern abzulegen.

Ihre Unsicherheiten sind glaubhaft geschildert; die Einsamkeit hat Rose sichtlich vorsichtig gemacht. Sowohl gegenüber dem charmanten Richard als auch gegenüber ihrem entfernten Nachbarn Gennaro wahrt sie Distanz, grübelt über deren Absichten nach, schwankt zwischen Freude über die Zuwendung und Zurückhaltung. Unsicherheit kennzeichnet auch den ehemaligen Filmstar Elvira Vitale, eine fast gebrochene Frau, deren Mann sie mit Tabletten ruhigstellt und sie gerne in der Öffentlichkeit blamiert. So verschieden Rose und Elvira auf den ersten Blick auch sind, ihre Empfindungen gleichen sich und man erwartet gespannt ihr erstes Zusammentreffen.

Ebenfalls gelungen und interessant sind die Nebencharaktere, die in den Leben der beiden Frauen eine Rolle spielen. Da ist der undurchschaubare Richard Bourn, den Rose von Beginn an anziehend findet und bei dem sie doch Vorsicht walten lässt. Eine erste Einladung schlägt sie aus, recherchiert lieber zunächst im Internet über den wohlhabenden Engländer, den eine dunkle Vergangenheit einzuhüllen scheint. Da ist der mysteriöse Gennaro, immer freundlich und zuvorkommend gegenüber Rose, aber gleichzeitig auf eine subtile Art zu aufdringlich in ihren Augen. Auch Commissario Cirri ist mehr als der formelle Ermittler, sondern eine mitfühlende Person mit menschlicher Wärme, der sich mit Gespür und scharfer Logik immer weiter an den Mörder herantastet.

|Psychogramm und Krimi|

Auch wenn schon recht bald am Anfang der Mord geschieht, steht vor allem in der ersten Hälfte weniger die Kriminalistik im Vordergrund. Stattdessen präsentiert sich dem Leser ein Psychogramm zweier Frauen, die, jede auf ihre eigene Weise, unter Vereinsamung leiden und ihrem Leben dringend eine neue Wendung geben müssen. Beiden Frauen wünscht man Erfolg bei ihren Bemühungen, sodass die Mördersuche phasenweise in den Hintergrund tritt. Ihre Schicksale sind ein zusätzlicher Interessenpunkt, auf eigene Art ebenso spannend wie die Frage nach dem Täter und geschickt miteinander verwoben.

Obwohl die Autorin im Vorwort erklärt, dass Roses Heimatdorf Grosso fiktiver Natur ist, entsteht beim Leser ein detailliertes Bild dieses beschaulichen Örtchens. Genau wie Rose empfindet man die beruhigende Idylle dieses Schauplatzes, parallel dazu aber auch die Fremdheit, die von der italienischen Mentalität ausgeht. Auf der einen Seite stehen gemütliche Wärme, wilde Natur, ungestörte Ruhe und ein enttechnologisiertes Leben, auf der anderen Seite lähmende Hitze, misstrauische Nachbarn, tuschelnde Dorfbewohner, ungewohnte Sitten und Einsamkeit. Noch nach einem Jahr tritt Rose in Fettnäpfchen, was die italienische Lebensart angeht, und alle Schönheit des Ortes täuscht nicht darüber hinweg, dass sich Rose ihr Paradies hier erst verdienen muss.

In dieser scheinbar friedfertigen Umgebung wirken die grausamen Morde besonders grotesk. Für die Einwohner kommt nur ein Durchreisender, ein Ausländer, als Täter in Frage, doch die Ermittlungen legen nahe, dass sich bereits seit langer Zeit ein Wolf im Schafspelz unter den Einheimischen aufhält und nicht zum ersten oder letzten Mal seinen Morden nachgegangen ist …

|Kleine Schwächen|

Gerade in der Mischung aus Frauenroman und Krimi liegen leider auch strukturelle Schwächen des Romans. Vor allem im ersten Drittel liegt der Spannungsfaktor noch sehr niedrig. Das hat seine Ursache zum einen in den zu ausführlichen Beschreibungen, die das Lesetempo deutlich verlangsamen. Bereits die ersten zwei Seiten bestehen fast ausschließlich aus Ortsschilderungen. Minutiös wird die Lage des Dorfes geschildert, anschaulich genug für einen Reiseprospekt, aber viel zu ausufernd für einen Roman, der möglichst von Beginn an fesseln sollte.

Auch im weiteren Verlauf wird immer wieder in dieser Ausführlichkeit auf Nebensächlichkeiten eingegangen, die zwar den poetischen Leser angenehm einlullen mögen, gerade die Krimihandlung jedoch zum Stagnieren bringen.

Zum anderen übertreibt es die Autorin mit Szenenwechseln und einer Fülle von Handlungssträngen. Die Geschichte spielt hauptsächlich bei Rose und an zweiter Stelle bei Elvira, doch auch zum Familienleben des Commissario und zum Schicksal der entführten Ania wird immer wieder übergeblendet. Bei zahlreichen neuen Absätzen ist nicht sofort klar ersichtlich, an welchem Schauplatz die Handlung gerade stattfindet, sodass man sich erst ein paar Sätze lang einlesen muss, ehe die Situation geklärt wird.

Lobenswerterweise laufen alle Handlungsfäden am Schluss zusammen, ohne wichtige offene Fragen zu hinterlassen, doch bis dahin erfordern die vielen Schicksale, die zunächst gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, eine gewisse Konzentration.

_Unterm Strich_ bleibt ein lesenswerter Krimi, der gleichzeitig auch die Schicksale zweier Frauen behandelt. Interessante Charaktere lassen den Leser von Beginn an mitfühlen, die Spannung stellt sich jedoch erst im späteren Verlauf ein. Trotz einer leicht überbordenden Fülle an Handlungssträngen und Szenenwechseln ein lesenswerter Roman, der vor allem Frauen anspricht.

_Die Autorin_ Christobel Kent wurde 1962 in London geboren, wohnte zeitweise in Florenz und lebt heute mit ihrer Familie in Cambridge. 2003 erschien ihr Debütroman „A Party In San Niccolo“.

Connelly, Michael – Vergessene Stimmen

Nach drei Jahren Pension nimmt Hieronymus „Harry“ Bosch wieder den Dienst für das Los Angeles Police Department auf. Nachdem sich seine ehemalige Partnerin Kizmin Rider eindringlich für ihn eingesetzt hatte, holte ihn der neue Polizeichef zurück. Bosch und Rider arbeiten nunmehr für „Offen-Ungelöst“, eine Unterabteilung der Mordkommission, die sich mit ungelösten Kapitalverbrechen der Vergangenheit beschäftigt. 8000 Mordfälle blieben seit 1960 im Großraum Los Angeles ungesühnt – eine Zahl, die Bosch tatendurstig zu senken gedenkt.

Sein erster Fall scheint einfach: 1988 wurde die 16-jährige Rebecca Lost erschossen in der Nähe ihres Elternhauses gefunden. Die Tatwaffe lag neben der Leiche; der Hahn hatte ein Stückchen Menschenhaut abgerissen, die möglicherweise dem Mörder gehörte, was mit den zeitgenössischen Untersuchungsmethoden indes nicht hatte geklärt werden können. Seither hat die Kriminalistik vor allem im Bereich der Identifikation per DNS gewaltige Fortschritte gemacht. Die konservierte Probe wurde neu untersucht, die Ergebnisse durch neue Datenbänke gejagt. Ein Name wurde ausgespuckt: Der Hautfetzen gehört Roland Mackey, einem kleinkriminellen Drogenabhängigen mit reicher Knasterfahrung, die indes Gewalt bisher nicht einschloss.

Bosch hat kein gutes Gefühl; nach seiner Erfahrung passt Mackey nicht ins Täterprofil. Stattdessen lässt die Ermittlung einen monströsen Fall von „High Jingo“ zu Tage treten: eine Verschwörung krimineller Polizisten in hohen Rängen, unter denen sich ausgerechnet Chief Deputy Iverson, Boschs alter Intimfeind, befindet. Als der längst begraben geglaubte Lost-Fall in gesamter Breite aufgerollt wird, reagiert man ‚oben‘ erst nervös und beginnt dann, die ganze Macht des Departments gegen Bosch aufzuwenden …

Wird ein Mordfall nicht binnen möglichst weniger Tage gelöst, beginnen die Spuren sich abzukühlen, die Ermittlungen geraten in Gefahr abzuirren und müssen schlimmstenfalls eingestellt werden: Der Fall ist „kalt“ geworden, die Beweismittel verschwinden in einer großen Kiste und verstauben in einem Lager, wo in Sachen Gerechtigkeit die Zeit buchstäblich stehen bleibt. Die Polizei hasst diese Fälle, denn nehmen sie an Zahl allzu stark zu, erregen sie die Aufmerksamkeit nicht unbedingt wohlmeinender Kritiker.

In seinem neuen Fall öffnet nun ausgerechnet Harry Bosch eine dieser „kalten“ Zeitkapseln. Wie sich herausstellt, ist dieser Temperaturangabe keineswegs zu trauen: Ein Mord beendet zwar das Leben eines Menschen, doch sind da die Familie, Freunde, Kollegen. In Fällen gewaltsamen Todes konservieren die Hinterbliebenen Empfindungen wie Entsetzen, Trauer und Zorn perfekt unter einer dünnen Schicht seelischer Asche. „Vergessene Stimmen“ schildert nicht nur die Geschichte einer kriminalistischen Ermittlung, sondern thematisiert auch die Folgen einer Tragödie, die eben nicht vergessen wird: Die Toten sprechen mit den Stimmen derjenigen, die sie zurücklassen.

Zuverlässig verschmilzt Michael Connelly die beiden Komponenten zu einem rasanten Thriller mit Tiefgang. Nachdem der Autor zuletzt mit seinem Helden experimentierte, indem er u. a. die Erzählperspektive wechselte (s. u.), kehrt er zur bewährten Form zurück. „High Jingo“ heißt ein Großkapitel des vorliegenden Romans. Dies ist Polizeijargon für ein Komplott in der Führungsspitze: Hochrangige Beamte missbrauchen ihre beträchtlichen Kompetenzen, um eigene Verbrechen oder kriminelle Taten politischer Verbündeter zu decken.

Ermittlungen in diese Richtung sind für einen Detective wie Bosch, der recht weit unten in der Hierarchie steht, verständlicherweise eine brandgefährliche Sache. Korrupte Polizisten müssen besonders harte Strafe gewärtigen, was sie antreibt, bis zum Äußersten zu gehen, wenn sie aufzufliegen drohen. Verfügen sie gleichzeitig über entsprechende Macht, brechen für den Ermittler harte Zeiten an. Harry Bosch ist notgedrungen ein „High Jingo“-Experte. Schon mehrfach hat er sich den Zorn krimineller Vorgesetzter zugezogen, waren Karriere und sogar Leben in Gefahr. „High Jingo“ war mit ein Grund für Boschs Kündigung.

In gewisser Hinsicht wiederholt sich die Geschichte also. Trifft dies auch auf Connellys Bosch-Serie zu, die immerhin in die elfte Runde geht? Glücklicherweise nein, denn die Zeit ist nicht stehen geblieben. Der Kunstgriff, Bosch für einige Jahre aus dem Polizeidienst zu nehmen, gestattet die Konfrontation des Helden mit einem System, das sich entwickelt hat. Das „neue“ LAPD muss Harry Bosch – zusammen mit dem Leser – erst kennen lernen; geschickt baut Connelly einige Szenen in die Handlung ein, die den Detective merken lassen, dass er Rost angesetzt hat.

Dennoch ist Harry Bosch definitiv zurück – nicht nur als zentrale Figur einer der besten Serien des modernen angelsächsischen Kriminalromans, sondern vor allem als Cop mit Dienstmarke und –waffe. Drei Jahre bzw. zwei Romanlängen war Bosch „draußen“; zermürbt von polizeiinternen Querelen und ausgebrannt von zu viel hautnah miterlebter alltäglicher Gewalt. Doch rasch wurde ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Zwar ging er als Privatdetektiv weiterhin auf Mörderfang, aber er vermisste die Vorrechte und Möglichkeiten, die ihm der Polizeidienst sicherte. Ohne blieb er eingeschränkt und angreifbar – ein zahnloser Tiger, dem mehr als genug Zeit blieb, sich seinem komplizierten Privatleben zu widmen.

Der Harry Bosch dieser Phase berichtete in der „Ich“-Form über seine Erlebnisse. So erhielten die Leser auch einen tieferen Einblick in das Seelenleben dieser Figur, was ihr nicht zwangsläufig gut bekam, weil darüber verloren ging, was die eigentliche Attraktivität der Harry-Bosch-Reihe ausmacht: die Verzahnung zwischen Polizeiarbeit und aktuellem Tagesgeschehen, wobei ein Mordfall als roter Faden dient, der tief in gesellschaftlichen und menschlichen Abgründen ausläuft.

Auch in der Welt des Hieronymus Bosch heilt die Zeit manche Wunde. Ein neuer Besen kehrt im LAPD, und für Bosch, den Ermittler mit eindrucksvoller Erfolgsquote, gibt es eine ideale Aufgabe – er versucht sich an Fällen, die nie geklärt werden konnten; ein angenehmer Nebeneffekt, so denkt der Polizeichef, ist die Tatsache, dass Bosch bei diesen Ermittlungen niemandem auf die Füße treten kann.

Womit er sich natürlich getäuscht hat, was er nach seinem einleitenden Vortrag selbst hätte wissen müssen, hat er doch selbst betont, dass die Stimmen der Toten nicht überhört werden können. Bosch nimmt ihn beim Wort, gräbt gewohnt tief – und fördert zu Tage, was mancher Zeitgenosse buchstäblich begraben glaubte und gern weiterhin begraben sähe. So beginnt der alte „High Jingo“-Tanz erneut, den Bosch mindestens ebenso liebt wie die Polizeiarbeit: der Kampf mit dem Apparat bzw. mit denen, die das System korrumpieren und unterminieren.

Die Randfiguren erleben neuerlich einen Wechsel. Bosch-Kumpel Edgar, der sich ihm in den Jahren als Privatdetektiv eng angeschlossen hatte, rückt in den Hintergrund. Kiz Rider, die weiblich, schwarz und lesbisch und auf diese Weise gleich dreifach diskriminierenden Attacken ausgesetzt ist, steht Bosch dagegen wieder zur Seite (soweit dies möglich ist; Bosch wird nie wirklich ein Teamspieler sein). Dieser Aspekt ist deshalb von Bedeutung, weil es in „Vergessene Stimmen“ auch um das hässliche Thema Rassismus geht. Bosch gerät tief in den Sumpf faschistoider „Kämpfer für ein weißes Amerika“, die in ihrer bornierten Bösartigkeit vor keinem feigen Anschlag auf alle, die nicht „arisch“ sind wie sie, zurückschrecken.

Viel Arbeit also für Harry Bosch. Nur halbwegs spöttisch nennt er sich einen „Missionar“ und „Kreuzritter“. In gewisser Weise ist er das wirklich. Dass er in dieser Rolle nicht lächerlich wirkt, verdankt er seiner Aufrichtigkeit, die verknüpft ist mit persönlichen Schwächen. Nach vielen Jahren ist in Bosch immer noch der Soldat, der voller Angst aber entschlossen in den Erdhöhlen des Vietcong um sein Leben kämpfte. Er wird es hoffentlich noch weitere Jahre bleiben.

Michael Connelly wurde 1956 in Philadelphia geboren. Der „Entdeckung“ der Bücher von Raymond Chandler verdankte der Journalismus-Student der University of Florida den Entschluss, sich selbst als Schriftsteller zu versuchen. Zunächst arbeitete Connelly nach seinem Abschluss 1980 für diverse Zeitungen in Florida. Er profilierte sich als Polizeireporter. Seine Arbeit gefiel und fiel auf. (2006 erschien eine Auswahl in Buchform unter dem Titel „Crime Beat. A Decade of Covering Cops and Killers“ – ein Werk, das übersetzt hoffentlich ebenfalls seinen Weg nach Deutschland findet.) Nach einigen Jahren heuerte die |Los Angeles Times|, eines der größten Blätter des Landes, Connelly an.

Nach drei Jahren in Los Angeles verfasste Connelly „The Black Echo“ (dt. [„Schwarzes Echo“), 958 den ersten Harry-Bosch-Roman, der teilweise auf Fakten beruht. Der Neuling gewann den „Edgar Award“ der „Mystery Writers of America“ und hatte es geschafft.

Michael Connelly arbeitet auch für das Fernsehen, hier u. a. als Mitschöpfer, Drehbuchautor und Berater der kurzlebigen Cybercrime-Serie „Level 9“ (2000). Mit seiner Familie lebt der Schriftsteller in Florida. Über das Connellyversum informiert stets aktuell die Website http://www.michaelconnelly.com.

Kuhn, Krystyna – Fische können schweigen

Was haben Fische und Tote gemeinsam? Sie können nicht reden. Und wer das nicht glaubt, der sollte Berit fragen, die Heldin aus Krystyna Kuhns Debüt „Fische können schweigen“.

Berit ist eine junge Illustratorin, die in Frankfurt wohnt und ihre Zeit momentan damit verbringt, ein dickes Fischlexikon mit Bildern zu versehen. Ein wenig Ablenkung von Fischmäulern und glitzernden Schuppen bietet eine Nobelparty bei ihrer Freundin Marlene. Deren Mann ist Leiter des Instituts für Biotechnologie Rhein-Main und dementsprechend sieht die Gesellschaft auf der Feier aus. Berits einziger verbündeter ist Ron, der so gar nicht wie ein Polizeikommissar wirkt, aber tatsächlich einer ist. Schwarze Haare, grüne Augen und ein Körper wie ein Gott – zu gerne lässt sie sich nach der Feier von ihm nach Hause chauffieren.

Doch auf halbem Wege bekommt Ron die Nachricht, dass am Mainufer eine Leiche gefunden wurde, und sie fahren dort vorbei. Berit kennt den Toten nicht, aber dieses Erlebnis lässt sie nicht los. Um ihren Frieden zu finden, fertigt sie eine Zeichnung des Toten an. Ron ist begeistert von ihrem Talent und benutzt das Bild, um es potenziellen Zeugen zu zeigen. Dadurch wird Berit in die Lösung des Mordfalls praktisch involviert. Zuerst hält sie es für eine nette Abwechslung (mit netten Nebenwirkungen namens Ron), doch als Ewa, Marlenes Hausmädchen, mit dem Berit sich angefreundet hat, ermordet in einem Hotelzimmer gefunden wird, wird aus Spaß Ernst. Ewa hat Berit vor ihrem Tod noch ein paar rätselhafte Bilder anvertraut, und auch wenn Ron anderer Meinung ist, aber Berit glaubt, dass diese Bilder der Schlüssel zum Täter sind …

Kuhns erster Kriminalroman, dem mittlerweile weitere gefolgt sind, ist eine echte Überraschung. Die Protagonistin hat Tiefgang und ist sehr interessant. Man trifft schließlich nicht alle Tage jemanden, der ein Fischlexikon illustriert. Berit ist frech, neugierig und hat einen Hang, ihre Bilder zu spät abzugeben. Das alles macht sie sehr sympathisch, genau wie ihre Schwäche für Ron, der dafür, dass er Nebencharakter ist, auch sehr schön ausgearbeitet wurde.

Die Ich-Perspektive sorgt dafür, dass Berits Persönlichkeit dem Leser so nahe gebracht wird, dass man sie bereits vermisst, wenn man die letzte Seite gelesen hat. Dass ein Charakter so beeindruckt, ist selten und sollte der Autorin hoch angerechnet werden.

Zu diesem Phänomen trägt sicherlich der kesse Schreibstil bei, der stellenweise etwas an die einschlägige Frauenlektüre à la von Kürthy erinnert. Allerdings bringt Kuhn einen so schwarzen Humor ins Spiel, dass dieser Eindruck schnell verfliegt. Sicher und mit vielen Metaphern, von denen allerdings leider nicht alle gelungen sind, schreibt die Autorin, auch wenn sie sich an der einen oder anderen Stelle etwas zu sehr mit unnötigen Einzelheiten aufhält, wie der Art und Weise, wie Berit ihre Zeitung liest.

Die Handlung weiß trotz der Dichte an Ereignissen und Spannung nicht ganz zu überzeugen. Gerade am Ende fährt sie doch etwas zu sehr in den Gewässern des Banalokrimis. Berit findet heraus, wer der Täter ist, und als sie nach Hause kommt, steht er in ihrem Zimmer, natürlich bewaffnet, und sie muss ihn so gut wie möglich ohnmächtig schlagen. So einen Abschluss hätte das Buch wirklich nicht nötig gehabt. Wie wäre es stattdessen mit einer kleinen Verfolgungsjagd durch Frankfurt gewesen? Ich bin mir sicher, dass sie sehr spektakulär geworden wäre, denn Kuhn lässt eine Menge Lokalkolorit in die Geschichte einfließen, was dem Buch einen authentischen Sockel verpasst.

Krystyna Kuhns Debüt macht Hunger auf mehr. Eine hochsympathische Protagonistin, frech und mit einer guten Portion Humor ausgestattet, trifft auf eine Kriminalhandlung, die spannend, gegen Ende aber ein wenig unglaubwürdig ist. Gewürzt mit dem Flavour Frankfurts entwickelt „Fische können schweigen“ einen Charme, dem man sich trotz der kleinen Schönheitsfehler nicht entziehen kann.

Vargas, Fred – schöne Diva von Saint-Jacques, Die

Was ist eigentlich so besonders an Fred Vargas? |Le Monde| sagt, es ist die „Magie Vargas“, aber vielleicht sollten wir mit einer viel banaleren Sache anfangen, denn Fred ist weiblich, auch wenn der Name es nicht vermuten lässt, und zudem eine der wohl interessantesten Krimiautorinnen aus Frankreich.

Grund dafür sind ihre Bücher, die nicht in staubigen Polizeibüros spielen, sondern im normalen Leben mit normalen Protagonisten, die die Autorin von der Straße weggefangen zu haben scheint.

In „Die schöne Diva von Saint-Jacques“ sind ihr drei Historiker ins Netz gegangen, die zusammen mit dem pensionierten Polizisten Vandoosler, dem Onkel des Mittelalterspezialisten Marc, in einem heruntergekommenen Haus in Saint-Jacques wohnen. Dort verbringen sie ihre Zeit mit Renovierarbeiten und den Streitereien, die nun mal entstehen, wenn Mittelalter, Vorgeschichte und Erster Weltkrieg aufeinander treffen und jeder seine Epoche für die einzig wahre hält.

Eines Tages geschehen im Garten ihrer Nachbarin, der schönen Sophia, einst eine gefeierte Opernsängerin, komische Dinge. Plötzlich steht dort ein Baum und niemand will ihn gepflanzt haben. Sophia ist beunruhigt und bittet die drei Evangelisten, wie Vandoosler die drei Historiker wegen ihrer Namen (Marc, Lucienne, Matthias) nennt, darunter zu graben. Sie finden nichts, doch wenig später ist Sophia verschwunden. Es sieht ganz danach aus, dass sie ermordet wurde. Die Wohngemeinschaft beginnt, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, und stößt dabei auf Ereignisse in Sophias Vergangenheit, die bis heute nicht an Bedeutung verloren haben …

Zu Vargas‘ größten Stärken gehört die Entwicklung skurriler Charaktere. In diesem Fall ist das die historische WG. Die Wissenschaftler sind so von ihren Fachgebieten durchdrungen, dass sie einen ständigen Krieg führen und sich beleidigen, was geradezu köstlich ist. Der Weltkriegsexperte Lucienne spricht zum Beispiel zumeist in Weltkriegsmetaphern, von Schützengräben und feindlichen Fronten, was wunderbar amüsant ist.

Der nachdenkliche Vandoosler, der ein wenig die Rolle des im Hintergrund agierenden Charlies übernimmt, tut das Seinige, indem er die drei als Evangelisten Markus, Lukas und Matthäus bezeichnet, was diesen nicht unbedingt schmeckt. Das zwischenmenschliche Geflecht in dem Roman ist folglich dicht und von kleinen, entzückenden Streitereien umsponnen.

|“Hör auf zu schreien, heiliger Markus, das ist schlecht für die Heiligsprechung, und unterbrich mich nicht ständig.“| (Seite 133)

Dank des bissigen Humors, der das ganze Buch durchwebt, sind die Dialoge entsprechend knackig und schlagfertig. Der Schreibstil ist ebenfalls immer für eine humorvolle Überraschung gut und unterhält den Leser brillant. Vargas verzichtet dabei auf Abschweifungen, sondern bringt alles auf den Punkt – im Hintergrund immer präsent: der trockene Humor, der nicht nur dem Buch, sondern auch den Charakteren sehr viel Tiefe verleiht, ohne kindisch zu werden.

Die Handlung ist geprägt von einem krimiuntypischen Vorgehen. Es ist nicht das übliche Schema mit Leiche, Ermittlungen, Ermittlungen stecken geblieben, neue Leiche, falsche Person verdächtigt, im richtigen Moment unschuldige Person vor richtigem Täter gerettet. Vielmehr gibt es gar keine richtige Kriminalhandlung. Die Evangelisten beobachten, Marc sitzt, von seinem Onkel beauftragt, am Fenster und notiert, wer vorbeiläuft, und manchmal setzen sie sich in die Küche, Lucienne schneidet Brot (zur Entspannung) und sie tragen ihre Gedanken zusammen. Gegen Ende kommt dann immer mehr Bewegung ins Spiel, was in der temporeichen Auflösung des Falls liegt, die gut ins Gesamtkonzept des schrulligen Buches passt, aber alleine betrachtet schon ein wenig unlogisch ist.

Doch dieser Makel kann diesem Buch, dem das Attribut „köstlich“ perfekt steht, nicht schaden. Wie auch? Die Charaktere sind fantastisch, der Humor ist fast noch fantastischer und der Schreibstil hält alles zusammen. Spannend? Ja, auch, aber vor allem sehr amüsant zu lesen. Vor allem das …

http://www.aufbau-verlag.de

Manfredi, Valerio M. – etruskische Ritual, Das

_Handlung:_

Eigentlich will Fabrizio Castellani nur eine seltsame Kerbe an einem etruskischen Jungenbildnis untersuchen, doch in dem kleinen Ort, in dessen Museum sich die Statue befindet, überschlagen sich die Ereignisse. Ein unheimliches Heulen in der Nacht, und kurz darauf wird ein stadtbekannter Grabräuber gefunden, ermordet, zerfleischt. Was anfangs noch nach einem Racheakt an Grabräubern aussieht, zeichnet sich allmählich als Gefahr für das ganze Dorf ab.

_Schreibstil:_

Ein archäologischer Horror-Thriller, ob sowas gut gehen kann? Es kann, wie „Das etruskische Ritual“ eindrucksvoll beweist. Mit kleinen, über das Buch verteilten Infos lernt man vieles über das Leben der Etrusker, die vor den Römern Kultur nach Italien brachten. Vor allem über ihre Begräbnisrituale, deren bekanntestes in den römischen Gladiatorenspielen gipfelte, kann man hier eine Menge lernen.

Auch was den Horror betrifft, gelingt es Valerio M. Manfredi hervorragend, von Zeit zu Zeit wohlige Schauer über den Rücken des Lesers zu jagen, da das Grauen, das in der Stadt umgeht, auch des Öfteren über den Protagonisten herfällt und dieser sich jedes Mal nur knapp retten kann. Diese Szenen sind hervorragend beschrieben und wissen auch genau dann zu enden, wenn es zu viel des Guten werden könnte.

Zu guter Letzt sind auch die Teile des Buches, in denen Geheimnisse aufgebaut werden und den Leser während der gesamten Lektüre nicht loslassen, hervorragend geschildert, und das nervenzehrende „Was hat das zu bedeuten?“-Gefühl bleibt über die gesamte Distanz erhalten. Bis zur letzten Seite wird die Spannung aufrecht gehalten und zwingt dazu, das Buch am Stück durchzulesen.

Sprachlich gibt es nichts einzuwenden; flüssig, einfach und mit vereinzelten, gut angebrachten Beschreibungen wird der Roman erzählt, und lange, sich unnötig streckende Passagen kommen nicht vor.

_Fazit:_

Ein angenehmer Genremix, der mit seinem Schauplatz Italien auch noch einige exotische Bonuspunkte einheimsen kann, wobei das italienische Flair von Nichtitalienern wie zum Beispiel Donna Leon interessanterweise besser eingefangen wird. Einzig negativ sehen kann man die doch sehr vorhersehbare Liebesgeschichte, die in den Roman eingebaut wurde. Das gibt dem Buch zwar unweigerlich diesen Hollywoodfilm-Touch, wird dafür aber lustlos und klischeehaft erzählt. Ansonsten ist die Story schön überraschend, und auch die einzelnen Rätsel werden nachvollziehbar aufgelöst. Ein lesenswerter Roman für alle, die sich für frühitalienische Geschichte interessieren oder sich einfach mal ein bisschen gruseln wollen.

http://www.piper.de

Gregory, Philippa – Schwiegertochter, Die

Ruth und Patrick Cleary sind seit vier Jahren glücklich verheiratet. Sie leben in einer hübschen Wohnung mitten in der Stadt Bristol, Patrick arbeitet erfolgreich bei den Fernsehnachrichten und Ruth ist zufrieden mit ihrem Job beim Radiosender. Da Ruth mit sieben Jahren zur Vollwaise wurde, ist es für sie umso schöner, dass Patrick engen Kontakt zu seinen Eltern pflegt. Regelmäßig stattet Ruth mit ihm ihren Schwiegereltern Elizabeth und Frederick Besuche ab, sogar die Wohnung war ein Geschenk von ihnen.

Bei einem ihrer Besuche eröffnet Frederick dem Paar, dass ein kleines Haus in der Nachbarschaft sehr günstig zum Verkauf steht. Elizabeth unterstützt den Vorschlag, dass Patrick und Ruth ihre Wohnung aufgeben und zu ihnen aufs Land ziehen sollen. Auch Patrick gefällt diese Idee. Passenderweise erhält er zur gleichen Zeit eine Beförderung, die den Kauf finanziell möglich macht. Nur Ruth ist anderer Meinung. Ihr gefällt die bisherige Wohnung, sie fühlt sich in der Stadt besser aufgehoben als auf dem abgeschiedenen Land und der neue Weg zur Arbeit wäre viel zu weit. Patrick und seine Eltern plädieren dafür, dass sie ihren Beruf aufgeben und bald ein Kind bekommen soll. Zwar möchte Ruth grundsätzlich gerne Kinder haben, doch erst in ein paar Jahren. Lieber möchte sie noch eine Weile arbeiten und schließlich ihren Traum vom Reisen verwirklichen – schon lange plante sie mit Patrick nach Boston zu fahren und dort ihr altes Zuhause zu suchen. Es gelingt ihr jedoch nicht, sich gegen die begeisterten Fürsprecher durchzusetzen.

Kurz darauf verliert Ruth, ebenso wie ein paar ihrer Kollegen, ihren Job durch Stellenabbau. Sie arbeitet nur noch freiberuflich, was Patrick zu ihrem Missfallen begrüßt. Genau zu diesem Zeitpunkt wird Ruth ungewollt schwanger. Während Patrick und seine Schwiegereltern außer sich vor Freude sind, wird Ruth immer deprimierter. Ihre alte Wohnung findet schnell Käufer und in der Übergangszeit zieht das Paar zu Elizabeth und Frederick. Zum Leidwesen von Ruth wird ihre Schwiegermutter immer aufdringlicher. Elizabeth übernimmt alle Organisationen und vermittelt der jungen Frau immer mehr das Gefühl, nichts zufrieden stellend zu erledigen. Das ändert sich auch nicht, als Ruth den kleinen Thomas zur Welt bringt. Im Gegenteil – Ruth verfällt in postnatale Depressionen, ist mit ihrem Kind völlig überfordert. Verzweifelt bemüht sie sich, ihre Schwiegermutter auf Abstand zu halten, die immer dominanter wird und Ruth offenbar vertreiben will …

Fünf sind einer zu viel, scheint das Motto des Romans zu sein. Wenn es nach dem Willen der Clearys geht, bilden Elizabeth, Frederick, Patrick und Baby Thomas das perfekte Quartett, in dem sich die Mutter nur wie ein Störenfried ausmacht. Es ist eine Mischung aus Thriller und Psychodrama, eine Geschichte über die Rivalität von Frauen, über Abhängigkeit und falsche Passivität ebenso wie über die erdrückende Überbehütung einer Mutter, was letztlich zu einer Eskalation im Duell beider Seiten führt.

|Keine Schwarz-Weiß-Malerei bei Charakteren|

Eine der Stärken des Romans liegt in der Darstellung von Ruth‘ Charakter, den der Leser nicht auf Anhieb einordnen kann. Im Beruf präsentiert sie sich als starke Frau, die ihren Willen durchsetzt, erfolgreiche Programme gestaltet und den Kollegen ein Vorbild und eine geschätzte Mitarbeiterin ist. Im Privatleben jedoch schaltete sie um auf Zurückhaltung. Patrick und seine Eltern sind die erste Familie, die Ruth haben darf, und sie ist bestrebt, es ihnen so recht wie möglich zu machen, um jeden Anflug von Zwist zu vermeiden. Sie ordnet sich Patrick völlig unter, was dem dominanten Ehemann wiederum nur zu gut ins Konzept passt. Ruth bewundert ihren attraktiven, beruflich höchst erfolgreichen Mann und fühlt sich kaum würdig, seine Ehefrau zu sein.

Auch Patricks Eltern fördern unbewusst dieses Verhalten. Sein Vater Frederick ist ein kerniger Mann mit Autorität, einem einflussreichen Bekanntenkreis und traditionellen Vorstellungen. Elizabeth ist nicht nur eine hervorragende Hausfrau, sondern auch stets top gestylt, hingebungsvolle Mutter und Ehefrau in einem.

Von Anfang an wagt es das Waisenkind Ruth nicht, dieses Dreiergespann in Frage zu stellen oder gar aufzubegehren. Etwaige Zweifel werden leise, zögerlich und passiv geäußert, ehe Ruth sich der Mehrheit anschließt. Bis zu diesem Punkt genießt sie die Sympathie und das Mitleid des Lesers. Sehr positiv ist jedoch, dass Philippa Gregory sich nicht mit einer Schwarz-Weiß-Darstellung der Charaktere begnügt. Tatsächlich gibt es mehrere Situationen, in denen man Elizabeth zugute halten muss, dass Ruth ihr zu Recht für vieles dankbar ist. Voller Elan übernimmt sie auch unangenehme Aufgaben, ohne Ruth ihren freiwilligen Einsatz vorzuhalten. Sie ist eine Hausfrau mit Leib und Seele, die ihren Männern in vielen Punkten eine Wärme und Geborgenheit bietet, die die junge und recht unerfahrene Ruth nicht vermitteln kann.

Umgekehrt ist Ruth nicht ausschließlich das Opferlamm, dem übel mitgespielt wird. Die ungewollte Schwangerschaft ist zum großen Teil Produkt ihrer Nachlässigkeit und hätte mit etwas Bemühen verhindert werden können. Oftmals ist sie ihrem neugeborenen Sohn nicht gewachsen, bringt ihn sogar mehrmals in Gefahr, so dass einige Kritikpunkte ihrer Schwiegereltern und ihres Mannes sehr gerechtfertigt sind. Mehrere Male reagiert Ruth unverständig auf die Vorwürfe, obwohl sie sich bewusst ist, dass sie ihrem Sohn Thomas alles andere als eine angemessene Mutter ist. Parallel dazu gibt sie manchmal Äußerungen von sich, bei denen ihr klar sein müsste, dass sie bei Patrick oder seinen Eltern Entsetzen hervorrufen und nicht dazu beitragen, ihr Vertrauen in sie zu stärken. Im Gegenteil, in emotionalen Diskussionen über ihre Mutterrolle rutschen ihr Bemerkungen heraus, in denen sie zugibt, dass sie oft nur noch genervt von ihrem Kind ist, einmal gar, dass sie es an manchen Tagen am liebsten aus dem Fenster würfe. Sie erläutert zwar sofort, dass sie diesen Gedanken nicht ernst meint, gießt dadurch aber natürlich unnötig Öl ins Feuer.

Die Autorin kreiert hier keine Heldin, bei der man jeden ihrer Schritte gutheißt, sondern eine durchaus zwiespältige junge Frau, die sich nicht bis ins letzte Detail in ein Raster einordnen lässt. In abgeschwächtem Maß gilt das auch für die restlichen Hauptcharaktere, die trotz ihrer grundsätzlichen Kontraposition zwischendurch immer wieder Verständnis für Ruth durchblicken lassen.

|Spannung bis zum Ende|

Von Anfang bis Ende ist für Spannung gesorgt, so dass der Leser beständig von der Handlung gefesselt ist. Zwar wird bereits auf den ersten Seiten klar, dass es auf einen Zweikampf zwischen Ruth und ihrer Schwiegermutter hinausläuft, aber welche Formen er schließlich annimmt, lässt sich nicht vorausahnen. Die Geschichte durchläuft mehrere Wendungen; sowohl Ruth als auch ihr Mann und dessen Familie greifen zu originellen Methoden, um sich gegeneinander zu verteidigen. Immer wieder bringt Frederick die dank seiner guten juristichen Kontakte als letzte Konsequenz mögliche Entmündigung und Einweisung Ruth ins Spiel, die damit ihren Sohn verlöre. Ärztliche Gutachten zur Untersuchung ihres Gemütszustandes werden angesetzt; bei Ruth wiederum wechseln sich stabile Phasen mit Betäubungsmittelmissbrauch ab. Was als scheinbar kleine Differenz zwischen Mutter und Schwiegertochter begann, wächst sich zu einem Psychokrieg aus, in dem beide Seiten sich gnadenlos bekämpfen und rücksichtslos vorgehen.

Der Leser kann nicht vorhersehen, in welche Richtung die Handlung driftet, denn alles ist denkbar: Wird Ruth ihr Kind durch die Behörden verlieren? Kommt es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung von Mutter und Schwiegertochter? Wechseln Patrick und Frederick die Fronten? Bekommt Ruth von außerhalb Hilfe? All diese Fragen beantworten sich erst nach und nach, lange Zeit ist offen, welchen Ausgang der Roman für die Leser bereithält. Zum schnellen Lesetempo trägt außerdem der glatte Stil der Übersetzung bei. Das Werk beginnt |in medias res|, gleich zu Beginn werden die Fronten offenkundig und die Ereignisse spielen sich in rascher Zeitfolge ab.

|Zu stark konstruierte Ereignisse|

Abzüge gibt es dagegen für die konstruiert wirkende Anhäufung von Geschehnissen. Offenbar hat sich das Schicksal komplett gegen Ruth verschworen, denn alles, was sich in der nächsten Zeit ereignet, spricht gegen sie und für die Pläne ihrer Schwiegermutter. Ausgerechnet als Patrick und seine Eltern den Kauf des kleinen Hauses in Erwägung ziehen, verabschiedet sich mit Ruth‘ Arbeitsstelle eines ihrer Hauptargumente, das gegen den Umzug sprach. Ruth betont, wie gerne sie beim Radiosender arbeitet und dass sich dieser Job unmöglich mit der Entfernung der neuen Wohngegend vereinbaren lässt. Wenige Tage darauf werden Ruth und mehreren Kollegen aus Rationalisierungsgründen die Stellen gekündigt. Lediglich als Freie Mitarbeiterin darf sie weiterhin im kleinen Rahmen beim Sender mitwirken, was natürlich für Patrick kein Argument mehr gegen einen völligen Ausstieg bedeutet.

Genau zu diesem Zeitpunkt lässt Ruth eine Schwangerschaft zu, die sie endgültig ins Abseits der Argumente katapultiert. Zwar ist sie eigenen Kindern nicht abgeneigt, doch für sie steht fest, dass sie erst in einigen Jahren darüber näher nachdenken möchte. Indem sie sich auf Patricks Drängen auf ungeschützten Geschlechtsverkehr einlässt, besiegelt Ruth ihr Schicksal. Die werdende Mutter bemüht sich, das Beste aus ihrer Lage zu machen, doch auch hier ist ihr kein Glück vergönnt. Patrick erweist sich als unzuverlässiger Schwangerschaftsbegleiter; regelmäßige Überstunden hindern ihn, seiner Frau zur Seite zu stehen, die sich in einsamen Stunden mit Fachliteratur auf das große Ereignis vorbereitet. Wenn sie schon ungewollt schwanger geworden ist, will sie wenigstens möglichen Komplikationen so gut es geht entgegenwirken. Aber statt einer natürlichen Geburt erwartet sie ein komplizierter Kaiserschnitt.

Die ohnehin schon unsichere junge Frau wird nachts von Baby Thomas entbunden, erwacht mittags aus der Narkose und ist somit erst einen halben Tag nach der Geburt in der Lage, ihr Kind zu begrüßen. Nicht die Mutter, sondern Patrick und vor allem die herbeigeeilte Elizabeth verbringen die ersten Stunden mit dem Säugling. Als Ruth ihn zu Gesicht bekommt, ist er bereits gewaschen, gepudert und mit einem Strampler gekleidet. Wie es der böse Zufall will, ist auch Thomas von der langen zeitlichen Distanz beeinflusst und verweigert Ruth die Brust. Kein einziges Mal gelingt es Ruth, ihren Sohn zu stillen. Die mit Kindern unerfahrene Mutter nimmt die Abneigung sehr persönlich. Umgekehrt ist Elizabeth rund um die Uhr bereit, sich um den Kleinen zu kümmern und die Mutterrolle zu übernehmen. Eine übertriebene Verkettung misslicher Umstände sorgt dafür, dass Ruth keine Chance hat, ein normales Verhältnis zu ihrem Kind aufzubauen. Stattdessen spielen alle Entwicklungen ihrer Schwiegermutter in die Hände, was in seiner Gesamtheit sehr unrealistische und übertriebene Züge besitzt, die stark an Groschenheftromanmethode erinnern.

|Übertriebene Dramatik|

In die Richtung von Groschenheftromanen geht auch die zeitweilige Dramatik, die zu sehr auf die Spitze getrieben wird. Regelmäßig reden die Charaktere mit sich selber, sprechen bedeutsame Gedanken aus, die dunkel und unheilvoll in der Luft liegen und auf kommende Konflikte hindeuten, aber ganz und gar unrealistisch sind. Fast jedes Kapitel endet mit einem sinnträchtigen Ausspruch, einer Bemerkung, die Elizabeth‘ Ziele verdeutlicht, etwa wenn ein Unbeteiligter den Einsatz der lieben Oma lobt oder Elizabeth in einem ruhigen Moment darüber sinniert, wie sie Thomas noch mehr für sich vereinnahmen kann.

Während es bei den ersten Kapitel noch nicht weiter stört, fällt es mit zunehmender Lesedauer unangenehm auf. Statt subtile Andeutunmgen einzubauen, wird plakativ dargestellt, dass Elizabeth geradezu manisch in ihrem Vorhaben ist und dass jeder Außenstehender nur die aufopfernde Schwiegermutter in ihr sieht. Besonders ärgerlich ist diese reißerische Methode an der Stelle, an der Elizabeth sich spitz bei Ruth erkundigt, weshalb sie neuerdings von der Anrede „Mutter“ zu „Elizabeth“ gewechselt ist. Statt dass der Leser erfährt, wie sich Ruth aus dieser unangenehmen Situation befreit, endet das Kapitel, die Frage, obgleich sie wirklich interessant war, wird nicht wieder aufgegriffen, der Handlungsort somit zu früh verlassen, zum Zweck eines zweifelhaften Pseudo-Cliffhangers.

_Unterm Strich_ bleibt ein spannender, vor allem für Frauen interessanter Roman in einer Mixtur aus Psychodrama und Thriller. Der glatte, schnörkellose Stil sorgt für eine guten Lesbarkeit, ebenso der hohe Spannungsfaktor, der den Leser von Anfang bis Ende fesselt. Schwächen liegen dagegen in der übertriebenen Dramatik und den unrelistisch konstruierten Ereignissen. Kein Highlight, aber ein unterhaltsamer Roman für kurzweilige Stunden.

Barbara Cleverly – Der Tod des Khan

Das geschieht:

Gor Khatri ist eine befestigte Garnison im Nordwesten der britischen Kronkolonie Indien. Am Ausgang des Khayber-Passes sollen die in diesem Jahr 1922 hier stationierten Soldaten unter ihrem Kommandanten Major James Lindsay ein wachsames Auge auf die afghanischen Bergstämme der Paschtunen halten, mit dessen Herrscher, dem Amir, ein eher brüchiger Friedensvertrag geschlossen wurde.

Diese Aufgabe ist schwierig, wie Lindsay seinem Freund, dem Commander Joseph Sandilands, der ihn gerade besucht, erklärt. Sie wird erheblich erschwert durch die Tatsache, dass sich einige wichtige aber schwierige Leute ausgerechnet in Gor Khatri treffen wollen. Da sind ein einflussreicher Handelsmagnat, ein leitender Beamter des „Indian Civil Service“ und ein hochrangiger Militär der Royal Air Force. Auf der Durchreise nach Afghanistan kehrt die berühmte Missionarin und Ärztin Grace Holbrook ein. Eskortiert wird sie ausgerechnet vom Kriegerfürsten Zeman Khan, dem die Briten manche Schlappe verdanken. Die kapriziöse Millionärstochter Lily Coblenz sucht das Abenteuer, die schwangere Betty Lindsay ihren Gatten James.

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Kellerman, Jonathan – Exit

Bei „Exit“ handelt es sich um einen Thriller mit Kellermans Serienhelden Alex Delaware, der selbstständiger Psychologe in New York ist, aber zusammen mit seinem Freund Milos Sturgis, einem Polizisten, der es nicht immer so genau nimmt, schon den einen oder anderen Fall gelöst hat.

Dieses Mal wird Alex von seiner ehemaligen Arbeitskollegin Stephanie Eves, die auf der Kinderstation des Western Pediatric Medical Centers arbeitet, zu Rate gezogen. Die knapp zwei Jahre alte Cassie Jones wird immer wieder ins Krankenhaus eingeliefert, weil sie mysteriöse Anfälle erleidet, ohne dass die Ärzte eine Diagnose stellen können. Die Mutter des Kindes ist verunsichert. Nachdem ihr erster Sohn dem plötzlichen Kindstod erlegen ist, kümmert sie sich beinahe schon übertrieben um ihre Tochter und sehr schnell kommt Alex der Verdacht, dass sie am Münchhausensyndrom leiden könnte. Bei der erweiterten Form dieser Störung täuschen Eltern, zumeist die Mütter, Krankheiten an ihrem Nachwuchs vor, um Aufmerksamkeit zu bekommen oder eigene Traumata auf das Kind zu projizieren. Die Fakten in Cassies Fall sind erdrückend. Die Mutter hat einen Kindstod durchgemacht, was sehr oft bei Münchhausens vorkommt, und die Vergangenheit der Ehefrau eines angesehenen Uniprofessors, der zudem der Sohn des Krankenhausvorstands ist, ist auch nicht ganz sauber. Dabei macht die Familie Jones eigentlich einen sehr netten Eindruck. Delawares Neugierde ist geweckt; er macht sich auf die Suche nach dem Schuldigen und muss dabei gegen die Zeit kämpfen. Als ein Arzt des Krankenhauses, der Cassie ebenfalls untersucht hatte, im Parkhaus des Krankenhauses getötet wird, eröffnen sich ganz neue Dimensionen …

Zuerst einmal die schlechte Nachricht: Jonathan Kellerman produziert amerikanische Durchschnittsliteratur. Solche, die vielleicht irgendwann mal Oberklasse war, aber aufgrund der inflationären Anzahl von Büchern im ähnlichen Stil zum Durchschnitt wurde. Ein nüchterner Schreibstil, frei von Eigenheiten, und glatt gebürstete Protagonisten, ein solider Spannungsaufbau – das ist es, worüber wir hier reden.

Trotzdem kann Kellerman mit ein paar Überaschungen punkten. Vielleicht nicht gerade mit seinem stilistisch einwandfreien, aber nicht besonders aufregenden Schreibstil, der mit viel Wissen gespickt ist, das in transusige Dialoge gepackt wurde. Und vielleicht auch nicht gerade mit dem Angestelltengeseufze über weggefallene Arbeitsplätze und immer schlechter werdende Arbeitsbedingungen, denn das ist ja beinahe schon obligatorisch in jedem Krimi – sei es jetzt bei der Polizei oder in der Medizin. Blasse Charaktere mit wenig Tiefgang sind ebenso nicht besonders schicklich. Auch Kellermans leichter Hang zu übertriebener Detailbeschreibung (zum Beispiel die ausführliche Darstellung der Ohrringe von Alex‘ Freundin) trägt nicht gerade zum Genuss bei, hält sich aber im Vergleich mit einigen Kollegen noch in einem gewissen Rahmen.

Dagegen nimmt Kellerman in anderen Bereichen eine Vorbildfunktion ein. Er belästigt den Leser nur wenig mit dem Seelenleben seines Protagonisten, sondern konzentriert sich hauptsächlich auf den Fall, der trotz wenig Action mit der Zeit an Fahrt und Spannung gewinnt. Letztere bezieht er hauptsächlich daraus, dass Delaware mit der Zeit ein Netz von möglichen Tätern präsentiert, ohne sich wirklich festzulegen. Der Leser kann wunderbar mitraten und wird am Schluss doch noch überrascht. Allerdings muss er davor einige Längen hinnehmen und die Tatsache, dass die Handlung von der eigentlichen Geschichte, nämlich Cassies Leiden, etwas zu sehr abrückt und wirr wird.

In der Summe handelt es sich bei „Exit“ trotzdem um einen der besseren Thriller. Kellerman lässt das Privatleben seines Protagonisten zum größten Teil außen vor und konzentriert sich stattdessen darauf, einen auf weiten Strecken überzeugenden Plot zu basteln. Schreibstil und Längen in der Handlung verhindern ein besseres Ergebnis, aber trotzdem kann Kellerman auf einem Teil der Lesestrecke überzeugen.

Dexter, Pete – Train

Pete Dexter ist ein Autor, der sich schon zu mehreren Gelegenheiten einen Namen gemacht hat, hierzulande aber dennoch nur einen eher geringen Bekanntheitsgrad verweisen kann. 1988 gewann er mit seinem Roman „Paris Trout“ (zu deutsch „Tollwütig“) den National Book Award. Unter anderem schrieb er die Drehbücher für die Filme „Rush“ und „Nach eigenen Regeln“. Nun geht Dexter mit seinem aktuellen Roman „Train“ in Deutschland erneut an den Start.

Wir schreiben das Jahr 1953. In den USA wird die Rassentrennung weitestgehend immer noch praktiziert, so auch in dem renommierten Golfclub |Brookline| in Los Angeles. Die weißen Mitglieder spazieren über die schmucken, frischgrünen Fairways, während die schwarzen Caddies ihnen die Taschen hinterhertragen. Einer der Caddies ist der siebzehnjährige Lionel Walk, mit Spitznamen ‚Train‘ genannt.

Auch Detective Miller Packard vom LAPD spielt in Brookline Golf, und er ist der Erste, der entdeckt, dass Train nicht nur ein brauchbarer Caddie ist, sondern vor allem auch selbst ein talentierter Golfer. Doch dann trennt das Schicksal die beiden wieder, bevor es sie richtig zusammengeführt hat. Zwei Caddies des Clubs werden in ein Verbrechen verwickelt, worauf alle schwarzen Caddies entlassen werden, aus Angst um den guten Ruf des Clubs.

Die beiden Caddies haben einen reichen Mann erschossen und dessen Frau Norah vergewaltigt. Packard übernimmt den Fall und verliebt sich dabei in Norah. Schon kurze Zeit später zieht Packard bei ihr ein und er spürt auch Train im Laufe der Zeit wieder auf. Packard nimmt den talentierten Golfer unter seine Fittiche und lässt ihn zusammen mit seinem Kumpel Plural in Norahs Gästehaus wohnen. Doch dann nimmt das Schicksal wieder seinen verhängnisvollen Lauf …

„Train“ ist ein insgesamt faszinierendes Buch. Dexter versteht es, mit dem Leser zu spielen. Er fordert ihn, lenkt ihn und stößt ihn dann wieder vor den Kopf. „Train“ zu lesen, ist in gewisser Weise ein wenig verstörend und überraschend. Der Autor baut seinen Roman zunächst wie einen Thriller auf. Er stellt die Figuren vor, zeigt ihre positiven Züge, verschweigt aber auch ihre Schattenseiten nicht. Jede Figur hat eine gewisse Ambivalenz, und so tut sich der Leser schwer, seine Sympathien zu verteilen.

Besonders zwiespältige Figuren sind Train und Miller Packard. Train ist als Hauptfigur und Titelheld der erste Sympathieträger der Geschichte. Dabei hat auch er eine sehr düstere Seite, fürchtet sich nicht zu Unrecht vor der Polizei, hat er sich doch eines Mordes schuldig gemacht. Dennoch schafft man es nicht, Train seine Sympathien zu entziehen.

Ähnlich ergeht es einem mit Miller Packard. Packard ist jemand, der den Menschen hinter die Fassade schaut. Für ihn ist augenscheinlich unwichtig, dass Train schwarz ist. Er sieht nur den talentierten Golfer, den er fördern möchte. Das verschafft ihm beim Leser erst einmal ein ungemeinen Sympathiebonus. Als Packard dann aber im Fall der beiden Caddies ermittelt, muss der Leser schnell seine Meinung revidieren, und das fällt nach Packards sympathischem Auftakt sehr schwer. Packards Verhalten ist durch nichts zu entschuldigen, und doch mag man als Leser nicht so recht glauben, dass der Mann so skrupellos und knallhart agieren kann, wie er es tut.

Packard ist so gesehen die interessanteste Figur. Er steht jenseits von Gut und Böse. Obwohl er eigentlich auf der Seite von Recht und Ordnung stehen sollte, geht er mehr als nur einen Schritt zu weit. Das verleiht ihm eine unheimliche Aura, die in gewisser Weise faszinierend wirkt. Und genau das ist letztendlich das Hinterhältige an Dexters Figurenzeichnung: Er verwischt die Übergänge zwischen Gut und Böse, lässt den Leser Sympathien verteilen, die er später zurücknehmen möchte, und stellt damit dessen Wertvorstellungen auf die Probe.

„Train“ ist der Art nach ein Krimi Noir, ähnlich wie James Ellroys [„L.A. Confidential“. 1187 Aber so wie der Leser sich mit Blick auf die Figuren keine allzu feste Meinung bilden sollte, muss er auch mit Blick auf das Genre offen bleiben. „Train“ wird wie ein Krimi aufgebaut, entwickelt eine düstere und unheilvolle Atmosphäre, läuft aber letztendlich auf etwas ganz anderes hinaus. Dexter webt einen dichten Spannungsbogen. Man hegt als Leser so manche böse Vorahnung, wird aber auch darin erneut von Dexter herausgefordert.

Er gibt dem Leser nicht genau das, was er erwartet und was das Genre ihm vorgibt. Er bricht aus der vorgefassten Form aus und konzentriert sich am Ende voll und ganz auf seine Figuren. Der Spannung tut das keinen Abbruch. Man spürt, dass Konfliktpotenzial in der Luft ist. Die Spannung zwischen den Figuren knistert geradezu, auch wenn sie irgendwie diffus bleibt, und man weiß ganz genau, dass diese Personenkonstellation auf etwas Unheilvolles hinauslaufen wird. Und doch verläuft das Ganze dann anders, als man zunächst vorausahnen mag.

Dexters Stärke ist vor allem seine eindringliche Figurenzeichnung. Besonders Train als Hauptfigur des Romans wirkt sehr plastisch. Man fühlt mit ihm und scheint ihm trotz seiner unergründlichen dunklen Seite stets sehr nah zu sein. Die übrigen Figuren sind da schon eine größere Herausforderung. Packard bleibt von allen Figuren am rätselhaftesten. Er lässt sich nur schwer begreifen, wirkt unberechenbar und kompensiert seine sympathischen, menschlichen Züge durch eine düstere, unheilvolle und skrupellose Seite, deren Ausmaß sich schwer erfassen lässt. Der Roman wirkt vor allem durch den Gegensatz dieser beiden Figuren, die der Autor getrennt voneinander beobachtet, besonders spannungsreich.

Auf diesem Spannungsfeld begründet sich die gesamte Atmosphäre des Romans. Dexter pflegt einen sehr klaren und schnörkellosen Stil, erzählt sehr prägnant und kommt ohne viel schmückendes Beiwerk aus. Fast schon nüchtern wirkt seine Erzählweise, die in ihrer Klarheit die atmosphärische Dichte des Romans unterstreicht. Doch diese Einfachheit ist wirklich nur oberflächlich. „Train“ fordert den Leser stets aufs Neue heraus, führt ihn an der Nase herum und fordert ihn immer wieder heraus, seine Position zu überdenken, und übt ganz nebenbei noch unterschwellig Kritik an gesellschaftlichen Konventionen.

Bleibt unterm Strich festzuhalten, dass Pete Dexter mit „Train“ einen Roman abgeliefert hat, der vielschichtiger ist, als er auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Lektüre ist gewissermaßen eine Herausforderung, der zu stellen sich aber durchaus lohnt. Man kommt in den Genuss außerordentlich präzise gezeichneter Figuren (besonders im Fall der Hauptfigur Train) und einer atmosphärisch dichten, geradezu unheilvoll knisternden Spannung, die Dexter in einer klaren und prägnanten Sprache verpackt.

http://www.liebeskind.de/

Spencer-Fleming, Julia – rote Spur des Zorns, Die

Julia Spencer-Flemings Krimiprotagonistin Clare Fergusson, ihres Zeichens ehemalige Helikopterpilotin bei der Army und nun Pastorin der Episkopalkirche, ist in den USA derart beliebt, dass dort demnächst das fünfte Buch mit ihr erscheint. In Deutschland hat sie derartigen Ruhm noch nicht erlangt. Der |Knaur|-Verlag veröffentlichte im August erst das zweite Buch mit der jungen Dame, das den bedeutungsschwangeren Titel „Die rote Spur des Zorns“ trägt.

Das kleine Örtchen Miller‘s Kill, nördlich von New York, ist eigentlich ganz beschaulich. Clare Fergusson muss sich auf eine Reihe von Trauungen vorbereiten und hat ansonsten nicht viel zu tun, außer an den Sheriff Russ Van Alstyne zu denken, mit dem sie in ihrem ersten Buch zu tun hatte und zu dem sie sich, obwohl er verheiratet ist, stark hingezogen fühlt.

Der Frieden in Miller‘s Kill wird empfindlich gestört, als bei einem Volkswettlauf, der vom Bauriesen BWI finanziert wird, eine Gruppe radikaler Bürger gegen den Bau eines Erholungszentrums demonstriert. Das Zentrum wird von BWI gebaut, und zwar auf Boden, der früher mit PCB verseucht war. Nun befürchten einige Bürger, dass der Bau die alten Chemikalien wieder aufwühlen und an die Oberfläche bringen wird. Russ Van Alstyne ist gezwungen, bei dieser Demonstration seine eigene Mutter festzunehmen, was ihm sichtlich schwer fällt.

Gleichzeitig geschehen aber noch weit schlimmere Dinge in Miller‘s Kill. Mehrere Homosexuelle werden Opfer von Überfällen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, bis schließlich Bill Ingraham bei einem solchen Überfall sogar zu Tode kommt. Dass er in der Chefetage bei BWI gesessen hat, bleibt zuerst unbeachtet, aber schließlich häufen sich die Hinweise, dass er vielleicht gar nicht wegen seiner Homosexualität sterben musste …

Das Ermittlerpärchen wider Willen – Clare und Russ – ist natürlich moralischer als moralisch. Sie als Gottesdienerin und er als verheirateter Sheriff. Trotzdem können die beiden es nicht lassen, immer wieder kleine Anspielungen auf ihre gegenseitigen Gefühle zu machen, ohne dass sich daraus aber etwas entwickelt. Dieser Zustand erinnert etwas an die Telenovelas, die nur deswegen existieren, weil sich die Protagonisten lieben, ohne sich dazu zu bekennen.

Für die Handlung eine Kriminalromans bringt diese Konstellation allerdings herzlich wenig. Das kann natürlich auch daran liegen, weil insgesamt nur wenig Spannung in „Die rote Spur des Zorns“ aufkommt. Zu oft schweift die Autorin vom eigentlichen Kriminalstrang ab und widmet sich dem Alltag der Protagonisten. Ein ordentlicher Spannungsaufbau fehlt beinahe gänzlich. Die Überfälle und Morde passieren derart nebenbei, dass man sich gar nicht so wirklich dafür interessiert, wer jetzt eigentlich schuld ist. Dafür fehlt es an geschickt ausgelegten Ködern, die Skepsis und Neugierde beim Leser wecken.

Der Schreibstil ist eigentlich keiner Erwähnung wert. Ohne großen Wiedererkennungswert reiht Spencer-Fleming Wort an Wort. Handlung und Gedanken halten sich die Waage und sind von wenig Tiefgang geprägt, rhetorische Mittel wie Metaphern sind sehr reduziert und fallen nicht auf. Das Buch lässt sich glatt herunterlesen, ohne dass man die Stirn runzeln, den Mund verziehen oder die Augenbrauen bewegen muss.

Insgesamt erinnert „Die rote Spur des Zorns“ eher an einen amerikanischen Kriminalroman von der Stange. Nette Charaktere, die zwar den einen oder anderen Dreck am Stecken, ansonsten aber wenig Tiefgang haben, eine schöne Landschaft, ein seichter Kriminalfall und ein beliebiger Schreibstil ohne Ecken und Kanten. Wem‘s gefällt, dem wird’s gefallen, aber gepflegte Spannungsliteratur darf man von Ms Spencer-Fleming nicht erwarten.

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Hartley Howard – Der Teufel sorgt für die Seinen

Privatdetektiv Bowman wird über Umwege als Leibwächter eines bedrohten Börsenhais engagiert; ein Job, der ihm von Winkeladvokaten, Gaunern, der misstrauischen Polizei sowie der gar nicht liebenden Familie des Verfolgten schwer gemacht wird, was für entsprechende Zwischenfälle & Leichenfunde sorgt … – Im positiven Sinn routinierter Alt-Krimi, der den klassischen „Whodunit“ mit dem „Privat-Eye“-Thriller mischt und gut unterhält, ohne das Genre durch etwas Neues oder gar Originelles zu bereichern.
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Heim, Uta-Maria – Dreckskind

„Dreckskind“ ist der aktuelle Roman der preisgekrönten deutschen Autorin Uta-Maria Heim. Bereits zweimal wurde Heim mit dem Deutschen Krimi-Preis ausgezeichnet und einmal mit dem Friedrich-Glauser-Preis. Ihr aktuelles Romanwerk schmückt sich auf dem Buchrücken mit den lobenden Worten Ingrid Nolls, die der Meinung ist, Heim wäre mit „Dreckskind“ ein großer Wurf gelungen. Schauen wir uns dies genauer an…

In Stuttgart ist der Teufel los: Ein halbes Jahr nach der Ermordnung der kleinen Aranca Burlic verschwindet nun auch der erst sechsjährige Emil Walz von einer [Hocketse.]http://de.wikipedia.org/wiki/Hocketse Obwohl beide Fälle auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, wird eine gemeinsame Sonderkommission gegründet, die den beiden Verbrechen auf die Spur kommen will.

Arancas Mutter Svetlana hat den gewaltsamen Tod ihrer einzigen Tochter immer noch nicht verwunden, sie ist der festen Überzeugung, dass ihr Bruder Stanco die Schuld an Arancas Tod trägt, denn er handelt in dubiosen Kreisen mit Drogen. Svetlana ist sich sicher, dass Arancas Ermordung damit zu tun haben muss. Gleichzeitig fürchtet sie sich auch, als sie von Emils Verschwinden erfährt. Kennt sie die Familie Walz doch genauer, als sie dies der Polizei gegenüber zugeben will?

Emils Vater Gerd Walz ist verzweifelt. Genau einen Tag, bevor seine Frau aus der psychiatrischen Klinik entlassen werden sollte, wird Emil entführt. Was steckt bloß hinter dieser Tat? Oder hat vielleicht seine Frau etwas mit Emils Verschwinden zu tun? Emils große Schwester Elke erfährt bald Genaueres über Emils Verbleib, muss aber Stillschweigen bewahren, denn Emil lebt und wurde verschleppt, allerdings hängt sein Leben dennoch am seidenen Faden.

Die Ermittler der Sonderkommission haben alle Hände voll zu tun, denn zunächst findet sich nirgends eine Spur, die beide Fälle miteinander verknüpfen könnte, obwohl die meisten es doch im Gefühl haben, dass die Aufklärung des einen Falles auch das andere Verbrechen lösen dürfte. Ganz langsam entwirren sich die Fäden eines erst unübersichtlichen „Indizienknäuels“ und ganz allmählich werden uns die Hintergründe und Zusammenhänge aufgezeigt …

Uta-Maria Heim siedelt ihre Kriminalgeschichte in zwei kleinen schwäbischen Örtchen an, in denen die Bevölkerung bislang nicht mit derlei brutalen Verbrechen konfrontiert wurde. Schon früh ist dem Leser klar, dass die Lösung des Falls in der Vergangenheit zu suchen ist, denn den Einstieg in den Roman macht die Vorstellung Marthas, die uns von ihren zahlreichen Geschwistern berichtet und insbesondere von ihren beiden Brüdern Edmund und Emil, die beide nicht sehr alt geworden sind. Eines Tages wird Martha Zeuge, wie Emil von einem Zug überfahren und dabei geköpft wird. Als der Name „Emil“ schließlich auch in der Gegenwart auftaucht, sucht man zunächst ziellos den Zusammenhang mit Martha, doch muss der Leser etwas länger warten, bis Uta-Maria Heim ihre Joker ausspielt und uns erklärt, in welchem Verhältnis der kleine Emil Walz zu der alten [Klaiberin]http://de.wikipedia.org/wiki/Klaiben Martha steht.

Zu Beginn wirkt „Dreckskind“ etwas ziellos; man kann nicht einmal erahnen, welche Rolle Martha in dieser Geschichte spielt und warum sie sich anfangs so detailliert vorgestellt hat, doch wenn man als Leser langsam vergisst, dass es diesen Prolog gegeben hat, trifft man plötzlich wieder auf Martha und es fällt einem wie Schuppen vor den Augen, wie Heim ihre Protagonisten miteinander verwoben hat.

Apropos Protagonisten: Obwohl das Buch mit nur 374 Seiten eher schmal geraten ist, treten unzählige Charaktere auf den Plan und werden uns alle mehr oder weniger ausführlich vorgestellt. Leider kann keiner der Protagonisten Sympathien auf sich vereinigen; alle haben dermaßen komische Macken und Launen, dass man sich mit niemandem so recht anfreunden kann. Das führt dann auch dazu, dass man sich weder in eine der Personen hineinversetzen kann und will, noch mit einer der Personen mitfiebert.

Uta-Maria Heim präsentiert uns eine recht verworrene Geschichte, die nur langsam ihre Zusammenhänge offenbart und auch das scheinbar nur widerwillig. Es tauchen genug Figuren auf, die im Grunde genommen keine oder nur eine winzige Rolle spielen. Das führt leider dazu, dass man sich gar nicht alle Namen und die zugehörigen Lebensgeschichten merken kann. Auch streut Heim einige überraschende Wendungen ein, die man irgendwann kaum noch mitverfolgen kann. So bleibt das große Aha-Erlebnis schlussendlich aus, da man eigentlich nur froh ist, endlich zu wissen, was Aranca Burlic und Emil Walz miteinander zu tun haben. Heim verlangt von ihren Lesern schon einen recht langen Atem, zumal sie kaum spürbare Spannung aufbaut.

Besonders erschwerend kommt die Schwäbische Sprache hinzu, in der sich die meisten Protagonisten unterhalten, was in einem Hörbuch zwar nett klingen mag, was aber sehr lästig zu lesen ist:

|“Es dauert mich, aber mir pressiert’s. Also, ade!“ „Äll Hack ein neues Theater.“ „I verhebbs nimme.“ „Ha noi, ond des secht grad des Chefle!“ „Etzt haltet doch elle mol d‘ Gosch!“|

Wenn es nur darum gegangen wäre, dass aus dem Chef das unvermeidliche „Chefle“ geworden wäre, hätte ich die Verwendung des Schwäbischen sicher noch amüsant gefunden und ich muss gestehen, dass das gesprochene Schwäbisch durchaus Unterhaltungswert hat, aber in geschriebener Form ist es wohl doch eher Geschmackssache und für Schwaben oder hartgesottene Schwäbischfans gedacht.

Insgesamt macht es uns Uta-Maria Heim nicht einfach, sich in ihr Buch einzudenken und einzufühlen. Sie baut Zeitsprünge ein, um uns das Verschwinden Arancas näher zu bringen und um die beiden Familiengeschichten zu erzählen, um die es hier gehen soll. So fällt es doch nicht leicht, sich in diesem Buch zurechtzufinden, und das, obwohl die Grundidee des Buches durchaus vielversprechend war. Die Aufklärung, wie Emils Verschwinden und Arancas Ermordung zusammenhängen und welche Rolle Martha in all dem Kuddelmuddel spielt, gefällt im Grunde genommen gar nicht schlecht, doch muss ich gestehen, dass ich zu diesem Zeitpunkt bereits die Geduld mit dem „Dreckskind“ verloren hatte.

Insgesamt ist „Dreckskind“ ein sehr eigenwilliger Kriminalroman, der bestimmt seine Anhänger finden wird, ich persönlich würde es jedoch nicht als großen Wurf bezeichnen, da ich weder mit den Charakteren warm werden konnte noch mit Heims eigenwilliger Erzählweise.

http://www.gmeiner-verlag.de/

Faletti, Giorgio – Im Augenblick des Todes

Der Aktionskünstler Jerry Kho wird brutal in seinem Atelier ermordet aufgefunden. Verschiedene am Tatort zurück gelassene Indizien und die Dekoration der Leiche als „Linus“ mit Schmusedecke weisen auf den Beginn einer Mordserie hin. Jordan Marsalis, Ex-NYPD-Cop und Onkel des Ermordeten, wird von seinem Bruder gebeten, die Ermittlungen zu übernehmen. Wenig später wird die Millionenerbin Chandelle Stuart ebenso grausam getötet in ihrer Wohnung aufgefunden – als „Lucy“ dekoriert. Dieses Mal hinterlässt der Mörder zusätzlich einen Hinweis auf sein nächstes Opfer – nämlich „Pig Pen“. Doch wer ist „Pig Pen“?

Jordan Marsalis und seine Kollegen findet keine Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Toten, stoßen dann aber bei ihren Ermittlungen auf einen Bericht über einen Raubüberfall, der vor Jahren in einer Kleinstadt für Aufsehen sorgte. Damals waren vier Täter als Peanuts maskiert aufgetreten. Doch weitere Nachforschungen geraten rasch in eine Sackgasse, bis Marsalis so unerwartete wie unheimliche Hinweise von einer italienischen Kollegin erhält.

Maureen Martini, römische Kommissarin, hat in New York eine Netzhauttransplantation von einem amerikanischen Spezialisten erhalten, die notwendig wurde, als sie durch einen Racheakt ihren Freund, den Sänger Connor Slave, und ihr Augenlicht verlor. Die Operation ist erfolgreich, doch plötzlich quälen schreckliche Visionen die junge Frau – Visionen eines Mannes, der grausam ermordet wird, immer aus der Sicht des Opfers und immer im Augenblick des Todes.

Maureen Martini gelingt es mit der Hilfe von Jordan Marsalis, die Visionen zu entschlüsseln, und dieses bringt die beiden auf die Spur des grausamen Serienmörders.

„Im Augenblick des Todes“ ist ein spannender Thriller, flüssig geschrieben, mit interessanten Figuren und einer phantastischen Idee: Maureen Martini sieht nach ihrer Netzhauttransplantation visuelle Erinnerungsfetzen eines Toten und die Entschlüsselung dieser Visionen führt sie schließlich auf die Spur des Mörders. Trotzdem strapaziert Giorgio Faletti dieses Science-Fiction-Element nicht über Gebühr, denn Jordan Marsalis kommt durch Deduktion zu derselben Lösung. Insofern kann das Buch auch als Whodunit gelesen werden. Es gibt genügend Hinweise, die dem Leser die Lösung verraten.
Faletti (miss)braucht aber dieses Science-Fiction-Element, um seine beiden Protagonisten zusammenzubringen, denn erst mit Martinis Visionen berühren sich die vorher parallelen Handlungsstränge. Desweiteren kann Faletti so Martini und Marsalis unabhängig die Identität des Serienmörders entdecken und die beiden unabhängig voneinander auf den Mörder treffen lassen. Diese Begegnung ist natürlich das dramatische Finale und gehorcht den klassischen Genreregeln.
Überhaupt spielt Faletti mit vielen Klischees und fügt doch genügend Überraschendes hinzu, so dass die Geschichte nicht zu sehr in konventionellen Bahnen verläuft. Als Pluspunkt ist auch hervorzuheben, dass dieser Roman kein simpler Serienkiller-Roman ist. Der Mörder ist nicht einfach ein Monster, das aus purer Lust mordet, sondern er hat starke Motive für seine Taten.

Falettis Roman „Im Augenblick des Todes“ ist temporeich, sehr unterhaltsam und größtenteils virtuos erzählt. Einzig die Actionszenen wirken unbeholfen. Da möchte der Autor rasant beschleunigen und die Spannung voranpeitschten, was ihm aber nicht wirklich überzeugend gelingt – vielleicht, weil er sie zu filmisch beschreibt.
Doch am Ende bleibt ein unbefriedigender Eindruck zurück. Der Roman wirkt einfach zu glatt und zu kalkuliert. Das ist auch in seinen Protagonisten begründet. Faletti gibt sich große Mühe, diese mit vielen Details zu skizzieren. Trotzdem wirken sie zweidimensional und seltsam blutleer. Faletti gelingt es nicht, ihnen Leben einzuhauchen.
Wer aber auf plastische Figuren keinen größeren Wert legt und ein Freund vor allem spannender Unterhaltungsliteratur ist, wird bei Giorgio Falettis Roman „Im Augenblick des Todes“ trotzdem auf seine Kosten kommen.

© _Claus Kerkhoff_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Harlan Coben – Kein böser Traum

Ein altes Foto zieht die Familie einer Künstlerin in einen Strudel aus Rache, Lebensgefahr und Mord, der stetig wächst und weitere Menschen ins Verderben stürzt … – Komplex geplotteter, spannender Thriller, dessen Verfasser meisterlich die Kunst beherrscht, seine Leser Stück für Stück in das große Geheimnis einzuweihen und trotzdem immer noch einen Trumpf in der Hinterhand zu behalten. Die Figuren ‚leben‘, Emotion versumpft nie in Gefühlsduselei; kurz: Für diesem Coben-Krimi kann eine uneingeschränkte Empfehlung ausgesprochen werden. Harlan Coben – Kein böser Traum weiterlesen

Mankell, Henning – Tod des Fotografen, Der

_Handlung_

Der alteingesessenen Fotograf Simon Lamberg wird tot in seinem Atelier gefunden, erschlagen. Keine Spuren am Tatort, und ein Opfer, das anonymer nicht sein könnte. Sogar in einer kleinen Stadt wie Ystad gibt es kaum Gerüchte über ihn zu hören. Wallander nimmt sich des Falles an und stößt auf das Geheimnis hinter der Anonymität des Menschen Lamberg.

_Bewertung_

„Der Tod des Fotografen“ ist einer der Fälle aus dem Sammelband „Wallanders erster Fall“. Dass auf den 140 Seiten kaum Zeit für die üblichen Merkmale eines Wallanderromans bleibt, wie etwa Gedanken über Schwedens Gesellschaft oder Wallanders persönliche Probleme, ist von vornherein klar, trotzdem verliert der Band über die kurze Strecke kaum die typische Atmosphäre, die man beim Lesen umfangreicherer Werke immer gespürt hat.

Der Handlungszeitrum beträgt hierbei gerade mal zwei Tage, in denen – angefangen beim Wetter bis hin zu den Zahnschmerzen des Protagonisten – genug passiert, um auch außerhalb des Falles eine Mankell-typische Atmosphäre zu kreieren. Die Auflösung des Falles ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend und auch logisch nachvollziehbar. Es gibt hier zwar kaum ins Leere gehende Spuren wie sonst, trotzdem gibt es genügend Details, über die man sich seine Gedanken machen kann.

Die Struktur selber ist wie im ersten Wallander-Roman angelegt, das heißt, man kennt den Täter nicht, und er selber wird auch bis zum Ende des Buches nicht in eigenen Abschnitten erwähnt. Die kurzen, abgehackten Sätze, die für einen Mankellroman typisch sind, ziehen sich auch hier durchgängig durch den Roman, ohne irgendwie störend zu wirken. Zusammenfassend: ein klassischer Wallander, der einfach nur etwas kürzer als sonst ausgefallen ist.

_Fazit_

Über den Grundgedanken, die einzelnen Geschichten aus dem Roman „Wallanders erster Fall“ nun in Einzelteilen herauszubringen, kann man sicher streiten, wer allerdings das Buch noch nicht hat oder einfach nur mal kurz in die Wallandergeschichten reinschnuppern möchte, wird hier wirklich nicht enttäuscht.

Ich persönlich fand es ganz angenehm, ein Buch zu lesen, von dem ich wusste, dass die Lektüre nur einen Abend brauchen würde; nicht mehr und nicht weniger. Der Fall ist spannend und es gibt kein bisschen Leerlauf; und für einen Wallanderfan ist es sehr angenehm, mal ein bisschen von der Zeit vor dem ersten Roman zu lesen, wo so vieles noch nicht passiert ist und man sich tatsächlich etwas nostalgisch fühlt.

Wer mit diesem Buch zum ersten Mal mit Wallander in Kontakt kommt, wird sich über die fast schon cameoartigen Auftritte einiger Figuren wundern, aber nicht weiter stören, da der Fokus wie immer auf den Kommissar gerichtet ist und alle anderen Figuren mehr oder weniger nur seine Handlanger sind. Man kann also, auch ohne einen anderen Band gelesen zu haben, mit „Der Tod des Fotografen“ seinen Spaß haben, da in den anderen Fällen den Nebenfiguren auch sonst nie viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde und das Privatleben des Kommissars fast selbsterklärend ist. Ein gelungenes Buch für einen gemütlichen Abend ist „Der Tod des Fotografen“ auf alle Fälle.

http://www.dtv.de