Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Thomas F. Monteleone – Das Blut des Lammes

Vatikan – Stadt des Bösen

Pater Amerigo Ponti wird 1967 Mitglied der „Sonderkommission des Papstes“, einer Kommission, über die niemand auch nur Gerüchte zu spinnen wagt. Er soll etwas stehlen, eine geheimnisvolle Glasphiole, deren mysteriöser Inhalt Ponti in blankes Erstaunen versetzt. Als er die Phiole seinem Auftraggeber übergibt, wird ihm das Lebenslicht ausgepustet.

Nach diesem Prolog richtet Monteleone seine Kamera in das Jahr 1998, auf das Leben von Pater Peter Carenza. Der ist gutaussehend, hat eine wohlklingende Stimme, zeigt massig Einsatz und ist von idealistischer Intelligenz – einfach jeder liebt ihn. Er selbst ist mit seinem Leben zufrieden, bis plötzlich ein Blitz aus seinen Händen schießt und einen Jugendlichen tötet, der Peter gerade hatte überfallen wollen.

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Stone, Jonathan – Bittere Wahrheit

Dreißig Jahre arbeitet er als Polizeichef von Canaanville, einer Kleinstadt hoch im Norden des US-Staates New York: Winston Edwards, den man nicht ohne Grund den „Bären“ nennt, ein riesenhafter und poltriger Mann, aber gleichzeitig ein fabelhafter Detektiv, dem in seiner langen Laufbahn noch nie ein Mörder entkam. Edwards hasst Überraschungen, was Julian Palmer, einem neuen Mitarbeiter, trotz eines famosen Lebenslaufes einen schlechten Start beschert: Dem Vornamen zum Trotz entpuppt sich Palmer als Frau …

Julian ist Teilnehmerin eines Austauschprogramms der Polizei von New York, das Auszubildenden die Chance bietet, Alltagserfahrungen außerhalb der Stadt zu sammeln. Die junge Frau sucht den Kontrast und wagt buchstäblich den Sprung ins kalte Wasser: Canaanville liegt im „Schneegürtel“ des Staates und gilt als recht unwirtliches, wenn auch landschaftlich reizvolles Fleckchen.

Wider Erwarten gibt Edwards, der den Polizei-Dinosaurier eher spielt als verkörpert, der neuen Kollegin eine Chance. Seine wenigen Mitarbeiter haben das Pulver nicht erfunden und waren ihm bisher keine große Hilfe beim vielleicht schwersten Fall seiner Karriere. Sarah Langley, eine junge Kellnerin, wurde nicht nur ermordet, sondern auch mit psychotischer Sorgfalt in Stücke gehackt, und es gibt keinerlei Hinweise auf den Täter, geschweige denn einen Verdächtigen.

In seiner Not versucht es Edwards nun mit dem Übernatürlichen. Der Seher Wayne Hill behauptet, „Eingebungen“ zu haben, die endlich neue Spuren im Langley-Mord aufwerfen. Doch Hill ist ein undurchsichtiger und auch labiler Mann, der ebenso beeindruckt wie Misstrauen weckt. Seine sparsam und dramatisch preisgegebenen Visionen lassen ihn für die Polizei rasch selbst zum Tatverdächtigen aufsteigen.

Doch für Julian Palmer beginnt sich plötzlich eine ganz andere Spur abzuzeichnen: Sie führt zu Chief Edwards selbst, dessen Beziehung zu Sarah Langley wesentlich inniger gewesen zu sein scheint als bisher bekannt wurde. Aus dem Verdacht wird scheinbar Gewissheit, als sich Wayne Hill plötzlich als Dr. Ernest Tibor zu erkennen gibt, Hills Psychiater und gleichzeitig der Geliebte Sarah Langleys, der die Bluttat und Winston Edwards, den Mörder, als Augenzeuge miterleben musste.

Noch bevor die überraschte und entsetzte Julian sich auf die verheerende Situation einstellen kann, wartet Edwards mit einer neuen Sensation auf: Tibor ist ebenfalls nicht der, der zu sein er vorgibt, sondern Eugene Green, ein schizophrener Gelegenheitsdieb, der gemeinsam mit dem echten Wayne Hill von Dr. Tibor behandelt wurde. Er passt wunderbar als Täter in das Mordszenario, doch die Indizien deuten weiterhin ebenfalls auf Chief Edwards hin, der womöglich, wie Julian argwöhnt, die Gelegenheit beim Schopf ergreift, ein perfektes Verbrechen in ein noch perfekteres zu verwandeln.

Hilflos sieht sich Julian in einem unlösbaren inneren Konflikt gefangen. Denn auch die junge Frau hütet düstere Geheimnisse und ist seelisch alles andere als ausgeglichen. Als Kind musste sie hilflos die Ermordung des Vaters erleben; eine Untat, die ungesühnt blieb und Julian dazu trieb, zur Polizei zu gehen. Im eindrucksvollen Edwards fand sie die lange vermisste Vaterfigur – und mehr: Edwards, der sich in einer erloschenen Ehe gefangen fühlt, macht Julian kaum verhohlen Avancen, und sie ist bereit, darauf einzugehen.

Immer rettungsloser beginnen sich falsche und echte Spuren zu verwirren. Chief Edwards scheint durch massive Manipulationen von sich als Täter abzulenken. Julian entdeckt, dass er womöglich Estelle, seine gekränkte Gattin, deckt, die durchaus von der Affäre mit Sarah Langley wusste. Kurz darauf findet sie überzeugende Beweise, die Green entlasten; Edwards behauptet daraufhin, diesen nur verhaftet zu haben, um den wahren Täter in Sicherheit zu wiegen: Im Alibi des echten Dr. Tibor tut sich plötzlich eine entscheidende Lücke auf. Gleichzeitig gibt Green zu, den Mord selbst nie beobachtet zu haben.

Der überaus gelungene Start einer neuen Cop-Krimi-Reihe prunkt mit einer hervorragend geplotteten und zügig erzählten Handlung, präsentiert bekannte, aber mit echtem Leben gefüllte Figuren, spielt vor einer ebenfalls nicht wirklich neuen, aber ökonomisch eingesetzten Kulisse und wird gekrönt durch ein unerwartetes, wirklich spannendes und kluges Finale.

Viel mehr lässt sich über diesen Roman eigentlich nicht sagen, möchte man nicht gar zu viel vorab verraten; muss aber auch nicht sein, wenn einem als Lese-Veteranen so ein feines Stück Krimi-Handwerk unter die Finger kommt. Dass dem so ist und man sich in guten Händen fühlen darf, macht bereits die Lektüre der ersten Seiten klar. Das Figurenensemble ist übersichtlich, der Ort des Geschehens ebenfalls: Geschickt setzt sich Jung-Autor Stone nicht selbst unnötig unter Druck, meidet Action-Leerlauf oder bläht die Handlung mit forensischer Fantasy aus der Wunderwelt des Polizei-Labors auf. Insofern ist „Bittere Wahrheit“ das Exemplar einer selten gewordenen Spezies: ein klassischer Thriller, der nie vorgibt, etwas anderes zu wollen, als seine Leser zu unterhalten, ohne sie dabei für dumm zu verkaufen.

Beinahe ehrfürchtig verfolgt man aber vor allem die Meisterschaft, mit der Autor Stone seine Leser wieder und wieder in Verwirrung zu stürzen weiß. Praktisch auf jeder neuen Seite wird uns ein neuer Verdächtiger präsentiert, der einige Zeilen später entlastet wird, um sogleich erneut in den Mittelpunkt des Misstrauens zu rücken. Diesen bravourösen Balanceakt hält Stone über mehr als 200 Seiten durch, bis er endlich dem wahren Übeltäter die Maske vom Gesicht reißt. Wir ahnen es erfreut: Es erwartet uns erneut eine Überraschung!

Der erfreuliche Inhalt spiegelt sich (wohl unabsichtlich) in dem wirklich gelungenen Titelbild der deutschen Ausgabe wider. Das muss an dieser Stelle einmal hervorgehoben werden, weil gerade die Taschenbücher des |Blanvalet|-Verlags seit viel zu langer Zeit mit kreuzlangweiligen und nichts sagenden aber kostengünstigen Cover-Motiven aus Bildstöcken und ”Image-Bänken” versehen werden: Kunsthandwerk per Mouseklick und genauso sieht es auch aus! Doch hier passt das Bild einer windschiefen, halb zerfallenen und schneebedeckten Holzhaus-Ruine perfekt; nur das Tüpfelchen auf dem i, aber eines, das den Lesespaß abrundet, denn zumindest das Auge des echten Bücherfreundes ruht mit Wohlgefallen selbst auf einem für den raschen Konsum produzierten Taschenbuch, wenn es einen zweiten Blick wert ist!

Jonathan Stone hat seinem Debüt übrigens inzwischen eine Fortsetzung folgen lassen. In „Heat of Lies“ (2001; dt. „Kaltes Gewissen“, Blanvalet TB Nr. 35672) erleben wir eine ältere und erfahrene Julian Palmer, die an ihrer neuen Dienststätte nicht nur einen weiteren rätselhaften Mord aufklären muss, sondern auch ungebetenen Besuch von einem tief gefallenen Winston Edwards erhält.

John Connolly – In tiefer Finsternis [Charlie Parker 3]

Ein Privatdetektiv stößt auf einen kriminellen Sektenchef, dessen ‚Kirche‘ eng mit terroristischen Neo-Nazis und fanatischen Fundamentalisten zusammenarbeitet. Der unheilige Bund gedenkt sich nicht in seine selbst auferlegte Mission zur „Reinigung“ der sündhaften Gesellschaft pfuschen zu lassen und tritt zum mörderischen Gegenangriff an … – Enorm spannender, wie immer sehr düsterer (dritter) Thriller der Charlie Parker-Serie, der vor dem Hintergrund des US-amerikanischen Sektenwesens spielt und diese Kulisse recht dramatisch wenn auch um des Spektakulären (hoffentlich) arg überspitzt nutzt.
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Connelly, Michael – Rückkehr des Poeten, Die

Acht Jahre konnte er seine Verfolger narren und galt als tot: Mehr als genug Zeit für den Ex-FBI-Agenten und Serienmörder Jim Backus, genannt „der Poet“, um ein neues Mordkomplott anzuzetteln. Bei seinem ersten Auftritt hatten ihn ein Journalist und seine Schülerin, die FBI-Agentin Rachel Walling, daran gehindert, sein sadistisches Spiel zum geplanten Ende zu bringen. Das will Backus nun wieder aufnehmen und sich gleichzeitig an Walling rächen.

Ebenfalls in sein Visier gerät der Ex-Polizist Terry McCaleb, der nach einer Herztransplantation „ehrenamtlich“ als Profiler arbeitet und dem Poeten dabei bedrohlich nahe gekommen ist. Als McCaleb nach einem Herzanfall stirbt, glaubt seine Witwe nicht an einen natürlichen Tod. Sie bittet den Privatdetektiv Hieronymus „Harry“ Bosch, einen Freund ihres Gatten, um Hilfe und Aufklärung.

Unabhängig voneinander beginnen Walling und Bosch nach Backus zu fahnden. Die Agentin ist beim FBI in Ungnade gefallen, seit ihr der Poet entkam. Bosch trauert seiner Polizeimarke hinterher, da ohne die damit verbundenen Privilegien seine Nachforschungen nur zögerlich vorankommen. Doch recht zeitig kreuzen sich die Spuren der beiden Ermittler: Backus hat dafür gesorgt, wie er überhaupt im Hintergrund lauert und seine nur ihm logischen Intrigen spinnt. In der Wüste von Nevada hat er ein Leichenfeld angelegt, das Entsetzen auslösen soll und ein weiteres Rätsel einleitet, dessen Lösung auch die Lösung des Falls bedeutet. Bosch und Walling lassen sich auf den bizarren Wettstreit ein, obwohl sie nur zu genau wissen, dass der Einsatz in diesem „Spiel“ ihr eigenes Leben ist …

Wieder einmal kehrt Harry Bosch dorthin zurück, wo die ganz bösen Schurken ihr Unwesen treiben. Wenn es dieses Mal ein bisschen länger als sonst dauert, sich in der Bosch-Chronik zurecht zu finden, so liegt dies nicht am Verfasser, sondern am Heyne-Verlag, der – aus welchen Gründen auch immer – diesen zehnten vor dem neunten Teil („Lost Light“, 2003; dt. „Letzte Warnung“) erscheinen lässt. So verwirrt es zunächst, dass Harry Vater geworden ist und nicht mehr für das Los Angeles Police Department arbeitet, sondern als Privatdetektiv Schurken jagt.

Hat man dies verinnerlicht, zieht einen die Handlung umgehend in ihren Bann. Sie ist einerseits recht komplex als Schnitzeljagd über ganze US-Bundesstaaten angelegt, die ein irrer aber genialer Serienkiller (Gibt es eigentlich auch andere?) inszeniert, um sein Ego zu befriedigen. Temporeich und unter eingehender Schilderung traditioneller sowie moderner Fahndungsmethoden wird das an sich wenig originelle Geschehen vorangetrieben. Parallel verläuft es zunächst, bis Harry Bosch und Rachel Walling einander treffen, danach geht es gemeinsam weiter.

Der Unterhaltungsfaktor ist enorm, weil Michael Connelly sein Handwerk versteht. Man darf sich allerdings nicht dazu verleiten lassen, die Handlung zu überdenken. Dann kommen allerlei unschöne Fragen auf, welche die Logik des Ganzen in Frage stellen. Was hat es beispielsweise mit Backus’ grandiosem Plan eigentlich auf sich? Der Aufwand ist enorm, die Vorbereitung gewaltig, aber die Umsetzung eher kümmerlich. Auch wenn der Wahnsinn Backus beutelt, so gäbe es sicherlich einfachere Methoden, mit seinen Gegnern zu „spielen“.

Zudem muss immer wieder der Zufall einspringen, damit sich Bosch & Walling im gewaltigen Spinnennetz des Poeten nicht heillos verirren. Auf diese Lösung greift Connelly ein wenig zu oft zurück, was auf eine allgemeine Schwäche des Plots hinweist. Einen echten Schnitzer leistet sich der Autor, als er für eine „überraschende“ Coda, die dem eigentlichen Finale folgt, einen ganzen Handlungsstrang neu deutet; dies ist weder nötig noch nachvollziehbar.

Viel Zeit investiert der Verfasser in die Schaffung eines „Connellyversums“. „Die Rückkehr des Poeten“ ist das reinste Gipfeltreffen bekannter Connelly-Figuren. Das Buch ist nicht nur die Fortsetzung von „Der Poet“ („The Poet“, 1996) mit Jim Backus und Rachel Walling in ihren ersten Auftritten, sondern gleichzeitig der zehnte Harry-Bosch-Roman seit 1992, der wiederum Bezug nimmt auf das gemeinsame Agieren von Bosch und Terry McCaleb in „Dunkler als die Nacht“ („A Darkness More Than Night“, 2001). Es kommt sogar zu einem „Gastauftritt“ von Cassie Black, der Meisterdiebin aus „Im Schatten des Mondes“ („Void Moon“, 2000).

Darüber hinaus spielt Connelly mit Fiktion und Gegenwart. Terry McCalebs erstes Abenteuer „Das zweite Herz“ („Bloodwork“, 1997) wurde 2002 von und mit Clint Eastwood in der Titelrolle verfilmt. Dies lässt Connelly in die Handlung einfließen und nutzt die Gelegenheit, einige Seitenhiebe auf Hollywoods Drang zur Veränderung von Filmvorlagen zu landen. Rachel Walling liest während eines Fluges im Buch „Der Poet“, das aber nicht Connelly, sondern dessen Romanfigur Jack McEvoy geschrieben hat. So etwas ist witzig dort, wo es gelingt, weil es sich elegant in die Handlung integriert. Weniger amüsant findet man es, wenn es aufgesetzt wirkt: Die Cassie-Black-Episode hat mit der eigentlichen Handlung nicht das Geringste zu tun und das merkt der Leser auch.

Quo vadis, Harry Bosch? Jeder Schriftsteller kennt das Problem, einen altgedienten Helden lang laufender Serien „frisch“ zu halten. Nach neun Romanen kennt man als Leser Bosch im Grunde in- und auswendig. Gestartet ist er einst als vietnamkriegsgeschädigter Kriminalist mit durchaus pathologischen Zügen. Der „alte“ Bosch eckte prinzipiell überall dort an, wo es gilt, diplomatisch und kompromissbereit aufzutreten: bei den Vorgesetzten, dem Establishment, der Politik, den Medien. Doch geradezu masochistisch legte sich Bosch immer wieder mit denen an, die ihm bei seinem Kreuzzug gegen das Böse – Connelly hat ihn nicht ohne Grund nach dem flämischen Maler apokalyptischer Höllenspektakel benannt – in die Quere kamen.

Diesen Aspekt des Bosch-Charakters hat der Verfasser längst gedämpft – das musste er, denn der Harry Bosch aus „The Black Echo“ (1992; dt. „Schwarzes Echo“) hätte sicherlich nicht bis zum zehnten Fall durchgehalten. Aber inzwischen fehlt etwas; der kantige Harry ist milde geworden. Seinen Attacken gegen arrogante FBI-Beamte fehlt der Biss, weil diese nie wirklich gefährlich wirken. Auch Rachel Walling hat Bosch eigentlich sogleich auf seine Seite gezogen. Der Verlust seiner Dienstmarke behindert ihn nicht wirklich, wie Connelly es mehrfach behauptet.

Dem bisher einsamen Helden eine Familie anzudichten, ist ein bekannter Trick serieller Unterhaltung. Die daraus resultierenden Konflikte ergeben reichlich Stoff für viele, viele Seiten, die sich wie auf Seifenschaum quasi von selbst schreiben. Harry Bosch will ein guter Vater sein aber seine Ex-Gefährtin lässt ihn nicht – so what? Connelly gelingt es, einen neuen Aspekt der Bosch-Figur zu kreieren, aber wollen wir diesen wirklich kennen lernen? Nun, in [„The Closers“ 1561 (2005) kehrt Bosch zu seinen Wurzeln und zum LAPD zurück. Gleichzeitig verzichtet Connelly auf die Ich-Perspektive und schildert Bosch wieder in der dritten Person; eine gute Entscheidung, da unserem Harry allzu große Nähe einfach nicht bekommt.

Rachel Walling gibt das Yin zu Harry Bosch’ Yang. So ist das halt im Mainstream-Thriller, wo sich zum männlichen Helden eine weibliche Figur gesellen muss (sowie mindestens ein „Buddy“, der für komische Einlagen zuständig ist). Schließlich braucht es (offenbar) eine Lovestory, um möglichst viele Leser/innen zufrieden zu stellen. Also fallen auch Harry und Rachel irgendwann übereinander her – eine Szene, die ebenso zu erwarten war wie augenscheinlich so fehl am Platze ist, dass sie Connelly womöglich nachträglich auf Anraten seines Verlags eingebaut hat. Ansonsten müht sich Rachel wacker an Harrys Seite. Sie wurde vom Schicksal ebenfalls tüchtig durch die Mangel gedreht, ohne dass dies den Leser allerdings für sie einnimmt. Im Finale versagt sie natürlich im entscheidenden Moment und muss sich von Bosch vor dem Poeten retten lassen.

Jim Backus, der Poet, wirkt wie schon gesagt niemals wie die düstere Bedrohung, die Connelly in ihm sah und die ihn veranlasste, diese Figur ein zweites Mal aufzugreifen. Doch er übertreibt es mit einem Serienkiller, der sich durch die ganze Welt metzelt und dabei einem absurden „Plan“ folgt, der womöglich nicht einmal in seinem kranken Hirn aufgeht. Der Poet ist nur überzeugend, solange uns nur die Folgen seiner Untaten präsentiert werden und er sich auf kurze Auftritte beschränkt. Je mehr wir dann über Backus erfahren, desto nachhaltiger verflüchtigt sich die Faszination. Schließlich bleibt nur der irre Bösewicht, der mit dem Helden raufen und dabei möglichst malerisch zu Tode kommen muss.

Nein, ein Höhepunkt der Harry-Bosch-Serie ist Michael Connelly mit „Die Rückkehr des Poeten“ nicht gelungen. Wenn man auch diese Episode empfehlen kann, so liegt es daran, dass auch ein mittelmäßiger Connelly noch weit über den meisten seiner schreibenden Kollegen steht. Was vor allem fehlt, das ist die Intensität, mit der Harry Bosch auf die beruflichen und privaten Schrecken dieser Welt reagiert. Er ist ein bisschen zu sehr mit sich im Reinen; bleibt zu hoffen, dass sich dies zukünftig wieder ändert.

Michael Connelly wurde 1956 in Philadelphia geboren. Der „Entdeckung“ der Bücher von Raymond Chandler verdankte der Journalismus-Student der University of Florida den Entschluss, sich selbst als Schriftsteller zu versuchen. Zunächst arbeitete Connelly nach seinem Abschluss 1980 für diverse Zeitungen in Florida. Er profilierte sich als Polizeireporter. Seine Arbeit gefiel und fiel auf; nach einigen Jahren heuerte die „Los Angeles Times“, eines der größten Blätter des Landes, Connelly an.

Nach drei Jahren in Los Angeles verfasste Connelly „The Black Echo“ (dt. „Schwarzes Echo“), den ersten Harry-Bosch-Roman, der teilweise auf Fakten beruht. Der Neuling gewann den „Edgar Award“ der „Mystery Writers of America“ und hatte es geschafft.

Michael Connelly arbeitet auch für das Fernsehen, hier u. a. als Mitschöpfer, Drehbuchautor und Berater der kurzlebigen Cybercrime-Serie „Level 9“ (2000). Mit seiner Familie lebt der Schriftsteller in Florida. Über das Connellyversum informiert stets aktuell die Website http://www.michaelconnelly.com.

Die Harry Bosch-Serie …

… erscheint gebunden bzw. als Taschenbuch im Wilhelm-Heyne-Verlag:

01. [Schwarzes Echo 958 („The Black Echo“, 1992)
02. Schwarzes Eis („The Black Ice“, 1993)
03. Die Frau im Beton („The Concrete Blonde“, 1994)
04. Der letzte Coyote („The Last Coyote“, 1995)
05. Das Comeback („Trunk Music“, 1997)
06. [Schwarze Engel 1192 („Angel’s Flight“, 1999)
07. [Dunkler als die Nacht 1193 („A Darkness More Than Light“, 2001)
08. [Kein Engel so rein 334 („City of Bones“, 2002)
09. Letzte Warnung („Lost Light“, 2003)
10. Die Rückkehr des Poeten („The Narrows“, 2004)
11. [The Closers 1561 (2005, noch kein dt. Titel)

Mary Higgins Clark – Hab Acht auf meine Schritte

Mary Higgins Clark hat sich schon seit langem einen Namen als Grand Dame der Spannungsliteratur gemacht, ihre erfolgreichen Romane zeichnen sich meist durch ausgeklügelte Plots mit psychologischem Hintergrund aus, die sich vom oft anzutreffenden Mittelmaß erfreulich abheben. Auch in ihrem aktuellen Thriller „Hab Acht auf meine Schritte“ versetzt Mary Higgins Clark sich und ihre Leser in die Rolle eines unschuldigen Opfers, mit dem es mitzufühlen gilt. In den letzten 25 Jahren hat die berühmte Autorin über 20 Kriminalromane veröffentlicht, die überwiegend zu internationalen Bestsellern avancierten.

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Hoffmann, Bernd – Katharer Schriften, Die

_Der Autor:_

Bernd Hoffmann, geboren 1962 in Horn, untermauert seine Theorie der geheimnisvollen Katharer Schriften und des heiligen Grals mit vielen historisch verbürgten Gegebenheiten, etwa der politischen Situation in Italien und Deutschland, dem Jesuiten-Orden und schließlich der Reise der Italia, die am 25. Mai 1928 vor Grönland abstürzte und von der weder Gepäck noch Überlebende geborgen werden konnten. Der Autor erzählt eine ungewöhnliche Geschichte, in der sich Abenteuer und historischer Mystizismus mischen. Er lässt seinen Ermittler tief in die Welt der Geheimbünde eintauchen und zeigt faszinierende Aspekte der frühen Christenheit auf. Ein spannender Roman, der seine Leser in die Vergangenheit entführt und die Zeit vergessen lässt.

Von Bernd Hoffmann erschien 2003 „Das Gemälde“, ein historischer Krimi um ein verschollenes Kandinsky-Bild.

_Das Buch:_

Im Berlin des Jahres 1928 arbeitet der Archäologe Dr. Julius Weymann an der Übersetzung und Restauration einiger mysteriöser und anscheinend sehr wichtiger Schriftrollen. Kurz darauf begeht er Selbstmord.

Adalbert von Grolitz, ein junger Geschäftsmann und ein Bekannter Weymanns, misstraut der Zeitungsmeldung über dessen Tod und vermutet Mord hinter Weymanns plötzlichem Ableben. Bei seinen Recherchen stößt er auf eine Verbindung zur Prieuré de Sion, eines tausend Jahre alten Geheimbundes, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Dokumente des von der katholischen Kirche vernichteten Katharer-Ordens zu schützen und zu bewahren. Diese Schriftrollen sind seit Weymanns Tod verschwunden und es wird bald deutlich, dass sie in den falschen Händen einen großen politischen und gesellschaftlichen Schaden anrichten können.
Adalbert von Grolitz wird auf Wunsch seines Berliner Verbindungsmannes Kessler in die Schweiz geschickt, wo man die geheimen Dokumente vermutet.

Sein Weg führt ihn nach Grindelwald in die Gegen des Eiger-Bergmassivs. Dort trifft er auf seinen neuen Verbindungsmann Max Strickler, der ihm nach und nach mehr über den Inhalt der mysteriösen Schriften erzählt. Gemeinsam kommen sie der Spur einer geheimnisvollen Seilschaft unter der Führung eines Ordensbruders auf die Spur und entdecken so den Aufenthaltsort der gestohlenen Dokumente.

Dieser verbirgt sich mitten in einem Höhlensystem und ist von einer mit Sprengzündern ausgestatteten Wand geschützt. Von Grolitz und Strickler bleibt nichts anderes übrig, als weitere Leute für ihre Mission zu gewinnen, die aber gleichzeitig nicht zu viel von der wahren Begebenheit wissen dürfen. Mit einem kleinen Team erfahrener Alpinisten planen sie den Abtransport der Schriften, was jedoch nicht unbeobachtet gelingt, denn die Ordensbrüder sind ihnen immer einen Schritt voraus und schrecken mittlerweile auch vor keiner Methode mehr zurück …

_Meine Meinung:_

Es ist schon fast unheimlich, mit welchem Erzähltempo Bernd Hoffmann in diesem Roman loslegt, und wie viele verschiedene Aspekte er schon auf den ersten fünfzig Seiten berücksichtigt. Der Autor schildert so zum einen die Brisanz der nationalen Zeitgeschichte und das Aufkeimen der Nationalsozialisten, die es unter anderem auch auf den linksgerichteten Großunternehmer von Grolitz abgesehen haben, andererseits aber natürlich auch die unheimlichen Enthüllungen, die sich hinter den Katharer Schriften verbergen, wobei er die Geschichte schon noch eine ganze Weile lang unter einem Schleier des Geheimnisvollen verhüllt und erst nach und nach Details freigibt.

Hoffmann hat sich wirklich sehr intensiv mit der Theorie der Katharer auseinandergesetzt und deren Vermutung, dass Jesus die Kreuzigung überlebt hat und nach Frankreich fliehen konnte, um dort ein abgeschiedenes aber friedliches Leben mit Familie zu führen, bis ins letzte Detail in den Roman einfließen lassen. Selbst der größte Zweifler wird hier nach und nach erkennen, dass diese Theorie zwar einerseits ziemlich weit hergeholt scheint, andererseits aber so logisch und schlüssig dargestellt wird, dass man auch gut glauben könnte, dass es tatsächlich so gewesen ist und die vielen Mysterien um den Tod Jesu an den Haaren herbeigezogen wurde. Und was dabei herumkommt, ist wirklich sehr interessant und spannt den Bogen um die Entstehung der Kirche über die Tempelritter und den heiligen Gral bis hin zur politisch sehr brisanten Situation des dritten Jahrzehnts in Italien und Deutschland, alles vergepackt in eine unglaublich spannende Abenteuergeschichte, deren Reiz vor allem auf dem historischen Mystizismus beruht.

Ich muss zugeben, dass ich lange überlegt habe, aus welcher Richtung ich diese Rezension angehen sollte, und bin dabei in Versuchung gekommen, das tatsächliche Mysterium dieses Romans genauer zu beschreiben und Kernpunkte der Story nachzuerzählen. Doch genau damit würde man dem Buch einen erheblichen Teil der Spannung nehmen und schon zu weit vorgreifen. „Die Katharer Schriften“ ist jedoch ein Werk, das man erleben muss, in dessen faszinierende Theorien man eintauchen muss, denn nur so wird man auch erkennen können, welche Auswirkungen die Geschichte für den Verlauf der Weltgeschichte gehabt hätte, hätte sie tatsächlich den hier als wahrhaftig dargestellten Verlauf genommen. Das mag dem rational denkenden Menschen möglicherweise schwerer fallen als dem träumerischen Charakter, aber darin liegt ja zu einem gewissen Teil auch das Verlockende hinter den Katharer Schriften. Man muss sich auf einen Prozess einlassen, der einem mit wachsender Dauer immer suspekter, vielleicht als gläubigem Christen auch unangenehmer erscheinen mag, weil man ja schließlich keine Zweifel an seinem Glauben duldet.

Und all das ist ja letztlich auch nur ein Nebeneffekt dieser mitreißend geschriebenen und in Hinsicht auf das stetig hohe Spannungslevel intelligent strukturierten Abenteuergeschichte. „Die Katharer Schriften“ zählt jedenfalls, das steht für mich bereits jetzt fest, zu den besten Büchern, die ich je gelesen habe, nicht zuletzt, weil es einfach Spekulationen und Gedankengänge in mir geweckt hat, die zwar vom Verstand abgelehnt werden mögen, aber trotzdem nicht abgelegt werden können – auch jetzt nicht, wo das Buch längst beiseite gelegt wurde. Daher möchte ich diesen Bericht mit einem lautstarken Applaus für Bernd Hoffmann beschließen, der es geschafft hat, mich stunden- und tagelang in eine ganz andere Welt abtauchen zu lassen. „Die Katharer Schriften“ ist definiv ein Buch, das man so schnell nicht mehr vergessen wird.

Holmberg, Bo R. – Schneegrab

_Der Autor:_

Bo R. Holmberg wurde 1945 in Ådalen geboren. Er ist heute als Lehrer in Bredbyn im Ångermanland tätig, dort lebt er auch mit seiner Frau Dorotea und seinen drei Kindern. Bo R. Holmberg ist mit seinen Kinderbüchern auch in Deutschland sehr erfolgreich.
Sein erster Kriminalroman „Rabenseelen“ wurde von der Presse mit Begeisterung aufgenommen und mit dem Schwedischen Krimipreis ausgezeichnet.
Mehr Infos zum Autor findet man [hier.]http://www.schwedenkrimi.de/bo__holmberg__biografie.htm

_Story:_

Die kleine Pfarrei Anundsjö im Jahre 1849: Im selbst für die frostigen Witterungsverhältnisse ungewöhnlich tiefen Schnee wird eine Leiche entdeckt, deren Arm aus dem Schnee herausragt. Schon tagelang muss der erstochene, ziemlich große Mann unter der Schneedecke versteckt gewesen sein, bis er schließlich nach leichtem Abtauen gefunden wird.

Polizeiamtmann Harald Morell macht sich gemeinsam mit seinem jungen Helfer Johan Anundsson auf die Suche nach dem Mörder. Dabei stoßen sie nur auf wenige hilfreiche Informationen, weil die Spur des Täters ganz aus Anundsjö herauszuführen scheint. Dann verschwindet eines Tages die Altenpflegerin Greta Sigurdsdotter, und die Beamten vermuten das Schlimmste. Tatsächlich wird auch sie gefunden, nachdem die erneut heftigen Schneefälle nach acht Tagen endlich beendet sind. Die Art und Weise der schrecklichen Tat scheint ähnlich; auch Gretas Arm ragt aus dem Schnee empor, und auch sie hat Wunden, die auf Messerstiche schließen lassen.

Für Länsmann Morell, der sich gleichzeitig auch um seine zutiefst depressive Frau und seinen neugeborenen Sohn kümmern muss, steht fest, dass es zwischen den beiden Mordfällen einen Zusammenhang gibt, und als sie schließlich den Hauptverdächtigen Grels Persson gefangen nehmen, ist der Fall für Morell eigentlich schon abgeschlossen. Persson gesteht schließlich den ersten Mord und bezeichnet sein Handeln als Notwehr. Jedoch bestreitet er, auch Greta umgebracht zu haben, doch da Morell dem Verbrecher, der auch wegen verschiedener Raubdelikte angeklagt wird, nicht glaubt, bleibt dieser bis zur Verhandlung in Haft. Dann jedoch taucht die neue Altenpflegerin Lisbet im Hause Morells auf und erzählt ihm von ihren Beobachtungen und Vermutungen. Auf einmal zieht auch Morell die Unschuld Perssons in Erwägung, auch wenn die neue Wahrheit sehr seltsam klingt …

_Bewertung:_

„Schneegrab“ ist ein Krimi, der sich einfach liest, durch seine chronologische Abfolge stets nachvollziehbar bleibt und diesbezüglich auch wenig Tiefgang beinhaltet. Aber das ist auch nicht die Intention des Autors. Bo R. Holmberg hat nämlich eine Geschichte über ganz einfache Menschen geschrieben; Bauern, Mägde, Knechte und das arme Volk stehen im Mittelpunkt seines neuen Romans „Schneegrab“, und alleine aus der Stellung und der oftmals damit verbundenen Armut lassen sich für dieses Buch auch schon diverse Tatmotive ableiten, die man während der 350 Seiten immer wieder im Hinterkopf behalten sollte.

Doch „Schneegrab“ ist nicht ausschließlich Krimi, dieses Werk ist auch in gewissem Maße eine Beschreibung der bürgerlichen Gesellschaft Schwedens zur Mitte des 19. Jahrhunderts, und genau hierbei setzt Holmberg schließlich auch die Glanzpunkte. Holmberg beschreibt das simple Gefühl der Geborgenheit, erörtert die Schlichtheit der Liebe zweier ganz einfacher Menschen, er philosophiert über die Dunkelheit und den Winter in seiner Heimat und schlussendlich zeichnet er auch noch ein authentisches Bild der damaligen Umgangsformen nach, das einerseits erschreckend, andererseits aber auch erstrebenswert klingt. Die Charaktere in Holmbergs Roman geben sich mit dem wenigsten zufrieden, werden aber zu reißenden Tieren, wenn man ihnen ausgerechnet dies noch nimmt. Das Leben als Ein und Alles, so erfährt man es im Alten- und Armenhaus von Anundsjö, so verkörpern es einfache Mägde wie Lisbet, die Tochter des plötzlich verstorbenen Herrn Olofsson, die ermordete Greta Sigurdsdotter, der Polizeigehilfe Johan Anundsson samt seiner Verlobten Annika, aber auch der lediglich aus Überlebenstrieb stehlende Gauner Grels Persson.

Es gibt einige Momente im Buch, da vergisst man die grausamen Morde und taucht selber in diese Zeit ein, denkt dabei über sein eigenes Umfeld nach und beginnt zu hinterfragen, warum der Mensch eigentlich nie zufrieden ist. Dies ist ein Thema, das Holmberg unterschwellig (vielleicht sogar unbewusst) in den Kapiteln von „Schneegrab“ versteckt hat, das sich aber auch irgendwie als roter Faden durch das Werk zieht.

Davon einmal abgesehen, ist das Buch aber natürlich auch ein spannender Krimi, bei dem es um die Schicksale der Betroffenen geht. Da wäre der Komissar Harald Morell, dessen Frau nach drei Fehlgeburten endlich einen Sohn gebar, seitdem aber fast geistesabwesend in ihrem Bett liegt. Sie kann ihr Kind nicht stillen, so dass Harald eine Magd für diese Aufgabe hinzuziehen muss. Das Dilemma, eigentlich glücklich über das Kind, andererseits aber auch traurig über das geistige Ableben der eigenen Gattin zu sein, trägt Morell schließlich auch in sich, als er nach dem Mörder von Greta sucht. Als er glaubt, ihn gefunden zu haben, wird Harald aus Wut und Bosheit richtig aggressiv und brutal und schlägt wohl teilweise auch aus einer Verzweiflung heraus auf ihn ein.

Es sind diese Momente, die aus diesem Krimi eine ganz besondere Geschichte machen und mich schließlich doch zu der Aussage führen, dass Holmberg eine sehr tiefgreifende Story kreiert hat, zu der die simple Stilistik und das umgangssprachliche Schriftbild fast schon konträr sind. Dies hat jedoch auch eine ganz spezielle Wirkung, denn so findet man sich schnell in die Handlung ein, begreift aber dennoch, dass hinter „Schneegrab“ mehr als nur ein Kriminalroman steckt. Was soll ich sagen, mich hat das Buch auf eine ganz eigene, schwer zu beschreibende Art und Weise berührt. Ich liebe diese Geschichten, in denen ganz einfache Leute die Hauptrollen übernehmen, und in dieser Hinsicht ist „Schneegrab“ wirklich eine Ausnahmeerscheinung.

Der schwedische Krimi hat ja aufgrund der ureigenen Mentalität der dort lebenden Menschen ohnehin eine Sonderstellung inne, und mit diesem Buch hat er diese noch weiter ausbauen können.

Pearl, Matthew – Dante-Club, Der

|“Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
Und jede Feigheit sterb‘ an diesem Orte.
Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt,
Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
Für die das Heil des wahren Lichtes schwand.“|
(Dante – „Göttliche Komödie“)

[Dante]http://de.wikipedia.org/wiki/Dante__Alighieri hat mit seiner „Göttlichen Komödie“ ein eindringliches Höllen-Szenario heraufbeschworen, das nicht nur zur damaligen Zeit bleibenden Eindruck hinterließ. Die „Divina Commedia“, Dantes Lebenswerk, mit dem er Jahre seines Lebens verbrachte, ist nicht im heutigen Sinne eine Komödie, sondern eher ein Werk, dem es an einem tragischen Helden mangelt und das deswegen zu seinem Titel kam.

Dante beschreibt in seiner 1321 vollendeten „Göttlichen Komödie“ seine Reise (die er angeblichen im Jahr 1300 persönlich und tatsächlich angetreten haben will) durch die drei Reiche der Toten: die Hölle (Inferno), das Fegefeuer (Purgatori) und das Paradies (Paradiso). Dort begegnet Dante vielen berühmten Persönlichkeiten. Dantes Reisebegleiter durch die neun Kreise der Hölle und das Fegefeuer ist der römische Dichter Vergil.

Dantes Werk, das mittlerweile als absoluter Klassiker der Weltliteratur anzusehen ist, dürfte schon die Phantasie so mancher Autoren beflügelt haben. Einer, der das Thema Dantes in einen überaus spannenden historischen Thriller verpackt hat, ist der Amerikaner Matthew Pearl. Matthew Pearl entpuppt sich schon beim Blick auf seine Biographie als prädestiniert für einen solchen Roman, gingen seinem Debütroman „Der Dante Club“ doch wissenschaftliche Arbeiten über Dante voraus, die von der |Dante Society of America| ausgezeichnet wurden.

_“Lasst, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren“_

Boston 1865: Der Dichter Henry W. Longfellow arbeitet an der englischen Übersetzung von Dantes „Göttlicher Komödie“. Woche für Woche trifft er sich zusammen mit den übrigen Mitgliedern des frisch gegründeten Dante Clubs zum Diskutieren und Korrigieren seiner jüngst übersetzten Passagen. Zum Dante Club zählen neben Longfellow der Dichter und Harvardprofessor James Russell Lowell, der Autor und Professor für Anatomie Dr. Oliver Wendell Holmes, der alternde Reverend Greene und der einflussreiche Verleger J. T. Fields – allesamt Dante-Verehrer, die versuchen, Dantes Lebenswerk der amerikanischen Bevölkerung gegen die heftigen Widerstände aus Bostons traditionalistischen akademischen Kreisen zugänglich zu machen.

Gleichzeitig macht sich ein Unbekannter daran, Dante auf seine ganz eigene Art zu „übersetzen“ – wesentlich plastischer als es in der Studierstube Longfellows geschieht, aber dafür auch umso blutiger. Ein Serienmörder setzt eiskalt und geradezu detailbesessen die in Dantes „Inferno“ beschriebenen Höllenqualen in die Tat um. Einflussreiche Persönlichkeiten fallen seinen grausamen Taten zum Opfer und während die Stadt in Angst und Schrecken erzittert, ist die Polizei ratlos und tritt auf der Stelle.

Nur die Mitglieder des Dante Clubs durchschauen das Muster der Taten. Doch wie kommt der Täter an sein Wissen über Dante und das „Inferno“, wo die „Göttliche Komödie“ doch noch gar nicht übersetzt ist? Longfellow und seine Kollegen machen sich auf eigene Faust auf die Suche nach dem unbekannten Dante-Kenner …

_“Dahin, wo Stille lautem Tosen wich,
Und dorthin, wo nichts leuchtet, schritt ich weiter.“_

|“Raffinierte Handlung, klassische Motive, gelehrte Figuren … dieses Buch muss man einfach lieben!“| Mit solch überschwänglichen Worten lobt Dan Brown, Autor von [„Sakrileg“, 184 Matthew Pearl als |“den leuchtenden neuen Stern am Literaturhimmel“|. Etwas übertrieben mag das klingen, aber bei genauerer Betrachtung bleibt einem kaum eine andere Wahl, als Dan Brown, zumindest mit Blick auf den Roman, beizupflichten. „Der Dante Club“ ist in der Tat ein Thriller, der im Gedächtnis haften bleibt und der aufgrund seiner Vielschichtigkeit Eindruck schinden kann.

Pearls Roman liegt eine große Kennerschaft der historischen Umstände zugrunde. Seine Hauptfiguren sind reale historische Figuren und die Tatsache, dass Pearl englische und amerikanische Literatur in Harvard und Yale studiert hat, lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Mann weiß, wovon er spricht. Die Mitglieder des Dante Club (allesamt historische Figuren der amerikanischen Literatur) wirken allesamt sehr plastisch. Auch das gesellschaftliche Leben in den gelehrten Bostoner Kreisen sowie insbesondere das Innenleben des akademischen Apparates der Eliteuniversität Harvard werden sehr lebendig geschildert.

„Der Dante Club“ ist ein Sammelsurium vieler historischer und literaturgeschichtlicher Aspekte, die die Thrillerhandlung bereichern. Der Roman entwickelt dadurch neben einem spannenden Thrillerplot auch eine beachtliche Tiefe. Der Leser nimmt nach der Lektüre Wissen mit, das er vorher eventuell noch nicht hatte. Eine spannungsgeladenere und fesselndere Einführung in Dantes „Göttliche Komödie“ wird man wohl kaum finden, als man sie von Pearl präsentiert bekommt.

Während seine historisch verbrieften Protagonisten Zigarre rauchend vor dem knisternden Kamin über Leben und Wirken Dantes diskutieren und ihre Interpretation seiner „Göttlichen Komödie“ zum Besten geben, wird ganz nebenbei auch der Leser immer tiefer in den Plot hineingezogen. Pearl gelingt der Balanceakt zwischen der Vermittlung historischer und literarischer Hintergründe und einem nervenaufreibenden Thriller. Das Ergebnis ist gehaltvolle Spannungslektüre, an die man gerne zurückdenkt.

Dabei muss man Pearl als Leser zugegebenermaßen eine gewisse Aufbauphase für Hintergründe, Plot und Figuren zugestehen. Nach dem ersten Höhepunkt des „Eröffnungsmords“ widmet sich Pearl erst einmal ausgiebig seinen Protagonisten und dem Zwist zwischen den obersten Harvardvertretern und dem Dante Club um die Veröffentlichung der Übersetzung der „Göttlichen Komödie“. Mit dem nächsten Mord zieht Pearl dann kontinuierlich die Spannungsschraube an. Der Dante Club beginnt mit ersten Nachforschungen, die die Spannung stetig ansteigen lassen und in ein Finale münden, das in einem dramatischen Wettlauf zwischen dem Mörder und seinen Häschern gipfelt, und allerspätestens dann kann man das Buch nicht mehr zur Seite legen.

Der Leser tappt bei der Lösung weitestgehend im Dunkeln. Die Morde werfen eine Vielzahl offener Fragen auf und die Lösung, die Pearl am Ende präsentiert, beantwortet sie durchaus zufrieden stellend. Er setzt im Finale ein riesiges Puzzle zusammen, in dem jede Komponente des Romans ihren Platz findet. Jede Facette der Geschichte bekommt dabei ihre Bedeutung und man kommt nicht umhin, die Konstruktion des Plots zu loben. Pearl lässt sich so leicht nicht in die Karten gucken und hält dadurch die Spannung bis zum Finale aufrecht.

Was den Roman neben seinen realen historischen Hauptfiguren und dem Bezug zu Dantes „Göttlicher Komödie“ so interessant macht, ist die Atmosphäre des Jahres 1865. Boston ist gebannt von den Eindrücken des Sezessionskrieges, stetig strömen mehr irische Einwanderer in die Stadt und der öffentliche Nahverkehr kommt mit fortschreitender Geschichte durch eine grassierende Pferdeseuche fast vollständig zum Erliegen. Solche historischen Rahmenbedingungen prägen die Atmosphäre des Romans und sind die besondere Würze des Plots.

Sprachlich ist das Ganze recht leicht verdaulich. Pearls Stil lädt dazu ein, das Buch binnen kurzer Zeit zu verschlingen. Was den Lesefluss hin und wieder allerdings etwas ins Stocken bringt, ist das Fehlen von Absätzen. So nimmt man radikale Handlungssprünge teils nicht auf den ersten Blick wahr, einfach, weil der Text nach einem Zeilenumbruch einfach weiterläuft. Ob das ein Problem speziell dieser Ausgabe ist oder ein ganz allgemeines, vermag ich nicht zu beurteilen.

Auch der zeitliche Rahmen insgesamt droht einem während der Lektüre ab und zu mal ein wenig abhanden zu kommen. Pearl liefert insgesamt einfach zu wenig Indizien, anhand derer der Leser sich den gesamten zeitlichen Rahmen vor Augen führen kann, und so ist man manchmal überrascht, dass zwischen verschiedenen Ereignissen viele Tage oder nur wenige Stunden liegen. Aber das ist ein eher kleiner Schönheitsfehler, der lediglich zu Abzügen in der B-Note führt.

_“Nie ruht der Höllenwirbelwind vom Toben
Und reißt zu ihrer Qual die Geister fort“_

Alles in allem ist „Der Dante Club“ ein Roman, der sehr positiv im Gedächtnis bleibt. Der Plot ist sauber konstruiert, die Atmosphäre des Jahres 1865 wirkt sehr lebendig, ebenso wie Pearl seine historisch real existenten Protagonisten sehr glaubwürdig zum Leben erweckt. „Der Dante Club“ ist in jedem Fall ein Buch, das nicht nur unterhält, sondern dem Leser auch noch Wissen mit an die Hand gibt. Wer vorher noch nicht viel über Dante und seine „Göttliche Komödie“ wusste, erhält dank Pearls so unterhaltsam eingewobener Hintergründe zu diesem Thema eine ganz ordentliche Einführung.

Somit liefert Matthew Pearl mit seinem Debütroman außerordentlich lehrreiche und fesselnde Spannungslektüre ab. Wer „Die Einkreisung“ von Caleb Carr mochte, der wird Pearls „Dante Club“ lieben, denn Pearl erzählt straffer und weniger langatmig als Carr, aber ganz gewiss nicht weniger spannend: historisch, lehrreich, raffiniert und fesselnd.

[Die deutsche Übersetzung von Dantes „Göttlicher Komödie“ bei Wikipedia]http://de.wikisource.org/wiki/Dante__-__Goettliche__Komoedie

Website zum Roman: [thedanteclub.com]http://www.thedanteclub.com

[Unsere Rezension der Hörbuchfassung 406

G. M. Ford – Erbarmungslos

Kurz vor seiner Hinrichtung mehren sich die Zeichen, dass ein angeblicher Serienmörder unschuldig ist. Einem Journalisten und einer unkonventionellen Fotografin bleiben sechs Tage, die Wahrheit zu ermitteln, während das düpierte Gesetz mauert und die Medienkollegen nach der „Story“ schnappen … – Konventioneller Thriller mit wirklich allen Elementen des modernen Mainstream-Krimis. Mangelnde Originalität wird durch gelungenes Erzählhandwerk, Spannung und trockenen Witz wettgemacht: kein Muss aber ein unterhaltsames Kann.
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Wexler, Mark – Mr. & Mrs. Smith

„Mr. & Mrs. Smith“ – was hat dieser Kinostreifen in der Klatschpresse nicht alles ausgelöst. Die angebliche und stets abgestrittene Beziehung zwischen den beiden Hauptdarstellern Angelina Jolie und Brad Pitt wurde über Monate hinweg in sämtlichen Schmierheftchen dargestellt, und irgendwie interessierte sich ein großer Teil des Publikums im Nachhinein mehr für dieses Techtelmechtel als für den eigentlichen Film. Regisseur Doug Liman war das allerdings ziemlich egal; Hauptsache die Leute strömten in Massen ins Kino und schauten sich die gewagte Action-Komödie mit ihren pikanten Hauptfiguren an, und das taten sie dann auch – vielleicht nicht ganz wegen der Story, sondern schon eher wegen der Reize von Herrn Pitt und Frau Jolie. Verdenken kann man es keinem, aber vielleicht war das ja auch gerade der Grund dafür, dass die meisten doch recht enttäuscht aus der Vorstellung kamen, denn Liman hat aus der interessanten Geschichte einen typischen Hollywood-Reißer gemacht, dessen Besonderheit lediglich die Schauspieler waren. Irgendwie ging dem Streifen der Witz ab, und um dies zu kaschieren, lag die Betonung auf den zahlreichen Actionszenen. Schön und gut, ganz normales Bubblegum-Kino eben, aber richtig anspruchsvoll war das Ganze eben nicht.

Nun ja, es gibt aber noch eine zweite Chance, nämlich das Buch zum Film, und siehe da, dieses kommt wie so oft ein ganzes Stück besser weg, denn obwohl man die beiden Hauptfiguren Pitt und Jolie bildlich immer vor Augen hat, betrachtet man sie im Buch fernab vom übertriebenen Rummel, der um sie gemacht wird, und kann sich so voll und ganz auf die Story einlassen. Das Ende vom Lied: „Mr. & Mrs. Smith“ macht plötzlich doch noch eine Menge Spaß und begeistert durch eine intelligent arrangierte, von Autor Mark Wexler gut in Szene gesetzte Handlung.

_Story:_

Mr. & Mrs. Smith führen scheinbar eine Bilderbuch-Ehe: Sie sind attraktiv, gut situiert und wohnen in einem hübschen Haus vor den Toren New Yorks. Was aber niemand weiß, der Ehepartner eingeschlossen: Hinter der Fassade des bürgerlichen Lebens sind John und Jane als hoch bezahlte Auftragskiller für zwei verfeindete Organisationen tätig. Die ständige Heimlichtuerei hat ihre Ehe zu einer reinen Zweckgemeinschaft gemacht, in der beide eigentlich todunglücklich sind. Als sie bei einer Auktion ihrer Nachbarn vier Sitzungen beim Eheberater gewinnen, ist das die Chance, einander wieder näher zu kommen. Eines Tages holt sie jedoch die Realität des Killergeschäfts ein: Sie werden beide aufeinander angesetzt. Und so nimmt ein mörderisches Katz- und Maus-Spiel seinen Lauf, das beide mit voller Leidenschaft austragen.

_Bewertung:_

Auch wenn sich das Buch sehr stark am Film orientiert, so hat die Story hier insgesamt doch sehr viel mehr Freiräume, und ich behaupte einfach mal, dass man, wenn man den Streifen noch nicht im Kino gesehen hat, auch noch viel besser auf die cineastisch gezwungen wirkende Handlung eingehen kann. Die Angelegenheit beginnt mit den ersten beiden Sitzungen des Ehepaars, die quasi als Rückblick zu betrachten sind. Anschließend werfen beide individuell einen Blick auf die turbulenten Geschehnisse der letzten Wochen, Monate und Jahre, in denen das Drama um ihre Ehe langsam aber sicher ausgelöst wurde. So erzählen sowohl John als auch Jane, was ihnen widerfahren ist, wie es zu dieser Zweckgemeinschaft namens Ehe überhaupt kommen konnte und welche Beweggründe dazu führten, sich gegenseitig umbringen zu wollen. Besonders Jane erzählt sehr schön, wie aus einer unterbewussten Vorahnung (sie wusste zunächst natürlich nicht, dass der andere Agent ihr Mann ist) die Gewissheit wurde, dass sie ihr Privatleben und schließlich ihren Gatten für den Job opfern musste. Auf der anderen Seite steht schließlich John, der die Sache in dieser Form gar nicht wahrhaben wollte, sich aber irgendwann darauf eingelassen hat und schließlich ebenfalls die Bereitschaft erlangte, seine Frau zu töten, auch um sich selbst zu schützen.

Dadurch, dass hier auch die gesamten Gedankengänge der beiden Hauptpersonen viel besser beschrieben werden, geht die Handlung im Buch besonders bei den actiongeladenen Szenen über das pure Geballer des Films hinaus und bekommt, man glaube es oder nicht, stellenweise auch ein wenig Anspruch und Tiefgang, wobei der Wortwitz und der Komödien-Anteil natürlich weiterhin im Vordergrund stehen. Die Geschichte ist eben durch ihre seltsame Handlung auch witzig, und das kommt hier viel besser rüber als im Film.

Und das sollte dann auch die Hauptaussage dieser Rezension sein: Ein Film kann mit noch so vielen Stars, noch so viel Action und noch so viel Charme auftreten – sobald der zugehörige Autor des Begleitbuches auch nur über ein wenig Witz und Gefühl für seine Wortwahl verfügt, ist seine Version immer vorzuziehen. Und genau das ist bei „Mr. & Mrs. Smith“ der Fall. Den Kinofilm fand ich eher bescheiden, das Buch hingegen wirklich unterhaltsam und gelungen.

Rendell, Ruth – Wer Zwietracht sät

In der englischen Kleinstadt Kingsmarkham stehen die Zeichen auf Sturm: Eine neue Umgehungsstraße soll gebaut werden. Sie wird durch die Wälder des Framhurst Great Wood verlaufen. Bäume, Sumpfauen und Teiche müssen weichen, der Lebensraum vieler Tierarten wird vernichtet. Das ruft eine Reihe von Umweltschutz-Gruppen auf den Plan, die nach Kingsmarkham reisen und für Unruhe sorgen. Einige Aktivisten erweisen sich als recht militant. Ihr Widerstand ist nicht nur passiv, so dass die Situation außer Kontrolle zu geraten droht.

Chief Inspector Wexford von der Mordkommission verfolgt die Ereignisse zunächst aus der Ferne. Er wird indes bald in darin verwickelt, als bei einer der Protestaktionen im Wald eine Leiche gefunden wird. Rasch kann sie identifiziert werden: Die junge Studentin Ulrike Ranke aus Deutschland, zu Besuch bei einer englischen Freundin, wurde vergewaltigt und erdrosselt. Wexford und seine Leute nehmen die Ermittlungen auf. Der Mord ist jedoch noch ungeklärt, als in rascher Folge mitten in Kingsmarkham auf offener Straße fünf Menschen entführt werden. Zufällig befindet sich Wexfords Ehefrau Dora darunter. Zu der Tat bekennt sich eine Gruppe namens „Sacred Globe“. Sie fordert den sofortigen Stopp der Bauarbeiten und droht die Geiseln zu töten, wenn ihr dies nicht zugesichert wird. Man geht zunächst darauf ein. Die Kidnapper lassen Dora Wexford mit einer Botschaft frei: Der Bau der Umgehungsstraße soll offiziell und damit endgültig eingestellt werden. Erst dann wolle man auch die übrigen Geiseln freilassen.

Die Suche nach dem Versteck der Entführer beginnt. Bald gibt es Hinweise auf einige besonders fanatische Aktivisten, die bei ihrem Kreuzzug auch vor Gewalttaten nicht zurückschreckt. Dann findet die Polizei eine Leiche – dies scheint das erste Opfer der Gruppe zu sein, bis sich herausstellt, dass die junge Frau bei einem missglückten Fluchtversuch umgekommen ist.

Lange tappt die Polizei im Dunkeln. Die Lage ist ernst: Die Entführer scheinen nicht recht zu wissen, was sie eigentlich wollen. Andererseits sind sie sehr genau über die Fahndung informiert. Endlich findet Wexford eine Spur – und kommt auf die sehr ungewöhnliche Lösung des Falls …

Mit ihrem siebzehnten Wexford-Krimi (seit 1964) mutet Autorin Ruth Rendell ihren Lesern allerhand zu. Die Grundidee ist ausgezeichnet, aktuell und sprengt das Klischee der englischen Landhaus-Idylle, in der allzu viele Polizisten und Hobby-Detektive ihr Unwesen treiben. Rendell vermeidet auch den Fehler, die Sympathien auf eine Seite zu verlagern. Politisch korrekt wäre es vermutlich gewesen, die Umweltschützer als strahlende Engel und Opfer zugleich darzustellen. Stattdessen zeichnet die Autorin ein ambivalentes Bild und riskiert Ablehnung mit ihrer Botschaft, dass nicht alles, was Menschen aus Überzeugung für ein anerkannt hehres Ziel tun, tatsächlich rechtens und richtig ist. In Rendells Welt gibt es – wie in der Realität – auch „böse“ Umweltschützer.

Die Autorin hat sich seit jeher bemüht, Klischees zu vermeiden und gern heiße Eisen angefasst. Auch dieses Mal schildert sie anschaulich, wie schwierig es ist zu entscheiden, was „richtig“ und was „falsch“ ist. Die Zerstörung unberührter Natur durch den Bau einer Straße ist für den einen ein Tribut, den man dem Fortschritt oder wenigstens der persönlichen Bequemlichkeit zollen muss, für den anderen aber ein ökologisches Verbrechen, das profitgierige Geschäftsleute im Schulterschluss mit bestechlichen Politikern begehen. Wie weit dürfen beide Seiten gehen, um ihrem Standpunkt Ausdruck zu verleihen? Selbst Wexford ist im Zwiespalt; als Polizist ist es seine Pflicht, die viel beschworene Ruhe und Ordnung zu wahren, doch als Privatmann verabscheut er die Zerstörung jenes Waldes, den er seit seiner Kindheit kennt.

Eine wirkliche Lösung gibt es wohl nicht. Rendell verfolgt diesen Weg dann auch nicht weiter. Sie hat sich entschieden; „ihre“ Umweltschützer sind verblendete Fanatiker oder, wenn sie harmlos sind, seltsam und lebensfremd und in ihrer einfältigen Fixierung auf die Rettung von Mutter Natur das ideale Werkzeug für allerlei Übeltäter. Schwieriger fällt es allerdings, Rendells aberwitzige Allianz fanatischer Öko-Terroristen mit durchgedrehten Vorstadt-Spießbürgern nachzuvollziehen. Die Autorin ist berühmt dafür, einen Blick in die verborgenen seelischen Abgründe der Mittelschicht zu werfen, aber hier ist sie einen Schritt zu weit in Richtung Karikatur gegangen.

Einige Längen lassen sich zudem in der Handlung feststellen. Dora Wexfords Schilderung ihrer Erlebnisse als Gefangene von „Sacred Globus“ hätte eine Straffung vertragen, und zu überlegen ist auch, ob es wirklich notwendig war, mit dem Mord an der deutschen Touristin eine falsche Fährte zu legen. Insgesamt gehört „Wer Zwietracht sät“ nicht zu den Höhepunkten der Wexford-Reihe. Andererseits schwebt ein durchschnittlicher Ruth-Rendell-Roman immer noch ein gutes Stück über der Konkurrenz, was Spannung und Figurenzeichnung angeht.

Eine Anmerkung zum deutschen Titel dieses Romans: Im Original lautet er „Road Rage“, ein Wortspiel, das den Inhalt sehr treffend zusammenfasst, sich jedoch nur schlecht übertragen lässt. Wieso daraus „Wer Zwietracht sät“ wurde, bleibt allerdings rätselhaft. Der Titel erinnert sehr an einen Roman von Elisabeth George; vielleicht ist das der Grund: Man möchte die Leser der in Deutschland viel verkauften und wohl auch bekannteren „Konkurrentin“ von Ruth Rendell auf diese Weise ködern. Nun, wer sich dadurch verleiten lässt, kann nur gewinnen: Während Elisabeth George ihre Kriminalromane seit einigen Jahren auf immer groteskere Ausmaße anschwellen lässt – sieben- und achthundert oder mehr Seiten sind eher die Regel als die Ausnahme -, weiß Rendell, wann eine Geschichte erzählt ist.

Hoffman, Jilliane – Morpheus

Nach dem großen Erfolg ihres Debütwerkes [„Cupido“, 699 welches international die Bestsellerlisten erobern konnte, legt Jilliane Hoffman mit „Morpheus“ nun ihren zweiten Roman vor, der direkt an „Cupido“ und seine Erfolge anknüpfen soll und sich dabei inhaltlich so stark an seinem Vorgänger orientiert, dass der neue Thriller kaum als in sich abgeschlossene Fortsetzung gelten kann.

William Bantling sitzt seit inzwischen drei Jahren im Todestrakt und wartet auf seine Hinrichtung. C.J. Townsend arbeitet dagegen immer noch als Staatsanwältin, obwohl sie im Cupido-Fall Beweismittel unterschlagen hat und weiß, dass Bantling für Taten im Gefängnis sitzt, die er nicht begangen hat. Diese Gedanken verfolgen C.J. immer noch auf Schritt und Tritt, auch wenn sie im Grunde genommen sicher ist, dass sie das Richtige getan hat. Doch der Cupido-Fall holt C.J. bald ein, als nämlich in Miami nacheinander vier Polizisten brutal ermordet und verstümmelt werden. Bei diesen handelt es sich genau um diejenigen Beamten, die von der illegalen Fahrzeugkontrolle, die schließlich zu Bantlings Festnahme geführt hat, gewusst haben.

Obwohl C.J. seit drei Jahren glücklich mit Dominick Falconetti liiert ist und auch seinen Heiratsantrag angenommen hat, weiß Dominick immer noch nichts von den früheren Machenschaften seiner Freundin. Als C.J. eine Botschaft des Polizistenmörders, den die Presse |Morpheus| getauft hat, erhält, flieht sie in Panik und trennt sich von Dominick, weil sie ihm nicht die Wahrheit sagen möchte. Ihre Flucht führt sie zunächst zu Bantlings Anwältin Lourdes Rubio, die C.J. abfällig begegnet und eine Wiederaufnahme im Fall Cupido ankündigt. Tatsächlich dauert es nicht lange, bis C.J. nach Miami zurückgerufen wird, weil Bantlings neuer Anwalt Berufung eingelegt hat und den Fall mit neuen Beweismitteln neu aufrollen will.

C.J. ist in Panik: Auf der einen Seite fürchtet sie sich vor Morpheus, der nach und nach die damaligen Zeugen ermordet und sie als Nächste im Visier haben muss, und auf der anderen Seite möchte sie William Bantling nicht mehr unter die Augen treten. Doch es kommt zu einer neuen Anhörung und damit zu einer Konfrontation zwischen C.J. und ihrer Vergangenheit, die sie gerne vergessen möchte …

Genau nach ihrem altbekannten Schema erzählt Jilliane Hoffman auch ihren neuen Thriller; sie lässt ihre Leser nicht lange warten, sondern schildert zügig den ersten Mord. Victor Chavez, der aufgrund eines anonymen Anrufes im Cupido-Fall die illegale Fahrzeugkontrolle durchgeführt hat, ist dabei das erste Opfer des brutalen und rücksichtslosen Polizistenmörders. Doch dauert es nicht lange, bis weitere Opfer gefunden werden. Die Spur führt in das kolumbianische Drogenmilieu, denn einer der ermittelnden Beamten kann die Verstümmelungen der Leichen als so genannte Kolumbianische Krawatte identifizieren. Die Polizei weiß daraufhin schnell, wo genau sie zu suchen hat, zumal alle ermordeten Cops ihre Spuren im Drogenmilieu hinterlassen haben. Doch C.J. zieht ihre eigenen Schlüsse, denn nur sie weiß, dass alle Mordopfer ihre Mitwisser sind. Nach und nach werden die Zeugen ermordet, bis neben Lourdes Rubio nur noch C.J. übrig bleibt.

Die Handlung ist zweigeteilt. Zunächst erscheint uns „Morpheus“ wie ein normaler Thriller, es werden brutale Verbrechen geschildert und Spuren gedeutet, doch etwa ab der Hälfte geht es nur noch um pure Juristerei. Wir begleiten die ängstliche C.J. zu ihren Nachforschungen in der Bibliothek, zu ihren richterlichen Anhörungen und hoffen für sie, dass sie einer Neuauflage des Cupido-Falles entgehen kann. Detailliert erfahren wir alle juristischen Schritte und Feinheiten, alle Fehler, die im Cupido-Falle begangen wurden, und wir lernen die Möglichkeiten kennen, die Bantling noch für seine Berufung bleiben. Im zweiten Teil des Romans lässt Jilliane Hoffman durchblicken, dass sie sich auf diesem Gebiet gut auskennt, doch leider driftet sie mir dabei zu sehr ins Grisham-Genre ab. Die eigentliche Mordserie rückt hier komplett in den Hintergrund, um Morpheus geht es so gut wie gar nicht mehr.

Hoffmann orientiert sich meiner Meinung nach auch zu stark an ihrem Debütroman. Da „Cupido“ erfolgreich war, möchte sie offensichtlich genau dort wieder ansetzen, doch muss dies Bemühen zwangsläufig scheitern. Morpheus ist kein eigenständiger Roman, sondern eine direkte Fortsetzung, die viele Wiederholungen aus „Cupido“ enthält und somit oft auf der Stelle tritt. „Morpheus“ ist ohne Kenntnis des Vorgängerromans kaum lesbar und kündigt am Ende auch nicht gerade sehr subtil eine weitere Fortsetzung an. Wo „Cupido“ noch neu und spannend war, ist der vorliegende Roman nur vorhersehbar und abgekupfert. „Morpheus“ kann kaum mit neuen Aspekten dienen und ist in der zweiten Hälfte dank der ganzen Rechtsverdreherei kaum noch spannend, obwohl das Buch aufgrund der knappen Sprache schnell gelesen ist.

Auch in der Figurenzeichnung kann Hoffman nicht punkten. Alle auftretenden Figuren sind stereotyp und eindimensional. C.J. Townsend ist immer noch das arme Opfer, das nun nicht mehr nur unter seiner Vergewaltigung zu leiden hat, sondern auch unter der Misshandlung durch ihren ehemaligen Psychiater, der sie über Jahre hinweg als Schachfigur in seinem eigenen kranken Spiel eingesetzt hat. Dennoch ist C.J. natürlich beruflich erstaunlich erfolgreich und privat glücklich liiert, sodass bald die Traumhochzeit mit dem gut aussehenden Dominick Falconetti ansteht, der sie im letzten Buch noch vor dem sicheren Tod gerettet hat.

„Morpheus“ ist ein enttäuschender Abklatsch von „Cupido“, bringt kaum neue Erkenntnisse, sondern erzählt haargenau nach dem gleichen Schema viele bereits bekannte Dinge und wärmt den Bantling-Fall nochmals auf. Während das Buch zunächst rasant und spannend beginnt, hält sich Jilliane Hoffman ab der Hälfte lediglich mit langatmiger Juristerei auf und langweilt somit ihre treuen Leser. Auch die Auflösung des aktuellen Polizistenmordes mitsamt seinem Showdown weiß nicht zu überzeugen, zu konstruiert klingt der ganze Fall, zu unrealistisch wirkt es, wenn C.J. Townsend die x-te lebensgefährliche Situation nahezu unbeschadet übersteht. Mit dem Holzhammer kündigt Hoffman schließlich die nächste Fortsetzung an und verscherzt es sich dadurch gänzlich mit ihren Fans. Von „Cupido“ war ich sehr positiv überrascht und „Morpheus“ ist über weite Strecken alles andere als langweilig, dennoch finde ich es schade, dass Jilliane Hoffman ihre bereits bekannte Geschichte lediglich auf ein weiteres Buch ausgedehnt hat.

Paul Harding – Tödliches Rätsel

Das geschieht:

London im Sommer 1380: Geldverleiher Bartholomew Drayton liegt mit einem Armbrustbolzen in der Brust in seiner leer geräumten Schatzkammer. Mit eingeschlagenem Schädel treibt Schreiber Edwin Chapler in der Themse. Sein Kollege Luke Peslep endet, während er sich auf der Latrine der Schenke „Zum Tintenfass“ erleichtert, unter den Degenstichen eines Meuchlers.

Für die Ermittlungen in allen drei Fällen ist Sir John Cranston, der Coroner (= Untersuchungsrichter) der Stadt London, zuständig; eine Kriminalpolizei gibt es noch nicht. An seiner Seite arbeitet Athelstan, ein Bruder des Dominikanerordens, der sowohl als Cranstons Sekretär fungiert als auch auf Grund seiner kriminalistischen Fähigkeit ein wertvoller Assistent sowie ein geschätzter Freund ist. Paul Harding – Tödliches Rätsel weiterlesen

March, Hannah – Als wär\’s der Teufel selbst

_Die Autorin:_

Hannah March wurde in Peterborough am Rande der englischen Fens geboren und wuchs auch dort auf. Sie studierte an der University of East Anglia und absolvierte einen Magister-Studiengang „Creative Writing“ u. a. bei Malcolm Bradbury und Angela Carter. Inzwischen hat sie eine Reihe von Romanen veröffentlicht.

In „Das Lied der Ringeltaube“ hat Hannah March den jungen Gelehrten Robert Fairfax bereits schon einmal zur Hauptfigur eines ihrer Romane gemacht, und der aufgeweckte und lebendige Geist, den Fairfax in diesem Roman verkörpert, hat sie wohl selber so sehr beeindruckt, dass sie mit „Als wär’s der Teufel selbst“ einen zweiten Kriminalroman mit diesem als Protagonisten geschrieben hat, der für mich bislang zu den spannendsten Krimis gehört, die ich mir bis dato zu Gemüte durfte.

_Story:_

1761. Robert Fairfax, eigentlich Privatlehrer, bekommt vom angesehenen Sir Edward den Auftrag, die Bibliothek seines verstorbenen Vaters zu katalogisieren. Gereizt von dieser für ihn spannenden Aufgabe – man sagt sich, dass in dieser Bibliothek viele wertvolle Einzelstücke gelagert werden -, macht sich der Gelehrte auf den Weg nach Northamptonshire, wo er irgendwann eine schreckliche Entdeckung macht: Mitten auf dem Weg liegt eine Postkutsche im Straßengraben, deren Insassen allesamt brutal ermordet wurden. Der Kutscher kann bei Fairfax‘ Ankunft gerade noch das Wort „Straßenräuber“ über die Lippen bringen, ehe er seinen schweren Verletzungen ebenso wie seine Gäste erliegt.

Sir Edward, Fairfax‘ Auftraggeber, nimmt sich als Friedensrichter der Sache an und ist sich auch ziemlich sicher, dass der seit einigen Monaten auf dieser Strecke herumstreunende, noch namenlose Straßenräuber für diese Tat verantwortlich ist, auch wenn Mord bislang nicht zu der Liste seiner Verbrechen gehörte. Lediglich die Frage, wer dieser Mann ist, muss noch beantwortet werden.

Doch Fairfax vermutet, dass mehr hinter dieser Sache steckt, denn einfach zu viele Ungereimtheiten bringt dieser Überfall mit sich. Einer der Toten hatte sich vor Antritt der Fahrt als Bankier Twelvetree ausgegeben, doch keiner kann genau sagen, warum Tom Honeyman diese Maskerade vollzogen hat. Weiterhin ist einer der Toten der verwirrte Jonathan Griggs, der jahrelang in der Obhut einer Irrenanstalt gewesen ist und kurz nach seiner Flucht nun tot aufgefunden wurde. Warum hat man ausgerechnet diesen armen Geist getötet? Und was ist mit der verschwundenen vierten Person, Magaret Parry, geschehen, die bei der Abfahrt der Kutsche ebenfalls mit dabei war?

Fairfax begibt sich selber auf die Suche nach Hinweisen, verliert abei aber seinen eigentlichen Auftrag, sehr zum Unmut von Sir Edward, aus den Augen. Dennoch lässt sich Fairfax nicht davon abbringen, überall herumzuschnüffeln und malt sich immer neue Visionen von möglichen Motiven und Tathergängen aus. Jeder der Verdächtigen scheint etwas zu verbergen, aber irgendwie kommt auch keiner so richtig in Frage, diesen grausamen Überfall begangen zu haben. Da wäre zum einen Joseph Fox, der ganz offenkundig um die Witwe Honeyman wirbt, aber dem der Stempel des Mörders gar nicht passen würde. Oder der Methodist Griggs, der Gottes Wort predigt und seinen Bruder Jonathan bei diesem Anschlag verloren hat. Oder William Parry, dessen Frau nach wie vor verschollen ist. Oder die Witwe Honeyman selber, der man deutlich anmerkt, dass sie nicht mit der ganzen Wahrheit herausrückt. Oder aber der Bankier Twelvetree, der in Stamford ohnehin nicht sonderlich beliebt ist und aus Geldgier schier alles unternehmen würde. Aber hätte er so etwas bei seinen Möglichkeiten überhaupt nötig? Da kommt schon eher sein verhasster Stiefsohn in Frage, der Twelvetree immer noch für den Tod seiner Mutter verantwortlich macht und vor seinem Verschwinden vor einigen Monaten Rache geschworen hat.

All diese Menschen passen irgendwie in eines der Schemen von Fairfax hinein, dann aber wiederum auch nicht. Kein Wunder also, dass es am Ende eine Aneinanderreihung von Zufällen ist, die den freiwilligen Ermittler auf die richtige Fährte bringt …

_Bewertung:_

Es mag eine recht persönliche Ansicht sein, aber gerade nach diesem Roman hat sich in mir wieder die Meinung gefestigt, dass die mit Abstand besten Krimis immer wieder aus England kommen. Irgendwie hat dieses Land auch etwas entsprechend Geheimnisvolles an sich, gerade im Hinblick auf die eigene Geschichte, und dies ergibt schließlich auch immer wieder den Grundstoff und das Potenzial für solche enorm spannende Erzählungen wie „Als wär’s der Teufel selbst“.

Hannah March ist es wahrhaft mitreißend gelungen, den Leser direkt mitten ins Geschehen zu bringen, ihn immer wieder auf neue Fährten zu locken, neue, unerwartete Charakterzüge der Hauptdarsteller vorzustellen, die Motive und möglichen Hergänge immer wieder in ein neues Licht zu rücken und dann mit einem Ende aufzuwarten, das dem Fass den Boden ausschlägt – wohlgemerkt erst auf den letzten Seiten.

Es ist schon sehr erstaunlich, wie detailliert March uns die einzelnen Personen nahe bringt und das zudem irgendwie gleichzeitig. Erfährt man beispielsweise von der Witwe Honeyman, hat man auch zugleich wieder den verhassten Bankier Twelvetree und ihren seltsamen Freund Joseph Fox im Hinterkopf. Denkt man an den Prediger Henri Griggs, grübelt man über seinen verstorbenen Bruder, die Anschuldigen von William Parry, Griggs habe eine Affäre mit seiner Frau gehabt, usw. Bei wirklich jedem feinen Schachzug, den sich Hannah March ausdenkt, um die Geschichte mit neuen Entwicklungen voranzubringen, geraten hintergedanklich mehrere Denkmechanismen in Bewegung, und man spinnt selber auch immer wieder die verschiedenen Möglichkeiten durch bzw. versetzt sich in die Lage von Robert Fairfax, um genau herauszufinden, was denn jetzt wirklich mit der attackierten Postkutsche, dem Stamford Flyer, geschehen ist.

Doch nicht nur dadurch, dass March alle Möglichkeiten bezüglich des Attentats offen lässt, gewinnt „Als wär’s der Teufel selbst“ ungeheuer an Spannung; auch die Tatsache, dass sich wirklich alle Charaktere nach und nach völlig verändern und in ungeahnte Richtungen entwickeln, fördert dies. Schlussendlich bleibt man an diesem Buch wirklich kleben, zumal March es auch sehr schön gelungen ist, die Zeit und Kultur des 18. Jahrhunderts in ihren Roman mit einfließen zu lassen. Sitten und Bräuche, die Eigenheiten der Kastengesellschaft und schließlich die klare Rollenverteilung der verschiedenen Klassen wurden authentisch übernommen und sind für den Verlauf der Geschichte auch von enormer Bedeutung. So gelten zum Beispiel die Aussagen eines Dienstmädchens gegen William Parry nichts gegen sein eigenes Wort, usw. Hier hat die Autorin wie auch in den übrigen Bereichen ganze Arbeit geleistet.

Unterm Strich bin ich von diesem Buch schlichtweg begeistert: „Als wär’s der Teufel selbst“ besitzt sämtliche Elemente, die für einen historischen Kriminalroman erforderlich sind. Das Buch ist äußerst spannend, hat einen hohen Zeit- und Gesellschaftsbezug und präsentiert Charaktere, mit denen man sich als Leser sofort anfreundet. Liebhabern solcher Geschichten wird bei diesem Buch ganz sicher das Herz aufgehen!

Jim Kelly – Tod im Moor

In der englischen Provinz tauchen die bizarr zugerichteten Leichen nie gefasster Krimineller auf. Ein vom Leben gebeutelter Journalist und ein überforderter Polizeibeamter stoßen auf die Spur eines alten, nie geklärten Verbrechens, das zu neuem, gewalttätigem Leben erwacht … – Ausgezeichnetes Krimi-Debüt eines neuen Autoren; spannend und düster aber mit trockenem Witz erzählt und mit sympathischen, einprägsamen Figuren besetzt: ein Lese-Spaß ohne gravierende Einschränkungen.
Jim Kelly – Tod im Moor weiterlesen

Fleming, Ian – James Bond: Casino Royale

_Das geschieht:_

Royale-les-Eaux war einst ein mondäner Ferienort an der französischen Kanalküste. Jetzt – d. h. Anfang der 1950er Jahre – ist nur noch das Casino einen Besuch wert. Viel Geld wechselt hier ohne besonderes Aufsehen den Besitzer: Dies ist ein Umfeld, nach dem Le Chiffre gesucht hat. Der hinterhältige Meisterspion der Sowjets hat sich mit einigen Nebenbei-Geschäften verspekuliert und dabei Geld aus der Portokasse genommen; sehr viel Geld, um genau zu sein, was für Le Chiffre ein Problem ist. Der russische Geheimdienst bringt sehr wenig Verständnis für solche Eskapaden auf und wird ihm womöglich die Terror-Truppe „Smersch“ auf den Hals hetzen, die vom Kurs abgekommene Kommunistenspitzel sehr rüde zu behandeln pflegt.

In seiner Not beschließt Le Chiffre, ein Vermögen am Spieltisch zu gewinnen. Auf diese Situation hat der britische Secret Service lange gewartet. Le Chiffre soll ruiniert und als Agent außer Gefecht gesetzt werden. Der richtige Mann dafür ist James Bond, dessen Kennziffer „007“ dem Eingeweihten verrät, dass dieser ungewöhnliche Staatsbeamte die Lizenz zum Töten besitzt. Das war bisher zweimal nötig, und auch sonst ist mit diesem Bond nicht gut Kirschen essen, denn er liebt seinen Job und hasst die Roten.

Umgehend macht sich 007 auf nach Royale. Dort trifft er die ihm zugewiesene Kontaktfrau Vesper Lynd, die recht unprofessionell wirkt aber immerhin ausgesprochen ansehnlich ist. Doch erst die Arbeit, dann das Vergnügen, so Bonds strenge Regel. In einem nervenaufreibenden Bakkarat-Duell mit Le Chiffre obsiegt Bond. Der Triumph lässt ihn unvorsichtig werden. Le Chiffres Schergen kidnappen Vesper und locken 007 in eine Falle. Sein Widersacher foltert ihn auf brutalste Weise, um sein Geld zu erpressen.

Aber Le Chiffre hat die Rechnung ohne den Smersch-Wirt gemacht, und Bond kommt an Leib und Seele schwer gezeichnet frei. Allerdings freut er sich zu früh, denn seine eigentliche Prüfung erwartet ihn noch …

_Hitzkopf für den Kalten Krieg_

„Casino Royale“ ist ein rasanter, lakonischer, gewalttätiger Thriller, der noch heute die Aufregung spüren lässt, die er 1953 bei denen hinterließ, die ihn unvorbereitet lasen. (Allerdings lag die Erstauflage bei gerade 4.750 Exemplaren.) Für die betulichen Fans von Edgar Wallace oder Agatha Christie muss damals das Ende der Welt nahe gewesen sein. Aber auch die Schnüffler vom Schlage eines Philip Marlowe oder Lew Archer sahen alt aus gegen James Bond, den Agenten des Secret Service, der finanziell und ausrüstungstechnisch üppig ausgestattet gegen die Feinde der westlichen Zivilisation zu Felde zog.

Dem ‚heißen‘ II. Weltkrieg folgte ab 1945 ein ‚kalter‘ Krieg der beiden Supermächte USA und UdSSR. Er wurde heimlich aber erbittert ausgefochten. Das Verbrechen gewann eine neue, politische Dimension: Nicht Raub oder Mord aus Gier oder Rache waren die Motive im „Großen Spiel“ der Regierungen. Die (angeblich) legitime Abwehr und Schwächung heimtückischer Feinde des jeweiligen Systems standen im Vordergrund. Menschen und Opfer wurden zu Spielfiguren und Zahlen. Unsicherheit bestimmte das Zwielicht hinter den Kulissen. Wer war Freund, wer Feind? Galten diese Klassifizierungen überhaupt noch?

Natürlich bot die Welt der Geheimdienste nur eine grobe Schablone, vor der Ian Fleming 1953 James Bond 007 agieren ließ. Zwar konnte der Verfasser (s. u.) auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, die er jedoch aufs Spektakuläre zuspitzen musste: Auch Agentenarbeit ist primär langweilige Routine. Als Schriftsteller war Fleming zudem Neuling. Das merkt man einer Geschichte an, die deutlich in drei Teile zerfällt: Bonds Vorbereitungen zum grandiosen Kartenspiel-Gefecht mit Le Chiffre im Casino Royale (sehr gelungen), die anschließende Gefangennahme, Folter und Rettung von Bond (unbehaglich intensiv) sowie schließlich der tragisch gemeinte aber recht missglückte, weil an einen bereits abgeschlossenen Spannungsbogen anknüpfen wollende Epilog vom großen Verrat der Vesper Lynd.

|Aller Anfang ist (erstaunlich) zäh|

Für Bond-verwöhnte Kinobesucher geschieht erstaunlich wenig in diesem Roman. Es gibt eine Bombenattacke, eine Autoverfolgungsjagd und eine ausgiebige Folterszene. Das war’s an Action. Raffinierte Agententechnik aus dem Hause Q glänzt durch Abwesenheit. Bond fährt einen Bentley Baujahr 1933 und benutzt eine Beretta Kaliber 25. (Später informierte ein Waffenexperte Fleming, dass diese als Damenpistole galt. Danach wechselte 007 schleunigst zur Walther PPK.)

Was „Casino Royale“ (neben nostalgischen Gründen) immer noch lesbar macht, ist Flemings offensichtliches Bemühen, dem Getümmel eine dritte Dimension zu verleihen. Auffällig sind die ausführlichen Beschreibungen von Kleidern, Speisen, Möbeln usw. Ian Fleming verstand sich als Mann mit Stil, und das gab er an seinen James Bond weiter. Diesen sah er darüber hinaus als Muster für den Menschen der Gegenwart und deshalb rasch und notgedrungen rücksichtslos im Denken und Handeln.

Vergessen ist spätestens seit der Ära des 007-Clowns Roger Moore, dass James Bond ein Produkt des II. Weltkriegs ist. Fleming geht mehrfach auf dessen prägende Kriegserlebnisse ein. (Dies brachte ihn später in Schwierigkeiten, da er Bond zunächst ’normal‘ und dann langsamer altern ließ, bis dieser eigentlich bereits als Schuljunge ins Feld gezogen sein musste, wenn man nachrechnete.) Auch deshalb ist der 007 aus „Casino Royale“ uns heute recht fremd.

|Das Bond-Universum in seiner Steinzeit|

Ian Flemings James Bond war lange ein vom Kino-007 völlig konträre Figur. Die beiden ersten Filme („James Bond jagt Dr. No“, 1961, und „Liebesgrüße aus Moskau“, 1963) mit Sean Connery kamen dem eiskalten, beinahe fanatisch auf sein Ziel fixierten und dabei buchstäblich über Leichen gehenden Bond aus „Casino Royale“ nahe.

Selbst Fleming milderte die schroffe Persönlichkeit seines Helden rasch ab; der spätere James Bond ist nicht milder im Handeln aber psychisch stabiler. Er wird weniger deutlich von gar zu offensichtlichen Selbstzweifeln und unterdrückten Emotionen bestimmt, die er hinter der Maske des 007 zu verbergen trachtet. Erst 2006 trat im „Casino-Royale“-Film – der gleichzeitig zum Reboot der 007-Saga wurde – dieser Aspekt wieder stärker in den Vordergrund.

Bonds Frauenbild ist ein unverfälschtes Spiegelbild seiner Zeit. Er lehnt weibliche Agenten ab, weil sie seiner Meinung nach niemals dieselbe Konsequenz wie ein Mann aufbringen können. Prompt versagt Vesper Lynd, und Bond flucht sie in die Rolle der Ehefrau und Mutter zurück. Schlafen will er aber unbedingt mit ihr, das steht auf seiner Liste – sobald er den Job erledigt hat: Diesen Bond kennen wir gut.

Allerdings verliebt sich 007 später in Vesper und macht ihr einen ernstgemeinten Heiratsantrag. Sogar aus dem Agentengeschäft will er sich zurückziehen. Aber Vesper ist eine Doppelagentin und die Welt schlecht. Damit sie nicht zu allem Überfluss rot wird, macht es in Bonds Hirn „Klick“. |“Das Biest [= Vesper] ist tot“|, wird nach London gemeldet, und dann wirft sich 007 wieder in den Kampf mit dem Reich des Bösen.

|Die Schöne und das Biest|

Vesper Lynd ist paradoxerweise emanzipierter als eigentlich alle Kino-Bond-Girls bis in die Gegenwart. Sie wirft sich weder bereitwillig in 007s starke Arme, noch wälzt sie sich (zuschauerfrei ab 12 Jahre) mit ihm auf einem Eisbärenfell. Ihre Vergangenheit ist tragisch, ihr Schuldgefühl echt, ihr Ende rührt, selbst wenn dieser Effekt von Fleming vor allem konstruiert wurde, um Bond noch einmal als harten Kerl dastehen zu lassen.

Le Chiffre ist bereits der erste der überlebensgroßen Bösewichter, die später typisch für den Bond-Kosmos wurden. Noch greift er nicht nach der Weltherrschaft, sondern ist mehr oder weniger Handlanger der (realen) Sowjetmacht. Aber in seinem Folterkeller legt er bereits die Bond-typische Mischung aus Sadismus und Größenwahn an den Tag. Sein Ende ist schrecklich gewöhnlich – ein Fehler, den Fleming und vor allem die Kinofilme später vermeiden werden.

Überhaupt hat Fleming den Löwenanteil seiner Fehler bereits in diesem ersten Bond-Roman begangen. Er lernte schnell und besserte nach, was er zu Recht negativ kritisiert fand. Schon „Live and Let Die“ (dt. „Leben und sterben lassen“), dem 1955 erschienenen zweiten Bond-Thriller, hatte das Zeug zum echten Klassiker.

_Autor_

Ian Fleming (1908-1964) blickte im „Casino Royale“-Jahr 1953 auf eine inspirierend abenteuerliche Vergangenheit zurück. Er war ein typisches Oberschicht-Gewächs des spätimperialistischen Großbritannien mit erstklassiger Schulbildung (Eton) und der sprichwörtlichen „steifen Oberlippe“. Im II. Weltkrieg lernte Fleming als Mitarbeiter des Marine-Geheimdienstes die geheimnisvolle Halbwelt kennen, die er später so effektvoll zu dramatisieren wusste. Einige wagemutige Kommandounternehmen im Mittelmeer werden ihm zugeschrieben. Den Globus hatte Fleming schon vor dem Krieg als Journalist (u. a. in Moskau) bereist, was er nach 1945 als Auslandskorrespondent der „Sunday Times“ fortsetzte. Er zog die Sonne dem englischen Regen vor und ließ sich an der Nordküste der damals noch britischen Inselkolonie Jamaica nieder.

1951 erschütterte der Cambridge-Skandal das Empire: Zwei hochrangige britische Diplomaten entpuppten sich als langjährige Spione im Dienst der UdSSR. Niemand hatte damit gerechnet, dass sich zwei „old boys“ dafür hergeben würden. Aber im Krieg der Spione gibt es weder Ehre noch Moral. Diese Erkenntnis beeindruckte Ian Fleming tief. Er hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, einen Roman zu schreiben und nun seinen Aufhänger gefunden. Im James Bond aus „Casino Royale“ hallt der Schock über den Verlust traditioneller Werte und die daraus resultierenden Unsicherheiten deutlich wider.

Den Namen „James Bond“ entlieh Fleming einem gleichnamigen Vogelkundler, der die gefiederten Bewohner der westindischen Inselwelt erforschte. Eine kluge Wahl, denn wer könnte – sehr ratsam für einen guten Spion – unauffälliger wirken als ein solcher Zeitgenosse?

Der eigentliche Erfolg des Schriftstellers Ian Fleming kam nur allmählich, der Quantensprung zum Superseller gelang erst in den 1960er Jahren, als der Kino-Bond zum modernen Mythos wurde. Damit hatte Fleming nur noch mittelbar zu tun. Er war gern gesehener Gast am Drehort und kassierte gutes Geld für seine Figur, die er in insgesamt zwölf Thrillern und zwei Kurzgeschichten-Sammlungen mehr oder weniger aufregende Abenteuer erleben ließ, wobei er (zum Unwillen der Leserschaft) durchaus mit seinem Helden experimentierte.

Nach 1960 begann Flemings Gesundheit zu verfallen. Er weigerte sich, seinen Lebensstil zu ändern, d. h. seiner Herzkrankheit entsprechend zu leben. Folgerichtig erlag er – immerhin stilvoll – auf dem Royal St. George’s Sandwich-Golfplatz in Kent am 12. August 1964 einem Herzinfarkt.

|Anmerkung|

„Casino Royale“ ist der erste der James Bond-Romane, die der Cross-Cult-Verlag anlässlich des 50. ‚Geburtstags‘ des Kino-Helden 007 neu übersetzt, ungekürzt und mit sehr schönen ‚Retro‘-Titelbilder herausbringt: eine gute Gelegenheit, den „Ur-007“ neu oder womöglich zum ersten Mal kennenzulernen.

|Taschenbuch: 240 Seiten
Originaltitel: Casino Royale (London : Jonathan Cape 1953)
Übersetzung: Stephanie Pannen/Anika Klüver
ISBN-13: 978-3-86425-070-5|
[Verlagshomepage]http://www.cross-cult.de

(Michael Drewniok)

Sara Paretsky – Die verschwundene Frau

Paretsky Verschwundene Frau Cover TB 2002 kleinDas geschieht:

Auf dem Heimfahrtüberrollt Privatdetektivin Vic Warshawski zu später Stunde in einem verrufenen Viertel ihrer Heimatstadt Chicago beinahe den leblosen Körper einer jungen Frau, die mitten auf der Straße liegt. Die Polizei scheint mit Warshawskis Schilderung zunächst zufrieden zu sein. Doch am nächsten Tag wirft man ihr plötzlich vor, den Tod verschuldet zu haben. Ganz offensichtlich sucht die Polizei einen Sündenbock. Die Leiche verschwindet, der Unfallbericht wird gefälscht. Der korrupte Detective Lemour wird Warshawski auf den Hals gehetzt, um sie einzuschüchtern.

Aus purer Not beginnt die Detektivin in eigener Sache zu ermitteln. Trotz der Verschleierungstaktik bringt sie in Erfahrung, dass es sich bei der Frau um die junge Immigrantin Nicola Aguinaldo handelt, die man fast tot geprügelt hatte, bevor man sie ihr vor das Auto legte. Nicola arbeitete als Kindermädchen für Robert Baladine, den Eigentümer von „Carnifice“, eines Sicherheitsdienst-Imperiums mit 3000 Beschäftigten, zu dem sogar eine eigene Haftanstalt vor den Toren der Stadt gehört. Hier saß Nicola als Gefangene ein, nachdem sie Eleanor, Baladines Gattin, ein wertvolles Schmuckstück gestohlen hatte. Auf mysteriöse Weise gelang es ihr später scheinbar zu fliehen. Sara Paretsky – Die verschwundene Frau weiterlesen

Preston, Douglas / Child, Lincoln – Burn Case – Geruch des Teufels

Der Teufel geht um in der Millionenstadt New York. So deuten jedenfalls fundamentalreligiöse Bunkerköpfe sowie die Medien verdächtige Spuren (Schwefel, Hufabdrücke), die auf und um die Leiche des berühmten aber verhassten, weil höchst gemeinen Kunstkritikers Jeremy Grove gefunden werden, als der eines schönen Tages ganz von selbst in Flammen aufgeht. Er bleibt nicht der einzige einflussreiche Fiesling, der auf diese spektakuläre Weise endet. Groß ist die Aufregung, denn die Opfer sind keine Durchschnittsbürger oder gar Unterschichtproleten, sondern mächtig und reich.

Mysteriöse Ereignisse der beschriebenen Art locken zuverlässig den unkonventionellen FBI-Agenten Aloysius Pendergast an den Ort des Geschehens. Er hat in seiner Laufbahn schon manchen Spuk erlebt, der sich bei näherer Betrachtung als Menschenwerk entpuppte. Auch hier gibt es durchaus einen Verdächtigen: den zwielichtigen Konzernmagnaten Locke Bullard, den der US-Geheimdienst verdächtigt, illegal Waffen-Hightech an die Chinesen zu verkaufen. Bullard verfügt indes über beste politische Beziehungen und dünkt sich über das Gesetz erhaben, wie Sergeant Vincent D’Agosta zu seinem Leidwesen erfahren muss.

Bullard lässt den erfahrenen Kriminalisten mehrfach ins Leere laufen. Erst als der sich mit Pendergast zusammentut, kommen die Ermittlungen in Gang. Sie nehmen freilich bald eine unerwartete Wendung: Was Bullard auch plant, es geht über Landesverrat weit hinaus. Hat der Philosoph und Theologe Friedrich von Menck Recht, wenn er verkündet, er habe in alten Prophezeiungen die Ankündigung entdeckt, dass New York bzw. seine Bewohner wegen ihrer Sündhaftigkeit noch im laufenden Jahr durch ein unlöschbares Feuer von der Erde getilgt würden? Luzifer bleibt jedenfalls sehr aktiv; Pendergast und D’Agosta müssen ihm um die halbe Welt folgen, um am Ball zu bleiben …

Preston & Child, die beiden unermüdlichen Handwerker der ganz leichten Unterhaltung, fabrizieren mit „Burn Case“ ihren alljährlichen Buchmarkt-Bestseller. Einmal mehr drehen sie beliebte oder gerade aktuelle Moden und Mysterys durch die Mangel, brechen sie auf Trivialniveau herunter und verschmelzen sie zu einem Garn, auf dessen Logik man lieber keinen Gedanken verschwenden sollte.

Was den Lesespaß an sich nicht beeinträchtigt. „Burn Case“ ist Thriller-Trash, der sich selbst niemals ernst nimmt, sondern einfach nur unterhalten will. Das ist eine ehrenhafte und höchst schwierige Aufgabe, wie jene beweisen, die von diesem Job rein gar nichts verstehen: Dan Brown, Scott McBain, Steve Alten und andere von der Werbeindustrie künstlich belebte und am Leben gehaltene Schreibkreaturen.

„Burn Case“ lebt von der flotten Handlung und uralten literarischen Tricks. Immer wieder stoßen unsere Helden auf Geheimnisse, hinter denen sich neue Rätselhaftigkeiten auftun – gut so, denn wirklich mysteriös kommt einem nicht vor, was sich das Autorenduo da ausgedacht hat. Der bewährte Cliffhanger kommt zu neuen Ehren: Mehrfach lassen uns Preston & Child auf dem Höhepunkt einer für unsere Protagonisten hoffnungslosen Situation zappeln. Erst später löst sich das Geheimnis, wie es z. B. D’Agosta gelingen konnte, mit nur einer Kugel im Lauf gleich drei Profikillern zu entkommen. Auch hier sind die Erklärungen nie überzeugend. Die Geschichte endet sogar mit einem Cliffhanger und leitet so über zur „Fortsetzung“; die 2005 unter dem Titel „Dance of Death“ erschien und den von den Toten auferstandenen Pendergast im Kampf mit seinem irren Bruder Diogenes zeigt, der in „Burn Case“ bereits Erwähnung findet.

Der Mystery-Boom der Millenniumsära hat sich allmählich verflüchtigt. Er wird nicht unmodern werden, denn die Menschen lieben das Geheimnisvolle. Doch auf die Dosierung kommt es an. Stets achten Preston & Child darauf, dem Seltsamen ein festes Standbein in der „Realität“ zu verschaffen. Es speist sich aus dem naturwissenschaftlichen Spezialwissen derer, die es auf die Welt loslassen. Glücklicherweise wissen die Verfasser hier mehr als die meisten Leser, so dass der Unfug, den sie verzapfen, zumindest glaubhaft klingt.

Für „Burn Case“ ist der Aufhänger das eigenartige Phänomen der „spontanen menschlichen Selbstentzündung“: Hier und da verbrennen Unglückspilze ohne ersichtliche Ursache offenbar aus sich selbst heraus, wobei unglaubliche Temperaturen entstehen. Die Wissenschaft ist außerordentlich skeptisch, die Anhänger des Unerklärlichen sind entzückt, zumal es eindrucksvolle Bilddokumente über solche flammenden Infernos gibt. (Bei Interesse & Kenntnissen der englischen Sprache bitte eine Suchmaschine der eigenen Wahl mit dem Begriff „spontaneous human combustion“ füttern – das Angebot entsprechender Websites ist beachtlich, was den unfreiwilligen Humorfaktor vieler durchaus ernsthaft gemeinter „Erklärungen“ einschließt.)

Da zwei Rätsel besser sind als eines, greifen Preston & Child auf einen weiteren, eher volkstümlichen Angsterreger zurück, der weniger gut belegt ist, aber Aufmerksamkeit garantiert. Dr. Faustus gilt als Prototyp jener Menschen, die auf dem Weg zu Ruhm, Macht und Vermögen eine fatale Abkürzung nehmen: Er verschrieb seine Seele dem Teufel, der ihm zunächst alles gewährte, was er forderte (den Ritt auf einem Weinfass eingeschlossen – spätmittelalterliche Scherze halt …), bis er ihn nach Ablauf der vereinbarten Frist um 1540 unter für Faustus sehr schmerzhaften Begleitumständen (die in „Burn Case“ eingehend beschrieben werden) und unter Hinterlassenschaft eindeutig satanischer Spuren holte.

So ein moderner Dr. Faustus ist Locke Bullard, der allmählich merkt, dass er in seinem Drang nach Geld und Einfluss zu weit gegangen ist. Seine Komplizen, die mit ihm den Teufelspakt schworen, hat es schon erwischt. Bullard hingegen versucht das Unmögliche: Er will Mephisto um seinen Lohn prellen und das Zusammengeraffte trotzdem behalten, was wie erwartet endet, denn: „Der Teufel ist ein Lügner und der Vater der Lügen“ (Johannes 8,44). Außerdem ist er schlau.

Wobei Satan in persona in „Burn Case“ durch Abwesenheit glänzt – schade eigentlich, denn sein Auftritt wäre in einem Märchenthriller wie diesem durchaus möglich gewesen. Wer sich wirklich hinter seinem Trugbild verbirgt, ahnt der erfahrene Leser ein bisschen zu früh, was zur Holzhammerdramaturgie des Werks freilich passt. Schließlich treten auch sonst nur Knallchargen auf. Bullard ist Bösewicht aus Passion – kein raffinierter Psychopath, sondern als Weltfeind Nr. 1 etwa so glaubhaft wie jeder beliebige James-Bond-Finsterling. Sehr passend umgibt ihn eine Horde von Schlägern und Mietmördern, deren Brutalität nur durch die Zuverlässigkeit übertroffen wird, mit der sie im entscheidenden Moment versagen und das Heldenduo Pendergast & D’Agosta aus todsicheren Todesfallen entwischen lassen.

Das ist ärgerlicher, denn beide sind als positive Hauptfiguren außerordentliche Nervensägen. Pendergast, die Denkmaschine, die alles weiß und kann und niemals zögert, die Leser mit der Vorführung beider Eigenschaften herzlich zu langweilen, ist eine erstaunlich unsympathische Gestalt. Immer noch wollen Preston & Child ihn uns als mysteriösen Mann aus dem Nichts verkaufen. Sind sie außerstande zu bemerken, wie ausgereizt und öde dieser Gag längst ist? Richtig gewirkt hat er nur in „Relic“ (1994; dt. „Das Relikt – Museum der Angst“), als uns Pendergast das erste Mal begegnete.

Seit „Cabinet of Curiosities“ (2002, dt. [„Formula – Tunnel des Grauens“) 192 beginnen die Autoren als buchübergreifende Nebenhandlung eine Pendergast-Familiengeschichte der kruden Art zu entwerfen. Auch hier sind Preston & Child seltsam geizig, beschränken sich auf Andeutungen – Versprechen, die bisher nie eingelöst wurden und einfach überflüssig sind, weil Aloysius Pendergast eine unerhört nichts sagende Figur ist.

Zusätzlich störend wirkt das Bestreben der Autoren, ihre Thriller quasi zu „vernetzen“: Immer wieder treten Figuren auf, die bereits in anderen Romanen Verwendung fanden. Das funktioniert mit dem bewährten D’Agosta, geht aber schief mit sinnfreien Gastauftritten: Weder Polizeifrau Laura Haywood noch Journalist Harriman bringen die Handlung voran. Stattdessen langweilen sie den Leser in einem isolierten Nebenstrang mit den Eskapaden eines selbst ernannten Neo-Heilands, der davon abgehalten werden muss, in New York einen Gottesstaat auszurufen: anscheinend musste „Burn Case“ als Buch nachträglich auf Länge gebracht werden.

Selbstverständlich sind den Autoren die Beschränktheiten ihres Personals bekannt. Deshalb gesellt sich ja der lebensnahe Watson Vincent D’Agosta zum unzugänglichen Holmes Pendergast. Leider erweist sich auch der Polizist als wandelndes Klischee: der wackere, vom Leben gebeutelte, fürs Grobe und – in Vertretung der Leserschaft – für das Stellen dummer Fragen zuständige Brummcop mit dem goldenen Herzen, der von den Vorgesetzten immer auf die Schnauze kriegt, von der Gattin verlassen wurde und sich ansonsten wie der Elefant im Porzellanladen zu benehmen hat.

D’Agosta ist es auch, der von Preston & Child in eine der peinlichsten und lächerlichsten Sexszenen gezwungen wird, die man sich vorstellen kann – oder eben nicht; man muss es einfach lesen und sich vor Lachen schütteln, wie der arme Vincent völlig unvermittelt über die schöne Kollegin Laura herfallen muss, die ansonsten die Alibifrau in unserer Geschichte mimt. (Die zeitgereiste Constance lassen wir außen vor; das ist eine weitere Figur ohne jede Bedeutung für die „Burn Case“-Story.)

Eine „Meisterleistung“ gelang dem deutschen Verlag übrigens wieder einmal mit der „Übersetzung“ des Originaltitels. „Brimstone“ bedeutet „Schwefel“, was angesichts der erzählten Geschichte Sinn ergibt. Dass „Burn Case“ – „Brandfall“? – als „Eindeutschung“ größere Klarheit schafft, kann nicht unbedingt behauptet werden.

Einmal mehr wird das Buch durch eine gut lesbare Schrift, einen kleinräumigen Satzspiegel und großzügige Ränder auf imposante Seitenstärke gebracht – eine weitere Unsitte moderner Veröffentlichungsfabriken, die von der Theorie ausgehen, dass zögernde Leser im Laden von möglichst dicken Büchern („Hier kriegt man was für sein Geld!“) magisch angezogen werden. Indes beträgt der Preis für „Burn Case“ nur 19,90 Euro, was für ein gebundenes Buch heutzutage wirklich günstig ist. Mehr möchte man für dieses kurzweilige, wegen seiner allzu offensichtlichen Schlampigkeit aber auch Ärgernis erregende Werk allerdings auch nicht anlegen.

Douglas Preston wurde 1956 in Cambridge, Massachusetts geboren. Er studierte ausgiebig, nämlich Mathematik, Physik, Anthropologie, Biologie, Chemie, Geologie, Astronomie und Englische Literatur. Erstaunlicherweise immer noch jung an Jahren, nahm er anschließend einen Job am American Museum of Natural History in New York an. Während der Recherchen zu einem Sachbuch über „Dinosaurier in der Dachkammer“ – gemeint sind die über das ganze Riesenhaus verteilten, oft ungehobenen Schätze dieses Museums – arbeitete Preston bei |St. Martin’s Press| mit einem jungen Lektor namens Lincoln Child zusammen. Thema und Ort inspirierten das Duo zur Niederschrift eines ersten Romans: „Relic“ (1994; dt. „Das Relikt – Museum der Angst“).

Wenn Preston das Hirn ist, muss man Lincoln Child, geboren 1957 in Westport, Connecticut, als Herz des Duos bezeichnen. Er begann schon früh zu schreiben, entdeckte sein Faible für das Phantastische und bald darauf die Tatsache, dass sich davon schlecht leben ließ. So ging Child – auch er studierte übrigens Englische Literatur – nach New York und wurde bei |St. Martins Press| angestellt. Er betreute Autoren des Hauses und gab selbst mehrere Anthologien mit Geistergeschichten heraus. 1987 wechselte Child in die Software-Entwicklung. Mehrere Jahre war er dort tätig, während er nach Feierabend mit Douglas Preston an „Relic“ schrieb. Erst seit dem Durchbruch mit diesem Werk ist Child hauptberuflicher Schriftsteller. (Douglas Preston ist übrigens nicht mit seinem ebenfalls schriftstellernden Bruder Richard zu verwechseln, aus dessen Feder Bestseller wie „The Cobra Event“ und „The Hot Zone“ stammen.)

Selbstverständlich haben die beiden Autoren eine eigene Website ins Netz gestellt. Unter http://www.prestonchild.com wird man großzügig mit Neuigkeiten versorgt (und mit verkaufsförderlichen Ankündigungen gelockt).

Michael Connelly – Die Rückkehr des Poeten

Acht Jahre konnte er seine Verfolger narren und galt als tot: Mehr als genug Zeit für den Ex-FBI-Agenten und Serienmörder Jim Backus, genannt „der Poet“, um ein neues Mordkomplott anzuzetteln. Bei seinem ersten Auftritt hatten ihn ein Journalist und seine Schülerin, die FBI-Agentin Rachel Walling, daran gehindert, sein sadistisches Spiel zum geplanten Ende zu bringen. Das will Backus nun wieder aufnehmen und sich gleichzeitig an Walling rächen.

Ebenfalls in sein Visier gerät der Ex-Polizist Terry McCaleb, der nach einer Herztransplantation „ehrenamtlich“ als Profiler arbeitet und dem Poeten dabei bedrohlich nahe gekommen ist. Als McCaleb nach einem Herzanfall stirbt, glaubt seine Witwe nicht an einen natürlichen Tod. Sie bittet den Privatdetektiv Hieronymus „Harry“ Bosch, einen Freund ihres Gatten, um Hilfe und Aufklärung.

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Mankell, Henning – Vor dem Frost

Nachdem seine erfolgreiche Krimireihe rund um Kurt Wallander mit der „Brandmauer“ seinen Abschluss gefunden hat und Mankell seine Leser in der „Rückkehr des Tanzlehrers“ mit dem Kommissar Stefan Lindman bekannt gemacht hat, ermittelt in „Vor dem Frost“ erstmals Linda Wallander, obwohl sie eigentlich noch nicht offiziell im Polizeidienst angefangen hat. Der Generationenwechsel in Ystad hat nun stattgefunden, und nach dem Erfolg des Krimis mit Stefan Lindman als Hauptfigur hat dieser nun auch seinen Einsatzort gewechselt und arbeitet fortan ebenfalls in Ystad an der Seite des alternden und immer noch schlecht gelaunten Kurt Wallander. Ob Henning Mankell seiner neuen Krimiheldin ein überzeugendes Debüt gewidmet hat, wollen wir uns nun näher besehen …

_Bitte melde dich!_

Frisch von der Polizeischule kehrt Linda Wallander zurück nach Ystad. Da sie noch auf eine eigene Wohnung warten muss, zieht sie zunächst zu ihrem Vater Kurt, auch wenn dies zu allerlei Schwierigkeiten führt, da beide sehr impulsiv reagieren und somit immer genug Zündstoff für Streitereien gegeben ist. Leider reicht das Geld bei der Polizei nicht aus, um Linda sofort einzustellen, sodass sie ungeduldig auf ihren Einsatz warten muss. In der Zwischenzeit baut sie zwei alte Freundschaften zu ihren Schulfreundinnen Zebra und Anna wieder auf. Doch eines Tages ist Anna verschwunden, obwohl sie sonst doch immer so pünktlich und zuverlässig war. Mit Hilfe eines Dietrichs verschafft Linda sich Zugang zu Annas Wohnung und beginnt auf eigene Faust, das Verschwinden ihrer Freundin zu untersuchen. Vater Kurt hat dafür allerdings gar kein Verständnis, da er nicht an ein Verbrechen glaubt, zumal auch Annas Mutter überhaupt nicht beunruhigt zu sein scheint.

Gleichzeitig geschehen noch weitere mysteriöse Dinge in Ystad: Über dem Marebosjö fliegen brennende Schwäne, kurze Zeit später berichtet ein Bauer, dass jemand eines seiner Kälber angezündet hat. Kurt Wallander befürchtet Schlimmstes, sein Gefühl sagt ihm, dass hier nicht nur ein verrückter Tierquäler am Werke ist, sondern dass diese Taten Auftakt sind zu mehr. Und wirklich, nahe von Schloss Rannesholm wird in einer versteckt liegenden Waldhütte eine brutal ermordete Frau gefunden, der Kopf und Hände abgeschlagen wurden. Neben den Leichenteilen entdecken die Polizisten auch eine Bibel, in die jemand eigene Gedanken und Interpretationen hineingeschrieben hat.

Zufällig findet Linda in Annas Tagebuch einen Hinweis auf die ermordete Frau aus dem Wald und schafft dadurch eine Verbindung zwischen Annas Verschwinden und dem Mord an Birgitta Medberg. Auch führt ein Hinweis die junge Polizeianwärterin nach Kopenhagen, wo sie von einem hageren Mann bewusstlos geschlagen wird. Ihr Vater ist außer sich und bezieht seine Tochter nun offiziell in die Ermittlungen mit ein. Doch die Zeit rennt den Polizisten davon …

_Alles neu macht der Frost_

Um Wiederholungen zu vermeiden, beendete Henning Mankell zur Trauer seiner treuen Leser die erfolgreiche Kriminalreihe um Kurt Wallander, nur um allerdings mit einem kleinen Trick Kurt Wallanders Tochter in das Zentrum des Geschehens zu rücken. Wollte Linda in den vergangenen Romanen noch Möbelpolsterin werden, so eröffnete sie ihrem Vater am Ende seines letzten offiziellen Kriminalfalles zu seiner großen Überraschung (aber auch Freude), dass sie den gleichen Weg einschlagen möchte wie er. Nun also begleitet der Leser Linda bei ihren Ermittlungen und Gedankengängen, während ihr Vater in den Hintergrund rückt.

Doch so ganz kann Mankell hiermit nicht überzeugen. Zunächst schafft er es nicht glaubwürdig, uns Lindas Entscheidung für die Polizeikarriere zu erklären. Zwar hatte Mankell bereits in den vergangenen Romanen immer angedeutet, dass Lindas Berufswünsche mehrfach wechselten, doch plötzlich scheint sie vollkommen überzeugt zu sein von ihrem (neuen) eingeschlagenen Weg. Darüber hinaus nimmt ihre Vorstellung zu viel Raum in diesem Buch ein. Ein großes Plus in Henning Mankells Büchern ist seine liebevolle Figurenzeichnung, die immer weiter chronologisch fortgesetzt wird, sodass uns seine Krimihelden richtig ans Herz wachsen. Doch da Linda bislang immer nur eine kleine Nebenrolle innehatte, muss Mankell fast von vorne beginnen. In der „Rückkehr des Tanzlehrers“ gelang ihm die Gratwanderung zwischen einer überzeugenden Charakterisierung und einer, die die Spannung zu sehr ausbremst, sehr gut. In seinem ersten Linda-Wallander-Roman verliert er allerdings oftmals den eigentlichen Kriminalfall aus den Augen.

Da Linda noch nicht offiziell als Polizeianwärterin arbeitet, ermittelt sie wie schon ihr Vater zuvor auf eigene Faust und eher am Rande der Legalität. An den eigentlichen Ermittlungen in dem Fall der brennenden Tiere und der brutal ermordeten Frau Birgitta Medberg nehmen wir daher kaum Anteil. Genau das war es allerdings, was mich bei den bisherigen Mankell-Krimis so fasziniert hat. Wir waren bei jedem Schritt der Polizei hautnah dabei, wir haben an den Besprechungen und an den leidigen Pressekonferenzen teilgenommen, wir haben Nybergs schlechte Laune und Kurt Wallanders Ungeduld gespürt, doch dieses Mal ist alles anders. Von Anfang an rückt Linda Wallander in den Mittelpunkt des Geschehens, wir erfahren einiges aus ihrer Vergangenheit, über ihre abgebrochenen und gescheiterten Selbstmordversuche, über die schlechten Launen und Wutausbrüche ihres Vaters und über ihre Freundschaft zu Anna und Zebra. Allerdings bekommen wir von der eigentlichen polizeilichen Ermittlung viel zu wenig mit. Die personelle Komponente überwiegt in weiten Teilen der Romanhandlung, sodass der Spannungsbogen in „Vor dem Frost“ erstmals nicht perfekt gelungen ist, wie wir das inzwischen von Henning Mankell praktisch erwarten.

Interessant dagegen ist es, die bereits bekannten handelnden Personen aus Lindas Blickwinkel kennen zu lernen. So erscheinen besonders ihre Eltern unter ganz anderem Licht, aber auch Ann-Brit Höglund lernen wir von einer neuen Seite kennen.

Manchmal fehlte mir der rote Faden, der durch das Buch führt. Zwischendurch wechselte häufiger die Perspektive; so haben wir nicht nur Linda bei ihren Nachforschungen begleitet, sondern auch Birgitta Medberg auf ihrem unbekannten Pfad, der geradewegs zu ihrem Mörder geführt hat, und auch einen Unbekannten, der in der Eröffnungsszene die Schwäne in Brand steckt und auch weitere Pläne und Gedanken kundtut. Darüber hinaus erschienen mir Lindas Ermittlungen oftmals wenig zielgerichtet und vor allem wenig vernünftig. Sie tappt blindlings in die eine oder andere Falle und verliert natürlich im entscheidenden Augenblick ihr Handy (dessen Akku selbstverständlich fast leer war). Stellenweise häufen sich die Zufälle etwas zu sehr, sodass der Roman an Glaubwürdigkeit verliert. Auch erschienen mir einige Situationen nicht schlüssig zu sein; so werden wir Zeuge, wie Linda Wallander aus Wut ihrem Vater einen Aschenbecher an den Kopf wirft, woraufhin eine Platzwunde seine Stirn ziert. Wenn Kurt allerdings wirklich solche Wutausbrüche hat und impulsiv handelt, wie uns vorher weisgemacht wurde, passt seine relativ gelassene Reaktion nicht zu seinem sonstigen Verhalten.

_Thematisches_

Wie gewohnt greift sich Henning Mankell ein heißes Thema heraus, um das er seine Romanhandlung herum aufbaut. In „Vor dem Frost“ spielen fanatische religiöse Gemeinschaften eine Rolle, die ihr ganz eigenes Ziel verfolgen. Darüber hinaus setzt die eigentliche Handlung Ende August 2001 ein und spielt sich somit kurz vor den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center ab. An Lindas erstem offiziellen Arbeitstag muss sie schließlich im Fernsehen die tragischen Bilder der Terroranschläge ansehen. Sehr bewusst legt Mankell hier seine eigene Romanhandlung parallel zu den damaligen Ereignissen an, sodass nicht nur die Mankell’schen Figuren gerade ihre Anschläge planen, sondern im wahren Leben die Terroristen ebenfalls.

Leider bleiben am Ende die wahren Gründe für die geplanten Anschläge der religiösen Fanatiker etwas im Dunkeln. Mankell deutet zwar eine schwache Begründung an, doch weiß diese nicht zu überzeugen. Gerade die Hintergründe und die Motivation der religiösen Gemeinschaft hätte Mankell noch weiter ausführen können, um ihr Tun und Handeln vielleicht in Ansätzen erklärbar zu machen.

_Altbewährtes_

Selbstverständlich bleibt Henning Mankell sich weiterhin treu; seinem Roman stellt er einen Prolog voran, der im Jahre 1978 spielt und zunächst keinen Zusammenhang zu den späteren Ereignissen hat. Erst nach knapp 200 Seiten erfährt der Leser die Verbindung zwischen den weit zurückliegenden Geschehnissen und dem aktuellen Kriminalfall. Hier führt Mankell seine Handlungsstränge zusammen und beantwortet mit einem Schlag zahlreiche Fragen. Doch das mindert die Spannung nicht im Geringsten, da die Polizei weiterhin im Dunkeln tappt und Linda gar nicht ahnt, welchen Gefahren sie sich aussetzt. Mit unserem Wissensvorsprung können wir Linda, ihrem Vater und seinen Kollegen also bei ihrer Arbeit zusehen und überprüfen, ob sie die richtigen Spuren verfolgen.

Obwohl die Handlung nicht so strafft erzählt ist wie gewohnt, ist auch der vorliegende Roman schwer aus der Hand zu legen. Nach einem gemächlichen Einstieg mit den brennenden Schwänen und der ausführlichen Vorstellung Linda Wallanders lässt Mankell seine Akteure auf den Plan treten. Zwar geschieht am Anfang kein brutaler (Menschen-)Mord, doch animieren auch die brennenden Tiere zum Mitfiebern, da bereits klar ist, dass sie nur Auftakt zu größeren Taten sein können. Doch dann dauert es auch nicht lange, bis Birgitta Medbergs Leichenteile merkwürdig drapiert entdeckt werden und Lindas Sorgen um Anna immer schwerwiegender werden.

_Nach dem Frost_

Obwohl „Vor dem Frost“ seine Erwartungen nicht alle erfüllen kann, ist es dennoch ein Krimi der Extraklasse. Lediglich verglichen mit Henning Mankells bisherigen Kriminalromanen fällt die Begeisterung etwas geringer aus. Fast alle bekannten Erfolgskomponenten des schwedischen Bestsellerautors finden sich hier wieder, nur Linda überzeugt als neue Krimiheldin (noch?) nicht ganz. Ihr Vorgehen ist zu unüberlegt und auch ihre Person wirkt nicht so sympathisch wie die ihres Vaters. Zeitweise hält Mankell sich zu sehr mit seinen Beschreibungen auf und bremst dadurch die Handlung aus, auch häufen sich die Zufälle manchmal zu sehr, wodurch die Glaubwürdigkeit etwas leidet. Lesenswert ist der erste Linda-Wallander-Fall allemal, doch muss sie sich ihre Lorbeeren erst noch verdienen.