Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Koontz, Dean R. – Kalt

Es gibt Worte, die rufen bestimmte Bilder hervor. Bei mir gehören dazu unter anderem auch „Verfolgungsjagd“ und „Roadmovie“. Bei „Verfolgungsjagd“ hat man schnell Bilder von aufregenden Verfolgungen in Autos oder zu Fuß vor Auten, bei welchen der eine unentwegt hinter dem anderen her ist. „Roadmovie“ erinnert andererseits an Filme wie „Easy Rider“, „Thelma and Louise“ oder „Wild at Heart“, wobei das Wort selbst tatsächlich einen Film impliziert.
Der Klappentext von Dean Koontz‘ Roman „Kalt“ wirbt damit, dass es sich bei dem Buch um „Eine gnadenlose Verfolgungsjagd und ein fantastisches Roadmovie“ handeln würde. Und tatsächlich werden die Helden des Romans gnadenlos verfolgt, es geschieht „fantastisches“ und ein gutes Stück des Buches fliehen sie über die Straße und erleben entlang der Straße ihre Abenteuer. Was fehlt, sind der Film und die Jagd. Dies mag jetzt pedantisch erscheinen, ist aber symptomatisch für die Aufmachung des Buches. Der Klappentext ist zwar teilweise falsch, gibt aber genug preis, um etwa die Hälfte des Buches zu verraten. Der deutsche Titel hat relativ wenig mit dem Buch zu tun und bezieht sich wohl als eine Art Wortspiel darauf, dass der eigentliche Bösewicht „Kalt“-blütig agiert und außerdem die Helden den Nordpol besuchen. Oder vielleicht soll er sich auch an bekannte Horrorromane mit Einworttiteln anlehnen und damit die Verkaufszahlen in die Höhe schnellen lassen. Was schade ist, da der Originaltitel „By the Light of the Moon“ (Beim Licht des Mondes) wesentlich besser zum Buch passt und auch als Satz zentrale Bedeutung für die Akteure erlangt. Und warum gerade ein Insekt für das Cover-Bild gewählt wurde, vermag vermutlich nur der Designer zu sagen – besonders bei dem Titel.

Wenigstens hat man darauf verzichtet, das Buch als Horrorroman, Thriller oder Science-Fiction zu bezeichnen, denn dies wird dem Roman nicht gerecht, weil dieser sich mit dem etwas kitschigen Schluss in das Genre der Superhelden begibt.
Dabei fängt die Geschichte mit einem Schwall an gewaltigen Bildern an, die zwischen Kitsch („Der verblichene Tag war inzwischen in der Erde, im Asphalt vergraben. Dem Auge entzogen, aber spürbar, spukte sein Geist durch das nächtliche Arizona: ein heißer Geist, der träge von jedem Zoll des Bodens aufstieg …“) und Detektivbüro-Sprache („Die zeitgenössische Kultur passte Dylan O´Conner etwa so gut wie ein dreifingriger Handschuh …“) hin und her schwanken.
Nachdem man jedoch erfahren hat, dass es sich bei dem Charakter, aus dessen Perspektive der Roman begonnen wird, um einen Künstler namens Dylan O´Connor handelt, der in der Welt nur die wunderbarsten Bilder wahrnimmt, wird klar, dass diese Sprache als Stilmittel gedacht ist, um die Perspektiven der Akteure zu verdeutlichen. Denn der zweite Hauptakteur, die Comidiene Jill Jackson, sieht die Welt mit anderen Augen, und diese Sichtweise wird dem Leser auch vermittelt. Besonders interessant wird das Buch jedoch immer dann, wenn Dylans Bruder, der autistische Shepard, in das Geschehen einbezogen wird, denn Koontz hat sich große Mühe gegeben, die Probleme, die Shepard selbst mit der Welt und vor allem seine Begleiter Dylan und Jill während der Flucht mit ihm haben, herauszuarbeiten.
Immer wieder sagt er seine Mantras auf, begibt sich in eine Ecke, um die Welt auszuschließen und gibt sinnlose Dinge von sich, die aber mit der Zeit Bedeutung gewinnen. So wird auch ein guter Teil der Spannung während der Szenen, in denen es tatsächlich um den Konflikt mit den Verfolgern geht, daraus gewonnen, dass Shepard nicht angemessen auf die Situation reagieren kann und damit sich und seine Begleiter in Gefahr bringt.
Dieses Stilmittel hat aber zwischenzeitlich auch den Effekt, dass es die Handlung in die Länge zieht und man versucht ist, Teile des sich nur geringfügig ändernden Dialoges zwischen Shepard und Dylan zu überspringen. Genauso gehen die Übercharakterisierungen der Protagonisten irgendwann ein wenig auf die Nerven, da man das Gefühl bekommt, dass die Personen nur existieren, um ihre Neurosen auszuleben.

Wie vielleicht auffällt, hat sich diese Rezension bisher wenig mit dem tatsächlichen Inhalt des Romans beschäftigt. Dies liegt nicht daran, dass es dem Buch an Spannung mangelt, sondern daran, dass der Inhalt bereits überwiegend auf dem Klappentext beschrieben wird:
Ein verrückter Wissenschaftler injiziert drei Personen gegen ihren Willen ein Mittel, welches sie verändert und dazu führt, dass sie dank des Mittels besondere Fähigkeiten entwickeln und sich gezwungen sehen, anderen zu helfen. Das Mittel hatte bei vorherigen Testpersonen zu brutalen Übergriffen geführt, weswegen einige Mörder auf die neuen Probanden angesetzt werden. Diese Söldner tauchen tatsächlich einmal im Buch als echte Bedrohung auf, verschwinden jedoch die meiste Zeit hinter der Action, die die guten Taten mit sich bringen. Nicht wirklich überraschend, war die Auswahl der drei Helden nicht zufällig, da der Wissenschaftler zu zweien von ihnen eine ihnen bis dahin nicht bekannte Beziehung hatte. Und nachdem man noch ein paar Dinge erledigt hat, ist alles gut und man ist mit sich und den bisher am Körper eingetretenen Veränderungen im Reinen.

Wie bereits geschrieben, ist der Roman tatsächlich spannend und diese Zusammenfassung wird der Spannung nicht gerecht, aber die eigentliche Spannung liegt auch nicht in der Geschichte, sondern in den Akteuren, die das Buch lesenswert machen. Herauszuheben ist dabei noch die Figur des Wissenschaftlers, welcher in seiner selbstanklagenden Art tatsächlich hassenswerter ist als so mancher manische Psychopath, besonders nachdem man schließlich erfahren hat, was wirklich hinter seinen Selbstanklagen steckt. Daher kann ich den Roman durchaus als Ferienlektüre empfehlen.

|Orginaltitel: A Maze of Death
übersetzt von Yoma Cap, überarbeitet von Alexander Martin|

_Peter Singewald_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Rainer Wekwerth – Das Hades-Labyrinth

Der Autor:

Rainer Wekwerth wurde 1959 geboren und hat bereits unter einem Pseudonym mehrere Buchtitel veröffentlicht. Heute lebt der Mann in Stuttgart und hat just mit „Das Hades-Labyrinth“ sein neuestes Werk auf den Markt gebracht. Nähere Informationen zu diesem Thriller-Autor sind unserem Interview mit ihm zu entnehmen.

Handlung:

Daniel Fischer hat alles verloren. Sein Körper ist schwer gezeichnet von den schwerwiegenden Ereignissen, die gerade erst zurückliegen, seine Frau hat ihn verlassen, weil Daniel seinem ‚alten‘ Leben aufgrund der grausamen Erfahrungen nicht mehr nachgehen kann, und wegen seiner Verletzungen ist es ihm auch nicht mehr möglich, seinem Job als Gesetzeshüter nachzugehen. Doch was ist geschehen?

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Kinkel, Tanja – Götterdämmerung

Ein guter amerikanischer Thriller aus deutschen Landen, Götterdämmerung soll genau so etwas sein. Pharmakonzerne, CIA, ein investigativer Journalist und eine schöne junge Frau, die es eigentlich gar nicht geben kann. Da grüßen die bekannten Thrillerautoren, aber Tanja Kinkel kann über weite Teile gut mit ihnen mithalten.

Dies ist die Geschichte von Neil LaHaye, einem Journalisten und Schriftsteller, der einmal mit investigativen Büchern unter anderem über die Krebsopfer von Atombombenversuchen berühmt wurde. Das letzte Buch war über Guantanamo, und das war gar nicht nett. Deswegen ist er jetzt verrufen, deswegen hat er seine Frau verloren – die leider die Stabschefin eines Senators ist. Dann kommt ihm ein neues Thema auf die Tastatur: AIDS. Und dort findet er die Spur eines genialen Wissenschaftlers, des Exilkubaners Victor Sanchez. Sein journalistischer Spürsinn springt an, er geht auf die Suche.
In Alaska sitzt am anderen Ende eines medizinischen Chats Beatrice Sanchez, die Tochter des Genies. Die beiden beginnen einen lebendigen Austausch von Wissen und flirten auch ein bisschen miteinander. Neil ist aber auch sonst nicht untätig, fährt nach Miami, wo Sanchez früher wohnte und interviewt einen alten Freund. Währenddessen entdeckt Beatrice auch eine ganze Menge über sich, denn ihre Herkunft und ihre Lichtallergie, die ihr immer wieder eingeredet wurde, sind nicht ganz so echt.
Bald begegnen sich die beiden auch, und irgendwann explodiert die ganze Geschichte in ein Finale, das dem Buch den Namen gab: Götterdämmerung.

Tanja Kinkel hat da eine Geschichte geschrieben, die vielleicht nicht an Dan Brown in Sachen Spannung heranreichen kann, aber auch in hohem Tempo gelesen werden möchte. Schicht auf Schicht wird eine Überraschung auf die andere gestapelt, manchmal mit feiner Klinge, manchmal mit der schweren Keule werden die Schichten zerstört und damit dem Leser aufgezeigt. Das ist alles sehr lesbar, nicht allzu oft humorvoll, aber insgesamt stimmig. Allein, die Glaubwürdigkeit ist doch in vielem beschädigt, zu weit hergeholt die eine oder andere Tatsache, vor allem zu abgedreht das Ende, denn diese Götterdämmerung nimmt nicht wie erhofft den Atem, sondern wirkt irgendwie künstlich angedockt. Nebenbei gibt es zwischendurch das eine oder andere Detail, das nicht so ganz aufgeklärt wird – was hat es zum Beispiel mit dem zweiten auffälligen Ford auf sich? Warum ist es dieses Auto?
Das vielleicht unbrauchbarste ist die völlige Offenheit, die am Ende bleibt – kein Zweifel, es ist völlig in Ordnung, ein offenes Ende zu schreiben, aber damit fällt Beatrice zumindest hinten runter; was ist mit dieser zweiten Hauptfigur, was kann ihr passiert sein? Über die letzten sechzig Seiten kommt sie nicht vor, da stimmt doch etwas im Handwerk nicht, oder?
Vielleicht ist das noch der kleine Unterschied zu den angelsächsischen Thrillerautoren, die bleiben da doch etwas stimmiger. Ein spannendes Buch, das sein Geld durchaus lohnt, denn 500 Seiten gute Spannung sind ja schon etwas, aber kein Buch, das man nie mehr vergisst.

_Holger Hennig_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

[Verlagsseite zum Buch]http://www.droemer-knaur.de/sixcms/detail.php?id=20578

William L. DeAndrea – Schneeblind

deandrea-schneeblind-cover-kleinIn einem abgelegenen Berghaus wird ein heikler Deal besprochen. Der Gastgeber wird umgebracht, der Mörder/die Mörderin muss sich unter den Anwesenden befinden, weshalb der ebenfalls anwesende ‚Problemlöser‘ Matt Cobb provisorisch ermittelt … – Mit dem sechsten Roman der Cobb-Serie beweist Autor DeAndrea, dass sich der klassische Whodunit mit der Krimi-Gegenwart verknüpfen lässt. Das Ergebnis ist genrefest aber letztlich doch ein wenig kalkuliert und arm an Spannung.
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Philip MacDonald – Die Totenliste

Eine Liste mit zehn Namen: Engländer aus allen gesellschaftlichen Schichten vom Landarbeiter bis zum Adligen, Gemeinsamkeiten gibt es nicht. Warum also übergibt Adrian Messenger, der viel gelesene Romane über große Verbrechen schreibt, diese Liste seinem Kriegskameraden und Freund George Firth, Leiter des Criminal Investigation Department von Scotland Yard, und bittet ihn eindringlich, Nachforschungen über den Verbleib der Männer anstellen zu lassen? Einer Gräueltat sei er auf der Spur, mehr lässt sich Messenger nicht entlocken. Nun wird er auf ewig schweigen: Den Absturz des Flugzeugs, das ihn zu weiteren Recherchen in die USA bringen soll, überlebt er nur kurze Zeit. Mit ihm im Wasser des Atlantik treibt der einzige Überlebende: Raoul St. Denis ist ein Journalist, der Messengers letzte, im Delirium gestammelten Worte überliefert.

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Max Allan Collins – CSI Miami: In der Hitze der Nacht

In Miami tötet ein Unbekannter planmäßig prominente Gangleader und löst damit einen Bandenkrieg aus, den er durch weitere Morde immer wieder anheizt. Horatio Caine und die Spezialisten vom CSI-Team bemühen sich verzweifelt, die wenigen Indizien zu einer Spur zum Täter zusammenzusetzen. Erste Hinweise deuten auf einen Verräter in hohen Polizeikreisen, was die Arbeit zusätzlich gefährlich werden lässt … – Krimi nach der erfolgreichen TV-Serie „CSI Miami“: kein drittklassiger Drehbuch-Verschnitt, sondern ein eigenständiger ‚Fall‘, verfasst von einem Genreprofi, der den Ton des Originals trifft und seine Leser zu unterhalten vermag. Max Allan Collins – CSI Miami: In der Hitze der Nacht weiterlesen

Martin, Julia Wallis – Tanz mit dem ungebetenen Gast

Lyndle Hall im Naturschutzpark Northumberland an der Grenze zu Schottland ist ein Ort, an dem es quasi spuken |muss|: Einsam mitten im düsteren, feuchten Moor gelegen und dort schon im Mittelalter erbaut, ist der gewaltige Bau – mehr Trutzburg als Gutshof – heute zu einer halb verfallenen, eigentlich unbewohnbaren Ruine heruntergekommen. Doch die letzten Nachfahren der einst mächtigen und reichen Familie Herrol harren stur in dem alten Gemäuer aus: Claudia, die herrische Dame des Hauses, und ihr Gatte Francis, der gleichzeitig ihr Cousin ist. Der zweifelhaften Verbindung entsprang Sohn Nicholas, der schon seit frühester Kindheit zwischen Lyndle Hall und der Nervenklinik Broughton pendelt.

Zu allem Überfluss beginnen nun auch böse Geister aus dem Jenseits den jungen Mann zu piesacken: Aus dem Nichts erscheinen üble Bissmale auf seinem Körper. Da die Attacken immer heftiger werden, wendet sich die ratlose Mutter an das „British Institute for Paranormal Research“ in Edinburgh. Dort versucht man seit Jahren eher schlecht als recht dem Übernatürlichen auf die Spur zu kommen und reagiert sehr interessiert auf Claudias Bitte, ihr einen Spezialisten zu schicken. Aus trauriger Erfahrung klug und misstrauisch geworden, schickt das Institut Dr. Audrah Sidows, die spezialisiert darauf ist, scheinbare parapsychologische Phänomene und Schwindler zu entlarven. Weil sie in den vielen Jahren ihrer Tätigkeit nie einen echten Spuk entdecken konnte, hat sie nun ihre Kündigung eingereicht: Lyndle Hall wird ihr letzter Hausbesuch sein.

In Lyndle beginnen sich zur selben Zeit sehr irdische Mächte zu formieren. Die Polizei, verkörpert durch Detective Inspector Tate, bemüht sich, die junge Studentin Ginny Mulholland zu finden. Sie war einer Einladung Nicholas Herrols gefolgt, sich als Haushaltshilfe in Lyndle Hall zu verdingen. Seitdem ist sie verschollen – ebenso wie Francis, der Hausherr, mit dem sie nach Auskunft Claudias durchgebrannt ist. Tate mag dem nicht recht Glauben schenken und vermutet eher eine Bluttat des inzwischen völlig irre gewordenen Nicholas‘.

Ginny Mulhollands Verschwinden hat die Aufmerksamkeit der Medien erregt – und den mysteriösen John Cranmer nach Lyndle gelockt. Dieser hat sich einen Namen als Medium gemacht und rühmt sich seiner Kontakte zum Jenseits. Zu gern würde er mit der Polizei zusammenarbeiten und erregt durch seinen Eifer Tates Misstrauen. Aber Cranmer ist gerissen, und niemand weiß dies besser als Audrah Sidows, die ihm schon lange auf die Schliche kommen möchte. Denn er kennt Audrahs gut gehütetes Geheimnis: Vor acht Jahren verschwand ihr Gatte Lars während eines Waldspaziergangs, während er praktisch neben ihr lief – er wurde nie gefunden, und seitdem hofft Audrah insgeheim auf Hilfe aus dem Geisterreich. Cranmer reizt und quält sie mit Andeutungen, die vorgeblich auf seine Sehergabe zurückgehen und gerade so viel Wahrheit enthalten, dass ihm wissenschaftlich oder juristisch nicht beizukommen ist.

Die Situation verwirrt sich weiter, als unweit von Lyndle Hall die junge Rachel Harvey aufgegriffen wird. Sie hat von einer Tante ein Cottage geerbt und dort nun einen Geist gesehen, wie sie behauptet. Solche Neuigkeiten sind Wasser auf die Mühlen von Marion Thomas, die vor zwei Jahren ihre Tochter bei einem tragischen Unglück verloren hat. Die Mutter vermutet allerdings einen vertuschten Mord und terrorisiert die Behörden und die Presse mit ihrem zur fixen Idee geronnenen Verdacht. Da sich der berühmte Cranmer in Lyndle aufhält, beschließt Marion, ihn dort aufzusuchen und um Hilfe zu bitten.

In Lyndle Hall sind die Dinge inzwischen dramatisch in Bewegung geraten. Der emsige Tate hat sich einen Durchsuchungsbefehl beschafft und findet tatsächlich die Leiche einer unter bizarren Umständen umgekommenen jungen Frau – sie muss allerdings schon viele, viele Jahre dort gelegen haben. Der nächste Leichenfund folgt kurze Zeit später, doch auch dieses Opfer ist keineswegs die viel gesuchte Ginny. Das wahre Geheimnis von Lyndle Hall ist höchst komplex; die Beteiligten werden noch manche unschöne Überraschung erleben, bis es endlich gelüftet ist …

Dass die wahren Ausgeburten der Hölle auf dieser Welt in der Regel dem menschlichen Geist entspringen, ist heute eine allseits bekannte und auch akzeptierte Tatsache. Allerdings gibt es da eine Nische oder besser gesagt ein Reservat, in dem einige Fabeltiere aus der Frühzeit der Vernunft bis ins 3. Jahrtausend überleben konnten: das Jenseits oder das Reich der Geister, wo sich die Seelen der Verstorbenen mit Dämonen aller Art und Bosheit ein Stelldichein geben. Wenn sie sich dort langweilen, kommen sie gern auf einen Sprung in diese Welt und geben sich mal kryptisch, mal finster. Auf jeden Fall sind sie schwer zu verstehen und noch schwieriger zu fassen, was praktisch für eine bestimmte Sorte Mensch ist, die sich als Mittler zwischen den Sphären versteht, um auf diese Weise Ruhm oder Geld zu erlangen oder wenigstens die eigene Mittelmäßigkeit zu überwinden.

Alle hier skizzierten Typen treffen wir in „Tanz mit dem ungebetenen Gast“ wieder. Geradezu didaktisch stellt sie uns Julia Wallis Martin vor. Dies geschieht in der ersten Hälfte ihres neuen, im Original wie in der Übersetzung anscheinend gleichzeitig erscheinenden Werkes mit dem dieser Autorin eigenen Geschick, eine spannende Handlung nicht nur erfinden, sondern zügig und einfallsreich und mit vielen unerwarteten Hakenschlägen einem furiosen Höhepunkt zuzutreiben. Das Ganze spielt in einer liebevoll gestalteten Kulisse, die ohne Angst vor dem Klischee (und wohl auch ein wenig ironisch) mit allen Requisiten ausgestattet wurde, die uns die klassische Gespenstergeschichte lieb und teuer werden lässt.

Der Abstecher ins Phantastische überrascht dabei nur im ersten Augenblick. Wie immer bei Martin steht im Mittelpunkt der Mensch, der keine Geister braucht, um sich und den Seinen das Leben schwer zu machen. Deshalb folgt in der zweiten Hälfte die „logische“ Auflösung aller seltsamen Ereignisse, die sich beim „Tanz“ zugetragen haben. Dies sei an dieser Stelle verraten, ohne dass dadurch dem Leser die Spannung genommen werde; eine echte Überraschung ist es ohnehin nicht, da Wallis selbst diese Katze frühzeitig aus dem Sack lässt.

Überhaupt sind zur zweiten Hälfte von „Tanz mit dem ungebetenen Gast“ einige kritische Anmerkungen zu machen. Martin verfängt sich dort sichtlich im Geflecht ihrer Handlung, das sie selbst so kunstvoll gewoben hat. Vielleicht hätte sie besser nicht das gesamte Handbuch des Okkulten und einen Crashkurs in Küchen-Psychologie zu einem einzigen, dazu nicht sehr umfangreichen Roman verarbeitet. Die Erklärungen für das scheinbar Übernatürliche sind jede für sich überzeugend. In ihrer Gesamtheit und vor allem im Zusammenspiel stellen sie die Geduld des Lesers indes auf manche Probe. Und während ihn die Thriller-Maschine zunächst gut geölt und wie auf Schienen dem Höhepunkt entgegenträgt, schaut er im Finale unter die weit geöffnete Motorhaube: Nun wird allzu offensichtlich, wie die Geschichte konstruiert ist, und das mindert den Spaß an der Reise.

Viel macht Martin im Detail wieder wett. Unter die Haut geht auf jeden Fall die Figur der Marion Thomas, die über den Tod ihrer Tochter gemüts- oder gar geisteskrank geworden ist, an ein simples Unglück als Erklärung weder glauben kann noch will und stattdessen Gott und die Welt verfolgt und bedrängt auf der Suche nach einem Schuldigen, den es nicht gibt – ein Kabinettstück echten psychologischen Thrills, auch wenn diese Marion Thomas mit der eigentlichen Geschichte streng genommen gar nichts zu tun hat. Sie existiert allein zu dem Zweck, die Figur des Mediums Cranmer stärker zu konturieren. Dabei kann dieser auch ohne rasendes Muttertier sehr gut bestehen. Ist er ein geltungssüchtiger Lügner, oder hat er doch einen Draht nach drüben? Auch als im Finale erklärt und erläutert wird, bis des Lesers Kopf raucht und die Geister in hellen Scharen zurück in die Twilight Zone fliehen, bleibt ein Rest Ungewissheit: ein kluger Schachzug der Autorin. Solche Offenheit hätte man sich öfter gewünscht; nicht weil Martin die Geistergläubigen dieser Welt so unbarmherzig zaust – denen kann eine Dosis gesunder Realitätssinn (oder ein tüchtiger Tritt in den Hintern) eigentlich niemals schaden -, sondern um der Geschichte willen.

So muss Julia Wallis Martin letztlich vor demselben Problem kapitulieren, das seit jeher auch Autoren größeren Kalibers zu schaffen macht: Das Grauen im Angesicht des Übernatürlichen ist schwierig heraufzubeschwören und ein flüchtiges Gut. Erklärungen lassen es dahinschmelzen wie Butter unter der Sonne. Doch der Leser einer fiktiven Geschichte wie der vom „Tanz mit dem ungebetenen Gast“ will nicht belehrt, sondern unterhalten werden. Daher ist er bereit zu billigen, was er in der Realität verlacht. Werden seine Illusionen gar zu unbarmherzig zerstört, stellt sich kein zufriedener „Aha!“-Effekt, sondern Enttäuschung ein – und genau das geschieht hier und fügt dem Roman unnötigen Schaden zu.

Jungstedt, Mari – Den du nicht siehst

_Sommer in Gotland_

Helena Hillerström und ihr Lebensgefährte Per Bergdal machen Kurzurlaub in ihrem Ferienhaus auf Gotland und feiern mit Freunden eine kleine Party, zu der auch Helenas guter Freund Kristian Nordström eingeladen ist. Als sie ausgelassen mit Kristian zu tanzen beginnt, entreißt Per seine Freundin aus Kristians Armen und zerrt sie auf die Veranda. Dort schlägt er sie und beendet damit die zunächst so heitere Party. Als Helena am nächsten Morgen vor Per erwacht, geht sie mit ihrem Labradorhund Spencer am Strand spazieren. Im Nebel sieht sie nicht, wie sich ihr Mörder langsam nähert … Kurz darauf findet ein Spaziergänger ihre Leiche im Wald.

Nun beginnen für Anders Knutas und seine Kollegen von der Gotländer Polizei die Ermittlungsarbeiten. Zunächst wird Per Bergdal als Tatverdächtiger festgenommen, auch wenn Knutas an dessen Unschuld glaubt. Doch als die zweite Frauenleiche entdeckt wird, während Bergdal in Untersuchungshaft sitzt, muss von einem Serientäter ausgegangen werden, der sich noch in Freiheit aufhält.

Der Journalist Johann Berg ist zusammen mit seinem Kameramann Peter Bylund nach Gotland gereist, um vor Ort über die Morde zu berichten. Dabei lernt er Emma Winarve kennen, eine gute Freundin Helenas, die noch unter dem Verlust ihrer Freundin leidet. Während Johann sich Hals über Kopf in Emma verliebt, beginnt es in deren Ehe zu kriseln.

Als die dritte Frau brutal ermordet wird, gerät Knutas immer mehr unter Druck, die Touristensaison auf der malerischen Ferieninsel steht bevor, doch wächst die Angst unter der Bevölkerung, sodass die Urlauber auszubleiben drohen …

_Eine Schnitzeljagd_

Mit „Den du nicht siehst“ hat Mari Jungstedt einen spannenden und temporeichen Debütroman vorgelegt, der auf vielversprechende Fortsetzungen hoffen lässt. Ähnlich wie ihr schwedischer Kriminalautorkollege Henning Mankell verschwendet auch Jungstedt anfangs keine Zeit, kurz stellt sie das erste Opfer vor, um dann auch sogleich den Mörder zuschlagen zu lassen. So gibt es im gesamten Buch keine einzige Durststrecke, stetig baut Jungstedt mehr Spannung auf, indem sie ihren Lesern nach und nach immer mehr Details über den Mörder präsentiert, die zum Miträtseln animieren und dem Leser tatsächlich schon früh die nötigen Informationen zuspielen, um den Mörder etwa auf der Hälfte des Buches zu entlarven. An dieser Stelle merkt man dann auch, dass die Autorin ihre Schnitzeljagd noch nicht so ausgefeilt inszeniert wie erfahrene Kriminalautoren, die ihre Leser gekonnt an der Nase herumführen können.

In diesem Roman sind es also nicht die ganz subtilen Hinweise, die den Täter erahnen lassen, sondern konkrete Informationen, die schnell in die richtige Richtung weisen. Auch streut Jungstedt zwischendurch kursiv gedruckte Abschnitte ein, die uns in die Gedanken des Serienmörders hineinversetzen und seine Motive und Teile seiner Vergangenheit erkennen lassen. Während Anders Knutas und seine Kollegen also lange im Unklaren gelassen werden über die Verbindungen zwischen den Opfern, ahnt der Leser bereits den Zusammenhang und ist dem Ermittlungsstand der Polizei dadurch meist weit voraus. Knutas tappt lange Zeit im Dunkeln, da die Polizei nur wenige Spuren finden kann und dem Tatmotiv und Mörder kaum auf die Schliche kommt. An mancher Stelle hätte ich mir diese Schnitzeljagd etwas raffinierter gewünscht, denn den ermittelnden Beamten werden zu wenige Beweisstücke geliefert, um wirklich intensiv nach dem Mörder fahnden zu können.

Den Spannungsbogen lässt die Autorin geschickt ansteigen, denn nach dem ersten Mord werden zunächst einige interessant erscheinende Personen vorgestellt und ein paar falsche Fährten ausgelegt, bevor es dann auch bald zum zweiten Mord kommt. Mari Jungstedt verschwendet wirklich keine Zeit, schreibt nur kurze Kapitel und lässt genau im richtigen Moment den nächsten Mord geschehen, um ihre Leser so sehr an das Buch zu fesseln, dass einem beim Lesen die Finger kribbeln und das Herz zu rasen beginnt. Die Autorin lässt eine dermaßen spannungsgeladene und düstere Stimmung aufkommen, dass man gebannt ist von der Erzählung und das drohende Unglück spüren kann.

_Aufkeimende Liebe_

Umrahmt wird die spannende Kriminalgeschichte von dem Kennenlernen zwischen Emma Winarve und Johann Berg, die sich im Laufe der Ermittlungen und von Johanns Nachforschungen für seine Fernsehberichte begegnen und sogleich ihre gegenseitige Anziehung spüren. Doch Emma ist verheiratet und Mutter von zwei kleinen Kindern, sodass ihr schlechtes Gewissen sie zunächst von Johann fernhält und an ihrer Ehe festhalten lässt. Aber gerade die schrecklichen Ereignisse sind es, bei denen ihr fürsorglicher Ehemann Olle ihr nicht genügend Rückhalt geben kann, sodass Emma sich in Johanns Arme flüchtet. Mari Jungstedt nimmt sich viel Zeit, um diese beiden Personen, ihre Gedanken und Gefühle vorzustellen.

Auf der einen Seite haben wir den ehrgeizigen Journalisten Johann Berg, der sich seinen geheimen Informanten zunutze macht, um als Erster brisante Details veröffentlichen zu können, die die Polizei aus ermittlungstechnischen Gründen gerne zurückhalten würde. Johann handelt hier teilweise sehr rücksichtslos und ist nur auf seine eigene Karriere bedacht, die er egoistisch vorantreiben will. Erst als er Emma kennen lernt und sich in sie verliebt, zeigt er seine menschlichen Charakterzüge. Auf der anderen Seite haben wir die einst so glückliche Emma Winarve, der nach dem Mord an ihrer besten Freundin zum ersten Mal bewusst zu werden scheint, dass ihre Ehe ihre besten Tage offensichtlich schon gesehen hat. Erst die tragischen Ereignisse und die Begegnung mit Johann rütteln sie auf und lassen sie nachdenklich werden; Jungstedt beschreibt gekonnt Emmas zwiespältige Gefühle und lässt bis zum Schluss offen, für welchen Mann Emma sich entscheiden wird.

Gegen Johanns und Emmas detailreiche Vorstellungen rückt Anders Knutas fast schon in den Hintergrund, obwohl er die Ermittlungen leitet und somit eine zentrale Stellung einnimmt. Doch auch Knutas erhält seinen Raum in dieser Erzählung, er wird uns sehr realistisch präsentiert, mit einem ausgefüllten Privatleben, einer verständnisvollen Ehefrau und mit aufkeimenden Zweifeln und einer Verzweiflung angesichts der schrecklichen Geschehnisse auf der idyllischen Ferieninsel. Knutas ist ein Hauptkommissar, der trotz seiner Arbeit immer Mensch geblieben ist. In seiner Darstellung gefällt Knutas gut, sodass ich gern mehr über ihn lesen möchte.

In ihren Ausführungen offenbart Mari Jungstedt ein Talent für Personenbeschreibungen und die realistische Wiedergabe menschlicher Gefühle. Besonders eindrucksvoll gelingen ihr die Schilderungen von Emmas Trauer, die sich in vielen Passagen wiederfindet, beispielsweise in dieser: |“Im Moment musste sie alle Kraft aufwenden, um durchzuhalten. Um nicht zusammenzubrechen. Sie musste sich um die Kinder kümmern. Um Sara und Filip. […] Aber wie sollte Emma das alles schaffen? Natürlich würde der Schock irgendwann abklingen. Würde die Trauer weniger greifbar sein, aber sie vermisste Helena so sehr, dass es wehtat. Und damit würde sie nicht so schnell fertig werden. Und wie sollte sie verarbeiten, was hier passiert war? Dass ihre allerbeste Freundin auf eine Weise ermordet worden war, die sonst nur in Filmen vorkam?“| In diesen Momenten kann der Leser Emmas Trauer und Verzweiflung praktisch selbst mitfühlen, man möchte Emma in den Arm nehmen und trösten, so sehr lässt Jungstedt uns trotz der an sich so schnörkellosen Sprache Anteil haben an den Gefühlen ihrer Protagonisten.

_Ein beachtliches Debüt_

„Den du nicht siehst“ ist ein temporeicher Kriminalroman, der seine Leser gekonnt fesseln kann, sodass man nicht umhin kommt, das Buch so schnell wie nur irgend möglich durchzulesen. Mit fast zittrigen Händen hält man den Roman, während es einem kalt den Rücken herunterläuft, weil man das drohende Unglück fast schon körperlich spürt. Mari Jungstedt weiß ihre Leser mitzureißen und zu unterhalten, sie baut eine bedrohliche Atmosphäre auf und entwickelt glaubwürdige Charaktere, mit denen man fühlt und über die man mehr lesen möchte. Die Schnitzeljagd ist nicht ganz so ausgefeilt, wie man sich das gewünscht hätte; leider schafft Jungstedt es nicht, den passionierten Krimileser an der Nase herumzuführen, denn mit seinem ersten Tipp kann man den Mörder korrekt entlarven. Dennoch bleibt „Den du nicht siehst“ ein beachtlicher Erstlingsroman, der auf mehr hoffen lässt.

John MacLachlan Gray – Der menschliche Dämon

Inhalt

London ist 1852 ein Schmelztiegel unzähliger Menschen, die meist mehr schlecht als recht ihr Leben fristen. Unter ihnen: Edmund Whitty, Sonderberichterstatter des „Falcon“, ein überarbeiteter, unterbezahlter, verschuldeter Zeilenschinder, der Tragödien, spektakuläre Unfälle und Verbrechen publizistisch ausschlachtet. Die ständige Jagd nach der nächsten Sensation hat ihn zermürbt, den Katzenjammer betäubt er mit Alkohol und Drogen, Schuldeneintreiber jagen ihn.

Lange hat der Frauenmörder „Chokee Bill“ die finsteren Gassen der Slums unsicher gemacht. Jetzt wartet er in der Todeszelle auf den Henker. Allerdings leugnet er, ein Serienmörder zu sein. Whitty besucht Bill – eigentlich William Ryan –, hört seine Geschichte und wird nachdenklich. Zwar glaubt er dem Mann nicht unbedingt, aber er braucht dringend eine neue Story. John MacLachlan Gray – Der menschliche Dämon weiterlesen

C. V. Rock – Die Göttin des Todes

rock-goettin-cover-kleinEiner in Afrika geraubten Götzenfigur fallen in New Orleans Pechvögel gleich serienweise tot vor die Holzfüße. FBI-Agent Willard hegt den Verdacht, dass weltliche Schurkentücke im Spiel ist … – Neuauflage eines Heftkrimis, verfasst von einem Pionier des deutschen Trivialromans; die Story weist sämtliche Vorzüge (geradlinige Handlung, angstfreier Umgang mit dem einfach nur Spannenden) und Nachteile (stilistische Armut, staubige Klischees) dieser Gattung auf, kann aber unter Berücksichtigung des Nostalgiefaktors durchaus unterhalten.
C. V. Rock – Die Göttin des Todes weiterlesen

Jungstedt, Mari – Näher als du denkst

Seit der schwedische Autor Henning Mankell seinen Erfolgskommissar Kurt Wallander außer Dienst gestellt hat, ist so mancher Freund des so genannten „Schwedenkrimis“ auf der Suche nach einem Ersatz(anti)helden. Wallander hinterlässt nun einmal eine ziemlich große Lücke. Eine recht hoffnungsvolle Vertreterin des gleichen Genres ist die Schwedin Mari Jungstedt. Doch auch ihr ermittelnder Kommissar Anders Knutas ist kein Wallander-Ersatz. Das ist trotzdem kein Grund zur völligen Resignation, denn Knutas, den sie in ihrem mittlerweile zweiten Krimi „Näher als du denkst“ an die Spitze ihres Ermittlerteams stellt, macht keine allzu schlechte Figur.

Handlungsort von Jungstedts Krimiromanen ist das beschauliche Gotland vor der Küste Schwedens. Es ist November, der trostloseste und düsterste Monat des Jahres, als die Leiche von Henry Dahlström gefunden wird. Dahlström war ein stadtbekannter Säufer, der sich früher einmal als erfolgreicher Fotograf verdingt hatte, bis er dem Alkohol verfiel. Nun wird er mit eingeschlagenem Schädel in seiner Dunkelkammer gefunden. Ein Streit unter Alkoholikern? Oder steckt mehr hinter dem Mord?

Wenig später verschwindet die 14-jährige Fanny spurlos. Nicht nur Kommissar Anders Knutas muss sich mit seinem Team nun die Frage nach einem Zusammenhang zwischen beiden Fällen stellen. Auch der Journalist Johan Berg, der als Lokalreporter für das Fernsehen nach Gotland reist, stellt sich diese Frage. Berg kann mit seiner Arbeit ein wenig zum Voranschreiten der Ermittlungen beitragen, doch in welche Richtung sich die Ermittlungen entwickeln, ahnt auch Anders Knutas erst zu spät. Und plötzlich wird die Situation für den Kommissar brenzlig …

Das vollmundige Lob der |Hörzu| im Klappentext stimmt hoffnungsvoll. „Ein echter Schwedenkrimi: spannend, hart und doch einfühlsam“, heißt es dort. Das kann man größtenteils durchaus so stehen lassen, auch wenn diese Art der Lobpreisung bei näherer Betrachtung ein wenig dick aufgetragen erscheint. Dennoch, es ist ein solider Krimi, den Mari Jungstedt abgeliefert hat. Spannung ist da garantiert.

Obwohl mir die Kenntnis ihres ersten Romans „Den du nicht siehst“ fehlt, ist es offensichtlich, dass Jungstedt ihre beiden Romane als sich fortsetzende Reihe aufbaut. Immer wieder nimmt sie Bezug auf Ereignisse, die vor den im Buch geschilderten liegen. Der Fall des ersten Romans findet hier und da immer mal wieder Erwähnung und auch die Figuren weisen eindeutig eine sich fortentwickelnde Geschichte auf. Da kann es durchaus ratsam sein, vor der Lektüre von „Näher als du denkst“ zum Erstlingswerk zu greifen, zumindest, wenn man sich die Spannung erhalten will. All denjenigen, die Mankells Wallander-Romane in der falschen Reihenfolge gelesen haben, dürfte diese Problematik bekannt vorkommen.

Der Romanaufbau hat es durchaus in sich. Jungstedt entwickelt viele Figuren und wechselt immer wieder die Perspektive. Das ergibt eine teils recht sprunghafte Erzählweise, bei der man zu Anfang erst einmal im Geiste die Figuren sortieren muss, zeigt aber auch sehr deutlich, dass Jungstedt ihre Charaktere sehr wichtig nimmt. Sie legt ein deutliches Gewicht auf zwischenmenschliche Dinge. Der eigentliche Fall wird dadurch immer mal wieder an den Rand gedrängt.

Besonders ausführlich wird der Journalist Johan Berg beleuchtet. Berg wird zwischendurch mehr oder weniger zur heimlichen Hauptfigur. Jungstedt legt zum Teil ein deutliches Gewicht auf die Arbeit der Presse in dem Fall, was kein Wunder ist, denn schließlich kann sie als Journalistin und Nachrichtensprecherin für das schwedische Fernsehen hier Erfahrungen aus erster Hand einfließen lassen. An der Authentizität des Geschilderten gibt es also gerade mit Blick auf die Pressearbeit keinen Zweifel, so dass der Roman eine durchweg glaubwürdige Note erhält.

Besonders intensiv betrachtet Jungstedt das Verhältnis zwischen Johan Berg und der Gotländerin Emma. Zwischen den beiden besteht eine schon im Vorgängerroman entstandene, reichlich verzwickte Liebesgeschichte, der sich Jungstedt sehr ausführlich widmet. Im Vergleich dazu kommt die eigentliche Hauptfigur Anders Knutas schon fast ein bisschen zu kurz. Knutas ist ein Mann mittleren Alters von ausgeglichenem Gemüt, pfeiferauchend und mit Familiensinn und somit ein ziemlicher Kontrast zum schwedischen Vorzeigekommissar Wallander.

Am Ende ist es dann allerdings der Spannungsaufbau, der unter der Sprunghaftigkeit der Erzählperspektiven ein wenig leidet. Man möchte als Leser am liebsten nur noch den weiteren Verlauf des Falls verfolgen, wird von Jungstedts Perspektivenwechseln aber immer wieder davon weggezerrt. Gerade in den Momenten, wo die Spannung drauf und dran ist, ihren Höhepunkt zu erreichen, sorgen die Perspektivenwechsel immer wieder für zwischenzeitliche radikale Spannungsabfälle.

Dabei baut Jungstedt den Roman ansonsten durchaus atmosphärisch auf. Sie erzeugt Stimmungen, macht die Gefühle der Protagonisten greifbar, baut ihre Figuren glaubwürdig auf und lässt vor dem Auge des Betrachters das kalte, ungemütliche Gotland im November aufleben. Die Atmosphäre ist dicht und mit steigender Seitenzahl wird auch die Spannung immer greifbarer. Jungstedts Erzählweise wirkt routiniert und gefällig, so dass sich das Buch recht flott und flüssig durchlesen lässt, sticht aus der Masse der Kriminalromane aber auch nicht sonderlich hervor.

Wenn man am Ende des Buches dann zurückblickt, fällt einem auf, dass der Fall an sich gar nicht so komplex ausfällt. Die eigentliche Kriminalgeschichte nimmt halt nur einen Teil des Buches ein, und so kann es logischerweise auch keine ganz so ausführlichen und komplexen Schilderungen der Ermittlungen geben. Die Spannung wird ganz gemächlich aufgebaut, was aber durchaus seinen Reiz hat. Auch die Auflösung des Falls ergibt sich fast aus dem Nichts, ohne von langer Hand herbeigeführt zu werden, und mag für den routinierten Krimileser nicht sonderlich überraschend sein.

Ob das nun positiv ist oder nicht, lässt sich schwer definieren und hängt gänzlich vom Blickwinkel des Lesers ab. Während dem einen der eigentliche Kriminalfall zu kurz kommen wird, wird der andere Jungstedts einfühlsame Erzählweise loben, ihren Blick für die Figuren und die Art, wie sie diese auch in ihrer weiteren Entwicklung verfolgt. Damit haben sicherlich beide Gruppen Recht. Betrachtet man „Näher als du denkst“ als Teil einer Krimireihe, so lässt sich dieser Balanceakt zwischen Figurenbetrachtung und Kriminalgeschichte durchaus positiv bewerten, denn so bekommen die Figuren eben mit jedem weiteren Roman mehr Tiefe. Das ist eben auch dann positiv zu sehen, wenn man bedenkt, dass charakterliche Entwicklungen in vielen Krimis oft zu kurz kommen. Und so gesehen, ist „Näher als du denkst“ dann sicherlich auch ein Roman, der nicht nur speziell Krimileser anspricht, sondern auch eine Leserschaft, die sonst eher auf allgemeine Belletristik festgelegt ist.

Kurzum: Mari Jungstedt hat mit „Näher als du denkst“ ein durchaus interessantes Stück Kriminalliteratur abgeliefert. Sie nimmt sich viel Zeit, um ihre Figuren zu entwickeln, Spannung aufzubauen und eine dichte Atmosphäre zu schaffen. Sie wechselt stetig die Perspektive und gibt der Geschichte dadurch mehr Tiefe, während sie mit fortschreitender Seitenzahl dadurch allerdings auch den Spannungsbogen immer wieder unterbricht. Das trübt am Ende ein wenig die Freude, dennoch bleibt „Näher als du denkst“ als durchaus solide Krimikost im Gedächtnis.

Kim Småge – Ein kerngesunder Tod [Anne-kin Halvorsen 3]

Im norwegischen Trondheim werden Nachwuchssportler per Doping zu Höchstleistungen gebracht – oder zu Tode, weshalb Kommissarin Anne-kin Halvorsen in ihrem dritten Fall gegen eine Mafia antritt, gegen die sich ihr klassisches Vorbild als geradezu schwatzhaft erweist … – Schon angejahrter aber inhaltlich keineswegs veralteter Krimi, dessen Autorin erfreulich zügig und ohne allzu ausgeprägten skandinavischen Weltschmerz ihr Garn spinnt.
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Robert K. Tanenbaum – Kennedys Kopf [Roger Karp 7]

Ende der 1970er Jahre wird das Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy neu aufgerollt. Die Untersuchung stört alte Verschwörer auf, die sich in Sicherheit wiegen und längst hohe politische Ämter innehaben. Der Killer wird erneut ausgeschickt, um den lästigen Ermittler auszuschalten … – Zwar unter Nutzung alter Verschwörungs-Klischees aber höllisch spannend entwickelt der Verfasser eine ‚logische‘ Version des JFK-Rätsels und ringt dem Mythos vom Mordkomplott eine tolle Story ab.
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Hillerman, Tony – Labyrinth der Geister, Das

„Das Labyrinth der Geister“ ist bereits 1978 unter dem Originaltitel „Listening Woman“ erschienen und war der insgesamt dritte Kurzroman von Anthony C. Hillerman. In Deutschland wurde das Buch allerdings erst elf Jahre später zum ersten Mal aufgelegt, nämlich 1989 im |Rowohlt|-Verlag. In diesem Jahr folgt nun eine Neuauflage dieses Titels, der für mich auch die erste Begegnung mit dem Autor darstellte.

_Der Autor_

Tony Hillerman wurde 1925 als Farmerssohn in Sacred Heart, Oklahoma, geboren und besuchte als Tagesschüler acht Jahre lang ein Internat für Indianer. Hier entwickelten sich auch erste Themenschwerpunkte für seine späteren Romane. Neben seinen Tätigkeiten als Journalist und Dozent an der University of New Mexico begann er Ende der Sechziger Kriminalromane zu schreiben. Für seine Ethno-Thriller um die Navajo-Cops Jim Chee und Joe Leaphorn wurden ihm unter anderem der |Edgar Allen Poe Award| und der |Grandmaster Award| der |Mystery Writers of America| verliehen sowie der |Center for the American Indian’s Friend Award| und der |Navajo Tribe’s Special Friend Award|. Hillermans Romane wurden in 17 Sprachen übersetzt. Der sechsfache Vater lebt mit seiner Frau in Albuquerque, New Mexico. Eine Übersicht seiner Romane kann man [hier]http://www.rororo.de finden.

_Inhalt_

Der Navajo-Indianer Hosteen Tso ahnt Schlimmes; sein Gefühl sagt ihm, dass etwas Schreckliches geschehen wird. Daher fragt er Magaret Cigaret, besser bekannt als „Listening Woman“ (eine weise Frau, die die Stimmen der Götter und Geister hören und verstehen kann), um Rat. Doch ihre Hilfe nutzt Tso nicht mehr viel – kurze Zeit später wird der alte Mann zusammen mit der jungen Anna Atcitty tot aufgefunden, brutal erschlagen und von unbekannten Tätern ermordet.

Ein halbes Jahr lang wird der Fall bearbeitet, jedoch kann die lokale Polizeistation keine Fortschritte machen. Joe Leaphorn, seines Zeichens Lieutenant bei den örtlichen Cops, interessiert sich für den Fall und lässt dabei seine eigentliche Aufgabe, sich bei einem Pfadfindercamp als Sicherheitskraft zu engagieren, fallen. In diesem Entschluss wird er noch bestärkt, als er von einem zuvor angehaltenen Raser angefahren wird und dieser nachfolgend nicht mehr ausfindig zu machen ist.

Leaphorn möchte dem Sträfling auf die Schliche kommen und wird so auch immer wieder mit dem Mord an Tso konfrontiert, denn der geflüchtete Raser muss irgendwo in der Nähe von Hosteens Hogan untergetaucht sein.

Doch dies sind nicht die einzigen mysteriösen Vorfälle im Gebiet der Navajos. Seit einigen Monaten wird ein Hubschrauber vermisst, der Zeugenaussagen zufolge sogar im Lake Powell versunken sein soll, dort aber nie entdeckt werden konnte. Außerdem tauchen nach und nach Personen auf, die in irgendeiner Weise mehr zu wissen scheinen, als sie eigentlich preisgeben. Darunter befindet sich neben der leicht hysterischen Theodora Adams auch der mittlerweihe zum Priester ausgerufene Sohn Tsos, Benjamin Tso, dessen Rückkehr ebenfalls unter unerklärlichen Umständen vor sich ging.

Was haben all diese Leute mit dem Mord am Navajo-Weisen zu tun? Welche Rolle spielt der untergetauchte Raser, der eine Brille mit breitem Goldrand trägt? Was weiß „Listening Woman“ Magaret Cigaret wirklich? Und in welchem Zusammenhang stehen diese Vorfälle mit dem Verschwinden des Hubschraubers? Joe Leaphorn macht sich auf einen langen Weg in die Tiefen der Canyons, um Antworten auf diese Fragen zu finden, erkennt jedoch viel zu spät, in welche Gefahr er sich da begeben hat …

_Betrachtungen_

Eines bleibt direkt mal festzuhalten: Von der gesamten Erzählweise her ist „Das Labyrinth der Geister“ wirklich einzigartig. Hillerman verschafft uns Einblicke in eine ganz andere Welt, in für uns schwer zu verstehende Bräuche und Traditionen, in eine Welt, in der Liebe und Hass oft miteinander einhergehen – und in eine Welt, die vor aktuellen Problemen und dem Verbrechen nicht geschützt ist.

Dabei gefällt Hillermans einfacher und doch aussagekräftiger Schreibstil von Anfang an. Jedoch braucht man schon ein paar Seiten, bis man sich mit den ersten Fakten so richtig vertraut machen kann. Der Autor beginnt seine Erzählung nämlich direkt mitten im Geschehen, erspart sich also eine Vorstellung der Charaktere und eine dementsprechende Einleitung voll und ganz. Dies geschieht indes im weiteren Verlauf, und genau dies erschwert manchmal auch den Zugang zur Geschichte. Das eigentliche, dann aber auch einzige Problem ist, dass wichtige Charaktere, die quasi die Handlung prägen und schlussendlich auch entscheiden, erst sehr spät ins Geschehen eingreifen, wohingegen manche anfänglichen Dialoge rückblickend betrachtet vollkommen unwichtig erscheinen. So kommt Hillerman gerade zur Mitte hin ein wenig ins Schwanken, denn auf einmal stehen völlig neue Handlungsträger im Mittelpunkt, und sie alle plus die Zusammenhänge mit gewisssen Vorfällen werden auf engem Raum vorgestellt. Hier hätte Hillerman sich besser mehr Zeit, sprich mehr Seiten gegönnt, denn es wirkt zwischendurch schon einmal ein wenig hektisch.

Die Idee an sich, die Charaktere nach und nach vorzustellen, finde ich hingegen gar nicht schlecht, und es stellt sich für den spannungsvollen Verlauf im Endeffekt sogar als wertvoll heraus, genau so vorzugehen, nur hätte ein wenig Ausschmückung der Sache gut getan.
Davon abgesehen ist „Das Labyrinth der Geister“ ein echter Glücksfall von einem Griff ins Buchregal. Die Story nimmt wirklich sehr breit gefächerte Ausmaße an, von denen man selbst nach hundert Seiten noch nicht viel erahnen könnte. Hier spielen so viele Einzelheiten und Vertrickungen zusammen, dass man die komplexe Handlung erst nach und nach versteht, doch Hillerman gelingt es durch seine wirklich spannende Erzählweise, den Hörer bei der Stange zu halten, so dass man die Hände einfach nicht von diesem Buch lassen kann. Besonders zum Ende hin, als sich die Sache dann aufklärt (?) – ich will nicht zu viel verraten – kommt man gar nicht mehr vom „Labyrinth der Geister“ los und liest die letzten hundert Seiten mit absoluter Hingabe.

Lediglich die Tatsache, dass Hillerman in seinen Beschreibungen ab und zu ein wenig zu übertreiben gedenkt und manchmal einfach zu viele Zufälle gleichzeitig auftreten, wirkt seltsam, fällt aber auch nicht wirklich negativ ins Gewicht. Stattdessen überwiegt der Eindruck, eine sehr gut durchdachte, erst zum Ende voll überschaubare und einfach mitreißende Geschichte gelesen zu haben, die man sich zum Taschenbuch-Preis von knapp neun €uronen ruhigen Gewissens zulegen darf. Ich jedenfalls habe in Sachen Krimi selten eine so gute Geschichte aufgesogen.

Disher, Garry – Willkür

Manche Pechsträhne will einfach nicht abreißen … Vor zehn Monaten haben die Mesics, ein Familienbetrieb in Sachen Kapitalverbrechen, den Berufsverbrecher Wyatt um viel Geld geprellt. Seither ist es stetig abwärts mit ihm gegangen; pleite und wurzellos zieht Wyatt durch das Land. Zu allem Überfluss wird er auch noch von den Killern eines mächtigen Gangstersyndikats aufgespürt, denen er ebenfalls in die Quere gekommen ist.

Jetzt will Wyatt sein Geld zurück – und Rache nehmen! In Melbourne späht er das Anwesen der Mesics aus. Er weiß noch nicht, dass diese selbst in Schwierigkeiten stecken. Der alte Karl, das besonnene Oberhaupt, ist gestorben. Seine Söhne können ihm geistig nicht das Wasser reichen und streiten um die künftige Ausrichtung der „Geschäfte“. Konkurrierende Banden wissen um die Turbulenzen und lauern bereits auf ihre Chance, das Mesic-Territorium zu übernehmen. Die Polizei hält ebenfalls die Augen weit offen; der ehrgeizige Inspector Coulthart will die Mesics hochnehmen.

Nichts kann Wyatt aufhalten; es ist es satt zu flüchten. Dieser Coup muss ihm glücken, koste es was es wolle! Mit einigen ehemaligen Diebeskumpanen heckt er einen riskanten Plan aus, einigt sich sogar mit dem Syndikat. Dass dieses ihn anschließend erst recht umbringen lassen wird, ist ihm klar und wird in seine Überlegungen einbezogen. Freilich kann auch Wyatt nicht die Tücke des Objekts einkalkulieren, das in diesem Fall in Gestalt der korrupten Polizisten Bax und Napper, diverser verräterischer „Kollegen“ und eines blutdurstigen Kampfhunds auftritt …

Kein Polizist egal welchen Geschlechts mit Beziehungsproblemen? Kein genial-irrer Serienkiller, der seine Häscher mit kriminell kriminalistischen Rätselspielchen herausfordert? Keine Pathologin, die ausgetüftelt gemeuchelte Kadaver zerlegt und in ihrer Freizeit auf Täterfang gehen muss, weil die chronisch dämliche Polizei entlarvende Indizien nicht erkennt? Keine mutigen Amateurwissenschaftler, welche die Autobiografie Jesu Christi den Fängen der Vatikan-Mafia entreißen? Ist das wirklich ein Kriminalroman, den wir hier lesen? Ist es, wenn auch keiner, der in den Bestsellerlisten aufscheinen dürfte, wo gepflegte Langeweile in Thrillern von der Stange dargeboten wird.

„Willkür“ ist stattdessen ein Gangstergarn der guten, alten Art. Wyatts Unterwelt ist ein düsteres Spiegelbild des „normalen“ Alltags. Auch Verbrecher müssen sich nach der Decke strecken, leiden unter Stress im Job und Selbstzweifeln, werden gemobbt, ärgern sich mit unfähigen Chefs oder unbotmäßigen Untergebenen herum. Ergaunertes Geld will mühsam verdient werden, wobei erschwerend hinzukommt, dass bei Versagen nicht Bankrott und Hartz-IV-Knechtschaft drohen, sondern Gefängnis oder eine Kugel in den Kopf.

Die von seifenoperlichen Alltagsärgernissen geprägte Gangsterwelt weiß Garry Disher mit jener lakonischen Meisterschaft in seine Geschichten einzupassen, die auch die Autoren der TV-Serie „Die Sopranos“ ihren Mafiafiguren angedeihen lassen. Hier gibt es keine genialen Coups, keine eleganten Überfälle, kein witziges Linken des Gesetzes. Rau und schmutzig geht es zu, jede/r ist sich selbst der oder die Nächste. Von Moral oder wenigstens Ganovenehre keine Spur; für ein paar Scheine verrät man seine besten Verbrecherfreunde, seine Familie, seine Lebensgefährten.

Dabei spielt die Polizei ihre eigene Rolle. Da ist Inspector Coulthart, den sein Verlangen, die Mesics zu erwischen, zu ungesetzlichen Methoden greifen lässt. Sein Stellvertreter ist gänzlich „zum Feind“ übergelaufen. Bax sorgt dafür, dass polizeiliche Aktionen in der Unterwelt die Mesics aussparen. Napper wiederum ist ein armes Schwein, das aus purer Not zum Gangster wurde und immer ein Verlierer bleiben wird; der sarkastische Schlussgag geht denn auch ganz auf seine Kosten.

Gewalt und Mord sind Teil des Geschäfts. Gestandene Kriminelle fürchten jene nur brutalen, aber sonst beschränkten Figuren, die voller Vergnügen foltern und töten; sie erregen Aufmerksamkeit, und das ist schlecht in einem Gewerbe, das von der Unauffälligkeit lebt. Ein Mord ist emotionslos, rasch und möglichst spurenfrei zu erledigen. Professionell werden auch sonstige Kapitalverbrechen geplant und durchgeführt; Ärger durch die Polizei, schlecht ausgeschaltete Opfer oder Zeugen sind zu vermeiden.

Aber zum Alltag gehört in Garry Dishers Unterwelt immer auch die Tücke des Objekts. Wyatt, der so kontrolliert und konzentriert vorgeht, bleibt davon nie ausgeschlossen. Auch dieses Mal meint er alle Eventualitäten einkalkuliert zu haben. Wieder sind es die dummen, gierigen Nebenfiguren, die ihm einen Strich durch die Rechnung machen – ihm, den Mesics, dem Syndikat, der Polizei. Das ganze kriminelle Kartenhaus lässt Disher kunst- und effektvoll zusammenstürzen – im Gegensatz zum modernen Mainstream-Thriller sind seine Gewaltdarstellungen weder plakativ noch bleiben sie in Vermeidung böser Kritikerstimmen ausgespart. Das Chaos naht, als Leser kann man verfolgen, wie das Geschehen Schritt für Schritt aus dem Ruder läuft. In einem großen Finale stehen sich die Figuren dann gegenüber, eine Begegnung, die immer übel ausgeht und ganz sicher nicht „die Gerechtigkeit“ siegen lässt. Wenn sich nach Disher Verbrechen nicht lohnt, dann höchstens, weil nicht sorgfältig genug geplant oder bei der Umsetzung gepatzt wurde. Bußfertig oder gar geläutert verlässt kein Gauner die Handlung.

Garry Disher (geb. 1949) kennt die Szenerie seiner Romane aus eigenem Erleben. In Südaustralien dort aufgewachsen, wo es überwiegend ländlich-landwirtschaftlich zugeht, unternahm er im Anschluss an ein Universitätsstudium ausgedehnte Reisen, die ihn Anfang der 70er Jahre durch Europa, Israel und Afrika führten. Seine Schriftsteller-Laufbahn begann ebenfalls im Ausland: an der Stanford University im US-Staat Kalifornien, wo ihm ein Stipendium das Erlernen dieses Handwerks ermöglichte. Seither hat Disher mehr als 30 Bücher veröffentlicht. Interessanterweise ist der Verfasser harter Thriller (und historischer Romane) auch ein renommierter Kinderbuch-Autor, der für seine Werke zahlreiche Preise gewann – ein weiterer Beweis für Dishers schriftstellerische Bandbreite. Sein Wissen hütet er übrigens nicht als persönliches Geheimnis, sondern bemüht sich, es an den schreibenden Nachwuchs weiterzugeben. Schließlich ist Disher sehr aktiv als Herausgeber der „Personal Best“-Anthologien.

In seiner australischen Heimat – aber inzwischen nicht mehr nur dort – weiß man sehr genau, was man an Garry Disher hat. Dementsprechend zahlreich sind die Websites, die sein Leben und Werk feiern. Die wohl beste, weil aktuelle, informative und zudem vorbildlich layoutete ist http://ehlt.flinders.edu.au/english/GarryDisher/GarryDisher.html. Sie geizt auch nicht mit Links auf weitere Sites.

Die Wyatt-Romane von Gary Disher erscheinen im Maas-Verlag und werden neu aufgelegt im Knaur-Verlag:

1. Kickback (1991, dt. „Gier“) – Maas-Pulp Master 7/Knaur TB Nr. 61887
2. Paydirt (1992, dt. „Dreck“) – Pulp Master 11/ Knaur TB Nr. 62301
3. Deathdeal (1993, dt. „Hinterhalt“) – Pulp Master 12/ Knaur TB Nr. 62302
4. Crosskill (1994, dt. „Willkür“) – Pulp Master 15/Knaur-TB Nr. 62303 (angekündigt für Dezember 2005)
5. Port Vila Blues (1996, dt. „Porta Vila Blues“) – Pulp Master 18 (angekündigt für 2005)
6. The Fallout (1997, dt. „Niederschlag“) – Pulp Master 21 (noch nicht erschienen)

Andreas Eschbach – Der letzte seiner Art

In einem verschlafenen irischen Fischerdorf erwacht Duane Fitzgerald – blind und bewegungsunfähig bis auf seinen Arm. Obwohl er mit einem Kantholz auf sich einprügelt – eine bisher oft erfolgreiche Methode – bleibt er hilflos. Glücklicherweise berührt er zufällig ein bisher unbekanntes Implantat unter seiner Bauchdecke und ein Zucken lässt seinen Körper erbeben. Dieses ihm neue Implantat (obwohl er doch eigentlich seinen Bauplan auswendig kennt) scheint den Stromausfall zu bewirken, also greift Duane nach dem erreichbaren Taschenmesser, klappt die Ahle heraus (was sich in seinem Zustand als besonders kompliziert erweist) und durchstößt die Bauchdecke. Normalerweise würde ein internes System Enzyme ausschütten, die für Schmerzunempfindlichkeit gesorgt hätten, aber leider ist dieses ja derzeit inaktiv. Duane bleibt nichts anderes übrig, als sich unter Schmerzen mit der Ahle in den Eingeweiden herumzuwühlen, um den Wackelkontakt am Implantat zu beseitigen.

Andreas Eschbach
Geboren am 15.9.1959 in Ulm. Verheiratet, ein Sohn.
Studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik, wechselte aber noch vor dem Abschluss in die EDV-Branche, arbeitete zunächst als Softwareentwickler und war von 1993 bis 1996 geschäftsführender Gesellschafter einer EDV-Beratungsfirma. Nach fast genau 25 Jahren in Stuttgart lebt er seit September 2003 mit seiner Frau in der Bretagne. Quelle: http://www.andreaseschbach.de/

Klar ist Duane Fitzgerald, der Ich-Erzähler des Romans, ein Cyborg – eine kybernetisch-organische Mixtur, fabriziert und entwickelt von amerikanischen Militärs, um als unbesiegbarer Steel-Man mit einigen Gleichartigen eine Sondereingreiftruppe zu bilden. Eschbach verknüpft intelligent die Zeitgeschehnisse mit seiner Geschichte. So wurde der erste Golfkrieg durch die USA nur so in die Länge gezogen, um die Steelmen rechtzeitig einsatzbereit zu machen – bis dato waren sie lediglich gut ausgebildete Marines mit einem künstlichen Arm. Erst als offensichtlich wurde, dass das Projekt nicht mit der nötigen Geschwindigkeit voranschritt, ging die Army zu der bekannten letzten Phase des Krieges über – ohne Steelmen.

Es ist ein absolut geheimes Projekt, über Jahre und mehrere Präsidentenlegislaturen hinweg in der Entwicklung. Ist es vorstellbar, dass sich so etwas – als Projekt, unabhängig vom Detail – durchführen lassen könnte bei den kleinlichen Differenzen verschiedener Machthaber? Eschbach stellt es dar, als habe das Militär seine eigene Forschung betrieben, bis schließlich Clinton die Einstellung anordnete.

Aus der Ich-Perspektive des Cyborgs, der mit Verschleißerscheinungen zu kämpfen hat, erhält die Geschichte trotz der typischen Verschwörung und der Horrorvision von unbesiegbaren Übermenschen einen humorvollen Schlag, denn seine Gedanken sind manchmal so natürlich und sprunghaft, dass man über seine Menschlichkeit lächelt und seinen Charakter sofort akzeptiert.

[…] stand da, wippte auf den Fersen und sah straßauf, straßab. Ich wurde unruhig, je länger es dauerte. Wie lange kann man schon an seinen Schuhen herumfummeln, ehe die Umwelt anfängt, das merkwürdig zu finden? […] Die Frau kam näher. […] Mit etwas Glück waren ihre Augen schlecht genug, dass ihr entging, dass ich Slipper trug […]
-Auszug aus „Der Letzte seiner Art“, S. 58

Es ist auch eine Art von Galgenhumor, die zwischen den Zeilen von Duanes Erzählung durchklingt. Eigentlich ist er natürlich völlig unzufrieden mit seinem Leben, andererseits fühlt er sich an seine Eide gebunden. Er sieht sich als menschliches Wrack, und durch den Verschleiß seines Systems erhält dieser Blickwinkel eine ganz neue, erschreckend reale Bedeutung. Die Geschichte nimmt eine Wendung, die für ihn entweder das endgültige Ende oder einen Neuanfang bedeuten könnte, doch damit einher gehen plötzlich auftretende Gefahren, die selbst für einen Steelman tödlich sein können – sind die Attentäter jetzt von den eigenen Leuten angeheuert oder vom Feind, der in den Besitz der Cyborgtechnik kommen will? Auf jeden Fall ist er gut über das Innenleben und die Möglichkeiten der Cyborgs informiert, so dass Duane nach und nach erfährt, wie seine Gleichartigen unauffällig ausgeschaltet wurden.

Zu diesem Zeitpunkt wird ihm klar, was wir schon länger befürchten: dass es um sein Leben geht, nicht nur um gewisse Annehmlichkeiten wie den frei gewählten Wohnort. Trotzdem wirken seine Gedanken (die eigentlich eine aufgeschriebene Erzählung darstellen, aber das erfahren wir erst später) manchmal in ihrer Analyse wie von einer außenstehenden Person, um dann wieder in das Innerste vorzudringen. Eschbach beginnt jedes Kapitel mit einem Zitat von Seneca, dessen Philosophie für Fitzgerald die einzige Möglichkeit darstellt, sein Schicksal zu ertragen. Er versucht, nach dieser Philosophie zu handeln und betrachtet dabei sein Bemühen skeptisch. Vor allem die Totalität des Endes fasziniert ihn, und so ist nicht verwunderlich, dass sich daraus eine Lösung für ihn selbst entwickelt.

„Der Letzte seiner Art“ ist eine Charakterstudie, die sich mit der ausweglosen Tragik eines Übermenschen befasst und in diesem Gewand ein heikles, gleichwohl sehr oft behandeltes Thema aufgreift. Was kann der Bürger schon von den Machenschaften und Projekten solcher Regierungen oder Militärs wissen? Auf der anderen Seite: Schürt man mit diesen Spekulationen nicht eine gewisse Furcht? In diesen Tagen vielleicht gar nicht so unsinnig.

Der Roman fließt ruhig dahin, unter einer stetigen Spannungssteigerung. Aber Eschbach zeigt trotzdem seine vielfältigen Künste, denn das Tempo erhöht sich schlagartig um ein Vielfaches, als der Cyborg sein System voll aktiviert (und damit schneller als jede menschliche Reaktion agieren kann). Danach fällt es wieder ab und lässt uns unseren Herzschlag beruhigen, um weiter dem Finale entgegenzustreben. Ein düsterer, philosophischer, sehr unterhaltsamer und eindringlicher Roman.

Reichs, Kathy – Knochenarbeit

Sie ist eine viel beschäftigte Frau, diese Temperance Brennan: Als Dozentin lehrt sie Anthropologie an der Universität von Charlotte in North Carolina, einem der US-amerikanischen Südstaaten, in den Semesterferien arbeitet sie als forensische Anthropologin für die Provinz Quebec, d. h. am gerichtsmedizinischen Institut der kanadischen Metropole Montréal – jedes Mal eine Reise von mehr als 2000 Meilen. Als bekennender Workaholic nimmt Frau Doktor aber auch dazwischen noch allerhand Knochenarbeit an. Gerade gräbt sie z. B. für die Erzdiözese Montréal nach den Überresten der wohl- und womöglich wundertätigen Ordensschwester Maria, die Anfang des 20. Jahrhunderts verstarb und nun zur Heiligsprechung ansteht.

Aber schon bald ruft wieder die Alltagspflicht. In St. Jovite, einem Vorort von Montréal, ist ein Wohnhaus in einem wahren Höllenfeuer niedergebrannt. In den ausgeglühten Trümmern findet die Polizei die Leichen von sieben Menschen, die sämtlich schon tot waren, als der Brand gelegt wurde, um die Bluttaten zu vertuschen. Unter den Opfern sind auch zwei Säuglinge, die nicht „nur“ ermordet, sondern regelrecht geopfert wurden: Man hat ihnen die Herzen herausgeschnitten. Treiben womöglich Satanisten ihr Unwesen im kalten Winter Nordamerikas? Dr. Brennan holt sich Rat bei einer Spezialistin. Daisy Jeanotte ist Professorin für religiöse Studien an der örtlichen Universität. Ihr Fachwissen ist enorm, ihr Verhalten merkwürdig. Ihren studentischen Hilfskräfte ist sie unumschränkte, gefürchtete Herrin. Einige von ihnen, die Jeanottes Unwillen erregten, scheinen sogar spurlos verschwunden zu sein.

Inzwischen steht für Tempe Brennan ein neuer Lehrturnus in Charlotte an. Wie es der Zufall will, stolpert sie während eines Wochenendausflugs mit Tochter und Freunden über zwei neue Leichen. Die Polizei identifiziert sie mit Brennans Hilfe als Mitglieder einer obskuren Sekte, die offensichtlich ihre Abtrünnigen nicht ziehen zu lassen gedachte. Bald stellen sich sogar Verbindungen zum Massenmord von Montréal heraus. Anscheinend plant die nordamerikaweit operierende Sekte nach dem Vorbild der Schweizer Sonnentempler den kollektiven Selbstmord. Professor Jeanotte scheint das heimliche Oberhaupt zu sein. Die Zeit läuft den Ermittlern davon. Ganz besonders betroffen ist Tempe Brennan, die feststellen muss, dass die eigene Schwester der Sekte beigetreten und inzwischen ebenfalls verschwunden ist. Ein Wettlauf mit der Zeit und mit dem Tod beginnt, dessen Regeln die Sektenfanatiker festlegen, denen jedes Mittel recht ist, sich den Weg ins Jenseits notfalls zu erzwingen …

Zum zweiten Mal lassen Kathy Reichs und Temperance Brennan (die reale Person geht nahtlos in die fiktive Figur über, wie wir weiter unten erfahren werden) wieder Knochen sprechen. Das mag der Purist als allzu ernstes, geradezu anrüchiges Thema für die Feierabend-Lektüre werten; er (oder sie) sei an dieser Stelle verabschiedet und auf die Lagunen-Schmachter der Donna Leon verwiesen.

Wer nicht so zart besaitet ist, sich aber ein gesundes Maß kindlicher Neugier bewahren konnte, erlebt einen nicht gerade realistischen, aber höchst turbulenten, an alten und frischen Leichen reichen Thriller vor der eindrucksvollen Winterkulisse Kanadas. Während die Handlung vom Leser hier und da fordert, sich mit einem Knüppel kräftig auf den Kopf zu schlagen, um so die gar zu offensichtlichen Löcher besser ignorieren zu können, lässt sich Verfasserin Reichs das Heft nicht mehr aus der Hand nehmen, sobald sie ihr eigentliches Reich der Gräber, Mordschauplätze und Leichenhallen betritt. Hier kennt sie sich aus, hier stimmt jedes Detail, und es lässt sich nicht leugnen: Der Tod ist ein faszinierendes Thema, so lange es nicht der eigene ist.

In den Lesegenuss mischen sich leider mehr als nur ein paar Wermutstropfen. Da ist zum einen der allzu gekünstelte Plot. An einem Ende der Stadt gräbt Tempe Brennan eine potenziell heilige Nonne aus, während am anderen Sekten-Strolche losschlagen. Die Nichte einer der lebenden Ordensschwestern ist Adeptin dieser Sekte und arbeitet für genau jene Hochschul-Dozentin, die Tempe bei ihren Nachforschungen über Schwester Marie befragt. Aus dem Süden reist Tempes Schwesterlein an, die gerade von besagter Sekte rekrutiert wurde. Diese treibt ihr mörderisches Unwesen auch in den USA und „versteckt“ – hübsch schlampig, damit die Entdeckung nur ja gelingt – ihre gemeuchelten Untertanen exakt dort, wo Tempe das amerikanische Lager ihres Nomadenlebens aufschlägt. Damit wird das Phänomen des Zufalls ein wenig zu heftig strapaziert. Tatsächlich wollen sich die Subplots dieses Romans im Finale gar nicht recht zu einer Geschichte mischen lassen, deren Auflösung den Leser wirklich zufrieden stellt. Dass die im Mainstream-Thriller der Gegenwart obligatorischen, Reichs aber nicht gerade gelungenen und aufgesetzt wirkenden Seifenoper-Elemente (wirrköpfige Schwester, eigensinnige Tochter, liebeskranker Kollege etc.) verwässern die Handlung zusätzlich.

Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich gegen den plakativen, nein inflationären Einsatz aufdringlicher Gewalt- oder Ekeleffekte. Auf dem Markt des modernen Kriminalromans bilden die Leichenhallen-Thriller nur eine kleine Nische, die inzwischen recht gut besetzt, vielleicht sogar überbelegt und daher heiß umkämpft ist. Neben Patricia Cornwell, der Königin dieses Subgenres (Kay Scarpetta), warten z. B. auch Nigel McCrery (Sam Ryan) oder Sharyn McCrumb (Elizabeth MacPherson) regelmäßig mit Pathologen-Spektakeln auf. Da ist es nicht leicht, die Konkurrenz auszustechen. Nicht von ungefähr werden die Schilderungen immer bizarrer und drastischer. Das ist durchaus vergnüglich, denn seit jeher ist die Leichenhalle die natürliche Heimat des schwarzen Humors. Aber Reichs übertreibt es, indem sie auf Nummer Sicher gehen will. Von religiösen Fanatikern herausgeschnittene Herzen scheinen ihr nicht genug zu sein – es müssen auch noch kleine Kinder die Opfer sein. Damit schreiben sich die entsprechenden Szenen wie von selbst, und Entsetzen und Wut und damit die ungeteilte Aufmerksamkeit des Lesers stellen sich ebenfalls automatisch ein. Aber das ist ein billiger, unredlicher Trick, der in einem reinen Unterhaltungsroman wie „Knochenarbeit“ nichts verloren hat.

Über Leben und Werk der Kathy Reichs informiert eine geradezu opulente Website: http://www.kathyreichs.com – hier gibt es sogar eine Einführung in die Welt der pathologischen Anthropologie. (Ich verweise besonders auf den Link „HBO’s Interactive Autopsy“, der uns zu einer Website bringt, auf der Dr. Michael Baden uns das Privileg gönnt, der digitalen Zerlegung eines Menschenkörpers beizuwohnen; wem das zu theoretisch bleibt, darf sich des reichen Farbfoto-Materials einer richtiger Sektion erfreuen.) Die erfolgreiche Schriftstellerin scheint ein Workaholic zu sein; sie schreibt ihre Thriller, während sie weiterhin ihrem ohnehin aufreibenden Vollzeit-Job als Mitarbeiterin des „Office of the Chief Medical Examiner“ in North Carolina und des „Laboratoire de Sciences Judiciaires et de Medecine Legale“ in Quebec nachgeht und außerdem als Dozentin für die Fachbereiche Soziologie und Anthropologie an der Universität von North Carolina-Charlotte lehrt (von ihren zahlreichen Auslands-Einsätzen – z. B. im afrikanischen Ruanda, wo sie die Knochenlager diverser Völkermorde untersuchte – oder ihrer Beratertätigkeit für das FBI ganz abgesehen); diese Parallelen lassen vermuten, dass Reichs Recherche-Zeit spart, indem sie die Figur der Tempe Brennan sehr dicht am eigenen Leben ausrichtet. Dieser Trick versagt allerdings, wenn es darum geht, nackte Fakten mit einer durchdachten Handlung zu einem wirklich überzeugenden Roman zu kombinieren, zu dem sich „Knochenarbeit“ trotz aller Bemühungen nur bedingt fügen will.

Henning Mankell – Die Rückkehr des Tanzlehrers

Stefan Lindman, 37, Kommissar bei der Kriminalpolizei im südschwedischen Borås, lebt in Angst, seit bei ihm Zungenkrebs diagnostiziert wurde. Bald steht die Strahlentherapie an. Lindman sucht Ablenkung. Er findet sie im Mord an seinem ehemaligen Mentor Herbert Molin. Der Ex-Polizist hatte sich nach seiner Pensionierung in die Wälder von Härjedalen zurückgezogen. Dort wurde er in der Nacht überfallen, von seinem Mörder zum Tangotanz gezwungen und mit einem Ochsenziemer brutal zu Tode gepeitscht.

Mit dem Fall betraut wird Giuseppe Larsson, der mit seinen Kollegen vor einem Rätsel steht. Wer hasste den alten Molin so sehr? Lindman, der aus Borås angereist ist, wird als „inoffzielle Verstärkung“ eingesetzt, zumal er sich ohnehin nicht von dem Fall fernhalten lässt.

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Hesse, Andree – Judaslohn, Der

Gute Kriminalromane kommen nicht nur aus Schweden, sondern auch deutsche Autoren brauchen sich hinter ihren skandinavischen Kollegen nicht zu verstecken – so auch Andree Hesse, der seinen Roman in der norddeutschen Stadt Celle spielen lässt und an vielen Stellen eine Vorliebe für Henning Mankell offenbart.

_Mörderisches aus Celle_

Kriminalkommissar Arno Hennings wohnt seit dem Unfalltod seiner Eltern wieder in seinem Elternhaus in Celle. Der Hauptstadt Berlin und seiner Freundin Aglaja hat er den Rücken gekehrt, um seine Arbeit wieder in seiner alten Heimat aufzunehmen. Als auf dem Truppenübungsplatz die Leiche des jungen Soldaten Grafton entdeckt wird, entpuppt sich dieser Fall für Hennings als Bewährungsprobe in seiner neuen Dienststelle. Er übernimmt zusammen mit Sergeant Emma Fuller von der englischen Militärpolizei die Ermittlungen. Doch zunächst tappt die Polizei im Dunkeln, es werden nur wenige Spuren gefunden und weder Täter noch Motiv zeichnen sich ab. Es dauert nicht lange, bis die Polizei einen teuren Mercedes aus einem Teich nahe des Leichenfundortes bergen kann. Als der Besitzer des Wagens ermittelt wird, führt diese Spur zu einer alten Schulbekanntschaft von Arno Hennings, denn das Auto gehört dem Ehemann seiner alten Freundin Heike Harms.

Von Heikes Ehemann fehlt jedoch zunächst jede Spur. Heike vermutet Knut auf einer Geschäftsreise in Polen, doch telefonisch ist er dort nicht zu erreichen. Als eine weitere Leiche auf dem Truppenübungsplatz entdeckt wird, erklärt sich das Verschwinden von Knut Harms von selbst, denn seine Leiche sitzt gefesselt und verdurstet in einem Kellerraum nahe des Fundortes von Private Grafton.

Mitten in die Ermittlungen platzt eine Schreckensnachricht aus Berlin, denn Arnos Freundin Aglaja wurde mit ihrem Fahrrad von einem LKW überrollt und liegt nun schwer verletzt im Krankenhaus. Überstürzt fährt Arno Hennings nach Berlin und handelt sich für sein unüberlegtes Handeln großen Ärger ein. Von nun an ist er mit seinen Gedanken wieder oft in Berlin, doch findet er bald heraus, dass das Motiv für die beiden Morde in der Vergangenheit des Truppenübungsplatzes liegen muss, wo vor dem zweiten Weltkrieg Höfe standen, die 1936 enteignet wurden …

_Hennings vs. Henning_

Andree Hesse hat sich die kleine norddeutsche Stadt Celle mit ihrem benachbarten Truppenübungsplatz der NATO als Handlungsort für seinen Kriminalroman ausgesucht. An vielen Stellen merkt man den zahlreichen Landschaftsbeschreibungen an, dass Hesse selbst in der Nähe von Celle aufgewachsen ist und die Szenerie zu beschreiben weiß. So lässt er sich auch viel Zeit, um Atmosphäre und Stimmung aufzubauen, denn zunächst passiert nicht viel in seinem Buch. Selbst eine kurze Autofahrt von Celle zum Truppenübungsplatz nimmt anfangs einige Seiten ein, damit ganz nebenbei die Örtlichkeiten genauestens beleuchtet werden können. Zu Beginn erfordert dieser Roman daher etwas Durchhaltevermögen, wenn man nicht gerade aus der Gegend kommt und neugierig auf bekanntes Lokalkolorit wartet. Insgesamt stellen die ausufernden Landschaftsbeschreibungen die einzige Herausforderung an den Leser dar, da sie die Handlung nicht voranbringen und manchmal vielleicht etwas zu weit ausholen.

Doch der Autor nutzt die Zeit auch, um seinen Protagonisten Arno Hennings entsprechend vorzustellen und ein Bild von ihm zu entwickeln. Hennings hat sich nach dem Tod seiner Eltern aus der Großstadt zurückgezogen und scheint Zuflucht zu suchen in seinem ehemaligen Elternhaus, auch wenn sich dort die Mäuse wohler zu fühlen scheinen als Hennings selbst. Auch seine Beziehung zur Polin Aglaja steht auf der Kippe, da er sie mit seiner Entscheidung, aus Berlin wegzuziehen, aus heiterem Himmel überrascht hat. Ein wenig erscheint er uns als tragische Existenz, da zudem einige Probleme mit seinem ungeliebten Vorgesetzten hinzukommen und später auch eine Verletzung seiner linken Hand. Hennings kommen oftmals Zweifel angesichts seiner beruflichen Entscheidung gegen Berlin und gegen Aglaja, und gerade ihr Unfall macht ihm klar, wie sehr er noch an ihr hängt und wie oft seine Gedanken zu ihr zurückkehren. Hennings wird uns als Kriminalkommissar mit menschlichen Alltagssorgen vorgestellt, der auch mal Fehler macht und dadurch umso authentischer wirkt. Der treue Krimileser fühlt sich hier an vielen Stellen an den allseits bekannten Kurt Wallander aus den Romanen von Henning Mankell erinnert, zumal selbst der Name der Hesseschen Hauptfigur an den berühmten schwedischen Autor erinnert.

Auch thematisch eifert Andree Hesse seinem schwedischen Vorbild Henning Mankell nach, denn ähnlich wie in „Die Rückkehr des Tanzlehrers“ führt die Spurensuche in „Der Judaslohn“ zurück bis in die nationalsozialistische Zeit. Hesse nimmt sich ebenfalls dieses brisanten Themas an, entwickelt es allerdings leider nicht ganz so überzeugend wie Mankell. Zu vieler Klischees bedient Hesse sich besonders in der Figurenzeichnung der rechtsradikalen Szene, denn es sind heutzutage nicht mehr nur die intelligenzarmen Fußballfans mit Kahlschlag, die in diesem Zusammenhang auftauchen, doch zieht Andree Hesse dieses etwas ausgelutschte und überholte Bild heran, um einige der Nazis zu charakterisieren.

Natürlich darf in der Romanhandlung auch eine starke weibliche Figur nicht fehlen. So arbeitet Hennings zusammen mit der Engländerin Emma Fuller, die vonseiten der britischen Militärpolizei den Fall aufzurollen versucht. Speziell ihr grammatikalisch oft falsches Deutsch und die häufige Verwendung englischer Floskeln zeichnen sie aus. Auf Dauer störte mich ihre fehlerhafte deutsche Satzstellung aber doch, da man beim Lesen zwangsläufig darüber stolpert. Zumindest erspart uns Andree Hesse die üblicherweise sich entwickelnde Liebesgeschichte zwischen den beiden Hauptfiguren, hier nämlich kommen Aglaja und ihr schwerer Unfall wieder ins Spiel und verhindern die Annäherung zwischen Arno und Emma.

Andree Hesses Charakterzeichnungen sind sehr liebevoll, so erhält jede wichtige Person ihren Raum und wird dem Leser vorgestellt, wobei die offensichtlichen Details genauso Erwähnung finden wie Informationen aus der Vergangenheit und Eigenarten der betreffenden Figur. Hesse stellt hierbei unter Beweis, dass er ein Auge für Details hat und sehr gut zu beobachten weiß.

S. 128: |“Kaum hatte ihnen Jutta die Biere serviert und Arno sich eine Zigarette angesteckt, kam Hans mit seinem schwerfälligen Wiegeschritt aus der Küche, in der karierten Hose und der zweireihigen, weißen Jacke des Kochs, auf der ein paar Fettflecken und Saucenspritzer prangten, die großen Füße in weißen Birkenstocklatschen. Eigentlich habe ich Hans immer nur so gesehen, dachte Arno, während er zuschaute, wie sich sein Cousin ein Bier zapfte, ich kenne ihn eigentlich nur in dieser Montur. Grinsend zwängte Hans schließlich seinen massigen Körper auf die Bank neben Emma, die dagegen wie ein kleines Mädchen aussah.“|

_Nichts ist so, wie es scheint_

An den Beginn seines Buches stellt Hesse einen Prolog, der im Jahre 1936 spielt und von den Enteignungen der Höfe rund um Celle und dem Anschlag auf die berühmte Hitler-Eiche durch den Knecht des Falkenhofes erzählt. Doch bevor der Leser richtig versteht, was eigentlich passiert ist, wechselt Hesse in die Gegenwart und widmet sich der Geschichte rund um Arno Hennings. Eine Verbindung zwischen beiden Ereignissen besteht zunächst nur über die Nähe zu Celle, erst nach und nach streut Hesse Hinweise ein, die den Leser auf eine Fährte locken sollen. Mit der Zeit erahnt man den Zusammenhang zwischen dem Falkenhof und den Leichenfunden auf dem Truppenübungsplatz.

Der Spannungsbogen nimmt immer mehr Fahrt auf, da dem Leser im Laufe der Ermittlungen Informationen präsentiert werden, die das eigene Mitarten ermöglichen und eigene Schlüsse zulassen. Darüber hinaus sorgen die realistischen Szeneriebeschreibungen dafür, dass der Leser überall hautnah dabei ist und auf jeder Seite mitfiebern kann. Der Fall spitzt sich immer weiter zu und lässt offenbar nur eine Schlussfolgerung zu, doch damit hat Hesse uns in die Irre geführt, denn nichts ist so, wie es scheint. Das Ende gefiel mir überwiegend sehr gut, wobei ich es allerdings schade fand, dass Hesse einen Handlungsfaden nicht ganz zum Abschluss geführt hat, aber vielleicht geschieht dies in einer möglichen Fortsetzung?!

_Krimikonkurrenz aus Deutschland?_

„Der Judaslohn“ reicht zwar nicht an sein schwedisches Vorbild „Die Rückkehr des Tanzlehrers“ heran, weiß aber dennoch gut zu unterhalten und sich als eigenständiger Kriminalroman davon abzuheben. Andree Hesse verwendet viel Zeit und Mühe darauf, glaubwürdige Figuren zu entwickeln und ihnen ein Profil zu geben; so wirkt besonders das Bild des Kriminalhauptkommissars Arno Hennings stimmig und führt dazu, dass der Leser mit ihm fiebert und ihm beruflichen und privaten Erfolg wünscht, obwohl er doch in seiner alten Heimat etwas fehl am Platze wirkt und teilweise als unerwünschter Außenseiter angesehen wird.

Auch der Kriminalfall weiß zu überzeugen und erhält seinen Reiz durch die Verbindung zur dubiosen Vergangenheit während der nationalsozialistischen Zeit. Gelungen fand ich auch Arno Hennings Begegnung mit seiner eigenen Kindheit und Jugend, da er in Eichendorf alte Freunde und Bekannte wiedertrifft, die ihr gesamtes Leben bislang in dem kleinen Dorf verlebt haben und daher ihre ganz eigenen Ansichten entwickelt haben. Hesse hat hier eine interessante Mischung erschaffen, die den Leser gut unterhalten kann.

Mit nur kleinen Abstrichen bleibt dieser Roman doch äußerst lesenswert und gefällt insbesondere durch die realistische Figurenzeichnung und Landschaftsbeschreibung, die die Handlung lebendig machen. Andree Hesse ist ein Name, den man sich im deutschen Krimigenre unbedingt merken sollte. Ich werde seine weiteren Veröffentlichungen sicherlich verfolgen.

Schulte von Drach, Markus Christian – Furor

Michael Crichton und Dan Brown haben Konkurrenz bekommen! Endlich wagt sich ein promovierter Biologe an das Schreiben eines Wissenschaftsthrillers, endlich müssen wir uns nicht mehr die naturwissenschaftlichen Ideen und Phantasien von Medizinern und Englischlehrern durchlesen, die nicht selten ziemlich abstrus und undurchdacht wirkten. Markus Christian Schulte von Drach hat mit „Furor“ einen rasanten Thriller vorgelegt, der reale Wissenschaft mit (noch?) fiktiven Ideen mixt und daraus eine äußerst brisante Mischung erschafft.

_Furiose Wissenschaft_

In den letzten Minuten vor seinem Tod spricht der berühmte Hirnforscher Christian Raabe seinem Sohn Sebastian auf die Mailbox und bittet ihn, bestimmte Daten auf seinem Institutsrechner ungelesen zu löschen. Kurze Zeit später wird Christian Raabe mit zerquetschtem Hirn auf dem Dach des Fahrstuhls im Wilder-Penfield-Institut gefunden. Da sein Herz noch schlägt, wird er zunächst ins Krankenhaus gebracht, wo sein Körper am Leben erhalten wird.

Als Sebastian Raabe die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält, ist er geschockt und kann nicht an den angeblichen Selbstmord unter Alkoholeinfluss seines Vaters glauben. Schnell findet Sebastian heraus, dass sein Vater seinen Rechner durch ein Passwort geschützt hat, welches er nicht kennt und auch nicht durch den kryptischen Spruch zu entziffern weiß, den der Computer ihm verrät. Er bittet seinen guten Freund Mato um Hilfe, doch kommt er dem Rätsel nicht auf die Spur. In der Wohnung seines Vaters fällt Sebastian das Tagebuch seines Vaters in die Hände, in welchem dieser zwei seiner engen Kollegen beschimpft. Außerdem findet er dort einen Brief, den sein Vater an seine Frau geschrieben, aber offensichtlich nicht abgeschickt hat. Im Brief berichtet Christian Raabe von einer schrecklichen Katastrophe, von der Sebastian bislang nichts gewusst hatte, sodass der unvollendete Brief an seine verstorbene Mutter ihm Rätsel aufgibt. Als Sebastian den Freund seines Vaters Wallroth auf den Brief anspricht, erzählt dieser ihm eine wenig glaubwürdige Geschichte, die Sebastian nicht zu überzeugen vermag.

Mit der Hilfe seiner Freunde schafft Sebastian es schließlich, das Passwort seines Vaters zu entschlüsseln und findet auf dem Rechner brisante Forschungsergebnisse, an deren Existenz Sebastian kaum glauben mag. Doch allzu schnell muss er realisieren, dass das Wissen um diese Ergebnisse ihn in höchste Gefahr bringt …

_Technik, Spannung, Action – Was will man mehr?_

Im gleichen Stil wie beispielsweise auch Dan Brown stellt Schulte von Drach den mysteriösen Tod des renommierten Wissenschaftlers Christian Raabe an den Anfang seines Buches und lässt damit sogleich die Spurensuche beginnen. Raabes Sohn Sebastian kann nicht an den Selbstmord seines Vaters glauben und sucht nach Motiven und auch nach dem Passwort für den Institutscomputer. Viele Fragen werden aufgeworfen, die nach Antworten verlangen. So kommt von Anfang an kein bisschen Langeweile auf, das Buch beginnt von der ersten Seite an rasant und geheimnisvoll.

In einem zweiten Handlungsstrang lesen wir Ausschnitte aus dem Protokoll der Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Spezialkräfte“, in der ein Massaker im Sudan, ausgeübt durch deutsche Soldaten, geklärt werden soll. Die Soldaten können sich gar nicht mehr wirklich an das Geschehen erinnern oder an mögliche Gründe für ihr aggressives Verhalten. Verschiedene Gutachter werden um ihre Meinung gebeten und bringen schlussendlich etwas Licht in das Dunkel, sodass im Laufe des Buches ein immer klareres Bild von den Ereignissen im Sudan entsteht. Auch dauert es nicht lange, bis der Leser die Verbindung zwischen beiden Handlungssträngen erahnt.

Der Spannungsbogen ist fast durchweg gut gelungen, nahezu die gesamten 343 Seiten hält der Autor das Tempo seiner Handlung hoch, doch zwischendurch gibt es leider kleine Hänger, die dem Leser unerklärlich bleiben. Beispielsweise schaut sich Sebastian nicht sofort die vom Rechner seines Vaters kopierten Daten an, obwohl er doch vorher so intensiv nach dem Passwort geforscht hatte. Und als Sebastian sich mit seinen Freunden zusammen in zwei fremde Rechner gehackt hat, interessiert er sich anschließend kaum für die gewonnenen Dateien, die doch Aufschluss hätten geben können über die falsch spielende Person und die Hintergründe für den möglichen Mord an seinem Vater. An diesen Stellen lässt die Spannung etwas nach, da man sich beim Lesen über Sebastians Verhalten wundert.

Ganz anders ist dies im letzten Viertel, wenn Schulte von Drach in die Trickkiste greift und ein paar zu viele Actionelemente einbaut, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Romans aufkommen lassen. Allerdings ist hier die Handlung dermaßen rasant und fesselnd, dass man das Buch auf den letzten hundert Seiten nicht mehr zur Seite legen kann.

_Mustergültiger Wissenschaftsthriller_

Diesem Roman merkt man deutlich an, dass der Autor selbst viel liest, speziell im Thrillergenre, denn er bedient sich sämtlicher typischer Elemente, die für dieses Genre üblich sind. So lässt Schulte von Drach seine Leser kaum verschnaufen, da immer neue Hinweise auf die Zusammenhänge zwischen Christian Raabe und seinem mysteriösen Tod auftauchen. Auch die Wechsel zwischen zwei Handlungssträngen, die auf den ersten Blick nichts miteinander gemeinsam haben, am Ende allerdings zusammengeführt werden und einen Sinn ergeben, kennt man von anderen Thrillern. Am Ende des Buches steht ein actionreiches Showdown, welches wiederum an zwei unterschiedlichen Schauplätzen stattfindet, sodass hier schnelle Wechsel von einem Ort zum anderen immer mehr Spannung aufkommen lassen.

Natürlich darf auch nicht die übliche Liebesgeschichte zwischen dem männlichen Protagonisten und einer hübschen und intelligenten Frau fehlen, deshalb entwickelt sich zwischen Sebastian und der Journalistin Sareah Anderwald eine leidenschaftliche Affäre, wodurch auch Sareah in das Zentrum der Gefahr gerückt wird. Von außen erhalten die guten Figuren wieder Hilfe, wobei auch hier einer falsch spielt und Böses im Schilde führt. Nebenbei hat Sebastian einige Rätsel zu lösen, die sein Vater und dessen Tagebuch sowie der gefundene Brief ihm aufgegeben haben.

Umrahmt wird diese rasante Geschichte durch interessante wissenschaftliche Details, die zwischendurch immer wieder erörtert und dem unkundigen Leser erklärt werden. Doch erst im Nachwort erfährt der Leser, wo an dieser Stelle die Phantasie des Autors einsetzt und wissenschaftlichen Fortschritt erfindet, den es noch gar nicht gibt. Die Ausführungen über die aktuelle Hirnforschung nehmen dabei nie überhand, als naturwissenschaftlich interessierter Leser hätte man sich durchaus noch mehr Informationen gewünscht, aber Schulte von Drach schafft es, sein Wissen überzeugend und interessant vorzutragen, sodass er auch diejenigen ansprechen dürfte, die sich für Hirnforschung eher weniger begeistern können.

Auch sprachlich orientiert sich Schulte von Drach an seinem offenkundigen Vorbild Michael Crichton, denn seine Sprache ist einfach zu verstehen und flüssig zu lesen, selbst die wissenschaftlichen Erörterungen bleiben stets verständlich. Nirgends tauchen komplizierte Satzkonstrukte auf, über die man beim Lesen stolpern könnte und wenn am Ende das Erzähltempo angezogen wird, werden die Sätze sogar noch übersichtlicher und kürzer. All dies führt dazu, dass „Furor“ zu einem rasanten Leseerlebnis wird.

_Nichts ist unmöglich_

Für seinen Erstlingsroman hat Markus Christian Schulte von Drach sich ein hochbrisantes Thema herausgesucht. In „Furor“ ist es Hirnforschern nämlich gelungen, die Erinnerungen von Toten auf Film-CDs zu speichern, die man sich später ansehen und nachfühlen kann. Die Wissenschaft ist hier nicht mehr weit davon entfernt, das Hirn von Probanden zu manipulieren, Erinnerungen zu beeinflussen und sich diese Kenntnisse für gefährliche Zwecke zu Nutze zu machen. Die Thematik fasziniert von der ersten Seite an, denn auch die aktuelle Forschung hat schon viele Teile des Hirns und seine Aktivitäten entschlüsselt, sodass die Handlung dieses Thrillers gar nicht mehr so weit hergeholt erscheint, wenn es denn den hier erwähnten „Raab’schen Kanal“ wirklich geben würde, durch welchen fast alle Informationen laufen müssen. In seinem Nachwort macht der Autor noch mal deutlich, was heutzutage möglich ist und an welchen Stellen er selbst für seinen Roman hinzugedichtet hat.

Die hierdurch möglichen Konsequenzen werden in einem zweiten Nachwort des Wissenschaftlers Christof Koch vom California Institute of Technology in Pasadena/USA diskutiert. Durch diese Hinweise wirkt das Buch nach und regt den Leser selbst zum kritischem Hinterfragen an, denn die hier vorgestellten Möglichkeiten könnten wahrlich erschreckende Folgen nach sich ziehen. Wieder einmal wird deutlich, dass die immer weiter voranschreitende Wissenschaft nicht nur positive Konsequenzen hat, sondern auch große Gefahren mit sich bringt, wenn das neue Wissen von den falschen Mächten missbraucht wird.

_Figuren und ihre Klischees_

Bei der Charakterzeichnung konzentriert Schulte von Drach sich speziell auf Sebastian Raabe, der von Anfang an alle Sympathien auf sich vereinigt, da er der Idealtypus des netten und erfolgreichen Medizinstudenten ist, der den Tod seines Vaters zu verkraften und dessen Hintergrund zu enträtseln hat. Obwohl Sebastian doch wenige Eigenschaften aufweist, die ihn vom typischen Romanhelden abheben, fühlt man doch stets mit ihm mit und wünscht sich, dass er den bösen Kräften auf die Spur kommen wird. Seelisch-moralische Unterstützung erhält Sebastian von seiner neuen Freundin Sareah, die wirklich alle Klischees auf sich vereinigt. Selbstverständlich ist sie jung, hübsch und intelligent und steht ihrem Freund in allen Gefahren bei.

Erst in Sebastians Freundeskreis taucht eine etwas gescheiterte Figur in Form seines Freundes Hobbes auf, der eine dunkle und undurchsichtige Vergangenheit verlebt hat. Ein wenig hat es den Eindruck, dass die hollywoodtypischen Charaktere verwendet werden, die eine Verfilmung dieses Romans stark erleichtern würden. Dennoch fällt dieser Punkt nicht wirklich negativ ins Gewicht, da die Geschichte an sich zu überzeugen weiß und der Leser angesichts dieser Figuren doch ein Auge zudrücken mag.

_Unter dem Strich_

Mit nur kleinen Schönheitsfehlern ist Markus Christian Schulte von Drach ein fulminanter Wissenschaftsthriller gelungen, der sich nicht hinter Werken von Michael Crichton verstecken muss und auf dem Buchdeckel zurecht Werbung mit diesem Vergleich macht. Die Thematik des Buches ist faszinierend und regt zum Nachdenken über wissenschaftsethische Fragen an, auch schafft der Autor es überzeugend, den tatsächlichen Stand der Forschung mit seinen eigenen Ideen zu vermischen. Einzig die Figurenzeichnung überzeugt nicht wirklich, allerdings mindert das den Gesamteindruck des Buches nicht, da authentische Charaktere in Thrillern meist Mangelware sind. Auch der Spannungsbogen versteht es mitzureißen, nur zum Schluss trägt Schulte von Drach etwas zu dick auf und fügt zu viele Actionelemente ein, sodass „Furor“ zwar nicht durchweg zu überzeugen weiß, aber doch ein unterhaltsames und interessantes Lesevergnügen verspricht, das ich jedem Fan von Wissenschaftsthrillern nur empfehlen kann.