Archiv der Kategorie: Thriller & Krimis

Carver, Caroline – Dead Heat

Nach einem zehnjährigen und recht wilden Aufenthalt in Australien war Caroline Carver 1991 in ihre Heimat London zurückgekehrt, wo sie sich fortan als Schriftstellerin betätigte. Ihr unkonventionelles Leben in den Outbacks hat ihr seither als Inspiration gedient und wurde dementsprechend auch schon in verschiedenen Romanen thematisiert, unter anderem in „Wettlauf im Outback“, einem preisgekrönten Bestseller aus dem Jahre 2001. Mehr über die Autorin – und da gibt es einiges Ungewöhnliches – erfährt man auf ihrer [Homepage.]http://www.carolinecarver.com

„Dead Heat“ ist nun der neueste Abenteuer-Thriller aus der Feder von Caroline Carver, und wiederum ist es der Autorin gelungen, eine äußerst mitreißende Geschichte aus ihrer Wahlheimat zu verfassen, bei der es um den gnadenlosen Wettlauf um Leben und Tod geht.

Georgia Parish ist eine alleinstehende Frau, die im tropischen Norden Australiens in Nulgarra aufgewachsen und von dort aus nach Sydney übergesiedelt ist. Diesen Umzug hat sie auch nie wirklich bereut, weil sie sich in dem kleinen Kaff nie richtig wohlgefühlt hat. Trotzdem muss sie eines Tages gezwungenermaßen nach Nulgarra zurückkehren, um der Beisetzung ihres Großvaters beizuwohnen. Auf der Rückreise von dort ereignen sich allerlei unvorstellbare Dinge. Ihr Flugzeug stürzt mitten im Dschungel ab, und schon bald stellt Georgia fest, dass es sich hierbei um einen Sabotage-Akt handelte.

Die beiden übrigen Insassen des Flugzeugs, Lee Durham und die junge Chinesin Suzie Wilson, kommen bei dem tragischen Absturz des Sportflugzeugs nicht so glimpflich davon. Durham überlebt mit schweren Verletzungen, während für die Asiatin jegliche Hilfe zu spät kommt. Jedoch kann sie Georgia noch einen Beutel anvertrauen, der für ihren Bruder bestimmt ist, aber auf keinen Fall von einer anderen Person geöffnet werden darf.

Wie sich schnell herausstellt, ist gerade dieser Beutel auch die Ursache für den sabotierten Flug. Auf dem Rückweg zum Ursprungsort wird Georgia nämlich verfolgt und schließlich von einer chinesischen Gangsterbande gefangen genommen und gefoltert. Das Ziel der Bande: der mysteriöse Beutel. Langsam durchschaut Georgia die wirren Ereignisse der letzten Tage und sucht Hilfe auf. Daraufhin verschwindet der seltsame Mister Durham plötzlich. Welche Rolle er spielt, warum die Polizei darauf brennt, mit ihm in Kontakt zu kommen und was sich schließlich in dem begehrten Beutel befindet, soll noch nicht verraten werden, da ansonsten wichtige Eckpunkte der Handlung preisgegeben würden. Ist man aber erst einmal beim spannenden Verfolgungsrennen zwischen Georgia, der chinesischen Bande und dem verschwiegenen Flugzeuginsassen angelangt, wird es den Leser ungebremst danach gelüsten, dem Verlauf der Ereignisse zu folgen und die Hintergründe aufzudecken.

Was damit gesagt werden soll, dürfte klar sein: „Dead Heat“ ist ein unheimlich spannender Thriller mit viel Action, tollen Landschaftsbeschreibungen und erstklassig entwickelten Charakteren. Caroline Carver hat dabei ganz besonders die Rolle des Lee Durham stark gestaltet, der bis zuletzt ein unbeschriebenes Blatt bleibt. Dementgegen ist die eigentliche Protagonistin etwas eigentümlich dargestellt. Einerseits wird sie als schüchterne, trottelige und zurückhaltende Frau präsentiert, kurze Zeit später, als die Action in Fahrt kommt, wird sie plötzlich zur konzentriert handelnden, überlegt agierenden Pseudo-Agentin. Sympathisch ist sie uns dennoch, auch wenn so mancher logischer Schluss hier ad absurdum geführt wird. Schlussendlich interessiert den Leser die Logik im Detail am Ende auch nicht mehr so sehr, denn worum es bei diesem Buch geht, ist die Spannung, und die ist wirklich bis zur allerletzten Seite gegeben.

Krimi- und Thriller-Fans sollten also zweifelsohne auf ihre Kosten gekommen, zumal das Buch stilistisch gut und leicht verständlich geraten ist und zu keiner Phase irgendwelche gekünstelten Längen enthält. Ich persönlich habe mich jedenfalls als Begleiter der vierzehntägigen Abenteuerreise durch die australische Wildnis erstklassig unterhalten gefühlt.

Ann Granger – Messer, Gabel, Schere, Mord [Mitchell & Markby 4]

Der Umbau eines Landhauses zum Nobel-Restaurant sorgt für Aufruhr unter den wenig begeisterten Nachbarn. Am Tage der Neueröffnung wird eine Frau im Weinkeller erstochen. Inspektor Markby steht vor vielen Mordverdächtigen, die mehrheitlich zwar keine Mörder aber keineswegs unschuldig sind … – Zwar bietet Band 4 der „Markby-&-Mitchell“-Serie bietet kaum Krimi-Spannung, will dies mit englischer Landhaus-Romantik nach Genre-Vorschrift wettmachen und trifft routiniert ins Herz eines entsprechend gepolten Publikums: Lesen oder Schlafen – der Unterschied ist marginal.
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Peter Robinson – Das verschwundene Lächeln [Alan Banks 6]

In einer englischen Kleinstadt wird ein Kind entführt. Die ohnehin wenig hoffnungsfrohe Polizei ist erst recht alarmiert, als sich als potenzielle Täter ein gruseliges Pärchen herausschält, das aus Freude mordet, dies bereits getan hat und sicherlich fortsetzen wird, wenn man sie nicht möglichst zeitnahe aus dem Verkehr zieht … – Moderner, sehr mainstreamiger Kriminalroman, was bedeutet, dass Gesellschaftskritik, Gefühlsaufruhr und Privatprobleme der Beteiligten den Fall oft die Handlung dominieren: Gerade deshalb ist die Alan-Banks-Reihe, deren 6. Band dies ist, bei einem entsprechend geeichten Publikum ungemein beliebt. Peter Robinson – Das verschwundene Lächeln [Alan Banks 6] weiterlesen

Brown, Dan – Meteor

Mit seinem hochspannenden und rasanten Verschwörungsthriller [„Illuminati“ 110 gelang Dan Brown der Durchbruch, seitdem verkaufen sich seine Bücher blendend und werden gerade erst aktuell durch die Werke des neuen Papstes von den Spitzenplätzen der Bestsellerlisten verdrängt. Sein mitreißender Schreibstil ist es, der Browns Bücher zu einem besonderen Leseerlebnis macht, und auch die meist faszinierende Thematik, derer sich Brown bedient. In „Meteor“ rankt sich die gesamte Geschichte um einen Meteoriten, der mehr zu enthalten scheint, als auf den ersten Blick offenkundig wird …

_Schmutziger Wahlkampf_

In den USA herrscht Wahlkampf: Der karrierebesessene Senator Sexton tritt als Gegenkandidat gegen den amtierenden Präsidenten an, der durch seine kompromisslose Unterstützung für die NASA, die schon seit langer Zeit keine Früchte mehr getragen hat, langsam aber sicher ins Hintertreffen gerät. Genau an diesem Punkt setzt Sexton an, der die Verschwendung von Steuergeldern zu seinem heißesten Wahlkampfthema gemacht hat. Seine Tochter Rachel arbeitet im Weißen Haus für den amtierenden Präsidenten und weigert sich, auf Bitten ihres Vaters hin ihren Job aufzugeben. Das Vater-Tochter-Verhältnis ist ohnehin angespannt, da Sexton sogar den Tod seiner Frau für seine eigene Publicity genutzt hat und vehement die Affäre zu seiner Wahlkampfhelferin Gabrielle Ashe abstreitet. Mit seiner Kampagne gegen die NASA zieht er mehr und mehr die Wählerstimmen auf seine Seite, da die meisten amerikanischen Bürger kein Vertrauen mehr in die NASA haben und daher ihre Steuergelder nicht mehr in deren Händen wissen wollen. Doch Sexton hat einiges zu verbergen, denn wie finanziert er eigentlich seinen kostspieligen Wahlkampf?

Kurz nach einem Treffen mit ihrem Vater wird Rachel überraschenderweise zum Präsidenten bestellt, der sie in die Arktis fliegen lässt, um dort eine sensationelle Entdeckung für ihn zu bestätigen. Die in die Kritik geratene NASA konnte dort nämlich durch ein neuartiges Satellitensystem einen großen Meteoriten aufspüren, der bereits seit fast 300 Jahren im ewigen Eis steckt und mit einer kleinen Überraschung in seinem Inneren aufwartet. Um diese sensationelle Entdeckung für die ganze Welt zu verifizieren, hat der Präsident der USA nun einige unabhängige Wissenschaftler auf das Milne-Eisschelf geschickt. Mike Tolland, der sich mit einem Wissenschaftsmagazin im Fernsehen und seinen Filmen über die Unterwasserwelt einen Namen gemacht hat, ist einer dieser Wissenschaftler. Er ist auch derjenige, der die Fernsehdokumentation über den Meteoriten für die weitweite Publikation zusammengestellt hat. Schließlich tritt der Präsident mit der Neuigkeit über den Meteoriten, der noch eine weitere Überraschung in sich birgt, vor die Weltpresse.

Doch in der Arktis schweben Rachel und die anderen Wissenschaftler plötzlich in Lebensgefahr, weil eine Delta-Force-Einheit gewisse Informationen vertuschen will, die mit dem Meteoriten zusammenhängen. Welches Geheimnis umgibt den Meteoriten? Und wer hat die Delta-Force-Einheit in die Arktis geschickt, um den Meteoriten zu bewachen?

_Rasanter Wissenschaftsthriller mit Schwächen_

Erneut hat Dan Brown einen Pageturner vorgelegt, den man nur schwer aus der Hand legen kann. Sein Schreibstil erinnert mich stark an Michael Crichton, denn auch Brown hält sich nicht lange mit detaillierten Beschreibungen der handelnden Personen oder der Situationen auf, vielmehr konzentriert er sich auf das Wesentliche und verschwendet keine Worte. „Meteor“ ist in mehr als hundert sehr kurze Kapitel eingeteilt, sodass keine langen und langatmigen Szenen zu überwinden sind. Darüber hinaus ist Dan Browns Wortwahl einfach, sein klarer und knapper Schreibstil macht seine Romane immer wieder zu einem kurzweiligen (hier aber auch kurzlebigen) Leseerlebnis.

Dan Brown eröffnet in seinem Thriller verschiedene Handlungsstränge, die sich durch das gesamte Buch ziehen. Größtenteils bleibt der Leser bei Rachel, die sich auf der Flucht befindet, zwischendurch erzählen andere Kapitel aber auch mehr über Senator Sexton, seine Wahlhelferin Gabrielle und über Rachels Chef Pickering, die ihrerseits ebenfalls interessante Entdeckungen machen können. Wie gewohnt findet der Wechsel zwischen zwei verschiedenen Handlungsfäden immer an der spannendsten Stelle statt; Brown weiß natürlich, wie er seine Leser bei der Stange halten kann.

Doch ist der Spannungsaufbau in „Meteor“ nicht so gelungen wie in Browns kirchlichen Verschwörungsthrillern. Zwar bekommt der Leser nach und nach immer mehr Informationen über den gefundenen Meteoriten vorgeworfen und möchte dadurch immer dringender wissen, was genau eigentlich hinter dem Fund steckt, doch zeichnet sich zu schnell ab, dass mit dem Meteoriten etwas nicht stimmen kann, sodass das Überraschungsmoment schließlich ausbleibt.

Trotz des wissenschaftlichen Themas bleibt das Buch auch für Laien gut lesbar, da Fachvokabular im Zusammenhang erklärt wird und keine Fragen offen bleiben. Brown beweist hier erneut, dass er viel Recherchearbeit in seine Romane investiert, in „Meteor“ spart er nicht an Informationen zur Bestimmung nicht-irdischen Gesteins, sodass man auf diesem Gebiet durchaus noch etwas dazulernen kann.

Leider bleibt bei aller Rasanz die Figurenzeichnung auf der Strecke, da sich Brown keine Zeit nimmt, um seine Personen zu entwickeln. Stattdessen bedient er sich oftmals vieler Klischees, um seine leeren Figurhüllen mit Inhalt zu füllen. In „Meteor“ stehen außerdem zu viele Personen im Mittelpunkt des Geschehens, als dass jedem genügend Aufmerksamkeit gewidmet werden könnte. Zu viele Wissenschaftler reisen auf das Eisschelf, zu viele Figuren tauchen in der Rahmenhandlung auf. Auch über Rachel Sexton, die im Zentrum der Handlung steht, erfährt der Leser wenig Neues. Häufig wiederholt Brown sich, immer wieder spielt er auf ihr gestörtes Verhältnis zu ihrem Vater an und erwähnt mehrfach ihre Angst vor Wasser, doch tragen diese mageren Informationshäppchen kaum dazu bei, sich ein umfassendes Bild von Rachel machen zu können.

Obwohl ich Wissenschaftsthriller sehr gerne lese und die Thematik äußerst interessant finde, kann „Meteor“ meiner Meinung nach nicht die gleiche Faszination entwickeln wie „Illuminati“ oder auch „Sakrileg“. Browns inszenierte Schnitzeljagd durch Rom zur Zeit des Konklaves ist einfach unübertroffen und auch die Rätselsuche im Pariser Louvre, die schließlich in London endet, weiß deutlich mehr zu überzeugen als die Hetzjagd, die Brown in „Meteor“ veranstaltet. Zu unlogisch und unrealistisch sind hier die Wendungen, zu aussichtslos die Situationen, aus denen die guten Helden sich schlussendlich zumindest teilweise doch noch retten können. Der Autor kann kaum überraschen, da er sich lediglich der altbekannten Regeln einer solchen Verfolgungsjagd bedient, bei der nur ganz bestimmte Personen bis zum Ende überleben können.

Selbst vor logischen Fehlern bleibt dieser Roman nicht verschont, denn zwischendurch präsentiert uns Dan Brown wie gewohnt den Bösewicht, der zuvor offensichtlich zu der Gruppe der Guten gezählt wurde. Doch führt dies zu einigen Unstimmigkeiten, da der heimliche Bösewicht eine zeitlang mit den Guten zusammen gearbeitet hat und daher über ihre Pläne aufgeklärt ist, doch später muss er sich eines anderen Tricks bedienen, um seine Opfer ausfindig zu machen. Außerdem weiß ich nicht, wie Brown diese Zusammenarbeit begründen will, da dem Bösewicht kaum daran gelegen sein kann, seinen Gegnern zu helfen. Warum hat er es also doch getan?

Insgesamt schneidet „Meteor“ im Vergleich zu Browns Verschwörungsthrillern schlecht ab. Etwas bedauerlich finde ich, dass er nach seinem starken Kirchenthriller „Illuminati“ ein vergleichsweise schwaches Buch wie „Meteor“ geschrieben hat, da er zuvor bereits bewiesen hatte, dass er es besser kann. Auch fällt negativ auf, dass Dan Brown sich immer wieder des gleichen Strickmusters bedient; kennt man also einen Roman, so überraschen einen die Wendungen in Browns weiteren Werken nicht mehr. Dennoch bleibt „Meteor“ durchaus lesenswert und dürfte Fans von Wissenschaftsthrillern im Allgemeinen und Michael Crichton im Speziellen gut unterhalten. Das Buch ist kurzweilig und gut zu lesen. Mir persönlich fehlte etwas die Faszination, welche von den Geheimgesellschaften und der spannungsgeladenen Szenerie in „Illuminati“ ausging, bei „Meteor“ hat Brown leider nicht ganz so viel aus der an sich interessanten Thematik herausgeholt. Aufgrund der logischen Schwächen und der etwas vorhersehbaren Handlung kann „Meteor“ daher nicht vollkommen überzeugen.

Robert Bloch – Amok

bloch-amok-cover-kleinWer die kleine Statue der Hindu-Göttin Kali besitzt, entgeht auch in der amerikanischen Provinz nicht der Mördersekte der Thugs. Ein junger Mann will seine gemeuchelte Tante rächen, doch stets findet er seine Verdächtigen tot vor … – Thriller vom Verfasser des Kult-Reißers „Psycho“, der seine Mittelmäßigkeit hinter dem exotischen Plot gut versteckt und bis auf das nur mühsam überzeugende Ende zu unterhalten weiß.
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Koontz, Dean R. – Wächter, Der

Das Leben eines heiß gefragten Hollywood-Schauspielers ist hart. Das bezieht sich nicht alleine darauf, dass ein im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehender Mensch wie Channing Manheim Knochenarbeit verrichten muss, für die er völlig zu Recht mit Abermillionen Dollar entlohnt wird, sondern nimmt auch Bezug auf die Anfechtungen, die zu verkraften sind. Das geht manchmal ans Eingemachte, wenn nicht nur die schauspielerische Leistung zurechtgerückt wird, sondern das persönliche Schicksal bedroht wird. Dann werden auch Lichtgestalten wie Manheim zu winzigkleinen Menschen, mit allen Mitteln darum bemüht, das eigene Dasein vor Widrigkeiten zu beschützen.

Noch drängender wird diese Frage nach dem behütenden Schutz, sobald über die eigene Persönlichkeit hinaus nahe Menschen bedroht sein könnten. Manheim ist allein erziehender Vater (soweit bei der permanenten Abwesenheit von Manheim von einer Erziehung gesprochen werden kann, andererseits könnte es bei seinem Naturell durchaus sein, dass Kinder von der Nicht-Anwesenheit profitieren …), und Fric, sein zehnjähriger Sohn, lebt im Grunde alleine in einer prächtigen, großen, komfortablen Villa. Alleine mit einer ganzen Handvoll Bediensteten und … Sicherheitskräften, zu denen die zweite Hauptperson des Romans zählt, der ehemalige Polizist und jetzige Sicherheitschef Ethan Truman.

Auf diese beiden Personen – Fric und Truman – konzentriert sich Dean Koontz in seinem aktuellen Thriller. Er beleuchtet die Handlungswege von beiden parallel, schildert dabei den Arbeitsalltag von Truman, der gleich zu Beginn ein weiteres ominöses Päckchen mit einem schwer erklärbaren Inhalt erhält, und die grauen Tage von Fric, der mehr oder minder auf sich alleine gestellt ist und für den die Lektüre in der hauseigenen Bibliothek zu den aufregendsten Stunden des Tages zählt.

Beide kennen sich wenig, die Diskrepanz zwischen dem gut lebenden Fric und dem gewissenhaft agierenden Truman ist zu groß, zumal Fric eher misstrauisch und zurückhaltend anderen Menschen gegenüber agiert. Diese Vorbehalte mehren sich noch, als Fric im Einklang mit den seltsamen Päckchen mysteriöse Telefonanrufe erhält, die er aber erst einmal für sich behält. Wer sollte einem versponnenen Jungen wie ihm auch glauben.

Nicht weniger bizarr sind die Erlebnisse Trumans, der plötzlich einen tot geglaubten alten Freund wieder sieht. Schritt für Schritt enthüllt sich vor Trumans Augen eine unglaubliche zweite Daseinsebene, und damit betreten wir als Leser endlich Neuland, durchschreiten gemeinsam mit Truman eine Linie, die unsere reale Welt trennt von dem „danach“. Für Truman ist dies derart albtraumhaft und dermaßen unglaublich, dass auch er diese Informationen fürs Erste verschweigt; erst später öffnet er sich einem ehemaligen Kollegen aus dem Polizeidienst, der ihn in der Folgezeit diensteifrig unterstützt und letztlich auch an der Aufklärung des Falles beteiligt.

Dean Koontz zählt nach vielen Jahren des bedächtigen Aufbaus mittlerweile zur ersten Garde der amerikanischen Thriller-Autoren. Im Gegensatz zu den in einer, nun ja, „realistischen“ Welt handelnden Epigonen der Kollegen knüpft Koontz als alter Horror-Haudegen seine Fäden von dieser unserer Welt hinüber in eine Schattenwelt, in eine Todeswelt, in eine irreale Ebene des Lebens, die bevölkert ist von Toten oder Nicht-Toten oder unerklärlichen Existenzen. Jedenfalls vermischt er Gruselelemente sehr eifrig mit kriminalistischen Geschehnissen und bezieht gerade daraus seine wichtigen Spannungstopoi; das Unerklärliche wirkt auf den Leser bedrohlich, weniger der nicht ungewöhnliche, in seiner Entfaltung tausendmal gelesene Kriminalfall. Der ist alltäglich, seine Aufklärung dagegen nicht.

Darauf muss man sich auf den 740 Seiten einlassen können. Es ist nicht jedermanns Sache, eine solche Art von „Deus ex Machina“ in einem in der Jetztzeit spielenden Roman zu akzeptieren; wenn Truman nicht mehr weiterweiß, dann steht gewissermaßen der Engel bereit. Das mag als ein reflektierendes Element für eigene Handlungen seine Reize haben, aber als tragender Faktor bei der Lösung des Falles mutet es so manches Mal arg an den Haaren herbeigezogen an.

Trotz dieser Vorbehalte: Koontz spielt rücksichtslos seine Trumpfkarten aus, nachdem er so richtig Fahrt aufgenommen hat. Dazu benötigt er eine etwas zu lange Strecke, auf der er in ermüdender Drängelei ein ums andere Mal den Wohlstand Manheims beschreibt; irgendwann weiß auch der letzte unaufmerksame Leser, in welch praller Üppigkeit Fric lebt, wie viele Bücher hier und dort gestapelt sind, wie viele Kandelaber auf wie vielen Tischlein in den zigtausend Zimmer, Räumen und Sälen thronen … ach, das ist wirklich zu viel des Beschreibens, das ödet in diesen überbordenden Dimensionen irgendwann an.

Und hört doch glücklicherweise wieder auf, nachdem Koontz sich so richtig ausgetobt hat. Erst da, nach etwa mehr als einhundert Seiten, kann sich das Interesse des Lesers an den Figuren entfalten. Und erst da wird es spannend und interessant, und Koontz’ Karten stechen ohne Frage: Er verwöhnt mit sehr schönen Metaphern, schreibt sehr gute und unterhaltsame Dialoge und verwendet dazu gut gesetzte Spannungsmomente.

Das passt dann alles und hinterlässt letztlich doch das Gefühl, sich durch einen geschickt konstruierten, von zwei glaubwürdigen Charakteren geprägten Thriller gelesen zu haben. „Der Wächter“ liest sich immerhin so spannend, dass sich die Seiten wie von selbst umblättern …

_Karl-Georg Müller_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de veröffentlicht.|

Ben Benson – Alle haben Angst

benson-angst-cover-kleinIn einer amerikanischen Kleinstadt treibt eine jugendliche Autoknacker-Bande ihr Unwesen. Ein Polizist wird eingeschleust, doch misstrauische Ganovengenossen und unglückliche Zufälle lassen ihn auffliegen und in Lebensgefahr geraten … – Mittelmäßig spannende aber als Zeitdokument interessante Geschichte: Im US-Amerika der unmittelbaren Nachkriegszeit führt das Establishment Krieg gegen die aufmüpfige Jugend. Die eigentliche Kriminalhandlung dient als Aufhänger für moralinsaure Horrorvisionen, welche einen gravierenden Generationskonflikt höchst einseitig ‚erklären‘ und unverhohlen autoritäre ‚Hinweise‘ zur Beilegung liefern sollen.
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Dennis Lehane – Shutter Island

Lehane shutter island cover 2015 kleinAus einer abgeschiedenen Anstalt für wahnsinnige Straftäter ist eine Patientin verschwunden. Zwei US-Marshalls ermitteln vor Ort und kommen geheimen Menschenversuchen auf die Spur. Die Verantwortlichen bemühen sich daraufhin, die unerwünschten Zeugen auszuschalten … – Spannender Psycho-Thriller, in dem nichts und niemand ist, wie es und wer er scheint. Die Auflösung ist der Vorgeschichte wie so oft nicht gewachsen, was jedoch das Vergnügen an diesem gut erzählten Garn nur geringfügig schmälert.
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Smith, Sarah – dunkle Haus am See, Das

Aus uraltem österreichischen Adel stammt er, der Baron Alexander von Reisden; verarmt zwar, aber dank erfolgreicher Börsenspekulationen wieder zu Geld gekommen und als fähiger Biochemiker in der Fachwelt hoch angesehen. Er ist jung, gut aussehend, bei seinen Freunde beliebt, der Titel öffnet ihm in der Gegenwart des Jahres 1906 gesellschaftlich alle Türen. Aber Reisden ist ein Einzelgänger, seit er vor fünf Jahren seine Gattin bei einem von ihm verschuldeten Automobilunfall verlor, einen Nervenzusammenbruch erlitt und nach einem Selbstmordversuch lange Monate in einem Sanatorium verbringen musste.

Ein Fachkongress in der US-amerikanischen Metropole Boston verwickelt Reisden in eine bizarre Affäre, die einer der prominentesten Familien der Stadt seit Jahrzehnten argen Verdruss bereitet. 18 Jahre zuvor war Island Hill, der Stammsitz der steinreichen Knights, einsam gelegen am Matatonic-See im US-Staat New Hampshire, Schauplatz eines Morddramas geworden. William, Selfmade-Millionär, Räuberbaron, Kriegsgewinnler, religiöser Fanatiker und seiner Familie ein kaltherziger, böser Patriarch, hatte seine zahlreichen Kinder im Jahre 1887 entweder überlebt oder verstoßen. Nur sein Enkel Richard leistete ihm Gesellschaft, den der alte Mann mit brutaler Gewalt zu seinem Universalerben heranzog. Dies erregte offensichtlich den Neid von Jay French, von dem es hieß, er sei das illegitime Kind eines Knight-Sohnes, der im Bürgerkrieg gefallen war. Als „Bastard“ von der Erbfolge ausgeschlossen und vom Großvater huldvoll als Privatsekretär angestellt, erschoss der gekränkte French eines Tages William Knight im Streit und entfloh – so die Familiensaga. Richard, der die Bluttat beobachtete, weigerte sich zu reden. Drei Tage später verschwand auch er spurlos.

Das Knight-Vermögen fiel an Richards Erben: Gilbert Knight, den letzten von Williams Söhnen, den dieser Jahre zuvor enterbt und aus dem Haus gejagt hatte. In den folgenden Jahren weigerte sich dieser Gilbert, seinen Neffen für tot erklären zu lassen. Sein Glauben an dessen Fortleben trägt durchaus irrationale Züge. Ein Schock soll ihn zwingen, das stets Aufgeschobene endlich nachzuholen: Alexander von Reisden sieht dem verschollenen Richard zum Verwechseln ähnlich. Er soll dessen Stelle einnehmen, um sich dann in Gilberts Anwesenheit zu demaskieren. Aber der Plan misslingt: Gilbert erkennt Reisden uneingeschränkt als Richard an – bitter vor allem für Pflegesohn Harry, der endlich offiziell das Knight-Erbe antreten und die schöne Perdita Halley ehelichen wollte. Aber auch Reisden bereut es, sich auf das seltsame Spiel eingelassen zu haben. Er tritt die Flucht nach vorn an, beschließt, sich als Amateur-Detektiv zu versuchen und endlich Richards Schicksal zu klären. Mit den Knights bezieht er Island Hall, inzwischen zum düsteren Spukhaus verfallen, um dort die vor Jahren erkaltete Spur wieder aufzunehmen. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten bei den Ermittlungen sind freilich nicht die einzigen Hindernisse, gegen die Reisden anrennt. Längst nicht alle Beteiligten des Knight-Dramas sind so ahnungslos oder gar unschuldig wie sie zu sein vorgeben, und das bringt den schwermütigen Detektiv recht bald in Teufels Küche …

„Das dunkle Haus am See“ ist ein historischer (oder besser: historisierender) Kriminalroman der besseren Sorte, d. h. überzeugend nicht nur als sauber geplotteter und schriftstellerisch umgesetzter Thriller, sondern auch harmonisch verschmolzen mit der Realität des Jahres 1906. Diesen Punkt darf man nicht unterschätzen, denn allzu oft setzen Autoren gar zu offensichtlich auf die Vergangenheit als exotische Kulisse, die ganz allein eine 08/15-Krimihandlung – meist grob verschnitten mit Elementen des Herz-Schmerz-Genres – transportieren soll. Nicht besser sind jene Schreiberlinge, die geradezu manisch historische Fakten zusammenzutragen, um darunter mit ihrer Geschichte auch das Publikum zu begraben. Sarah Smith findet indes den goldenen Mittelweg, der da heißt: Historisch wird es nur dort, wo es der Handlung dienlich ist. Das zu realisieren, ist schon Herausforderung genug.

Smith meistert sie, was sie allerdings nicht in den Stand einer schriftstellernden Heiligen erhebt, wie uns der Klappentext glauben machen möchte. Bei nüchterner Betrachtung besticht dieser Roman jedenfalls nicht unbedingt durch Originalität. Alte Familienskandale in ebensolchen Gemäuern werden immer Interesse erregen. Neu sind sie als Grundlage eines Kriminalromans aber sicher nicht. Wie so oft ist es die Variation einer bekannten Melodie, die den wahren Genuss bringt. Hier besteht sie vor allem in der wohltuenden Abwesenheit jener hysterische Gefühlsduseligkeit, die fälschlich mit der „guten, alten Zeit“ in Verbindung gebracht wird, als die Menschen angeblich Gefangene einer stets erdrückenden, weil restriktiven Gesellschaftsordnung waren und Ausbruchsversuche unweigerlich in theatralischem Geschrei und Tränen endeten. Smith macht nun deutlich, dass die Welt vor einhundert Jahren zwar durchaus eine andere war, jedoch auch von ihren weiblichen Bewohnern nicht als reine Hölle empfunden wurde. Perdita Halley widersetzt sich erfolgreich dem ihr vorbestimmten Leben als Hausfrau und Mutter; sie startet allen Hindernissen zum Trotz eine Karriere als Künstlerin, ohne dass sie dafür von ihrer Familie in Acht und Bann getan wird. In einem Anne-Perry-Roman wäre mindestens der unsensible Harry für seine Selbstsucht mit einem schmalzigen Schurkentod „bestraft“ worden.

Mit Baron Alexander von Reisden ist Smith eine interessante Figur geglückt; dies allerdings nicht wegen, sondern trotz ihrer überkomplizierten, eher von Klischees als von Tragödien geprägten Vergangenheit. Gibt Reisden nicht gerade den weltschmerzgeplagten Schwermüter, treten seine angenehmeren Wesenszüge zu Tage: Als Naturwissenschaftler nennt er die Dinge beim Namen und geht ihnen auf den Grund. Ihn zum österreichischen Adligen amerikanischer Herkunft zu machen, ist ein geschickter Zug der Verfasserin, denn es erhebt Reisden zum Wanderer zwischen den Welten: der Alten und der Neuen, aber zwischen den gesellschaftlichen Schichten. Deshalb kann er ganz selbstverständlich sein zweites Abenteuer in der französischen Hauptstadt Paris erleben.

Leider wird ihn auch besagte Perdita Halley dorthin begleiten. Nur Sherlock Holmes konnte sich als personifizierte Denkmaschine ganz auf seine kriminalistische Arbeit konzentrieren, ohne dass seine Leser, besonders aber seine Leserinnen ihm dies übel nahmen. Die Zeiten haben sich jedoch geändert: Nun ist ein Privatleben für jeden Detektiv verpflichtend. Also muss es – die historische Realität wird hier problemlos mehr oder weniger ausgeklammert – neben dem Helden eine selbstbewusste, ihr Schicksal selbst gestaltende Frau geben, die nichtsdestotrotz auf der Suche nach Mr. Right ist, den sie und der sie nach vielen gefühlswalligen Verwicklungen auch finden wird – wenigstens im Roman dürfen Wünsche endlich einmal wahr werden! So erlebt Perdita das Abenteuer Emanzipation, nur dass sie das leider nicht wirklich zur interessanten Figur reifen lässt. Zur Abrundung des richtigen Kloß-im-Hals-Ambientes wird sie zusätzlich mit Blindheit geschlagen; nützt auch nichts. Stattdessen wundert und ärgert sich der Leser (hier einmal ausdrücklich in seiner maskulinen Variante angesprochen), dass die Verfasserin so einen Wirbel um ein ziemliches Gänslein entfesselt, während sie Anna Fen, die tatsächlich frei denkt und handelt, nicht nur stiefmütterlich behandelt, sondern regelrecht verstößt – sie war wohl selbst ihrer geistigen Mutter ein bisschen zu arg vom Leben verdorben.

Solche Einwände dürfen aber als marginal bezeichnet werden. Es überwiegt die Freude an der mit sicherem Pinselstrich rekonstruierten Welt des frühen 20. Jahrhunderts, jener eigentümlichen Epoche, die ungestüm den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt feierte, ohne mit den Kehrseiten konfrontiert zu werden, und schon modern im heutigen Sinne war, aber in gewisser Weise noch mittelalterlich. In Europa gab es noch Könige, die wirklich herrschten, in den USA ersetzten sie feudale Brachial-Kapitalisten, die sogar noch mächtiger waren. Der I. Weltkrieg würde dieser Märchenwelt nachdrücklich ein Ende machen, aber hier lässt sie Sarah Smith noch einmal aufleben. Das dafür nötige Rüstzeug hat ihr ein Studium der Filmkunde und Literatur in London und Paris sowie in Harvard verschafft – nicht die angebliche Nachfahrenschaft zu einer der berühmt-berüchtigten Hexen von Salem, wie kaum ein Werbetext vergisst dümmlich einzuflechten. Heute lebt sie in Boston, Massachusetts (Aha!), ist verheiratet, hat zwei Kinder und hält zwei graue Katzen (eine Klappentext-Weisheit).

Die „Alexander von Reisden/Perdita Halley“-Trilogie umfasst die Bände:

1. The Vanished House (1992; dt. „Das dunkle Haus am See“)
2. The Knowledge of Water (1996; dt. „Lautlose Wasser“) – dtv galleria 20333
3. A Citizen of the Country (2000; dt. „Das Geheimnis von Montfort“) – dtv galleria 20539

Nach Auskunft der Verfasserin ist die Serie damit abgeschlossen – aber was heißt das schon in der Literatur-Welt … Natürlich gibt es auch eine Website: http://www.sarahsmith.com (die freilich etwas angestaubt wirkt).

Laymon, Richard – Vampirjäger

Sam scheint als Lehrer ein bisher ziemlich gewöhnliches und langweiliges Leben geführt zu haben. Bis zu dem Abend, an dem seine Jugendliebe Cat plötzlich, nur mit einem blauen Bademantel bekleidet, vor seiner Tür steht. Dazu muss man wissen, dass Sam natürlich immer noch unsterblich in Cat verliebt ist, auch wenn er sie zehn Jahre nicht gesehen hat. Und so bedarf es auch fast keiner Überredungskünste ihrerseits, ihn zu einem Mord anzustiften.

Cat hat es nämlich faustdick hinter den Ohren. Ihren Ehemann hat sie schon vor ein paar Jahren beseitigen lassen, doch nun macht ihr der damals angeheuerte Killer zu schaffen. Der ist nämlich ein Vampir und besucht sie alle paar Nächte, um ihr das Blut auszusaugen. Drum will Cat den Kerl, Elliot ist sein Name, loswerden und braucht dazu Sams Hilfe.

Sam schlägt sich auch ganz gut als gedungener Mörder, doch stehen er und Cat nun vor einem Problem: Denn obwohl Vampire in Filmen immer sehr praktisch und zeitsparend zu Staub zerfallen, passiert mit Elliot gar nichts. Er blutet den Teppich voll und ist ansonsten eine ziemlich durchschnittliche Leiche. So machen sich Cat und Sam also mitten in der Nacht auf, um die Leiche in einem tiefen Loch weit weg von L.A. zu verscharren …

So einfach, wie die beiden sich diese Aktion vorstellen, ist sie aber lange nicht. Denn „Elliots Fluch“, wie sie ihr schlechtes Karma schon bald nennen werden, macht sich bald bemerkbar. Die beiden sind einfach vom Pech verfolgt. Zuerst kommen sie durch einen geplatzten Reifen von der Straße ab, dann geraten sie in die Fänge eines ziemlich zwielichtigen Bikers und von da an geht es rapide abwärts für Cat und Sam …

Man sollte es gleich zu Anfang sagen: Ein Vampirroman ist Richard Laymons „Vampirjäger“ wohl kaum. Elliot der Vampir ist eine wenig eindrucksvolle Gestalt mit seinen Fängen aus Stahl und seinem lächerlichen Cape. Und so wird er dankbarerweise auch relativ schnell ins Jenseits befördert. Seine reichlich seltsame Erscheinung und die Tatsache, dass er weder zu Staub zerfällt noch übermäßig auf Sonnenlicht reagiert, lässt beim Leser darüberhinaus die Vermutung aufkommen, dass Elliot nur ein Spinner ist; ein Außenseiter, der hinter der Maske des Vampirs seine brutale Sexualität auslebt. Auch Cat und Sam sind sich nie so ganz sicher, ob sie mit Elliot nun einen wahren Blutsauger um die Ecke gebracht haben. Doch sicherheitshalber befolgen sie die ungeschriebenen Regeln für Vampirjäger genau – man kann ja nie wissen!

Aber wie gesagt, Elliot ist für den Hauptteil des Romans tot und im Kofferraum von Cats Wagen verstaut. Statt eines Vampirromans bekommt der Leser also eine Art Horror-Road-Movie (als Buch, versteht sich) mit einer starken Prise Erotik und Sex. Denn natürlich bleiben Sams Gefühle für Cat nicht lange unerwidert. Nach einigen zaghaften Annäherungsversuchen fallen die beiden, im Angesicht der Todesgefahr, förmlich übereinander her – was macht es schon, dass sie gerade einen Autounfall hinter sich haben und beide ziemlich lädiert sind?

Laymon beschreibt auf stolzen 440 Seiten gerade mal einen Tag im Leben von Cat und Sam. Zugegeben, an diesem Tag passiert außergewöhnlich viel und außergewöhnlich Seltsames. Trotzdem erklärt Laymon mit akribischer Genauigkeit, was seinen Protagonisten gerade widerfährt. Dies kann zu Ermüdungseerscheinungen beim Leser führen. Wenn man nachts um zwei ins Bad geht, ist es relativ logisch, dass man das Licht anmacht. Solche Dinge müssen nicht extra erzählt werden. Sie hemmen das Vorankommen der Handlung und verlängern das
Buch unnötig.

Laymon schreibt eindeutig für ein männliches Publikum, das garantiert den meisten Spaß an seiner erotisch aufgeladenen Atmosphäre haben wird. Sams Fixierung auf Cats Busen und das allgemeine Fehlen jeglicher Unterwäsche im Roman wird Frauen schnell langweilen. Laymon kann ganze Seiten damit zubringen zu beschreiben, wie Cats Bluse über ihre Haut rutscht und ein Stück Brust freilegt. Hochrutschende Kleider, freigelegte Schenkel und schweißnasse Haut sind ein wichtiger Bestandteil von Laymons Romanwelt.

Die andere wichtige Zutat ist Gewalt. Nachdem Cat und Sam ihre (ohnehin nur minimal vorhandene) Moral abgeschüttelt haben, haben sie kein Problem mit Mord, Gewalt, Brechstangen, Waffen und einem guten Schuss Folter. Mit zunehmendem Genuss lassen sie sich in die Halbwelt von Kleinkriminellen und Verbrechern hinab und teilen so gut aus, wie sie einstecken müssen.

Für zarte Gemüter ist Richard Laymon also nichts. Auch klassische Horrorelemente findet man nur spärlich, stattdessen setzt er auf Brutalität und Gewalt und lässt das Blut genüsslich spritzen. Cat und Sam unternehmen eine wilde Reise hinab in den Sumpf menschlicher Abgründe – wem „Kalifornia“ gefallen hat, der wird auch „Vampirjäger“ lieben!

Wer härtere Gangarten mag, der greift mit „Vampirjäger“ zum richtigen Buch. Zusammen mit Cat und Sam darf man sich als Leser genussvoll dem Blutrausch aus zweiter Hand ergeben und den Bösen ordentlich eins auf die Mütze geben. Und auch wenn es klischeehaft und kaum überraschend ist, so freut man sich doch, dass der Held wider Willen am Ende die wunderschöne und tapfere Frau gewinnt und sie beide bis ans Ende ihrer Tage glücklich leben … Oder zumindest so lange, bis der nächste Unruhestifter vorbeikommt.

Catherine Aird – Schlossgeheimnisse

aird-schlossgeheimnisse-kleinIn einem englischen Schloss wird der Archivar des Hauses erschlagen. Offenbar drohten seine Recherchen unerfreuliche Familiengeheimnisse bloßzulegen. Diese Familie stellt denn auch die Runde der Verdächtigen, denen die Polizei auf den Zahn fühlt … – Kleiner aber ausgesprochen feiner ‚Kuschelkrimi‘ („Cozy“), der liebgewonnene Klischees (Mord im Schloss, bevölkert von kauzigen Zeitgenossen) gelungen in die Gegenwart transponiert. Der an sich simple Plot wird mit knochentrockenem Wortwitz präsentiert, der dieses Werk endgültig zum Lektürespaß adelt.
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Gary Braver – Das Elixier

Das geschieht:

1980 spürte Biochemiker Dr. Christopher Bacon im Dschungel von Papua-Neuguinea heilsamen Pilzen nach, Weil er dabei seinem einheimischen Begleiter, dem Schamanen Iwati, das Leben rettete, weihte ihn dieser in das Geheimnis der Tabukari-Pflanze ein, die dem Menschen Unsterblichkeit schenkt; er selbst sei auch schon 130 Jahre alt, eröffnete Iwati damals dem staunenden Freund.

Sechs Jahre später tüftelt Bacon immer noch an einer Version des Wundermittels, das er „Tabulon“ nennen möchte. Inzwischen werden seine Labormäuse steinalt. Bacon würde gern selbst die eigene Medizin versuchen, gäbe es nicht hässliche Nebenwirkungen gäbe: So manche Maus holt plötzlich die Zeit ein, die sie dank Tabulon betrügen konnte. Das Ende ist ebenso spektakulär wie tödlich, was Bacon klugerweise zur Zurückhaltung mahnt. Allerdings muss er erfahren, dass ihn sein alter Freund und Mitforscher Dexter Quinn, den er als einzigen ins Vertrauen zog, schnöde hinterging: Quinn hat sich heimlich Tabulon injiziert. Die Wirkung entsprach tatsächlich dem Sturz in den Jungbrunnen, bis es ihm eines Tages ergeht wie besagten Mäusen. Gary Braver – Das Elixier weiterlesen

Erwin, Birgit – Lichtscheu

Pater Matteo, direkt aus dem Vatikan angereist, soll den Wissenschaftler Victor Westcamp in einer unheimlichen Nachtaktion im Londoner Tower taufen. Wer wusste schon, dass der Tower seinem Zweck als Verlies noch immer nachkam? Matteo findet Victor in einem stockfinsteren Keller, mit Silberketten gefesselt, abgemagert, aber von einer charismatischen Aura umgeben, die ihn sofort sympathisch erscheinen lässt. Matteo verspritzt sein Weihwasser über dem Gesicht des anscheinend Verrückten, der sich für einen Vampir hält. Die Haut schlägt Blasen, der Mann schreit, Matteo ist schockiert. Welche Krankheit ist das, die Menschen wie den mythischen Vampir empfindlich gegen Weihwasser macht? Bevor er Hals über Kopf aus dem Tower flieht, gewährt er Victor eine Bitte: Seiner Tochter Silver von diesem Treffen erzählen, mit der Aufforderung, seinen Weg zu vollenden. Er würde in dieser Nacht sterben.

Matteo findet Silver, und damit gerät er in einen Strudel der Ereignisse, der ihn zu verschlingen droht. Mord und Intrigen, grausame Foltern – er findet den Vatikan in der Mitte des Geschehens, und wie soll er seine brennende Liebe zu Silver mit den silbernen Augen bewältigen?

Wir sehen, wie Matteo immer weiter abrutscht und sich in einem Netz aus Geheimnissen und Mythen verstrickt, die gegen seine tiefste Überzeugung stehen. Die aktuellen Geschehnisse verbinden sich mit dunklen Punkten in der Vergangenheit seiner Familie, eine große Verwirrung verzerrt sein Wirklichkeitsbild und bringt ihn schließlich zu einer Auflistung der Toten, die er zu beklagen hat. Dass „Gott“ einer dieser für Matteo Toten ist, entwickelt sich vor allem in der zweiten Hälfte der Geschichte zur Offensichtlichkeit – für Matteo widersprechen sich die Lehren der Kirche und die nahezu offensichtliche Existenz von Vampiren, die fast mit allen mythologischen Schwächen und Stärken behaftet sind. Er fragt sich nur nicht, wie ein Vampir von Weihwasser angegriffen werden kann, wenn es keinen Gott gibt.

Selbstironisch lässt Birgit Erwin ihren Protagonisten fragen, ob er sich in einem Roman von Dan Brown befinde, bei all den dunklen Machenschaften, in die der Vatikan verwickelt ist – wovon der normale Priester im Allgemeinen nichts weiß. Nach der letzten Stellungnahme der Kirche, die Dan Browns „Sakrileg“ ächtete, lassen sich diesbezüglich tatsächlich Verbindungen knüpfen (ich kann aufgrund der offenen Ironie nur vermuten, dass sich die Autorin davon nicht beeinflussen ließ).

Obwohl „Lichtscheu“ der erste Roman der Autorin ist, fesselt sie den Leser mit großem Geschick ab der ersten Seite. Sowohl theoretisch als auch kreativ überzeugt Erwin ohne Einschränkung, ja begeistert sogar und kann sich problemlos mit Meistern der Belletristik messen lassen.

[…]|
»Mach, dass es nur ein Traum war! Oh. Mein. Gott!«
Ohne die Augen zu öffnen, tastete er nach der Wolldecke, die sich auf Höhe seiner Kniekehlen zu einem harten Klumpen zusammengeballt hatte, und zerrte sie über seinen schutzlosen, sündigen Körper.
»Vergib mir, Vater, vergib mir, vergib mir …«, flüsterte er.
»Soll ich rausgehen, während du dich kasteist, oder ist es dir lieber, wenn ich zusehe. Macht dich das scharf?«|
[…]
Auszug aus „Lichtscheu“, Seite 107.

Intrigen werden gesponnen, Matteo verliert den Glauben an die Menschen und an Gott, und obwohl er von jedem nur benutzt zu werden scheint, macht er weiter, und auch wenn es ihn abstößt, sucht er weiter. Seine Tage als „Laufbursche, der keine Fragen stellt“ sollen für ihn vorbei sein, und außerdem ist da noch seine brennende Liebe zu Silver. Mit dem unerwarteten Faustschlag (Erwin vertieft sich mit uns in Matteos Gedanken und überrascht uns ebenso wie ihn) beginnt der phantastische Teil der Geschichte, die trotzdem nicht an Realismus verliert. In einem Strudel jagen sich nun die Erkenntnisse, die sich teils widersprechen und neue Rätsel aufgeben, bis Matteo in einem letzten Aufbäumen die Wahrheit erkennt, und im gleichen Moment, in dem er die Fesseln des Benutzten abwirft, neuerdings Opfer einer Beeinflussung wird.

Es bleiben einige wenige Fragen offen, zum Beispiel konnte ich mir die Bestandsaufnahme ganz zum Schluss nicht völlig erschließen, denn wenn ich Matteos Mutter einbeziehe, erhält die Liste einen Sinn, der eine andere gelistete Person ausschließt. Insgesamt macht „Lichtscheu“ Lust auf mehr, es entreißt uns der Wirklichkeit und lässt erst wieder los, wenn das letzte Wort gelesen ist. Und genau das ist für mich das wichtigste Kriterium für einen guten Roman.

_Birgit Erwin_ wurde in Aachen geboren und studierte Anglistik und Germanistik. Seit September 2003 ist sie Studienreferendarin an einem Gymnasium, nebenbei schreibt sie Rezensionen und Geschichten. 2003 und 2004 belegte sie jeweils den zweiten Platz beim Jahreswettbewerb der [Storyolympiade.]http://www.storyolympiade.de Ihr Preis: Die Möglichkeit, einen Roman zu schreiben.
Mit „Lichtscheu“ erschien ihr Erstling, ein weiterer Thriller ist für 2006 geplant und soll unter dem Titel „Neun Leben“ ebenfalls im [Wurdack-Verlag]http://www.wurdackverlag.de erscheinen.

Charlotte Link – Der fremde Gast

„Mach Fremden nicht die Tür auf“, so schärft man es kleinen Kindern immer wieder ein, Charlotte Links aktueller Thriller macht aufs Schärfste deutlich, was einem blühen kann, wenn man sich nicht an diesen Leitsatz hält. Hatte ich bislang nur vier von Links historischen Gesellschaftsromanen gelesen, so bekam ich durch ihr neu erschienenes Taschenbuch nun endlich die Möglichkeit, auch einen ihrer Thriller zu lesen. Wieder einmal beweist Link eindrucksvoll, dass sie Leser an ihre Bücher fesseln kann und zu unterhalten weiß. Einmal angefangen, kann man ihre Werke nicht mehr aus den Händen legen, „Der fremde Gast“ stellt hier keine Ausnahme dar …

Wenn der Mörder zweimal klingelt

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Zoran Drvenkar – Du bist zu schnell

_Die Hintertür im Hirn_

Eines Nachts wacht Marek davon auf, dass seine Freundin Val ihn wachschüttelt. Sie erkennt ihn nicht und schreit ihn an: „Was hast du hier verloren? Was tust du in meinem Bett, du Penner? Los, verschwinde!“

Diese nächtliche Episode, verschieden farbige Pillen in ihrer Kosmetiktasche, die Tatsache, dass er fast nichts über ihre Vergangenheit weiß, all das macht Marek schon länger misstrauisch.
Eines Abends findet er Val völlig aufgelöst in ihrer Wohnung. Im Bad liegt zusammengekrümmt die Leiche ihrer Sandkastenfreundin Jenni. Am Spiegel steht mit ihrem Blut der Satz: „Wo bist du gewesen?“

Val leidet seit Jahren unter einer Psychose, die sie durch Medikamente im Griff zu haben scheint. Sie führt ein ganz normales Leben, doch wenn die Tür zur Psychose geöffnet ist, sieht Val die Welt in Zeitlupe, träge und schleichend. Daneben sieht sie einige wenige Menschen, die sich in normalem Tempo fortbewegen: die Schnellen. Von ihnen geht die Bedrohung aus. Doch sind sie bloß ein Hirngespinst oder gibt es sie wirklich? Val ist überzeugt, dass sie etwas gesehen hat, was sie nicht hätte sehen dürfen und nun dafür bestraft wird.

Val, Marek und Jennis Freund Theo erzählen ihre Version der Geschichte abwechselnd, in atemlosen Rückblenden. Der Wechsel der Erzählperspektiven macht einen Großteil der Spannung aus: Was ist wahr? Was ist Wahn? Und was ist eigentlich wirklich geschehen?

Trotz des blutigen Auftakts: Reißerische Szenen stehen in diesem psychologischen Thriller nicht im Mittelpunkt. Es geht vielmehr um Gefühle, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut gehen, um seelische Grausamkeit sich selbst und anderen gegenüber. Die Grenzen zwischen „Verrücktsein“ und so genannter Normalität sind hier fließend. Das ist das wirklich Schockierende daran.

Ein Buch, das man kaum aus der Hand legen kann. Und wenn man es schließlich fassungslos zuklappt, geht es einem noch lange nicht aus dem Kopf.

Zoran Drvenkar ist als Sohn kroatischer Einwanderer in Deutschland aufgewachsen und hat sich hierzulande schon als Kinder- und Jugendbuchautor einen Namen gemacht. „Du bist zu schnell“ ist seine erste Veröffentlichung, die sich ausschließlich an Erwachsene richtet.

Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 288 Seiten

Hardwick, Michael – Fluch von Baskerville, Der (Sherlock-Holmes-Criminal-Bibliothek Band 1)

Es ist gar nicht so einfach, über Michael Hardwick etwas mehr zu erfahren, als der knappe Verlagstext hergibt, zumal die Notiz 1:1 von einer englischen Site übernommen wurde, die einem dann laufend von der Suchmaschine präsentiert wird. Der Vermerk, Hardwick sei der Erste, „dem seit Christopher Morley das ‚Sign of the Four‘ der |Baker Street Irregulars of America| verliehen wurde“, klingt beeindruckend, obwohl es dem Normalleser wenig sagen mag. Über das „Sign of the Four“ wenigstens liest man, es sei „eine der denkbar höchsten Auszeichnungen für einen Verehrer von Sherlock Holmes, der sich um ihn verdient gemacht hat“; nun gut. – Hardwick, so die Notiz weiter, war Leiter des Bereichs Drama bei der BBC und deren führender Drehbuchautor. Sein Roman „Prisoner of the Devil“ „wird von vielen als das beste Sherlock-Holmes-Abenteuer angesehen, das nach dem Tod Conan Doyles geschrieben wurde“ (wer auch immer diese ominösen „Vielen“ sein mögen). Einiges schrieb Hardwick zusammen mit seiner Frau Molly. Und er ist mittlerweile verstorben. Lebensdaten werden nicht genannt. Genau so fehlen Originaltitel, Erscheinungsjahr und Copyright des vorliegenden Buches. Daher von mir ein paar Ergänzungen: John Michael Drinkrow Hardwick (1924 – 1991) verfasste insgesamt 14 Sherlock-Holmes-Pastiches, darunter Theaterstücke, Romane und 1985 die besagte Autobiographie. „Prisoner of the Devil“ kam 1979 heraus, und das hier zu besprechende Buch erschien 1987 unter dem Titel „The Revenge of the Hound“ (also „Die Rache des Hundes“ – nix mit „Fluch“ und „Baskerville“).

In diesem Abenteuer schreiben wir das Jahr 1902. Queen Victoria ist tot, Edward VII. hat den Thron bestiegen. Das „Viktorianische Zeitalter“ ist dahin, Europa und die Welt stehen vor großen Veränderungen. Der deutsche Kaiser W Zwo macht durch militärische Umtriebe besorgt. Und was halten eigentlich Russland und Frankreich von der Macht des British Empire?

Doch auch für den Meisterdetektiv wird sich einiges ändern. Zum einen steht Dr. Watson zum dritten Mal auf Freiersfüßen, eine junge Amerikanerin ist die Glückliche. Zum anderen meint Holmes, seine Zeit sei abgelaufen: Die moderne Gesellschaft mache die Menschen dermaßen gleich, dass seine Methode, aus individuellen Einzelheiten zu deduzieren, sich bald erledigt haben werde. Dabei ist er kein Fortschrittsfeind, er nutzt eifrig das Telefon und sagt diesem für die Polizeiarbeit eine große Zukunft voraus. Ansonsten aber hat sich in der Baker Street 221B nicht viel verändert. Die gute Mrs. Hudson sorgt immer noch fürs leibliche Wohl, und immer noch führt man bei Drinks und einer Pfeife Rededuelle am Kamin – wie die Fans des Meisterdetektivs es lieben. Hardwick kennt seinen Holmes ausgezeichnet, das Buch ist voll von Bezügen zu anderen Fällen und von genau nachempfundenen Figuren. Und es gelingt ihm, selbst einen guten Holmes-Fall zu konstruieren, mit genug Verwirrung, Spannung und Flair.

Zuerst kommen Gerüchte auf, der Hund von Baskerville treibe nun in Hampstead Heath sein Unwesen – jedenfalls wurde ein Landstreicher von einer mysteriösen Bestie angefallen. Dann stößt man bei Straßenbauarbeiten in Tyburn auf die Gebeine gehenkter Verbrecher – und mit Watsons Hilfe werden Oliver Cromwells Knochen samt seines Schwertes identifiziert (Cromwell wurde nach Wiedererrichtung der Monarchie aus seiner Gruft geholt und nachträglich „hingerichtet“). Bald darauf stiehlt jemand Knochen und Schwert, was Holmes nicht freut, denn er meint, in diesen unruhigen Zeiten könnten solche „Reliquien“ benutzt werden, um einen Umsturz herbeizuführen. Außerdem verschwindet in Lausanne Lady Frances Carfax. Diesen Fall kennen wir von Doyle selbst; Hardwick parodiert die Eingangsszene der Geschichte recht witzig. Ebenfalls entnimmt er der Vorlage, dass Watson an Holmes’ Stelle auf den Kontinent reisen muss und dort unverhofft auf den Meister trifft, der undercover operiert. Dann folgt wieder Hardwick pur: Als die beiden mit der Fähre nach England zurückkehren, wird an Bord ein chinesischer Steward ermordet. Außerdem sucht Mycroft Holmes seinen Bruder auf und lädt ihn zum König ein, der Holmes bittet, von der Frau eines Industriellen einen Brief zurückzuerlangen, den Edward dieser Dame geschrieben hat, als er noch Prince of Wales war (Irene Adler lässt grüßen, worauf Hardwick selbst hinweist). Was noch? Das Denkmal für Cromwells „Henker“ Charles II. vor Victoria Station wird enthauptet, und der vom Hund angefallene Landstreicher verschwindet spurlos: so viele Puzzleteile. Man hofft und wünscht nur, es möge Hardwick gelingen, sie zu einem stimmigen Ganzen zu fügen – alles muss schlüssig miteinander zu tun haben, oder der Autor hat versagt.

Hardwick schafft es. Am Ende ergibt alles einen Sinn, haben wir einen Fall mit brisantem politischen Hintergrund, in dem sogar Karl Marx eine kleine Rolle spielt, und das nicht nur, weil das Geschehen auf Highgate Cemetery kulminiert. Hat sich der Leser streckenweise gefragt, was das alles soll, wird er nun reichlich entschädigt – die Schluss-Szenen sind exzellent gelungen. Ansonsten bilden rätselhafte Morde, ein undurchsichtiger Lord, Bestien, Verkleidungen, Verfolgungen, Grüfte, Geheimbünde und ein wie immer ratloser Inspektor Lestrade genau die Mischung, auf die man hofft. Gewiss fragt man sich, ob Watsons Heiratspläne im Buch noch eine andere Funktion haben als die, den Meister anfangs abzulenken, oder ob nicht ein etwas zu großer Zufall die beiden gerade an Bord des Schiffes führt, auf dem der Steward ermordet wird, was wiederum mit allem anderen in Verbindung steht. Ich fand die Anhäufung immer neuer Fälle bis zur Hälfte des Buches mitunter ein wenig zu verwirrend und manche Anspielung auf „Der Hund von Baskerville“ allzu raffiniert … doch hilft die Sympathie für den großen fiktiven Briten, solche Dinge wegzustecken und einfach weiterzulesen. Was Hardwick jedenfalls sehr gut beherrscht, ist das Sherlock-Holmes-Milieu mit all seinen Facetten, mit den Eigenheiten der beiden Hauptfiguren und ihren immer interessanten Wortgefechten. Dies ist also eindeutig ein gutes Abenteuer des unsterblichen Detektivs.

© _Peter Schünemann_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [buchrezicenter.de]http://www.buchrezicenter.de veröffentlicht.|

Richard Condon – Der Manchurian Kandidat

Das geschieht:

1951 gerät in Korea ein US-amerikanischer Spähtrupp in einen chinesisch-sowjetischen Hinterhalt. Die Männer werden in die nordostchinesische Mandschurei verschleppt, wo sie der Neurologe Yen Lo einer neuen Form der Gehirnwäsche unterzieht. Aus jungen Patrioten werden kommunistisch programmierte „Schläfer“, die als Kriegshelden in die USA zurückkehren, während sie weiterhin geistig „ferngesteuert“ werden.

Sergeant Raymond Shaw ist ein idealer (mandschurischer) Kandidat für dieses Projekt. Als Sohn einer einflussreichen Familie hat er Kontakte bis ins Weiße Haus. Er sieht gut aus und kommt in den Medien an. Das verschafft ihm die notwendige Bewegungsfreiheit. Richard Condon – Der Manchurian Kandidat weiterlesen

Ludlum, Robert / Lynds, Gayle – Paris-Option, Die

Robert Ludlum sollte in Expertenkreisen eigentlich ein sehr bekannter Name sein, hat der Schriftsteller doch zu Lebzeiten die Ideen zu 27 Romanen gegeben und so die beeindruckende Anzahl von 210 Millionen verkauften Büchern erreichen können. Solche Absatzzahlen erreicht man schließlich nicht mir irgendwelchen Groschenromanen (hoffe ich zumindest).

Unter Ludlums Werken befinden sich unter anderem die Geschichten um den Profikiller Jason Bourne, der ja unlängst in Streifen wie „Die Bourne-Verschwörung“ und „Die Bourne-Identität“ zu Kinoehren gekommen ist. Weiterhin zu dieser Serie gehören übrigens auch der dritte Teil, „Das Bourne-Ultimatum“ und ein neuer Band von 2004, „The Bourne Legacy“, verfasst von Eric Van Lustbader nach Vorgaben von Ludlum.

30 Jahre lange widmete sich Ludlum seiner Karriere als Buchautor, nachdem er 1971 mit „Das Scarletti-Erbe“ sein Erstlingswerk abgeliefert hatte. Im März 2001 verstarb Robert Ludlum schließlich im Alter von 73 Jahren und hinterließ weitere Ideen zu spannenden Thrillern, die im Folgenden noch nachbearbeitet wurden, unter anderem von Gayle Lynds, der auch für die Bearbeitung der aktuellen Veröffentlichung „Die Paris-Option“ verantwortlich ist.

Dementsprechend war ich auch gespannt auf den Inhalt dieses vorerst letzten Romans, einem 600-Seiten-Thriller mit durchaus aktuellem Hintergrund, der ein Jahr nach Ludlums Tod weiterbearbeitet wurde – doch genau diese (vor allem stilistische) Überarbeitung könnte dem Buch schließlich auch zum großen Nachteil gereicht haben. Wie sich nämlich schon sehr schnell, eigentlich schon nach der ersten Lesestunde, herausstellt, ist „Die Paris-Option“ (übrigens der dritte Teil der so genannten Covert-One-Serie) nur eine recht mäßige Lektüre, die zudem inhaltlich mächtig aufgeblasen und unnötig ausgeschmückt scheint. Zusätzlich hält sich Ludlum bzw. Lynds mit übertriebenen Beschreibungen nicht zurück; wenn die Supermacht USA wirklich so toll wäre und alle Frauen Lynds‘ Körperschema erfüllten, dann wäre die Welt nämlich perfekt. Aber kommen wir erst einmal zum Inhalt, um den genauen Sachverhalt darstellen zu können:

Eine Bombenexplosion im berühmten Pariser Pasteur-Institut wird zum Schicksalsschlag für den berühmten Wissenschaftler Emile Chambord, der diesem Anschlag zum Opfer fällt. Chambord arbeitete gerade an der Entwicklung eines DNA-Computers und schien mit dieser Tätigkeit schon sehr weit fortgeschritten; sein tragischer Tod jedoch machte diesen wichtigen Forschungsschritt zunichte und zerstörte auch noch sämtliche wichtigen Unterlagen.

Doch auch weiterhin spielen sich im direkten Umfeld seltsame Dinge ab. Urplötzlich verschwinden amerikanische Kampfjets vom Radarschirm, und kurze Zeit später scheint sich zwischen diesen beiden konträren Gegebenheiten ein Zusammenhang zu entwickeln.

Covert-One-Agent Jon Smith fliegt höchstpersönlich nach Paris, um die Verbindung zwischen dem Anschlag auf das Labor des Wissenschaftlers und den Drahtziehern, die den Weltfrieden bedrohen, zu analysieren und ihnen auf die Schliche zu kommen.

Eigentlich ist die Sache schon nach kurzer Zeit klar, denn bevor Lynds im Buch den nächsten Schritt beschreibt, ist der Leser ihm in Gedanken schon wieder ein ganzes Stück voraus. Vorhersehbarkeit ist daher auch das größte Manko dieser partiell einigermaßen spannenden Geschichte. Doch auch die eben angesprochene Schwäche, dass wirklich jede kleine Maus in aller Ausführlichkeit beschrieben wird und Lynds zeitweise den Blick fürs Wesentliche verliert, schmälert die Spannung erheblich.

Was mich an „Die Paris-Option“ aber am meisten nervt, ist dieser unterschwellige politische Hintergrund. Die Weltpolizei USA wird mal wieder als der Retter des Weltfriedens angepriesen, während die übrigen Staaten nicht in der Lage sind, ihre internen Probleme zu lösen; eine Tatsache, die sich grundlegend in vielen Ludlum-Romane abspielte, hier aber überhand nimmt. Zwar wird das Böse dieses Mal von einer anderen Macht verkörpert als man das gewohnt ist, aber dieses recht dämliche Gut-gegen-Böse-Gehabe, welches sich durch den gesamten Roman zieht, wirkt auf mich vollkommen überladen.

Dasselbe gilt im Prinzip auch für die klischeehafte Darstellung des Hauptdarstellers. Jon Smith ist ein Superheld, wie er im Buche steht – im Comic-Buch. Insbesondere hier neigt Lynds zur vollkommenen Übertreibung und verliert den Boden unter den Füßen.

Schade ist dies alles, weil die Grundzüge der Story eigentlich sehr gut sind, in ihrer hier vorliegenden Darstellung aber nie echte Spannung aufkommen lassen. Hätte Lynds/Ludlum die Sache von einer anderen Seite aus angepackt, sämtliche Klischees außen vor gelassen und zudem dafür gesorgt, dass der Leser nicht bereits recht früh erahnen kann, wie die Geschichte um den Covert-One-Agenten ausgehen wird, hätte man nämlich an dieser Stelle höchstwahrscheinlich nur wenig Anlass zum Meckern gehabt. So hat Lynds nämlich im Endeffekt nicht nur seinem eigenen Ruf als Autor geschadet, sondern auch dem Namen des verstorbenen Ideengebers – den ich hier nachfolgend aber noch einmal als Ausnahmeautor hochhalten möchte.

Mehr über Robert Ludlum erfährt man unter http://www.ludlumbooks.com.

http://www.heyne.de

Dan Brown – Diabolus

Dan Browns Kirchen-Thriller „Illuminati“ und „Sakrileg“ platzieren sich beständig an der Spitze internationaler Bestsellerlisten. Die immense Popularität dieser Romane zeigt sich auch in der für 2006 mit internationalen Stars wie Tom Hanks, Jean Reno und Audrey Tautou geplanten Verfilmung von „Sakrileg“. Bis zum Erscheinen seines nächsten Buches, Thema sind diesmal die Freimaurer, dürfte noch einige Zeit vergehen. Brown selbst gibt an, er wäre noch nicht weit genug fortgeschritten, um einen Termin nennen zu können.

Grund genug für den |Lübbe|-Verlag, Browns damals nur mäßig erfolgreiches Erstlingswerk „Digital Fortress“ unter dem deutschen Titel „Diabolus“ auf den Markt zu bringen.

_Wer überwacht die Wächter?_

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Michael Pearce – Die Schätze des Pharao

Das geschieht:

Kairo, die alte Metropole am Nil, ist im Jahre 1908 die Hauptstadt der autonomen osmanischen Provinz Ägypten. Doch das Osmanische Reich – der „kranke Mann am Bosporus“ – ist politisch zerrüttet und wirtschaftlich am Ende. In Ägypten mussten die Osmanen schon vor dreißig Jahren die Hilfe der Briten erbitten, um sich an der Macht zu halten. Die Briten kamen gern – und blieben. Seither ist der Zhedife – der einheimische Herrscher über Ägypten – nur eine Galionsfigur; die wahre Macht übt der Generalkonsul aus, der seine Anweisungen aus London erhält.

Die Ägypter hat niemand um ihre Meinung gefragt. Sie sind die Fremdherrschaft allerdings gewöhnt und haben sich in ihrer Mehrheit damit abgefunden. Nichtsdestotrotz gibt es eine nationalistische Untergrundbewegung, die von den Briten scharf im Auge behalten wird. Das ist die Aufgabe der Geheimpolizei, der in Kairo Captain Gareth Owen, der „Mamur Zapt“, vorsteht. Offiziell sorgt er für die öffentliche Ordnung in der Stadt und verfolgt Verbrechen, die an Reisenden aus dem Ausland begangen werden.

In diesem Zusammenhang lernt Owen die junge amerikanische Kunstexpertin Enid Skinner kennen. Sie unternimmt eine Studienreise und hat einen Onkel, der womöglich der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird. Unter diesen Voraussetzungen bemühen sich ihre britischen Gastgeber, Miss Skinner sehr zuvorkommend zu behandeln, obwohl diplomatische Zurückhaltung für sie ein Fremdwort ist. So macht sie sich für eine strenge Ausfuhrkontrolle für altägyptische Bodenaltertümer stark. Überall im Land graben Archäologen im Auftrag europäischer und amerikanischer Museen, Kunsthändler oder privater Sammler nach den Schätzen der Pharaonenzeit. Mit großer Selbstverständlichkeit werden sie anschließend außer Landes geschafft.

Bisher verhallten die Protestrufe der wenigen Mahner, die diese Kleinodien im eigenen Land halten wollen, ungehört. Sollte sich allerdings jemand finden, dessen Stimme Gewicht hat und sich im Ausland gegen die organisierten Plünderungen erhebt, könnte das lukrative Geschäft in Gefahr geraten. Hat aus diesem Grund jemand versucht, Miss Skinner vor einen Straßenbahnwagen zu stoßen? Als sie wenig später die Ausgrabungsstätte Deir al Bahari im Süden des Landes besucht, wird ein weiterer Anschlag auf ihr Leben verübt. Captain Owen reist Miss Skinner nach. Er möchte die Gelegenheit nutzen, sich selbst ein Bild von den Grabungs- und Kunsthandelspraktiken zu machen – und stößt in ein Wespennest …

Archäologie zwischen Fundsicherung und Grabraub

„Die Schätze des Pharaos“ ist der sechste (und nicht der zweite, wie uns der Klappentext weismachen möchte) Fall des „Mamur Zapt“ Gareth Owen im Ägypten der britischen Kolonialzeit. Die buchstäblich farbenfrohe Kulisse des Orients ist es, die diesen Krimis ihre Originalität verleiht. Ägypten um die Jahrhundertwende ist ein hochinteressanter Schauplatz, der sich für einen Thriller geradezu anbietet, liefern sich hier doch gleich vier Staaten (Osmanisches Reich, Ägypten, England und Frankreich) einen stillen, hinter den Kulissen erbittert geführten Machtkampf um das strategisch wichtige Land als Einfallstor zum afrikanischen Kontinent.

Im vorliegenden Band rücken die politischen Querelen ein wenig in den Hintergrund. Pearce greift ein Thema auf, das den meisten Lesern in der geschilderten Deutlichkeit wahrscheinlich unbekannt ist. Streift man heute durch die großen Museen für Altertumskunde in Europa, um die riesigen Sammlungen exquisiter Kunstschätze aus Ägypten, dem antiken Griechenland oder Rom zu bestaunen, denkt man meist nicht darüber nach, wie diese Kostbarkeiten an Orte gelangten, für die sie definitiv niemals bestimmt waren.

Diese Sammlungen sind die eindrucksvollen Zeugen einer Ausgrabungspraxis, die einst allerorts üblich war: Finanziere eine archäologische Grabung in einem fremden Land, zahle den Einheimischen ein wenig Kleingeld – du kannst es beschönigend „Zoll“ nennen – und lasse alles dorthin schaffen, wo du es zu sehen wünscht. Klar, dass hier dem Missbrauch buchstäblich Tür und Tor geöffnet wurden. Es gab freilich kaum ein Unrechtsbewusstsein, denn schließlich kamen die Kostbarkeiten in die kundigen Hände derer, die sie zu würdigen wussten.

Auch die Ägypter hatten nichts gegen diesen Kunst-‚Handel‘ einzuwenden, denn er brachte Geld ins Land. Den Rahm schöpften zwar neben dem Zhedifen die örtlichen Paschas und anderen aristokratischen Würdenträger ab, aber die Bevölkerung fand immerhin sichere Arbeitsplätze auf den Grabungen und verdiente mit Grabraub, Schmuggel und dem Verkauf von Fälschungen gut nebenbei.

Lästige Beeinträchtigungen eines lukrativen Geschäfts

„Die Schätze des Pharao“ spielt in einer Epoche, in der sich erster Protest gegen solche systematischen Plünderungen zu formieren beginnt. Es muss bitter für Idealisten vom Schlage einer Miss Skinner gewesen sein: Sie mögen damit gerechnet haben, dass sie sich in ihrem Bestreben, die Kunstschätze Ägyptens zu retten, den Zorn der ausländischen ‚Kunstfreunde‘ zuzogen. Doch auch die Ägypter selbst, für die sie besagte Schätze retten wollten, leisteten Widerstand oder blieben uninteressiert. Nach Jahrhunderten der Fremd- und Misswirtschaft existierte in der breiten Bevölkerung kein Bewusstsein für oder Stolz auf die eigene große und großartige Geschichte. Erst das Ende der Kolonialzeit brachte hier einen Wandel.

Aus der geschickten Umsetzung dieses Themas und den sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht „Die Schätze des Pharaos“ seinen Unterhaltungswert. Auch der Rückblick in die Geschichte der britischen Schatten-Kolonie Ägypten besticht durch das offensichtliche Wissen des Autors um Land und Leute; Michael Pearce kennt die späte Phase der afrikanisch-britischen Kolonialgeschichte noch aus seiner Jugend im ägyptischen Sudan, in den er nach einigen Jahren in England als Lehrer zurückkehrte.

Wohl aus diesem Grund ist Pearce die Figurenzeichnung ausgezeichnet gelungen. Was aus der „Mamur-Zapt“-Serie hätte werden können, zeigen die in ähnlichen Kulissen spielenden, überlangen, vor angelesenem Buchwissen raschelnden, peinlich ‚komischen‘ Abenteuer um die viktorianische Archäologin Amelia Peabody, ihren Göttergatten und den unsäglichen Wundersohn Ramses, mit denen Elizabeth Peters viel zu viele Jahren die Freunde des Historienkrimis traktierte.

Land mit echten Leuten

Gareth Owen ist nicht der Tee trinkende, knarzige britische Offizier, der die ‚Wilden‘ väterlich Mores lehrt, sondern ein Mann, der selbst zu einer Minderheit zählt; er ist Walliser, was seinen Aufstieg in die höheren gesellschaftlichen Schichten und damit eine echte berufliche Karriere verbaut, ihn aber hellhörig macht für die Stimmen des ‚gewöhnlichen‘ Volkes.

Auch die einheimischen Ägypter müssen sich nicht mit der Rolle der pittoresken, wahlweise treuherzigen oder schurkischen ‚Eingeborenen‘ bescheiden. Pearce erspart ihnen auch das Schicksal des politisch korrekten Historienthrillers, der die Rolle des Bösewichts stets dem Ausländer überträgt, während die ‚edlen Wilden‘ sich als tragische Helden und Opfer darstellen lassen müssen. Pearces Ägypter sind – egal ob armer Wasserhändler, frustrierter Regierungsbeamter oder feudaler Pascha – Menschen mit den üblichen Ecken und Kanten. Die Schwierigkeiten einer quasi mittelalterlichen Gesellschaft im beginnenden 20. Jahrhundert gehen nicht nur auf die koloniale Fremdherrschaft zurück, sondern sind durchaus hausgemacht. Pearce verdichtet dies geschickt in der schwierigen Beziehung Owens zur unkonventionellen Aristokratentochter Zeinab, die weder von den Vorgesetzten und Kollegen des einen noch von der Familie der anderen gern gesehen wird.

Dass Michael Pearce neben feinem Humor Sarkasmus keineswegs fremd ist, stellt das zwiespältige aber sehr konsequente Finale seiner Geschichte unter Beweis. Glanzvoll kann Captain Owen die diversen Verbrechen des bis dato rätselhaften Falls aufklären und alle daran Beteiligten festsetzen – nur um sie sogleich wieder ziehen lassen zu müssen, da ihnen die riesigen Gesetzeslücken in Sachen Kunst-‚Handel‘ besser bekannt sind als dem Mamur Zapt. Der Verzicht auf den im Krimi auch heute noch üblichen Sieg des ‚Guten‘ rundet das Bild eines nicht tiefgründigen aber in den Grenzen seines Genres stimmigen, immer unterhaltsamen Romans ab. Dennoch merkwürdig mutet die Entscheidung der britischen „Crime Writers‘ Association“ an, dieses Buch 1993 mit einem „Last Laugh Dagger“ als humorvollsten Kriminalroman des Jahres auszuzeichnen.

Autor

Michael Pearce (*1933) wuchs im britisch beherrschten Sudan auf. Er verließ das Land nach einer Ausbildung zum Übersetzer, kehrte aber später als Lehrer dorthin zurück. Seine Kenntnis der russischen Sprache setzte Pearce während des Kalten Krieges für den militärischen Geheimdienst ein.

Herkunft und Berufserfahrung schlagen sich in der schriftstellerischen Karriere nieder. Pearce war bereits Mitte 50, als er seinen ersten Roman veröffentlichte. „The Mamur Zapt and the Return of the Carpet“ war gleichzeitig Start einer bis heute fortgesetzten Serie um den britischen Geheimpolizisten Gareth Owen im kolonialen Ägypten um 1900.

2004 begann Pearce eine zweite Reihe. Stets mit „A Dead Man in…“ beginnend, spielen die Abenteuer von Sandor Seymour, einem Officer in Scotland Yards 1883 gegründeter Special Branch, den das Außenministerium ruft, wenn es gilt, in der politisch turbulenten Ära vor dem I. Weltkrieg Verbrechen in Diplomatenkreisen aufzuklären.

Taschenbuch: 272 Seiten
Originaltitel: The Mamur Zapt and the Spoils of Egypt (New York : HarperCollins Publishers Ltd. 1992)
Übersetzt von Peter Pfaffinger
http://www.randomhouse.de/diana

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (5 Stimmen, Durchschnitt: 1,40 von 5)