Polit-Thriller: drei Engel, ein Ermittler
Die Jack McClure-Reihe:
1) First Daughter (2008, Die Ungläubigen)
2) Last Snow (2010)
3) Blood Trust (2011)
4) Father Night (2012)
5) Beloved Enemy (2013)
Nachdem ein amerikanischer Senator auf der italienischen Insel Capri brutal überfahren worden ist, beauftragt der neu gewählte US-Präsident seinen „strategischen Berater“ mit der Aufklärung dieses möglichen Mordfalls: Wer steckt dahinter und was will er? Zusammen mit der Präsidententochter Alli und einer abtrünnigen russischen Geheimagentin namens Annika macht sich Jack auf den Weg.
Der Autor
Eric Van Lustbader, geboren 1946, ist der Autor zahlreicher Fernost-Thriller und Fantasyromane. Er lebt auf Long Island bei New York City und ist mit der SF- und Fantasylektorin Victoria Schochet verheiratet. Sein erster Roman „Sunset Warrior“ (1977) lässt sich als Science Fiction bezeichnen, doch gleich danach begann Lustbader, zur Fantasy umzuschwenken.
1980 begann Lustbader mit großem Erfolg seine Martial-Arts & Spionage-Thriller in Fernost anzusiedeln, zunächst mit Nicholas Linnear als Hauptfigur, später mit Detective Lieutenant Lew Croaker: The Ninja; The Miko; White Ninja; The Kaisho usw. Zur China-Maroc-Sequenz gehören: Jian; Shan; Black Heart; French Kiss; Angel Eyes und Black Blade. Manche dieser Geschichten umfassen auch das Auftreten von Zauberkraft, was ihnen einen angemessenen Schuss Mystik beimengt.
Zuletzt erschien bei uns die Kundala-Trilogie: „Der Ring der Drachen“, „Das Tor der Tränen“ und „Der dunkle Orden“. Da diese Fantasy ebenfalls in einem orientalisch anmutenden Fantasyreich angesiedelt ist, kehrt der Autor zu seinen Wurzeln zurück, allerdings viel weiser und trickreicher. Kürzlich hat er noch einmal eine Wendung vollziehen und schreibt nun die Thriller seines verstorbenen Kollegen Robert Ludlum fort, so etwa „Die Bourne-Verschwörung“. 2007 erschien der Mystery-Thriller „Testamentum“ in der Art von Dan Browns „The Da Vinci Code“ und wurde nach vier Fortsetzungen abgeschlossen. Danach veröffentlichte Lustbader Fortsetzungen von Robert Ludlums BOURNE-Serie. Schließlich startete Lustbader seine Evan-Ryder-Thriller-Serie, von der bis November 2025 fünf Titel erscheinen.
Handlung
Drei Monate nach den Ereignissen, die am Tag der turbulenten Amtseinführung von US-Präsident Edward Carson stattfanden, findet sich Jack McClure als „strategischer Berater“ an Carsons Seite in Moskau wieder. Hier will der neue Präsident die Scherben kitten, für die sein erzkonservativer Vorgänger verantwortlich ist. Unter vier Augen beauftragt Carson Jack mit einer heiklen Mission: Senator Lloyd Berns kam vor vier Tagen auf Capri ums Leben, offenbar wurde er überfahren. Berns war ausgerechnet jener Senator, der die Minderheit auf Carsons Seite bringen sollte, also absolut unentbehrlich. Aber eigentlich hätte der Senator in der Ukraine sein sollen, um dort die politische Szenen auszukundschaften. Was hatte er also auf Capri zu suchen? Offenbar spielte eine Frau eine Rolle.
Jack nimmt den Auftrag natürlich an, aber es wundert ihn, dass Carson offenbar weder seinem Secret Service noch dem Verteidigungsminister in dieser Sache vertraut, sondern nur Jack. Ein Flieger steht auf dem Flughafen von Moskau bereit, um ihn nach Kiew zu bringen. Doch bevor Jack abfliegen kann, kommt es zu einem folgenreichen Zwischenspiel.
Agentin Annika
Im gleichen Hotel am roten Platz hat ein Pärchen unter Jacks Zimmer bereits lautstark gestritten. In der Bar, wo er gerade die Präsidententochter Alli getroffen hat, sieht er die Frau nun wieder, eine aufregende Blondine in scharfem Outfit. Ihre Freundin Jelena nennt sie Annika. Leider tritt nun auch ihr streitbarer Lover in die Bar. Und als Jack die 9-mm-Pistole in dessen Schulterhalfter erblickt, weiß er, dass es Ärger geben wird. Er muss ritterlich einschreiten, bevor dieser bärenhafte Iwan Annika eine Kugel verpassen kann. Allerdings steht er nun auf Iwans Abschussliste. Und Iwan gehört zur russischen Mafia, erklärt ihm Annika freundlich. Wie nett.
Durch die hellhörige Konstruktion wird er Zeuge, wie Iwan und ein Typ namens Milan Annikas Zimmer durchsuchen und ihre geheime Identität entdecken: Sie ist eine Agentin des Inlandsgeheimdienstes FSB, die die Mafia auskundschaften soll. Die beiden schmieden ein Mordkomplott. Jack ist entschlossen, es zu vereiteln, denn das ist er seiner Selbstachtung schuldig. Am vorgesehenen Tatort hinter einer Disco schreitet er ein und zusammen mit Annika tötet er die beiden Mafiosi. Zusammen müssen sie so schnell und so weit wie möglich fliehen.
Auf dem Weg zum Airport erfährt Annika, dass ihre Vorgesetzten sie nicht mehr decken, nun ist sie Freiwild. Leider nicht nur für die rachsüchtige Mafia, sondern auch für einen weiteren Geheimdienst, der ohne Wissen des Parlaments dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Oriel Batchuk untersteht. Batchuk ist der Mann fürs Grobe, den Präsident Yukin einsetzt, um seine Gegner fertigzumachen und Konzern um Konzern an sich zu raffen. Dies erklärt Annika dem erstaunten Jack im wartenden Diplomaten-Flieger.
Doch kurz vor dem Abflug drängelt sich noch ein Passagier an Bord: Ausgerechnet Alli Carson, die Präsidententochter, will an Jack Seite sein. Sie droht, auf den Straßen Moskaus Ärger zu machen, wenn sie nicht mit darf, und da ihre Eltern wegen Berns‘ Tod schon zurück in die Staaten geflogen sind, ist Alli jetzt ganz von Jack abhängig. Er gibt klein bei. Nun müssen sich „seine Tochter“ und „diese Psychozicke“ Annika zusammenraufen. Als sie Kiew eintreffen, geben sie sich als die Familie Charles aus, mit Alli als ihrer Tochter. Da Alli aufgrund einer Hormonstörung aussieht wie sechzehn, könnte es sogar klappen – solange die Einwanderungsbehörde gut genug geschmiert wird.
Ukraine
Als erstes braucht das Trio neue Pässe. Da trifft es sich gut, dass Annikas Onkel Dyadya Gourdjieff ein professioneller Dokumentenfälscher ist. Und wie sie aus den Erzählungen des wohl 60 Jahre alten Mannes entnehmen können, hat er auch eine bewegte Vergangenheit im Untergrundkampf gegen die sowjetischen Besatzer hinter sich. Es war in dieser Vergangenheit, dass er Karl Rochev kennenlernte, einen skrupellosen Attentäter. Und diesen Mann, der inzwischen zum wichtigsten Politiker der Ukraine aufgestiegen ist, sollte der verstorbene Senator Berns treffen. Natürlich inoffiziell. Aber wozu?
Rochev ist nicht für jeden zu sprechen. Er ist weder in Parlament noch zu Hause bei Frau und Kindern, sondern in seiner Datscha bei seiner Mätresse. Das Holzhaus liegt einsam und still inmitten von dichter Vegetation. Etwas zu still für Jacks Geschmack. Nur eine einsame Krähe wacht über dem Landhaus. Er betritt das verschlossene Haus erst durch ein Fenster und lässt dann die Frauen ein. Beim Durchsuchen des von unheilvoller Stille erfüllten Hauses stoßen sie auf zwei unangenehme Überraschungen, eine drinnen – und eine draußen…
Mein Eindruck
Wieder funktioniert der neue Thriller in der McClure-Reihe (die in Band 3 zur McClure/Carson-Reihe wird) auf mehreren Ebenen. Private Lebensläufe erweisen sich als eng mit politischen Ereignissen verknüpft, und so kann es sich ergeben, dass Entwicklungen sich über Jahrzehnte erstrecken und nun zu einer Klimax drängen. Dieses Finale entscheidet zugleich über das zentrale Thema, das in der internationalen Wirtschaftspolitik angesiedelt.
Vor der Invasion
Oh ja, es geht um ein brisantes Thema: um ein neu entdecktes Uranvorkommen in der Nordost-Ukraine, dass sich der russische Präsident unter den Nagel reißen will. Das darf er natürlich nicht gegen den internationalen Protest und es würde auch einen Krieg heraufbeschwören. Also braucht er erstens einen Vorwand und zweitens einen Rückhalt. Den Rückhalt bietet ihm der neue US-Präsident Carson auf einem Silbertablett an: einen Sicherheitspakt. Und den Vorwand braucht ihm nur noch Yukins Mann fürs Grobe Oriel Batchuk zu liefern: einen internationalen Zwischenfall, der russische Eingreifen erfordern zu scheint. Genau wie in Tschetschenien und Georgien.
Der amerikanische Verräter, der den Sicherheitspakt eingefädelt hat, sieht schon die Dollars und Goldmünzen wie Manna vom Himmel fallen, als ihm Jack McClure einen Strich durch die Rechnung macht. Jack findet auf den Spuren des Senators zu viel heraus, das für die Russen zu kompromittierend ist. Während seines Abwehrkampfes gegen Batchuks und Yukins Geheimorganisation Trinadsat gerät er in Kontakt mit einer Konkurrenzgruppe namens AURA. Diese hat vor, das entdeckte Uran selbst auszubeuten. Wer steckt dahinter? Vielleicht weiß es Annika.
Powerfrau
Doch mit Annika Dementieva gerät Jacks Ermittlung schon auf schlüpfriges privates Terrain. Die Ex-Agentin ist eine wahre Powerfrau, was das Kämpfen, Tarnen und auch den Sex anbelangt. Über kurz oder lang erliegt Jack ihren Reizen. Aber vielleicht auch dies nur ein weiteres Täuschungsmanöver, um ihn dorthin zu bekommen, wo AURA ihn haben will: In einem Schloss auf der sonnigen Krim will man Jack für AURAs Sache gewinnen, damit er einen guten Deal mit den Amis einfädelt. Leider sind die ehemaligen, von Yukin entmachteten Oligarchen selbst nicht ganz koscher. Einer von ihnen scheint ein Pädophiler zu sein, der es auf Alli Carson abgesehen hat.
Lachender Dritter
Dumm nur, dass es noch eine Firma namens Alizarin Global gibt, die sowohl Trinadsat als auch AURA austricksen will. Diese Firma hat es geschafft, nicht nur zwei amerikanische Ex-Geheimdienstler unter Vertrag zu nehmen, sondern auch den Verräter in Ed Carsons Entourage zu enttarnen. Je mehr Puzzleteilchen wie diese Jack zur Kenntnis und Bewusstsein kommen, desto mehr kann er mit entstehenden Gesamtbild anfangen. Als Dyslexiker ist sein Verstand ganz anders aufgebaut als der „normal ausgebildeter“ Menschen. Das 3D-Bild der Fakten weist in nur eine Richtung. Nur ein Mann ist in der Lage, die von Yukin trickreich angebahnte Invasion der Ukraine abzuwenden. Nun ist es an Jack, diesen Mann entsprechend unter Druck zu setzen, um einen für die Ukraine günstigen Deal herauszuschlagen.
Trauma und Therapie
All diese wirtschaftkriminellen Machenschaften, die sich in Moskau, Kiew, Washington, D.C., und auf der Krim abspielen werden zum Glück mit menschlich interessanteren Ereignissen kontrastiert. Denn wie sich zunehmend zeigt, leiden nicht nur Jack McClure und Alli Carson unter einem Trauma – er gibt sich die Schuld am Tod seiner Tochter Emma, Alli wurde einer Gehirnwäsche unterzogen -, sondern auch Annika Dementieva. Allein schon ihre Zeugung erweist sich als erotisches Drama, bei dem Oriel Batchuk eine unheilvolle Rolle gespielt. Ist sie etwa seine Tochter, fragt sie sich entsetzt? Will er sie deshalb um jeden Preis eliminieren? Im Finale müssen diese Fragen beantwortet werden.
Innerhalb dieses dreifachen menschlichen Dramas fand ich die quasi „psychotherapeutischen Sitzungen“ zwischen Jack und Alli am interessantesten und anrührendsten. Alli muss ihre Gehirnwäsche abschütteln und überwinden, während Jack als ihr Ersatzvater sie dabei unterstützt. Hier bringt der Autor einige tiefe Einsichten über die Arbeitsweise der menschlichen Gefühle und Einstellungen, die im Unbewussten gespeichert sind, zur Sprache. Und eine der Produktionen dieses Unbewussten scheint ein Gespenst zu sein: der Geist der toten Emma… Einbildung oder Realität, das lässt der Autor wohlweislich in der Schwebe.
Man darf sich wundern, dass auch Annika sich an dieser Therapie beteiligt, denn zunächst wird sie ja von Alli bloß als „Psycho-Zicke“ bezeichnet, und Annika nennt sie bloß „kleines Mädchen“. Die beiden raufen sich zusammen. Im finalen Showdown mit Batchuk spielt jede von ihnen eine entscheidende Rolle. Wie die Sache ausgeht, darf nicht verraten werden. Und selbst noch auf den letzten Seiten sollte sich der Leser nicht entspannt zurücklehnen. Es passiert noch eine schlimme Sache, die große Folgen für die Fortsetzung „Blood Trust“ haben dürfte. Außerdem muss am Schluss herauskommen, wer denn nun eigentlich Senator Berns auf dem Gewissen hat.
Schwächen und Zweifelsfälle
Bei einem so vielschichtigen Thriller kann es nicht ausbleiben, dass die Schauplätze der Szenen, die miteinander verschränkt werden, ständig wechseln. Dabei kommuniziert die eine Ebene mit der anderen und diese mit der dritten usw. Wohl dem Autor, der dabei den Überblick bewahrt!
Nur an einer Stelle entglitt dem Autor wohl die Handhabung. Ed Carson, der US-Präsident, wird in Moskau von Jack angerufen und von diesem über den aktuellen Stand der Ermittlung in Sachen Lloyd Berns informiert. Carson seinerseits bittet Jack zum x-ten Mal, auf Alli aufzupassen. Szenenwechsel: Jack sollte eigentlich beim Telefonat „gezeigt“ werden, doch das erfolgt nicht. Stattdessen steckt er wieder mit Alli und Annika in tiefen Gesprächen. Es fehlt also praktisch eine Hälfte des Dialogs Carson-McClure. Nicht dass sie unbedingt erforderlich wäre, aber man würde sie schon erwarten.
Auf S. 353 ist die Rede davon, dass in „Teilen von Deutschland“ Unruhen ausgebrochen seien, weil die wirtschaftliche Depression so schlimm geworden sei. Nun, also der Autor dies anno 2009/2010 schrieb, befand sich die deutsche Wirtschaft tatsächlich tief in einer Krise, aus der sie nur durch die starke Nachfrage aus China wieder herauskam (die seit Jahresanfang 2012 wieder nachlässt). Daher erscheint es nicht abwegig, von „Unruhen in Teilen Deutschland“ zu phantasieren. Das ist schließlich die Freiheit des Dichters.
Unterm Strich
Im zweiten Band der Jack McClure Reihe will der US-Präsident einen Sicherheitspakt mit dem russischen Präsidenten Yukin schließen, der unschwer als Wladimir Putin zu erkennen ist. Doch der Pakt ist von vornherein unterminiert durch Verrat, Hinterlist und bevorstehende Kriegsakte. Er soll Yukin nämlich nur als Rückendeckung für seine Invasion der Ukraine dienen, in der er sich ein neuentdecktes Uranvorkommen unter den Nagel reißen will.
Doch Carsons Mann für die Feinarbeit stößt auf die Machenschaften Yukins, eine Gruppe namens AURA und eines dritten Spielers, der beide gegeneinander ausspielt. Während die Agenten reihenweise umgelegt werden, ohne dass die Täter mit der Wimper zucken, bahnt sich in Jacks engsten Umkreis ein menschliches Drama an. Auf diese Weise spricht der Thriller sowohl ein männliches als auch ein weibliches Publikum an.
Bourne vs. McClure
Wo Jason BOURNE allerdings von Schauplatz zu Schauplatz um die Welt hetzt und laufend gejagt wird, dort entwickelt Jack McClure durch seinen einzigartigen Dyslexiker-Verstand, kombiniert mit Allis Gabe der psychologischen Gesprächsanalyse, eine ganz andere Dynamik und Spannung. Diese Dynamik spielt sich im Inneren von Menschen ab, und der Leser kann nie vorhersehen, wohin diese Entwicklung jeweils führt. Das finde ich weit überzeugender als die BOURNE-Serie, die den Autor zwingt, sich im engen Rahmen einer vorgegebenen Formel zu bewegen.
Relevanz
Die McClure-Reihe entwickelt ihre Hauptfiguren McClure und Alli Carson auf faszinierende Weise weiter. Dennoch gelingt es dem Autor jeweils, einen Krisenherd nach dem anderen zu thematisieren. War es in Band 1 eine Art Gottesstaat à la Iran auf amerikanischem Boden, so sind es in Band 2 die Spannungen zwischen USA, Russland und der Ukraine. In Band 3 steht die albanische Mafia im Mittelpunkt, die in den USA Fuß zu fassen versucht. Deshalb finde ich die McClure-Reihe attraktiver zu lesen als die BOURNE-Serie. Erstaunlich ist jedoch, dass es Lustbader schafft, je einen Roman dieser zwei Reihen pro Jahr zu produzieren.
Fazit: vier von fünf Sternen.
Der Autor vergibt: