Baier, Michael R. – Coruum Volume 1

Bereits während seiner Studentenzeit hat Michael R. Baier die Idee zu „Coruum“ gehabt und diese nach und nach weiterentwickelt, bis er dann schließlich eine komplette Trilogie hat reifen lassen, die auch den Beinamen YLIS (Your Life In Space) trägt. Weil ihm die Herausgabe seines Romans (natürlich) ein sehr großes Anliegen war, sich aber erst einmal kein Vertrieb gefunden hat, hat sich der Autor ein Herz gefasst und „Coruum“ in Eigenreigie – allerdings auf tausend Exemplare limitiert – selber auf den Markt gebracht. Daher ist bei Interessenten, von denen es bei diesem vorzüglichen Science-Fiction-Trip sicherlich genügend geben sollte, Eile angesagt; zum einen, weil die Bücher sonst vergriffen sind, bevor man sich auf die Suche macht, und andererseits, damit sich schon bald jemand findet, der die Trilogie großflächig vertreibt und so auch einem breiteren Publikum zugänglich macht. Potenzial ist nämlich definitiv geboten.

_Story_

Ein Forscherteam entdeckt bei einer Serie von Ausgrabungen eine seltsame Maya-Stele, auf der die Archäologen neben bekannten Hieroglyphen auch fremde Symbole finden. Bevor man diese jedoch näher erforschen kann, kommt es zu einem tragischen Zwischenfall, bei dem Dr. Pete Williams, der Entdecker der Stele, ums Leben kommt.

Karen Whitewood, die Leiterin des Projekts, bindet aufgrund der prekären Situation ihren alten Freund Donavon MacAllon in die Untersuchungen ein. MacAllon, ein alter Studienkollege von Kareen, gilt nämlich als einer der weltweit fähigsten Experten auf dem Gebiet altertümlicher Schriften und Kalendersysteme und ist sofort Feuer und Flamme für diesen Einsatz, zumal er auch auf persönlicher Ebene eine ganz besondere Verbindung zu Karen hat.

Das Team entdeckt schließlich eine uralte, geheime Kammer und stöbert dort eine hochmoderne Bibliothek auf, die Donovan und Karen vor ein kolossales Rätsel stellt. Außerdem wissen sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass durch ihren Eingriff in diesen Raum eine Hologrammbotschaft losgeschickt wird, die in einer anderen Welt für Aufruhr sorgen soll. Doch weil auch das CIA an den seltsamen Funden interessiert ist, schöpfen die beiden bereits Verdacht, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht …

Währenddessen herrscht in der Region des Roten Nebels Alarmbereitschaft. Dort ist nämlich eine Botschaft von einem bis dato unbekannten Planeten eingetroffen. In diesem Gebiet leben drei mächtige Verbände nebeneinander, die allerdings vollständig unterschiedliche Interessen verfolgen. Im Mittelpunkt stehen dabei die konträren Ansichten des Zentrums, einer Handelsorganisation, der zudem die Kampfeinheit Z-Zemtohy angeschlossen ist, und der Sieben Königshäuser, die sich auf die Forschung und das Bilden einer Militätmacht spezialisiert haben. Quasi als neutraler Vermittler steht zwischen ihnen die Kirche, die zwar in Form eines Ritterordens auch eine Art Heer etabliert hat, im Grunde genommen aber eher die Rolle der intellektuellen Schicht einnimmt.

Als nun diese mysteriöse Botschaft eintrifft, droht der Frieden zwischen den drei Mächten endgültig zu zerbrechen. Sowohl die Fraktion der Königreiche als auch Entsandte des Zentrums erpressen aus Vertretern der Kirche das Wissen um die unbekannte Erde und machen sich auf den Weg zu dem plötzlich ins Bewusstsein gerückten Planeten. Beide haben ähnliche Ziele, wobei besonders das Zentrum die Hinterlassenschaften der eigenen Vergangenheit auf der Erde beseitigen möchte. Vor Ort eskaliert schließlich der Konflikt zwischen den außerirdischen Parteien, und mitten in der Auseinandersetzung zwischen Zentrum und den Sieben Königshäuser drohen Donavon, Karen und ihr Forschungsteam zu hilflosen Spielbällen der verfeindeten Mächte zu werden …

_Meine Meinung_

Wie so oft, wenn ein Autor auf einen eher einfachen Schreibstil zurückgreift, setzten sich auch zu Beginn dieses ziemlich langen ersten Teils der „Coruum“-Saga erste Bedenken in Gang, denn schließlich ist die Schreibtechnik ja zur Erschaffung eines spannenden Plots von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung. Hinzu kommt, dass sich Michael R. Baier mächtig viel Zeit lässt, um den Hauptcharakter Donavon vorzustellen und dessen Beschreibung als ‚echten, traditionellen Schotten‘ bisweilen etwas langatmig wirkt, gerade wenn man bedenkt, dass das Erzähltempo auf den ersten Seiten schlichtweg rasant ist und die hier kreierte Spannung sofort wieder ihren Effekt einbüßen muss.

Richtig in Fahrt kommt die Geschichte daher erst nach circa hundert Seiten und somit auch erst ab dem Moment, an dem die fremden Mächte in die Handlung eingreifen. Spätestens hier wird dann aber auch klar, welches komplexe Konstrukt sich Baier für seine Erzählung ausgedacht hat und wie tiefgreifend die vielfältigen Konflikte zwischen den einzelnen Völkern tatsächlich sind. Schon fühlt man sich wieder besänftigt und versteht, warum es mitunter etwas länger dauert, bis man dann mit allen Charakteren und Gruppierungen vertraut gemacht wurde, und warum auch schon mal die Hälfte des Buches verschlungen werden muss, um die komplexe Vorgeschichte halbwegs zu begreifen.
Und dennoch fällt es auch im weiteren Verlauf des Buches nicht gerade leicht, die einzelnen Verstrickungen auf Anhieb zu verstehen und einzuordnen, was der Spannung von „Coruum“ aber in diesem Falle erheblich zugute kommt. Der Autor lässt sich sehr viele Freiräume, durch die wiederum eine Vielzahl von Optionen für die Fortsetzung der Handlung entsteht, und trotzdem wird das Ganze nie zu verworren, weil Baier die nötige Ruhe mitbringt und die einzelnen Puzzlestücke nach und nach miteinander verbindet. Sollte also beim Leser irgendwie Hektik entstehen bzw. das Verständnis verloren gehen, liegt das sicherlich nicht an der Art und Weise, wie der Autor die Geschichte voranfließen lässt.

Das Entscheidende an „Coruum“ ist aber die Vielzahl von neuen Elementen, die Baier in die bekannten Elemente seiner Science-Fiction-Story einbettet. Gerade die Darstellung der menschenähnlichen Weltraumwesen ist ihm hierbei vorzüglich gelungen. Zwar findet man auch hier eine arg kriegerische Rasse Außerirdischer vor, doch ihre überaus humanen Züge und die sehr eigenwillige Kultur sind Neuland, ebenso wie die Einbeziehung einer Kirche als gebildete, höhere Macht, der aber in dieser Geschichte weitestgehend die Hände gebunden sind. Zudem hat „Coruum“ auch Thrillercharakter, was sich durch die Vorgeschichte der einzelnen Völker ergibt. Michael R. Baier vermischt hier verschiedene Versatzstücke aus Science-Fiction, Fantasy, historischem Roman und Mystery-Thriller zu einer fortschrittlichen Einheit, die in ihrer Verbindung überraschend gut funktioniert – wahrscheinlich, weil die ausschweifenden Darstellungen nie in irgendeiner Weise abgehoben oder unnatürlich erscheinen.

Trotz der zahlreichen Verbindungen ist die Geschichte nämlich sehr bodenständig und lässt sich nie als reine Science-Fiction identifizieren; der Bezug zur Realität ist dafür einfach zu oft gegeben, und das ist ein zusätzlicher Reiz, deren Wirkung erstaunlich groß ist.

Auch wenn der erste Roman noch sehr viele Fragen aufwirft, kann man sich bereits gewiss sein, dass hier noch etwas Großes auf den Leser wartet. Nach fast 600 Seiten hat der Plot gerade erst so richtig begonnen, und durch das recht abrupte und gemeine Ende ist der Wunsch, sehr bald mehr über „Coruum“ in Erfahrung zu bringen, recht groß. Bis dahin bleiben erst einmal nur ein Blick auf die [Homepage]http://www.coruum.com des Projekts und ein sehr überzeugender Eindruck als ‚Trost‘. Eine Information dazu am Rande: Diese erste Auflage ist fast ausverkauft und wird ab März neu lektoriert und neu gedruckt sowie mit leicht verändertem Cover auf den Markt kommen.

Michael Baier hat es jedenfalls geschafft, den Leser mit einfachen erzählerischen Mitteln und einer klug verflochtenen Erzählung aus der Reserve zu locken. Nach der Pflicht folgt jetzt hoffentlich schon bald die Kür!

Joseph Gangemi – Inamorata

Das geschieht:

Im Dezember des Jahres 1923 glaubt Martin Finch, mittelloser Psychologie-Student an der US-Renommieruniversität Harvard im US-Staat Massachusetts, das große Los gezogen zu haben: Der berühmte Professor William McLaughlin heuert ihn als Assistenten an. Finch soll ihn bei seinem Bemühen unterstützen, die parapsychischen Fähigkeiten spiritistischer Medien zu überprüfen. Bisher entlarvte der Gelehrte nur Taschenspieler und Betrüger; ein leibhaftiger Geist ist ihm niemals begegnet.

So bleibt es auch, denn Finch entpuppt sich als findiger Detektiv, der falsche Geisterbeschwörer mit klugen Tricks bloßstellt. Als McLaughlin nach einem Unfall ausfällt, bietet Finch an, ihn zu vertreten. Sein Chef willigt ein, weil der aktuelle Fall ihm sehr am Herzen liegt: Der berühmte Schriftsteller und Hobby-Spiritist Sir Arthur Conan Doyle hat McLaughlin auf ein bemerkenswertes Medium in Philadelphia aufmerksam gemacht. Die junge Mina Crawley, Gattin eines deutlich älteren Chirurgen, gehört zur High Society ihrer Heimatstadt. Lange hatte sie Bitten um ein Treffen zurückgewiesen, bis sie jetzt endlich einwilligte. Joseph Gangemi – Inamorata weiterlesen

Kettlitz, Hardy (Hrsg.) – Alien Contact Jahrbuch 2004

Das |ALIEN CONTACT Jahrbuch| versammelt auf über 300 Seiten alle längeren Beiträge der Internet-Ausgaben 58 bis 63; Erzählungen, Interviews, Essays und Kolumnen. Damit wird es zum unverzichtbaren Jahresüberblick für alle, die sich für Science-Fiction und Fantasy interessieren!

_Inhalt:_

|STORYS|
_Arkadi und Boris Strugazki:_ »Sandfieber«
_Ian Watson:_ »Invasion der Uranier«
_George R. R. Martin:_ »Manna vom Himmel«
_Kelly Link:_ »Nelke, Lilie, Lilie, Rose«
_Helmuth W. Mommers:_ »Personal Android«
_Boris Babura:_ »Der Rosenzüchter«
_Bodo Kroll:_ »Fremdkontakt 1: Bewohner des französischen Weins«
_Bodo Kroll:_ »Fremdkontakt 2: Ein Absturz mit Folgen«
_Bodo Kroll:_ »Fremdkontakt 3: Bericht eines Farmers aus New Jersey«
_Marc-Ivo Schubert:_ »Symbiose«
_Sabine Wedemeyer-Schwiersch:_ »Laq’lir«
_Sabine Wedemeyer-Schwiersch:_ »Ein geeignetes Forschungsobjekt«
_Simon Weinert:_ »die ballade des ritters kriegbart«
_Alexander Weis:_ »Die Zukunft des Menschen«
_Till Westermayer:_ »Blind Date/Maximum«

|ESSAYS|
_Science Fiction und Satire_
Christian Hoffmann über die Ursprüngen und die Entwicklung im 20. Jahrhundert
_Zufälligerweise notwendig wahr_
Dietmar Dath über Nanotechnologie, die neue/alte Armut in den Industriezentren und über den Zusammenhang von Hightech, Zukunftsspinnerei und gesellschaftlichen Konflikten
_Laudatio auf Prof. Dr. Dieter B. Herrmann_
Eckehard Rothenberg zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Dieter B. Herrmann
_Nur Du kannst den Golfstrom retten!_
Arno Behrend über den ernsten Hintergrund von Roland Emmerichs Film |The Day After Tomorrow|
_Pragmatismus als Programm oder Ein besseres Leben für alle_
Ralf Lorenz über die Utopie |Walden Two| von B. F. Skinner

|INTERVIEWS|
_Ein Gespräch mit Andreas Bull-Hansen_
»Ich denke mir nichts aus …«
_Interview mit Tobias O. Meißner_
»Aber dafür bin ich wahrscheinlich noch nicht gut genug …«
_Interview mit Herbert W. Franke_
Herausgeber – Autor – Wissenschaftler
_Interview mit Helmuth W. Mommers_
Die Rückkehr des Zeitreisenden
_Ein Interview mit Clive Barker_
»Hier wird mit zweierlei Maß gemessen …«
_Ein Interview mit Susanne Thomann_
_AC-Sonntags-Chat mit Barbara Slawig_
_AC-Sonntags-Chat mit Michael Marrak_

|ESSAYS|
_Gefährlich Ehrlich • Die Kolumne von John Clute_
Die Welt unter der Lupe – William Gibsons Mustererkennung
_Interpretationen klassischer Science Fiction von Adam Roberts_
Philip K. Dicks |Ubik|
H. G. Wells‘ |Die Zeitmaschine|
Isaac Asimovs |Die Stahlhöhlen|
»Freiheit« in Heinleins |Der Mond ist eine herbe Geliebte|
_Die Tore zum Paradies_
Fantasyliteratur und ihre unterschiedlichen Formen
Fantasy und Mythologie
Heroische Fantasy

|PORTRAITS|
Das Werk von Alban Nikolai Herbst
Die unbekannten Strugazkis

_Rezension:_

Das |AC Jahrbuch 2004| ist das erste, das mir vorgelegt wurde und besticht durch seine Vielfältigkeit. Das Jahrbuch für Science-Fiction und Fantasy befasst sich jedoch vorrangig mit dem SF-Genre, wenngleich die Grenzen zur Fantasy ja häufig fließend sind. Inhalt dieses Bandes sind die Highlights der Ausgaben 58 bis 63 des Online-Magazines ALIEN CONTACT – seit seiner Gründung im Jahr 1990 ein Magazin für SF und Fantasy, das Erzählungen und Sachbeiträge überwiegend zur SF bietet. Der Herausgeber Hardy Kettlitz, der sich im Vorwort fragt, ob 2004 ein gutes Jahr für die SF war, hat hier bei der Auswahl ein sehr glückliches Händchen bewiesen. Neben den Storys, von denen für mich „Laq’lir“ und „Ein geeignetes Forschungsobjekt“ (köstlich!: kurz und humorvoll) von Sabine Wedemeyer-Schwiersch, „Invasion der Uranier“ von Ian Watson und „Symbiose“ von Marco-Ivo Schubert zu den besten zählen, wird Infotainment vom Feinsten geboten.

Zum Beispiel über Prof. Dr. Dieter Herrmann, einen Förderer der SF in Berlin, der bis Herbst 2004 Direktor der Archenhold-Sternwarte und des Zeiss-Großplantetariums in Berlin war und dessen größter Verdienst die Popularisierung der Astronomie in allen Medien ist. Aber auch die Essays lassen sich gut lesen, u. a. „‚Freiheit‘ in Heinleins Werk ‚Der Mond ist eine herbe Geliebte'“, das aus drei Teilen besteht: Die getreue Denkmaschine, Pöbel in Waffen und TANSTAALF. Dann dokumentiert ALIEN CONTACT einen Vortrag mit dem Titel „Zufällig wahr – Beweisen und Erzählungen“ (über Nanotechnologie, die neue/alte Armut in den Industriezentren und über den Zusammenhang von Hightech, Zukunftsspinnerei und gesellschaftlichen Konflikten – Themen, die auch für SF-Leser relevant sind) von Dietmar Dath, den dieser im Rahmen der Transmediale 04 und der Diskursreihe „Don’t Panic“ verfasste. Besonders interessant: „Die Tore zum Paradies“, in denen sich Jeff Gardiner in drei Teilen mit Fantasyliteratur und ihren unterschiedlichen Formen, Fantasy & Mythologie und Heroischer Fantasy beschäftigt. Christian Hoffmann hingegen bietet eine Betrachtung über Science-Fiction und Satire und darüber hinaus eine Topliste satirischer SF.

Das Autorenportrait von Alban Nikolai Herbst sei noch zu erwähnen, aber auch die Interviews sind hochinteressant. So erfährt man über den norwegischen Fantasy-Autor Andreas Bull-Hansen, dass er von Haus aus Gewichtheber ist, ihm das Schreiben gleichbedeutend mit Hingabe ist, er begonnen hatte, Wirtschaftswissenschaft zu studieren, das Studium aber aufgrund eines schweren Autounfalls abbrechen musste … und vieles mehr.
Tobias O. Meißner, der mit seinem Fantaysroman „Das Paradies der Schwerter“ Schlagzeilen machte, verrät, dass er Publizistik und Theaterwissenschaften studiert, 1990 mit drei Freunden den Literaturclub „Deadline Project“ gründete und sein erster Roman „Starfish Rules“ war. Meißner verrät, dass Wolfgang Ferchl (inzwischen Verlagsleiter bei |Piper|) und Wolfgang Hörner (|Eichborn|) wichtig für ihn waren.
Besonders interessant ist das von Hardy Kettlitz & Thomas Harbach geführte Interview mit Herbert W. Franke, der früher Herausgeber der SF-Reihe des |Goldmann|-Verlages war, auf einem Umweg über den |Kindler|-Verlag zum |Heyne|-Verlag kam und später durch Dr. Franz Rottensteiner (Herausgeber der |Phantastischen Bibliothek|) zu Suhrkamp. Von Franke sind ebenso Bücher in der DDR wie auch in der Sowjetunion erschienen. Darüber hinaus erfährt man, dass er zahlreiche Ausstellungen mit eigenen Computergrafiken gemacht hat und einen Teil seiner Freizeit mit wissenschaftlichen Arbeiten verbrachte.

Es gäbe noch erheblich mehr über das sehr informative Jahrbuch zu sagen, doch das nähme zu viel vorweg. Kommen wir also noch zu der Aufmachung, und die kann sich wirklich sehen lassen. Das Papier ist bestens, der Satz zweispaltig, mit Innenillustrationen wurde nicht gespart – da stimmt wirklich alles.

Unterm Strich: Ein sehr empfehlenswerter Sammelband! Nicht nur für Sammler und SF-Fans, sondern auch für Neulinge des Genres hochinteressant, weil allein schon das Infotainment vorbildlich ist, aber auch der Unterhaltungswert kommt durch die Storys nicht zu kurz. Eine höchst ausgewogene Mischung!

Das Jahrbuch 4 (2005) erscheint im März 2006, wie ich auf der |Shayol|-Verlagsseite sehen konnte: http://www.shayol.de.

_Info:_
Im Oktober 2004 fand der erste ALIEN CONTACT SONNTAGS-CHAT in Zusammenarbeit mit dem SF-NETZWERK.de statt. Termine und Infos über die geplantgen Chats findet man hier: http://www.alien-contact.de & http://www.sf-netzwerk.de.

Perry, Steve / Perry, S. D. – Aliens versus Predator 1: Beute

|Auf der einen Seite: ein alptraumhaftes Geschöpf mit schwarz glänzendem Panzerkörper, messerscharfen Zähnen, Säure statt Blut und einem tödlichen Zungenkuss. Der perfekte Organismus. Das Alien! Auf der anderen Seite: ein gnadenloser Killer mit perfekter Tarnung, unfehlbarem Instinkt und einem Arsenal an High-Tech-Waffen. Der perfekte Jäger. Der Predator! In Computerspiel, Comic und Kinofilm stießen die beiden Ikonen des Science-Fiction-Horrors hier in Deutschland bereits aufeinander. Jetzt ist bei Dino der erste Roman zum Clash der Weltraummonster erschienen.|

_von Bernd Perplies
mit freundlicher Unterstützung unseres Partnermagazins http://www.ringbote.de/ _

1979 kam Ridley Scotts Tiefraumschocker „Alien“ in die Kinos, ein klaustrophobisch-düsterer Streifen über eine Frachtercrew, die sich fernab jedweder Zivilisation einen feindseligen Organismus an Bord holt und diesem Mann für Frau zum Opfer fällt. Der Film brachte eine neue Dimension des Horrors in das Science-Fiction-Genre und sein Erfolg zog drei Sequels und zahlreiche Nachahmer nach sich. Acht Jahre später trat in John McTiernans darwinistischem Dschungelbuch „Predator“ mit einem unsichtbaren galaktischen Trophäenjäger ein weiterer extraterrestrischer Schrecken auf die große Leinwand. In der Fortsetzung „Predator 2“ (1990) kam jemandem dann der Gedanke, das perfekte Raubtier mit dem perfekten Jäger zu verknüpfen, was in der augenzwinkernden Schlusspointe eines Alien-Schädels in der Trophäensammlung des Predators resultierte. Dieser Moment, so will es der Mythos, war die Geburtsstunde des Franchises „Alien vs. Predator“.

Besonders groß oder öffentlichkeitswirksam war es nie – vielleicht schon deshalb, weil es auf zwei Filmreihen basierte, die sich mit Einstufungen „FSK 16 aufwärts“ und den Genres Sci-Fi/Horror kaum an ein wirkliches Massenpublikum wandten. Trotzdem erschienen, neben den zwei recht bekannten Ego-Shooter-Games aus den Jahren 1999 und 2001, zwischen 1989 und 2000 eine ganze Reihe Comics, in denen sich der außerirdische Safari-Tourist und der säureblütige Xenomorph graphisch gewalttätig gegenseitig und ihrer Umgebung die Rübe einschlugen. Der Klassiker unter diesen Konfrontationen trägt den simplen Titel „Alien vs. Predator“ (1989/1990).

Die Geschichte handelt von einer Gruppe Kolonisten auf dem Planeten Ryushi, deren einfaches Leben als Rancher auf nachhaltige Weise gestört wird, als sie in einen Initiationsritus für eine Rasse tödlicher Jäger – Predatoren! – geraten, die es allerdings nicht auf die Menschen abgesehen haben, sondern auf etwas weit gefährlicheres: Aliens! (Die zu diesem Zwecke auf der Planetenoberfläche „gesäht“ wurden.) Durch die ungeplante Anwesenheit der Menschen geraten die Aliens allerdings außer Kontrolle und um zu überleben, sehen sich Predator und Mensch letztendlich gezwungen, zusammenzuarbeiten, namentlich die Kolonie-Aufseherin Machiko Noguchi und der Jäger-Veteran Dachande, die den fiesen ‚Hartfleischern‘ am Ende mit großem Feuerzauber den Garaus machen.

Exakt dies ist auch der Inhalt des 1994 erschienen Romans von Steve Perry und S. D. Perry, der mit zehn Jahren ‚Verspätung‘ im Rahmen des Hypes um Paul W. S. Andersons Kino-Monsterhatz „Alien vs. Predator“ über den |Dino|-Verlag den Weg in deutsche Buchhandlungen fand. Die Handlung ist dabei konsequent zweigeteilt und folgt einerseits der Perspektive Noguchis, die sich als neue Aufseherin der Rancher-Community auf Ryushi mit abweisenden Rynth-Züchtern herumschlagen muss, und andererseits jener Dachandes, der als Ausbilder eine Gruppe junger Yautja (so nennen sich die Predatoren selbst; die Bezeichnung „Predator“ fällt im ganzen Roman kein einziges Mal) auf die abgelegene Welt begleitet, auf der sie ihre Mannbarkeitsprüfung bei der Jagd auf die „Kainde amedha“, die Hartfleischer, ablegen sollen.

Dadurch, dass diese doppelte Perspektive auch dann noch durchgehalten wird, wenn sich Noguchi und Dachande als letzte Krieger gegen die Alienhorden zusammengeschlossen haben, erhält die Geschichte zwischenzeitlich sogar eine unterschwellig humoristische Note, denn es wird klar, wie unterschiedlich die Mentalitäten der beiden ungleichen Partner sind, deren gemeinsamer Erfolg gerade aus grenzwertigen Missverständnissen resultiert. Will Noguchi beispielsweise eher kameradschaftlich erscheinen, hält Dachande sie für aggressiv und gerade diese Dreistigkeit der kleinen Menschin imponiert ihm, womit der beabsichtigte Schulterschluss erreicht wäre, wenn auch unter völlig unterschiedlichen Grundvoraussetzungen.

Die Handlung an sich ist relativ gradlinig und folgt bekannten Mustern. Eine Gruppe Menschen an einem Ort fern jedweder Zivilisation führt ein beschauliches Leben, dann häufen sich seltsame Vorzeichen – Leute verschwinden, Schleim an den Wänden, Unsichtbare vor den Toren usw. – und schließlich kommt es zum rasenden Showdown mit horrender Todesrate. Trotzdem macht es Spaß, die Konfrontation zu verfolgen, gerade weil sie eine gekonnte Mischung aus Bekanntem und neuen Elementen ist. Vermutlich kann man den Autoren vorwerfen, dass sich die kreative Eigenleistung in Grenzen hält, denn ich nehme an, dass sich Comicvorlage und Roman tatsächlich sehr ähnlich sind (umso mehr fragt man sich, warum die Bücher seinerzeit überhaupt in Auftrag gegeben wurden). Kennt man die Comics indes nicht, wird dieser Kritikpunkt hinfällig.

Für Fans auf jeden Fall spannend sind die zahlreichen Einblicke, die uns die Autoren in die Gesellschaft der Predatoren gewähren, vor allem die Motivationen und Rituale rund um die Jagd. Wer den Kinofilm von Anderson gesehen, der wird einiges davon bereits kennen, aber hier muss für die Autoren (bzw. die ursprünglichen Comicautoren Randy Stradley und Phill Norwood von Dark Horse) eine Lanze gebrochen werden: Sie waren zehn Jahre vor dem britischen Regisseur dran.

_Fazit:_ Für Fans der zwei berühmten Weltraummonster bietet „Aliens vs. Predator: Beute“ ohne Zweifel gute Unterhaltung. Gekonnt vermischen die Autoren bekannte (und beliebte) Elemente beider Universen mit neuen Ideen und gewähren dabei interessante Einblicke in die Gesellschaft und Denkweise der Predatoren. Das einzige wirklich Manko ist der hohe Preis: Knapp 10 Euro für 267 Seiten Lesestoff sind ziemlich viel Holz, selbst für einen Fan der Materie. (Aber relativ hohe Buchpreise sind leider ein generelles Problem des |Dino|-Verlags.)

Elizabeth Moon – Heldin wider Willen

Das geschieht:

Jener Sektor des menschlich besiedelten Universums, auf den sich hier unser Augenmerk richtet, wird neofeudal regiert von einer Allianz mächtiger Adelsgeschlechter. Da Usurpatoren & Freibeuter über-All lauern, hält man sich ein schlagkräftiges Militär. Kühne Kommandanten steuern die gewaltigen Raumkreuzer des „Regular Space Service“ dorthin wo’s brennt. Darin brennen schneidige junge Burschen und Mädels in schicken Uniformen für jene ekstatischen Momente zwischen Befehlsausgabe und „Sir-jawoll-Sir!“-Bestätigung.

Zum Heer der hoffnungsvollen Nachwuchs-Kampfhähne und -hennen zählt Lieutenant Esmay Suiza. Sie ist Mitglied einer Familie mit langer Militär-Tradition, aber leider geschlagen mit den Erinnerungen an eine gar schlimme Jugend auf dem Hinterwäldler-Planeten Altiplano und – was schwerer wiegt – mit der Gabe des selbstständigen Denkens, die in Soldatenkreisen seit jeher als Fluch gilt. Neulich ist es Esmay gelungen, nicht nur eine Meuterei an Bord der stolzen „Despite“ zu vereiteln, sondern sogar mit dem unter ihrer Führung zurückeroberten Schiff in eine Raumschlacht zu ziehen und den vielfach überlegenen Feind in die x-te Dimension zu blastern. Eine tolle Leistung, die aber so leider nicht im Militär-Protokoll vorgesehen ist, sodass sich Esmay weder belobigt noch befördert, sondern als Meuterin vors Kriegsgericht gestellt wird: Wo kämen wir dahin, wenn jeder Soldat sich zukünftig vom Menschenverstand leiten ließe? Esmay sieht‘s ein und ergibt sich gefasst in ihr Schicksal.

Weil sie ja trotzdem irgendwie richtig gehandelt hat, stößt man sie nicht ohne Raumanzug aus einer Schleuse der „Despite“, sondern versetzt sie auf das ölige Reparaturschiff „Koskiusko“ irgendwo am Arsch des Spiralnebels Omega Harrington. Da die Lex Kirk – dramatische Ereignisse spielen sich ungeachtet jeder Logik stets dort ab, wo der Held oder die Heldin sich gerade aufhalten – auch in Esmays Universum Gültigkeit besitzt, tauchen die Piraten und Terroristen der gefürchteten „Bluthorde“ auf, die besagtes Schiff erobern und entführen. Die Besatzung unterwirft sich feige den Schurken, aber tief in den Eingeweiden der „Koskiusko“ rührt sich Widerstand. Angeführt von Esmay und ihrer neuen Liebe, dem Haudegen Barin Serrano, stemmen sich die mutigen Krieger gegen die teuflische Übermacht, bis schließlich – man glaubt es kaum – … aber das soll an dieser Stelle Überraschung bleiben …

Disziplin und Abenteuer

Elizabeth Moon blieb es einst überlassen, diesen Rezensenten mit der aufregenden Welt der „Military Science Fiction“ vertraut zu machen. Wenn man schon Neuland betritt, dann besser in Begleitung eines ortskundigen Führers. Moon hat selbst gedient – sogar in Vietnam! Man darf daher davon ausgehen, dass diese Autorin weiß, worüber sie schreibt, wenn sie nun tief eintaucht in die Soldatenwelt der Zukunft. Wer sich nur einigermaßen auskennt im Militärischen, wird mir bestätigen, dass Strukturen und Rituale hier ähnlich stabil und jeglicher historischen Entwicklung enthoben sind wie sonst höchstens in der katholischen Kirche. Somit kann Moon ihr Hintergrundwissen auch vor imaginärem Hintergrund voll ausspielen.

Ungeachtet der Häme, in die der skeptische Rezensent leicht verfällt, wenn es gilt, ein Werk wie „Heldin wider Willen“ zu würdigen, ist dieses Fachwissen ein Wort der Anerkennung wert. Zudem ist Esmay Suiza kein Kampfroboter aus Fleisch und Blut, sondern ein Mensch mit allen positiven und negativen Charaktereigenschaften. Kadavergehorsam & Drill-Masochismus sind seit den Tagen der „Starship Troopers“ glücklicherweise ziemlich out, was andererseits der pazifistisch eingestellten Kritik auch wieder nicht Recht ist: Der Feind, den es zu bekämpfen gilt, soll sich gefälligst weiterhin als Schwein gebärden.

Esmay und ihre Gefährten sind Soldaten – Punkt. Wer mit dieser Ausgangssituation nicht klarkommt, sollte sich die Lektüre von „Heldin wider Willen“ schenken. Zweitens: Esmay & Co. wurden von der Unterhaltungs-Industrie rekrutiert. Moons Geschichte beschäftigt sich nicht mit dem Mikrokosmos Militär, seinen in die Zukunft extrapolierten Regeln oder gar seinen Schattenseiten, sondern ist primär dem kindlichen Spaß an Remmidemmi und Zerstörung geschuldet.

Alte Werte in ebensolchen Schläuchen

Esmays Universum ist ein Abenteuer-Spielplatz, auf dem sich das Gute stellvertretend für die Leserschaft tüchtig austobt und die Bösen anders als in der frustrierenden Realität endlich einmal auf die Bretter schickt. Die Jugendtraumata der Heldin und andere Indizien scheinbarer Tiefgründigkeit sind nichts als Feigenblätter; es ist schick, wenn ein Held eine kleine Macke hat – es lässt ihn oder in unserem Fall sie menschlicher wirken.

Wer die Regel der populärkulturellen Vereinfachung nicht kennt, zwischen Realität und Fiktion nicht trennen will oder gar zu gern über die Verrohung der Welt, die kühl kalkulierte Befriedigung niederer Instinkte & das nahe Ende der Zivilisation lamentiert, liegt ebenfalls falsch bei unserer „Heldin wider Willen“.

Eng wird es für Elizabeth Moon allerdings, wenn man nunmehr kritisch unter die Lupe nimmt, wie sie sich im Rahmen der selbst gewählten Spielregeln schlägt. Hier fällt Nachsicht schwer, da die Verfasserin ihrem Publikum ein gar zu schlichtes Garn vorsetzt. Was da über fast 600 Seiten abrollt, ist buchstäblich eine Räuberpistole, die schon in den Pulp-Magazinen der 1930er Jahre ein wenig zu oft abgefeuert wurde. Dabei ist grundsätzlich nichts gegen eine Wiederbelebung des wunderbaren Weltraum-Schwachsinns à la Flash Gordon einzuwenden. Die „Star Wars“-Saga zeigt, wie man‘s richtig macht, indem man sich nicht gar zu ernst nimmt. Leider meint Moon es jederzeit bitter ernst mit ihrem Krawall-Epos: Witz und Selbstironie sind Elemente, die in der „Military Science Fiction“ jenseits des berüchtigen Landser-Humors ganz und gar nicht geduldet werden.

Die Seele der Soldatin

Richtig übel wird es, wenn Moon Gefühl ins Spiel kommen lässt – oder das, was sie dafür hält, wobei schriftstellerisches Unvermögen eine gewichtige Rolle spielen dürfte. Esmays Reise ins Herz der eigenen Finsternis ist besonders im ersten Drittel und noch einmal im Finale eine qualvoll in die Länge gezogene Lektion in sentimentalem Edelkitsch und unfreiwilliger Komik.

Echter Ärger kommt auf, wenn Moon Esmays ewigen Clinch mit den Vorgesetzten schildert. Diese gebärden sich als Herrscher über das Universum oder wenigstens jene Bereiche, in denen Rangabzeichen getragen werden. Dort verteilen sie zum Besten der Welt und ihrer ruppig geliebten Untergebenen fleißig Arschtritte, für die sie von den auf diese Weise Niedergestreckten umso heftiger respektiert werden. Esmays Befehlshabern unterläuft vielleicht der eine oder andere Fehler, der hier und da ein paar Köpfe rollen lässt, aber sie haben die Autorität und damit letztlich immer Recht: Hier endet zumindest dieses Rezensenten Bereitschaft, in jene Bereiche der SF-Welt vorzudringen, wo er noch nie zuvor war.

Nicht verantwortlich kann die Autorin indes für jene Verwirrung gemacht werden, die den Leser auf den ersten einhundert Seiten immer wieder befällt. Da rekapituliert Esmay ausführlich dramatische Ereignisse, die sie augenscheinlich gerade überstanden hat. Aus dem Text geht klar hervor, dass der Leser eigentlich mehr darüber wissen müsste. Tatsächlich ist „Heldin wider Willen“ der vierte Teil eines groß angelegten Zyklus‘, der sich locker um den Serrano-Clan rankt. Aus unerfindlichen Gründen startet der Bastei-Lübbe-Verlag mittendrin; ob‘s daran liegt, dass unbedingt eine starke Frau à la Honor Harrington in die Riege der verkaufsstarken SF-Helden aufgenommen werden sollte?

Autorin

Susan Elizabeth Norris Moon wurde am 7. März 1945 in McAllen, einer Stadt im Süden des US-Staates Texas, geboren. Nach einem Studium der Geschichte und einem Intermezzo als Rettungs-Sanitäterin drängte es sie 1968 dazu, Nützliches für ihr Land zu tun. Also meldete sie sich erst zum Marine Corps und ging dann nach Vietnam, wo sie allerdings nicht mit Napalm oder M16, sondern am Computer half, möglichst viele „Charlies“ zu erwischen.

1969 kehrte Moon in die USA zurück und heiratete einen ehemaligen Kommilitonen und Kameraden. Mit ihrem Mann zog sie nach dem Ende ihrer aktiven Dienstzeiten in einen Vorort der texanischen Hauptstadt Austin, wo das Paar noch heute lebt. Moon begann ein Biologiestudium, das sie 1975 abschloss.

In den 1980er Jahren begann Moon Kurzgeschichten zu schreiben. „The Sheepfarmer‘s Daughter“ wurde 1986 ihr Romandebüt sowie Startband einer Fantasy-Trilogie. Anschließend widmete sich Moon der „Military Science Fiction“. Vor dem gemeinsamen Hintergrund eines menschlich besiedelten Universums entstanden verschiedene Zyklen, die Abenteuer mit militärischen Werten boten. Bei einem entsprechend gepolten Publikum bereits sehr beliebt, konnte Moon die Literaturkritik erst mit ihrem Roman „The Speed of Dark“ (dt. „Die Geschwindigkeit des Dunkels“) begeistern, der Geschichte eines autistischen Computerprogrammierers, für den sie 2003 mit einem „Nebula Award“ ausgezeichnet wurde.

Elizabeth Moons Website

Taschenbuch: 588 Seiten
Originaltitel: Once a Hero (Riverdale/New York : Baen Books 1997)
Übersetzung: Thomas Schichtel
http://www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (1.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)

Lovecraft, H. P. – Flüsterer im Dunkeln, Der

H. P. Lovecraft (1890-1937) war zu Lebzeiten keineswegs ein erfolgreicher Schriftsteller. Mit seinen eigenen Geschichten verdiente er längst nicht genug zum Überleben, stattdessen hielt er sich mit seinem spärlichen Erbe und als Ghostwriter über Wasser. Dass er seine Erzählungen selbst nie wirklich ernst genug genommen hat, um eine Publikation mit Nachdruck zu verfolgen, mag heute, da der Name Lovecraft als Synonym für subtilen Horror steht, unglaublich erscheinen. Und doch trat Lovecrafts Werk seinen Siegeszug erst nach dessen Tod an.

In die Riege der Bewunderer reiht sich |LPL records| nahtlos ein, die sich mit liebevoll produzierten Horrorhörbüchern einen Namen gemacht haben. Wer sich gepflegt gruseln will, der ist bei |LPL| an der richtigen Adresse. In loser Folge bringt der Hörbuchverlag seit 2003 in der Reihe „H.P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens“ Erzählungen des Großmeisters als Hörbücher heraus und verursacht damit garantierten Nervenkitzel.

Der vierte Teil der Reihe – nach „Der Cthulhu-Mythos“, „Der Schatten über Innsmouth“ und „Das Ding auf der Schwelle“/“Die Ratten im Gemäuer“ – ist nun erschienen: „Der Flüsterer im Dunkeln“, eine weitere im Cthulhu-Universum angesiedelte Geschichte.

Die Handlung beginnt 1927 in Neu-England. Hochwasser lassen die Flüsse über die Ufer treten, und nach den Überschwemmungen meint die abergläubische und ungebildete Landbevölkerung der Gegend, seltsame Leichen in den Flüssen treiben zu sehen. Literaturprofessor Albert Wilmarth findet das alles reichlich faszinierend, interessiert er sich doch schon seit langem für die Legenden der Gegend. Doch als Wissenschaftler und Rationalist nimmt er die umgehenden Schauermärchen nicht für bare Münze und tut sie als bloße Fantasterei der naiven Bewohner ab.

In den Zeitungen entspinnt sich eine rege Diskussion über die seltsamen treibenden Leichen und auch Wilmarth beteiligt sich mit Verve – bis ihn ein Leserbrief von Henry Akeley erreicht, der seine Sicht der Tatsachen gründlich auf den Kopf stellt. Akeley behauptet, Beweise für eine Rasse Außerirdischer zu haben, die die Berge bewohnen und dort Mineralien fördern. So abgehoben Akeleys Erläuterungen auch zunächst klingen, Wilmarth erfährt seinen neuen Briefpartner als vernünftigen und gelehrten Mann. Es entwickelt sich ein regelmäßiger Briefwechsel und Wilmarth taucht immer tiefer ein in verbotenes Wissen und geheime Gesellschaften.

Das Zwiegespräch zwischen Wilmarth und Akeley (wir hören die Erzählung aus Wilmarths Perspektive, mit einigen eingeschobenen Briefen von Akeley) wirkt wie ein Kammerspiel – es beginnt unschuldig genug, die Handlung spitzt sich aber zunehmend zu und endet schließlich im Chaos und der überstürzten Flucht Wilmarths. Wie der Ich-Erzähler misstraut man zunächst den Erklärungen Akeleys. Sie klingen zu wirr und fantastisch, um auf der Realität zu fußen. Doch Wilmarths Interesse ist geweckt und er ist ein dankbarer Empfänger für all die Botschaften von Außerirdischen und fremden Planeten. Akeley verspricht Beweise für seine Annahmen: Fotos, Tonaufnahmen und einen seltsamen schwarzen Stein. Doch die überzeugendsten Beweise gehen auf dem Postweg verloren: Eine Verschwörung? Oder haben die Beweise nie existiert? Überhaupt sind zum Zeitpunkt, da Wilmarth die Geschichte niederschreibt, alle Briefe Akeleys vernichtet. Welche „Beweise“ bleiben also? Was erzählt uns Lovecraft in „Der Flüsterer im Dunkeln“ eigentlich? Die Geschichte von Außerirdischen, die heimlich auf der Erde umgehen? Oder doch die Fabel eines Geistesgestörten, der zwischen Realität und Fantasie nicht mehr unterscheiden kann? Lovecraft hält sich beide Optionen offen, die Entscheidung liegt also beim Hörer.

Das wahre Grauen liegt, wie meist bei Lovecraft, im Nicht-Gesagten und Halb-Verschwiegenen. Geheimlehren und verschwundene Bücher werden erwähnt, doch nie erläutert. Das Gleiche gilt für die alten Gottwesen, die immer wieder in seinen Cthulhu-Geschichten auftauchen. Subtil offenbart sich auch das Unbehagen in der Landschaft Neu-Englands. Der Städter Wilmarth fühlt sich auf der Fahrt zu seinem einsam wohnenden Freund Akeley sofort in eine andere Realität versetzt: dräuende Wälder, reißende Flüsse, düstere Landschaften. All das beeinflusst die Grundstimmung der Erzählung.

Und dann sind da natürlich noch die Sprecher. David Nathan als Wilmarth ist eine exzellente Wahl, doch der wahre Star des Hörbuchs ist Torsten Michaelis als Mr Akeley. Michaelis, als Synchronstimme von Wesley Snipes chronisch unterfordert, ist in letzter Zeit bei einigen Hörbuchproduktionen positiv aufgefallen. Besonders auf [„Necrophobia 2“ 1073 konnte er als Sprecher die ganze Bandbreite seiner Fähigkeiten zeigen – als religiös verwirrter kindlicher Massenmörder, keine einfache Rolle. Auch Mr Akeleys Gefühlswelten kann er in den wenigen Auftritten, die er hat, suggestiv gestalten und überzeugt so als nüchterner Forscher wie auch als halbverrückter Irrer.

Als besonderes Extra gibt es eine Bonus-CD, auf der Dagmar Berghoff als Muriel E. Eddy ihre Erinnerungen an Lovecraft zu Gehör bringt. Zwischen Lieblingsessen und literarischen Arbeitsweisen schafft sie es so, ein lebendiges und gar unterhaltsames Bild von dem großen Unbekannten Lovecraft zu zeigen. Als Schmankerl hat |LPL| noch den „Soundtrack des Schreckens“ beigegeben: zehn Tracks von Andy Matern, dessen beunruhigende Klangwelten seit jeher die |LPL|-Hörbücher vervollkommnen. Es handelt sich hierbei ausschließlich um Tracks von vorherigen Lovecraft-Produktionen, Fans von |Necrophobia| oder |Necroscope| werden sich wohl noch gedulden müssen. Vielleicht werden Materns gesammelte Tracks auch dort einmal zu hören sein. Sie alle als einen Soundtrack auf einer Extra-CD zu veröffentlichen, ist zumindest eine geniale Idee und wird bei Langzeitfans des Labels sicher auf viel Gegenliebe stoßen.

„Der Flüsterer im Dunkeln“ ist erneut eine gelungene Gruseltour aus dem Hause |LPL|, die den Hörer diesmal sogar noch mit einer Bonus-CD beglücken kann. Da bleiben doch keine Wünsche offen!

|Die ersten drei LPL-Veröffentlichungen dieser Reihe:|
[„Der Cthulhu-Mythos“ 524
[„Der Schatten über Innsmouth“ 424
[„Das Ding auf der Schwelle“ & „Die Ratten im Gemäuer“ 589

http://www.lpl.de

Nordmann, Michael – 1000 Fußballer – Die besten Spieler aller Zeiten

Es ist so weit, das Jahr der Fußball-WM im eigenen Land ist angebrochen, und überall laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Die beste Weltmeisterschaft aller Zeiten soll es werden, und was die Vermarktung des World Cups betrifft, ist sie dies wahrscheinlich jetzt schon. Fußball, wohin man schaut, der König des Sports regiert das Land, und selbst potenzielle Nicht-Interessenten sind plötzlich Feuer und Flamme.

Doch niemals wäre das Interesse am runden Leder so groß, hätte der Sport nicht einige schillernde Persönlichkeiten hervorgebracht, die einerseits gehasst und verachtet, andererseits aber auch wie Popstars behandelt und abgefeiert wurden. Michael Nordmann hat sich nun die – seiner Meinung nach – 1000 besten und bekanntesten Fußballer aller Zeiten herausgepickt und in einem umfassenden Sach- und Bildband aufgelistet, bei dem nicht nur Insider mit der Zunge schnalzen werden. Man mag zwar darüber streiten, ob diese Liste der hier aufgeführten Stars wirklich repräsentativ für die Geschichte des Fußballs ist, zumal hier überraschend viele deutsche Spieler auftauchen, aber vom reinen Info- und Unterhaltungswert her betrachtet, ist „1000 Fußballer“ schon auf den ersten Blick ein richtiger Goldschatz.

Nordmann stellt die Sporthelden in einer alphabetischer Abhandlung vor und mischt so verschiedene Generationen von Fußballern zusammen, was manchmal schon ein wenig seltsam anmutet. So steht ein noch recht junger Spieler wie Zouebeier Baya direkt neben einer Legende wie Franz Beckenbauer, Griechenlands EM-Held Angelos Charisteas wird in einem Atemzug mit dem britischen Idol Jack Charlton genannt und Hany Ramzy teilt sich den Raum mit seinem ehemaligen Coach Otto Rehhagel. Und so entstehen hier zahlreiche seltsame Kombinationen, bei denen man dann ins Schmunzeln gerät.

Namen wie Carsten Jancker, Marco Bode, Steffen Freund oder Thorsten Fink – nur um mal ein paar Beispiele zu nennen – haben meiner Meinung nach in diesem Buch absolut nichts verloren, weil ihre Verdienste für den Fußball sich dann doch in Grenzen halten. Klar, man kann nicht sämtliche Jahrgänge der brasilianischen Nationalmannschaft auflisten, aber es ist schon so, dass „1000 Fußballer“ jetzt nicht zwingend auch die 1000 wichtigsten und besten Fußballer enthält. Diese Kritik muss sich der Herausgeber gefallen lassen, aber ich denke, das ist ihm auch bewusst. Andererseits wird sich der etwas jüngere Fan natürlich darüber freuen, den ein oder anderen Lieblingsspieler aus der aktuellen Fußballergeneration in diesem Buch zu finden, und das hat wahrscheinlich – ich kann nur mutmaßen – auch eine wichtige Rolle bei der Erstellung dieses Bandes gespielt.

Andererseits sind natürlich wirklich alle wichtigen Namen enthalten. Beckenbauer, Pelé, Maradonna, Ronaldo, und wie sie alle heißen, aber auch anscheinend vergessene Stars wie Gary Lineker, Roger Milla, Carlos Valedrama oder seinen Landsmann René Higuita. Man findet sie alle wieder, und je mehr man sich in das Buch vertieft hat, versteht man auch zunehmend die Misere, wie schwer es eigentlich ist, 1000 verdiente Sportler zu sammeln, und dabei auschließlich Spieler zusammenzuwürfeln, die auch tatsächlich hierhin gehören. Den subjektiven Geschmack außen vor zu lassen und trotzdem eine repräsentative Auswahl zu treffen, das war die Herausforerung, und diese wurde rein faktisch super gelöst, da muss dann die eigene subjektive Meinung (die ja oben schon beschrieben wurde) auch mal hintenan stehen …

Von der Auswahl zum Inhalt, und hier zeigt sich dann auch das wirklich Besondere an diesem opulent und sehr nobel aufgemachten Buch. Alle Spieler werden mit teils aktuellen, teils recht alten Aufnahmen vorgestellt, und diejenigen Stars, die der Fußballwelt wohl auf ewig in Erinnerung bleiben, haben dazu noch eine große Extraseite bzw. einen zusätzlichen Infokasten bekommen. Zu jedem Foto gibt es außerdem einen Kurzbericht sowie einen kurzen Überblick mit Fakten und Tatsachen aus der Karriere des jeweiligen Fußballers. Beschrieben werden Geburtsdatum, Nation, die Stationen als Spieler, WM-Spiele/Tore, Ländespiele/Tore und die Teilnahmen an der Weltmeisterschaft. Der einzige Kritkpunkt, den man hier anbringen kann, hat ebenfalls wieder etwas mit der Auswahl zu tun, und in diesem Fall mit der Auswahl der Fotos. Giovane Elber im Mönchengladbach-Trikot, Preben Elkjaer-Larsen auf einem lieblosen Ausschnitt eines Mannschaftsfotos oder Eric Gerets auf der Trainerbank – manchmal wäre sicherlich ein repräsentativeres Foto angebrachter gewesen, aber glücklicherweise sind die meisten Aufnahmen den sportlichen Höhepunkten der Spieler entnommen. Ansonsten gibt es hinsichtlich der Darstellung der Fußballer nichts auszusetzen, zumal die Darstellungen und die einzelnen Anekdoten wirklich in einen kurzweiligen, informativen Text eingebunden wurden.

Auch wenn es leichte kritische Ansätze zu verfolgen gilt, ist dieses Buch für jeden Fußballfan (nicht nur als Vorbereitung für die WM) ein echtes Muss. Hier findet man sie alle wieder, die wichtigen Gesichter der wohl wichtigsten Nebensache der Welt, und das in einem exzellent aufgemachten Buch, an dem man sehr lange seine Freude haben wird. Und aufgrund der eher drögen Konkurrenz will ich sogar so weit gehen und behaupten, dass „1000 Fußballer“ in seiner Sparte Referenzklasse ist – selbst mit einigen kleinen Schönheitsfehlern. Der geringe Preis von gerade mal 14,95 € sollte dann auch die letzten Zweifel ausräumen und die Vorbehalte auflösen. Das Geld ist jedenfalls sehr gut angelegt!

Kerley, Jack – letzte Moment, Der

Jack Kerley wird als der Shootingstar der amerikanischen Krimiszene gefeiert. Bereits mit seinem ersten Roman, dem Thriller „Einer von hundert“, gelang ihm in seiner Heimat der Durchbruch, und auch in Deutschland wurde man schnell auf den Autor aus Newport, Kentucky, aufmerksam. Nun legt der Erfolgsautor nach: In „Der letzte Moment“ widmet er sich seiner Passion für die berüchtigte Manson-Familie und verpackt seine Faszination für Massenmörder in einen unheimlich spannenden, fiktiven Krimi.

_Story:_

Anfang der Siebziger steht der berüchtigte Serienmörder Marsden Hexcamp nach langem Ringen endlich vor Gericht und muss sich für seine Taten verantworten. Vor dem Gerichtssaal wartet eine ständig weinende, junge Dame auf den Urteilsspruch, der – das ist nicht anders zu vermuten – die Todesstrafe mit sich bringen wird. Doch genau diese junge Dame kommt dem Richter zuvor und erschießt zunächst ihren anscheinend Geliebten und danach sich selbst, um den Ermittlern ein letztes Mal ein Schnippchen zu schlagen und die Kunst, die Hexcamp während seiner Lebenszeit zelebrierte, ein letztes Mal in einer gewaltigen Inszenierung zum Leben zu erwecken.

Dreizig Jahre später hat der Fall den ehemaligen Detective Jacob Willow noch immer nicht losgelassen. Willow, der damals bei der Urteilsverkündung ebenfalls anwesend war, die Tragödie aber nicht mehr verhindern konnte, hat sich seither mit dem skurrilen Fall beschäftigt und fleißig Anhaltspunkte finden können, die hinter dem Erbe Hexcamps eine sektenartige Gruppierung vermuten lassen, doch zu fassen bekommen hat Willow von diesem Verbund nie jemanden.

Nun wird aber in einem Motel eine brutal zugerichtete Leiche gefunden, und plötzlich steht der Name Hexcamp wieder im Brennpunkt der Ermittlungen. Die beiden Polizisten Carson Ryder und Harry Nautilus werden auf den Fall angesetzt und wollen so den Ruf, den ihnen gerade die Ehrung zur besten Polizeitruppe der Stadt erbracht hat, bestätigen. Allerdings geraten die Ermittlungen arg ins Stocken: einerseits, weil ein Fernsehteam um die nervige Journalistin Dansbury keine Ruhe geben will und Harry und Carson ständig in Rage bringt, und andererseits, weil der Fall noch weitere Leichen nach sich zieht, deren Tode offensichtlich mit dem Mord im Motel zusammenhängen. Der einzige Aufhänger für die beiden Cops sind einige Fetzen eines Bildes.

Als sie eines Tages mit dem berenteten Jacob Willow in Kontakt treten, entdecken sie die Parallelen zum Fall Hexcamp und rollen die Verbrechen des ‚Altmeisters‘ neu auf. Tatsächlich führt die Spur zu einer Untergrundorganisation, die damals von Hexcamp angeführt wurde, und weiterhin zu einer bizarren Gruppe Menschen, die sich mit dem Nachlass und den Tatwaffen berühmter Massenmörder beschäftigt und diese auch sammelt. Je abscheulicher das Instrument, desto höher der künstlerische Wert und somit auch der Preis – eine grausame Tatsache, mit der sich Carson Ryder auseinandersetzen muss, und die ihn schließlich auch zu einer fanatischen Anhängerin Hexcamps führt, bei der sich der Polizist weitere Infos holen kann.

Dennoch: Die Zusammenhänge wollen dem Team nicht klar werden, und erst als auf Geheiß ihres Chefs die verachtete Mrs. Danbury zum Team stößt, geht es voran. Gemeinsam reisen Ryder und Dansbury nach Paris und bekommen dort einen entscheidenden Tipp und weitere Hintergründe zum Aufstieg von Marsden Hexcamp. Doch erst der Zufall will es, dass Carson der Sache auf die Schliche kommt – doch da ist es schon zu spät …

_Meine Meinung_

Action von Anfang an; Jack Kerley legt sofort richtig los. Die ersten Szenen aus dem Gerichtssaal sind direkt enorm actiongeladen und zerren den Leser auch umgehend in die Geschichte hinein. Doch genauso schnell, wie man Zugang zur Story um Marsden Hexcamp gefunden hat, wird man auch wieder in die erzählte Gegenwart geworfen, in der die beiden Cops Ryder und Nautilus gerade ausgezeichnet werden. Von hier an wird die Geschichte aus der Perspektive Ryders erzählt, hat aber fortan auch einige Startschwierigkeiten.

Eine Leiche wird gefunden, ein Journalistenteam penetriert die Polizei ohne Unterlass und mittendrin steht das stets sehr reizbare Duo Ryder/Nautilus, ohne eine Ahnung von den tatsächlichen Vorgängen. Enttäuschung macht sich breit, bis dann plötzlich Zusammenhänge zum alten Mordfall aufgedeckt werden und das Buch umgehend auch wieder an Farbe gewinnt. Nun sieht sich der Leser dazu veranlasst, beide Geschichten parallel zu verarbeiten, doch sobald man glaubt, sich endlich Klarheit verschafft zu haben, ist Jack Kerley einem auch schon wieder einen Gedankensprung voraus und führt den Leser auf die nächste (falsche) Fährte. Plötzlich steht ein vermisster Anwalt im Raum, eine seltsame Anwaltsfirma wird verhört und verdächtigt, Ryders Bruder, der sich wegen eines Mordes auf Lebenszeit im Gefängnis befindet, kommt als entscheidendes Element in Betracht und immer wieder tauchen neue Personen auf, die mit der Serie in Verbindung gebracht werden bzw. irgendwie mit hineingezogen wurden.

Na also, da haben wir ihn doch, den genialen Thriller mit seinen zahlreichen Wendungen und den vielen Charakteren, die zwar meistens etwas eigenartig sind, im Hinblick auf ihre Ausstrahlung aber stets am Boden des Realistischen verbleiben. Auch wenn die beiden Ermittler prinzipiell in die Rolle der Helden hineingedrängt werden, drohen sie nicht abzuheben und werden nicht schlagartig zu Superhelden, die mit spielerischer Leichtigkeit aus einem kleinen Indiz einen Fall von enormer Tragweite lösen, was der gesamten Story dann auch sehr zugute kommt.

Außerdem verschwendet Kerley im Laufe der Geschichte auch nie seine Erzählzeit damit, irgendwelche persönlichen Dramen in die Story zu integrieren. Die Konzentration gilt einzig und alleine den Ermittlungen und dem mysteriösen Fall um Marsden Hexcamp, den verschwundenen Anwalt und die neue Mordserie, deren Ursprünge mehrere Dekaden weit zurückgehen – alles super in Szene gesetzt und nach anfänglichen Längen mit einem sehr, sehr hohen Erzähltempo vorangebracht.

Am Ende ist dann auch klar, warum Kerley als Shootingstar gefeiert wird. Stilistisch stets bodenständig und in Bezug auf die Handlung immer nahe am Geschehen, ist „Der letzte Moment“ ein wirklich toller Mix aus Krimi und Thriller geworden, dessen besonderer Reiz in der Faszination für das Unmenschliche liegt. Kerleys Vorliebe für das Thema „Massenmörder“ und die daraus resultierenden, detailreichen Beschreibungen der bizarren Mordfälle verhelfen dem Roman schließlich zum international tauglichen Referenzformat und entlocken mir eine uneingeschränkte Empfehlung für diesen aufstrebenden Autor.

Koontz, Dean – Geisterbahn

_Handlung_

|1955|

Ellen flieht wegen ihrer religiös-fanatischen Mutter von zuhause und schließt sich dem Jahrmarkt an. Dort heiratet sie den Geisterbahnbesitzer Conrad Straker. Nach kurzer Zeit wird sie schwanger und bringt ein grässlich missgestaltetes Kind auf die Welt. Aber das Kind ist nicht nur körperlich abnormal, sondern strahlt bereits, trotz seines geringen Alters, eine intelligente Bösartigkeit aus. Aus der Angst heraus, den Antichristen in die Welt gebracht zu haben, beschließt Ellen, ihren Sohn zu töten. Das Kind wehrt sich erbittert und verletzt seine Mutter schwer, doch sie bleibt siegreich.

Als Conrad entdeckt, dass Ellen ihr eigen Fleisch und Blut ermordet hat, jagt er sie davon, denn die Jahrmarktsleute regeln solche Angelegenheiten unter sich, ohne Polizei. Doch er gibt ihr noch eine Drohung mit auf den Weg: „Wenn du einmal wieder Kinder haben wirst, die du liebst, werde ich kommen und sie töten!“

|1980|

Ellen ist schlimmer geworden als ihre Mutter, denn die Ereignisse um ihr erstes Kind haben sie nicht nur auf fanatische Art und Weise in die Arme der Kirche getrieben, sondern auch noch in die Alkoholsucht. Da sie Conrads Drohung nie ernst nahm, hat sie mit ihrem Mann, einem Rechtsanwalt, schon zwei Kinder: die sechzehnjährige Amy und den kleinen Joey.

Beide haben hauptsächlich Angst vor ihrer Mutter, die ihnen wenig Liebe, aber viele Regeln gibt. Umso dramatischer ist die Lage, als Amy herausfindet, dass sie von ihrem Freund geschwängert wurde. Da dieser nicht bereit ist, sein Mittun an der Zeugung einzugestehen, und Amy nicht genug Geld für eine Abtreibung an ihrer Mutter vorbeischmuggeln kann, muss sie ihr die Sünde gestehen.

Auch der kleine Joey hat genug von seiner Mutter, und möchte sich dem Jahrmarkt anschließen, der im nächsten Monat in die Stadt kommt …

_Mein Eindruck_

„Geisterbahn“ wurde im Jahre 1980, als Dean Koontz‘ Romane noch nicht die Bestsellerlisten füllten, als Romanfassung eines Drehbuchs von Larry Block geschrieben. Der Roman lief äußerst erfolgreich an, bis die miserable Verfilmung des Materials, „Das Kabinett des Schreckens“ in die Kinos kam. Der Film hatte ein so niedriges Niveau, dass dieser auch einen Bannfluch auf das Buch warf, dessen Verkaufszahlen deutlich einbrachen. Nun wurde der Roman von der Zeit und |Bastei Lübbe| von diesem Fluch befreit und noch einmal neu herausgebracht, und zwar zum Sparpreis von 4.99 €. Und dieses Geld ist „Geisterbahn“ allemal wert.

Koontz zeichnet in diesem Roman ein äußerst interessantes Bild, das sich im Kontext eines religiös (fast fanatisch) prüden Amerikas der früher Achtziger, der jugendlichen sexuellen Unbekümmertheit und der eigenartigen Welt des Jahrmarktes bewegt. Wer den Roman „Zwielicht“ gelesen hat, wird ja schon etwas von Koontz‘ Vorliebe für Jahrmärkte und deren verschrobene Bewohner mitbekommen haben. Da „Geisterbahn“ vor „Zwielicht“ geschrieben wurde, für Letzteren allerdings schon recherchiert worden war, wurde vom Autor für beide Bücher dasselbe Material zur Darstellung des Jahrmarktes verwendet.

Charaktere wie der Albino Ghost oder die Hellseherin Madame Olga vermitteln eine wohlige Schaustelleratmosphäre. In diesem Gewirr versteht es Koontz perfekt, den Leser im Dunkeln tappen zu lassen. Lange Zeit weiß man nicht genau, von wem die Gefahr eigentlich ausgeht, zumal die Motivationsbegründung und die Beschreibung des Aggressors leider etwas mager ausgefallen sind. Hier merkt man deutlich, dass speziell das dritte Kapitel des Romans deutlich vom Drehbuch beeinflusst worden ist. Mit Beginn dieses Kapitels geht es ganz untypisch für Koontz handlungstechnisch ziemlich schnell und etwas undifferenziert zu Ende. Dies steht in krassem Gegensatz zu den ersten beiden Kapiteln, die deutlich detailverliebter geschrieben sind.

Auch muss man dem Autor vorwerfen, dass er aus einigen sehr interessant angelegten Figuren nicht mehr herausgeholt hat. Speziell der arg gebeutelten Ellen hätte man einen Sieg gegen eine Nemesis gegönnt, sei es nun Conrad, die Kirche oder der Alkohol. Auch Conrads deutlich misstrauischer, aber unwissender Komplize Ghost, der alleine schon aufgrund seines Äußeren eine weitere Einbeziehung wert gewesen wäre, findet keine weitere Beachtung.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden, denn „Geisterbahn“ ist durchaus lesenswert und fesselt bis zur letzten Seite, doch hindern diese Schwächen es eindeutig, in Sphären wie viele andere Erfolgsromane von Koontz aufzusteigen.

Im sehr lesenswerten Nachwort schätzt der Autor seinen Roman genau richtig ein: |“Er ist vielleicht nicht so gut wie „Dunkle Flüsse des Herzens“ oder „Intensity“ oder einige andere meiner besten Romane, aber er ist auch nicht schlecht und vielleicht besser als manch anderer. […] Er macht Spaß. Er hat etwas zu sagen. Und genauso wichtig ist, er ist verdammt unheimlich, auch wenn ich als Autor das sage.“|

Diese Selbsteinschätzung ist so treffend, dass es zum Roman an dieser Stelle eigentlich nichts mehr zu sagen gibt.

Ein persönliches Wort am Rande noch an die Coverdesigner aus dem Hause |Bastei Lübbe|: Es wäre doch wirklich schön, wenn man sich bei der Umschlaggestaltung wenigstens geringfügig auf das Buch bezöge. Ein Cover mit einem nebeligen Wald und einem Vollmond, das überhaupt nichts mit dem Buchinhalt zu tun hat, zeugt nicht von besonderer Kreativität.

_Fazit:_ Nicht überragend, aber durchaus spannend und lesenswert. Auf jeden Fall ein kurzweiliges Lesevergnügen und eine Anschaffung allemal wert.

Pratchett, Terry – Ab die Post

Ein Buch, das mit einer Hinrichtung beginnt, hat schon etwas Eigenartiges an sich. Stammt das Werk auch noch aus der Feder von Terry Pratchett, kann man sicher sein, dass es mit den Merkwürdigkeiten nicht allein dabei bleibt. „Ab die Post“ heißt der neue Roman des humorvollen Briten, der im |Manhattan|-Subverlag bei |Goldmann| erschienen ist und als ein 444 Seiten starkes, gebundenes Hardcover daherkommt. Das sehr hübsche Titelbild von Paul Kidby zeigt den Helden des Romans und seine Mistreiter auf einem riesigen Haufen Briefe.

Feucht von Lipwig heißt der junge Mann, der zu Beginn der Ereignisse von „Ab die Post“ den Kopf von einem freundlichen Henker durch die Schlinge gelegt bekommt. Doch das Schicksal meint es gut mit dem Kleinkriminellen, denn anstatt dem Sensenmann entgegenzutreten, wird die Hinrichtung nur vorgetäuscht und er landet beim Patrizier, der ihm die freie Stelle des Postministers von Ankh-Morpork anbietet. Bei der Auswahl zwischen Erhängen und einem Job bei der Post fällt es dem versierten Betrüger nicht schwer, sich für die gesündere der beiden Alternativen zu entscheiden. Wobei er aber schon einen Fluchtplan schmiedet, der jedoch jäh durch Herrn Pumpe, einen stattlichen Golem, gestoppt wird, der vom Patrizier engagiert wurde, um Feucht von Lipwig von nun an zu begleiten/bewachen.

Als der sympathische Gauner dann seine zukünftige Arbeitsstätte und sein Personal begutachtet, fällt er aus allen Wolken: Das Postamt ist bis unters Dach gefüllt mit Briefen, die seit zwanzig Jahren auf ihre Zustellung warten, und bei den beiden übrig gebliebenen Angestellten handelt es sich um einen uralten Mann, Herrn Grütze, und einem Nadeln sammelnden und leicht einfältigen Jungen, der sich Stanley nennt.

Nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten beginnt Feucht von Lipwig Gefallen an der Sache zu finden, denn seine Fähigkeiten im Umgang mit Menschen (oder besser gesagt in der Manipulation der Menschen) machen aus ihm einen ganz ordentlichen und sogar beliebten Postminister. Als er sich auch noch in die „Golemrechtlerin“ Fräulein Liebherz verguckt, legt er sich richtig ins Zeug, um den Postladen wieder auf Vordermann zu bringen.

Doch es gibt da eine Partei, die ganz und gar nicht mit den Bemühungen des neuen Postministers glücklich ist, nämlich die Betreiber des Großen Strangs, der Semaphorengesellschaft, die bisher mit ihren Klackertürmen das Monopol der Nachrichtenübermittlung in Ankh-Morpork und der weiteren Umgebung besaßen.

Der Kopf dieser Gesellschaft, Reacher Gilt, ist ein machthungriger, skrupelloser Geschäftsmann, dem man nachsagt, dass er ein Auge auf den Thron des Patriziers geworfen haben soll. Seit die Semaphorentürme in seiner Hand sind, kommt es immer wieder zu Ausfällen, die vor allem durch die sehr einschneidenden Einsparungen verursacht werden, die Gilt der Gesellschaft auferlegt hat. Bisher war das allerdings kein Problem, doch nun läuft dem Strang die Kundschaft weg, die nun lieber Briefe verschickt und sogar anfängt, Briefmarken zu sammeln. Als Feucht von Lipwig dann den Großen Strang noch herausfordert – er behauptet, er könne eine Nachricht schneller nach Gennua bringen als der Strang –, sieht Gilt die Chance, den Postminister endlich loszuwerden. Doch dieser bekommt von unerwarteter Seite Hilfe.

Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte des jungen Gauners, der einen Laden wieder auf Vordermann bringt, sich dabei verliebt und letztendlich dabei seine gute Seite entdeckt, sehr hollywoodesk – und ja, sie ist es auch. Doch wer Pratchett kennt, der weiß, dass es auch zwischen den Zeilen viel zu entdecken gibt, und so auch in seinem neuesten Werk, das nur so von Andeutungen und Anspielungen auf die wirtschaftlichen Zusammenhängen unserer schönen globalen Welt strotzt. In den humoristischen Schafspelz der Scheibenwelt verpackt, erzählt er von Vorständen, die sich auf dem Rücken eines Unternehmens bereichern, von egoistischen Geschäftsgebaren, von feindlichen Übernahmen und ausgebeuteten Belegschaften. Also alles Themen, denen es weder an Aktualität noch an Brisanz mangelt. Es ist auch immer wieder faszinierend, wie Pratchett Dinge aus ‚unserem modernen und zivilisierten Leben‘ nimmt und sie in seine Fantasywelt einflechtet; wer sich bei den Jungs des „Rauchenden Gnus“ an die „einsamen Schützen“ aus der Akte-X-Serie erinnert fühlt, dürfte da gar nicht so verkehrt liegen. Die beliebten Darsteller der Scheibenwelt-Serie (Rincewind, die Wache, die Hexen) kommen in „Ab die Post“ gar nicht oder nur am Rande vor, was vielleicht den einen oder anderen Fan nach „Kleine freie Männer“ und dem „Weiberregiment“, in denen sie auch nicht vorkamen, ein wenig enttäuscht. Diese können sich aber freuen, denn der nächste Scheibenweltroman wird ein waschechter Stadtwachen-Krimi.

Was Pratchett in „Ab die Post“ abgeliefert hat, ist ein sehr netter Roman, der die Vielseitigkeit der Scheibenwelt um eine weitere Facette ergänzt. Es gelingt ihm in gewohnt gekonnter Manier, Sachverhalte aus der realen Welt in die Scheibenwelt einzubauen, ohne dabei lächerlich oder gar albern zu wirken. Obwohl das Buch einige Längen hat, ist es für jeden Terry-Pratchett-Fan ein Muss.

© _David Grashoff_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ veröffentlicht.|

Barber, Malcolm – Templer, Die. Geschichte und Mythos

|“Die Anfänge“| (S. 8-48): Der einst mächtige und von zahlreichen Sagen umwitterte Orden der Templer entsteht bescheiden im Rahmen der Kreuzzugsbewegung, deren Beginn ins Jahr 1095 fällt: Papst Urban II. ruft die Christen auf, ihre Brüder und Schwestern in Palästina und Syrien, den biblischen „Kernlanden“ des christlichen Glaubens, vor den Attacken der heidnischen Sarazenen (Türken), Ägypter und Äthiopier zu schützen. Im Verlauf eines ersten Kreuzzugs werden die „heiligen“ Lande befreit, doch die lateinischen Eroberer müssen sich in den Städten verschanzen oder Burgen errichten, denn niemals erkennen die einheimischen Machthaber die neuen Herrscher an. So bleibt der christliche Traum vom Pilgerzug ins gelobte Land ein gefährlicher, oft tödlicher, denn die Straßen der stets im Kampf befindlichen Kreuzfahrerstaaten sind nicht sicher. Es entsteht der Plan zur Gründung einer Gemeinschaft zum Schutz besagter Pilger. Fromm sollen diese Männer sein aber auch gut bewaffnet und kriegstauglich. 1119 ist es so weit: Der Templerorden wird gegründet.

|“Das Konzept“| (S. 49-79): Die Vereinigung der Templer unterscheidet sich von Anfang an von rein monastischen Orden. Zwar sollen seine Mitglieder fromm und gehorsam, aber sie dürfen nicht arm sein, denn Ausbildung und Unterhalt einer schlagkräftigen Truppe sind kostspielig. Die Angehörigen des Ordens sind meist von Adel und vermögend, sie spenden reichlich, der Orden selbst treibt lukrative Geschäfte, er wird von päpstlicher Seite mit einträglichen Schenkungen bedacht – Grundlagen für einen unerhörten Aufstieg aber auch Ursachen für den späteren Untergang, denn der Orden wird rasch finanziell unabhängig und militärisch von entscheidender Bedeutung im Heiligen Land, was ihn selbstbewusst und nach Meinung seiner zahlreich werdender Feinde hochmütig werden lässt.

|“Der Aufstieg der Templer im Osten“| (S. 80-129): Die historische Realität gibt jedoch den Templern viele Jahre Recht – ohne ihre Schwerter, ihr Geld und ihre Kontakte geht gar nichts im Heiligen Land. Was der Papst und gläubige Herrscher in Europa zur „Befreiung“ Palästinas und Syriens beschließen, ist vor Ort nur mit den Templern zu verwirklichen. Sie haben sich Burgen und Stützpunkte geschaffen und harren aus, während die Lateiner nur „Gastspiele“ im Rahmen von Kreuzzügen geben und oft nicht einmal dann die türkischen und später die mongolischen Kräfte im Osten in Schach halten können.

|“Von Hattin bis La Forbie“| (S. 130-166): Aber die Templer sind nicht unfehlbar. Ihre bekannte Präsenz im Osten macht sie zudem angreifbar. Verlieren die Lateiner eine Schlacht gegen die Türken, beginnt rasch die Suche nach einem Sündenbock, denn Verrat muss im Spiel sein, endet ein von Gott befohlener Kreuzzug als Desaster – und das kommt zwischen den Schlachten von Hattin 1187 und La Forbie 1244 immer wieder vor, denn jeder Waffenstillstand mit den Sarazenen ist brüchig. Zu schaffen machen den Kreuzzüglern auch innere Uneinigkeit und äußere Schwäche, so dass der Christenheit Region um Region im Osten verloren geht.

|“Die letzten Jahre der Templer in Syrien und Palästina“| (S. 167-202): Dennoch bleiben die Christen auch nach 1244 dank der Templer noch fast ein halbes Jahrhundert im Osten präsent. Der Orden verschanzt sich in gewaltigen Burganlagen und trotzt den unablässig anstürmenden Türken. Aus dem Westen ist Hilfe nicht mehr zu erwarten, mehrere Kreuzzüge finden ihr fatales Ende. Es kommt der Tag, da herrschen im Heiligen Land nur noch die Templer und auch sie nur noch in ihren Burgen, bis auch diese eine nach der anderen erobert werden. Mit dem Fall von Akkon endet 1291 faktisch die christliche Herrschaft in Palästina und Syrien. Die Templer ziehen sich auf die Insel Zypern zurück.

|“Templerleben“| (S. 203-223): Viele Legenden ranken sich um den Templeralltag. Von geheimen Riten und verschwörerischen Ränken gegen Papst und Könige wird gemunkelt, sogar dem Teufel huldigt man angeblich. Außerdem sollen die Templer gewaltige Reichtümer angehäuft und so gut versteckt haben, dass ihnen bis heute niemand auf die Spur gekommen ist. Tatsächlich sind die Regeln des Ordens niemals geheim gewesen. Ihr Wortlaut ist bekannt; er spiegelt das Bild einer mönchsähnlich lebenden Gemeinschaft wider, die zumindest in ihren frühen Jahren im Dienste Gottes handelten. Ein Hüter mythologischer Mysterien ist der Templerorden niemals gewesen; dies sind Interpretationen aus späteren Jahren und Jahrhunderten.

|“Das Imperium der Templer“| (S. 224-238): Im 13. Jahrhundert bilden die Templer einen der mächtigsten geistlichen Ritterorden der mittelalterlichen Welt. 7000 Ritter, „Sergeanten“, dienende Brüder gehören ihm an. Hinzu kommt eine ungleich größere Zahl angeschlossener Mitglieder: Amtleute, Hilfskräfte, Rentenempfänger. Mindestens 870 Burgen, Komtureien und Filialen stehen in fast allen Ländern der westlichen Christenheit. Der Orden unterhält eigene Kampftruppen für die „heiligen“ Kriege in Palästina und Syrien und auf Zypern, es existiert eine eigene Mittelmeerflotte. Präsent ist der Orden außer im Osten auch in Frankreich und auf der iberischen Halbinsel, die zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend arabisch besetzt ist. Wie im Heiligen Land sollen die Ritter die Heiden bekämpfen und sie womöglich auf den afrikanischen Kontinent zurückwerfen. Ihre „Internationalität“ und das daraus erwachsende Wissen lässt die Templer zu einem ökonomischen Machtfaktor werden. Der Orden ist bemerkenswert reich und amtiert als Bank für zahlreiche Päpste, Könige und Adlige.

|“Der Untergang des Ordens“| (S. 239-277): Angeblich völlig überraschend kommt 1312 das Ende für den Templerorden: Papst Clemens V. erklärt ihn für aufgelöst, Philipp der Schöne, König von Frankreich, sorgt für die Umsetzung dieser Anordnung. Das Verhängnis hat sich indes schon lange abgezeichnet. Der Templerorden wird für den Verlust des Heiligen Landes verantwortlich gemacht. Kritik an der Selbstherrlichkeit und Verderbtheit der Templer hat es zudem immer gegeben – nun findet sie Gehör. Einige Versuche, nach 1291 im Heiligen Land wieder Fuß zu fassen, scheitern. Dem Orden, der seine eigentliche Aufgabe nicht mehr wahrnehmen kann, misslingt es, seine immensen Unterhaltskosten oder seine enormen Einkünfte aus Schenkungen und Stiftungen zu rechtfertigen. Ihm wird außerdem sein Reichtum zum Verhängnis. Der in Finanznöten gefangene französische König bemächtigt sich des Templervermögens, um seine zahlreichen Gläubiger zu befriedigen. Philipp ist womöglich außerdem davon überzeugt, dass die Templer tatsächlich zu einem Ketzerorden degeneriert sind. So fallen die einst so mächtigen Ritter den drastisch veränderten Zeitläufen zum Opfer.

|“Von Molays Fluch zum ‚Foucaultschen Pendel'“| (S. 278-292): Von einem „Fluch“ der untergegangenen Templer ist im Mittelalter selbst keine Rede. Erst in der Neuzeit wird dieser als reizvolles literarisches Thema eher spielerisch in die Welt gesetzt. Die Freimaurer berufen sich auf die Templer als glanzvolle „Vorgänger“, andere moderne „Orden“ und Vereinigungen eifern ihnen nach. Verschwörungsfetischisten komplettieren im 20. Jahrhundert die Fraktion derer, die in den Templern eine vom zeitgenössischen Establishment systematisch ausgerottete Geheimorganisation im Besitz „übernatürlichen“ Wissens sehen möchte.

Eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Templerordens gehört zu den fachlichen Herausforderungen, der sich nur wirklich fähige Historiker mit Erfolg stellen: Wie schaffe ich es, eine unerhört komplexe Materie möglichst knapp und trotzdem verständlich, ohne entstellende Verkürzungen oder Auslassungen darzustellen? Schon über Einzelaspekte der Templerhistorie wie das genaue Gründungsdatum des Ordens sind eigene Bücher verfasst worden. Unter solchen Umständen ist die wissenschaftliche und literarische Leistung von Malcolm Barber noch höher einzuschätzen: Um zu wissen, wo er kürzen und zusammenfassen durfte, musste er den Gesamtstoff gesichtet & gewichtet haben – eine Arbeit, die ihn mehrere Jahre in Anspruch nahm und in die Archive vieler Länder führte. Das Ergebnis kann sich sehen bzw. lesen lassen: Sachlich, manchmal trocken in Worte gefasste Realität kommt mit der Intensität eines Tatsachenthrillers daher.

Gut tut die sachliche Abrechnung mit dem unerträglichen Esoterik-Quatsch, welcher der Templergeschichte vor allem seit dem 20. Jahrhundert übergestülpt wird. Die Ritter des Ordens bzw. ihrer Nachfolger sollen an einem streng geheimen Ort den heiligen Gral hüten und auch sonst diverse Mysterien im Auge behalten. Von vergrabenen Schätzen und genialen Todesfallen ist die Rede, über vom Vatikan unterdrückte Bibelsequenzen und die mögliche Einmischung von Außerirdischen wird gemunkelt – Dummgefasel der übelsten Sorte, mit dem sich indes viel Geld verdienen lässt. Mit der historischen Realität hat das nicht das Geringste zu tun und Barber lässt den Befürwortern solchen Bockmistes keine Schlupflöcher.

Dass „Die Templer“ dem Fachbuch näher stehen als dem Sachbuch, verrät u. a. der eindrucksvolle Anmerkungsapparat: Auf den Seiten 293-327 geben 754 Endnoten Auskunft über die Vielzahl der Quellen, die Verfasser Barber in jahrelanger Archivarbeit zu Rate zog. Die Liste der verwendeten Titel umfasst weitere 19 eng bedruckte Seiten (S. 328-347). Ein Personenregister unterstützt die Suche nach zentralen und Randfiguren der Templergeschichte (S. 348-354). Ebenfalls hilfreich sind eine knapp gefasste Zeittafel (S. 355/56), ein Verzeichnis der Großmeister des Templerordens (S. 356) sowie vier Karten, welche die Templerhäuser und -burgen im Westen des Abendlandes, die wichtigsten Burgen in Syrien und Palästina, die Niederlassungen des Ordens in der französischen Provence sowie seine Besitzungen im Languedoc verzeichnen (S. 357-360).

Dem Handbuchcharakter des Werks sind mögliche Abbildungsstrecken zum Opfer gefallen. Das ist verständlich, denn diese hätten den Seitenumfang vergrößert, ist aber schade, denn selbstverständlich haben die Templer bereits ihre Zeitgenossen fasziniert, die uns eine Vielzahl bemerkenswerter und wissenschaftlich aussagekräftiger Bild- und Schriftquellen hinterlassen haben (was wichtig ist, da die Unterlagen der Templer selbst nach ihrem Sturz und fast vollständig vernichtet wurden). Hinzu kommen Templerburgen, Gewandungen, Ausrüstungsgegenstände und andere Zeitzeugen des mittelalterlichen Alltags, die ihrerseits anschaulich Aufschluss geben über das Templerleben. Doch Barber hat sich entschieden und stützt sich primär auf das geschriebene Wort, was ihm andererseits dabei hilft, sein Werk geschlossen zu halten.

Malcolm Barber lehrt als Mittelalterhistoriker an der englischen Universität Reading. Er hat sich auf die Geschichte der geistlichen Orden zur Zeit der Kreuzzüge spezialisiert und viele Artikel in diversen Fachzeitschriften als auch (populär-)wissenschaftliche Bücher über damit verbundene Themen verfasst. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ihm dabei der Wind manchmal kräftig ins Gesicht bläst; Kritik erhebt sich u. a. an Barbers Interpretation der Katharerhistorie. Das vorliegende Werk wurde deutlich weniger gezaust. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass es erst mit mehr als zehnjähriger Verspätung in Deutschland erschien und sich das Geschichtsbild auch in Sachen Templer und auf der Grundlage neuer Erkenntnisse seither entwickelt hat. Barber selbst hat seinen Beitrag dazu geleistet, was freilich in erster Linie den Historiker zur Beachtung der neueren Literatur verpflichtet; der Laie kann weiterhin bedenkenlos zu diesem Werk greifen.

Erskine, Barbara – Fluch von Belheddon Hall, Der

_Historikerin mit einem Bein in der Grusel-Gruft_

Barabara Erskine hat mittelalterliche Geschichte studiert und diese Passion in Geschichten verwandelt: [„Die Herrin von Hay“ 151 (1986), „Die Tochter des Phönix“ (1992) und „Mitternacht ist eine einsame Stunde“ (1994) haben ihr den Welterfolg eingebracht. Neben zwei Bänden mit Kurzgeschichten kann man noch „Königreich der Schatten“ (1988) von ihr erstehen, „Am Rande der Dunkelheit“ (1998), und „Das Lied der alten Steine“ (2001). Sie hat den Ruf, dass sie auf außergewöhnliche Weise in der Lage ist, Spannung, Romantik und Übernatürliches unter zwei Buchdeckeln zusammenfassen zu können. „Der Fluch von Belheddon Hall“ (1996) soll diesen Ruf bestätigen:

_Die Sehnsucht einer Waise_

Jocelyn Grant ist auf der Suche nach ihrer Mutter; Laura Duncan ist nirgendwo aufzutreiben, nur ihr alter, verlassener Wohnsitz. Belheddon Hall ist ein altes Landhaus, für das die Einheimischen nur Misstrauen und Angst übrig haben: Joss solle doch wieder nach Hause fahren, sie soll das Haus links liegen lassen und mit ihrer Familie ein gewöhnliches Leben führen. Eine Mutter, die keinen Kontakt mit ihrer Tochter aufnimmt, hat es nicht verdient, dass man ihr hinterherläuft, sagen sie, noch dazu, wenn das Ziel ihrer Forschungen Belheddon Hall ist …

Jocelyn gibt natürlich nicht auf. Bei ihren Nachforschungen erfährt sie, dass im ehemaligen Wohnsitz ihrer Mutter so mancher kleine Junge ums Leben gekommen ist, unter ziemlich mysteriösen Umständen, und dass ihre Mutter mit einem geheimnisvollen Fremden nach Frankreich ausgewandert ist. Nicht, ohne Belheddon Hall an Jocelyn zu vererben.

Zwar darf Jocelyn das Haus nicht verkaufen, aber das macht ihr nichts aus. Sie verliebt sich sofort in den Gedanken, Ahnenforschung vor Ort betreiben zu können, und die Warnungen von Pfarrern, Nachbarn und Einheimischen schlägt sie in den Wind. Da just zu dem Zeitpunkt auch noch das Geschäft ihres Mannes den Bach runtergeht, ist auch Luke Grant Feuer und Flamme bei dem Gedanken, ein Haus beziehen zu können, ohne Miete zahlen zu müssen. Lyn Davies, Jocelyns Adoptivschwester, zieht mit ein, und kümmert sich um Tom, den kleinen Sohn der Grants.

So weit, so gut. Joss vertieft sich während ihres Aufenthaltes in Belheddon Hall in die Erforschung ihrer Vergangenheit, und entdeckt dabei, dass ihre Mutter vor irgendetwas schreckliche Angst gehabt hatte. Sie zieht den Historiker David zu Rate, ein alter Freund und Kollege, der so manche unheimliche Geschichte über das Haus herauskramt: Kein Junge, der in dem Haus gelebt hat, ist älter als elf Jahre geworden, und alle sind sie unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Ein Fluch, behaupten die einen, der Teufel gar, behauptet manch anderer.

Jocelyn nimmt das nicht wirklich ernst, aber die Saat des Zweifels ist gesät. Sie nimmt die Atmosphäre in Belheddon Hall als bedrohlich wahr, spürt seltsame Anwesenheiten, Stille, die sich verdichtet, und sie hört Kinderstimmen. Besonders auf ihren Sohn hat sie ein ängstliches Auge. Dann, eines nachts, beginnt Tom zu schreien und zu weinen, ein Blechmann hätte ihn angegriffen, behauptet er. „Albträume“ erklärt Jocelyns Mann, „Albträume“ versichert ihr Lyn.

Aber die Albträume werden schlimmer, bald hat Tom die ersten Blutergüsse. Jocelyn ist sich sicher, dass etwas in dem Haus umgeht, aber niemand glaubt ihr. Als sie dann noch einen Sohn zur Welt bringt, laufen die Dinge aus dem Ruder: Jocelyn fürchtet um das Leben ihrer Kinder, aber niemand hört ihr zu. Als die ersten Verletzungen bei Tom zu sehen sind, beschuldigt man sie gar der Misshandlung …

_Im Landhaus nichts Neues_

Da gibt es nichts drumherum zu reden, die Zutaten, die Barbara Erskine in ihrem Roman verrührt, sind auf diese Weise schon oft verrührt worden. Zwar muss das nichts über die Qualität des Ergebnisses aussagen, aber im Falle „Belheddon Hall“ ist das eine zwiespältige Geschichte.

Zum einen haben wir da einen ziemlich mickrigen Gruselfaktor. Die Erscheinungen in Belheddon Hall spitzen sich nur sehr langsam zu, und ein Gefühl von echter Bedrohung will sich nie einstellen. Zu gewöhnlich sind die Stilmittel: Temperaturen, die plötzlich fallen, Katzen, die ohne Grund das Weite suchen, und natürlich die unaufhörliche Warnungslitanei aller Einheimischen.

Aber das ist auch nicht der Punkt, an dem Erskine den Spannungshebel ansetzt, der entfaltet sein volles Potenzial nämlich zwischen den Figuren: Jocelyn wird von niemandem ernst genommen, man unterstellt ihr, sie sei überreizt und überfordert mit der Tatsache, so viel über ihre Vergangenheit zu erfahren; Luke, ihr Mann, ist eifersüchtig auf David, den Historiker, und unterstellt ihm, Jocelyn verrückt zu machen, damit sie sich in seine rettenden Arme flüchtet; und Lyn suhlt sich darin, einmal nicht im Schatten ihrer Adoptivschwester zu stehen, genüsslich stichelt sie gegen Jocelyn Grant, behauptet gar, dass sie nicht fähig sei, ihre eigenen Kinder großzuziehen….

Zwischendrin gibt´s da ja noch die Frage nach Jocelyns Vergangenheit: Was ist denn nun mit ihrer Mutter geschehen? Wer war der mysteriöse Franzose, mit dem sie nach Frankreich geflohen ist? Warum hat sie mit ihrer Tochter nie Kontakt aufgenommen? Und vor allem: Wer steckt hinter den Erscheinungen und den nächtlichen Kinderstimmen?

_Metschlürfer vs. Weintrinker_

Im „Fluch von Belheddon Hall“ vermengen sich also tatsächlich Romantik, Familiendrama und Übernatürliches zu einem ganz eigenen Cocktail, der dem einen oder anderen Leser sicher munden wird.

Mir nicht, aber das ist nur die subjektive Seite meines Urteils. Objektiv kann man nämlich nicht meckern: Die Story ist schlüssig, die Figuren sind lebensecht und facettenreich, zum Schluss gibt es sogar noch ein paar nette Wendepunkte, und Erskine hat es zu wahrer Meisterschaft gebracht, wenn es darum geht, die Liebe zwischen Mutter und Kind spürbar werden zu lassen.

Wo liegt dann das Problem? Beim Tempo. Die Story entwickelt sich quälend langsam, es gibt Spekulationen über historische Figuren, die mit Belheddon zu tun haben könnten, es werden Familienangelegenheiten diskutiert, während immer wieder kleine Grusel-Happen das Blut in Wallung bringen sollen. Oh, stellenweise gelingt das ausgezeichnet, aber zu oft fällt mir „Der Fluch von Belheddon Hall“ in atmosphärische Beschaulichkeit.

Vergleichen kann man es vielleicht mit einem guten Wein: Geöffnet werden möchte er, und in eine Karaffe gegossen, da er unbedingt nach ein paar Augenblicken des Atmens verlangt. Und dann, nachdem das Kaminfeuer entfacht und Vivaldi auf den Plattenteller gelegt wurde, nachdem die Glühbirnen verlöscht und die Kerzen entzündet wurden, dann gönnt man sich sein Glas, erfreut an den bunten Aromen, mit denen das Bouquet die Geruchsknospen belebt, ehe man seiner Zungenspitze erlaubt, vom ersten Tropfen benetzt zu werden …

Um es kurz zu machen: Was den einen vor Ungeduld in den Wahnsinn treibt, ist für den anderen der Inbegriff des Genusses. Vor dem Kauf dieses Buches sollte man sich also eines überlegen: Bin ich ein lesetechnischer Weintrinker mit einem Faible für detailierte Langsamkeit? Fein! Rein in den Buchladen und antesten, hier warten ein paar vergnügliche Lesestunden. Bin ich allerdings ein methornschwingender Wikinger, der seine Storys am liebsten in einem Zug herunterstürzt, der es kochend heiß mag oder eiskalt, dem es nicht stark genug sein kann, und der es auch mal verträgt, wenn es ihm nach einem Gelage schwindelig und speiübel wird, dann könnte der Bogen um Erskines „Der Fluch von Belheddon Hall“ nicht groß genug sein. Man möge selbst entscheiden.

Bradby, Tom – Herr des Regens, Der

Tom Bradby scheint ein Autor mit einer Vorliebe für exotische Handlungsorte zu sein. Spielt sein aktueller Roman „Der Gott der Dunkelheit“ in Ägypten, so zieht es die Hauptfigur seines Debütromans „Der Herr des Regens“ nach Shanghai. Und noch eine Vorliebe Tom Bradbys lässt sich mit einem Blick ausmachen: der historische Kontext. Beide Romane verbinden exotische Schauplätze, Krimiplot und ein historisches Setting zu einer fesselnden und vielschichtigen Lektüre.

„Der Herr des Regens“ spielt im Shanghai der 20er Jahre. Über Zeit und Ort erfährt man im Geschichtsunterricht nicht unbedingt viel, so dass es sich empfiehlt, parallel zur Lektüre einmal die historischen Hintergründe von Shanghai nachzuschlagen. Bradby hat seinen Roman in einer äußerst bewegten Epoche der Geschichte der Stadt angesiedelt.

Viele Nationen mischen in der Stadtgeschichte mit. Vor allem die Briten beherrschen das Bild. Shanghai erlangt im Laufe der 20er Jahre Ruhm als Weltmetropole und bedeutender Handelsstandort. Chinesen, Briten, Franzosen und Russen leben in den unterschiedlichen Stadtteilen Tür an Tür. Mit dem Aufkommen des Kommunismus werden die Zeiten unruhiger und „Der Herr des Regens“ spielt genau ein Jahr, nachdem die britischen Truppen Studentenproteste blutig niedergeschlagen haben.

1926 kommt der Protagonist Richard Field in die pulsierende fernöstliche Metropole Shanghai. Er ist jung und unerfahren und flieht vor der beengenden Familie in England und der eigenen Vergangenheit ins ferne China. Hier tritt er seinen Posten im Sonderdezernat der Polizei von Shanghai an, in der Hoffnung, sich in den nächsten Jahren der ehrenvollen Aufgabe polizeilicher Ermittlungsarbeit widmen zu dürfen.

Doch schon bald muss Field einsehen, dass die Realität nicht ganz dem entspricht, was er sich erhofft hat. Shanghai entpuppt sich als Hort der Sünden, Gewalt und Korruption. Sein erster Fall erweist sich gleich als heikel. Eine junge Russin wurde brutal ermordet. Bei den ersten Nachforschungen stößt Field schon bald auf einen Namen, dem er in der nächsten Zeit immer wieder begegnen wird: Lu Huang. Lu Huang ist ein sagenumwobener chinesischer Gangster, der in Shanghai viele Fäden in der Hand hält. Field ahnt noch nicht, worauf er sich einlässt, als er mit den Ermittlungen beginnt, doch schon bald blickt er in die dunklen Abgründe der Stadt und muss erkennen, dass es äußerst gefährlich ist, unbequem zu werden, wenn man nicht weiß, wem man trauen kann …

Tom Bradby ist mit „Der Herr des Regens“ ein interessanter und spannender Roman geglückt. Er skizziert ein lebendiges Bild der 20er Jahre in der Stadt und vermittelt dem Leser dadurch ganz nebenbei den Anreiz, sein geschichtliches Wissen der Zeit zu vertiefen. Die Epoche bietet für sich genommen schon ein spannendes Szenario für einen Kriminalroman. Shanghai eignet sich hierfür im Besonderen. Die Stadt galt als Sinnbild des Abenteurertums der Zeit, als Ort, an dem man reich werden konnte. In Shanghai schien alles zum Greifen nah. Jeder Wunsch konnte erfüllt, jedes Bedürfnis gestillt werden.

Auf den Punkt bringen kann man die Stimmung von Zeit und Ort in einem Satz, den Aldous Huxley im gleichen Jahr ausgesprochen hat, in dem auch der Roman spielt. Huxley hat nach eigener Aussage |“in keiner Stadt je einen solchen Eindruck von einem dichten Morast üppig verflochtenen Lebens“| wie in Shanghai bekommen. Genau diese Stimmung beschwört Tom Bradby in seinem Roman herauf.

In diese Szenerie versetzt er den jungen, idealistischen Polizisten Richard Field, der schon bald erkennen muss, dass polizeiliche Ermittlungsarbeit nicht immer die Suche nach der Wahrheit zum Ziel hat. Field bewegt sich in einem Umfeld, das permanentes Misstrauen verdient, weil man nie weiß, wer mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung steht und wer nicht, und in dem jeder ausgesprochene Satz schon einer zu viel sein könnte. Besonders verzwickt ist Fields Lage auch dadurch, dass er durch seinen Onkel Beziehungen zu den Reichen und Mächtigen der Stadt pflegt. Für einen naiven Frischling wie Field kommt das einem Bad in einem Haifischbecken gleich.

Man spürt als Leser die allgegenwärtige unterschwellige Bedrohung, eine Atmosphäre, die bei aller Exotik immer wieder düster und beklemmend wirkt. In mancher Hinsicht erinnert „Der Herr des Regens“ an opulente und verworrene Krimi-Noir-Geschichten wie [„L.A. Confidential“ 1187 von James Ellroy. Desillusioniert und bedrückend, atmosphärisch dicht und irgendwie undurchdringlich. Wer Kriminalromane von diesem Schlag mag, für den ist auch „Der Herr des Regens“ vortreffliche Lektüre.

„Der Herr des Regens“ ist ein Roman, den man sich bildlich ausgesprochen gut vorstellen kann. Bradby lässt sich zum Einstieg Zeit, Atmosphäre aufzubauen, gibt seinem Protagonisten Field Gelegenheit, in seine neue Rolle hineinzuwachsen und baut die Spannung gemächlich auf, um den Leser dann zum Ende hin nägelkauend weiterlesen zu lassen. Besonders das letzte Viertel ist derart spannungsgeladen, dass man das Buch kaum zur Seite legen mag.

Wahres Kopfkino inszeniert Bradby und so kann man sich problemlos vorstellen, dass auch Hollywood an der Entwicklung der Figur Richard Fields und seinen heldenhaften Anwandlungen zum Ende hin Gefallen haben könnte. Andererseits fällt das Ende der Geschichte in Anbetracht der ansonsten so düsteren und dichten Stimmung des Romans auch ein wenig zu glatt und gefällig aus. Ein bisschen weniger Happyend hätte nicht geschadet und der Geschichte zusätzliche Glaubwürdigkeit verliehen.

Was die Verteilung der Rollen zwischen Gut und Böse angeht, so hätte Bradby sich meiner Meinung nach ruhig noch etwas mehr Mühe geben können, die Fährten ein wenig mehr zu verwischen. Die Andeutungen und Hinweise, die er ausstreut, sind manchmal einfach zu offensichtlich, so dass man als Leser mit etwas Krimierfahrung sicherlich nicht sonderlich überrascht ist, wenn enthüllt wird, wer richtig und wer falsch spielt, wer wirklich verdächtig ist und wer nicht. Und so erscheint zum Ende hin dann auch so mancher „Sinneswandel“ nicht unbedingt bis ins Mark glaubwürdig.

Ähnlich blass bleibt die Enthüllung des Mörders. Die Motive werden kaum deutlich und bleiben einfach zu schwammig und fragwürdig, um den Täter wirklich überzeugend erscheinen zu lassen, und so ist die Auflösung des Krimiplots sicherlich nicht zu den Highlights des Romans zu zählen. Atmosphäre und Spannungsbogen können aber durchaus dagegenhalten, um zumindest teilweise über diese Mängel hinwegzutrösten.

Bradby fährt eine lesenswerte und spannungsgeladene Mischung auf, die einerseits geschichtliche Hintergründe eines interessanten und exotischen Schauplatzes einbezieht und andererseits einen spannenden Plot mit interessanten Figuren entwickelt, der nebenbei gar noch eine verzwickte Liebesgeschichte auffährt. Die Mischung geht in jedem Fall auf, und so ist das Resultat ein unterhaltsamer und spannender Krimi, dem man die eine oder andere kleinere Schwäche aufgrund der dichten Atmosphäre und der Exotik des Schauplatzes gerne mal verzeiht.

Algernon Blackwood – Der Griff aus dem Dunkel. Gespenstergeschichten

Blackwood Griff aus dem Dunkel kleinInhalt:

In einer Novelle und fünf Kurzgeschichten gewinnt Algernon Blackwood (1869-1951), Meister der angelsächsischen Gruselliteratur, ihm wichtigen Themen (Naturmystik, Mehrdimensionalität, Tod als Übergang) neue, spannende Seite ab:

Das Haus der Verdammten (The Damned, 1914), S. 7-110: William und seine Schwester Frances werden von der reichen Witwe Mabel auf deren Landsitz in der Grafschaft Sussex eingeladen. Aus dem erhofften Urlaub auf dem Lande wird nichts, denn in „The Towers“ spukt es mächtig. Mabels verstorbener Gatte, der Bankier Samuel Franklyn, war ein Laienprediger übelster Sorte: ein bigotter, fanatischer Eiferer, der mit Inbrunst die ewige Verdammnis auf alle Sünder herab beschwor. Selbst der Tod konnte Samuel und seinen Missionseifer nicht stoppen; sein niederträchtiger Geist beherrscht „Two Towers“, die willenlose Mabel und tausend körperlose Seelen, Samuels Opfer, die ihr Gehorsam nicht ins Paradies, sondern in eine düstere Zwischenwelt fehlgeleitet hat, der sie nun verzweifelt und zornig endlich entkommen wollen. In einem letzten Aufflackern ihres Widerstandes hat Mabel Frances und William zu sich gerufen, doch die Geschwister können dem Ansturm der Verdammten ebenso wenig standhalten wie sie. Algernon Blackwood – Der Griff aus dem Dunkel. Gespenstergeschichten weiterlesen

Schami, Rafik – dunkle Seite der Liebe, Die (Lesung)

_Der Autor_

Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus/Syrien geboren. 1965 bis 1970 Gründung und Leitung der Wandzeitung „Al-Muntalek“ im alten Stadtviertel von Damaskus. 1971 wanderte er in die Bundesrepublik Deutschland aus, bis 1979 arbeitete Rafik Schami in Fabriken und als Aushilfskraft in Kaufhäusern, Restaurants und Baustellen und studierte Chemie. 1971 bis 1977 Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien in arabischer und deutscher Sprache; seit 1982 freier Schriftsteller.

_Die große Geduldsprobe_

21 CDs, 1590 Minuten – niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ich die Geduld aufbringen würde, ein so langes Hörbuch in relativ kurzer Zeit durchzuhören, wahrscheinlich auch, weil ich die Audio-Fassungen besonders dann liebe, wenn sie schnell auf den Punkt kommen. Nun, also beginne ich kurze Zeit nach Erhalt der schmucken Box zu „Die dunkle Seite der Liebe“ damit, tagtäglich variierend zwischen ein und vier Stunden, dieses Hörbuch in mich aufzunehmen und mich immer tiefer in die Heimatwelt des Autors zu versetzen. Es sollte nicht lange dauern, da wurde aus der anfänglich befürchteten Geduldsprobe eine der tollsten Traumreisen, die man sich überhaupt vorstellen kann, und von der man sich wünscht, dass sie niemals ein Ende findet. 21 CDs, 1590 Minuten – niemals hätte ich gedacht, dass diese Zeit wie im Flug vergeht …

_Story_

Die Clans der Muschtaks und der Schahins leben in einem kleinen syrischen Bergdorf, in dem die Mehrzahl der Einwohner sich dem christlichen Glauben verschrieben hat. Jedoch wird hier zwischen der orthodoxen und der katholischen Form unterschieden, und dies ist auch ein wichtiger Aspekt, der die beiden Clans voneinander entfremdet und das Dorf in zwei Fraktionen teilt.

Die Feindschaft zwischen den Muschtaks und den Schahins wird vom alten Georg Muschtak verursacht, der eines Tages in diesem Dorf aufkreuzt, sich sehr schnell Ansehen verschafft und wegen seines damit einhergehenden Reichtums manchen Leuten ein Dorn im Auge ist. So zum Beispiel Jusuf Schahin, einem Pferdezüchter, der ebenfalls vom Erfolg verwöhnt ist. Aus einer anfägnlichen Rivalität entsteht im Laufe der Zeit ein immer tieferer Hass, der sogar so weit geht, dass die beiden Parteien Attentate gegeneinander begehen. Was mit verbalen Anfeindungen beginnt, artet immer mehr aus; Brandanschläge sind die Folge und Mord eines der Resultate.

Der Hass der Clans wird auch auf die nächste Generation übertragen. Georgs Sohn Elias ist ebenfalls davon betroffen, vertritt aber nicht alle Meinungen seines Vaters und setzt sich eines Tages mit seiner Frau in die syrische Hauptstadt Damaskus ab, um sich dort ein neues Standbein aufzubauen. Dort wächst auch der gemeinsame Sohn Farid auf, der eines Tages auf Geheiß seines Vaters in ein Kloster gesteckt wird, um dort eine religiöse Ausbildung zu genießen. Dort geht Farid jedoch mental zugrunde; überall schlägt ihm Hass entgegen, und nachdem sich die geliebte Mutter zu seinen Gunsten eingesetzt hat, entkommt Farid der harten Erziehung in der kirchlichen Einrichtung.

Kurze Zeit später findet der junge Farid dann sein Glück; er lernt die gleichaltrige Rana kennen und verliebt sich prompt in das hübsche Mädchen. Die Voraussetzungen scheinen perfekt; beide sind Christen und müssen deshalb auch keine Probleme befürchten, die auf ihrer Religionszugehörigkeit beruhen. Doch Rana gehört dem Schahin-Clan an, und ihre Eltern haben nicht vergessen, welche Greueltaten zwischen dem eigenen Clan und den Muschtaks geschehen sind. Auch Elias ist der neuen Liebe seines Sohnes nicht wohl gesonnen und spricht sich deutlich gegen den Clan der Schahins aus.

Farid und Rana erfahren die nach wie vor existierende Feindseligkeit der beiden Familien und fürchten, ihre verbotene Liebe aufgeben zu müssen. Ihr Plan, vor der Vergangenheit und dem familiären Ursprung zu flüchten, scheitert und artet in einem Eklat aus. Und von nun an bekommen sie den Hass der beiden Familien erst richtig zu spüren …

_Meine Meinung_

„Die dunkle Seite der Liebe“ beleuchtet das Thema Liebe in vielen miteinander verbundenen Kurzgeschichten in all seinen Facetten. Die hingebungsvolle Liebe zum anderen Geschlecht, die Verbundenheit zum Clan und der Familie, die Unterwürfigkeit zugunsten der Sippe und die von der Religion auferlegte Liebe zu einer höheren Macht. Rafik Schami beleuchtet das prickelnde Thema am brisanten Schauplatz seiner eigentlichen Heimat Syrien im Jahre 1953 und verknüpft die verschiedenen Handlungsabläufe mit vielen sozialen, hier völlig fremden kulturellen Problemen und Begebenheiten, die einerseits menschlicher gar nicht sein könnten, andererseits dann aber wieder so grob gegen die Menschlichkeit verstoßen, dass man nur mit Entsetzen reagieren kann. Schami beschreibt vor allem den Hass sehr ausführlich und löst dabei eine beklemmende Atmosphäre aus, der man sich während der gesamten Spielzeit nicht mehr entziehen kann. Die Darstellung der mentalen und psychischen Gewalt mag im Beispiel so simpel klingen, ist aber im Gesamtzusammenhang überaus erschreckend, weil all das so authentisch wirkt. Dem Autor gelingt es wirklich fabelhaft, uns in die scheinbar so ferne Kultur zu entführen, uns die sozialen Bräuche näher zu bringen, die Einstellungen der beteiligten Personen deutlich zu machen und trotzdem nie die Handlung aus den Augen zu verlieren.

Der Aufbau der Geschichte erinnert dabei teilweise an die typischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Schami, und im Falle des Hörbuches auch noch die beiden Kollegen Markus Hoffmann und Andrea Hörnke-Trieß, erzählen von der verbotenen Liebe in vielen kurzen, aber immerzu bewegenden Episoden, schweifen zwischendurch immer mal wieder etwas ab, um so die negative Stimmung ein wenig aufzuheben, verfehlen aber in keiner der abgeschlossenen Kurzgeschichten das Thema, sprich die Handlung, an der sich die einzelnen Teile (mehr als 300 an der Zahl) ausnahmslos orientieren.

Schamis Geschichte hat neben den dramatischen Schilderungen aber vor allem eines: eine sehr poetische, teils romantische, teils verführerische Ausstrahlung, die den Hörer kaum noch loslässt. Es geht unter die Haut, wenn der Autor sich langsam an die Unterdrückung der Anziehung und Leidenschaft zwischen Farid und Rana herantastet und dabei sehr behutsam auf die dabei mitspielenden Emotionen eingeht. Dass Schami dabei nicht ein einziges Mal in die Richtung einer schwülstigen Love-Story abdriftet, versteht sich fast von selbst. Es ist auch nicht dringend die Liebe zwischen den beiden Protagonisten, die im Mittelpunkt des Geschehens steht, denn stellenweise dient sie nur als Aufhänger für das, was der Autor in seinem Titel anspricht: die dunkle Seite dessen, was in der europäischen Kultur meist sehr oberflächlich abgehandelt wird, im nahen Osten aber nach wie vor kein Standard ist, den man mal eben so in die Tat umsetzen kann – damals in der Zeit der Handlung genauso wenig wie heute!

Was genau ist „Die dunkle Seite der Liebe“ nun wirklich? Nun, es ist eine Geschichte voller kontrastreicher Emotionen und Gefühle, die Charakterisierung einer problembehafteten, noch immer von ihren Ursprüngen zehrenden Kultur, eine detaillierte Beschreibung der Weigerung von Akzeptanz und Toleranz, ein Stück vergangene und dennoch aktuelle Zeitgeschichte, ein Gleichnis mitsamt der Wechselwirkung von Hass und Verbundenheit und letztendlich die Geschichte zweier Personen, die in ihre aussichtslose Situation hineingeboren werden, und denen von Anfang an nicht erlaubt ist, als freie Menschen zu leben.

Schamis Monumentalwerk hat mich sehr tief bewegt, und gerade zum Schluss hat es mir auch gezeigt, wie man mit einer Geschichte verwachsen und sich mit ihr verbunden fühlen kann. „Die dunkle Seite der Liebe“ ist in der Tat eine Traumreise, die einen aus der Realität entfernt und in eine fremde Realität zurückholt. Was ich aber noch viel erstaunlicher finde: Während der gesamten Spielzeit verspürt man den Drang, immer und immer weiter zu hören, und am Ende tut es weh, wenn die Erzählung endet. Das hätte ich bei einer solch enormen Spieldauer nie und nimmer erwartet, denn schließlich befürchtet man bei mehr als 26 Stunden Spielzeit ja einzelne Längen. Doch es gibt sie nicht. Sehr, sehr bemerkenswert! „Die dunkle Seite der Liebe“ ist ein echter Goldschatz, ein mitreißendes Meisterwerk, eine grandiose Darstellung der Gepflogenheiten einer fremden Kultur und schließlich ein Stück Liebe, wie man sie garantiert noch nie erfahren hat.

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Burgwächter, Till – Sorry, aber so isses! – Böse Texte für den Rest der Welt

Das Lieblingslexikon für Onliner namens Wikipedia lehrt uns über den Witz, dass dieses Wörtchen vom Althochdeutschen stammt, wo wizzi gleich Wissen hieß. Gemeint ist mit dem Witz als solchem ein kurz formulierter Sachverhalt, der in der „Pointe“ die plötzliche Option eröffnet, der angebotenen Information nicht mehr mit dem gebotenen Ernst zu begegnen – wobei die Betonung auf „plötzlich“ liegt.

Warum Heavy-Metal-Humorist Till Burgwächter diese Definition des Witzes einmal lesen sollte? Seine Satiren in „Sorry, aber so isses! – Böse Texte für den Rest der Welt“ sind zwar annehmbar für Leute, die sich ein wenig lustig machen wollen über das Treiben auf der Erde und dabei einfach einmal ihre eigenen Vorurteile bestätigt wissen möchten – aber im eigentlichen Sinne komisch schreibt er nicht. Burgwächters Texte sind zu vorhersehbar. Die Pointen lächeln schon Zeilen vorher um die Ecke und basieren ausschließlich auf Klischees. Da geht es gegen Rentner in ihren langsamen Autos. Gegen Beamte. Gegen Gospelchöre. Gegen Polizisten. Gegen alte Damen in Cafés. Eben gegen Menschen, die sich sowieso nicht wehren können und wunderbare Opfer für jeden Stammtisch sind – die alle zieht Burgwächter mal mehr, mal weniger gelungen durch den Kakao. Auch Sportler oder Schauspieler bekommen bei so einem Rundumschlag ihr Fett weg, keine Frage. Doch wirkt Burgwächter in seinen Texten nie souverän, sondern eher wie jemand, der sonst keinen Spaß in seinem Leben hat und deshalb möglichst sarkastisch, mitunter sogar zynisch gegen das wettert, was ihm an seinem Dasein nicht passt.

Damit ist er weit entfernt von den Qualitätsstandards, die einst etwa ein Dieter Hildebrandt in seinem unvergessenen „Scheibenwischer“ setzte, aber auch noch lange nicht an dem genialen Punkt, den heute etwa die Satirezeitschrift „Titanic“ durch ihre absolute Überhöhung des Sarkasmus mit jeder Ausgabe erreicht. Ein Vergleich tut da Not: Ein „Titanic“-Redakteur etwa raucht locker einen Joint und schreibt dabei über das neue Projekt von „DIE PARTEI“ – die Partei, die es auch wirklich gibt und die laut ihrem Programm die Mauer zwischen Ost und West wieder mit den Steinen der niederzureißenden Dresdner Frauenkirche aufbauen will. So etwas ist cool, das hat provokativen Stil. Burgwächter dagegen schreibt von der Bundeswehr, wie blöde alle sind, die dort arbeiten – das mag für ein Klischee stimmen und wohl auch in Wirklichkeit so sein. Aber was ist an dieser Erkenntnis witzig oder neu?

Das ist denn auch das Hauptproblem an „Sorry, aber so isses!“ – die meisten Themen sind zu oft schon durch den Kakao gezogen worden, Burgwächter überrascht kaum mit neuen Sichten auf die Welt. Freilich, an sich sind seine Texte recht anschaulich beschrieben, seine Sprache abwechslungsreich und ausdrucksstark. Dennoch langweilt Burgwächters Buch auf Dauer; manchmal, wenn die Weltsicht des Autoren zu sehr von der eigenen Meinung abweicht, ist es sogar regelrecht ärgerlich – und manches Gesabbel wie „Nur die Liebe zählt …“ oder „Die Dritten“ ist schlicht so an den Haaren herbeigezogen, dass es nicht mehr glaubwürdig klingt. Burgwächter ist damit wie sein satirelnder Gothic-Autoren-Kollege Christian von Aster bei dem Versuch gescheitert, gelungene Glossen eben nicht nur über die eigene Musik zu schreiben – schade eigentlich.

Andreas Gruber – Der Judas-Schrein

Der Wiener Kripobeamte Alex Körner steckt in Schwierigkeiten. Sein erster Fall als Chefinspektor endete durch seine Fahrlässigkeit in einem Desaster mit mehreren Verletzten. Zur Rehabilitierung wird er auf den Mordfall eines Mädchens in einer Dorfdisko angesetzt. Beim abgelegenen Grein am Gebirge handelt es sich um Körners einstige Heimatstadt, in der er die ersten vierzehn Jahre seines Lebens verbrachte. Nach dem Tod seiner Eltern bei einem Hausbrand zog er nach Wien und brach jede Verbindung zu seinem alten Leben ab. Wider Willen muss Körner jetzt nach fast dreißig Jahren in seine Heimat zurückkehren. Als Unterstützung steht ihm die Polizeipsychologin Dr. Sonja Berger zur Seite. Den Rest des Ermittlerteams bilden seine Ex-Freundin Jana Sabriski als Gerichtsmedizinerin, der zurückhaltende Polizeifotograph Kralicz, von den anderen nur liebevoll „Basedov“ genannt, und der sarkastische Spurensicherer Rolf Philipp.

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Stewart, Paul – Twig im Auge des Sturms (Die Klippenland-Chroniken III)

Band 1: [Twig im Dunkelwald 1936
Band 2: [Twig bei den Himmelspiraten 1999

Die „Klippenland-Chroniken“ gehen in die dritte Runde und kommen dieses Mal auch um einiges actiongeladener und effektreicher daher, als dies noch bei den beiden direkten Vorgängern der Fall war. Hierfür ist vor allem der weitaus mehr in den Vordergrund gerückte Sound von Olaf Normann verantwortlich, der einem schon in den ersten Szenen entgegenschießt. Doch auch sonst hat die Geschichte des jungen Himmelspiraten Twig wieder so einiges zu bieten. „Twig im Auge des Sturms“ verspricht jedenfalls wieder mehr als fünf Stunden tolle Atmosphäre, eine superbe Erzählstimme und Spannung pur.

_Story_

Noch immer ist Twigs Vater, der legendäre Himmelspirat Wolkenwolf, nach dem Unglück auf seinem Himmelsschiff verschwunden. Nachdem Sanktaphrax in letzter Minute gerettet werden konnte, macht sich Twig daher auch wieder auf die Suche nach dem bereits totgeglaubten Captain und findet ihn schließlich auch wenige Augenblicke vor dessen Dahinscheiden. Fernab von Twigs neuer Heimat kann dieser ihn gerade noch vor dem gewaltigen Muttersturm warnen, der schon sehr bald wieder das Klippenland aufsuchen soll, um so wieder die berüchtigten weißen Sümpfe zum Leben zu erwecken.

Auf dem Weg dahin soll der fürchterliche Wind auch über Sanktaphrax hinwegfegen und die Stadt vom Erdboden tilgen. Twig hat gar keine Zeit mehr, sich von seinem Erzeuger und Lehrmeister zu verabschieden und begibt sich mit dem |Klippentänzer| auf dem direkten Weg zurück in die Stadt der Akademiker, gerät aber dabei direkt in einen unheimlichen Wirbelsturm, der die gesamte Besatzung des Schiffes in alle Winde verstreut.

Twig wacht kurze Zeit später in Unterstadt auf und kann sich nur bruchstückhaft an die Geschehnisse erinnern. Sein Schiff ist anscheinend endgültig vernichtet, und von seinen Kameraden gibt es keine Spur. Statt mit dem berühmten Himmelsschiff nach Sanktaphrax zu fliegen und die dort lebenden Menschen vor dem drohenden Unglück zu warnen, muss sich Twig nun zunächst auf die Suche nach seiner alten Crew machen, doch dies gestaltet sich weitaus schwerer, als er sich das vorgestellt hatte …

_Meine Meinung_

Bei „Twig im Auge des Sturms“ geht es wirklich ordentlich zur Sache. Wie schon oben angedeutet, spielt die Action im dritten Teil der Saga eine gewichtige Rolle und kommt auch in keinem Abschnitt der Handlung zu kurz. Dafür verzichtet Autor Paul Stewart auch fast gänzlich auf eine Einleitung und setzt das vorab Geschehene bereits als bekannt voraus, was er aber prinzipiell auch darf. So gerät man sofort mit Twig in den großen Muttersturm hinein, den Soundmann Olaf Normann hier auch sehr opulent in Szene gesetzt hat. Als das Schiff der Himmelspiraten getroffen wird, kommt das schon einem richtigen Donnerschlag gleich, und auch später nutzt Normann sämtliche Gelegenheiten aus, um Musik und Effekte flächendeckend unterzubringen.

Die Geschichte selbst glänzt ebenfalls durch ein leicht gesteigertes Erzähltempo, das nach dem rasanten Beginn auch beibehalten werden soll. Das eigentliche Abenteuer beginnt allerdings erst nach dem Absturz des |Klippentänzers|, denn von dort an werden auch wieder neue Charaktere vorgestellt, es müssen neue Hürden in unbekannten Regionen bewältigt werden und anders als sonst ist Twig dieses Mal komplett auf sich alleine gestellt. Die Hauptfigur der Geschichte wächst immer weiter in ihre von Anfang an erdachte Heldenrolle hinein und kommt mit dieser auch immer besser zurecht. Aus dem hilflosen kleinen Kerl ist eine echte Persönlichkeit geworden, und auch dies macht einen Unterschied zu den ersten beiden Erzählungen aus, bei denen Twig noch recht jugendlich wirkte.

Von der überraschenden Härte des letzten Hörbuchs ist man bei „Twig im Auge des Sturms“ jedoch wieder ein wenig abgewichen. In erster Linie ist die Geschichte nämlich auch hier wieder auf ein etwas jüngeres Publikum zugeschnitten, und auch wenn es mitunter manchmal (im übertragenen Sinne) etwas heftiger zur Sache geht, ist die Erzählung dennoch recht leichtfüßig und kommt ohne jegliche zweifelhafte Szene aus. Vorbildlich wie immer!

Über den Erzähler möchte ich an dieser stelle indes nicht mehr viele Worte verlieren. Volker Niederfahrenhorst verstellt seine Stimme auch hier wieder in den unterschiedlichsten Tonlagen und hat spürbar Spaß an seiner Arbeit – Spaß, der sich auch auf den Hörer überträgt. Die Atmosphäre ist erneut prächtig, die Handlung sehr fließend gestaltet und die Charaktere nach wie vor einzigartig in ihrer Erscheinungsweise. Hier lohnt sich auch ein Blick ins Booklet, das neben einigen kurzen Hintergrundinformationen noch einen Mini-Almanach mit Erklärungen zu den Wesen aus dem Klippenland mitliefert und dazu auch noch einige ausgewählte Illustrationen seitens Chris Riddells enthält, der ja auch die Buchfassung der „Klippenland-Chroniken“ mit seinen hübschen, humorvollen Skizzen bereichert.

Alles in allem ist dieser dritte Teil also eine sehr gelungene und spannende Fortsetzung, für die man dieser Tage gerne noch sein überschüssiges Weihnachtsgeld ausgeben kann.

Feige, Marcel – Inferno – Ruf der Toten

Der Berliner Autor Marcel Feige wagt sich mit seinem vierten Roman „Inferno – Ruf der Toten“ an eine Trilogie, die – soweit man dies nach dem vorliegenden ersten Band beurteilen kann – nichts Geringeres als das Ende der Menschheit heraufzubeschwören scheint. Eine Menschheit, die mit großen Schritten auf die Apokalypse zusteuert, auf einen Zusammenstoß von Imagination und Wirklichkeit, von Vergangenem und Gegenwärtigem, von Leben und Tod. Und eines möchte ich gleich vorwegschicken: Nach den letzten Sätzen von „Inferno – Ruf der Toten“ möchtet ihr am liebsten sofort wissen, wie die Geschichte weitergeht und alles zusammenhängt. Garantiert! Kein Zweifel!

_Unheilvolle Vorboten_

Nach einer durchgefeierten Drogen-Nacht kollabiert Philip auf den Straßen Berlins. Das beängstigende Nahtoderlebnis, das er in diesem Moment hat, ist nur der Beginn einer Reihe von merkwürdigen Visionen, die ihn von nun an heimsuchen sollen und ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Irgend etwas scheint mit ihm nicht in Ordnung zu sein …

London: Beatrice, eine völlig normale, 22-jährige junge Frau, erleidet wie aus heiterem Himmel einen Herzinfarkt. Im Krankenhaus kann ihrem zukünftigen Ehemann Paul wenig später nur noch die Nachricht des Todes seiner Verlobten überbracht werden. Als dieser sich in der Leichenhalle ein letztes Mal von Beatrice verabschieden will, macht er eine schockierende Entdeckung: Seine Freundin ist spurlos verschwunden.

An anderer Stelle Londons: Beatrice erwacht in einer dreckigen Gasse und kann sich nicht mehr an ihre Identität erinnern. Der obdachlose Elonard, der in allerletzter Sekunde verhindern kann, dass sie von ein paar schmierigen Typen vergewaltigt wird, ist ihr behilflich, ihr Leben zu rekonstruieren.

In Rom tritt eine geheime Versammlung von Würdenträgern des Vatikans zusammen, um über Maßnahmen zu beraten, wie eine sich durch verschiedene Zeichen andeutende Katastrophe für die Menschheit abgewendet werden kann …

_Beurteilung_

Marcel Feige lässt von Beginn seines Romans keinen Zweifel daran, dass es ihm mit seiner „Inferno“-Trilogie absolut ernst ist und er vor allem das Talent hat, eine etwas komplexere Geschichte nicht in einem Sumpf aus Überambition und Orientierungslosigkeit versickern zu lassen. Kontinuierlich steigert er die Spannung, so dass der Leser zusammen mit den Figuren in einen Strudel der Ereignisse gesogen wird. Dabei lässt Feige mehrere Handlungsstränge parallel zueinander ablaufen, deren Zusammenhänge in „Inferno – Ruf der Toten“ lediglich angedeutet werden und für die beiden kommenden Bände noch einiges hoffen lassen.

Die Hauptfiguren des Romans sind zudem so angelegt, dass sie dem Leser – wenn man den fantastischen Hintergrund der Geschichte außer Acht lässt – ein leises „Das könnte dir auch passieren“ einflüstern. Denn sowohl der junge Fotograf Philip, der zwischen Verantwortungsbewusstsein im Job und drogengeschwängerten Partys hin- und hergerissen ist, als auch Beatrice, eine 22-jährige Studentin, sind absolute Durchschnittsmenschen, wie sie einem jeden Tag auf der Straße über den Weg laufen. Beide schickt Feige auf einen sehr schmerzvollen Trip, auf dem der Tod ein ständiger Begleiter ist.

Neben diesen zentralen Personen erhoffe ich mir persönlich noch viel von den beiden dubiosen Vatikan-Schergen Lacie und Cato, die für die altehrwürdigen Eminenzen unliebsame Probleme auf eine hässliche, aber konsequente Art und Weise lösen. Da stehen uns für die kommenden Bände sicherlich noch einige Zeugenbeseitigungsaktionen ins Haus.

„Inferno – Ruf der Toten“ ist alles in allem ein wirklich lesenswertes Buch, das locker und sprachlich versiert geschrieben ist – vor allem gelingt es Marcel Feige, mit nur wenigen Worten, die verschiedenen Situationen lebhaft vor dem geistigen Auge des Rezipienten entstehen zu lassen – und einige Vorfreude auf die 2006 erscheinenden Bände zwei und drei weckt.

Temporeich, spannend und ziemlich kickend!

http://www.festa-verlag.de/
http://www.dasinferno.de/

Bolik, Martin – Open Sky

_Besetzung_

Erzählerin LAIKA – Daniela Ziegler
Weltraumhund GO – Reent Reins, Franz Josef Steffens
Computerfloh – Monika Maria Ullemeier
ALOHA – Ulrike Englisch
Jazzmusikerhund Phil – Christian Eitner
In weiteren Rollen: Inga Quistorf und Volker Adam
Übersetzer (hundetelepathisch/deutsch) – Ringo (Hund)

_Inhalt_

Kurz vor der Wende zum fünften Jahrtausend wird LAIKA von einem Notruf geweckt. Die Nachfahrin der ersten Raumfahrtpionierin aus dem Jahre 1957 und Psychologin auf der Hundekolonie Proxima Centauri sieht sich plötzlich mit der Zerstörung ihres Planeten konfrontiert. Und dabei kommt der plötzliche Hilferuf zu einem Zeitpunkt, an dem das Leben für LAIKA völlig harmonisch verlief; erst gestern hatte sie ihren Therapiehund GO in einer weiteren Sitzung behandelt, und nun droht ihr und der gesamten Kolonie das Ende.

Gerade noch rechtzeitig gelingt ihr die Flucht, bevor der Planet komplett vernichtet wird, und sobald sich LAIKA gefangen hat, merkt sie auch, dass ihre Umwelt sich völlig verändert hat. Sie befindet sich nicht mehr im Jahre 3999, und auf der Suche stößt sie auf einen Hilferuf, der direkt vom Weltraumhund GO ausgeht. Als LAIKA dann in einer fremden Zeit und Welt die Dinge auf den Kopf stellt, hat das für die Nachwelt gravierende Auswirkungen. Sie wird von der Zeitpolizei wegen der verbotenen Korrektur der Historie verhaftet, landet in einem Gefängnis, von wo aus sie davon berichtet, dass sie verdächtigt wird, den Präsidenten GO umgebracht zu haben. In dieser beklemmenden Umgebung entspringt schließlich auch die Erzählung als solche …

_Meine Meinung_

Ich habe mich mit diesem Hörspiel unheimlich schwer getan, weil es nun mal alles andere als gewöhnlich ist. Hört man sich „Open Sky“ zum ersten Mal an, wird man gerade zu Beginn nur wenig Sinn in den wirren Schilderungen der Erzählstimme LAIKA erkennen. Was geht hier eigentlich ab? Erst nach und nach ergibt das Ganze einen Sinn, wobei die Geschichte dabei schon so viele spirituelle Nuancen aufweist, dass man schon einmal klar sagen kann, dass „Open Sky“ nur einem limitiertem Publikum vorbehalten und zum nebenher laufenden Zwischenkonsum ganz und gar nicht geeignet ist. Außerdem wirkt die oben beschriebene Geschichte rückblickend auch nur als Aufhänger für weitschweifige Grundsatzdiskussionen auf philosophischer Ebene, die ja ebenfalls nicht jedermanns Fall sein sollen.

Innerhalb der Erzählung tauchen neben vielen obskuren Weisheiten nämlich immer wieder Fragen auf, die sich nach der altbekannten Thematik, worin der Sinn des Lebens eigentlich besteht, richten. Mich persönlich hat „Open Sky“ zum Ende hin verdächtig an „Per Anhalter durch die Galaxis“ erinnert, nur eben dass der Humor von Douglas Adams dort im Vordergrund stand und die Geschichte immer dann, wenn es erforderlich war, auflockerte. Solche Passagen vermisst man indes bei diesem Hörspiel, wo man sich lieber gereifter und intellektueller geben möchte. Direkt am Anfang wird so zum Beispiel der Name Goethe ins Rennen geworfen, und statt eines normalen Soundtracks hat sich Regisseur Martin Bolik für klassische Musik von Tschaikowski, Holst und Korsakow entschieden. Der Knackpunkt hierbei ist, dass gerade diese sehr künstlich aufgebauschte Aufmachung der Atmosphäre des Hörspiels den Halt nimmt. Nicht nur, dass die maschinellen Stimmen und die sehr kalte Grundstimmung einem den Einstieg und auch die Konzentration für die Folgezeit erschweren; auch die grundlegende Atmosphäre will über die komplette Spielzeit nicht aufkommen und raubt der Geschichte nicht nur die Spannung, sondern letztendlich auch den ersuchten Tiefsinn.

Dass „Open Sky“ demzufolge wohl auch kaum für die jüngere Generation geeignet ist, sollte klar sein, und überhaupt scheint sich Martin Bolik nicht an das ‚einfache Volk‘ gerichtet zu haben. Hier verschmelzen esoterische Elemente mit spacigem Flair, leider aber eben nicht so atemberaubend, wie man sich das vielleicht gewünscht hätte. Und trotzdem ist das Gesamtunterfangen jetzt nicht wirklich schlecht zu bewerten. Mitunter mag es auch an meiner persönlichen Erwartung im Hinblick auf ein modernes Hörspiel liegen, dass ich mit „Open Sky“ nur wenig anfangen kann. Festzuhalten bleibt für mich daher auch lediglich, dass die Geschichte nur selten spannend ist, die Stimmen einem nach einiger Zeit auf die Nerven gehen und dass „Open Sky“ trotz vieler offensichtlicher Parallelen zum Gesamtwerk von Douglas Adams nicht einmal annähernd an den tollen Stil des britischen Kultautors heranreicht.

Der Grundansatz war dementgegen recht viel versprechend; zwei CDs, bei denen es prinzipiell keine Rolle spielt, in welcher Reihenfolge sie gehört werden (wobei Anfängern die chronologische Abfolge zu empfehlen ist), und eine sehr interessante Background-Geschichte, erzählt aus verschiedenen Perspektiven und basierend auf verschiedenen Einstellungen. Und auch die vielen Ideen und Gesprächsthemen, die auf den Tisch gebracht werden, haben es definitiv in sich. Dritter Weltkrieg, kalter Krieg, religiöse Macht, ganz schön pikant, was hier zur Sprache kommt. Tja, gescheitert ist das Ergebnis lediglich an der Umsetzung, denn ohne eine entsprechende Atmosphäre funktioniert ein solches Hörspiel nicht. Und trotz klassischer Musik und Quertendenzen zu diversen Space-Opern ist diese bei „Open Sky“ nicht ersichtlich bzw. wahrnehmbar.