Comics aus Fernost sind angesagt. Asterix und Konsorten hingegen gelten als schnarchlangweilig. Das muss verwundern, ganz besonders, wenn Lewis Trondheim zu Stift und Papier greift. Seit Jahren bringt der Zeichner aus Montpellier mit solch witzig-poetischen Figuren wie Herrn Hase, Kaput & Zösky oder Der Fliege Leben in die frankobelgische Comicbude. Im Juni zog Trondheims Herr Hase zum zehnten Mal auf Abenteuer aus.
Lewis Trondheim liebt die Abwechslung. Jedes Mal ein anderer Schauplatz, eine andere Epoche, ein anderes Genre – die Grenzen seiner Serie „Herrn Hases haarsträubende Abenteuer“ sind klar und weit gesteckt. Dabei bleiben die Figuren immer gleich. Die Hauptfigur Herr Hase kommt mit den Wechseln gut zurecht und macht gelassen alles mit. So war der schüchterne Hoppler schon im Wilden Westen, im viktorianischen England und im Skiurlaub unterwegs. Blaue Bohnen, fiese Monster und Schneeballschlachten gibt es dieses Mal allerdings nicht.
Stattdessen veranstalten Herr Hase und seine Freundin Nadia in ihrem Appartement eine Party. Eingeladen sind diverse Pärchen und Singles, für Wein und Salat ist gesorgt, der Spaß kann beginnen. Unter den Gästen ist auch Marion, eine einsame und mollige Endzwanzigerin, die ein Auge auf den introvertierten Serge geworfen hat. Doch leider bahnt sich zwischen den beiden Singles so leicht keine nähere Bekanntschaft an. Serge ist zugeknöpft bis obenhin, Marion hat wegen ihres dicken Hinterns Angst, vom Stuhl aufzustehen. Nicht gerade eine glückliche Ausgangssituation.
Schon als sie auf die Party kam, war Marion nervös. Nicht wegen Serge, sondern wegen ihres slavonischen Tarot-Spiels. Das mollige Mauerblümchen schwört auf esoterischen Hokuspokus und hat in den Karten gelesen, dass einer der Partygäste in naher Zukunft sterben wird. Zum Glück ist Richard da, ein Freund von Herrn Hase und ein notorischer Spaßmacher. Mit ein paar frechen Sprüchen versucht er, die Stimmung wieder zu heben. Die ist allerdings im Eimer, als sich herausstellt, dass etliche Damen in der Runde die Party als günstige Gelegenheit wahrnehmen, sich von ihren jeweiligen Partnern zu trennen. Viktoria gibt dem kindischen Patrick den Laufpass, Céline dem Frauenheld Thierry, Alice dem ängstlichen Vincent. Die Herren sind von der »Sitzenlass«-Party völlig überrumpelt. Besorgt blickt Herr Hase zu Nadia. Ob sie auch mit ihm Schluss macht?
Trondheims Stil kommt leicht und lebendig daher. Von seinen sanften Zeichnungen geht ein kindlicher Charme aus, der das Naturell seiner Figuren und Geschichten wiedergibt. Die Linien sind klar, die Farben kräftig. Jede Seite gliedert sich ordentlich in vier Zeilen mit ein bis vier Panels, ganz so, wie man es von frankobelgischen Alben gewöhnt ist.
Das neue Abenteuer von Herrn Hase bildet einen erfrischenden Gegenpol zu vielen actiongeladenen und sinnleeren Comic-Neuerscheinungen. Der Band besticht durch eine Mischung aus Unterhaltung, Spaß und Tiefsinn. Eine Geschichte über verärgerte Untermieter, düstere Prophezeiungen und das Glück der Liebe. Glaubt sich der Leser zunächst in einer Soap-Opera mit gelegentlichen philosophischen Entgleisungen, so steht er letzten Endes einer einfachen Frage gegenüber: Was ist im Leben eigentlich wichtig?
Intrigenspiel ist der zweite Roman des dänischen IT-Spezialisten und befasst sich, schlicht gesagt, mit dem Manipulationspotenzial, das die neuen Medien bieten. Dementsprechend ist „Intrigenspiel“ nicht allzuweit entfernt von seinem Vorgänger „Mailstorm“, dessen Handlung sich ebenfalls auf der Plattform moderner Medien entfaltet.
_Spektakuläres aus Unspektakulärem:_ Die Grundidee von „Intrigenspiel“ reißt zunächst nicht vom Hocker – grenzüberschreitende Internet-Pornographie. Ehe man aber mit dem großen Gähnen beginnt, sollte man dem Buch unbedingt einen zweiten Blick gönnen, was Sørensen nämlich aus dem Thema herauskitzelt, ist so frisch und unverbraucht wie ein Frühlingsspaziergang:
Ausgangspunkt ist eine Internetseite, die die Vergewaltigung eines Schulmädchens darstellt. Zeitungspraktikantin Camilla Drejer sieht in dem resignierten Schulterzucken von Polizei, Politik und Kinderhilfsorganisationen einen willkommenen Aufhänger für eine Story, die sie in ihrer Karriere voranbringen soll. Der Druck, den sie mit ihrer Recherche auslöst, zwingt Ministerialrat Kristian Nyholm dazu, sich dieses Themas anzunehmen, die Kinderhilfsorganisation „Kinder in der Gesellschaft“ sieht sich gezwungen, Hilfe von außen zu holen, um den Gleichgültigkeits-Vorwürfen der Presse zu begegnen, und PR-Fachmann Morten Kyner bietet diese Hilfe in Form einer Software-Lösung, die die Kinderhilfsorganisation anwenden könnte. Und da wäre dann noch Herman, ein berufs- und beziehungsfrustrierter IT-Berater, der kurz vor der Kampagne auf eine „grenzüberschreitende Pornoseite“ gesurft ist und nun Gefahr läuft, vor die Flinte dieser Kampagne zu laufen und von den Medien geschlachtet zu werden …
_Achterbahnfahrt in Begleitung prall gezeichneter Figuren:_ Die Figuren, die der Leser vorgestellt bekommt, kann man fast atmen hören. Sie leben in ihrem eigenen, dichten Mikrokosmos und der Leser lernt so, die Situation aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu betrachten – man fiebert sogar mit manchen von ihnen mit, obwohl ihnen zweifellos das trübe Schicksal zusteht, dass ihnen droht. Dabei sind es genau ihre Schwächen, ihre Neurosen und ihre Entscheidungen, die „Intrigenspiel“ vorantreiben, ihre Schicksale verflechten sich so stark miteinander, dass jede ihrer Handlungen unmittelbare Folgen hat, die sich dominoartig über das gesamte Ensemble ausbreiten.
All das steigert sich in eine Spannungsspirale, die sich bis zum Finale zuspitzt. Man wird von Wendungen durchgeschüttelt und schnuppert vorsichtig an den Fährten, die Sørensen legt – nicht selten führen sie nämlich in die völlig falsche Richtung.
Als Paradebeispiel mag die erste Szene des Buches herhalten, startet sie doch mit scheinbar unspektakulärer Playboy-Optik, nur um einen mit einer fiesen Wendung vors Gesicht zu treten und dabei ganz nebenbei Herman vorzustellen: jene besagte Figur, die man eigentlich verabscheuen müsste, was man aber einfach nicht kann …
Das bleibt aber kein Einzelfall: Beinahe jede Szene von „Intrigenspiel“ ist in einen Spannungsaufbau eingebettet. Selbst ein Blick auf den Arbeitsalltag des Ministerialrates Kristian Nyholm presst den Leser förmlich in seinen Sessel:
|Es war 16:24 Uhr, als Nyholm die Unterlagen Korrektur las. Der Wagen des Ministers wartete mit laufendem Motor in der Tiefgarage, und Nyholm versuchte vergeblich, sich auf die letzten Verbesserungen der Pressemitteilung zu konzentrieren.
|Mit dem neuen Portal des Wissenschaftsministeriums …|
Im Vorzimmer klingelte das Telefon.
|Mit dem neuen Portal des Wissenschaftsministeriums …|
Einen Augenblick später stand Pernille im Türrahmen.
„Sag, dass es auf dem Weg nach unten ist“, bettelte Nyholm, der seine Nase in den Akten vergraben hatte. „Ich muss es nur noch ein letztes Mal lesen.“
„Es ist nicht das Ministersekretariat“, kam es von der Tür. „Es ist Leo Alting.“
|… auf gleicher Augenhöhe …|
Nyholm schüttelte den Kopf.
„Er sagt, dass es wichtig ist. Und dass er bald nach Hause gehen wird.“
|… auf gleicher Augenhöhe …|
„Kannst du ihn nicht zu Espen durchstellen?“
„Er möchte mit dir sprechen.“
|… auf gleicher Augenhöhe mit …|
„Und er ist auf dem Sprung nach Hause.“
Auf dem Telefon sprangen die Ziffern auf 16:25.|
Nur am Rande bemerkt: Sorensen konstruiert keine Spannung um der Spannung willen. Auch obige Szene ist mit dem Rest der Story verknüpft und stellt einen wichtigen Motor dar, der das Geschehen vorantreibt, zu einem Ende, an dem alles wohlkomponiert zusammenläuft.
_Da wäre aber noch …_
Es schlummern auch ein paar Schattenseiten zwischen den Buchdeckeln: Zwar vermeidet Sorensen durch seine indirekte und optische Schreibe lahme Erzählpassagen, dadurch entstehen aber auch Szenen, „gefilmte Handlungen“ sozusagen, die man verschieden auslegen könnte. Die „erklärende Stimme“ eines Erzählers wäre dort schon nötig gewesen.
Aufgrund der hohen Informationsdichte geht auch hin und wieder die Übersichtlichkeit flöten. Gerade all die Minister, Staatssekretäre und Ministerialbeauftragten, mit denen sich Kristian Nyholm herumstreiten muss, reißen den Leser stellenweise aus der Orientierung und man muss in ein früheres Kapitel blättern, um wieder Anschluss zu finden.
Oh, und wer sich die Spannung nicht verderben möchte, sollte sich möglichst vom Klappentext fernhalten …
_Fazit:_ Trotz allem ist „Intrigenspiel“ ein hervorragend geflochtenes Kabinettstückchen, das mit ziemlichem Vorsprung vor seiner Cyber-Thriller-Konkurrenz dahermarschiert.
Sørensens Insiderwissen über Internetsicherheit, über PR und über die Medien ist in jeder Zeile spürbar und tut ein Übriges, um dieses Buch auf eine Ausnahmeposition zu hieven – vor allem, da es so klar und anschaulich dargestellt ist, dass auch jemand ohne den geringsten Background die Story nachvollziehen und genießen kann. Sørensen hat übrigens selbst im dänischen Forschungsministerium gearbeitet und engagiert sich in der Organisation [Digital Rights]http://www.digitalrights.dk für die Sicherheit im Internet.
Freunden intelligent gesponnenen Thriller-Garns sei „Intrigenspiel“ daher ohne Einschränkung ans Herz gelegt. Man möge sich zurücklehnen und voller Häme die gallebitteren Spitzen genießen, die Sørensen auf Meinungsmache verschießt: „Sex mit Kindern ist der Ersatz, den die postreligiöse Gesellschaft für Blasphemie gefunden hat.“ Kein Kommentar.
Bei Bands entscheidet bekanntermaßen einem ungeschriebenen Branchengesetz zufolge das dritte Album über den weiteren Karrierefortgang. Ich hoffe aufrichtig, dass es bei Autoren anders ist.
Um das gleich vorweg zu schicken – „schlecht“ ist die Gemeinschaftsproduktion von Till Burgwächter und Jan Oidium, „Zwischen Aasbüttel und Vaalermoor“ betitelt, keineswegs. Aber gerade wenn man den Burgwächterschen Leistungslevel als Erwartungshorizont ansetzt, erhebt sich das Buch leider nicht über diesen hinaus.
Als Problem empfinde ich persönlich, dass Burgwächter sich viel zu oft in belanglosen und damit langweiligen Schwafeleien oder sogar der einen oder anderen schlicht niveaulosen Beleidigung ergeht. Demgegenüber stehen einige Anspielungen, Wortspiele und nadelstichgenaue Nickligkeiten, die selbst einem Oliver Kalkofe zur Ehre gereichen würden. Gerade wenn man diese Glanzlichter und die Tiefpunkte direkt gegenüberstellt, wird deutlich, dass das Buch nicht mit [„JGTHM“ 26 oder „Schmerztöter“ mithalten kann.
Weder am Autoren-Vorwort noch am „Mein schönstes Ferienerlebnis“-orientierten „Mein erstes Wacken 1997“ gibt es viel auszusetzen, allerdings gibt es bereits hier Passagen, die einfach nicht zünden. Das gilt leider auch für einige Buchstaben von „Wacken von A-Z“. Hier versucht der Autor, dem geneigten Leser anhand konkreter Aspekte Wacken in gewohnt satirischer Weise näher zu bringen – alphabetisch sortiert.
„Ein Lied für Wacken“ ist irreführend betitelt, denn nicht nur einer, sondern ganze sechs Songs wurden mit neuen Texten versehen, etwa MANOWARs ‚Carry On‘, BLIND GUARDIANs ‚A Past and Future Secret‘ oder JBOs ‚Ein guter Tag zum Sterben‘. Dieses ist allerdings leider ebenso wie ‚Panzer Division Steinburrg‘, angelehnt an Zitat „Marduk (Song egal)“, einer der Totalausfälle des Buchs.
Ganz anders die „Sternstunden“, das Wacken-Horoskop. Burgwächter setzt sternzeichentypische Eigenschaften in Bezug zum Wacken-Aufenthalt und rät, so etwa im Fall der Jungfrau, dann auch schon mal vom Besuch ab, wenn die Überlebenschancen gen null tendieren würden.
Ein mittelschweres Déjà-vu widerfuhr mir allerdings bei „Warum Iron Maiden niemals auf dem W:O:A spielen werden“. Hatte nicht auch schon [„Schmerztöter“ 981 etwas in dieser Art, nämlich den Prozess gegen den „anonymen“ Metalgott? Okay, es gibt Unterschiede, aber die Grundstruktur wirkte bedauerlich vertraut. Insgesamt allerdings erreicht diese Satire schon die Grenze des Grotesken, denn auch wenn Burgwächter sich Mühe gibt, alles möglichst surreal darzustellen, liegt der Ablauf des Interviews wohl nicht so ganz außerhalb des Möglichen …
Insgesamt sehr gut gemacht ist auch das Kapitel „Internationale Beziehungen“. Der Autor transportiert das W:O:A in verschiedene Länder dieser Erde und beschreibt den Ablauf. Hier finden sich allerdings auch einige der eingangs erwähnten niveaulosen Beleidigungen. Begriffe wie „Slawenschlampe“ etwa sind nach meinem Verständnis jenseits von Gut und Böse und nicht mehr mit „Satire“ zu entschuldigen. Auch verbrät der Autor hier zu begierig einige breit gefahrene Stereotype, die aufgrund ihrer Übernutzung einfach nicht mehr witzig wirken.
„Auf der Suche nach den Wurzeln …“ beendet das Buch dann schließlich mit einem Nicht-Wacken-Thema, dem Besuch eines Oldie-Festivals nämlich. Ich muss zugeben, dass der gesamte Text bei mir nicht mal ein Schmunzeln hervorrufen konnte. Konzentriert man sich auf das Ende des Textes und unterstellt dem Autor, hier beim Leser eher etwas Nachdenklichkeit provozieren zu wollen, muss man umgekehrt unterstellen, dass die berühmte „Moral von der Geschicht'“, auch schon einen mittelschweren Bart hat und der moralisch erhobene Zeigefinger sich hier möglicherweise in Auge oder Nase des Gegenübers verirrt haben könnte.
Das Buch basiert auf einer Idee Jan Oidiums und wurde von eben jenem mit einigen durchaus witzigen Illustrationen versehen, allerdings finden sich auch einige Bilder, die gemessen am nachweisbaren Talent des Zeichners eher die Bezeichnung „Skizze“ verdienen.
Wie bereits gesagt: „Zwischen Aasbüttel und Vaalermoor“ ist kein schlechtes Buch – es ist nur leider auch nicht Burgwächters bestes. Lesenswert dürfte es sein für Leute, die Burgwächters Stil bedingungslos verehren und Wacken-Maniacs, die die Zeit bis zum nächsten Festival mit einigen satirischen Kommentaren zu ihrem Lieblingsfestival verkürzen wollen. Mir bleibt die Hoffnung, dass Burgwächter beim nächsten Buch wieder eine Leistungssteigerung vorweisen kann wie zwischen „JGTHM“ und „Schmerztöter“, dann allerdings gemessen an „Schmerztöter“ als Ausgangsbasis.
Coraline, ein kleines Mädchen, zieht mit ihren Eltern in ein altes Haus, das nur zur Hälfte bewohnt ist. Die Tür, die auf die andere Seite des Hauses führt, ist zugemauert. Weil ihre Eltern ständig arbeiten, wird der kleinen Coraline langweilig und sie erkundet ihre Umgebung. Die anderen Bewohner des Hauses erweisen sich als liebenswürdig schrullig.
Im Erdgeschoss wohnen zwei ältere Schauspielerinnen und ihre Hunde, und unter dem Dach wohnt ein alter Herr, der erzählt, er trainiere einen Mäusezirkus. Als es dann am nächsten Tag regnet und Coraline nicht nach draußen kann, um ihre Erkundungstour zu beenden, widmet sie sich der zugemauerten Tür. Doch wie sich erweist, ist die Tür auf einmal gar nicht mehr zugemauert und die Neugier treibt die Kleine auf die andere Seite. Sie gelangt in eine Wohnung, die der ihren beinahe gleicht! Dort wohnt ihre „andere Mutter“, die anstelle richtiger Augen Knopfaugen hat. Die „andere Mutter“ umgarnt das Mädchen, indem sie ihr ihre Liebe und andere zuckersüße Sachen verspricht. Doch Coraline findet schnell heraus, dass es die „andere Mutter“ nur nach ihrer und der Seele ihrer Eltern dürstet.
Sie entscheidet sich zu kämpfen und der unheimlichen Gefahr die Stirn zu bieten. Ein ungleiches Ringen um die Seelen beginnt …
Gaiman hat es erneut geschafft, ein relativ kurzes Buch von 175 Seiten mit skurrilem Horror voll zu packen.
Die Hauptfigur Coraline ist ein sympathisches und ausgesprochen intelligentes Mädchen, wenn man bedenkt, dass sie wohl noch zur Grundschule geht. Unter diesen Voraussetzungen bereitet es Freude, das Mädchen bei seinem Weg in die andere Welt zu begleiten und zu sehen, wie es sich den Gefahren und Merkwürdigkeiten stellt und mit ihnen zurecht kommt.
Gaiman versteht es vorzüglich, den Leser zu fesseln und ihn in die Welt hinter dem Spiegel zu ziehen. Dieses Motiv, dass hinter der normalen Welt noch eine andere, merkwürdige und beängstigende Welt lauert, ist schon fast klassisch Gaiman. In allen seinen Romanen findet sich dieses Motiv wieder. Sowohl in „Niemalsland“, in „Sternenwanderer“ und bei „American Gods“ taucht das Motiv einer Welt hinter der Welt, für den normalen Menschen nicht sichtbar, auf.
Das Interessante daran ist, dass man als Leser nie weiß, woran man ist. Gaimans Ideen sind innerhalb des Romans so wandelbar, dass eine ganz eigene Dynamik entsteht, durch die er es immer wieder schafft, den Leser zu erschrecken, zu überraschen und zu verstören. Dieser Kontrast, der aus der merkwürdigen Welt und dem Zusammenspiel mit Coraline entsteht, macht den Horror besonders faszinierend.
Mir bleibt es ein Rätsel, wie Gaiman es schafft, in einen so kurzen Roman so viele Skurrilitäten zu packen, ohne dass der Leser die Bindung zur Thematik verliert. Aber irgendwie ergibt alles einen merkwürdigen Sinn innerhalb der Handlung. Auch das macht einen Teil des faszinierenden Horrors bei „Coraline“ aus. Einerseits wünschte ich, dieses Buch hätte sechshundert Seiten gehabt, andererseits liegt diesmal in der Kürze wirklich die Würze.
„Coraline“ ist perfekt dazu geeignet, sich an einem regnerischen Samstag auf die Couch zu legen, das Buch in einem Rutsch gebannt durchzulesen und es dann völlig verstört am Sonntag gleich noch einmal zu lesen. Also: Wer auf skurrilen Horror in feinster Märchenqualität steht oder denkt, ihn könnte nichts mehr erschrecken, trifft mit „Coraline“ die richtige Wahl.
Neil Gaiman, geboren 1960 in England, erlangte zuerst Bekanntheit durch seine Comic-Serie „Der Sandmann“, eher er auf das Schreiben von Romanen umsattelte. Neben einem Buch zusammen mit Terry Pratchett („Ein gutes Omen“), schrieb er eine Biographie über seinen Freund Douglas Adams („Keine Panik“), den Kultautor von „Per Anhalter durch die Galaxis“. Doch auch mit seinen eigenen Romanen wie „Niemalsland“, „Sternenwanderer“ und „American Gods“ wusste Gaiman die Leserschaft zu überzeugen.
Bei der _Rechtschreibreform_ kann von einer einheitlichen Schreibweise nicht mehr die Rede sein. Nunmehr gibt es drei verschiedene Schreibweisen: die der einstigen Rechtschreibkommission, die vom Rat der deutschen Rechtschreibung beabsichtigte Reform der Reformschreibung sowie die herkömmliche Rechtschreibung. Dennoch wurde dieses Chaos zum 1. August gesetzlich verbindlich gemacht, wie die Kultusministerkonferenz beschlossen hat. Der Vorstoß der CDU-regierten Länder, den Einführungstermin um ein Jahr zu verschieben, fand keine Zustimmung. Aus Rücksicht auf die Positionen des Rates für deutsche Rechtschreibung gilt für strittige Teile (vor allem Worttrennung und Interpunktion) eine „Toleranzklausel“. Am 31. Juli endete damit zunächst nur die Übergangsfrist für die Laut-Buchstaben-Zuordnung, die Schreibung mit Bindestrich sowie die Groß- und Kleinschreibung. Nach den Vorstellungen des Rates für deutsche Rechtschreibung soll in erster Linie der Sprachgebrauch die Richtschnur für die Formulierung von Schreibregeln sein. Der Zusammenschreibung wird gegenüber Getrenntschreibungen der Vorzug gegeben. Ende Oktober werden die Änderungsvorschläge abschließend erörtert und Ende November soll ein Beschluss fallen. Erst danach wird sich die Kulturkonferenz mit dem Gesamtpaket befassen. Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS) hat mit den Stimmen des Verlegers Michael Klett und des Sprachwissenschaftlers Theodor Ickler (PEN-Vertreter im Rechtschreibrat) ihre grundsätzliche Ablehnung der Reform nochmals unterstrichen. Verlage, die sich an die neue Rechtschreibung halten wollen, müssen, obwohl die jetzigen Änderungen nur einen minimalen Teil des Wortschatzes betreffen, dennoch alle Titel durchsehen und an den entsprechenden Stellen ändern. Aus wirtschaftlicher Sicht ein Riesenaufwand und auch volkswirtschaftlich betrachtet ein Desaster. Eigentlich wird die neue Rechtschreibung nur bei Kinder- und Schulbüchern beachtet werden. Fast jeder sonstige Verlag überlässt es weiterhin jedem Autor, wie dieser schreiben will. Widersinniges und Unstimmiges wird also nicht zum Maßstab für literarischen Ausdruck werden. Die Verleger sehen überhaupt keinen Handlungsbedarf, solange alles weiterhin unsicher und strittig ist. Die 23. Auflage des „Duden“ war nach Inkrafttreten der Reform nach dem 1. August das einzige Wörterbuch, das dem verbindlich geltenden Stand der neuen Rechtschreibung entspricht, aber schon warf Bertelsmann zum 1. August mit dem „Wahrig“ ein Wörterbuch zu einem „Kampfpreis“ auf den Markt, das schon wieder etwas mehr von der Reform 2004 berücksichtigt hat. Im „Wahrig“ macht man es jetzt auch ganz taktisch klug, indem man neben der neuen auch die alte Rechtschreibung aufführt. Seit Jahren sind der „Duden“ und „Bertelsmann“ in harter Konkurrenz, mussten schon gedruckte Auflagen wegen Änderungen gleich einstampfen, verramschen ihre Titel oder verschenken sie an Schulen.
Selbst der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sieht jetzt eine künftige „Zwei-Klassen-Schreibung“, da die neuen Gesetze nur für Schulen und Behörden verbindlich sind und ansonsten jeder Autor schreiben kann, wie er will.
Und es besteht noch anderweitig Verunsicherung, z. B. bei den Lehrern, die Deutsch für Ausländer unterrichten. Das Ausland versteht nicht, wieso die Deutschen sich nicht darauf einigen können, wie sie ihre Worte schreiben. Das Goethe-Institut geht deswegen einen wiederum ganz eigenen Weg und hält sich an die zuerst geplante Originalfassung der Reform, bis endgültige Klarheit über die strittigen Punkte herrscht. „Das kann man so oder so schreiben“ sei für Fremdsprachen-Lehrer zu schwierig. Die neue Gesetzeslage ist längst nicht das Ende eines langjährigen Kampfes zwischen unversöhnlicher Willkür auf der einen und Widerstand auf der anderen Seite. In NRW hat Jürgen Rüttgers nach dem Wechsel der Landesregierung sein Wahlversprechen wahr gemacht: „Die CDU wird nach einem Wahlsieg bei der Landtagswahl im Mai 2005 dafür sorgen, dass man zu den bewährten Regeln zurückkehrt“ und auch Bayern ist dem gefolgt. Zwei Länder sind zwei Wochen vor Eintritt der gesetzlichen Regelung ausgestiegen. Die Glaubwürdigkeit in der Politik lässt sich bereits an einem Wort der Rechtschreibreform festmachen. Diese hat versucht, den Unterschied zwischen „viel versprechend“ und „vielversprechend“ aufzuheben, indem es nur noch die getrennte Schreibweise zulassen wollte. Wenn man sich das ganze Geschehen anschaut, bleibt dieser Unterschied der beiden Begrifflichkeiten aber sehr offensichtlich.
Es wird viel darüber geklagt, wie viel Geld Wörterbuch- und Schulbuchverlage verloren haben durch all die jahrelangen Änderungen. Interessant ist da aber eine These, die in der „Jungen Freiheit“ vom 29. Juli aufgestellt wurde. Dort wird aufgezeigt, dass die Rechtschreibreform für Schulbuchverlage ein Milliardengeschäft war, finanziert durch die Steuerzahler. Nach Angaben des VdS Bildungsmedien, mächtigster Verband der Schulbuchverlage, schaffte die öffentliche Hand zwischen den Jahren 1996 und 2004 Schulbücher in reformierter Rechtschreibung im Wert von etwa zwei Milliarden Euro an. Eltern gaben allein im Jahr 2003 rund 200 Millionen Euro für Lernmittel aus. Gewisse Verbände haben eine Menge Geld eingesetzt, um der Reform zum Durchbruch zu verhelfen. So investierten die Schulbuchverlage rund eine halbe Million Mark, um den Volksentscheid in Schleswig Holstein im September 1998 zu beeinflussen, der aber für die Reformer dennoch verloren ging. „Zahlreiche Beamte in den Kultusministerien sind als Schulbuchverfasser privatgeschäftlich mit Verlagen verbunden“, erklärt der bekannteste Kritiker der Rechtschreibreform, der Erlanger Germanist Theodor Ickler. Im internen Bericht des Verbandes VdS Bildungsmedien für 2000 – das Jahr, in dem die „Frankfurter Allgemeine“ das Abenteuer Rechtschreibung beendete – heißt es: „Wir haben also nicht allein auf die Kultusminister, sondern auch auf alle Ministerpräsidenten der Länder massiv eingewirkt und diese in die Öffentlichkeit gezwungen mit klaren und unmissverständlichen Erklärungen zu einer Reformumsetzung“. Die „Junge Freiheit“ geht deswegen so weit, der Staatsanwaltschaft zu empfehlen, aufgrund offenkundiger Verdachtsmomente zu untersuchen, inwieweit bei der Durchsetzung der Rechtschreibreform auch Korruption eine Rolle spielt. Die Aufdeckung eines Bestechungsskandals wäre der Todesstoß für die Reform, würde aber auch aufgrund der Beteiligung von Regierungsbeamten eine Krise auslösen.
Am gefährlichsten für die _Preisbindung_ wird es immer, wenn ein neuer _Harry Potter_ erscheint und in Deutschland, wo diese gesetzlich festgesetzt ist, muss man immer sehr sorgsam nach den „schwarzen Schafen“ Ausschau halten. Anders in England, wo eine Preisbindung nicht existiert. Dort lag der Preis bei Vorbestellungen teilweise bei der Hälfte des empfohlenen Verkaufpreises von 16,99 Pfund und damit eigentlich beim Bezugspreis. 2003 hatte dort die Branche am ersten „Potter“-Verkaufstag elf Millionen Pfund an Nachlässen gegeben. Insgesamt wurde an jenem Tag ein Umsatz von 17,5 Millionen Pfund erzielt – mit 1,7 Millionen Exemplaren. Und bei der Premiere des 6. Bandes boomte es wie eh und je: In den ersten 24 Stunden wurden weltweit rund elf Millionen Exemplare verkauft. Zwei Millionen davon in Großbritannien, 6,9 Millionen in Amerika. In vielen Städten wird das Erscheinen eines neuen Harry Potters längst wie ein Ereignis von nationaler Bedeutung begangen. Auch in Deutschland war die Medienresonanz noch einmal höher als beim fünften Band vor zwei Jahren. So schnell auch gigantischer Umsatz gemacht wird, bleibt das Paradox, dass mit Potter nicht auch entsprechend verdient wird. Der Reinerlös ist mager, die Preise purzelten in den Keller und erreichten bisher ungeahnte Tiefen. In britischen Supermarktketten ging er für 7,25 Euro weg – also weit unter dem Einkaufspreis. Der empfohlene VK in Deutschland liegt bei 26,30 Euro, im Schnitt wird er aber für 19,90 Euro angeboten, am billigsten war er bei Mail-Order Kaiser für 14,99 Euro.
Die legalen „_Billig-Bibliotheken_“ laufen gut und gehen weiter. Die Lizenz für die „SZ“-Bibliothek ist ausgelaufen, aber der Süddeutsche Verlag konnte elf Millionen Bücher damit verkaufen. Die Restbestände wurden vom Barsortiment LIBRI erworben, das diese noch „weit über das Weihnachtsgeschäft“ hinaus an Buchhandlungen liefern wird. Auch Weltbild hatte mit seiner „Bild“-Bestseller-Bibliothek wie auch der Zeit-Verlag die Gewinnziele weit übertreffen können. „Die Zeit“ startet mit dem Partner Brockhaus zur Buchmesse eine zwanzigbändige wöchentliche Buchreihe zum Thema Welt- und Kulturgeschichte. Die „SZ“ plant ein Projekt Kinder- und Jugendbibliothek – Zielgruppe Sechs- bis Sechzehnjährige – ab September nach bewährtem Muster der „SZ-Bibliothek“ mit fünfzig Bänden, die jeweils 4,90 Euro kosten. Auch „Die Zeit“ wird im Frühjahr 2006 mit einer 15-bändigen Vorlesereihe mit Titeln, die als besondere Schätze der Kinderliteratur gelten, für Kinder von fünf bis zehn Jahren starten. Der Reinerlös aller verkauften Bücher fließt an die Stiftung Lesen, zur Förderung des Vorlesens. Sowohl „Bild“, „Weltbild“ und „FAZ“ bringen Comic-Bibliotheken. Die FAZ-Reihe „Klassiker der Comic-Literatur“ dürfte auch richtig lohnenswert werden bei einem Preis von 4,90 Euro pro Band. Es beginnt mit „Superman“ von 1938 und führt über „Spiderman“, „Batman“, „Prinz Eisenherz“, „Hägar“, „Peanuts“ und natürlich auch „Disney“.
Da das _Hörbuch_ mit unveränderten Zuwachsraten in Folge Geschichte schreibt, sind nun auch die letzten großen Belletristikverlage Diogenes und Holtzbrinck ins Hörbuch-Geschäft eingestiegen. Mittlerweile gibt es rund 400 Hörbuchverlage in Deutschland. Jetzt erwartet die Branche einen Lizenzwettbewerb, den es bislang so noch nicht gab. Von der Hörbuch-Edition der Frauenzeitschrift „Brigitte“ über Aktionen beim Discounter ALDI bis hin zum Focus-Magazin, das ein neues Download-Portal plant, ist das Hörbuch endgültig aus seiner Nischen-Position herausgetreten, mit allen Konsequenzen, die ein entwickelter Markt mit sich bringt. Es wird Verschiebungen geben, bei denen einige Labels auf der Strecke bleiben. Und „Random House Audio“ vertieft die Zusammenarbeit mit „Gruner + Jahr“. Nach der „Brigitte“-Audio-Edition „Starke Stimmen“ folgt nun eine zwölfteilige Hörbuchserie mit der Zeitschrift „Eltern“. Mit der Brigitte-Zusammenarbeit konnten eine Million Einzelexemplare verkauft werden.
_Amazon_ hat eine neue Sparte entdeckt: Verleihen statt verkaufen. Für 9,99 Euro werden drei DVDs im Monat verschickt, ohne zusätzliche Versandkosten, Leihfristen und Säumnisgebühren. Die Kunden müssen nur die geliehene DVD im versankostenfreien Umschlag zurückschicken, um umgehend den nächsten verfügbaren Film von der Ausleihliste zu erhalten. Es gibt darüber hinaus sogar verschiedene Tarifmodelle: Für 13,99 Euro kann man vier DVDs monatlich ausleihen (zwei davon gleichzeitig) und für 18,99 Euro sechs DVDS (drei Titel gleichzeitig). Das ist ein Testlauf dafür, ob man künftig auch Hörbücher und Bücher in die Vermietung einbeziehen wird.
_Suhrkamp_ bringt die im angeschlossenen _Deutschen Klassiker Verlag_ erschienenen Editionen deutscher Literatur ins Taschenbuch. Im Oktober erscheinen die ersten Bände, darunter Goethes Faust, „Sämtliche Erzählungen“ von Kleist und Grimmelshausens „Simplicissimus“ – jeweils Text und Kommentar. Die meisten der herstellerisch hochwertigen Bände sollen ca. 18 Euro kosten und in einer Auflage von 5000 Exemplaren erscheinen. Von den 200 Hardcoverbänden, die in 40 Editionen erschienen sind, will man 90 Titel im Taschenbuchformat in den Handel bringen. Ab Frühjahr 2007 sollen in der _Suhrkamp Studienbibliothek_ grundlegende philosophische Texte nebst Kommentar von Aristoteles bis Habermas erscheinen. Offensichtlich hat sich nach den Unruhen im Verlagshaus (wir berichteten intensiv) sehr viel geändert. Das sieht man deutlich am aktuellen Suhrkamp-Taschenbuchverlagsprogramm und der Werbung dafür, die im Gegensatz zur Tradition richtiges Marketing umfasst. Die Zeiten, wo die Vermarktung von Hermann Hesse ausreichte, scheint vorbei. Angefangen hat das vor einem Jahr mit der Neugestaltung der erfolgreichen Taschenbuchreihe mit dem Kürzel st. Die Titelzahl wird reduziert und die traditionell starke Backlist verkleinert.
Der Fachverlag _Max Niemeyer_ hat seine Eigenständigkeit verloren und wurde an _Thomson Learning_, die Bildungssparte des amerikanischen Fachinformationskonzerns _Thomson Corporation_, verkauft. Die Zustimmung durch das Bundeskartellamt muss aber noch erfolgen. Niemeyer fungiert künftig als Imprint der _K. G. Saur_ Verlagsgesellschaft, die bereits Ende 2000 von Thomson eingekauft wurde. Niemeyer gehört zu den führenden Geisteswissenschaftsverlagen Deutschlands. Das anspruchsvolle Profil soll erhalten und ausgeweitet werden. Die Arbeitsplätze der gegenwärtigen Mitarbeiter wurden von Thomson nun erst einmal für ein Jahr garantiert.
Die _Wissenschaftliche Buchgesellschaft_ in Darmstadt hat den Verlag _Philip von Zabern_ (Fachverlag für Klassische Archäologie, Kunst und Kulturgeschichte) übernommen. Zur Verlagsgruppe der WBG gehören bisher die Verlage Primus, Konrad Theiss sowie die Versandbuchhandlung Conlibro.
Anthroposophen brauche mitunter etwas länger für neue Technik, dafür umso berichtenswerter ist, dass nun auch der _Pforteverlag_ online ist und auf Besucher wartet. Die Seiten werden in den nächsten Wochen noch laufend ergänzt, doch lohnt sich jetzt schon auf alle Fälle ein Blick ins Angebot: http://www.pforteverlag.com.
_Indizierungen_ erreichen derzeit einen neuen Höhepunkt. Die neueste dahingehende Welle betrifft die deutschsprachige Hiphop- und Rap-Szene, deren sexualisierte Texte als jugendgefährdend beurteilt werden. Man kann sich darüber mühsam streiten, sicherlich geht manches an die Würde der Frau und überzeichnet ein menschenverachtendes Bild. Nun werden Sendeverbote in den Rundfunkanstalten gefordert, was bis zum immer wieder vorkommenden Wort „ficken“ reicht. Also Zustände wie in Amerika. Im ganzen Medienrummel schwingt auch die durchaus berechtigte Angst vor Rechts wieder hoch. Selbst einem Linksbündnis wird rechte Gesinnung mediengerecht unterstellt. Und damit das klar zum Ausdruck kommt, gelten nunmehr auch wieder die „Böhsen Onkelz“, die sich wiederholt von rechtem Gedankengut distanziert hatten, als Verbreiter rechter Propaganda. Auf ihrem Abschlusskonzert auf dem Lausitzring hatten sie vor über 100.000 Zuschauern noch einmal Songs ihres ersten Albums gespielt. Das Landeskriminalamt Brandenburg hat sofort gegen die Band Anzeige erstattet.
Nachdem es im letzten Jahr während der Frankfurter Buchmesse zu großem Unbehagen führte, dass die _Verleihung des Friedenspreises_ nach jahrelanger Ausstrahlung durch die ARD von diesen kurzfristig abgesetzt wurde, führte der Protest dagegen zum Erfolg. Ab diesem Jahr wird die Verleihung aus der Frankfurter Paulskirche nun wieder jährlich abwechselnd vom ZDF und der ARD übertragen. Die diesjährige Verleihung wird am 23. Oktober um 11 Uhr live vom ZDF ausgestrahlt.
|Das Börsenblatt, das die hauptsächliche Quelle für diese Essayreihe darstellt, ist selbstverständlich auch im Internet zu finden, mit ausgewählten Artikeln der Printausgabe, täglicher Presseschau, TV-Tipps und vielem mehr: http://www.boersenblatt.net/. |
Stephen Baxter (* 1957) wird heute oft als der moderne Asimov oder Heinlein gefeiert, bekannt wurde er für seine ideenreichen Science-Fiction-Romane, in denen er mit seinem fundierten naturwissenschaftlichen Hintergrundwissen glänzen kann. Er studierte in Cambridge Mathematik, ist Doktor der Ingenieurswissenschaften und lehrte einige Jahre Mathematik, Physik und Informatik, bevor er 1991 seinen ersten Roman „Das Floß“ (The Raft) veröffentlichte. Baxter arbeitet seit 1995 hauptberuflich als Autor und wurde seitdem mit zahlreichen renommierten SciFi-Preisen wie dem |Philip K. Dick Award| und dem deutschen Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet. Er ist außerdem Vize-Präsident der |British Science Fiction Association| (BSFA).
„Sternenkinder“ (Exultant) ist der zweite Band der Serie „Kinder des Schicksals“, die mit dem Band [Der Orden 1040 begann. Spielte dieser Roman noch in Vergangenheit und Gegenwart, ein eigentümlicher Mix aus Science-Fiction und historischem Roman, springt Baxter mit „Sternenkinder“ um rund 25.000 Jahre in die Zukunft – und in das „Xeelee“-Universum, in denen seine ersten Romane spielten. Kamen Fans von Science-Fiction und Action im Vorgänger erst spät oder gar nicht auf ihre Kosten, ist „Sternenkinder“ eine reinrassige, allerdings tief schürfende Space-Opera und beginnt mit einer Raumschlacht – aber Baxter wäre nicht Baxter, wenn er sich darauf beschränken würde. Die Ursprünge der mysteriösen Xeelee und des Universums selbst nimmt er in „Sternenkinder“ unter die Lupe.
|Heldentum ist antidoktrinell|
Bereits 20.000 Jahre währt die dritte Expansion der Menschheit. Man hat nicht nur die Besatzung der Erde durch die außerirdischen Qax überstanden, sondern nach dem Sieg über die Rasse der „Silbergeister“ im Oriongürtel keinem wirklichen Gegner mehr gegenübergestanden und zahllose Alien-Zivilisationen assimiliert und ausgerottet.
Sogar die Xeelee, den seit mittlerweile mehr als dreitausend Jahren bekämpften Erbfeind der Menschheit, hat man durch schiere Masse in den galaktischen Kern zurückgedrängt.
Doch nun stockt die Expansion der Menschheit. Ein Zermürbungskrieg tobt im galaktischen Zentrum, bei dem die Xeelee technologische Vorteile besitzen – ihre Raumschiffe sind in jeder Beziehung irdischen überlegen. Das tödliche Patt, welches das Blatt aller Voraussicht nach langsam, aber sicher zugunsten der Xeelee wendet, besteht nun schon seit drei Jahrtausenden. Denn beide Seiten können auf das so genannte Überlicht-Vorherwissen zurückgreifen. Überlichtschnelle Raumschiffe sind zugleich quasi Zeitmaschinen. So können die Überlebenden einer fatalen Schlacht in der Zukunft eine Nachricht in die Vergangenheit senden – und die Schlacht wird nie oder unter anderen Voraussetzungen stattfinden.
In einer solchen Situation ist es die Pflicht eines Piloten, eine Nachrichtenbake in die Vergangenheit zu senden und kämpfend unterzugehen. Doch der Pilot Pirius, ein Kindersoldaten-Veteran, der immerhin schon sagenhafte fünf Einsätze überlebt hat, stellt sich dem Gefecht mit einem überlegenen Nachtjäger der Xeelee, pfeift auf die militärische Doktrin und lockt ihn in eine Falle. Nicht nur überleben er und seine Crew, er schafft es sogar, einen Nachtjäger der Xeelee zu kapern! Doch bei der Rückkehr zu seiner Basis, um von der verlorenen Schlacht zu berichten, macht man ihm und seinem jüngeren Ich den Prozess … denn offenkundig hat Pirius sowohl gegen Befehle als auch die Doktrin verstoßen. Beide werden bestraft. Der ältere Pirius Blau wird zu einem Strafbataillon der Bodentruppen nahe der Xeelee-Front versetzt, der jüngere Pirius Rot wird milder bestraft für eine Tat, die in einer nun nicht mehr existenten Zeitlinie von ihm begangen worden wäre.
Er wird seinem Verteidiger, Kommissar Nilis, zugeteilt. Dieser hat ihn sich zur besonderen Verwendung ausgeliehen: Die Taktiken, die Pirius im Kampf gegen den Nachtjäger angewandt hat, und der erbeutete Nachtjäger selbst stellen für Nilis den Schlüssel zum Sieg über die Xeelee dar. Für Pirius Rot ist dies ein ungeheuerlicher Schock, denn den Sieg sah er bisher nur als etwas an, das in weiter Zukunft kommenden Generationen vorbehalten ist. In der verknöcherten und erstarrten menschlichen Gesellschaft ist Nilis einer der wenigen Träumer und Freidenker, die sich gegen gegen uralte Doktrinen erfolgreich auflehnen und nach neuen Wegen suchen.
Er zwingt Pirius Rot, über sich selbst hinauszuwachsen, Führungsqualitäten zu entwickeln, die ihm sein gesamtes kurzes Kindersoldatenleben lang (der jüngere Pirius ist 17, der ältere auch nur 19 Jahre alt) eingebläute Konditionierung und Doktrin zu hinterfragen, kreativ zu denken. Pirius Rot ist auch einer der wenigen im galaktischen Kern aufgewachsenen Kindersoldaten, der die Erde und das Leben auf ihr mit eigenen Augen sehen wird. Doch alleine damit ist es nicht getan: Von niederster bis höchster Ebene steht ihnen eine Jahrtausende lang gewachsene Stagnation in Politik, Militär, Forschung, Bürokratie und auf allen anderen nur denkbaren Gebieten im Weg.
|Ein kurzes Leben brennt hell|
Man würde dem Buch Unrecht tun, wenn man es auf die Probleme der menschlichen Gesellschaft und den Krieg reduzierte. Stephen Baxter hat zahllose Ideen und Konzepte in diesen Roman gepackt, so dass Abwechslung garantiert ist.
Zu Beginn wird oft zwischen Pirius Rot und Pirius Blau hin und her geblendet. Während Pirius Rot erkennt, wie luxuriös die Menschen auf der Erde verglichen mit den in Tanks gezüchteten Kindersoldaten im galaktischen Zentrum leben, die nur den Krieg gegen die Xeelee kennen, erfährt Pirius Blau, dass es noch eine Existenzstufe unter seiner gibt: Auf dem Planetoiden des Infanterie-Strafbataillons sieht er, wie viel weniger die zum „Graben und Sterben“ ausgebildeten Infanteristen vom Leben haben.
Nebenher wird die Entstehung des Quasi-Stillstands menschlicher Entwicklung und der Druz-Doktrin erklärt: Die Qax haben nach einem Aufstand von „Wigners Freunden“, einer Sekte, deren Glaube auf Erkenntnisse des Physikers Eugene Paul Wigner zurückgeht, bewusst alle historischen Bauten der Menschheit, inklusive der Städte und weiter Teile der Natur, vernichtet. Sogar die Nahrungsmittelherstellung wurde auf Nanobot-Technologien der Qax umgestellt. Die Vergangenheit der Menschheit scheint somit weitgehend ausgelöscht.
In dieser Zeit gelang es Hama Druz, seine legendären Doktrinen zu formulieren, die der Menschheit den Sieg und eine beispielose Expansion über die ganze Galaxis ermöglichten. In ihnen zählen das |Jetzt| und das Allgemeinwohl, nicht was war oder sein wird, Opferbereitschaft und strikte Befolgung von Befehlen. Die ganze Menschheit wurde auf Krieg und Überlebenskampf ausgerichtet.
Nach dem verlustreichen Sieg über die Qax und als letzter großer Hürde über die „Silbergeister“ im Oriongürtel konnte nichts den Aufstieg der Menschheit stoppen, man rottete gnadenlos alle Alien-Zivilisationen aus oder assimilierte sie mitsamt ihrer Technologien. Hier stellt Baxter einen Bezug zu seinem Roman „Der Orden“ her. Denn die radikalen Methoden der Assimilation und Auslöschung ähneln stark dem Verhalten sich bekämpfender Schwarmgesellschaften. Im gleichen Maß gingen der Menschheit aber Individualität und Kreativität verloren: Man verliert in Jahrhunderten mehr Menschen als jemals auf der Erde insgesamt gelebt haben, aber der Fortschritt, den man früher in Jahrzehnten erzielte, ist mittlerweile in ähnlichem Maß verlangsamt. Auch gibt es eklatante Technologieunterschiede zwischen den menschlichen Siedlungsgebieten, auf der Erde und im Zentrum herrscht Hochtechnologie, auf entlegenen, technologisch rückständigen Schlachtfeldern früherer Zeiten bilden sich immer öfter Koaleszenzen, Schwarmgesellschaften, heraus, die der Druz-Doktrin einer reinen, geeinten Menschheit widersprechen und erbarmungslos bekämpft werden.
Interessant sind die geduldeten Ausnahmen, die es laut Doktrin nicht geben dürfte: Das hochspezialisierte Archiv der Menschheit im Olympus Mons auf dem Mars wird von einer menschlichen Koaleszenz bevölkert – für solche Zwecke eignen sie sich einfach hervorragend, wie man dem entsetzten Pirius versichert. Dass man für die Entwicklung der Waffe gegen die Xeelee allerdings auch auf die hyperphysikalischen Fähigkeiten nachgezüchteter Silbergeister setzt, die in einer Kolonie auf dem Pluto leben, setzt dem Ganzen die Krone auf. Im weiteren Projektverlauf wird man zur Bedienung derselben gar einen Silbergeist-Ingenieur benötigen, die nach eigenen Angaben nur Kopien der ausgerotteten Geister sind, von Menschen geschaffen … Pirius bleibt dennoch misstrauisch.
Religion ist auch ein Aspekt der menschlichen Gesellschaft, den es laut der Druz-Doktrin nicht geben sollte. Doch die Kindersoldaten finden Trost in einer, wie man im Verlaufe des Buchs herausfinden wird, an quantenphysikalische Beobachtungen („Jeder bestimmte Zustand wird durch einen Beobachter bestimmt“) angelehnten Philosophie, die sich gerade in einer Gesellschaft, in der ständig Besucher und Nachrichten aus der Zukunft zurückkehren und Zeitlinien sich laufend verändern, blühen kann: „Wigners Freunde“ glauben an „die letzte Beobachterin“, die am Ende aller Zeiten steht und die Macht besitzt, sämtliche Ereignisse negativer Natur auszumerzen. Durch gute Taten hoffen die Wignerianer, der Menschheit die Gunst der letzten Beobachterin zu verschaffen, die sie dann von allem Leid erlösen wird. Der äußerst antidoktrinell und inoffiziell angenommene Name ihres ebenfalls wie Pirius Blau strafversetzten Anführers „Diese Bürde Wird Vergehen“ ist insofern Programm.
Gegen Ende des Buches geht Baxter auf die Entstehungsgeschichte der Xeelee ein. Hier liefert er auch Erklärungen, warum es – nach menschlichem Empfinden – über Jahrtausende keinerlei Kommunikation außer Waffengewalt gab, und warum man in diesen Jahrtausenden keinen einzigen Xeelee gefangen nehmen konnte. Er eröffnet zudem eine weitere Dimension des Konflikts, denn während die Menschheit die ganze Galaxis überrannte, standen auch die Xeelee in einem erfolgreichen Krieg – der von dem Spinner Peter in „Der Orden“ angesprochene Konflikt zwischer „normaler“ und dunkler Materie wird hier wieder aufgegriffen als Konflikt zwischen absolut fremdartigem baryonischem und supersymmetrischem Leben. Witzig hierbei für Leser des ersten Bandes: Der Verschwörungstheoretiker Peter hatte teilweise vollkommen Recht! Eine Kommunikation zwischen solch exotischen Lebensformen ist naturgemäß mehr als schwierig. Man bedenke, wie der Kontakt zu den in dieser Hinsicht wesentlich menschenähnlicheren Silbergeistern verlief …
_Fazit_
Selten habe ich einen Autoren mit so vielen Ideen gleichzeitig jonglieren sehen wie Baxter in diesem Buch. Dabei vergisst er aber nicht die Unterhaltung; der eigentlichen Haupthandlung zu folgen, ist sehr einfach: Nach und nach wird ein aus drei Teilen bestehendes Waffensystem entwickelt und trotz aller Hürden zum Einsatz gegen den xeeleeschen Hauptradianten Chandra, das schwarze Loch im Zentrum der Galaxis, gebracht. Für Baxter geradezu untypisch viel Action, die er vorzüglich mit dem Rest des Romans verbunden und inszeniert hat.
Baxters Theorien haben jedoch einige Haken: So wirft die Kommission für ökonomische Kriegsführung Nilis und Pirius vor, wie sie sich anmaßen könnten, ihre Idee für einzigartig und erfolgversprechend zu halten. Schließlich befasst man sich seit Jahrtausenden mit aberwitzigen Ideen von Spinnern, die letzten Endes die Menschheit wertvolle Ressourcen kosten könnten. Warum sollten also gerade sie gefunden haben, was bisher in Jahrtausenden nicht gelang?
Eine haarsträubende Argumentation, aber mit einem Funken Wahrheit: In einer unheimlich kurzen Zeitspanne erreichen Nilis, Pirius und Co. mehr als die gesamte Menschheit in Jahrtausenden. Ich kann mir ebenfalls nicht vorstellen, dass sich in einer riesigen Galaxis nicht irgendwann und irgendwo eine bahnbrechende Idee durchsetzt. Gerade weil die Menschheit zwar geeint im Krieg gegen die Xeelee ist unter der das Allgemeinwohl über das des Einzelnen stellenden Druz-Doktrin, aber überall sich hinterwäldlerische Koaleszenzen und andere menschliche Subspezies ausbreiten, kann ich mir eine solche Innovationsarmut nicht vorstellen. Zumal der Schwarm – im Großen wie im Kleinen – von Baxter als einzige gesellschaftliche Form menschlicher Evolution propagiert wird, sieht man vielleicht von „Wigners Freunden“ und der alles beherrschenden Druz-Doktrin ab.
Kurz kommt leider auch der Konflikt zwischen Pirius Rot und Pirius Blau. Rot hat seine Freundin Torec noch, während Torec Blau in einer nun nicht mehr existenten Zeitlinie den Tod im Kampf fand. Da Rot und Blau den Großteil des Romans an zwei verschiedenen Orten tätig sind und eher die Unterschiede zwischen dem Leben auf der Erde und dem Zentrum der Galaxis dokumentieren, bleibt wenig Raum für die Problematiken einer an und für sich spannende Begegnung mit einem älteren Zeitzwilling. Recht platt und enttäuschend ist auch die Rolle von Luru Parz, deren mysteriöse und vorerst unbekannte Herkunft, ihre ebenso unbekannten Motive und ihre Bedeutung für den Roman letzlich demystifiziert werden, was sie auf eine Rolle als stets stechenden Joker für Nilis reduziert, wenn alle anderen Überzeugungsmittel versagt haben.
Ohne Baxters fabelhafte Fähigkeit, schwierige Konzepte der Quantenphysik, Thermodynamik sowie die bei Überlichtflügen auftretenden zeitlichen Phänomene verdaulich und nachvollziehbar zu erklären, würde dieses Buch nicht funktionieren. Dennoch ist es keine leichte Lektüre; entgegen der oft aufgestellten Behauptung, man könne es auch ohne seinen Vorgänger „Der Orden“ lesen, rate ich davon ab. Denn gerade die Gedanken zur Druz-Doktrin und der evolutionären Entwicklung der Menschheit setzen auf der Einführung in diese Thematik im ersten Band der Serie auf. Zumal die zusammenhanglos erscheinenden Verschwörungstheorien Peters in „Der Orden“ hinsichtlich der dunklen Materie und eines Krieges im galaktischen Zentrum sich in „Sternenkinder“ ironischerweise als Volltreffer entpuppen.
Übersetzer Peter Robert hat ebenfalls ganze Arbeit geleistet. Besonders gut gefielen mir seine für unbedarfte Teutonen direkt in den Romantext geschriebenen Ergänzungen, wie man Baxters englische Rassebezeichnungen wie Qax („Khäcks“) oder Xeelee („Sili“) auszusprechen hat. Das würde ich mir auch von anderen SciFi-Übersetzern wünschen.
Herausragend an diesem Buch sind Baxters gewaltige Vorstellungskraft und seine Fähigkeit, komplexe Konzepte und Ideen verständlich an den Leser zu vermitteln. Daher sehe ich gerne über einige Ungereimtheiten wie die nicht wirklich überzeugende absolute Stagnation und die kontrastierend extrem rasant erfolgende Entwicklung und Integration dreier vollständig neuer Technologien hinweg.
The Baxterium – Die offizielle Homepage des Autors:
http://www.cix.co.uk/~sjbradshaw/baxterium/baxterium.html
Als Autor von Theaterstücken hat James W. Nichol sich in Kanada einen Namen gemacht, und schon für seinen ersten Roman „Ausgesetzt“ wurde er zum „Crime Writer of Canada“ im Jahre 2004 ernannt. Bei „Ausgesetzt“ handelt es sich um einen Psychothriller, allerdings nicht im herkömmlichen Sinne …
_Auf den Spuren der Vergangenheit_
Walker Devereaux wurde im Alter von drei Jahren am Straßenrand ausgesetzt. Nur schemenhaft kann er sich noch an seine Mutter und ihre letzten Worte erinnern, mit 19 nun möchte er endlich seine wahren Eltern finden. Aufgewachsen ist Walker im Heim und bei verschiedenen Pflegeeltern, und obwohl er in seiner jetzigen Familie glücklich ist, wird der Wunsch nach dem Wissen über seine eigene Kindheit immer größer. So hebt er schließlich sein gesamtes Erspartes vom Konto ab und macht sich alleine auf den Weg nach Toronto, um dort ausgerüstet mit nur zwei Erinnerungsstücken an seine Mutter die Suche nach der Wahrheit beginnen zu lassen. Doch Walkers Anhaltspunkte sind spärlich, er besitzt nur ein Foto von zwei jungen Mädchen und einen Brief, dessen Inhalt kaum Informationen über Walkers Mutter preiszugeben scheint.
In Toronto angekommen, macht Walker sich zunächst auf Wohnungssuche. Doch schnell braucht er auch einen Job und landet schließlich bei einer Taxifirma, für die er des Nachts fahren soll – auch ohne Taxischein. Dabei lernt er die behinderte Krista kennen und entwickelt ganz allmählich Gefühle für sie. Krista ist ihm bei seinen Nachforschungen eine große Stütze; selbst als ein Unbekannter Kristas Auto in Brand gesteckt und Walkers Beweisstücke gestohlen hat, hält sie fest zu ihrem neuen Freund. Doch die Gefahr wird immer größer. Bei seiner Suche stößt Walker auf Geheimnisse, die seine eigene Familie gerne weiterhin in Vergessenheit wüsste.
Parallel lernen wir einen Jungen namens Bobby kennen, der von seinen Eltern auf eine Militärschule geschickt wird und dort entdecken muss, dass ihn andere Jungen sehr reizen. Doch diese Neigungen führen zu Gewaltausbrüchen, sodass er einen Mitschüler schwer verletzt und der Schule verwiesen wird. Zu Hause bei seinen Eltern dauert es schließlich nicht lange, bis Bobby einen Nachbarsjungen brutal ermordet …
_Parallele Welten_
In zwei Handlungssträngen erzählt uns James W. Nichol die Geschichte von Walker und Bobby, ohne dem Leser zu früh zu verraten, wie beide Lebensläufe miteinander zusammenhängen. Zunächst widmet Nichol sich dabei der Vorstellung Walkers und der beginnenden Suche nach seiner eigenen Herkunft. Er präsentiert uns neben Walker auch eine weitere Hauptfigur dieses Romans, nämlich Krista, die den nächtlichen Taxifunk betreut. Erst später erzählt eine Rückblende aus Bobbys Leben und seiner Schulzeit. Jedoch dauert es einige Zeit, bis der Leser erfährt, welch abartige Neigungen
Bobby entwickelt.
Beim Lesen und Zurechtfinden in diesem Buch ist erhöhte Aufmerksamkeit gefordet, da Bobbys Geschichte nicht durchweg chronologisch erzählt wird, sondern häufiger in den Zeiten hin und her springt. Dabei begegnen uns zahlreiche Figuren, deren Namen man sich meist gut einprägen sollte, um der weiteren Erzählung folgen zu können. Als reiner Unterhaltungsroman ist „Ausgesetzt“ daher eher weniger geeignet.
Dennoch versteht es James W. Nichol, seine Leser bei Laune zu halten und an das Buch zu fesseln. Nur häppchenweise erzählt er uns Bobbys Geschichte, sodass wir lange brauchen, um die Verbindungen zwischen Bobby und Walker zu erahnen. Auch streut Nichol zwischendurch einige Überraschungsmomente ein und schafft es, seine Leser erfolgreich an der Nase herumzuführen. Stets an den entscheidenden Stellen wechselt Nichol die Perspektive und widmet sich dem jeweils anderen Handlungsstrang, sodass man immer verleitet ist weiterzublättern, um die Geheimnisse um Walker Devereaux aufzudecken.
Die Spannungsmomente in diesem Buch sind dabei allerdings rar gesäht, auch blutige Szenen, wie sie in Thrillern sonst häufig zu finden sind, bleiben abzählbar. Nur die geschickte Weiterentwicklung zweier Biografien ist es folglich, die zum Weiterlesen und vor allem zum Mitraten animiert. Dabei schafft es der Autor überzeugend, seine Figuren vorzustellen, und verleiht ihnen im Verlauf des Romans immer mehr Kontur. Speziell Krista, die durch ihre verkrüppelte Hüfte viele Einschränkungen im alltäglichen Leben hinnehmen muss, erscheint uns als starke Persönlichkeit, die nicht so schnell den Kopf in den Sand steckt. Trotz ihrer Sorgen um Walker steht sie ihm stets tatkräftig zur Seite und begleitet ihn auf seinem Weg in die Vergangenheit. Selbst die aufkeimende Liebe zwischen Walker und Krista fügt sich stimmig in das Gesamtkonzept des Buches ein. Die Struktur der Erzählung gefällt insgesamt sehr gut und wirkt gut durchdacht, auch wenn die zahlreichen Zeitsprünge manchmal verwirrend sind und dafür sorgen, dass man zwischendurch einige Male zurückblättern muss, um Passagen ein zweites Mal zu lesen.
_Ein etwas anderer Thriller_
Auf dem Klappentext wird „Ausgesetzt“ als Psychothriller bezeichnet, doch handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Thriller voller blutiger Szenen, in dem in einer rasanten Hetzjagd ein Psychopath verfolgt wird. In „Ausgesetzt“ kennt der Leser den Mörder lange Zeit nicht und weiß nicht, welche Gefahr Walker droht, wer das Auto in Brand gesteckt und die Briefe gestohlen hat. Spannung wird hier nur sehr subtil erzeugt und entsteht dadurch, dass der Leser die düsteren Geheimnisse um Walkers Familie noch nicht erahnen kann.
Zugute halten muss man Nichol, dass er stets bemüht ist, seinen Leser die handelnden Charaktere und die Szenerie bildlich vor Augen zu führen. Der Autor beschreibt dabei sämtliche Situationen so detailreich, dass man sich darin wiederfindet, und auch die Figuren wirken authentisch.
Am Ende erwartet den Leser ein temporeiches Finale, das leider nicht durchweg überzeugen kann. Wenn sich alle eingestreuten Informationen zu einem Gesamtbild zusammenfügen, wirken einige Details konstruiert und mindern den Gesamteindruck des Buches ein wenig. Zudem lässt die Glaubwürdigkeit der Geschichte stark nach, die glücklichen Zufälle häufen sich am Schluss zu sehr.
_Lesenswert mit kleinen Einschränkungen_
James W. Nichols Debütwerk zeichnet sich durch eine geschickt erzählte Geschichte in zwei Handlungssträngen aus, die dem Leser wichtige Informationen nur häppchenweise präsentiert, sodass man stets zum Weiterlesen aufgefordert wird. Die Charaktere sind glaubwürdig gezeichnet, auch wenn sie größtenteils nicht allzu eingehend beleuchtet werden; mehr Wert legt Nichol auf die Beschreibung der Situationen. Der Plot wirkt ausgeklügelt, erfordert allerdings durch die zahlreichen Zeitsprünge viel Aufmerksamkeit, sodass „Ausgesetzt“ eher nicht zur reinen Unterhaltung gelesen werden sollte. Trotz fehlender psychologischer Tiefe und kleiner Abstriche in Bezug auf das Buchende gefällt „Ausgesetzt“ insgesamt sehr gut.
Der italienische Krimi ist ja seit jeher berüchtigt, unter anderem auch, weil er sich durch eine Kompromisslosigkeit und manchmal auch eine Brutalität der Hauptfiguren auszeichnet, wie man sie auf diese authentische Art und Weise nur selten geboten kommt. Doch der italienische Krimi steht auch für eine Menge Eigensinn und folglich auch ganz eigenwillige Charaktere, so wie es beim hier rezensierten Roman „Der Nebelfluss“ von Valerio Varesi der Fall ist, dem ersten Roman dieses Autors.
Varesi wurde 1959 in Turin geboren und widmete sich sehr bald dem Thema Journalismus. Mit einer Arbeit über Kierkegaard promovierte er und schaffte es schließlich in die Redaktion der „Repubblica“. „Der Nebelfluss“ ist der Beginn seiner Schriftstellerkarriere und brachte ihm die Nominierung für einen der wichtigsten italienischen Literaturpreis, den Premio Strega, ein.
_Story:_
Wieder einmal Hochwasser am Po, wie so oft im Herbst. Doch dieses Mal steht der Fluss so hoch wie selten zuvor, weshalb die Dörfer in der näheren Umgebung evakuiert werden müssen. Nur die alten erfahrenen Schifffahrer widersetzen sich den Anweisungen des Präfekten und sehen nicht ein, ihren Stütztpunkt, den Circulo Nautico, zu verlassen.
Eines Abends werden sie dabei Zeugen einer eigenartigen Begebenheit. Das Schiff des fast achtzigjährigen Anteo Tonna läuft trotz der schweren Bedingungen mitten in der Nacht aus. Und obwohl das Licht in der Führerkabine noch an ist, kann man weit und breit keine Menschenseele auf dem Schiff sehen. Auch die unkonventionelle Art, mit der das Schiff ausläuft, will gar nicht zum erfahrenen Kapitän passen und gibt den Anwesenden im Circulo Nautico Rätsel auf. Nach einer dramatischen Fahrt kommt das Schiff schließlich an einer Sandbank zum Stillstand, und obwohl die Carabinieri keinen Mann mehr an Bord finden, ist es fast unmöglich, dass das Schiff ohne Steuermann sicher unter die Brücken und durch die sonstigen Hindernisse hindurch navigieren konnte.
Einen Tag später wird in einem nahe gelegenen Ort eine Leich entdeckt. Ein Mann ist aus dem Fenster gestürzt, und die Polizei vermutet zunächst einen Selbstmord. Die Spuren am Tatort lassen jedoch darauf schließen, dass der Verstorbene ermordet wurde. Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass es sich hierbei um den Bruder des verschwundenen Schiffsmannes Tonna handelt …
Commissario Soneri steht vor einem Rätsel. In welchem Zusammenhang steht das Verschwinden des einen Bruders mit dem Tod des anderen? Und welche Chance besteht, dass Anteo Tonna nach seinem Verschwinden überhaupt noch unter den Lebenden weilt?
Soneri geht der Sache auf den Grund, stößt dabei aber auf eine Mauer des Schweigens. Die alten Männer, die sich in der Gegend herumtreiben, stören sich an der Schnüffelei des Commissarios, wollen ihm bei seinen Ermittlungen nicht weiterhelfen. Erst als dieser herausfindet, dass es sich beim Tatmotiv um eine Geschichte aus längst vergessener Zeit handeln könnte und das politische Treiben der Nachkriegszeit manchen der Herrschaften immer noch durch den Kopf schwirrt, beginnt er durch die konfusen Vorgänge durchzublicken. Infolgedessen taucht Soneri in die Welt von versteckten Faschisten, fanatischen Alt-Kommunisten und Menschenschmugglern ein und beginnt, die Puzzlestücke für das große Rätsel Stück für Stück zusammenzusetzen.
_Bewertung:_
Valerio Varesi kennt sich gut aus in der Pogegend, denn er erzählt die Geschichte mit sehr viel Liebe zum Detail und listet dabei eine ganze Reihen von Fakten auf, ohne dass die Geschichte ihren Erzählcharakter verlieren würde. So gelingt es ihm auch spielend, dem Roman von Beginn an die nötige Authentizität zu verleihen, und es dauert maximal zehn Seiten, da glaubt man selbst schon, der Fluss bzw. das Hochwasser würden im eigenen Keller hausen. Sehr gelungen!
Von der recht kühlen Atmosphäre mal abgesehen, hat Varesi aber auch eine kluge und spannende Handlung konstruiert, in die immer wieder neue Details einfließen können, welche wiederum für stetig neue Wendungen sorgen. So baut Varesi die einzelnen Teile der Geschichte stückweise auf und rollt den Strang in aufeinanderfolgenden Episoden auf. Das hat aber leider auch den Nachteil, dass ,diverse wichtige Einzelheiten erst recht spät im Roman auftauchen und so einige zuvor geschilderte Themen unwichtig erscheinen lassen.
Trotzdem weicht Varesi nie von der eigentlichen Handlung ab und legt so auch ein relativ flottes Erzähltempo vor. Simpel geschrieben, aber effektiv und kurz ausgeschmückt – dieser Devise hat Varesi sich angenommen und liegt damit zweifelsohne auf Erfolgskurs, die Spannungskurve gibt ihm dabei schließlich recht.
Was mir persönlich sehr gut gefällt, sind die einzelnen Schwenks in die Vergangenheit mit ihrem Bezug zur Gegenwart. Der Autor erzählt quasi zwei Geschichten und erklärt die vergangene mit der gegenwärtigen und umgekehrt. Hier hätte man die Angelegenheit inhaltlich lediglich noch etwas besser ausschmücken sollen, denn auch im Hinblick auf die Vergangenheit wünscht man sich als Leser des Öfteren detailliertere Einzelheiten zur politischen Lage Italiens in der Nachkriegszeit. Aber gut, Varesis Aufgabe ist es nicht, zu informieren, sondern zu unterhalten, und diesbezüglich hat der Schriftsteller und Redakteur einen fabelhaften Job hingelegt, nicht zuletzt aufgrund des authentischen Transfers und der perfekt eingefangenen, eigenwilligen italienischen Gemüter (speziell die etwas zickige Freundin des Commissarios, aber auch der Hauptcharakter und seine alten Gegenspieler).
Krimifans kommen also auf ihre Kosten und finden in „Der Nebelfluss“ exzellente und kurzweilige Unterhaltung für zwischendurch, Italien-Begeisterte hingegen sollten in dieser Geschichte ein weiteres literarisches Muss entdecken.
George ist tot. Der wunderliche Schäfer aus dem irischen Glennkill liegt eines Tages mit einem Spaten in der Brust auf der Weide. Die Ermittlungen beginnen, und damit beginnt auch ein ganz normaler Krimi.
Sollte man meinen. Ist aber nicht so. Denn in „Glennkill“ spielt eine ganze Schafherde die Hauptrolle. Und die können wahrhaft mehr als nur blöken. Allen voran Miss Maple, das klügste Schaf von Glennkill und vielleicht sogar der ganzen Welt, die sich mit Schafsverstand des Kriminalfalls annimmt.
Der Engländer Stephen Baxter (* 1957) ist bekannt für seine naturwissenschaftlich fundierten Science-Fiction-Romane. Er studierte in Cambridge Mathematik und ist Doktor der Ingenieurswissenschaften. Er lehrte einige Jahre Mathematik, Physik und Informatik, bevor er 1991 seinen ersten Roman „Das Floß“ (The Raft) veröffentlichte. Seit 1995 arbeitet Baxter hauptberuflich als Autor und wurde seitdem mit zahlreichen renommierten SciFi-Preisen wie dem |Philip K. Dick Award| und unter anderem auch den deutschen Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet.
Was Baxter von vielen anderen Autoren „harter“ Science-Fiction unterscheidet, ist seine Fähigkeit, schwierige Fragen, Sachverhalte sowie physikalische Gegebenheiten und Theorien unterhaltsam und für Laien nachvollziehbar zu verpacken.
Dabei ist Baxter kein Technomane, der sich auf die rein technologische Weiterentwicklung der Menschheit versteift. [Evolution 282 ist – wie in seinem gleichnamigen Roman – bei ihm ebenfalls ein Thema, und dabei hört er keinesfalls bei der menschlichen Evolution auf.
|Schwestern sind wichtiger als Töchter|
Der Roman „Der Orden“ (Original: „Coalescent“) stellt den Auftakt der Serie „Kinder des Schicksals“ dar, die in dem älteren „Xeelee“-Universum Baxters angesiedelt ist. Er bereitet den Boden für das Verständnis der Folgebände wie „Sternenkinder“, die in einer weit entfernten Zukunft angesiedelt sind und vom jahrtausendelangen Zermürbungskrieg der Menscheit mit den Xeelee handeln. Ganz im Gegensatz dazu spielt dieser Roman in unserer Gegenwart – und in der römischen Vergangenheit Britanniens!
Der Computerexperte George Poole kehrt nach dem Tod seines Vaters zur Haushaltsauflösung in sein Geburtshaus nach Manchester zurück. Dabei entdeckt er ein merkwürdiges Foto, das ihn im Alter von ungefähr drei Jahren zeigt – und ein unbekanntes Mädchen, das zur Familie zu gehören scheint. Seine ältere Schwester Gina kann es nicht sein. Wer ist die Unbekannte?
George stellt Nachforschungen an, unterstützt von seinem Jugendfreund Peter, einem ehemaligen Polizisten, der seine Vorliebe für Technik und alte Science-Fiction-Romane der 60er Jahre teilt, seinen abstrusen Theorien über außerirdische Intelligenzen, die er mit gleichgesinnten „Slantern“ im Internet entwickelt hat, allerdings skeptisch gegenübersteht.
Schließlich findet George die Spur seiner Schwester Rosa, die als Kind aufgrund sozialer Nöte der Familie von einem römischen Marienorden adoptiert wurde. Was George noch nicht weiß: Er steht genauso wie seine Schwester Rosa in einer Verwandschaftsbeziehung zu diesem Orden, der auf seine Urahnin Regina zurückgeht, die im dunklen Zeitalter des Niedergangs römischer Kultur in Britannien lebte und den Orden entscheidend prägte. Einen Orden, der sich abgeschottet in den römischen Katakomben jahrhundertelang entwickelte, zu etwas, das sowohl George als auch insbesondere Peter mit Entsetzen und Unverständnis erfüllt: einer Art menschlichen Schwarms.
|Unwissenheit ist Stärke|
Wer bei Science-Fiction den Blick Richtung Himmel und Zukunft wendet, wird bei diesem Roman eine herbe Bruchlandung erleiden, denn seine Erwartungshaltung wird gewiss nicht erfüllt werden.
„Der Orden“ handelt in der Gegenwart, in der George den Geheimnissen einer düsteren Vergangenheit auf die Spur kommt. Weite Teile der Geschichte spielen im historischen Britannien der Römerzeit und stellen einen lupenrein recherchierten historischen Roman dar, in dem Georges Vorfahrin Regina eine tragende Rolle spielt. Immer wieder wechselt Baxter zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Dabei dürften sich viele Leser fragen: Warum? Auf was will er hinaus?
Leider ist dieser tote Punkt in der Mitte des Buches ein echter Stolperstein, der auch nicht dadurch kompensiert werden kann, dass der historische Teil des Romans sehr gut und unterhaltsam geschrieben ist – Zusammenhang und Spannungsbogen fehlen hier, erst am Ende des Romans löst sich alles in Wohlgefallen auf.
Regina, auf die der ominöse Orden zurückgeht, ist die Tochter eines römischen Gutsherren in Britannien. Aber leider wird sie in schlechten Zeiten geboren: Der Vater der Familie stirbt, ihre Mutter lässt sie im Stich. Mit ihrem Onkel Aetius, einem alten Soldaten, erlebt sie den Niedergang römischer Zivilisation in Britannien. Nach dessen Tod lebt sie unter Barbaren, auch ihre Tochter Brica wächst in primitiven Verhältnissen auf.
Regina wird gar zur Geliebten von König Artorius, der mitsamt seinen Zauberer Myrddin (hier: ein Experte für die Herstellung von Eisen und Eisenwaffen) eher als historische Person denn mythische Figur dargestellt wird. Beide haben einen Traum: eine andauernde Zivilisation zu schaffen. Doch, ganz im Sinne römischer und italienischer Tradition, steht bei Regina die Familie im Mittelpunkt ihres Handelns.
Während der erfolgreiche Kriegsherr Artorius schließlich doch scheitert bei seinen Feldzügen und seine Ordnung und Zivilisation dem Niedergang anheim fällt, schafft die mittlerweile nach Rom zurückgekehrte Regina, ohne es selbst ganz zu verstehen, ein hierarchieloses, ewiges, sich selbsterhaltendes Gebilde: einen menschlichen Schwarm.
|Hör auf deine Schwestern|
Die durch Leid und Niedergang der von ihr geliebten Kultur und Zivilisation tief getroffene Regina hat instinktiv begriffen, wie sie die ihr heilige Familie bewahren kann. Auch wenn ihre Angehörigen in der Krypta inmitten der Katakomben Roms sie nicht verstehen – sie hört noch auf dem Sterbebett den Satz „Ich verstehe dich nicht, meine Liebe“ – wird ihre Gesellschaft ohne Regeln und ohne einen „ehrgeizigen Idioten“, eine Autorität wie Artorius, funktionieren.
Die Grundlagen der Schwarmgesellschaft, die sich entwickeln wird, sind einfach: Schwestern sind wichtiger als Töchter. Unwissenheit ist Stärke. Hör auf deine Schwestern.
Die einzige Regel, die Regina ihren Angehörigen auferlegt hat, und die prinzipiell überflüssig ist, ist ihr Heiligtum: Ihre drei römischen Hausgötter oder Laren, die verehrten |matres|. Analog zu den drei Holzfiguren soll es reale Mütter geben. Diese Mütter sollen immer drei oder das mehrfache von drei zählen, und nur sie dürfen Töchter gebären – alle anderen sind Schwestern, eine große Familie. Eine Familie, die so genetisch enger verwandt ist, als es sonst üblich oder möglich wäre, würden sie alle Kinder zeugen mit fremden Vätern. Sie geben ihre Gene weiter, indem sie ihrer Mutter helfen, ihre Schwestern auszutragen.
Die Stärke aus der Unwissenheit ist die Bedingung, dass der Orden nicht von einzelnen Personen abhängt, sondern sich selbst erhält. Jedes Glied dieses Schwarms hat eine spezialisierte Aufgabe, kann aber jederzeit durch ein anderes ersetzt werden. Man muss nicht wissen, warum man etwas tut; etwas, das Lucia erfahren wird.
Lucia stellt ein Mädchen dar, das zur Brüterin des Ordens werden soll, zu einer Mutter. Sie will aber gar nicht, ihr ist die Konformität zuwider, sie will etwas ganz Anderes. Auch für George und Peter ist das spezialisierte Leben als Gebärmaschine des Ordens sowie der zahllosen Mädchen des Ordens, die quasi zu geschlechtslosen Neutren mutieren, eine Horrorvision.
Der letzte Leitsatz ist, man soll auf seine Schwestern hören. Keine hat dabei eine Vormachtstellung, sondern eine Aufgabe im Schwarm, ist ersetzbar. Auch wenn sie nicht mehr wissen sollten warum, arbeitet die Familie des Ordens oder Schwarms zusammen.
Sie knüpfen engere Bande als bei Menschen üblich. Der durch die Enge in der Krypta entstandene Geruch wird wichtig, wie bei Ameisen – Pheromone übertragen Eindrücke zu den anderen Mitbewohnern, fremde Personen wie George werden beim Betreten der Krypta vom Gestank überwältigt und bemerken verstört, wie alle sie ohne ein Wort als Fremdkörper betrachten und anstarren. Neben der intensiven Wahrnehmungen von emotionalen Befindlichkeiten, verändern sich die Bewohner von Reginas Orden auch körperlich: Schon alleine die Dauer einer Schwangerschaft ist bei den Müttern wesentlich kürzer als bei normalen Menschen.
|Koaleszenz, Emergenz und Eusozialität|
Der ganze historische Teil des Romans dient somit der sanften Einführung in fremdartige Konzepte und erklärt, wie sie möglicherweise entstehen könnten. Die Prinzipien der Eusozialität und Emergenz, auf denen eine Koaleszenz, also ein menschlicher Schwarm, beruht, werden so beispielhaft und nachvollziehbar anhand von Reginas Leben unterhaltsam nahe gebracht.
Leider wird dies dem Leser erst gegen Ende des Romans klar, bis dahin mag der geneigte SciFi-Leser sich fragen, warum ein historischer Roman, wenngleich ein gut recherchierter und geschriebener, unter der Bezeichnung Science-Fiction vermarktet wird.
Die Gegenwartsebene schildert die Reaktion von George und Peter auf diesen menschlichen Schwarm. Am Beispiel Lucias, die zu einem Leben als „Brüterin“ verdammt wird, wird uns die Unmenschlichkeit dieses Konstrukts bewusst. Aber Baxter ist hier nicht einseitig moralisierend, er zählt auch Vorzüge auf, von Nähe und Geborgenheit, intensiver Zugehörigkeit und selbstloser Aufopferung, die eine menschliche Familie gewöhnlicher Prägung niemals erreichen könnte.
_Fazit_
Man kann geteilter Meinung sein, ob es klug war von Baxter, den Leser so lange im Dunkeln tappen zu lassen, besonders pure SciFi-Fans könnten von dem historischen Teil des Romans sehr gelangweilt sein. Wer hingegen historischen Romanen etwas abgewinnen kann, wird besser unterhalten. Letzten Endes ist auch die dem Roman zugrunde liegende Idee recht dünn und zudem nicht neu: Menschliche Ameisenhaufen sind in der Science-Fiction-Literatur mindestens so zahlreich wie die zahllosen menschlichen Schwarmgesellschaften der Zukunft, die Baxter uns in einem kurzen Ausblick gegen Ende des Romans in die Zukunft seines Universums schildert.
Er legt hier die Grundlage für den Folgeband „Sternenkinder“, in dem die hier beschriebenen Problematiken und Gesellschaftsformen in der Zukunft für handfeste Probleme sorgen werden.
Seit nahezu dreitausend Jahren liegt die Menschheit im Krieg mit den Xeelee, die sowohl technologisch als auch physiologisch und strategisch im Vorteil sind. Dieser Zermürbungskrieg muss zwangsweise verloren gehen, uralte Doktrinen hemmen Individualität und Kreativität, überall bilden sich Menschenschwärme in abgelegenen und vergessenen, auf sich allein gestellten Ecken der Galaxis, die von Presskommandos ausgelöscht und die Überlebenden als Kämpfer im Krieg gegen die Xeelee verheizt werden, in einer Art Mottentaktik: Die Menschen-Motten stürzen in Massen auf die Kerze, in der Hoffnung, das Licht zu ersticken …
Womit die martialische Doktrin des legendären Hama Druz „Ein junges Licht brennt hell“, einen makabaren Beigeschmack erhält.
Wenn man den „Orden“ gelesen hat, werden Zusammenhänge und Problematiken in „Sternenkinder“ begreiflicher. So kann man sich fragen, ob die Menschheit in ihrer Gesamtheit nicht als Schwarm handelt und außerirdische Rassen wie andere Schwärme bekämpft, so wie man es mit Sub-Schwärmen innerhalb der eigenen, durch Doktrinen eingeengten Gesellschaft seit Jahrtausenden tut. Denn an Individualität und Eigeninitiative fehlt es den unzähligen Menschen in ihrem riesigen, galaxienüberspannenden Menschheitsschwarm, der zwar keine extreme Form darstellt, aber durch Doktrinen in ähnliche Bahnen gedrängt wird wie der kleine Ur-Schwarm des Marienordens in „Der Orden“.
Der „Kinder des Schicksals“ genannte Zyklus zeigt auf unterhaltsame Weise Möglichkeiten der menschlichen Evolution auf. Auch wenn der „Orden“ auf einer recht simplen Idee fußt und weitgehend ein historischer Roman mit anfangs scheinbarer Zusammenhanglosigkeit zur Gegenwart und zur Science-Fiction im Allgemeinen ist, kann er, wenn man eine gewisse Durststrecke überwunden hat, faszinieren. Vor allem ermöglicht die Lektüre den vollen Genuss des Folgebands „Sternenkinder“, der sowohl klassisch-konventionelle Wünsche von Science-Fiction-Lesern befriedigt als auch eine ganze Ecke fantastischer und spannender ist.
The Baxterium – Die offizielle Homepage des Autors:
http://www.cix.co.uk/~sjbradshaw/baxterium/baxterium.html
Ein idealistischer Wildhüter stolpert im waldigen Wyoming über einen Mord, an dessen Aufklärung seine Vorgesetzten wenig Interesse zeigen. Natürlich lässt er nicht locker und deckt ein anti-ökologisches Komplott auf, was ihn und seine Familie in Lebensgefahr bringt … – Kleiner, aber feiner Thriller, der grünen Kitsch und New-Age-Naturschwurbel meidet und routiniert die Geschichte vom einsamen Kämpfer gegen das scheinbar übermächtige Böse erzählt.C. J. Box – Jagdopfer [Joe Pickett 1] weiterlesen →
Jonathan Barrett ist echt ein Netter: gut aussehend, ausgesucht höflich, gebildet und mit reicher Familie. Eine gute Partie also, und das, obwohl er andere, weniger begehrte Charaktereigenschaften besitzt. Jonathan ist nämlich ein Vampir, auch wenn er für seinen Zustand selbst keinen Namen hat. Er verschläft den Tag, trinkt das Blut seiner Haustiere, kann Menschen durch Hypnose beeinflussen und sich praktischerweise in Luft auflösen. Diesen Zustand verdankt er der Affäre mit der geheimnisvollen Nora Jones, die er während des Studiums in England kennen und lieben gelernt hat. Zurück in Long Island, wurde er jedoch während des Unabhängigkeitskriegs erschossen und stand eine Nacht später prompt als lebender Toter wieder auf. Nachdem er seine neue Existenzform ausgiebig erprobt und einige Abenteuer bestanden hat, will er nun unbedingt Nora Jones wiederfinden, damit er ihr all die Fragen stellen kann, die ihn zu seinem Zustand plagen.
So weit zu dem, was bisher geschah, „Der maskierte Tod“ ist nämlich schon der dritte Band um Jonathan Barrett (nach „Der rote Tod“ und „Der endlose Tod“) und schließt, wie man das mittlerweile von P. N. Elrod gewohnt ist, nahtlos an seine Vorgänger an. Jonathan ist mehr als frustriert mit seiner Suche nach Nora Jones. Sein in London wohnender Cousin Oliver kann die ehemalige Geliebte einfach nicht ausfindig machen, dazu kommt noch, dass die Post Monate braucht, um die Kolonien zu erreichen. Und so beschließt Jonathan, selbst nach London zu reisen, um dort Nachforschungen anzustellen.
Aber da Jonathan ein Familienmensch (Familienvampir) ist, reist er nicht allein. Seine Schwester Elizabeth besteht darauf, mitzukommen und auch sein Sklave Jericho darf natürlich nicht fehlen. Als auch noch eine stolze Anzahl Rinder als Blutration für die Überfahrt auf dem Schiff verstaut sind, ist die Reisegesellschaft komplett. Doch Jonathan hat nicht mit seinem Vampirismus gerechnet – fließendes Wasser hat Untoten nämlich noch nie gut getan. So wird er von einem bösen Anfall von Seekrankheit heimgesucht, der schlussendlich dazu führt, dass P. N. Elrod sich nicht lange mit der Überfahrt nach England aufhalten muss …
Dass das ein Vorteil ist, wird schnell klar. Wie auch schon im ersten Band, ist der in London spielende Teil der Höhepunkt des Romans. Im Gegensatz zum provinziellen und verschlafenen Long Island kann sich Autorin Elrod im großstädtischen London so richtig austoben und große Gesellschaften beschreiben. Darüberhinaus trifft Jonathan seinen Cousin Oliver wieder, der schon in „Der rote Tod“ ein großer Symapthieträger war.
Doch was wird aus der Suche nach Nora Jones? Die bleibt zunächst unerfolgreich, denn Jonathan wird bald mehr als abgelenkt. So hat die Londoner Gesellschaft offensichtlich beschlossen, dass es sich bei ihm und seiner Schwester um Heiratskandidaten erster Güteklasse handelt und darüberhinaus muss sich Jonathan bald mit so einigen Intrigen herumschlagen.
Nach dem etwas schwächelnden „Der endlose Tod“, ist P. N. Elrod in „Der maskierte Tod“ nun offensichtlich wieder in Hochform, was mit Sicherheit auch am veränderten Schauplatz der Handlung liegt. Auch kann sie nun einige neue Figuren einführen, die der Handlung mehr Esprit und Richtung geben. So hat der Leser bei der sich flott entwickelnden Handlung kaum Zeit, sich darüber zu wundern, dass Jonathan seine Suche nach Nora nur halbherzig zu verfolgen scheint. Bald schon ist er so in Duelle und alte Liebschaften und Auseinandersetzungen mit hysterischen Tanten verwickelt, dass es für Jonathan nur von Vorteil sein kann, dass er nicht zu atmen braucht – er hätte sowieso keinen Augenblick Muße, um Luft zu holen.
„Der maskierte Tod“ ist für einen Vampirroman schon recht außergewöhnlich. Jonathan ist vermutlich der humanistischste Vampir, den die literarische Welt je gesehen hat. Er ist so in seiner menschlichen Umwelt verankert, dass sein Vampirismus dahinter zurückstehen muss. Das wird noch verstärkt dadurch, dass er in einer durch und durch menschlichen Welt agiert: In London scheint es keine anderen Vampire zu geben. Daher kann man nur hoffen, dass er in absehbarer Zukunft auf andere Vampire (vielleicht sogar seine geliebte Nora Jones) trifft, die ihm ein wenig vampirisches Selbstbewusstsein verschaffen können. Denn wie auch schon im Vorgänger, kränkelt der Roman etwas an Jonathans tapsiger Natur. Er scheint eine Nase dafür zu haben, in brenzligen Situationen zu landen, aus denen er sich nur mit Not – und aus mehreren Wunden blutend – befreien kann. So schafft er es auch in diesem Roman wieder, zweimal fast um die Ecke gebracht zu werden. Natürlich nicht wirklich, schließlich ist er schon tot. Doch auch wenn er mittlerweile begriffen zu haben scheint, dass man ihn nicht einfach so töten kann, so ist er doch vor Panikattaken nicht gefeit, wenn ihm mal wieder ein Bösewicht an die Gurgel will. Dieses sich ständig wiederholende Schema wird für den Leser bald ermüdend (schließlich zieht es sich nun schon über drei Romane hin) und man kann nur hoffen, dass Jonathan bald Vertrauen zu seinem Zustand fasst.
Ansonsten ist „Der maskierte Tod“ ein uneingeschränktes Lesevergnügen: kurzweilig, unterhaltsam und mit vielen sympathischen Charakteren ausgestattet. Vor allem die gut ausgearbeiteten Nebencharaktere (Elizabeth, Jericho, Oliver) tragen viel dazu bei, dass man sich bei der Lektüre nie langweilt. Und doch hat Jonathan seine Nora wieder nicht gefunden; man hofft, P. N. Elrod spannt ihren Protagonisten und ihre Leser nicht mehr allzu lange auf die Folter und gestattet den beiden ihre lang verdiente Wiedervereinigung!
Auf Jonathans weitere Abenteuer muss man zumindest nicht mehr lange warten: Die Veröffentlichung des vierten Teils der Reihe, „Der tanzende Tod“, ist für Herbst 2005 geplant.
George Washington war eigentlich ein Spion der Briten! Von diesem nie offengelegten Skandal erfährt 1975 der sowjetische KGB, der daraufhin mordlüsterne Agenten ausschickt, um das Beweisdokument zu beschaffen, mit dem man die USA blamieren will … – Dem stellen sich zwei denkbar ungeeignete, aber redliche Verteidiger der Wahrheit gegenüber, die wider alle Wahrscheinlichkeit jede Attacke überleben und die US-Ehre retten können: nie plausibler, oft einfältiger, aber turbulenter Alt-Thriller aus der nostalgischen Vergangenheit der Kalten Krieges.Thomas Gifford – Aquila weiterlesen →
Zehn Jahre hat Edward P. Jones sein Romandebüt „Die bekannte Welt“ vorbereitet. Nun erntet er die Früchte dieser langjährigen Arbeit. „Die bekannte Welt“ war kaum erschienen, da sorgte das Buch auch schon für Furore, nicht zuletzt aufgrund der brisanten Thematik. 2004 heimste Edward P. Jones den Pulitzerpreis ein, in diesem Jahr folgte der IMPAC Award 2005. Reichlich Vorschusslorbeeren, die eine entsprechend hohe Erwartungshaltung wecken.
„Die bekannte Welt“ spielt Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA. Für die meisten Schwarzen endete in Virginia die ihnen bekannte Welt an der Grundstücksgrenze der Plantage, auf der sie arbeiteten. Was dahinter lag, war unbekannt, fremd und Stoff für Träume. So erging es auch Henry Townsend in jungen Jahren. Er wuchs als Sklave auf der Plantage von William Robbins auf. Sein Vater ist einer der Schwarzen, die es geschafft haben. Aufgrund seiner außerordentlichen Begabung in der Verarbeitung von Holz, verdient er sich etwas dazu und spart genug an, um zunächst sich selbst, dann seine Frau Mildred und zuletzt seinen Sohn Henry freizukaufen.
Henry steht fortan auf eigenen Füßen und er macht etwas daraus. Schon bald hat Henry, dank der Unterstützung durch William Robbins, der ihn fast wie einen Sohn behandelt, seine eigene Plantage – mit seinen eigenen Sklaven. Aus heutiger Sicht wirkt es geradezu absurd, dass ein Schwarzer, noch dazu ein ehemaliger Sklave, selbst zum Handlanger der Sklaverei wird, für Henry ist es weder ungewöhnlich noch verwerflich. Zusammen mit seiner Frau Caldonia bewirtschaftet er seine Plantage mit einer stetig größer werdenden Schar Sklaven. Doch das Glück ist nicht von Dauer. Henry stirbt relativ jung, seine Frau Caldonia steht fortan allein vor der Aufgabe, die Plantage am Laufen zu halten. Dennoch kann sie nicht verhindern, dass sich Chaos auf der Plantage einschleicht. Caldonia drohen die Zügel zu entgleiten …
„Die bekannte Welt“ ist weniger eine geradlinig erzählte Geschichte, sondern vielmehr das vielschichtige und groß angelegte Portrait einer ganzen Epoche. In diesem Portrait spiegelt sich eine Phase der Aufbruchstimmung wieder. Immer mehr Sklaven erlangen die Freiheit, auf den ersten Plantagen kommt es zu Aufständen und der Krieg zwischen Süd- und Nordstaaten liegt genauso wie das offizielle Ende der Sklaverei nicht mehr in weiter Ferne. Innerhalb dieser Epoche hat Jones sich ein dunkles und relativ unbekanntes Kapitel herausgefischt: freie Schwarze, die selbst zu Sklavenhaltern werden.
Jones fängt diese Phase der Geschichte ein und skizziert sie anhand einer so großen Vielfalt von Figuren, dass er sogar ein Namensverzeichnis für sinnvoll erachtet hat. Und das ist durchaus angebracht. Jones präsentiert dermaßen viele Figuren, dass man als Leser schon Acht geben muss, dass man nicht den Überblick verliert. So verlangt der Roman ein recht hohes Maß an Aufmerksamkeit, belohnt den Leser aber eben auch mit einem faszinierend breit gefächerten Bild der damaligen Zeit. Jones zeigt alle Seiten auf: Sklaven und Sklavenhalter, Weiße und Schwarze, Freie und Unfreie, Gesetzeshüter und Sklaveneinfänger, Rechtschaffende und Gesetzlose.
Jones Roman weist schon eine beachtliche Tiefe auf. Trotz der Vielzahl der Figuren schafft er es, dem Leser Handlungen und Handelnde nahe zu bringen. Das Innenleben der Protagonisten wird größtenteils recht deutlich, was in Anbetracht der Fülle an Figuren schon beachtenswert ist. „Die bekannte Welt“ ist ein Roman, der uns tief in das Geschehen zieht und eine recht dichte Atmosphäre aufweist, ohne wirklich Spannung zu bieten. Die damalige Zeit wird greifbar und der Roman wirkt insgesamt sehr plastisch in seinen Schilderungen.
Was Jones‘ Erzählweise besonders auszeichnet, ist sein großer Weitblick. Immer wieder streut Jones ein, was aus handelnden Nebenfiguren später einmal wird. Das ist eine Mischung aus Preisgeben und Andeuten, die zum portraitierenden Charakter des Buches beiträgt und dabei hilft, die damaligen Ereignisse in ihrer Bedeutung zu ermessen. Das ist einerseits sehr schön, denn man spürt beim Lesen immer wieder, dass unter der Oberfläche dieses Romans etwas ganz Großes atmet, aber das kann nicht über Schwächen hinwegtäuschen, die ein wenig die Freude trüben.
Jones springt innerhalb der Handlung unglaublich viel hin und her. Ausgehend von Henrys Tod, zieht er seine Geschichte auf und blickt sowohl auf zurückliegende Ereignisse wie auch auf zukünftige. Zusammen mit der Vielzahl an Figuren ergibt das den Effekt der zeitweiligen Desorientierung. Ich habe mich beim Lesen ab und zu mal gefragt, an welcher Stelle der Chronologie sich die Geschichte eigentlich gerade befindet. Manchmal neigt man bei der Lektüre ein wenig dazu, den zeitlichen Rahmen aus den Augen zu verlieren, einfach weil Perspektive und Figuren stetig wechseln.
Teilweise hatte ich obendrein das Gefühl, dass Jones in seiner weitblickenden, stets vorausschauenden Erzählweise ein wenig zu weit geht. So kommt es beispielsweise vor, dass während einer Unterhaltung zwischen zwei Figuren immer wieder auf bestimmte zukünftige Ereignisse eingegangen wird. Eine Figur sagt einen Satz, anschließend lässt Jones den Blick in die Zukunft schweifen, als nächstes gibt eine andere Figur eine Antwort auf den vorangegangenen Satz, während Jones gleich darauf wieder in die Zukunft springt. Diese Wechsel mitten in den Dialogen haben den etwas unangenehmen Nebeneffekt, dass sie die Geschichte zerstückeln. Ohne etwas gegen Zeitsprünge zu haben, sind mir Zeitwechsel dieser Art einfach zu abgehackt. Sie trüben die Atmosphäre und in meinen Augen hätte Jones gut daran getan, von solchen Spielereien die Finger zu lassen.
Recht unscheinbar ist Edward P. Jones in seiner ganzen Erzählart. Sprachlich wirkt der Roman sehr unauffällig und schlicht, geradezu einfach. Jones erzählt sehr zurückhaltend und bringt trotz dieser sehr einfachen Art seine Figuren recht gut zur Geltung. Er gibt ihnen viel Raum sich zu entfalten. Sie bilden den unumstrittenen Mittelpunkt der Geschichte. Sie wachsen einem im Laufe des Romans durchaus ans Herz und wirken so durch und durch menschlich, dass man sie fast für echt halten möchte.
Jones zeichnet ein lebhaftes Bild einer Epoche, in dem auch Platz für viele kritische und nachdenklich stimmende Zwischentöne ist. Allein die Tatsache, dass Henry Townsend, die zentrale Figur der Geschichte, ein Schwarzer ist, der selbst Sklaven hält, zeigt schon, dass Jones (ebenfalls Afroamerikaner) durchaus auch zur Kritik an der eigenen Rasse fähig ist.
In der Handlung tauchen einige freie, teils sklavenhaltende Schwarze auf, die einem zu manchen Punkten der Handlung das Gefühl geben, dass die Hautfarbe vielleicht doch keine so große Rolle spielen mag, wie es uns die reale Geschichte eigentlich gelehrt hat – zumindest solange man frei ist. Aber diese Flausen weiß Jones einem auszutreiben. Knallhart holt er den Leser auf den Boden der Tatsachen zurück und zeigt, wie sehr die Hautfarbe doch alles dominiert und liefert mit seinem Roman letztendlich Material für interessante Gedankenspielereien. Jones zwingt den Leser dazu, die Perspektive zu wechseln und den Horizont zu verändern. Schon deswegen wird man das Buch nach der Lektüre noch eine ganze Weile im Gedächtnis behalten.
Was die historischen Hintergründe anbelangt, so wird es schwierig, wirklich stichhaltige Informationen zu finden. Die Frage, ob es damals wirklich schwarze Sklavenhalter gab oder nicht und wenn ja, wie viele, lässt sich kaum befriedigend beantworten – kein Wunder also, dass Jones selbst zehn Jahre in die Recherche investiert hat, bevor er sich daran machte, seine Geschichte innerhalb von sechs Monaten aufzuschreiben. Er selbst bezeichnet den Roman vielsagend als „historisch stichhaltig aber zu 98 Prozent erfunden“.
Alles in allem schlägt man das Buch am Ende mit etwas gemischten Gefühlen zu. Man spürt beim Lesen, dass unter der Oberfläche von Jones‘ Debütroman etwas Großartiges schlummert, aber es dringt nicht immer bis an die Oberfläche und ist nicht immer ganz leicht zu erfassen. Der Erzählfluss wird immer wieder für Rück- und Vorblenden unterbrochen, was in einigen Momenten etwas abgehackt wirkt und es dem Leser erschwert, die Chronologie im Auge zu behalten. Jones‘ Stil wirkt einfach und nüchtern, hin und wieder funkelt in manchen Absätzen aber auch eine gewisse Poesie auf.
Die Vielfalt der Figuren wirkt zunächst etwas unübersichtlich, ist aber vielleicht auch gerade deswegen in der Lage, ein weitreichendes Bild der damaligen Zeit zu skizzieren. Nicht immer bis in den letzten Winkel fesselnd, aber dennoch ist „Die bekannte Welt“ eine Geschichte, die man mit großem Interesse weiterverfolgt. Jones‘ Weitblick in erzählerischer Hinsicht und die Tiefe der Erzählung ganz allgemein ermuntern zum stetigen Weiterlesen. Jones skizziert ein groß angelegtes Gemälde einer ganzen Epoche, das vor allem wegen seiner nahe gehenden Figuren im Gedächtnis bleiben dürfte.
Schottische Hochland-Hasen geraten ins Visier eines gewaltigen und zudem verrückten Raubvogels, der das Nagervolk terrorisiert und dezimiert, bis ein Junghase entschlossen den Kampf gegen das Ungeheuer aufnimmt … – Tier-Fantasy der ‚erwachsenen‘ Art, d. h. ohne kitschige Verniedlichung der Figuren, die sich (weitgehend) tiergerecht in ihrer eigenen Welt bewegen: spannend trotz des nur scheinbar monotonen Feld-und-Wiesen-Umfelds. Garry Kilworth – Tänzer im Frost weiterlesen →
Eva, Otto und Friedrich begeben sich unter der Leitung Anders in Richtung Unterhessen, dem sagenumwobenen Land unterhalb der Erdschicht. Die Reise gerät nicht ungefährlich, da überall nicht gerade wohlgesonnene Charaktere in den dunklen Winkeln Unterhessens warten. Auch der Empfang gerät alles andere als herzlich. Für den verletzten Friedrich endet die Reise im Kerker, Eva und Otto sehen sich dahinvegetierend, ohne Habe und Dach über dem Kopf, auf der Straße wieder. Durch Unwissenheit über die Gesetze Unterhessens befinden sich auch Eva und Otto alsbald in einem saftigen Konflikt mit der Legislative des Landes. Ander kann den beiden gerade noch aus der Patsche helfen. Allerdings war es nicht das letzte Mal, dass sich kaum lösbare Probleme vor unseren Helden auftürmen …
Auch im zweiten Teil des „Chroniken der Anderwelten“-Zyklus werden die Protagonisten durch allerhand Abenteuer gescheucht. Dennoch wird der schnelle Erzählstil des [ersten Bandes 1507 gerade in der ersten Hälfte des zweiten Buchs etwas gedrosselt, in der die Gesetzeskonflikte auftreten und in der viel vor Gericht gestritten und geurteilt wird. Etwa ab der Mitte nimmt das Buch aber wieder ordentlich Fahrt auf, zieht den Spannungsbogen wie schon im ersten Band unbarmherzig an und mischt allerlei Stilelemente, von Horror über Grusel und Fantasy, zu einem stimmigen Gebräu, das die Traumthemen nach dem Einschlafen angenehm beeinflussen sollte.
Das größte Plus an Lancesters Werk ist und bleibt die Bildgewalt der Landschaften, die sich als fremde, dennoch wunderschöne Welten aus dem Nichts vor dem geistigen Auge erheben. Eine kleine Parallele sehe ich hier zu George Lucas‘ „Star Wars“-Filmen, in denen des Öfteren neue, skurrile und liebevoll gezeichnete Welten erschaffen wurden. Ähnlich gekonnt beschreibt Lancester sein Land, seine Schöpfung, die zu nicht geringem Anteil auch durch Tolkiens Schaffen beeinflusst sein sollte (aber welche Fantasy ist das heute nicht?).
Lancester verliert sich zudem nicht einzig in der Phantasie, sonderen bindet, vor allem bei den Gesetzeskonflikten, sozialkritische Fragen mit ein. Letztendlich bietet „Unterm Doppelmond“ einmal mehr spannende Unterhaltung und eine Welt, die jeder lieben wird. Man hat keine andere Möglichkeit, als gierig Seite um Seite zu verschlingen, um unsere Helden in Sicherheit zu wissen. Eine Sicherheit, die trügerisch und damit doch wieder unsicher ist. Gerade dieser Umstand gerät als wirklich quälend, denn irgendwann muss man den Roman ja mal auf die Seite legen.
Orthographisch einwandfrei zu Papier gebracht, überzeugen auch dieses Mal zudem das treffende Cover, die Schriftgröße und die Aufmachung des Buches. Lasst euch also nach Unterhessen entführen, ein Land, in dem nichts ist wie es scheint, in dem in jeder Ecke große Überraschungen warten und das im Leserhirn wie ein großer bunter Luftballon explodiert. Menschen, die mit „Herr der Ringe“ und „Krieg der Sterne“ klar kommen und denen auch ein Stück Horror und Grusel nichts ausmacht, dürften mit den „Anderwelten“-Büchern bestens unterhalten werden. Band drei kommt übrigens Ende des Jahres, die weiteren im Halbjahresrhythmus. Kaufen, es lohnt sich!
Mathieu Gaborits Saga über das „Reich des Feuervogels“ ist einer der wenigen nicht-englischsprachigen Zyklen, die in Deutschland erscheinen. Schon der erste Teil „Der scharlachrote Turm“ und entführte uns auf eine Inselgruppe, deren Reiche nicht nur die Namen von Fabelwesen wie Greif, Drache und Einhorn tragen, sondern in denen auch tatsächlich solche Wesen mit den Menschen leben, ihnen die Magie geben und sie beschützen.
Einzig die Diener der Phönixe sind in allen Ländern beheimatet, denn die Feuervögel sind zum einen mächtiger als die anderen Fabelwesen, zum anderen aber auch nur von wenigen zu kontrollieren und zu bezähmen. Zu schnell kann Chaos und Vernichtung aus deren Feuer entstehen – „das Aas“, die Nachfahren und die Essenz pervertierter Fabelwesen, der Inbegriff des Bösen, sind das beste Beispiel.
Der junge Phönike Januel hat erst vor kurzem die geschützte Zuflucht des Turms von Sedana verlassen und trägt inzwischen eine schwere Verantwortung. Denn nur er besitzt die Macht, das Böse aufzuhalten, nachdem alle Meister umgebracht wurden und die meisten Türme der Phöniken in Schutt und Asche liegen.
Unbemerkt von den anderen Reichen ist das „Aas“ bereits seit einiger Zeit auf dem Vormarsch. Der König des Aases weiß sehr wohl um Januel, der nicht nur einen Phönix der Uranfänge, sondern auch die Macht der „Welle“ in sich birgt, der Kraft alles Lebenden, die für die wandelnden Toten Gift ist. Deshalb schickt er seine Häscher aus, um den jungen Mann in seine Gewalt zu bringen, bevor dieser seine Aufgabe zur Gänze kennt und womöglich auch noch mehr als eine Handvoll Verbündete gewonnen hat.
Januel hat indessen mit anderen Problemen zu ringen. Nicht nur, dass er mit der in ihm brodelnden Kraft zu kämpfen hat und diese noch nicht ganz beherrscht, nein, man macht ihn dafür verantwortlich, dass der Kaiser des Greifen-Imperiums und sein Hofstaat ums Leben gekommen sind, und will sich an ihm rächen …
Mathieu Gaborit gelingt es, vertraute Versatzstücke der Fantasy neu anzuordnen. Er konzentriert sich auf Fabelwesen, die in den meisten angloamerikanischen Romanen gerne vernachlässigt werden und begeht nicht den Fehler, sie zu vermenschlichen oder als bloße Tiere zu betrachten, wie es ebenfalls oft genug passiert. Zudem verknüpft er die Magie auf glaubwürdige und interessante Weise mit den verschiedenen Kreaturen, wobei vor allem die Phönixe eine Rolle spielen.
Im zweiten Band „Das lodernde Schwert“ weitet er diese Mythologie ein wenig aus und nimmt sich Zeit, dem Leser das Gefüge der Kräfte auch aus der Sicht des Aases zu schildern. Indem dort ebenfalls Figuren und Geschöpfe mit Namen und Leben erfüllt werden, gewinnt der Gegner an Profil und Gewicht, und wird damit noch um so gefährlicher.
Allerdings fällt der zweite Band spannungsmäßig doch ein wenig gegenüber dem ersten Teil ab – es geschieht weniger an Action, und die Handlung wird vor allem durch die ständigen Sprünge zwischen den Handlungsebenen erzielt.
Sowohl Januel als auch das Aas halten in ihrem Vormarsch inne, sie stecken das Schlachtfeld ab und festigen die Macht in ihrem jeweiligen Bereich – was allerdings stellenweise recht langweilig wird, ähnlich wie die Ausarbeitung der magisch-mythischen Hintergründe. Wen das nicht abschreckt, der wird sicherlich weiterhin fasziniert über die Welt lesen und mehr erfahren wollen.
Um dieses Buch zu verstehen, ist der erste Band zwingend erforderlich, und da der zweite Band mit einem Cliffhänger endet, wird der Leser auch ein wenig im Raum stehen gelassen, was leider weitere leichte Abzüge in der B-Note gibt.
|Originaltitel: Les Chroniques des Feals 2: Le Fiel
Aus dem Französischen von Michael von Killisch-Horn|
_Christel Scheja_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|
Lange haben sich Hohlbein-Anhänger gedulden müssen, doch Ende letzten Jahres ist sie endlich gestartet: die Comic-Reihe zum Bestseller-Zyklus „Die Chronik der Unsterblichen“, veredelt vom |Ehapa|-Verlag und erschaffen vom Duo Nejmain von Eckertsberg und Thomas von Kummant, die beide schon einschlägige Erfahrungen bezüglich Graphic Novels mit historischem Inhalt vorweisen können. Von Eckertsberg arbeitete dabei auch schon mit seinem Kollegen für „Goethe 2 – Zum Schauen bestellt“ im Auftrag des Goethe-Instituts zusammen, in dem er von Kummants Zeichnungen mit Farben anreicherte. Außerdem steuert er den monatlichen Comic zum Fashion-Magazin „Maxim“ bei. Erste Erfahrungen mit den Werken von Wolfgang Hohlbein sammelte Benjamin von Eckertsberg anschließend, indem er ebenfalls mit von Kummant die Cover zur Sammler-Edition von Hohlbeins Werk „Der Hexer“ illustrierte. Man sieht, hier arbeitet ein eingespieltes Team zusammen, kein Wunder also, dass der erste Teil des Comics der Original-Buchreihe dem qualitativ in nichts nachsteht.
_Story:_
Andrej Delany kehrt nach Jahren in sein Heimatdorf zurück, aus dem er schon in frühester Kindheit aufgrund eines Streiches verbannt wurde, infolgedessen man ihn der Hexerei und schwarzen Magie bezichtigte. Als Ausgestoßener zog es ihn in die transilvanische Bergwelt, wo er von seinem Stiefvater in der Kampfkunst unterrichtet wurde und den Umgang mit dem Schwert erlernte. Als jedoch seine Familie ums Leben kommt, entdeckt Andrej seine Bestimmung und reist zurück in den Ort, in dem er schon lange kein willkommener Gast mehr ist.
Bei seiner Rückkehr geht es Delany vor allem darum, seinen Sohn wiederzusehen. Doch der kleine Ort ist nicht mehr das, was er einst war. Andrej stößt auf Spuren der Verwüstung, auf brutal verstümmelte Leichen und Überbleibsel eines brutalen Gemetzels. Seinen Sohn entdeckt er aufgespießt wieder, jedoch scheint er als einziger Mensch überlebt zu haben. Um ihn von seinen Qualen zu befreien, tötet Andrej ihn schließlich, wird im Anschluss aber von noch größerer Pein geplagt.
Dann entdeckt er Frederic, ebenfalls ein Nachkomme der Delany-Familie, der Andrej von den Vorkommnissen in seiner Heimat berichtet und trotz seiner Jugend Rache schwört. Zunächst will sich der zurückgekehrte Krieger nicht auf die Gelüste seines jungen Kumpanen einlassen; als sie jedoch zum ersten Mal selber in einem brutalen Kampf mit dem Tod konfrontiert werden, die Schlacht allerdings überleben, ziehen sie gemeinsam mit einem weiteren Kumpanen auf einen Rachefeldzug gegen den Kirchenfürsten Domenicus und stoßen dabei auf einige grausame Geheimnisse …
_Bewertung:_
Die Geschichte ist wirklich sehr spannend und in den Zeichnungen sehr packend illustriert worden. Die Brutalität der Story wird dabei in keiner einzigen Zeichnung ausgelassen, wobei speziell die Bilder von den Opfern und der puren Zerstörung mehr aussagen als viele Worte. Hier gilt den beiden Zeichnern ein gehöriges Lob. Ebenfalls gut gefällt, dass man einen recht eigenen Stil entwickelt hat, der zwar auf den ersten Blick etwas schwammig wirkt, im Detail aber umso besser gefällt, weil man sich hier weder an den überspitzt dargestellten asiatischen noch an den farbenfrohen amerikanischen Vorlagen orientiert hat. Stattdessen haben von Kummant und von Eckertsberg einen sehr düsteren Comic erschaffen, der wunderbar die Atmosphäre der Handlung einzufangen imstande ist.
Prinzipiell ist die Comic-Ausgabe von „Am Abgrund“ – so der Name des ersten Bandes – recht simpel dargestellt; die beiden Zeichner haben nicht übertrieben in ihren Illustrationen, sondern sich vermehrt darauf konzentriert, die Stimmungen der Haupdarsteller und der Geschichte an sich in ihren stets dunklen Zeichnungen einzufangen. Natürlich kommt ihnen der eigentliche Handlungsstrang bei dieser Vorgehensweise zugute, dennoch kann man dem Duo dazu gratulieren, das Ganze genau passend umgesetzt zu haben.
Schade ist lediglich, dass die eigentliche Story hier nur in der Kurzform beschrieben wird; Details, wie sie Hohlbeins Vorlage liefert, werden also immer wieder bewusst ausgespart. Sicher, man kann nicht die ganze Geschichte illustrieren, das wäre zu viel des Guten, aber ein wenig ausführlicher und mit weniger Zeitsprüngen (gerade zur Mitte des Comics) wäre das Unterfangen letztendlich noch besser geglückt. Aber wer weiß, vielleicht gelingt es den beiden Zeichnern ja schon beim nächsten Mal, etwas mehr in die Tiefe zu gehen.
Andererseits muss man sich vor Augen halten, dass es hier vermehrt um die Zeichnungen und erst dann um die Wiedergabe der Geschichte geht. Man kann der Linie folgen, erfreut sich aber viel mehr an den tollen Bilder. Deshalb bleibe ich auch dabei und empfehle diesen Band sowohl an Comic- als auch an Fantasy-Begeisterte. Den Wunsch, beim nächsten Mal ein etwas dickeres Buch vorgelegt zu bekommen, kann ich indes trotzdem nicht unterdrücken …
Kurz noch ein paar Worte zur Aufmachung: „Am Abgrund“ kommt in einer wirklich schicken Hardcover-Edition und schindet schon deshalb Eindruck. Einige Worte zu den Zeichnern, ein herrliches Cover und das glänzende Papier ergänzen den Rahmen dabei nahezu perfekt und liefern einen weiteren Grund, sich auch mal mit der Comic-Auflage von „Die Chronik der Unsterblichen“ auseinanderzusetzen.
|Siehe dazu auch unsere Rezension des ersten Bandes in der [Hörbuchfassung. 891 |
Mit „Der Knochenpoet“ brachte die 1966 geborene Autorin Susanne Kraus im April dieses Jahres ihren ersten historischen Roman auf den Markt. Die „Autorin zum Angreifen“ – ein Versprecher bei einer ihrer Lesungen brachte diesen Ausspruch zu Wege, den sich die Schriftstellerin dann humorvoll aneignete – studierte Osteuropäische Geschichte, Französische Philologie und Slawistik und schloss 1993 als Magistra Artium ab. Es folgte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, u. a. in einer diakonischen Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung und in der Pressestelle der Stadtverwaltung Kaiserslautern. Seit 2004 arbeitet sie für die Stadtbibliothek Kaiserslautern und ist derzeit mit der Fortsetzung von „Der Knochenpoet“ beschäftigt.
Der Roman entführt uns ins Lautern vor ca. 850 Jahren, als das Flüsschen Lauter noch munter an der Erdoberfläche entlang plätscherte und in dem Ort wohl noch nicht mehr als hundert Menschen wohnten. Mit dem heutigen Kaiserslautern also nicht zu vergleichen. Die Ankunft des Kaisers Friedrich, auch Barbarossa genannt, steht für den nächsten Tag an und in der Burg Beilstein herrscht helle Aufregung. Eine Truhe mit Knochen wurde gefunden, aber wer ist der oder die Tote?
Um böse Eventualitäten auszuschließen, erfindet das Burgfräulein Rotrund von Saulheim die passende Geschichte einer Heiligen, deren Knochen nun ein durchgereister Mönch als Dank für Speis und Trank dagelassen hatte, und verfrachtet die Truhe kurzerhand aus der Reichweite unangenehmer Fragen.
Bereits am selben Tag taucht der Spielmann Trushard Scharfzunge aus Köln in der Burg auf und wird wie erwartet von Rotruds Vater, dem Ministerialen (unfreie Dienstleute, d. Verf.) Merbodo von Beilstein, umgehend abgewiesen. Spielleute sind rechtloses, unsittsames und unerwünschtes Pack, das kein anständiger Burgherr beherbergen möchte. Doch der Vater hat nicht mit seiner ungehorsamen Tochter gerechnet, deren Herz für den Künstler entflammt ist und die ihn ungeniert zum Bleiben auffordert. Als waschechte Dame in der Burg zwingt sie den „Knochenpoeten“, wie er aufgrund seiner knochendürren, hochgewachsenen Gestalt betitelt wird, zu einem ausgiebigen Bad, bei dem sie die Geschichte seines von Wunden bedeckten Rückens erfährt. Wibald von Turme ist der Schänder – ein Name, der ihr wohl vertraut ist, hatte dieser brutale Zeitgenosse doch fünf Jahre zuvor ihre Schwester vergewaltigt und damit in den Selbstmord getrieben.
Doch die schlimmste Nachricht folgte: Wibald befand sich im Gefolge des Kaisers und damit auf dem direkten Weg zu ihrem Vater, der die Schmach und den Verlust seiner Tochter nie verwunden hatte. Wie sollte sie verhindern, dass die beiden aneinander gerieten und ihr Vater sie und ihren fünfjährigen Bruder ins Unglück stürzte?
Am nächsten Tag sieht sie ihre Befürchtungen Realität werden. Ihr Vater schlägt Wibald in einem Anfall von Raserei und nur mühsam gelingt es ihr, ihn von weiteren Handgreiflichkeiten abzubringen. Barbarossa, der über den unerfreulichen Zwischenfall natürlich informiert wird, setzt für den nächsten Morgen ein klärendes Gespräch zwischen den beiden Kampfhähnen an. Doch dazu soll es nicht kommen.
Rotrud, wild entschlossen, ein öffentliches Duell zu verhindern, um nicht zur Waisen zu werden, sieht in einem privaten Gespräch mit Wibald die Rettung. Sie will ihn überzeugen, sich unter vier Augen bei ihrem Vater zu entschuldigen, stattdessen wird sie Ohrenzeuge seines Todes und vom Mörder, den sie leider nicht gesehen hatte, verfolgt. Als Wibald erwartungsgemäß nicht zum Gespräch vor dem Kaiser erscheint und der Mord diesem gemeldet wird, stellt Barbarossa ihren Vater unter Arrest. Doch diesem gelingt prompt die Flucht und er versteckt sich erstmal erfolgreich. So bleibt Rotrud nichts anderes übrig, als sich Trushard zu schnappen und auf Spurensuche zu gehen. Verdächtige gibt es glücklicherweise genug, zu denen aber unglücklicherweise auch der Knochenpoet gehört…
Tja, und nun? Um es vorweg zu nehmen: Eigentlich finde ich den Roman gut. Für ein Debüt auf dem historischen Grund und Boden auch ganz standfest. Zwei verschiedene Handlungsstränge – der Mord an Wibald und das Rätsel um die Knochentruhe – eignen sich hervorragend, um den Leser neugierig werden zu lassen. Ein flüssiger Schreibstil, eine treue Personencharakterisierung und zwielichtige Gestalten sind auch immer gut und leider nicht immer vorhanden. Aber im Großen und Ganzen hätten wir die Vorteile damit auch schon erschöpft.
Was mich am meisten stört, sind die Charaktere selbst. Warum sind es immer junge Frauen, die nicht in ihre Zeit gehören wollen, weil sie sich der männerdominanten Mittelalterzeit nicht anpassen möchten? Weil es sonst zu langweilig wäre, schon klar. Aber können sich unsere Autoren nicht mal etwas Besseres einfallen lassen als eine zu selbstständige und zu gebildete Heldin, die sowieso immer solo ist, damit sie sich zu allem Übel noch in einen unpassenden Zeitgenossen verlieben kann? Als eine Abenteurerin, die ihren Mund nicht halten kann, sich ritter- und heldenhaft in Detektivgeschichten verwickeln lässt, um ihre kleine Welt zu retten, in der sie ja ohnehin nicht leben möchte? Gut, in einem Punkt hat mich Rotrud nicht enttäuscht: Mit ihr wurde endlich mal eine Heldin geboren, die Mut zur Hässlichkeit beweist. „Ich hingegen besaß nur die Sturheit eines Esels und die Attraktivität eines Suppenhuhns.“ Dieser Satz bezauberte mich! Mehr davon!
Der „Knochenpoet“, immerhin Titelgeber des Romans, ist ein typischer Vertreter des „Heldin-verliebt-sich“-Volkes: Ihres Standes unwürdig, dafür sanft und verständnisvoll, humorvoll und geistig erhellt, zärtlich und verspielt – also der perfekte Mann, denn Geld und Ehre sind ja nicht alles. Okay, das mag ja auch stimmen, nur habe ich es ihm nicht abgekauft, erst recht nicht, wenn er einige Seiten später als Hauptverdächtiger dargestellt wird. Meine Phantasie erwacht ja sofort bei der Vorstellung, er wäre wirklich der Täter – wie reagiert unsere tapfere Heldin bei dieser Unmöglichkeit?
Auch leichte Logikschwächen ließ die Autorin nicht aus: Zum einen fürchtet Rotrud, ihren Vater bei einem Duell zu verlieren, zum anderen will sie dessen Widersacher zu einer Entschuldigung zwingen, weil dieser im Kampf wohl unterliegen würde. Was denn nun?
Als sie vom Tatort des Mordes wegläuft und den Atem des Mörders in ihrem Nacken spürt, will uns die Autorin weismachen, dass sich das Mädchen so unter Kontrolle hat, keinen Blick über die Schulter zu werfen. Für mich nicht gerade realistisch, aber nun gut, sei die Heldin eben so diszipliniert in einer dermaßen lebensbedrohlichen Situation.
Aber das ist alles gar nicht so schlimm, wie es sich anhört, denn wie eingangs erwähnt, ist der Roman trotz aller Schwächen durchaus lesenswert und unterhaltsam. Die Geschichte der Knochentruhe entschädigte mich für die kleinen Logikpatzer voll und ganz, die Kabbeleien zwischen dem Liebespaar kamen mir auch sehr bekannt vor und riefen bei mir stellenweise ein breites Grinsen hervor – Männlein und Weiblein können eben nicht mit- und auch nicht ohne einander – und die Story an sich war spannend und fließend aufgebaut. Der Schreibstil war ebenmäßig und las sich komplett ohne Stolpersteine und Grammatikfallen, und das Nachwort von Susanne Kraus erklärt dann die historischen Fakten über Barbarossas Besuche in Lautern. Für die Fortsetzung wünsche ich mir einfach nur etwas mehr Tiefgang bei den Protagonisten, eine Prise mehr Realitätssinn und eine Messerspitze weniger Widersprüche, dann einmal kräftig umrühren und um die schriftstellerische Karriere der Autorin müssen wir uns keine Sorgen machen.
Homepage der Autorin: http://susanne-kraus.homepage.t-online.de
23. Mai 1939: Das gerade vom Stapel gelaufene Unterseeboot „USS Squalus“ verlässt die Marinewerft Portsmouth im US-Staat New Hampshire an der Atlantikküste Neuenglands und geht auf seine 19. Testfahrt. Routinemäßig geprobt werden soll das so genannte Alarmtauchen: Das mit voller Kraft an der Wasseroberfläche fahrende U-Boot taucht binnen 60 Sekunden bis auf Sehrohrtiefe (15 m). Zunächst gelingt das Manöver reibungslos, doch plötzlich dringt Meerwasser durch die offensichtlich nicht korrekt geschlossenen Belüftungsschächte der Dieselmaschinen ein. In kürzester Zeit laufen die Maschinenräume voll. Verzweifelt versucht die Besatzung, den Wassereinbruch zu stoppen, doch vergeblich. Drei der sieben durch Schotte voneinander zu trennenden Abteilungen des Bootes laufen voll. 26 von 59 Männern sterben sofort, und die „Squalus“ sinkt auf den Meeresboden. In 74 Metern Tiefe erwarten die Überlebenden ihr Schicksal – und das wird grausam sein: Obwohl Unterseeboote schon seit etwa einem halben Jahrhundert die Ozeane der Welt befahren, wurden in dieser Zeit niemals wirksame Methoden zur Unterwasser-Rettung von Seeleuten entwickelt! Die Havarie eines U-Bootes ist seit jeher identisch mit dem Ende seiner Insassen.
Allerdings gibt es in den Reihen der US-Marine einen energischen Offizier, der seit mehr als einem Jahrzehnt unermüdlich daran arbeitet, dies zu ändern. Charles Bowers „Swede“ Momsen, Leiter einer Tiefseetauchereinheit, ist zum Zeitpunkt der „Squalus“-Katastrophe auf der Marinewerft von Washington wie immer unermüdlich damit beschäftigt, mit seinem Team Methoden der Unterwasser-Rettung zu entwickeln. Der hoch engagierte Spezialist nimmt kein Blatt vor den Mund und ist bei seinen Vorgesetzten nicht gerade beliebt. Doch er ist der anerkannte Spezialist in seinem Fach, und so werden er und seine Leute sogleich nach Portsmouth geflogen.
Auf so eine Chance hat Momsen seit Jahren gewartet, die seiner wichtigsten Erfindung, der Rettungs-Tauchglocke, den Durchbruch verschaffen kann. Nun bietet sich ihm die Möglichkeit, die 33 Überlebenden der „Squalus“ zu retten, die auf dem Meeresgrund in Dunkelheit und Kälte verzweifelt aber diszipliniert warten. Auf der Oberfläche beginnt die größte Rettungsaktion der Seefahrtsgeschichte. Eine ganze Flotte steuert die Unglücksstätte an. Behindert von stürmischem Wetter, hohem, unberechenbaren Seegang und einer noch nie im Ernstfall erprobten Technik, entwickelt sich das Unternehmen zu einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit …
Ende der 60er Jahre erfuhr der Journalist und Schriftsteller Peter Maas zum ersten Mal von „Swede“ Momsen, dem Untergang der „USS Squalus“ und der Rettung ihrer Mannschaft. Dies ist eine Geschichte, die es zu erzählen lohnt; erstaunlich, dass dies bisher nicht geschehen war. Unter den Seeleuten der US-Marine genoss Momsen längst die Achtung, die ihm zukommt, doch in der breiten Öffentlichkeit war die „Squalus“-Katastrophe längst in Vergessenheit geraten. Sie hatte 1939 zwar landesweites Aufsehen erregt, wurde aber vom nur wenige Tage später erfolgenden Ausbruch des II. Weltkriegs rasch aus den Schlagzeilen verdrängt.
Drei Jahrzehnte später musste Peter Maas erfahren, dass auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges erneut niemand an einem längst vergessenen U-Boot-Unglück interessiert war. Er legte seine Aufzeichnungen beiseite und widmete sich anderen Projekten. Los ließ ihn die „Squalus“-Geschichte allerdings nie. Noch einmal dreißig Jahre später holte Maas, inzwischen durch seine Reportagen und Romane zu Welt- und Hollywoodruhm gelangt, sein Manuskript wieder hervor. Inzwischen war ihm nicht nur die Aufmerksamkeit seines Publikums sicher; das Wissen um die Geheimnisse der Tiefsee hatte enorm zugenommen und ermöglichte es ihm, die Ereignisse von 1939 zum Teil völlig neu zu bewerten. Ihren besonderen Wert gewannen natürlich auch jene Interviews, die Maas mit Charles Momsen vor dessen Tod noch hatte führen können.
Das Ergebnis ist ein spannendes Kapitel Seefahrtsgeschichte. Neben die Darstellung der enormen technischen Schwierigkeiten, mit denen die Retter konfrontiert wurden, tritt die Not der in ihrer sich mit Wasser und giftigem Chlorgas füllenden U-Boot-Röhre gefangenen Seeleute, die Entschlossenheit und der Wagemut ihrer Retter, die sich an ihre lebensgefährliche Aufgabe machen, die Angst der Angehörigen, die lange im Unklaren gelassen werden müssen, wer das Unglück überlebt hat und wer nicht.
Maas‘ Bericht über die erste „richtige“ Unterwasser-Rettungsaktion der Geschichte gewann unverhoffte, wenn auch traurige Aktualität durch das in der Barentssee havarierte russische U-Boot „Kursk“. Sämtliche 118 Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben. Vom jämmerlichen Zustand der russischen Marine und der Menschenverachtung ihrer Führung einmal abgesehen, verdeutlicht dieses Unglück, dass sich seit 1939 eines nicht geändert hat: Auch im 21. Jahrhundert kann unter dem Meeresspiegel der erste Fehler leicht der letzte sein!
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