Morgan, Fidelis – Unnatural Fire

_Die Autorin_

Fidelis Morgan wurde durch einen Streich des Schicksals in einem roten Zigeunerwagen in der Nähe von Amesbury geboren. Wann dieses denkwürdige Ereignis exakt vor sich gegangen ist, ist anscheinend ein gut gehütetes Geheimnis, doch es muss wohl in den 50er Jahren gewesen sein. Sie ist als Tochter eines Zahnarzts im Raum Liverpool aufgewachsen und hat einen Abschluss in „Drama and Theatre Arts“ von der Birmingham University. Dort hat auch ihr Interesse an der Restaurationsperiode und insbesondere ihrem Theater seinen Ursprung genommen. Heute ist Fidelis Morgan eine recht erfolgreiche Schauspielerin. Obwohl sie auch in britischen Fernsehproduktionen wie u.a. „Jeeves & Wooster“, „Big Women“, „Mr. Majeika“, „As Time Goes by“ und „Dead Gorgeous“ aufgetreten ist, liegt ihr Erfolg doch hauptsächlich am Theater. Besonders gerühmt wurde ihre Arbeit am Glasgow Citizens Theater. Neben der Schauspielerei hat sie auch an der Adaption von Romanen für die Bühne mitgearbeitet. Bevor sie begann, historische Romane zu schreiben, hat sie bereits fachliche Abhandlungen über Theater und Schauspieler der Geschichte, insbesondere der Restaurations-Periode, veröffentlicht.

„Unnatural Fire“ war Fidelis Morgans erster Roman und zugleich ist er der erste Band einer Serie von vier historischen Kriminalromanen um zwei eher ungewöhnliche Detektivinnen. Die nachfolgenden drei sind: „The Rival Queens“, „The Ambitious Stepmother“ und „Fortunes Slave“. Weitere Bücher dieser Reihe scheinen momentan nicht geplant zu sein. Für alle, die sich nicht an die englische Originalausgabe trauen, ist unter dem Titel „Die Alchemie der Wünsche“ eine deutsche Übersetzung des hier behandelten ersten Teils erschienen (siehe unten).

_Alchemie und Mord_

Unsere Geschichte spielt im London des Jahres 1699: Anastasia Ashby de la Zouche, Baroness Penge und Countess of Clapham, eine ehemalige Geliebte von Charles II., durchlebt schwere Zeiten: Nicht nur, dass ihr betrügerischer Ehemann ihr mitsamt des Familiensilbers nach Amerika entwischt ist, außerdem plagen die Gräfin auch akute Geldsorgen. Fast alle versetzbaren Möbel ihres Hauses sind bereits verhökert und von den ehemals zahlreichen Dienern ist ihr nur noch der eher exzentrische, alte Godfrey geblieben. Dem Schuldturm entkommt sie nur noch, in dem sie ihre Gabe, Skandale auszuschnüffeln, einem Zeitungsverleger anbietet. Gemeinsam mit Alpiew, ihrer einstmaligen Kammerzofe, will sie nun für die Zeitung die Schmutzwäsche der Reichen und Bedeutsamen durchsuchen.

Doch eines Tages erscheint eine Dame, die Alpiew und die Gräfin anheuert, ihrem eigenen Mann nachzuspionieren, den sie verdächtigt, eine Geliebte zu haben. Die beiden folgen dem vermeintlich betrügerischen Ehemann Beau Wilson einen Tag lang und werden Zeuge, wie der Mann im übelsten Viertel der Stadt entführt wird, nur um am nächsten Tag vergnügt pfeifend wieder vor seiner eigenen Haustür zu stehen, als sei nichts passiert. Als sie ihm am zweiten Tag nachspionieren, trifft er tatsächlich mit einer Frau zusammen, von einem zärtlichen Stelldichein kann aber keine Rede sein, denn die Gräfin stolpert kurz darauf über seine Leiche und die Frau entkommt in das Dunkel der Nacht.

Als die Behörden die Ehefrau des Ermordeten festnehmen, bietet diese dem weiblichen Spürnasenteam eine reiche Entlohnung, wenn es Beweise ihrer Unschuld oder – noch besser – den wahren Mörder finden könnte.
Und damit beginnt die Schnitzeljagd der beiden unwahrscheinlichen „Detektivinnen“ durch das historische London, durch alchimistische Labore, Theater, französische Restaurants, Gefängnisse und dunkle Spelunken. Während für Mrs. Wilson im Gefängnis die Zeit immer knapper wird, können die Countess und Alpiew einige Ungereimheiten in Beau Wilsons Leben entdecken, und in einem alchimistischen Labor finden sie bald darauf das Hausmädchen Betty tot auf, deren Leiche im Dunkeln leuchtet. Und Bettys letzter Hinweis auf ihren Mörder ist die Zahl 33.

_Zwei alte Schachteln räumen auf_

Selten sind mir zwei außergewöhnlichere Hauptfiguren in einem historischen Roman untergekommen. Wer liest, die Hauptfiguren eines historischen Kriminalromans seien eine Gräfin und ihre Ex-Zofe, hat vermutlich – genau wie ich – instinktiv gewisse Vorstellungen von den beiden: jung, vermutlich ziemlich hübsch, aber keineswegs auf den Kopf gefallen. Nun, zumindest mit den ersten beiden Vermutung hat man weit gefehlt. Die Countess, die die 60 bereits seit einer geraumen Zeit überschritten hat, hat ein etwas heruntergekommenes Äußeres, ein faltiges Gesicht und die zerzauste rote Perücke rutscht ihr dauernd vom Kopf. Alpiew ist mit circa 40 auch nicht mehr taufrisch und ihr bestechendstes äußerliches Merkmal ist ihre im wahrsten Sinne des Wortes „herausragende“ Oberweite. Aber auf den Kopf gefallen sind sie denn nun wirklich nicht, und wenn sie auch nicht alles wissen, so beweisen sie doch immer wieder einen gesunden Verstand und zeigen sich vor allem stets aufs Neue „bauernschlau“.

Auch die sonst fast schon unvermeidlich erscheinende Liebesgeschichte, die schon so manchen guten Krimi auf Barbara-Cartland-Niveau heruntergezogen hat, hat sich Fidelis Morgan klugerweise gleich ganz gespart. Und Liebe beschränkt sich hier auf einen eher derben Quickie in einer Amtsstube. Allzu zimperlich sollte man als Leser nicht sein, und den einen oder anderen Kraftausdruck muss man hinnehmen, was mir aber für Zeit und Handlung eher realistisch erscheint.

Gräfin Anastasia und ihre Ex-Zofe Alpiew in ihrem etwas heruntergekommenen Zustand lassen sich in keine mir bekannte Schublade pressen. Fidelis Morgan hat hier wirklich etwas ganz Eigenes geschaffen, quasi eine völlig neues Romangenre, die barocke Krimikomödie. Das allein ist unbedingt bereits ein ungeheurer Verdienst, darüber hinaus fand ich aber auch den Schreibstil überaus lobenswert. Denn das Buch ist zwar sehr humorvoll, dabei aber kein bisschen flach. Die Personen sind allesamt tief gezeichnet und von hoher Originalität. Obwohl ich viel in diesem Genre lese, kann ich keinerlei Anleihen bei anderen Autoren feststellen.

Das verwendete Englisch lässt sich gut lesen und die Satzkonstruktionen sind nicht ausufernd, doch durch das historische Setting und die Thematik kommen schon mal ein paar Wörter vor, die dem Nicht-Muttersprachler vielleicht nicht bekannt sind und sich auch nicht im nächsten Taschenwörterbuch werden finden lassen, die Bedeutung ist aber stets durch den Kontext ersichtlich.

Der historische Hintergrund ist außergewöhnlich gut recherchiert und Frau Morgan hat ihr spezifisches Theater-Fachwissen an einigen Stellen sehr gut eingebracht, ohne auch nur ein einziges Mal schulmeisterlich zu wirken oder durch die dargestellte historische Detailliertheit die Geschichte selbst einzuengen.
Dies ist für mich eine eher ungewöhnliche historische Periode und hebt sich sehr angenehm von der Masse der sonstigen historischen Settings für Kriminalromane ab. Den sehr „barock“ wirkenden Hintergrund mit seinen gepuderten Perücken, Schönheitspflästerchen und den lockeren Sitten hinter einer oft steif wirkenden Fassade sowie die dieser Zeit angepasste Sprache von Fidelis Morgan muss man aber schon mögen, um diesem Buch etwas abgewinnen zu können. Da sie den historischen Hintergrund aber so lebendig zeichnet, dass er fast schon dreidimensional auf mich wirkt, fiel mir das erstaunlich leicht, auch wenn das nicht mein bevorzugtes Zeitalter ist.

Der Titel der deutschen Übersetzung „Die Alchemie der Wünsche“ ist etwas irreführend, denn wenn der alchimistische Wissensstand dieser Zeit auch Erwähnung findet, so bleibt dies doch eher eine Nebensache. Erwähnenswert ist es auch, dass der Nachbar der Gräfin, Isaac Newton, in dem Buch einen Gastauftritt hat und durch sein Wissen zur Lösung des Rätsels beitragen kann. Fraglich bleibt für mich aber, ob die deutsche Übersetzung es wohl geschafft hat, den sehr eigenen Humor des Buches angemessen rüberzubringen – auf alle Fälle eine Herausforderung für den Übersetzer.

Ein winziger Kritikpunkt findet sich vielleicht in dem kriminalistischen Plot, denn bei so viel Humor und Geschichte hat der Leser zu Beginn Mühe, auch noch Spannung zu empfinden. Nach Wilsons Mord, allerspätestens aber als Alpiew die leuchtende Leiche Bettys findet, ist es mit diesem Kritikpunkt vorbei und die Geschichte wird so spannend, wie sie als Krimi ja auch sein sollte. Dass am Ende zwei, drei kleinere Fäden der Geschichte ungelöst bleiben, ist ein Schönheitsfehler, den man dann gut verschmerzen kann. Auch gibt die Autorin dem Leser meiner Meinung nach an manchen Stellen zu viele Lösungshinweise, so dass wir Alpiew und der Gräfin hin und wieder bei der Lösung des Mordes einen halben Schritt voraus sind. Das nimmt dem Ganzen ein Quentchen Spannung, es passiert aber nicht allzu häufig.

_Fazit_

Endlich kann ich mal wieder ein Buch uneingeschränkt weiterempfehlen. Zwar ist „Unnatural Fire“ durch den späten Spannungseinsatz und eine begrenzte Vorhersehbarkeit nicht perfekt, aber diese kleineren Mängel werden für mich durch die sehr orginellen und sehr gut gezeichneten Protagonisten, einen interessanten Plot, ein ausgezeichnetes historisches Setting, den dicht gewobenen Schreibstil und die lobenswerte Recherchearbeit mehr als aufgewogen. Als historischer Krimi-Erstling ein wundervolles Buch, das neugierig auf die weiteren Bände dieser kleinen Serie macht.

Homepage der Autorin: http://www.fidelismorgan.com

_Deutsche Fassung als:_

[„Die Alchemie der Wünsche“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3499233371/powermetalde-21
ISBN: 3499233371
|rororo| Dezember 2002
Erstausgabe bei |Wunderlich im Rowohlt| 2001

Louis L’Amour – Man nennt mich Hondo

LAmour Hondo Cover kleinDas geschieht:

Im Südwesten der Vereinigten Staaten ist das Leben der wenigen Siedler auf ihren einsamen Farmen hart. 1874 bricht der Große Weiße Vater in Washington wieder einmal einen Vertrag mit den Apachen. Unter ihrem Häuptling, dem charismatischen Vittorio, erheben sie sich. Die US-Kavallerie bekämpft sie, der Konflikt weitet sich zum Krieg aus. Wichtige Informationen transportiert Hondo Lane, ein Kurierreiter, als er auf dem Rückweg zum Stützpunkt von Indianern attackiert und verletzt wird.

Hondo flüchtet sich auf die Farm der Angie Lowe, die dort mit dem sechsjährigen Sohn ausharrt, nachdem sie von ihrem Ehemann, dem Spieler Ed, verlassen wurde. Zwischen Angie und ihrem Gast ist es Liebe auf den ersten Blick, doch selbst ein feiger Gatte rechtfertigt in dieser Zeit keinen Ehebruch. So reitet Hondo mit seinem Kampfhund Sam davon, um sich zurück ins Kampfgetümmel zu stürzen.

Angie lernt inzwischen Vittorio kennen, den die Tapferkeit von Mutter und Sohn beeindruckt. Er stellt Angie und Johnny unter seinen persönlichen Schutz; dies sehr zum Missfallen des grausamen Kriegers Silva, der Angie gern in sein Tipi zwingen würde. Er lauert auf seine Chance.

Hondo kann Angie nicht vergessen. Deshalb macht er sich auf den Weg zur Farm. Er wird verfolgt von Ed Lowe, der ihn zu töten gedenkt, um zu vertuschen, dass er seine Familie im Stich ließ. Hondo kann Lowe töten, wird dabei jedoch von den Indianern gefangen. Sie wollen ihn foltern und umbringen, aber Vittorio entdeckt, dass Hondo Angie und Johnny kennt. Er will den Gefangenen freilassen, doch Silva protestiert und fordert ein Duell auf Leben und Tod. Hondo kann es für sich entscheiden und schont Silvas Leben, der ihm nun ewige Rache schwört.

Auf der Lowe-Farm kann Hondo Angie überreden, mit ihm zu ziehen. Silva gedenkt nicht, seine Feinde entkommen zu lassen. Nachdem Vittorio im Kampf mit den Soldaten fällt, wird Silva Häuptling der Apachen und hat nun freie Hand. Im der Wildnis kommt es zum großen Entscheidungskampf …

Klassisches Dreieck im Wilden Westen

Ein großes Drama in kleinen Worten: „Hondo“ ist eine echte Überraschung; kein „Western“ im eigentlichen Sinn, sondern ein historischer Roman, der zufällig im Wilden Westen spielt. Die Handlung zieht den Leser sogleich in ihren Bann. Es gibt kaum pathetisches Gefasel („Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“ o. ä.), keine dauerrauchenden Colts, mordlüsternen „Rothäute“, heldischen Cowboys oder hilflosen Frauen, die ständig gerettet werden müssen. Ein hartes Land lässt nüchterne, selbstbewusste Menschen entstehen, weil nur solche überleben können, so L‘Amours Fazit. Geschlecht oder Hautfarbe sind dabei nebensächlich. Indianer und Weiße sind sich ähnlicher, als ihnen das oft selbst bewusst ist. Hondo Lane weiß es: er ist die Schnittstelle zwischen Rot und Weiß, denn er kennt beide Seiten aus eigener Erfahrung.

„Hondo“ ist in einer trügerisch einfachen Sprache gehalten. Die Sätze sind kurz und prägnant, großartige Wortakrobatik bleibt außen vor. Das funktioniert in diesem Handlungsumfeld außerordentlich gut. L‘Amours Landschaftsbeschreibungen sind großartig und erinnern an die Bilder des Western-Regisseurs John Ford: Poesie ohne Furcht vor Sentimentalität. Dies blieb in der außerordentlich stimmigen deutschen Übersetzung (der Erstausgabe) erhalten. Über ein halbes Jahrhundert ist sie inzwischen alt und liest sich weiterhin ausgezeichnet.

Das Land und seine Leute

Die typischen L‘Amour-Helden sind rechtschaffen aber wehrhaft, die Frauen stolz und schön, die Schurken böse und garantiert spätestens im Finale tot, zürnt die strenge Kritik. Mag sein, dass sich der Verfasser im Laufe seiner langen Karriere ein wenig zu schwer auf vertraute Muster und Klischees gestützt hat. In „Hondo“ macht sich das nicht negativ bemerkbar, zumal vermutlich die meisten (deutschen) Leser heutzutage gar keine anderen L‘Amour-Werke mehr kennen.

Außerdem irritieren angesichts der oben erwähnten Kritik immer wieder erstaunlich ‚menschliche‘ Anwandlungen, die sogar den ehrlosen Ed Lowe regelmäßig befallen. Ihn treibt nicht nur der Hass auf Hondo, sondern auch die Angst, als Feigling erkannt zu werden – ein Schlag, der seinen Ruf ruinieren würde. Als Spieler, der darüber hinaus seine Familie im Stich ließ, muss Lowe zwar moralisch Federn lassen, kann sich aber noch blicken lassen. Doch Feigheit hat Ehrverlust zur Folge und ist ein gesellschaftliches Todesurteil. Um dies zu vermeiden, will Lowe sogar zum Mörder werden.

Hinzu kommt Selbsthass, denn natürlich vergleicht nicht nur Angie zwischen dem gleichermaßen engagierten wie pflichtbewussten Hondo und dem ihr angetrauten Ed. Lowe weiß, dass er schlecht abschneidet, was seinen Zorn noch steigert. Solche Ambivalenz, die dem menschlichen Wesen eigen ist, würde man in einem Unterhaltungs-Western eigentlich nicht erwarten.

Die zerstörerische Kraft der Tradition

L’Amour geht noch mehr als einen Schritt weiter: In den 1950er Jahren lag die filmische ‚Rehabilitierung‘ der US-amerikanischen Ureinwohner in der Zukunft. (Man durfte sie sogar noch „Indianer“ nennen.) Weiterhin galten sie neben Staubstürmen oder Dürren als Katastrophe, mit der die Natur den wackeren weißen Mann = Pionier prüfte. Meist blieben sie namen- und gesichtslose Horden, die reihenweise von ihren Pferden geschossen wurden; ansonsten galt es, weiße Frauen vor „einem Schicksal schlimmer als der Tod“ zu retten; das zeitgenössische Publikum, wusste, was gemeint war, und konnte es sich nach eigenem Belieben ausmalen.

Auch das ähnlich verfälschende Gegenbild war schon bekannt: Auf den „edlen Wilden“, eine Ausnahmegestalt unter seinesgleichen, wurde projiziert, was der weiße Gutmensch in Sachen unverfälschter Natürlichkeit vermisste. Tatsächlich waren die Ureinwohner Menschen in einer Umwelt, an die sie sich angepasst hatten. Das machte sie weder ‚besser‘ noch ‚schlechter‘ als die ins Land drängenden Siedler. Der kluge Blick in eine (womöglich gemeinsame) Zukunft oder guter Wille waren auf beiden Seiten ebenso verbreitet wie Vorurteile oder Gewaltlust.

Diese Eigenschaften lässt L’Amour durch seine Hauptfiguren verkörpern, wobei Hondo und Vittorio für die Versöhnung über Grenzen, Ed Lowe und Silva für den kleinlichen Hass stehen. Ebenso klug wie nüchtern entscheidet Angie für sich und ihren Sohn: Sie wird Hondo folgen und an seiner Seite nicht nur überleben, sondern mit einiger Wahrscheinlichkeit ihr Glück finden. Was nach einem typischen Happy-end klingt, wird bei L’Amour ohne Seifenoper-Sentimentalität geschildert und rundet eine bemerkenswerte Geschichte nachdrücklich ab.

„Hondo“ – der Film

„Hondo“ ist die Romanfassung der Kurzgeschichte „The Gift of Cochise“, die L‘Amour 1953 veröffentlichte. Sie erregte das Interesse Hollywoods und wurde noch im selben Jahr verfilmt. Die Titelrolle spielte niemand Geringerer als John Wayne. Unter der Regie von John Farrow bot er – sogar in 3D – eine der vielen Glanzleistungen seiner Karriere. „Hondo“, der Film, wurde ein Klassiker des Western-Kinos. Louis L‘Amour schrieb (nach dem Drehbuch von James Edward Grant) den Roman dazu selbst und schuf einen der ganz großen Erfolge seiner eindrucksvollen Karriere.

1967 entstand die erfolglose, nach 17 Episoden eingestellte TV-Serie „Hondo“ mit Ralph Taeger in der Titelrolle. Für den internationalen Markt wurde daraus ein Film („Hondo und die Apatchen“) montiert, der im Kino ausgewertet werden konnte.

Autor

Louis L’Amour (1908-1988) wurde in Jamestown, North Dakota, als Louis Dearborn LaMoore geboren. Seine Eltern lasen gern und viel und hielten auch ihren Sohn dazu an. Der junge Louis begeisterte sich für Geschichten über die frühen Siedler und Pioniere, aber auch über die indianischen Ureinwohner.

L‘Amours Lebensgeschichte klingt fast zu schön, um wahr zu sein, ist aber belegt. Er versuchte sich als Boxer, Seemann, Elefantenhändler usw. und bereiste die ganze Welt. In den 1930er Jahren kehrte er in die Vereinigten Staaten zurück. An der „University of Oklahoma“ belegte er Kurse für kreatives Schreiben. 1935 veröffentlichte er sein erstes Werk, eine Gangstergeschichte, 1939 „Smoke from This Altar“, eine Gedichtsammlung (!).

Im II. Weltkrieg kämpfte L‘Amour als Panzerfahrer in Frankreich und Deutschland. Nach seiner Rückkehr in die USA siedelte er nach Los Angeles um und schrieb ab 1946 Western-Stories für Magazine. 1950 folgte mit „Westward the Tide“ ein erster Roman, der allerdings nur in Großbritannien erschien. Im folgenden Jahr kam in den USA L‘Amours US-Debüt mit einem Band der „Hopalong Cassidy“-Serie („H. C. and the Riders of High Rock“); dies allerdings unter dem Pseudonym Tex Burns.

L‘Amour war nicht nur ein fleißiger (er veröffentlichte auch unter dem Pseudonym Jim Mayo), sondern auch ein beliebter Autor, der keineswegs nur Western, sondern auch Seefahrergeschichten („Sitka“, 1957), Thriller („The Last of the Breed“, 1986), Historien-Spektakel („The Walking Drum“, 1984) oder Sachbücher („Frontier“, 1984) schrieb. Angeblich verkaufte er 225 Millionen Exemplare seiner mehr als 100 Bücher, was ihn zum dritterfolgreichsten Schriftsteller aller Zeiten machen würde. Sicher ist, dass L‘Amour-Bücher die Vorlage für etwa 30 Filme lieferten, die meist der B-Kategorie zuzuordnen sind.

Taschenbuch: 206 Seiten
Originaltitel: Hondo (New York : Fawcett Publications, Inc. 1953)
Übersetzung: Hansheinz Werner (bearbeitet von Werner Gronwald)

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (7 Stimmen, Durchschnitt: 1,71 von 5)

Heidrun Jänchen, Christian Savoy, Andrea Tillmanns – Der eiserne Thron

Ernst Wurdack, der Begründer und Inhaber des Wurdack-Verlags, initialisierte vor einigen Jahren einen Wettbewerb für Amateurautoren der Phantastik, den er auch immer noch durchführt. Unter http://www.storyolympiade.de findet man im Internet die Ausschreibungen der mittlerweile zweijährig stattfindenden Olympiade, die von ihren Teilnehmern stets ein breites Thema in origineller Weise bearbeiten lässt. Und den Gewinnern winken ansehnliche Preise: Jeder Autor, dessen Geschichte in der Wettbewerbsanthologie veröffentlicht wird, erhält ein Belegexemplar des Buches; die drei Erstplatzierten erhalten die Möglichkeit, einen Roman zu schreiben. Ursprünglich sollten diese Romane im Fantasy-Universum des Rollenspiels „Demonwright“ angesiedelt sein, und aus dieser Zeit resultiert der Roman „Der eiserne Thron“.

Herzog Rogvald, dessen Onkel König der Südermark und damit Inhaber des Eisernen Throns ist, fühlt sich abgeschoben auf der in entlegenen Sümpfen trotzenden Burg Kalderstein. Im letzten Scharmützel gegen die Goblins ist er als Held hervorgegangen und kann seinen jetzigen Status nicht verstehen.

Bei einem Besuch der Stadt Isenborg, Sitz der königlichen Feste, tötet er den südermarkschen Prinzen im Streit um eine Frau – nur seinem Freund Frett ist es zu verdanken, dass Rogvald nicht gefasst wird. Nun kommt ein Stein ins Rollen: Rogvald wird auf der Totenfeier von dem neuen Thronerben beleidigt und sinnt auf dessen Tod, um selbst auf den Thron zu gelangen. Mit Fretts Hilfe lockt er den jungen Prinzen bei widrigem Winterwetter in ein Moor, wo er vor einem soldatischen Zeugen versinkt. Rogvald kann nichts nachgewiesen werden, aber die Schwester der Prinzen ist misstrauisch.

Bald schon verunglückt der König tödlich auf der Jagd, und Rogvald sieht sich seinem Ziel nahe. In einem letzten Aufbäumen spinnt die Prinzessin Walrike eine Intrige, der Rogvald zum Opfer fallen soll. Doch sie fliegt auf, und damit stellt sich das Volk hinter Rogvald. Walrike flüchtet. Als Rogvald sich auf den Thron setzt, blickt ihm sein eigenes Gesicht entgegen, das spöttisch sagt: „Du hast es geschafft.“

Im zweiten Teil erfährt die zwergische Heilerin Thania von dem Unheil, das über die Stadt Isenborg hereingebrochen ist, und von dem dunklen Geheimnis, das den König Rogvald umgibt. Auf der Suche nach Prinzessin Walrike findet sie in einem Kobold einen treuen Freund, der ihr vor ihren Häschern hilft und sie aus der Südermark herausführt.

Ein Soldat der südermarkschen Garde greift selbst nach dem Thron, denn mit seiner vorgeblichen Tochter, die er unterdrückt und benutzt, hat er einen nicht zu unterschätzenden Trumpf in der Hand: Sie ist eine Wandlerin. In Gestalt einer Goblinführerin führt sie das dunkle Volk nach Isenborg, doch sucht sie nach einem Weg, sich gegen ihren Vater aufzulehnen. Der Kampf um den Thron ist noch nicht zu Ende …

Der Roman ist dreigeteilt: Im ersten Teil schildert Heidrun Jänchen mit hintergründigem Humor und Raffinesse den Weg Rogvalds nach Isenborg. Sie vermeidet so gut es geht blutige Schlachten und Tote, allerdings kommt sie um die tragenden Morde an der Königsfamilie nicht herum. Das Problem löst sie elegant, so dass man wie in einem guten Film nie die grausige Tat an sich „sehen“ kann. Andrea Tillmanns lässt ihre Heilerin alles tun, damit niemand zu Schaden kommt. Nur um den Tod der Zwergin abzuwenden, muss ein – zugegeben mordlustiger – Soldat sein Leben lassen. Christian Savoy ist da kaltblütiger. „Seine“ Orks, Goblins und Menschen zeigen sich von ihrer rauhesten Seite. Wo es Konflikte gibt, hält Yakh, der Gott des Todes, reiche Ernte.

In ihrer sprachlichen Gewandtheit nehmen sich die drei Autoren nichts und müssen sich auch hinter „Profis“ nicht verstecken. Stilistisch einwandfrei entführen sie den Leser in das karg anmutende Land der Südermark und bieten ihm ein unterhaltsames Schauspiel höfischer Ränke und grausamer Hinterlist. Nur der offenherzigen Zwergin sind das Töten und Kämpfen und das Heldentum zuwider, sie nimmt uns lieber mit auf eine Wanderung in das wundersame Reich der Kobolde, die in ihren Bäumen weit entfernt von Hirnlosigkeit und Primitivität sind, sondern mit ausgeklügelten Systemen überraschen.

Andrea Tillmanns und Christian Savoy bringen solide Arbeit ohne große Überraschungen, aber spannend und unterhaltsam geschrieben. Der Weg der Zwergin Thania ist vorgezeichnet, kann nur im Erfolg münden, der allerdings der Zwergin nicht völlig zusagt: Sie bekämpft nur das größere Übel. Savoys Protagonist Belrador ist schnell zu erkennen als tragische Figur, der ihre eigene Hinterlist zum Verhängnis zu werden droht. Trotzdem findet man Zugang zu ihm und weiß nicht so recht, ob man ihm den Sieg nicht doch gönnen könnte, denn auch Walrike macht keinen sympathischen Eindruck. Allerdings fällt hier im letzten Teil ein kleiner Schwachpunkt auf: Savoy wechselt sehr oft und unvermittelt, oft auch mitten im Absatz, die Perspektive, springt von einer Person zur nächsten und offenbart ihre Gedanken.

Heidrun Jänchen ist es gelungen, ihr Kapitel mit einer Überraschung abzuschließen. Schließlich haben wir ihren Held Rogvald und dessen Freund Frett über neunzig Seiten gebannt begleitet, nicht unbedingt wohlwollend, aber seiner Tragik des Genötigten doch bewusst, und seine Handlungen führten stets auf irgendeine Weise zum Erfolg, so dass die Begegnung mit seinem Doppelgänger äußerst unerwartet kam. Immerhin wissen wir jetzt, wie Yakh aussieht.

„Der eiserne Thron“ ist ein spannendes, hintergründiges, unterhaltsames Buch, das man in Nullkommanichts durchliest. Seine Platzierung beim Deutschen Phantastik Preis – 3. Platz in der Kategorie Roman-Debüt-National – spiegelt das hohe Niveau der jungen Autoren wider, die hier ihr Romandebüt gaben. Für 2006 hat der Wurdack-Verlag einen Folgeroman von Jänchen angekündigt, in dem es auch für einige der Protagonisten aus dem „Thron“ heißt: Nach Norden!

ISSN 1612-0566 Band 1
Erhältlich über den Wurdackverlag!

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (6 Stimmen, Durchschnitt: 2,00 von 5)

Peter Straub – Haus der blinden Fenster

Das geschieht:

Zum zweiten Mal kehrt Tim Underhill, Erfolgsschriftsteller aus Manhattan, in seine Heimatstadt Millhaven zurück, der er vor vielen Jahren den Rücken gekehrt hat. Erst hatte sich Nancy, die Gattin seines ungeliebten Bruders Philip, auf grausame Weise umgebracht. Wenig später verschwindet Mark, ihr Sohn, Tims Neffe, mit dem er sich gut versteht. Er ist nicht der erste Jugendliche, der vermisst wird. In Millhaven treibt ein Serienmörder sein Unwesen, der offenbar die Kontrolle über sich zu verlieren beginnt und die Taktfrequenz seiner Attacken steigert.

Marks tatsächliches Schicksal ist wesentlich bizarrer. Ein verlassenes Haus auf einem Nachbargrundstück hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Es zog ihn an und stieß ihn gleichzeitig ab: Hier ist spürbar Furchtbares geschehen, das die Wände des Gebäudes wie eine Batterie aufgeladen hat. Michigan Street 3323 war vor vielen Jahren die Adresse von Joseph Kalendar, der als Psychopath und Serienmörder in die US-amerikanische Kriminalgeschichte einging. Man hatte ihn erst nach Jahren des Foltern und Mordens erwischt. In einer Anstalt für geistesgestörte Verbrecher wurde er 1985 von einem Mithäftling umgebracht.

Was Mark nicht wusste: Kalendar war ein Cousin seiner Mutter. Es gibt eine seltsame Verbindung zwischen ihr und dem toten Mörder. Dies war der Grund für Nancys Selbstmord. Sie hatte eine alte Schuld nicht länger ertragen: Einst hätte sie dem üblen Treiben ihres Cousins vorzeitig ein Ende machen können, war aber furchtsam zurückgewichen. Mark ist stärker, er wollte es mit Kalendar aufnehmen, zumal er entdeckte, dass dieser seine ebenfalls ermordete Tochter noch immer in den Folterhöhlen des Hauses Nr. 3323 gefangen hält und quält. Immer tiefer drang Mark in die schrecklichen Geheimnisse des alten Hauses ein. Aber dort ist es nicht Kalendar, der ihn vor jene Entscheidung stellt, die zu seinem Verschwinden führt …

Geschichte mit offenen Enden

„Haus der blinden Fenster“ – der Originaltitel „Lost Boy Lost Girl“ wird der Geschichte wesentlich gerechter – ist eine bemerkenswert gelungene Mischung aus Thriller und Gruselgeschichte. Wo man die Grenze zieht, bleibt dem Leser überlassen. Die phantastischen Elemente sind eindeutig, sie lassen sich nicht rational auflösen. Auf der anderen Seite spielt sich vieles von dem, was sich scheinbar ereignet, wohl nur in den Köpfen der Figuren ab.

„Haus der blinden Fenster“ ist wie so oft bei Peter Straub ein Roman, der um die Themen Schuld, Sühne & das Böse an sich kreist und dabei auf Genregrenzen keine Rücksicht nimmt. Darin gleicht er dem Schriftsteller Henry James (1843-1916), mit dem Straub – auch was die literarische Qualität angeht – oft verglichen wird. „The Turn of the Screw“ (1898; dt. „Die Drehung der Schraube“) weist in der Tat dieselbe unwirkliche Atmosphäre realer und übernatürlicher Bedrohung auf wie „Haus der blinden Fenster”.

Viele Fragen wirft Straub auf. Manche beantwortet er, andere können wir uns selbst zusammenreimen. Nicht wenige bleiben jedoch offen. Ist der Sherman-Park-Killer der wiedergeborene Joseph Kalendar? Ist er ein Mensch, der von dessen Geist besessen ist? Wird Nancy Underhill wirklich vom Geist der Kalendar-Tochter, die sie einst feige im Stich ließ, in den Tod getrieben? Bildet sie sich das in nur ein? Wird auf dem privaten Friedhof des Sherman-Park-Killers doch die Leiche Marks zum Vorschein kommen, den sein Onkel in der „anderen Welt“ wähnt? Worum handelt es sich bei dieser “anderen Welt” eigentlich? Ist sie das Jenseits, eine fremde Dimension, eine parallele Erde?

Geschichte ohne sicheren Boden

Straubs komplexer Schreibstil verstärkt geschickt die Unsicherheit, die der Leser mit den Figuren teilt. Wir erleben Zeitsprünge in Vergangenheit und Zukunft. Die Perspektive wechselt; manchmal erzählt Tim Underhill, dann wird er vom (unsichtbaren) Verfasser beobachtet, der im Mittelteil die Handlung fast gänzlich Mark Underhill überlässt. Manche Ereignisse werden parallel geschildert, wobei die Interpretation sehr unterschiedlich ausfallen kann: Tim und Mark sehen die Welt nicht mit denselben Augen.

Das verwunschene Haus, in dem es aufgrund eines lange in der Vergangenheit liegenden Unrechts umgeht, ist längst ein Klischee der Phantastik. Auf jeden Fall ist es schwierig, ihm heutzutage neues Leben einzuhauchen. Auch hier leistet Straub gute Arbeit. Auf dem Grundstück Nr. 3323 lastet wahrlich ein Haus gewordener Alptraum.

Wiederum wurzelt das Grauen ausschließlich in der menschlichen Seele; für Außerirdische, Trolle, Vampire und andere Ausgeburten des klassischen und halbwegs gemütlichen Horrors ist kein Platz in Straubs Welt/en. Auch das Paradies, in dem Mark und seine Lucy sich wiederfinden, entpuppt sich als Stätte zwar ungewöhnlicher aber deshalb nicht weniger bedrohlicher Gefahren.

Kontrollverlust und Seelennöte

Timothy Underhill ist Peter Straubs anderes Ich, sein fiktiver Stellvertreter, den er gegen allerlei eingebildete und echte Dämonen kämpfen lässt, seit er ihn 1988 zum ersten Mal mit dem „Blue-Rose“-Mörder konfrontierte („Koko“), dessen Geheimnis erst 1993 in „The Goat“ (dt. „Der Schlund“) gelüftet wurde. Seither hielt sich Underhill verständlicherweise Millhaven (das Spiegelbild Milwaukees im US-Staat Wisconsin, der realen Heimatstadt Straubs) fern, weil sich für ihn viele unerfreuliche Erinnerungen an diesen Ort knüpfen.

Zu schaffen macht ihm auch die provinzielle Enge der kleinen Stadt, die vortrefflich verkörpert wird durch seinen Bruder Philip. Der hat sich scheinbar im biederen Establishment etabliert und ist doch die personifizierte Unzufriedenheit. Seiner Familie bereitet Philip wenig Freude, er ist gefühlskalt, egoistisch, unsensibel, untauglich als Ehemann und als Vater.

Mark, sein Sohn, ist eher nach Onkel Tim geraten. Mit seinen fünfzehn Jahren steckt er tief in der Pubertät, was seinen Alltag nicht einfacher macht. Seine Gefühle sind außer Kontrolle, seine Hormone laufen Amok. So wird er zum idealen Opfer für das Haus an der Madison Street. Zunächst voller Furcht über das, was er dort entdeckt, wird Mark zum jungen Ritter, der seine Prinzessin Lucy vor dem Drachen Kalendar retten will. Dafür zahlt er einen hohen Preis. Andererseits ist sein Schicksal angesichts der trüben Zukunft, die ihm sein reales Leben bietet, womöglich eine Verbesserung. Wie schon gesagt muss Mark jedoch feststellen, dass auch die „andere Seite“ keineswegs frei von Bedrohungen ist.

Geist oder nicht Geist?

Stets bleibt unklar, ob es wirklich Joseph Kalendar ist, dessen Geist noch immer nicht ablassen will von seiner krankhaften Menschenquälerei. Womöglich ist es der reale Sherman-Park-Killer, der sich mit dem berühmten ‚Kollegen‘ identifiziert und in dessen Haut schlüpft. Weil er uns niemals direkt unter die Augen tritt, ist Kalendar jemand, der für Angst und Schrecken sorgt – ein Schreckgespenst, das viel von dem verkörpert, was man sich unter einem Serienmörder vorstellt: eine schattenhafte Gestalt, die wie ein Mensch aussieht, aber eigentlich keiner mehr ist, sondern etwas Atavistisches, Düsteres, ein Wolf unter Schafen, aber ein gut getarnter, der Jagd auf seine ahnungs- und hilflosen Mitbürger macht.

Atmosphäre und interessante, eindringliche gezeichnete Figuren: Diese beiden Aspekte sind Straub deutlich ebenso wichtig wie die Handlung. Das Ergebnis mag den notorischen Mainstream-Horror-Leser irritieren oder womöglich abschrecken, aber wer sich auf “Haus der blinden Fenster” einlässt, erlebt einen Peter Straub in Hochform.

Autor

Peter Francis Straub wurde am 2. März 1943 in Milwaukee im US-Staat Wisconsin geboren. Der Schulzeit folgte ein Studium der Anglistik an der „University of Wisconsin“, das Straub an der „Columbia University“ fortsetzte und abschloss. Er heiratete, arbeitete als Englischlehrer, begann Gedichte zu schreiben. 1969 ging Straub nach Dublin in Irland, wo er einerseits an seiner Doktorarbeit schrieb und sich andererseits als ‚ernsthafter‘ Schriftsteller versuchte. Während die Dissertation misslang, etablierte sich Straub als Dichter. Geldnot veranlasste ihn 1972 zur Niederschrift eines ersten Romans („Marriages“; dt. „Die fremde Frau“), den er (mit Recht) als „nicht gut“ bezeichnet.

1979 kehrte Straub in die USA zurück. Zunächst in Westport, Connecticut, ansässig, zog er mit der inzwischen gegründeten die Familie nach New York. Ein Verleger riet Straub, es mit Unterhaltungsliteratur zu versuchen. Straub schrieb „Ghost Story“ (1979; dt. „Geisterstunde“), seine Interpretation einer klassischen Rache aus dem Reich der Toten. Der Erfolg dieses Buches (das auch verfilmt wurde), brachte Straub den Durchbruch. Mit „Shadowland“ (1980; dt. „Schattenland“) und „Floating Dragon“ (1983; dt. „Der Hauch des Drachens“) festigte er seinen Ruf – und erregte die Aufmerksamkeit von Stephen King, mit dem er sich bald anfreundete. Die beiden Schriftsteller verfassten 1984 gemeinsam den Bestseller „The Talisman“ (dt. „Der Talisman“), dem sie 2001 mit „Black House“ (dt. „Das schwarze Haus“) eine ebenso erfolgreiche Fortsetzung folgen ließen.

Straubs Werke wurden vielfach preisgekrönt; akademisch penibel zählt der Autor seine Meriten hier auf. Diese Website ist ebenso informativ wie kurios und verrät einen intellektuellen Geist, der über einen gesunden Sinn für hintergründigen Humor verfügt.

Taschenbuch: 379 Seiten
Originaltitel: Lost Boy Lost Girl (New York : Random House, USA 2003)
Übersetzung: Uschi Gnade
http://www.randomhouse.de/heyne

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (9 Stimmen, Durchschnitt: 1,67 von 5)

Helga Glaesener – Die Safranhändlerin

Trier im frühen Mittelalter:

Wir schreiben das Jahr 1327. Marcella Bonifaz, Nichte des Trierer Schöffenmeisters ist eine junge Frau, die sich von niemandem etwas vormachen lässt. Sie ist Krämerin und handelt mit Gewürzen und Farbstoffen – und das in einer Zeit, in welcher der Handel eine Männerdomäne ist. Als sie günstig an toskanischen Safran kommt, schlägt sie zu und investiert fast ihr ganzes Vermögen. Doch der Wagenzug, der den kostbaren Safran liefern soll, wird überfallen und Marcella steht beinahe vor dem finanziellen Ruin. Eine Möglichkeit, allen Sorgen ein für alle Mal ein Ende zu bereiten, wäre es, endlich den Heiratsantrag des reichen Händlers Jacob Wolff anzunehmen. Doch Marcella will nicht heiraten – nicht nur Jacob nicht, sondern überhaupt nicht.

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Charles Stross – Singularität

„Einer der originellsten Science-Fiction-Romane, die je geschrieben wurden!“

„Wie einst William Gibson haucht Charles Stross der Science Fiction neues Leben ein!“

Mit diesen flammenden Zitaten heischt der Roman im Regal um Aufmerksamkeit. Charles Stross? Nie gehört! Aber wen die New York Times als neuen Superstar bezeichnet, muss der Aufmerksamkeit doch wert sein, oder?

Charles Stross, geboren 1964 in Leeds, England. „Singularität“ ist sein erster Roman und wurde gleich ein großer Erfolg.

In der Zukunft der Menschheit wird mit Singularität jenes Ereignis bezeichnet, bei dem die Erdbevölkerung um zwei Drittel geschrumpft wurde und fast alle Regierungen zerbrachen, da der Rückhalt, vor allem der steuerliche Rückhalt durch die Bevölkerung fehlte. Ein mächtiges Wesen (oder Volk?) sortierte die Menschen nach Ideologie und Wesensart, um verschiedene Kolonien in der Galaxis zu gründen. Die neuen Kolonien wie auch die zurückbleibende Erde rüstete das Wesen, das sich „Eschaton“ nennt, mit so genannten „Füllhörnern“ aus: Geräte, die jede nur vorstellbare Ware herstellen können und zur Selbstreplikation befähigt sind. Damit verlor die Wirtschaft ihren Sinn, eigentlich brach das Chaos aus.

Das Eschaton auferlegte den Menschen, „in seinem Zeitkegel“ keinerlei Manipulationen der Zeit vorzunehmen, um seine Existenz nicht zu gefährden. Man einigte sich darauf, dieser Forderung zu entsprechen, denn das Eschaton konnte jegliche Missachtung mit Vernichtung strafen. Auf der Erde blieben als einzige Organisation die UN bestehen, allerdings mit sich oft verschiebenden Zielen und Ansprüchen. Die anderen Planeten entwickelten je nach Zusammenstellung der Bevölkerung verschiedene Regierungssysteme, immer auf der Grundlage der neuen Möglichkeiten. Nur in der „Neuen Republik“ wurden die Füllhörner vernichtet, Information und Technik dem Volk vorenthalten, so dass sich eine feudale Herrscherklasse entwickeln konnte.

Das ist in groben Zügen der Hintergrund, vor dem Charles Stross seine Geschichte spielen lässt. Durchaus originell. Aber es kommt noch besser: Über einer abgelegenen Kolonie der Neuen Republik erscheint das „Festival“ und stiftet Unruhe. Es lässt Telefone vom Himmel regnen, in einer kommunikationsarmen Gesellschaft ein Unding. Durch diese Geräte nimmt es Kontakt zu den Menschen auf und fordert: „Unterhaltet uns!“

Das Festival ist auf Informationen aus, es tauscht seine Dienste gegen die Geschichten und das Wissen der Bevölkerung. Jeder, der ihren Forderungen nachkommt, darf sich etwas wünschen. Das System auf dem Planeten bricht zusammen. Revolutionäre erhalten Füllhörner, jemand lässt Geld regnen, was unbeachtet bleibt, da jeder alles hat, was er will. Ein Hilferuf ist die letzte Hoffnung für das ansässige Herzogtum.

Aus gesellschaftlichen Gründen muss der Kaiser den dienstältesten Admiral mit dieser schwierigen Lage betrauen, unglücklicherweise altern auch Admirale in Friedenszeiten normal, und da der Rückzug in den Ruhestand nicht vorgesehen ist, muss dem senilen Admiral Kurtz zumindest das Angebot gemacht werden. Der ist natürlich Feuer und Flamme, aber noch geistig klar genug, um einen fähigen Geschwaderkommandeur mitzunehmen. Geplant ist eine Fast-Verletzung der Kausalität, indem man mit neuartigen Triebwerkszusätzen erst in die Zukunft vordringt, um sich dort über Nachrichtensonden Informationen über den Gegner zu holen, und dann in die Vergangenheit zurückkehrt, aber nicht so weit, dass man vor Eintreffen des Festivals im Zielsystem anlangt, sondern sehr kurz danach – also einfach eine enorm schnelle Reaktion vortäuscht.

Um der Geschichte zu beweisen, man habe die Kausalität nicht verletzt, wird die UN-Inspektorin Rachel Mansour als Beobachterin eingeladen. Und noch ein Fremder ist mit von der Partie: Maschineningenieur Martin Springfield von der Erde, der durch sein republikwidriges Verhalten die Spionageabwehr auf sich zieht.

Die Lord Vanek ist das Flaggschiff der Operation. Und während sich in den Wochen der Anreise Rachel und Martin nahe kommen, intrigieren verschiedene Parteien in verschiedenen Punkten; so verbindet der republikanische Spion Wassily die Überwachung von Martin mit seinem Unbehagen einer selbstständigen Frau gegenüber, indem er auch Rachel nachspioniert. Das kommt dem Sicherheitsbeauftragten der Vanek gelegen, der Rachels diplomatische Immunität umgehen und sie kriegsgerichtlich erledigen will (aus ähnlich missgünstigen Gründen wie denen von Wassily). Nebenbei arbeitet Martin für eine höhere Instanz an der Sabotage der Fast-Kausalitätsverletzung, und Rachel spielt ihre diplomatischen Beziehungen aus, um die Flottenführung von der Sinnlosigkeit eines bewaffneten Angriffs auf das Festival zu überzeugen.

Derweil breitet sich das Festival auf dem okkupierten Planeten „Rochards Welt“ aus und bereitet seine Wiedergeburt vor. Es ist fremdartiger, als sich (fast) alle Beteiligten je ausmalen können …

Rachel Mansour ist die typische starke Frauenpersönlichkeit mit einem komplizierten Lebenslauf, der über verschiedene Stationen zur Waffeninspektorin der Vereinten Nationen führt. Natürlich nutzt sie die fortschrittlichen Möglichkeiten der Zukunft für ihre körperliche Aufwertung, so ist sie gespickt mit technischen Verstärkern und Beschleunigern, die sie jedem normalen Nahkämpfer überlegen machen. Zusätzlich trainiert sie (nackt) asiatische Kampfkünste und unterzog sich diversen Verjüngungskuren, die ihr die körperliche Leistungsfähigkeit und das Aussehen einer Endzwanzigerin bei einem tatsächlichem Alter von über einhundert Jahren bescheren. In ihrer Vergangenheit gibt es einige böse Erfahrungen, die sie zu einer energischen Atomwaffengegnerin machen. Und eigentlich hat sie sich fest vorgenommen, keinerlei persönliche Beziehung zu einem Mann einzugehen. Wie es der Zufall will, hat sie ihre Rechnung ohne Martin gemacht.

Martin Springfield hütet ein kurioses Geheimnis (kurios für die Menschen seiner Umgebung): Eigentlich arbeitet er für eine irdische Raumschiffswerft als Vertragsingenieur und gelangt als solcher an Bord der Lord Vanek, hintergründig verfolgt er Ziele, die denen von Rachel weit voraus sind. Es geht ihm nicht um die Abwendung eines Krieges, sondern um die Einhaltung der Kausalitätsabkommen mit dem Eschaton. Sein Auftraggeber, Herrmann, tritt nicht direkt in Erscheinung, verfügt aber über scheinbar unbegrenzte Machtmittel. Dass Martin so vorbehaltlos sein Leben aufs Spiel zu setzen bereit ist, fällt dem Leser gar nicht weiter auf, denn Herrmann versichert ihm, alles Mögliche für seine Rettung zu tun. Und außerdem steht er in hohem Sold bei Herrmanns Organisation.

Burija Rubenstein leitet die organisierte Revolution auf Rochards Welt. Er scheint ein wenig der idealisierte Kommunist zu sein, dem die Füllhörner endlich die Gelegenheit geben, seine Ideen durchzusetzen. Durch die KRITIKERIN, eine Begleiterin des Festival, erhält er Einblicke in die tief greifenden Veränderungen, die das Festival bewirkt. Dass ihn diese Erlebnisse mit Realität gewordenen Aspekten russischer Märchen konfrontieren, lässt ihn abstumpfen und etwas von seinem unruhigen, drängenden Revolutionsgehabe verlieren. So transportiert ihn die KRITIKERIN zum Beispiel in ihrem wandelnden Haus auf drei Hühnerbeinen, sie selbst hat allerdings kaum Ähnlichkeiten mit der Baba Jaga. Im Mittelteil des Buches wirkt diese Erzählebene so irrwitzig, dass sie dem Ganzen einen überdrehten Charakter verleiht. Von dem Wesen des Festivals erfährt man dadurch wenig, was schade ist, denn so bleiben die Informationen auf die wie nebensächlich eingeworfenen Dialoge zwischen Martin und Rachel beschränkt.

Obwohl auch einige der anderen im Buch erwähnten Figuren wichtige Rollen spielen (wie der Kommandant des Flaggschiffs, der eine Art intelligenten Patriotismus darstellt), bleiben diese drei Personen die Hauptakteure und Bezugspunkte der Erzählebenen. Die Ebene der Flotte im Anflug auf den Gegner birgt wenig Neues, allzu sehr geht der Autor auf die Abläufe in einer Befehlszentrale während der Manöver ein und überhäuft den Leser mit der undurchsichtigen Befehls- und Meldungssprache zwischen Soldaten – wie realitätsnah das ist, lässt sich aus meiner Sicht nicht beurteilen. Es liefert eine oberflächliche Stimmung an Bord, stört aber die durchaus interessanten Aspekte der Beziehungen zum Beispiel zwischen dem Admiral und seinem Stab. Dadurch kann Stross ein starkes Augenmerk auf die Abläufe der kämpferischen Begegnung zwischen Republik und Festival bieten, und man ist erstaunt, wie der Kommandant dieses und jenes aus nicht vorhandenen Schiffsbewegungen schließen kann, obwohl er doch keinerlei Erfahrung mit einem Raumkampf und keine Vorstellung vom Festival hat.

Die abgedrehte Schilderung der Vorgänge auf Rochards Welt vereinfacht nicht gerade das Verständnis des Festivals oder auch der Geschichte an sich, hier hat der Autor wie schon erwähnt etwas zu dick aufgetragen in dem Bemühen, eine originelle Form der Invasion zu entwickeln. Bleibt also nur die Beziehung zwischen Rachel und Martin, und tatsächlich erfährt man in diesem Zusammenhang die meisten Details, die das Geschehen begreiflich machen oder der Geschichte als Hintergrund dienen. Komischer Zufall bleibt, dass Wassily, der Spion der Republik, einen Unfall im Weltraum übersteht und auch noch auf Burija trifft, der sich als sein verschwundener Vater entpuppt und von ihm umgebracht werden soll. Dabei stellt sich heraus, dass Wassily programmiert auf diesen Moment ist und seine Spionage nur als Vorwand diente, ihn auf das Flaggschiff zu bringen. Unglaubwürdig, denn auf Rochards Welt hätte die Republik viel erfolgversprechendere Möglichkeiten gehabt, den Revolutionär auszuschalten, als über einen Agenten durch eine Raumschlacht mit ungewissem Ausgang.

Mit „Singularität“ hat Charles Stross ein durchaus interessantes und ausbaufähiges Universum entworfen, in dem noch viele Geheimnisse schlummern. Die Wesenheit des Eschaton ist eines dieser Rätsel und scheint mir ein Aufhängepunkt weiterer Romane zu sein – immerhin ist mit „Supernova“ ein weiteres Buch angekündigt, und das Schicksal von Martin und Rachel lässt erahnen, dass wir hier die Geburt eines neuen Agentenpärchens miterlebt haben. Insgesamt ist „Singularität“ gut und unterhaltsam lesbar, auch wenn mich die sehr häufigen Anmerkungen des Übersetzers gestört haben, da sie sich größtenteils mit physikalsichen Gesetzen beschäftigen oder Anspielungen des Autors erklären sollen. Das bringt auch gleich die negative Seite der Geschichte auf den Punkt. Der Autor brachte zu viele Bezüge zu unserer Realität, die entweder nur ausgebildete Physiker oder seine Landsleute verstehen können (da werden zum Beispiel Anspielungen auf Fernsehserien oder neueste wissenschaftliche Erkenntnisse gebracht, die auch durch die Übersetzung oder die ausführlichen Erläuterungen des Übersetzers nicht zum Lesegenuss beitragen).
Lässt man all diese kleinen schmälernden Punkte außer Acht, ergibt sich eine interessante Geschichte, die Lust auf mehr macht. Allerdings kann man über die Zitate des Buchumschlags nur lächeln.

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (9 Stimmen, Durchschnitt: 2,22 von 5)

Clemens, James – Buch des Sturms, Das (Alasea / Banned and the Banished 2)

Elena und ihre Gefährten sind nach dem grausamen Kampf mit den finsteren Geschöpfen Gul’gothas in die Berge zu Krals Stamm geflüchtet, wo sie den Winter verbracht haben. Jetzt ist der Frühling da, und die Gruppe bricht auf, um Elena nach A’loatal zu bringen, wo das Buch des Blutes verborgen ist. Doch das Böse wartet bereits auf sie und hat tückische Fallen aufgestellt. In dem kleinen Städtchen Schattenbach kommt ihnen Merik abhanden, und Elena wird von einer Sumpfschlingpflanze befallen. Die Gruppe ist gezwungen, sich zu teilen. Kral, Tol’chuk und Mogwied bleiben in Schattenbach, um Merik zu suchen, und Elena macht sich in Begleitung von Er’ril, Mikela und Ferndal auf den Weg in die Sümpfe, um die dort lebende Hexe aufzusuchen, damit sie sie von dem Gewächs befreit, das sich bei jedem Einsatz von Elenas Magie weiter auf ihrem Körper ausbreitet.

Während Elena und ihre Gefährten quer durch Alasea unterwegs sind, vegetiert ihr Bruder Joach unter dem Bann des Dunkelmagiers, der ihn gefangen genommen hat, in A’loatal dahin. Sein Geist ist ungetrübt, doch er hat keinerlei Gewalt über seinen Körper, der den Befehlen des Dunkelmagiers unterworfen ist. Bis er eines Tages in die Nähe des großen Koa’kona-Baumes im großen Innenhof gelangt, dem Zentrum der alten Magie des Chi, die hier früher herrschte. Danach ist er plötzlich wieder sein eigener Herr. Er verbirgt dies vor seinem Entführer und beginnt heimlich, die alten Gemäuer zu erkunden auf der Suche nach einem Fluchtweg. Was er schließlich findet, ist viel mehr als das …

Gleich mit Beginn des zweiten Bandes treibt Clemens den Handlungsverlauf um Elena wieder zügig voran. Bedrohung folgt auf Bedrohung, Kampf auf Kampf, beinahe ohne Unterlass, denn die ereignislose Zeitspanne zwischen der erfolgreichen Überquerung des Gebirgspasses bis nach Schattenbach überspringt er einfach. Die einzige ruhigere Phase bietet der Handlungsstrang in A’loatal, mit dem sich die Handlung um Elena abwechselt. Allerdings zieht auch hier das Erzähltempo nach hinten zu dramatisch an.
Die Spannung, schon von Anfang an relativ hoch angesetzt, steigert sich zum Ende hin dramatisch, wohingegen der Endkampf selbst sich als zwar spektakulär aber nicht unbedingt nervenzerreißend erweist. Die dunklen Wesen, die diesmal die Gefährten bedrohen, sind nicht weniger widerlich und abstoßend wie bisher. Die größere Spannung aber erzeugt der im Vergleich zu den übrigen Ungeheuern geradezu gewöhnlich wirkende Zwerg, der Elena bis ins Sumpfland verfolgt, allein durch seine ungeheure Bosheit wie die Unverletzlichkeit des Steins, aus dem er gemacht ist. Gegen diese unaufhaltsam näher kommende Bedrohung und das damit einhergehende Warten wirkt der eigentliche Kampf letztlich wie eine Erlösung. Die Ruhe vor dem Sturm ist eben doch oft unangenehmer als der Sturm selbst.

Clemens ist generell gnadenloser in seiner Erzählart als viele andere Autoren. Er scheut auch nicht davor zurück, Mitglieder der Gruppe um seine Heldin zu opfern, während in den meisten anderen Fällen der enge Kreis um die Hauptperson von Verlusten verschont bleibt. Wobei „zum Opfer fallen“ nicht unbedingt den Tod bedeuten muss. Andere Arten von Verlusten wie Verrat oder Manipulation kommen genauso vor. Dass dem Leser die Identität der Opfer nicht jedes Mal verraten wird, steigert wiederum die Spannung.
Andererseits kommen auch neue Mitglieder dazu. Mikela, die Schwertkämpferin, erweist sich als wertvolle Verbündete, denn sie ist eine Sucherin und in der Lage, Elementarmagie in anderen zu erkennen. Und auch in den Sümpfen finden die Gefährten Verbündete. Was sich dadurch nicht verändert, ist dieser Hauch von Rollenspiel, der der Gruppe anhaftet. Auch zeigen sich erste deutliche Tendenzen dahingehend, dass Beschützer und Schutzbefohlene dabei sind, sich ineinander zu verlieben. Ein immer wieder gern verwendetes Mosaiksteinchen der Literatur, dem wohl keiner auf Dauer entkommen kann. Aber man kann eben nicht alles haben, und der Punkt stört weit weniger als die bereits im Zusammenhang mit dem ersten Band erwähnte Bezeichnung von Magie als Magik!

Abgesehen vom eigentlichen Handlungsverlauf baut Clemens auch seine Welt weiter aus. Je mehr die Geschichte fortschreitet, desto vielgestaltiger und detaillierter wird Alasea. Meervolk und Seedrachen tauchen auf, die ein Gegengewicht zu den üblen Kreaturen des Bösen bilden, und selbst der Sumpf ist ein auf seine eigene Weise faszinierender Ort. Außerdem wird durch die Erzählungen der Sumpfhexe die Vorgeschichte der Eroberung Alaseas eingehender beleuchtet. Puzzleteil für Puzzleteil setzt sich ein Bild zusammen, das jetzt schon die Vermutung aufkommen lässt, es könnte den Wesenskern des Bösen aufdecken und damit für den endgültigen letzten Kampf entscheidend sein.
Der liegt allerdings noch in weiter Ferne, jenseits zweier weiterer Bände, und die Bände werden dicker. Vorerst steht der Kampf um A’loatal an, denn dort befindet sich das Buch. Nur ist A’loatal inzwischen in schwarzen Händen …

„Das Buch des Sturms“, im Original „Wit’ch Storm“, ist eine furiose Fortsetzung des ersten Bandes [„Das Buch des Feuers“. 969 Es erscheint kaum möglich, die Spannung noch weiter zu erhöhen. Wahrscheinlich ist zu befürchten, dass die bevorstehenden Szenen des Krieges eine Menge Unangenehmes beinhalten werden. Wenn man allerdings vom zweiten Band auf den dritten schließen kann, dann hat jeder, der sich von blutigen Details und diversen Scheußlichkeiten nicht abgeschreckt fühlt, mit ziemlicher Sicherheit eine ganze Reihe von starken Adrenalinschüben vor sich.

James Clemens ist gebürtiger Amerikaner, wuchs aber in Kanada auf. Er studierte Veterinärmedizin und eröffnete schließlich eine Praxis in Californien. 1998 erschien der erste Band des Zyklus |Banned and the Banished| unter dem Titel „Wit’ch Fire“. In der deutschen Übersetzung wurde daraus „Das Buch des Feuers“. Die übrigen Bände folgten, jedes Jahr einer. Nach einer längeren Pause soll im Juli dieses Jahres der erste Band des neuen Zyklus |Godslayer Chronicles| herauskommen unter dem Titel „Shadowfall“.

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Evans, Jon – Tödlicher Pfad

Es ist schon ein beachtenswertes Debüt, das der Kanadier Jon Evans mit seinem Thriller „Tödlicher Pfad“ abgeliefert hat. Evans ist ein in San Fransisco lebender IT-Consultant mit Hang zum Globetrotter, genau wie Paul Wood, der Held seines Romans. Man kann Evans nur wünschen, dass dies dann auch schon alle Gemeinsamkeiten gewesen sind, denn was Paul Wood im Laufe der Geschichte so alles durchmachen darf, ist nicht gerade ohne.

Der Klappentext preist Evans‘ Roman als |brillanten Backpacker-Thriller in der Tradition von Alex Garlands „Der Strand“| an und legt damit in Sachen Erwartungshaltung die Latte sehr hoch. „Der Strand“ war schließlich ein atmosphärisch dicht inszenierter Roman, der mit dem knallharten Gegensatz einer paradiesischen Landschaft und den dunklen Abgründen der menschlichen Seele geschickt zu spielen wusste. Ein Pfad, dem auch Evans ein Stück weit folgt, aber ganz ohne dabei Gefahr zu laufen, als billiger Garland-Abklatsch zu enden.

Auch „Tödlicher Pfad“ ist also im Backpackermilieu angesiedelt. Paul Wood befindet sich auf einer Trekkingtour in Südasien, als er in einem verlassenen Dorf am Annapurna-Massiv die Leiche eines brutal ermordeten Trekkers entdeckt, dem, offenbar als makabere Dekoration gedacht, zwei Schweizer Taschenmesser in die Augen gesteckt wurden. Die nepalesische Polizei geht der Sache gar nicht erst großartig nach. Wirbelt man Staub auf, verschreckt das schließlich höchstens die Touristen.

Doch Paul Wood geht der Anblick der Leiche aus einem anderen Grund nicht mehr aus dem Kopf. Zwei Jahre zuvor wurde seine Freundin bei einer Trekkingtour in Kamerun auf genau die gleiche Art umgebracht. Ist er innerhalb von zwei Jahren an zwei weit voneinander entfernt liegenden Punkten auf dem Globus zweimal demselben Killer begegnet? Ein eigenartiger Zufall. Da die Polizei jedoch nichts weiter unternimmt, entscheidet sich Paul, wenigstens in einem Internetforum für Backpacker eine entsprechende Notiz über den Fall zu hinterlassen. Prompt erhält er Antwort von einem User, der sich „Der Stier“ nennt und sich zu den Taten bekennt. Durch sein „Geständnis“ scheint er ein Gerücht zu bestätigen, das unter Backpackern schon seit längerem kursiert: Ein Serienkiller, der es speziell auf Rucksacktouristen in der Dritten Welt abgesehen hat.

Paul als versierter Computerspezialist verfolgt zurück, von wo aus „Der Stier“ seine Nachricht im Forum abgeschickt hat und versucht ihm auf die Schliche zu kommen. Ein riskantes Unterfangen, denn plötzlich wird der Jäger zum Gejagten …

„Ein rasanter Thriller für das 21. Jahrhundert“, lautet die etwas nüchterne Kritik der |Times| im Klappentext und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Evans ist mit „Tödlicher Pfad“ ein moderner Thriller gelungen, der die in den letzten Jahren veränderten Rahmenbedingungen der modernen, technisierten Gesellschaft aufgreift. Das Internet spielt dabei eine wichtige Rolle.

Der Satz „Die Welt ist ein Dorf“ spiegelt sich in verschiedenen Facetten in Evans‘ Roman wider. Zum einen ist die Welt aus der Sicht des viel reisenden Backpackers natürlich eine kleinere. Auch Paul Wood, Evans‘ Hauptfigur, kann sich ein paar Begebenheiten in Erinnerung rufen, in denen er die gleichen Rucksacktouristen in unterschiedlichen Winkeln des Globus rein zufällig wiedergetroffen hat. Ist da die Vorstellung, dass er auch zweimal die Wege des gleichen Killers kreuzt, immer noch so abwegig?

Auch das Internet ist natürlich ein Medium, das den Globus gewissermaßen schrumpfen lässt. Evans‘ Geschichte beruht auf der modernen globalisierten Welt, in der räumliche Distanzen kaum noch ein Hindernis sind. Die Sehnsucht nach zivilisationsfernen Abenteuern und das hochtechnisierte Datennetz des Internets, das dafür sorgt, dass man, selbst wenn man im entferntesten Winkel der Welt hockt, noch mitten im Geschehen ist, ergänzen sich zu einem spannenden Kontrast, der ein Produkt der modernen Gesellschaft ist. Dies ist neben der ausgeklügelten Thrillerkomponente der zweite wichtige Aspekt, der „Tödlicher Pfad“ zu einer interessanten Lektüre macht.

Evans versetzt seine Handlung in ein Setting, das bislang noch unverbraucht und frisch erscheint und inszeniert vor diesem Hintergrund eine Geschichte, die er mit sehr vielen eigenen Erfahrungen zu würzen versteht. Die Gemeinsamkeiten zwischen Autor und Hauptfigur sind absolut offensichtlich und sie sorgen auch dafür, dass die ganze Geschichte einen realitätsnahen Anstrich bekommt. Wenn sich jemand in die Lage eines technisch versierten Backpackers hineinversetzen kann, dann ist das Jon Evans.

Beim Anblick der auf seiner Website dokumentierten Reisestationen kann einen schon das Fernweh packen. Evans ist selbst viel herumgekommen und kann somit Erfahrungen aus erster Hand in seine Beschreibungen des Backpackerlebens einfließen lassen. So verwundert es auch kaum, dass Evans die im Buch immer wieder aufgegriffene Trekkingtour mit dem Overland Truck durch Afrika selbst gemacht hat – ein Verdacht, der mir schon beim Lesen des Buches kam und der sich beim Blick auf Evans‘ Website bestätigt hat. Evans‘ Beschreibungen des Lebens auf Reisen wirken bis ins Mark glaubwürdig und realistisch. Kein Wunder. Der Leser lernt die verschiedensten Winkel der Welt aus Rucksacktouristensicht kennen. Eine Sache, die durchaus ihren Reiz hat.

Teilweise lebt der Roman von diesen lebhaften Beschreibungen des Backpackeralltags, teilweise auch von der Spannung, die mit den Ereignissen einhergeht, in die Paul Wood eher zufällig hineinstolpert. Er betrachtet den Mord an dem Backpacker im Himalaja zunächst eher mit Neugier und will die Parallelen zum Tod seiner Freundin in Kamerun als Zufälligkeit abtun. Doch so ganz kann er das Bedürfnis, die Wahrheit herauszufinden, nicht abschütteln.

Er wird bei seinen Nachforschungen nicht über Nacht zum mutigen Helden, vielmehr vollzieht Evans an seiner Hauptfigur eine sehr glaubwürdige, sich konsequent fortsetzende Entwicklung. Paul bleibt stets auf dem Sprung, scheut trotz aller Neugier und allen Durstes nach Gewissheit die Konfrontation mit dem Killer. Die Angst bleibt sein Begleiter und es ist kein heldenhaftes über sich Hinauswachsen, das Paul mit der Zeit packt, sondern ein schrittweises Herantasten an die Wahrheit, die nach und nach einen Sog entwickelt, der Paul nicht mehr loslässt. Für die Persönlichkeitszeichnung des Paul ist das ein Vorteil. Er bleibt dadurch über die gesamte Romanlänge glaubhaft und nachvollziehbar. Es hat eben doch gewisse Vorteile, wenn eine Romanfigur eng an die Persönlichkeit des Autors angelehnt ist.

Die Thrillerhandlung mutet auch vor diesem Hintergrund durchaus nachvollziehbar an. Der Plot wirkt nicht übermäßig konstruiert, aber genauso wenig abgedroschen. So wie die Rahmenhandlung noch frisch und unverbraucht erscheint, wirkt auch der Thrillerplot. Die einfallsreiche Idee, die Evans dem zugrunde legt, führt zu einem glaubwürdigen und nervenaufreibenden Katz-und-Maus-Spiel mit ungewissem Ausgang. Evans streift dabei Gedankengänge, die durchaus eine gewisse Brisanz enthalten – eine zusätzliche positive Facette des Romans.

Was „Tödlicher Pfad“ letztendlich zu einem wahren „Page-Turner“ macht, ist Evans‘ packender Stil. Er schreibt nüchtern und klar, trägt nicht dick auf und betreibt keine großartige verbale Effekthascherei. Dennoch ist der Roman absolut mitreißend. Evans hat einfach ein Gespür dafür, einen Draht zum Leser zu finden, spricht ihn an manchen Stellen sogar direkt an und zieht ihn damit tief ins Geschehen. Der Leser wird direkt und ganz unmittelbar in die Handlung gestoßen. Stimmung und Figuren entfalten sich schon nach wenigen Seiten, so dass man für „Tödlicher Pfad“ nur wenig Anlauf braucht, um mit dem Buch warm zu werden.

Ein Übriges tut der Spannungsbogen. Paul ist an vielen Punkten bereit, aus der Geschichte auszusteigen, sobald er etwas herausgefunden hat. Er will auch sich selbst nicht unnötig in Gefahr bringen und versucht sich auf diese Weise zu beruhigen. Der Leser fällt darauf natürlich nicht herein. Man ahnt, dass Paul bis zum bitteren Ende weitergehen muss, weil er in der ganzen Geschichte schon viel zu tief drin steckt. Die Spannung wird auf diese Weise angeheizt.

Ein wenig variiert der Spannungsbogen mit den Orten. Zu Hause, wo Paul sich vergleichsweise sicher fühlen kann, kann auch der Leser verschnaufen. In der Ferne exotischer Länder überschlagen sich aber teilweise die Ereignisse. Kurz vor dem Ende der Geschichte nimmt Evans noch einmal ein bisschen Tempo aus der Handlung, um zum Schlusspunkt erneut richtig Gas zu geben, und spätestens dann kann man das Buch garantiert nicht mehr aus der Hand legen. Evans inszeniert den Spannungsbogen abwechslungsreich und geschickt. Mal nimmt er etwas Tempo raus, blendet zurück auf Erlebnisse aus Pauls Backpackerleben, mal gibt er richtig Vollgas. Den Leser muss er mit diesem rasanten Katz-und-Maus-Spiel einfach mitreißen.

Jon Evans ist mit „Tödlicher Pfad“ ein spannender und temporeicher Thriller geglückt, der schlicht aber mitreißend erzählt wird. Die Figuren wirken glaubwürdig, der Plot ist einfallsreich und erfrischend, das Setting der internationalen Backpackerszene noch unverbraucht und reizvoll. Alles in allem ein absolut lohnenswerter, moderner Thriller, der zu fesseln weiß. Freunde spannender, moderner Lektüre sollten unbedingt zugreifen.

Im Sommer erscheint dann übrigens zumindest im englischsprachigen Raum Jon Evans‘ zweiter Roman namens „Blood Prize“. Die Hauptfigur ist wieder Evans‘ Alter-Ego Paul Wood. Handlungsort ist der Balkan. Dass Evans höchstpersönlich die Handlungsorte vorher ausgiebig mit dem Rucksack erkundet hat, versteht sich von selbst …

Autorenhomepage: http://www.rezendi.com

Hohlbein, Wolfgang – Siegel, Das

„Das Siegel“ behandelt die Geschichte des vierzehnjährigen Ulrich von Wolfenstein, letzter Nachfahre aus einem verarmten Adelsgeschlecht, der sich den Kreuzfahrern anschließt, das heilige Land dann jedoch als Sklave betritt. Er wird verkauft an die Haschischin, die Anhänger des Hasan as-Sabbah, und zum Spielball der Intrigen zwischen diesen, den Tempelrittern und Saladin. Schließlich wird er zum Zeugen der Niederlage des christlichen Heeres bei Hattin, wo ihm der höchste Tempelherr das machtverleihende Siegel der Tempelritter anvertraut, auf dass er es in Sicherheit bringen möge. Stets scheint das Schicksal ihm trotz seiner unbedeutenden Geburt und seines unreifen Alters in Positionen zu zwingen, in denen das Schicksal vieler allein von seiner Entscheidung abhängt. Und letztlich fällt ihm die schwerste aller Entscheidungen zu: die Wahl zwischen dem Siegel und dem Freund, zwischen Verantwortung und Treue.

Das klang so weit für mich noch ganz spannend, doch bereits auf den ersten Seiten hat mich die Hohlbeinsche Wirklichkeit eingeholt und ich musste angesichts des extrem einfachen, dabei aber mit einem geradezu pubertären Pathos angefüllten Schreibstils bei zeitgleichem Agieren eines Vierzehnjährigen doch nochmals einen zweiten Blick auf die bibliographischen Angaben werfen. Nein, dies war kein Kinder- oder Jugendbuch. Das Buch ist erschienen als Möchtegern-historischer-Roman in der |Allgemeinen Reihe| des |Heyne|-Verlags. Schade eigentlich, denn als Jugendbuch hätte man hier doch einiges vergeben können, so aber wetze ich jetzt ungeniert meine kritischen Seziermesser. Dabei hat Hohlbein eine fast identische Geschichte auch als Jugendbuch unter dem Titel „Der Ritter von Alexandria“ veröffentlicht.

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist seit 1982 hauptberuflicher Schriftsteller. Seitdem hat er 256 Bücher entweder selbst geschrieben, veröffentlicht oder sonstwie an ihnen mitgewirkt. Er gehört heute zu Deutschlands erfolgreichsten und meistgelesenen Autoren – dennoch sind ihm bisher maximal eine Handvoll Bücher gelungen, die von den Kritikern nicht komplett zerrissen wurden. Und man merkt auch sofort, warum das der Fall ist: Der Stil ist einfach so grauenvoll, dass mir manche Formulierungen regelrechtes literarisches Sodbrennen verursachen. Dermaßen schlecht kenne ich die handwerkliche Umsetzung sonst eigentlich nur noch von Barbara Cartland. Hohlbein spaltet die Nation eindeutig in ihre Lesestoff-Geschmäcker.

Dazu handeln die Protagonisten nicht in einem Rahmen, den ein Erwachsener nachvollziehen kann. Selbst die älteren Männer in Hohlbeins Büchern wie diesem scheinen sich geistig noch im Stimmbruch zu befinden. Die Charaktere sind flach gezeichnet und nicht im Geringsten glaubhaft.
Dabei hätte alles so schön sein können, denn im Grunde hat Hohlbein ein Gespür für Geschichten, die sich zu erzählen lohnen. So ist denn auch der historische Hintergrund, wenn schon nicht detailgetreu gezeichnet, so doch grundsätzlich interessant, und aus den Grundzügen der Geschichte hätte ein anderer Autor einen spannenden Abenteuerroman vor faszinierendem historischem Hintergrund machen können. Nun will ich gar nicht mal besonders auf historischer Korrektheit herumreiten, denn Hohlbein selbst warnt uns schon vor Buchbeginn, dass er sich „einige geschichtliche Freiheiten erlaubt“. Im Grunde erscheint das ganze Buch als eine geschichtliche Freiheit, wenn nicht gar eine Frechheit, wenn man dies wirklich als historischen Roman bezeichnen möchte. Selbst einige Fantasy-Elemente wie Zauberei, Auferstehung von den Toten etc. finden sich hier wieder und werden munter mit historischen Persönlichkeiten und Fakten vermischt. Doch dies nur nebenbei, schwerer wiegen für mich die beinahe fehlende Spannung und die flachen, absurd erscheinenden, klischeebeladenen Charakterisierungen.

Denn da wäre zunächst mal Ulrich: reinen Herzens, 14, nach zwei Wochen Ausbildung bereits in der Lage, erfahrene Ritter im Schwertkampf zu schlagen, doch seine Texte stottert er mit kindlicher Unsicherheit runter. Und … seine wörtliche Rede … ist häufig von … ermüdenden … Sprechpausen aus … drei Punkten … unterbrochen.
Hasan as-Sabbah, der verschlagene, alte Mann, dem jedes Mittel recht ist und der sich auch der finsteren Mächte des Bösen bedient, um an sein Ziel zu gelangen.
Sultan Saladin, der edle Heide. Ein ehrenvoller Feind.
Sarim de Laurec, der treue Freund, der noch in der größten Not zu ihm hält. Und so weiter …

Und dann, wie gesagt, die fehlende Spannung. Die gesamte Story ist von vorn bis hinten entweder vorhersehbar oder zusammenhanglos und wirr. Selbst mitten im Schlachtgetümmel und kurz vor Ende fiel es mir nicht schwer, eine Lesepause einzulegen. Das mitreißende Element fehlt völlig. Die Charaktere folgen keiner durchgezeichneten Handlungslinie, sondern scheinen von einem trüben Geschichtsstrom dahingeschwemmt zu werden. Erst im letzten Viertel des Buchs taucht plötzlich das titelgebende Siegel auf und die eigentliche Geschichte (oder eine weitere) beginnt, hat aber mit der langen, für diesen Plot nicht relevanten Vorgeschichte so gut wie nichts zu tun. Das Ende ist ebenso vorhersehbar und dabei doch planlos und trieft nur so von pubertären Hormonen und übertriebenem Pathos.
Das Allerschlimmste aber war, dass mir „Das Siegel“ als eines von Hohlbeins besseren Büchern empfohlen worden war. Eine Empfehlung, die ich garantiert nicht weitergeben werde. Es gibt wirklich bessere historische Romane zum Thema Tempelritter – selbst von Wolfgang Hohlbein.

http://www.hohlbein.de/

James Munro – Eine Karte aus Kutsk

munro-kutsk-cover-kleinEin britischer Geheimagent wird in die Türkei geschickt, um dort einem sowjetischen Wissenschaftler die Flucht durch den Eisernen Vorhang zu ermöglichen. Leider weiß der Feind längst Bescheid und bereitet dem Agenten einen mehr als heißen Empfang, bis dieser zu ahnen beginnt, dass ihn zudem seine eigenen Leute verraten und verkauft haben … – Harter Thriller in James Bond-Manier, keine billige Kopie, sondern durchaus eigenständig, besetzt mit einem interessant gebrochenen Helden, dazu unterhaltsam und flott geschrieben.
James Munro – Eine Karte aus Kutsk weiterlesen

Le Fanu, Joseph Thomas Sheridan – Carmilla, der Vampir (Gruselkabinett 1)

Laura ist jung und schön, doch leider nützt ihr das wenig, da sie einsam, nur mit ihrem Vater und zwei Gouvernanten, im Familienschloss in der Steiermark des 19. Jahrhunderts lebt. Sie leidet unter der Abgeschiedenheit ihres Wohnsitzes und freut sich daher besonders auf die ebenfalls junge Bertha, die sich als Sommergast angesagt hat. Doch ihr Vater muss ihre Hoffnungen zerstören: Bertha ist plötzlich verstorben. Laura hat jedoch Glück im Unglück, wie es zunächst scheint, denn kurz darauf verunfallt eine Kutsche genau vor dem Schloss und die geheimnisvolle Insassin lässt ihre bewusstlose Tochter in der Obhut Lauras und ihres Vaters, da sie sofort weiterreisen muss.

Carmilla, so heißt der überraschende Gast, erobert schnell die Herzen ihrer Retter. Laura, immer noch auf der Suche nach einer vertrauten Freundin, ergreift die Chance und lässt sich von Carmillas reizendem Charme einwickeln. Nach kurzer Zeit schwören sich die beiden ewige Freundschaft und gestehen sich ihre gegenseitige Hingabe. Doch Carmilla hat auch ihre dunkle Seite. Nie verlässt sie vor dem Mittag ihr Zimmer, nie nimmt sie mit der Familie ihre Mahlzeiten ein und nie lässt sie etwas über ihre Herkunft oder Familie verlauten. Laura ist zwar frustriert über Carmillas Verschwiegenheit, aber sie dringt nicht weiter in sie, um die neu gewonnene Freundschaft nicht zu gefährden.

Bald nach Carmillas Ankunft fängt Laura an, seltsame Dinge an sich zu beobachten. Sie träumt schlecht und meint des Nachts eine große schwarze Katze in ihrem Zimmer zu sehen. Sie verspürt einen Schmerz wie von zwei Nadelstichen am Halse und fühlt sich tagsüber zunehmend matter und müder. Der hinzugezogene Arzt vermutet den Angriff eines Vampirs, denn seit kurzem scheint in der Gegend ein Untoter sein Unwesen zu treiben.

Der irische Autor Sheridan Le Fanu veröffentlichte seine Novelle „Carmilla“ erstmals 1872 in seinem Erzählband „In a Glass Darkly“. Die darin geschilderte lesbische Vampirin Carmilla dominierte die Erzählung mit ihrem Charisma dermaßen, dass sie auch noch heute literarischen Einfluss auf Autoren von Vampirgeschichten ausübt. Selbst Bram Stoker, gemeinhin als der Urvater des Vampirgenres bekannt, verneigte sich vor Le Fanus Vampirin, indem er seinen „Dracula“ ursprünglich in der Steiermark spielen lassen wollte – dem Ort, an dem auch „Carmilla“ spielt.

Der Originaltext ist geprägt von einer für den heutigen Leser kaum zu übersehenden sexuellen Spannung zwischen Laura und Carmilla. Die Vampirin, die es ausschließlich auf Frauen abgesehen hat (in Liebes- und Ernährungsfragen gleichermaßen) überschüttet Laura mit den bekannten Formen der Liebeswerbung und das geht so weit, dass sich Laura an einer Stelle gar fragt, ob es sich bei Carmilla vielleicht um einen Mann in Frauenkleidern handelt. So gibt es Tête-á-têtes im Garten, leidenschaftliche Blicke und zarte Küsse. Laura schwankt ob dieser Aufmerksamkeit zwischen Erregung und Entsetzen, macht aber nie den entscheidenen Schritt, Carmillas Verhalten als sexuelles Interesse zu werten. Begehren wird immer nur männlich gedacht, die Unmöglichkeit von Carmillas Annäherungen kann Laura daher nur verwirren.

Das Hörspiel aus der Feder von Marc Gruppe schwächt die homoerotischen Elemente etwas ab, eliminiert sie jedoch nicht ganz. So wandert zwar der ursprüngliche Vampirbiss vom Busen hoch zum keuschen Hals, doch gibt es auch im Hörspiel eine Liebeserklärung zwischen den beiden. Gruppe setzt hier also den Schwerpunkt nicht auf das sexuelle Innuendo zwischen den Hauptfiguren, sondern konzentriert die Handlung auf die Ambivalenz in Carmillas Charakter, die zwischen echter Freundin und kaltblütiger Vampirin schwankt. Dass man Carmilla die Infiltration von Lauras Leben ohne Zögern abnimmt, liegt auch an der Sprecherin Daniela Hoffmann, die viele als deutsche Stimme von „Ally McBeal“ kennen. Sie klingt über weite Strecken so süß, unschuldig und ungefährlich, dass die raren Momente, in denen die Maske fällt und sie stimmlich zur Furie mutiert, besonders schockierend anmuten.

Doch auch sonst ist das Hörspiel hochkarätig besetzt: Manja Doering als Laura ist wunderbar naiv und jugendlich und Regina Lemnitz und Arianne Borbach als Lauras Gouvernanten herrlich abergläubisch und schwärmerisch. In den männlichen Rollen sind besonders der sehr fürsorgliche Heinz Ostermann als Lauras Vater und ein wunderbar maskulin klingender Christian Rode als General Spielsdorf zu nennen.

Marc Gruppes Hörspiel hält sich auffallend dicht an den Text von Sheridan Le Fanu. Natürlich, es gibt einige Änderungen, besonders die Träume und die schließliche Vernichtung Carmillas betreffend. Doch davon abgesehen kann man alles wiederfinden, was auch Le Fanu in seiner Novelle beschreibt. Selbst Laura als Erzählerin wurde beibehalten und so folgt der Hörer ihrer (naiven) Sicht der Dinge. Was man allerdings im Hörspiel nicht erfährt (im Gegensatz zum Text), ist die Tatsache, dass Laura einige Jahre nach den Begebenheiten um Carmilla verstirbt. Die Vampirin triumphiert am Ende also doch!

Man sollte sich daher nicht vom recht trashigen Cover der CD (in der ersten Fassung, die Cover wurden mittlerweile neu gestaltet) abschrecken lassen, denn wie heißt es so treffend: „Don’t judge a book by its cover.“ Im Innern findet sich nämlich ein wirklich hochwertiges Hörspiel, das unterhält und gleichzeitig einen klassischen Text der Vampirliteratur einem Publikum zugänglich macht, das eine so alte Novelle freiwillig vielleicht nicht in die Hand genommen hätte. Die 78 Minuten Spieldauer der CD sind in keinem Fall verschenkte Zeit!

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)

Mary Roberts Rinehart – Die rote Lampe

Was geschah wirklich in dem alten, allzu geräumigen Landsitz? Geht es dort tatsächlich um, wie eine angeblich hellseherisch begabte Dame behauptet? Oder treiben allzu weltliche Schurken ihr Unwesen? Einige Menschen (und viele Schafe) müssen sterben, bis sich das Rätsel zu enthüllen beginnt … – Spannender, atmosphärisch dichter „Landhaus-Krimi“-Klassiker mit einem kräftigen Schuss Spukgeschichte, fabuliert von einer anerkannten Meisterin des Genres.
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Göpel, Felix – Mit dem Fahrrad zur WM. Von Kreuzberg nach Korea 2002

Schuld waren eigentlich nur Göran Kropp und Felix Göpels Mutter, die ihrem Sohn zu Weihnachten das Buch des berühmten schwedischen Weltenbummlers schenkte, der mit dem Fahrrad nach Nepal aufbrach, um dort alleine den Mount Everest zu besteigen. Die Fahrrad-Expedition begeisterte den passionierten Hobbyradfahrer Felix so sehr, dass er beschloss, ein Semester lang in Indien zu studieren und den Weg dorthin mit dem Rad zu meistern. Nach zweijähriger Vorbereitungszeit starten Felix Göpel und sein langjähriger Freund aus Kindestagen Kevin Meisel am 5. August 2001 mit ihren Rädern, um getreu dem Motto „mit dem Fahrrad in die Uni“ von Berlin nach Indien zu fahren.

Schon in Meißen werden die beiden abenteuerlustigen Radfahrer durch eine Sehnenscheidenentzündung in Kevins Ferse ausgebremst und müssen noch relativ nah der Heimat die erste Zwangspause einlegen. Doch Kevins Wille ist ungebrochen, nach kurzer Verschnaufpause geht die Fahrt weiter gen Osten durch fremde Länder. Zwischendurch wird immer wieder der „Lance der Woche“ als Auszeichnung für besondere Hilfe während der Tour verteilt, höchstwahrscheinlich steht jedoch der allererste „Lance“ noch aus, der demjenigen gebührt, der im Berliner Fahrradladen Klinkert einem beliebigen Mitarbeiter die Meinung geigt.

Im verregneten Prag denken sich Felix und Kevin eine recht schicke Taktik aus, um zu einer kostenlosen Übernachtung zu gelangen, doch eine unscheinbare Cloppenburgerin scheint den beiden dann doch nicht spektakulär genug zu sein, um bei ihr die Nacht zu verbringen, so muss schnell eine neue Idee her. Die Grenzüberquerung zwischen Tschechien und Österreich artet schließlich zu einer fast hollywoodreifen Episode aus, die nur mit Hilfe der Volksbank noch ein glückliches Ende nehmen kann.

Besonders Kevin scheint auf der Tour das Pech magisch anzuziehen, so ist es immer wieder die Ferse, die ihn am Weiterfahren hindert, später gesellt sich noch ein schmerzendes Knie hinzu, in Ungarn bricht ihm ein Zahn ab, im Iran hätte ihm ein plötzlich abbremsender Peykan fast das Leben gekostet und später wird sogar ein Tumor in seiner Brust festgestellt. Kevin sorgt für die Geschichten und Felix schreibt sie auf. Aber auch Felix Göpel bleibt nicht völlig verschont; in der Türkei verleitet ihn eine verspannte Schulter zu einem Besuch im Hammam, in dem er sogar noch kränker massiert wird. So erleben die beiden jungen Männer ihre ganz eigene Tour der Leiden, verfolgt von wild gewordenen Hunden, immer wieder im krassen Gegensatz zu den Kulturen, durch die sie pedalieren, und ab dem Iran erstmals mit dem Gedanken, hinter Indien noch weiterzufahren bis Korea, wo im Jahr 2002 die Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet.

Zwischendurch erlebt der Leser nicht nur mit, wie Felix Göpel und Kevin Meisel in der Türkei von den Anschlägen des 11. September auf das New Yorker World Trade Center erfahren und Felix um seine ältere Schwester „Friedi“ fürchten muss, sondern auch wie die beiden als Folge auf die Terroranschläge und den darauf folgenden Krieg in Afghanistan ihre Fahrpläne durch Pakistan umschmeißen müssen, um nicht „John Rambo“-gleich todesmutig durch die Gefahrenzone zu radeln. Insgesamt fast 11000 Kilometer und 10 Monate später stehen Felix und Kevin schließlich in Korea im Fußballstadion …

Reiseliteratur ist langweilig, selbst verreisen und Urlaub machen ist viel besser. Das ist in den meisten Fällen sicherlich richtig, doch die Erlebnisse der hier geschilderten Leidenstour auf dem Rad von Berlin nach Korea zur Fußball-WM fernab der Zivilisation werden wohl nur die wenigsten Urlauber selbst am eigenen Leibe erfahren können. Somit wird der Leser bei der Lektüre dieses Buches in fremde Länder entführt und erlebt eine Geschichte mit, wie sie unglaublicher kaum sein könnte. Die zehnmonatige Radtour lebt von den kleinen Episoden zwischen Kevin, Felix und den Menschen, denen sie auf ihrem Weg nach Korea begegnen. Hier prallen Gegensätze aufeinander, aber auch auf die Hilfsbereitschaft der einheimischen Bevölkerung können die beiden oft zählen. Der längste Abschnitt des Buches ist dem Iran gewidmet, in welchem Kevin und Felix schließlich auch Weihnachten und Silvester feiern.

Mit Wortwitz und spritziger Sprache erzählt Felix Göpel von all den Dingen, die zwischen Kreuzberg und Korea geschehen sind, und bringt seine Leser dadurch oftmals zum Lachen oder zumindest doch zum Schmunzeln. Die Episoden sind dabei so kurzweilig geschrieben, dass man problemlos in eine fremde Welt eintauchen und die Radtour nachlesen und fast sogar miterleben kann. Das verschneite Mistwetter vor dem eigenen Fenster bemerkt man eigentlich erst dann, wenn es im Iran so kalt wird, dass des nachts das Wasser in den Trinkflaschen gefriert. An vielen Stellen bedient sich Felix Göpel der Umgangssprache, was aber durchaus zu den wahnwitzigen Geschichten der beiden Abenteurer passt. Nicht alle Kapitel sind in handelsüblichen Kapiteln im Tagebuchstil geschrieben, einige Geschichten werden in Form von Briefen erzählt, die Felix an seine Familie gerichtet hat. Das Abenteuer an der Grenze zwischen Österreich und Tschechien reicht gar aus für ein kurzes Theaterstück in vier Akten und auch ein Chatprotokoll ist zu finden.

Besonders nett zu lesen sind die kleinen Seitenhiebe, die nur am Rande auffallen, oder auch die gelungenen und witzigen Metaphern, die die Erzählung beleben. Beim Lesen habe ich mich königlich amüsiert über die zahlreichen verrückten Geschichten, auch wenn sie in der Situation sicherlich nicht so lustig waren, wie sie beim Lesen klangen. Ich erinnere mich da an den durchgedrehten Hund, der zu einer akuten Bedrohung wird und sich von Felix’ Trinkflasche nicht recht abschütteln lassen will. Die Situationen sind dabei so lebhaft und plastisch geschildert, dass der Leser sich ein gutes Bild davon machen kann und die Szenen regelrecht vor Augen hat. Zur besseren Vorstellung tragen hier unter anderem die zahlreichen Bilder von der Tour auf den Seiten 353 bis 368 bei.

Die Reiseeindrücke sind dabei sehr subjektiv und persönlich, und der Leser darf sogar an privaten Sorgen teilhaben wie derjenigen um die Familie zu Hause und um die Schwester, die am 11. September in Manhattan arbeitet. So wachsen einem das Buch und seine beiden Helden einfach ans Herz, beim Lesen leidet man immer mit und bangt um Kevins Ferse, die ab dem Iran kaum noch mitradeln mag. Auch wenn die beiden sich dem iranischen Sicherheitsapparat gegenübersehen, als sie sich zu oft mit zwei jungen Mädchen in der Öffentlichkeit haben blicken lassen, ist der Leser hautnah dabei und fiebert mit. Am spannendsten und interessantesten wird es eigentlich immer dann, wenn Felix und Kevin eine Pause einlegen wollen, um sich auszuruhen und die Gegend zu erkunden. Hierbei finden sie sich später sogar in einem Ashram wieder, wo sie feststellen müssen, dass sie einfach nicht die Pause zwischen zwei Gedanken finden und schon gar nicht auf eineinhalb Stunden ausdehnen können.

Felix Göpel zeigt uns die östliche Welt, wie er sie auf seiner Tour der Leiden kennen gelernt hat, er schildert seine persönlichen Eindrücke und scheut sich auch nicht vor einer nur teilweise versteckten Gesellschaftskritik. In meist lustigen Worten bringt er hierbei seine eigene Meinung unter, die nicht immer mit der Meinung am jeweiligen Reiseort konform geht. Hierbei bleiben beispielsweise auch die Gepflogenheiten des Islam nicht verschont, wenn Felix in der Türkei verschleierte Frauen bei der Feldarbeit beobachtet, während die Ehemänner ihren Tag im Teehaus verbringen und ihre Frauen erst abends vom Feld an den Herd holen (S. 149).

Gerade die kleinen Erlebnisse zwischen den beiden Radfahrern und der einheimischen Bevölkerung sorgen dafür, dass der Leser einen recht guten Einblick in fremde Traditionen erhält und mehr über Land und Leute erfährt, obwohl die meisten Geschichten eine persönliche Wertung erhalten. Der Schwerpunkt des Buches liegt hierbei nicht so sehr auf den Radsporterlebnissen, auch wenn die häufig auftauchenden Platten in Tibet genauso angesprochen werden wie die schwierige Ersatzteilsuche in der Türkei, doch auch radsportdesinteressierte Leser werden bei dieser Reiseschilderung ihre helle Freude haben und müssen keine langatmigen Radbeschreibungen be fürchten. Die Probleme mit den Fahrrädern werden eher am Rande abgehandelt, Mittelpunkt des Buches sind die persönlichen Eindrücke des Autors.

„Mit dem Fahrrad zur WM“ sorgt für kurzweiliges Lesevergnügen, das seinen Leser schnell in fremde Welten entführt und ihm unbekannte Kulturen vorstellt. Seinen Reiz gewinnt das Buch durch seinen Wortwitz und die vielen amüsanten Episoden zwischen Kreuzberg und Korea. Der Leser leidet auf jeder Seite mit den beiden Radsporthelden mit, die ihre ganz eigene Tour der Leiden erleben auf ihrem Weg nach Korea, und wird hierbei exzellent unterhalten. Auch für Reiseliteraturmuffel wie mich ist dieses Buch einfach nur empfehlenswert. Man kann in die Geschichte besser eintauchen als in so manchen Krimi und so bleibt am Ende eigentlich nur zu hoffen, dass sich Kevins Ferse wieder erholt und die beiden 2010 nach Südafrika aufbrechen, um dort erneut mit dem Rad bis vor die Fußballstadien vorzufahren.

Wer nach dem Buch noch etwas mehr über Felix Göpel, Kevin Meisel und ihre gemeinsame Fahrradtour zur Fußball-Weltmeisterschaft erfahren möchte, kann sich auf ihrer Homepage http://www.mitdemfahrradindieuni.de schlauer machen und sich dort noch viele weitere Fotos ansehen.

Powers, Tim – Declare – Auf dem Berg der Engel

Am 2. Januar 1963 wird Andrew Hale, nach 14 Jahren ruhigen Berufslebens als Dozent in Oxford, von James Theodora, der Grauen Eminenz des britischen Geheimdienstes. wieder einberufen und unter höchst konspirativen Umständen nach London verbracht, wo er vom Geheimdienstchef und Premier MacMillan persönlich mit der Beendigung des Geheimauftrages DECLARE beauftragt wird. Dringende Umstände, unter anderem eine bevorstehende russische Geheimaktion, in die auch der britische Doppelagent Kim Philby verwickelt ist, machen es notwendig, dass Hale sich unter der rasch ersonnenen Tarnung, sich der drohenden Verhaftung durch den MI5 durch einen Doppelmord entzogen zu haben, nach Kuweit absetzt und den Kontakt zu dortigen russischen Agenten sucht.
Bereits in der Vergangenheit, sogar seit seiner Kindheit, war Hale in Kontakt mit „den Leuten der Krone“; dorthin gebracht von seiner Mutter selbst, stand doch auch der Vater des in Palästina Geborenen in deren Diensten. Nach Erziehung in einem katholischen Jugendheim ging er nach Oxford, schloss sich einer kommunistisch orientierten Studentengruppe an und wurde alsbald als Neunzehnjähriger ins besetzte Paris des Jahres 1941 eingeschleust. Dort trifft er die spanische Bürgerkriegswaise Elena, die bereits eine Agentin für die Russen ist, und verliebt sich in sie. Anfang 1942 entkommen sie nur knapp (und unter mysteriösen Umständen …) der Verhaftung durch die Gestapo. Über Lissabon zurück in England, versucht Kim Philby, bereits damals als Doppelagent tätig, ihn vergeblich auszuschalten. Nach einigen Jahren in höchst geheimen Archiven muss Hale im Sommer 1945 in Berlin erneut in den aktiven Dienst, wo er Elena wiedertrifft, aber auch seine mysteriöse Aufgabe (die Platzierung eines Steines an der russischen Sektorengrenze) unter Lebensgefahr (und nicht nur von Seiten der Russen) erfüllt. Nach wiederum einigen Jahren als Außerdienstleiter in Arabien leitete er 1948 den Beginn der Operation DECLARE, die von britischer Seite mit einem völligen Debakel endete; fünf Geheimdienstmitarbeiter sterben in der Osttürkei, zusammen mit einigen aus Russland eingeschleusten Agenten, deren Pläneebenfalls nicht erfüllt wurden. Von diesem „Versagen“ damals noch immer frustriert, muss er sich erneut der höchstgefährlichen Mission widmen, und wiederum ist Kim Philby sowohl sein Mit- wie sein Gegenspieler; doch bei aller Verschlagenheit: Philby ist nur ein Mensch, und die Gefahren in diesem Fall lauern ganz woanders, hoch droben auf dem „Berg der Engel“…

Das ist ein großes Buch.
Man muss die Handlungsbeschreibung entsprechend knapp und geschraubt formulieren, denn verrät man einige Schlüsselworte, kann man sich leider bereits ausmalen, worum es geht. Schon die Äußerlichkeiten lassen einiges ahnen. Der Klappentext vermeldet: „(Tim Powers) … schrieb einen beispiellosen Roman, der sowohl Spionagethriller wie auch Horrorroman à la Clive Barker ist, aber auch eine Liebesgeschichte und ein episches Abenteuer“. Die letzten beiden Bezeichnungen sind leicht übertrieben, aber die Mischung aus Spionageroman und Übernatürlichem erkennt man bereits auf dem kargen, aber symbolhaften Titelbild, das eine Gewehrpatrone mit dem roten (esoterischen) Zeichen des Ankh, des ägyptischen Henkelkreuzes zeigt.
Das Buch ist in zwei Abschnitte (plus Epilog) eingeteilt. Der erste, betitelt mit „Lernen, nicht reden“, beschreibt anhand des Werdegangs von Andrew Hale (auch dieser Name ist wie fast alles im Buch ein Symbol) eben jene Spionagegeschichte, die sich von der Zeit des Zweiten Weltkriegs bis zum Höhepunkt des kalten Krieges spannt, halbwegs in der Tradition eines John le Carré geschrieben (und Andrew Hale, widerstrebend, manchmal furchtsam, manchmal kühl und besonnen, aber auch desillusioniert, erscheint vor dem geistigen Auge wie weiland Richard Burton als der Spion, der aus der Kälte kam). Die genretypischen Unwahrscheinlichkeiten eines solchen Romans sind natürlich auch vorhanden: verwirrende Handlung, Intrigen und Gegenattacken sogar innerhalb der eigenen Geheimdienste, Geheimnisgebaren der Handlungsträger, die sich allesamt in jeder Situation auskennen (obwohl sie zwei Leben brauchen müssten, um allein die grundlegendsten Kenntnisse zu erwerben, mit denen sie protzen) und der ungeheure Einsatz von „Manpower“, mit der die einzelnen Aktionen ausgestattet sind. Gewünscht hätte man sich auch ein kleines Glossar, und sei es nur mit den Erklärungen der zahlreichen Abkürzungen für Spionagedienste.
Etwas störend – nicht erkennbar, ob dem Autor oder der Übersetzung zuzuordnen – sind einige Modernismen, die in die Dialoge eingemischt sind; und bei dem konzentrierten Lesen, mit dem der ganze Roman behandelt werden sollte (denn nichts, rein gar nichts erscheint unwichtig) stößt man auch auf einige Patzer. Dass Hale sich 1941 als Erstsemesterstudent sein späteres Berufsziel als „in einer Reihe der großen Oxforddozenten wie Lewis oder Tolkien“ vorstellt, kann man noch belächeln, und als amerikanischer Autor (trotz Kartenzugangs?) kann man schon mal seine Hauptfigur von Göttingen nach Helmstedt reisen und dabei die Oder überqueren lassen (quo vadis, ungenannter deutscher Lektor?). Doch keine Fantasy lässt es zu, dass der britische Geheimdienstchef im Dezember 1962 in Rom ein Treffen mit Papst Pius XII. absolviert. Das Bereithalten eines umfangreichen Lexikons (oder gleich einer Ausgabe von „Stein’s Kulturfahrplan“) während der Lektüre ist zu empfehlen.

Und doch ist der erste Teil nur die Fassade, das fast dreihundert Seiten umfassende Deckgestein, unter dem der phantastik-interessierte Leser die goldenen Nuggets suchen muss. Sie kommen einzeln, sehr selten zunächst (auf Seite 87 wird zum ersten Mal in vier Worten erwähnt, worum es überhaupt 1948 bei DECLARE gegangen ist), dann öfters auftretend (seltsame fluoreszierende Leuchterscheinungen, die wundersame Errettung vor der Verhaftung in Paris). Es liegt im ganzen Roman immer so etwas wie ein „großes Raunen“ in der Luft, und das auch zu Recht. Kann man die kleinen Traumsequenzen, die Andrew Hale (meist zu seinem Geburtstag kurz nach Neujahr) hat, noch als phantasievolle Vorstellungen akzeptieren und ein Geschehnis in Berlin 1945 vielleicht noch mit „extremen meteorologischen Ereignissen“ (obwohl es, nachgerade betrachtet, damals schon die Grundsteinlegung der Berliner Mauer gewesen ist …), so blitzt es dann golden auf (etwa auf Seite 220), als Hale und sein arabisch-russischer Kontaktmann eine Oase in der Wüste aufsuchen und sich das Übernatürliche ganz offen aus dieser erhebt … und spätestens mit dem Beginn des zweiten Buchteils („Wissen, nicht glauben“) ist man, um im Bild zu bleiben, auf die „Mother Load“ der Bonanza gestoßen. Von hier an treten die Elemente des Spionageromans zugunsten der Beschäftigung mit „dem Übernatürlichen“ immer weiter in den Hintergrund. Und Tim Powers hat, von alten Sagen und Erzählungen über die Bibel, Qmranschriften, den Koran bis hin zu Legenden der Neuzeit (etwa dem Unfalltod Lawrence’ von Arabien … der mutmaßlich Andrews Vater gewesen ist … aber auch das bleibt im Ungewissen), so ziemlich alles hinein- und neuverpackt.

In seinem Nachwort (das man eben an dieser Stelle, also unbedingt nach der Lektüre des Romans, lesen sollte) schildert er seine Quellen und Vorgehensweise. Als Fan von le-Carré-Romanen hat er auch Sekundärmaterial dazu gelesen, etwa Biographien über Kim Philby, den bekanntesten (historischen) (Doppel-)Agenten des Kalten Krieges, dabei einige Merkwürdigkeiten festgestellt, sich eine Grundthese mit Phantastik-Inhalt gebildet und danach alles weitere zugeordnet, wobei vieles wie Puzzlesteinchen sich zusammengefügt hat. Das ist im Wesentlichen auch die Methode, nach der Verschwörungstheoretiker ihre obskuren Ansichten zusammenbasteln, aber da Tim Powers ja „nur“ einen Roman schreiben will, gibt er sich entsprechend lustvoll und locker dieser Methodik hin.

Herausgekommen ist ein sehr gutes, sehr schönes, aber auch anstrengendes Buch, als Schmöker für die langen Winterabende und -nächte immer zu empfehlen. Und solange man nicht an den Inhalt glaubt (und Occams Skalpell stecken lässt) …

_Manfred Roth_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.x-zine.de/ veröffentlicht.|

Hennig von Lange, Alexa – Erste Liebe

Alexa Hennig von Lange legt mit „Erste Liebe“ die Fortsetzung ihres Erfolgsromans [„Ich habe einfach Glück“ 987 aus dem Jahr 2002 vor. Die 1973 geborene Hannoveranerin zählt seit der Veröffentlichung ihres Debüts „Relax“ (1997) zu den erfolgreichsten Autorinnen ihrer Generation.
Desweiteren erschienen „Ich bin’s“, „Mai 3D“, [„Woher ich komme“ 962 und ihr aktuelles Kinder- und Jugendbuch „Mira reichts“.
Für „Ich habe einfach Glück“ erhielt sie den Jugendliteraturpreis 2002. „Erste Liebe“ erschien im September 2004.

Irgendwann in den 90ern trifft man Lelle und ihre chaotische Familie aus „Ich habe einfach Glück“ wieder. Inzwischen hat sich einiges getan, zwei Jahre sind vergangen, Lelle ist jetzt 17 und auf Rat ihrer Therapeutin von zu Hause weggezogen. Jetzt lebt sie in einem kleinen Zimmer, das sich an das Büro des Vaters anschließt.
Ihr erster Freund Arthur ist weg, der baut jetzt in Simbabwe Lehmhäuser und lächelt als groß kopiertes Foto von der Wand auf Lelle herab. Natürlich macht sie das etwas wehmütig, doch Lelle ist tapfer, so gibt sie sich zumindest, obwohl die Tränen des Öfteren mal hervorschießen. Aber es ist Besserung in Sicht: Auf der Party ihrer sonst langweiligen Freundin Tessi lernt sie den Rocker Marcel kennen und verliebt sich augenblicklich in ihn.

In ihrer Familie ist noch alles beim Alten, die ältere Schwester Gotsch ist eifersüchtig auf Lelle, weil die das Zimmer bekommen hat und nicht sie. Sie wechselt auch immer noch ihre Liebschaften wie ihre Unterwäsche und mit Selbstmord droht sie auch noch, wenn sie sich wie so oft ungerecht behandelt und ungeliebt fühlt. Der Vater geht Konfrontationen nach wie vor aus dem Weg und wenn sich das nicht verhindern lässt, bekommt er einen cholerischen Anfall. Die Mutter versucht vergeblich, das Ganze zusammenzuhalten, scheint sich in der Zukunft aber schon ohne ihren Berni zu sehen. Die Konfrontation scheint sie anders als in „Ich habe einfach Glück“ jedenfalls nicht mehr zu scheuen.

„Erste Liebe“ ist ein Buch, das zu Beginn vor allem von zwei Dingen lebt: Zum einen die Soap-Frage: Wie ging es nach „Ich habe einfach Glück“ weiter?, und zum anderen durch die gewohnt flüssige, leichte und authentische Jugendsprache, mit der die Autorin ihren Charakteren Leben einhaucht. Die sind dem Leser auch inzwischen ans Herz gewachsen, da „Erste Liebe“ die Trilogie („Lelle“, „Ich habe einfach Glück“) um Lelle vorerst abschließt. Demzufolge kennt der Leser die Protagonistin schon sehr gut, was bei der Entwicklung der Story natürlich viel Zeit spart. Trotzdem macht Hennig von Lange den Einstieg für Leser, die die ersten beiden Teile nicht kennen, leicht: Lelle gewährt ab und an Einblicke in ihre Vergangenheit, indem sie von einschneidenden Erlebnissen ihrer Jugend berichtet oder Beispiele für das Fehlverhalten ihrer Familie anführt. Für den mit dem Stoff vertrauten Leser kommen diese Punkte alles andere als ungelegen, frischen sie die Erinnerung doch noch mal auf und nehmen dabei kaum Platz weg.

Trotzdem hat der Roman auch seine Schwächen, die vor allem in der Handlung liegen, in der Lelle den Leser, den sie in ihrer lockeren Art mit „Leute“ auch anspricht, hineinzuziehen versucht. Die Familienproblematik ist aus den vorhergehenden Romanen schon bestens bekannt und gibt nicht mehr so viel Neues her. Zur Geschichte kommen lediglich zwei neue Aspekte hinzu: Zum einen das langsame Abnabeln von der immer präsenten Familie, der Anfang vom Abschied der Kindheit. Da Lelle nun aber doch noch täglich von ihren Eltern umgeben ist und sie mit 17 noch gar nicht so alt ist, kommen diese Aspekte etwas zu kurz. Aber da ist ja noch die „Erste Liebe“ oder vielmehr die zweite, Marcel. Der bringt einen völlig neuen Punkt mit in Lelles Leben: Den ersten Sex und den daraus folgenden inneren Konflikt, da sie ja eigentlich noch mit Arthur zusammen ist.

Leider hält sich Alexa Hennig von Lange mit diesen Dingen ebenfalls nicht lange auf und so ist nach drei Tagen Erzählzeit der Roman nach 158 Seiten beendet und wirkt dadurch viel zu flüchtig, was durch die lockere Erzählsprache nur begünstigt wird. Trotzdem bleibt „Erste Liebe“ ein sehr unterhaltsamer Roman, der den Zauber der Jugend für kurze Zeit aufleben lässt.

Michael Shea – Die Farbe aus der Zeit

Das geschieht:

Die Freunde Gerald Sternbruck (der Ich-Erzähler) und Ernst Carlsberg verbringen ihren Urlaub an einem Stausee in Neuengland. Dort sticht ihnen ein merkwürdiges Phänomen buchstäblich in die Augen: Des Nachts beginnen Wasser und Ufervegetation in einer Farbe zu schimmern, die auf dieser Erde unbekannt ist.

In dem See lebt ein außerirdisches Wesen, das sich just anschickt, seinen Einflussbereich zu erweitern. Dazu gibt es seine bisher geübte Zurückhaltung auf und überfällt in der Dunkelheit ahnungslose Camper, Jäger und Wanderer, denen es einerseits wie ein Vampir das Blut aussaugt und andererseits die Seele raubt, denn die Kreatur nährt sich auch von der Angst seiner Opfer. Michael Shea – Die Farbe aus der Zeit weiterlesen

Izzo, Jean-Claude – Chourmo

„Izzo besingt die Stadt Marseille, ihre Schönheit im frühen Morgenlicht, ihre unverfälschte Lebensfreude, aber er zeigt auch das tödliche Gift, das in ihr steckt.“ Treffender als das Urteil der |Welt| könnte man die Magie der Marseille-Trilogie von Jean-Claude Izzo kaum auf den Punkt bringen. Izzo hat einfach eine Magie, der man sich nicht entziehen kann, wenn man einmal angefangen hat, ihn zu lesen. Das trifft auf „Chourmo“, den zweiten Teil der Trilogie, genauso zu wie auf den Auftakt [„Total Cheops“. 901

Fabio Montale, in „Total Cheops“ noch Polizist mit Herz in den nördlichen Vierteln von Marseille, hat den Dienst quittiert. Seine Zeit widmet er ausgiebig dem Fischen, gutem Essen und dem Gespräch mit Freunden, während er versucht, die Vergangenheit zur Ruhe zu kommen lassen. Doch damit ist es zunächst einmal vorbei, als seine Cousine Gélou völlig aufgelöst vor der Tür steht. Sie sorgt sich um ihren Sohn Guitou, der mit seiner arabischen Freundin Naïma verschwunden ist. Und so macht Fabio sich auf die Suche nach dem Jungen, ohne zu ahnen, dass er schon wieder mittendrin steckt, im Sumpf des Schmelztiegels Marseille.

Noch bevor er herausfinden kann, wo Guitou nebst Freundin abgeblieben ist, wird sein alter Freund Serge ermordet, vor den Augen von Fabio durch Schüsse aus einem vorbeifahrenden BMW niedergestreckt. In was hat Serge, der Sozialarbeiter, da seine Nase hineingesteckt? War er irgendeiner Sache auf der Spur, die so brisant ist, dass er dafür sterben musste? Fabio versucht auf eigene Faust Anhaltspunkte zu finden.

Guitou bleibt unterdessen verschwunden und nach und nach wird für Fabio zur Gewissheit, was der Leser schon seit dem Prolog weiß. Guitou ist längst tot, erschossen, nachdem er die erste gemeinsame Nacht mit Naïma verbracht hat. Aber warum musste Guitou sterben? Und wo ist Naïma abgeblieben? Fabio macht sich auf die Suche nach Antworten …

Schon mit den ersten Sätze von „Chourmo“ schleudert Izzo den Leser wieder zurück in sein „antikes Theater“ Marseille. Izzos Erzählstil ist wie ein Sog, der uns sofort in seinen Bann zieht und nicht mehr loslässt, bis man das Buch am Ende wieder zuklappt. Selten habe ich einen Autor gelesen, der mich schon allein durch seine Art zu erzählen so gefangen genommen hat. Izzo schafft es auf einzigartige Weise Stimmungen einzufangen, Gefühle auszudrücken, ohne viele Worte machen zu müssen und eine Stadt zum Leben zu erwecken. Er sitzt direkt am Puls der nördlichen Viertel Marseilles und macht ihn für den Leser fühlbar.

|“Hier ist nichts schlimmer als woanders. Oder besser. Beton in einer verzerrten Landschaft aus Stein und Kalk. Und dort unten links die Stadt. Weit weg. Nur das Elend nicht. Sogar die Wäsche, die zum Trocknen vor den Fenstern hängt, ist ein Beweis dafür. Obgleich in Wind und Sonne flatternd, wirkt sie immer farblos. Arbeitslosenwäsche eben. Aber im Gegensatz zu ‚denen da unten‘ hat man hier eine gute Aussicht. Prachtvoll. Die schönste in Marseille. Man braucht nur das Fenster zu öffnen und hat das ganze Meer für sich. Umsonst. Wenn man nichts hat, ist es viel, das Meer zu besitzen. Wie ein Kanten Brot für die Hungrigen.“| ( S. 35)

Izzos Bestandsaufnahme der Stadt fällt wieder einmal sehr zwiespältig aus. Einerseits liebt er ihre Leidenschaft, andererseits treiben ihn ihre dunklen Seiten zur Verzweiflung. In einem Interview, das im (vergleichsweise umfangreichen) Anhang des Buches nachzulesen ist, sagt er dann auch selbst: „Was geschieht, was ich sehe, was ich höre, bringt mich zur Verzweiflung. Ich habe keine Hoffnung mehr. Und das Schreckliche ist, dass ich umso verzweifelter bin, je mehr ich schreibe.“ Diese Verzweiflung spürt man „Chourmo“ an und sie lässt sich auch an Fabio Montale, der ebenso sympathischen wie tragischen Hauptfigur, ablesen.

Sucht er am Anfang noch die Ruhe und den Abstand von der Welt und versucht mit seiner Vergangenheit als Polizist und dem Tod seiner Freunde Ugo und Manu (Schlüsselhandlung aus „Total Cheops“) abzuschließen, wird er durch den Tod von Serge und die Suche nach Guitou wieder mitten hineinkatapultiert in den Meltingpot. Er wird wieder zum |chourmo|, zum verzweifelten Ruderer in der Galeere namens Marseille. Die Bestandsaufnahme von Montales Leben fällt dabei ähnlich düster aus wie Izzos Bestandsaufnahme Marseilles und der französischen Gesellschaft.

|“Heute war ich nichts mehr. Ich glaubte nicht an Räuber. Ich glaubte nicht an Gendarmen. Den Vertretern des Gesetzes war jegliche moralische Wertvorstellung abhanden gekommen, und die wahren Diebe hatten nie eine Handtasche klauen müssen, um abends etwas zu essen zu haben.“| (S. 65)

Montale scheint ein Lebender, umringt von Toten. Einfach zu viele liebe Menschen werden ihm im Laufe der ersten beiden Bände der Marseille-Trilogie genommen. Mehr als einem Menschen gut tut. Dass Montale alles immer mehr persönlich nimmt, ist insofern kaum verwunderlich. Oft wirkt er wie ein einsamer Cowboy (allerdings ohne Cowboy-Allüren) auf einem verzweifelten Rachefeldzug und oft sieht es dabei denkbar schlecht für ihn selbst aus. Korrupte, mit der Front National sympathisierende, gewaltbesessene Ex-Kollegen, die ihm nicht wohlgesonnen sind, islamistische Extremisten und Mafiosi. Montale macht sich im Laufe der Handlung viele Feinde, denn ähnlich wie schon in „Total Cheops“ scheint er auch hier wieder mit seinen Ermittlungen in ein Wespennest zu stechen. Die Marseiller Unterwelt spielt dabei wieder eine entscheidende Rolle, nur während es in „Total Cheops“ am Rande noch um die rechtsradikale Front National geht, sind hier islamistische Gruppierungen verstärkt ein Thema. Izzo zeichnet sich also auch durch eine gewisse politische Brisanz und Aktualität aus. Ein Aspekt, der das Buch noch facettenreicher macht.

Wie schon in „Total Cheops“ zeichnet Izzo nicht schwarz/weiß, sondern grau. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen zu einem diffusen Schleier, der ganz realitätsnah und unverfälscht wirkt. Montale kennt beide Seiten der Medaille, er stand in seinem Leben schon auf beiden Seiten des Gesetzes. So sehr man Montale auch mögen will, in „Chourmo“ überschreitet er eine unsichtbare Grenze, als er einem Menschen in einer Notlage nicht hilft und dabei in Kauf nimmt, dass derjenige stirbt. Da tröstet es auch nur wenig, dass das Opfer ein richtiges Schwein ist, dem man den Tod am liebsten wünschen möchte. Montale geht einen Schritt zu weit und wurde mir bei allem Verständnis dadurch etwas fremd.

Izzo hat, wie auch sein Held Montale, keine Hoffnung mehr. Ein verkitschtes Happyend kann man sich also in jedem Fall für die Marseille-Trilogie aus dem Kopf schlagen. Izzo dokumentiert, ohne zu schönen, den Zustand einer Stadt und die Lage einer Nation – wie könnte es da ein wirkliches Happyend geben? Vor allem, wo Montale quasi ein Brandungsfels in einem Meer von Toten zu sein scheint? Für den letzten Teil der Trilogie bleibt dem Leser da wenig Hoffnung.

Stilistisch versteht Izzo auch mit „Chourmo“ wieder gänzlich zu überzeugen. Da wäre zum einen seine Sprache, die für einen Krimi (wenn auch einen untypischen und wenig klischeebehafteten) überraschend poetisch und bildhaft erscheint, und zudem seine Art zu erzählen, die den Gedanken und Erinnerungen von Montale stets viel Raum gibt und den Figuren eine phantastische Tiefe verleiht. Das Geschehen und die Orte werden so plastisch durch Izzos Beschreibungen, dass man fast das Gefühl hat, man könne das Meer riechen, wenn Montale mit seinem kleinen Boot zum Fischen hinausfährt. „Chourmo“ versteht somit nicht nur durch die Handlung und die tief gezeichneten Figuren zu fesseln, sondern auch sprachlich.

„Chourmo“ ist die logische Fortführung von „Total Cheops“ – sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Montale durch Marseille zu folgen, ist spannend und stimmt sowohl nachdenklich als auch melancholisch. Izzo vermittelt das Seelenleben seines Protagonisten eindringlich und mitreißend. Er erzählt eine Geschichte, die bei all dem gleißenden Sonnenschein unter dem strahlend blauen Himmel der Provence überraschend beklemmend und düster ist. Viel Sonne wirf eben auch immer viel Schatten. Izzos Marseille ist so dunkel und hart, dass es fast weh tut. Die gesamte Trilogie hat aber solch eine erzählerische Tiefe und Brillanz, dass man sich ihrer Magie dennoch nicht entziehen kann und es eigentlich auch gar nicht will.

„Chourmo“ wurde übrigens mit dem deutschen Krimipreis 2001 ausgezeichnet. Völlig zu Recht natürlich …

Burgwächter, Till – Schmerztöter

Ring frei zur Runde zwei!

Wer sich nach dem satirischen Rundumschlag [„Juhr Gait Tu Hewi Mettäl“ 26 langsam aber sicher wieder vom Ringboden erhebt, der sollte aufpassen, denn im November 2003 holte der einzig wahre Burgwächter des Metals zum Nachschlag aus: „Schmerztöter“ heißt das Werk, das nur mehr knapp halb so dick ist wie der Vorgänger, dafür aber eine ganze Ecke bissiger.

Der Charakter des „satirischen Nachschlagewerks“, den JGTHM noch hatte, ist bei Schmerztöter ebenfalls nicht mehr vorhanden. Vielmehr finden sich in diesem Buch verschiedene kurze Glossen, die sich alle auf den gemeinsamen Nenner „Metal“ bringen lassen. Lediglich in zwei Kapiteln unterrichtet Dozent Burgwächter noch mal Metal-Basiswissen:
„Bands für Feinschmecker“, in welchem von |Amon Amarth| bis |Wizard| einige weitere Bands zum Vollbad im Schokotrunk geladen werden. Spontan konnte bei mir hier z. B. das Gedicht zur Ägypten-Sound-Death-Combo NILE punkten – Feuer mit Feuer bekämpft, könnte man sagen.
Im Kapitel „Die vergessenen Stile“ geht Till unter anderem auf Comedy Metal („Witzischkeit kennt keine Grenzen“), Gothic Metal („Heul doch“), Mittelalter-Metal („Feuerspuck“) oder Stoner Rock („Eine weitere Erfindung der AJMOBAA, der Arbeitslosen Journalisten Mit Ohne Bock Auf Arbeit“) ein und verdeutlicht dabei auch dem Unkundigen auf gewohnt amüsant-sarkastische Weise, was ihn eigentlich hinter den oftmals kryptischen Genrebezeichnungen erwartet.

Vielen aus dem Herzen spricht unser Till wohl auch mit dem Kapitel „Bands, die nicht Metal sind“, in welchem er unter anderem glaubhaft erläutert, warum die HIM-Herzbuben, The Offspring, Die Happy und Konsorten eben kein Metal sind …

Etwas gewöhnungsbedürftig ist der Joey-DeMaio-„Erlebnisbericht“, genannt „Joey sei mit mir“. Für mich persönlich eins der schwächeren Kapitel dieses Buches, wenngleich auch zahlreiche detailverliebte Anspielungen im Text zu finden sind. Vermutlich bin ich einfach schon zu abgestumpft gegenüber allem, was mit Joey zu tun hat – oder noch nicht genug.

Auch „Ein Gott muss vor Gericht“ will erst im zweiten Durchgang richtig zünden, dann aber um so heftiger. Mit jedem neuen Lesen werden die Parallelen zu den realen Ereignissen deutlicher, lassen sich mehr und mehr Details finden, und nicht zuletzt die stete Aktualität des Textes ist ein weiteres, großes Plus.

Ansonsten profitiert Till ganz eindeutig davon, dass die thematischen Grenzen in „Schmerztöter“ weniger eng gesteckt sind als noch bei JGTHM, denn ein durchaus amüsanter Text wie „Metaller im Urlaub“ hätte dort wohl ebensowenig gepasst wie „Vier verwirrt oder ‚The Osbournes'“ und ich kann versichern: Es wäre eindeutig schade darum gewesen.

Eines der Highlights ist übrigens der Text „Heimreise“, in welchem sich dann doch das geschmissene Studium des Herrn Burgwächter zu Wort zu melden scheint, denn hier plant und beschreibt er eine schwermetallische Kaffee-/Pilgerfahrt quer durch unsere schöne Republik, entlang der wichtigsten Pilgerstätten, von Wacken bzw. Hamburg über München (ich wüßte gerne, wie viele Leser das HAMMER-mäßige Wortspiel in dem kurzen Absatz über München nicht entdecken) bis in „die Zone“. Besucht werden dabei unter anderem „Onkel Tom“ Angelripper, Peavy Wagner, die Schalke-Arena, die Karlsruher Studentenbude von |Nightwish|-Frontfrau Tarja und natürlich der |Subway to Sally|-Kräutergarten.

Die restlichen Themen kann sich jetzt jeder aus dem Inhaltsverzeichnis ziehen, ich habe eigentlich nur noch zu sagen: YES!
Inhaltlich gab es ja schon am Vorgänger nicht wirklich was auszusetzen, aber für mich persönlich ist „Schmerztöter“ die konsequente Weiterentwicklung und damit noch mal ein ganzes Stück lesenswerter. Sowohl sprachlich als auch thematisch präsentiert Till Burgwächter sich in seinem neuen Buch vielseitiger und abwechslungsreicher. Auch der wesentlichste Kritikpunkt, die Rechtschreibung, wurde recht ordentlich behoben, auch wenn im mir vorliegenden Exemplar noch immer der eine oder andere Fehler zu finden ist.

Ganz eindeutig: Wer den Metal mag und nichts dagegen hat, eventuell ein bisschen mit Dreck beworfen zu werden, der muss dieses Buch haben.
Till Burgwächter liefert mit „Schmerztöter“ etwas ab, das mit Sicherheit unterm Tannenbaum jedes Metallers liegen sollte.

_Inhaltsverzeichnis_

1. Vorwort
2. Bands für Feinschmecker
3. Die vergessenen Stile
4. Bands, die nicht Metal sind
5. Joey sei mit mir
6. Ein Gott muss vor Gericht
7. Die Reunion
8. Metaller im Urlaub
9. Heimreise
10. Der Kult um androgyne Bassisten
11. Wir nehmen einen Sampler fürs Auto auf
12. Fünf Platten, die die Welt verändern
13. Vier verwirrt oder The Osbournes
14. Drei Gaffer für ein „Hallo Julia“
15. Zwei wie Durchfall und Verstopfung
16. Eine Band wird gezeichnet: Die Semi-Professionellen
17. Test: Sind sie ein guter Hobbyjournalist
18. Unmetallisches

Hennig von Lange, Alexa – Ich habe einfach Glück

Alexa ist Hannoveranin, im Jahre 1973 geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1997, die Rede ist vom Bestseller „Relax“. Danach folgten die mehr oder weniger guten Romane „Mai 3D“ und „Ich bin’s“. „Ich habe einfach Glück“ erschien 2002 und wurde mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
Wir kennen Alexa aber auch aus dem TV. So moderierte sie eine lange Zeit die Kindersendung „Bim Bam Bino“ und tauchte schon einige Male bei Harald Schmidt auf. Wer diese Auftritte gesehen hat, wird Alexa kennen, da es mit ihr doch sehr lustig und skandalös zuging.
Mittlerweile ist Alexa übrigens mit Autor Joachim Bessing verheiratet und Mutter zweier Kinder.

_Über Magersucht, Sexentzug und Neurosen_

Alexa Hennig von Lange nimmt uns in „Ich habe einfach Glück“ mit in eine deutsche Vorstadtidylle. Wir lernen eine nach außen hin völlig normale und intakte Familie kennen. Protagonistin und Ich- Erzählerin ist die 15 Jahre junge Lelle. Ihre Schwester ist Gotsch, steht nach Aussage ihrer kleinen Schwester „auf rumbumsen“ und grenzt sich weitgehend aus der Familie aus. Sie fühlt sich ungeliebt, zertrümmert gerne mal ihre Geige und droht der Familie mit Selbstmord. Außerdem hasst sie ihren Vater, der sich geschickt aus allem raushält und nach der Arbeit schnell im Keller verschwindet, um Schuhe zu putzen. Die Mutter macht in dieser neurotischen Familie keine Ausnahme. Sie hat panische Angst vor Bakterien, zwingt ihre Kinder sich umzuziehen, wenn sie von draußen ins Haus kommen, da die Kleidung von Bakterien verseucht sein könnte. Auch sonst hat sie größtenteils Angst. Angst, dass sich Gotsch umbringt oder einfach abhaut, was sie schön öfters getan hat, oder sie verfolgt Lelle bis an die Klotür aus Angst, deren Magersucht könnte zur Brechsucht werden. Seit Kurzem verspürt sie auch immer ein Stechen in der linken Brust, in der Hoffnung, die Kinder würden weniger anstrengend sein, wenn sie mit Herzinfarkt droht.
Einen Handlungsstrang in diesem Minenfeld zu kreieren, ist nicht schwer, und so bringt Hennig von Lange den von den von Eltern als „Stricher“ bezeichneten jugendlichen Nachbarn Arthur mit ins Spiel und lässt Gotsch ohne Nachricht verschwinden. Lelle nimmt die Suche gemeinsam mit ihrem Schwarm Arthur auf.

_Macht das Lesen dieses Buches glücklich?_

Alexa Hennig von Lange schildert hier eine eigentlich brisante Situation aus den Augen eines 15-jährigen Mädchens. Natürlich passiert das in der Sprache der Jugend, völlig unverblümt und zum Teil auch unreflektiert. Deshalb könnte dem einen oder anderen der Sinn des Romans abhanden kommen und dieser einfach als Unterhaltungslektüre abgetan werden. Hinter dem Ganzen verbirgt sich natürlich ein tieferer Sinn. So verhindert Lelle durch ihre Essstörung das Frauwerden, abgemagert ist sie, der körperliche Reifeprozess verzögert. Zudem äußert sie öfters den Wunsch, so dünn zu werden, dass sie einfach verschwindet. Sicherlich um dem Kontrollzwang der überführsorglichen Mutter zu entkommen. Die läuft dem Kind ständig hinterher und liegt ihm mit den Worten „Iss was, sonst fällst du noch tot um!“ ständig in den Ohren. Sie setzt sich mit dem Kind nicht normal auseinander, sucht kein richtiges Gespräch. Der Vater bekommt davon natürlich nichts mit, wenn er nach der Arbeit gleich in den Keller flüchtet, „Mama“ beschwert sich darüber natürlich: „Papa will nicht mehr mit mir Kuscheln“. Man macht sich Gedanken, was die anderen aus der Nachbarschaft über sie denken, der Schein muss gewahrt werden. So ist es geradezu ironisch, dass der Schwarm von Lelle, Arthur, als Asi und Chaot abgetan wird. Sind es doch die Verhältnisse in der eigenen Familie, die chaotisch sind. Völlig zerstört ist da Verhältnis zwischen Gotsch, die sich schon völlig von der Familie entfremdet hat und in Wutausbrüchen auch gerne mal was kaputtschlägt. Mit ihrem Vater hat sie gar nichts am Hut. In einem Brief wollte sie ihm die Meinung sagen, der hat den Brief ungeöffnet weggeschmissen. Dies ist bezeichnend, es finden keine anständigen Gespräche statt, immer nur sehr oberflächlich. Mit dem Vater gibt es keine Kommunikation, die Mutter nervt die Kinder mit ihren Neurosen und den Bemühungen, nach außen hin als heile Familie zu wirken.
Eigentlich ist das alles doch ziemlich tragisch, trotzdem ist die Komik allgegenwärtig, und so ist die Lektüre von „Ich habe einfach Glück“ herrlich unterhaltsam, lustig, aber auch spannend. Seinen Zweck erfüllt der Roman, wenn man am Ende feststellt, dass alle Familien ihren ganz eigenen Knall haben und alles gut ist, solange sich alle lieb haben.

Lorentz, Iny – Kastratin, Die

_Zwei Autoren unter einem Namen_

Die aus Köln stammende Iny Lorentz, die heute als Programmiererin für eine Münchner Versicherung arbeitet, hatte vor dem Erscheinen ihres Buchs „Die Kastratin“ bereits einige Kurzgeschichten veröffentlicht, teilweise gemeinsam mit ihrem Mann Elmar, der auch an ihren historischen Romanen aktiv mitgewirkt hat, wenn er auch keine namentliche Erwähnung findet. Nach dem großen Erfolg des hier behandelten Buch, das ihr erster veröffentlichter historischer Roman war, sind von ihr bereits weitere historische Romane erschienen: „Die Wanderhure“ und „Die Goldhändlerin“. „Die Tartarin“ sowie „Die Kastellanin“ (eine Fortsetzung der „Wanderhure“) erscheinen im Laufe des Jahres 2005.

_Die Frau als Mann_

Die Geschichte führt den Leser in die Zeit der italienischen Renaissance. Zur Unzeit, direkt vor einer bedeutenden kirchlichen Feier, fällt in einer kleinen italienischen Gemeinde der Solist unter den Chorknaben aus, da er vorzeitig in den Stimmbruch kommt. Der Kapellmeister und der Chorleiter wählen in ihrer Not Giulia, die elfjährige Tochter des Kapellmeisters, als Ersatz aus. Ein großes Risiko, denn Frauen ist das Singen kirchlicher Musik verboten. Giulia wird daher kurzerhand als Junge verkleidet. Die prominenten Besucher des Festes sind jedoch so begeistert von dem Gesang des vermeintlichen Chorknaben, dass sie ihn unter ihre Fittiche nehmen und kastrieren lassen wollen, eine Entdeckung der Täuschung wäre unvermeidlich. Daher flieht der Kapellmeister mit seiner Tochter und zwei Dienstboten und zieht fortan durch die Lande. Als sich einige Jahre später jedoch die Geldnot einstellt, greift er den Gedanken von damals wieder auf und gibt Giulia unter falschem Namen als Giulio Casamonte, seinen kastrierten Sohn, aus und lässt diese mit ihrer unvergleichlichen Stimme seinen eigenen dekadenten Lebenswandel bestreiten.

Giulia muss fortan ständig mit Entdeckung rechnen, in welchem Fall ihr mit ziemlicher Sicherheit der Scheiterhaufen droht. Ihre folgende Sänger-Karriere führt sie bis an den Papstsitz in Rom, wo sie Pius IV. auffällt, der sie an den Hof des Kaisers Maximillian II. nach Wien sendet. Giulia wird in Wien ungewollt in die Feindseligkeiten zwischen der katholischen Kirche und den lutherischen Reformisten verwickelt. Als ihr Diener dort erkrankt, erkennt sie, dass sie nur ein Spielball der Mächtigen ist und über ihre eigene Zukunft kaum mehr Entscheidungsgewalt verfügt. Eine weitere Komplikation ergibt sich, als ihr immer mehr bewusst wird, dass sie sich in ihren Begleiter Vincenzo de la Torre verliebt hat und er sich in sie, doch er hält sie für einen Kastraten und beide werden der Sodomie verdächtigt. Als dann auch noch der stimmbrüchige, mittlerweile erwachsene Chorknabe von damals Giulia bei den päpstlichen Behörden verpfeift, ziehen sich die Schlingen des Schicksals über Giulia und Vincenzo zusammen.

_Von Nichtmännern und Singvögeln_

In „Die Kastratin“ zeichnet Iny Lorentz ein lebendig wirkendes Bild der Renaissance. Im Mittelpunkt steht dabei die Geschichte Giulias und ihr Leben als vermeintlicher Kastratensänger.
Die Sprache ist in einem pseudo-ältlichen Stil gehalten, der mir persönlich zwar weniger liegt, dem ich jedoch zugestehen muss, dass er gerade für die Zeit der Renaissance sehr gut passt. Die etwas ausschweifende, beschreibungsfreudige Erzählweise der Autorin kann die üppige Lebenspracht der Reichen und die im Gegensatz dazu stehende Lebenskargheit der Armen recht gut vermitteln.

Dennoch fallen mir ein paar ältliche Formulierungen wie „Verschnittener“, „Nichtmann“ etc. stellenweise unangenehm auf und stören den Lesefluss, obwohl ich mir bewusst bin, daß diese Störung ein Fabrikat meiner modernen Wahrnehmung ist. Gesang in einem Buch zu beschreiben, stelle ich mir sehr schwierig vor. Die Autorin scheint das ähnlich zu sehen, denn an den meisten Stellen, wenn Giulia singt, klinkt sie sich geschickt aber eben dennoch nicht unauffällig aus dem Geschehen aus. Es ertönt der erste Ton und Giulia und ihre Zuhörer werden in eine andere Welt entrückt, um mit dem Verklingen des letzten Tons erst wieder auf unserem Planeten zu landen. Was genau ihren Gesang so besonders macht, habe ich bis zuletzt nicht verstanden. Etwas störend fand ich auch, dass Giulia etwa alle zehn Seiten „singt, so schön wie noch nie zuvor“, diese ständige Wiederholung wirkt mit der Zeit zwangsweise unglaubwürdig.

Die unvermeidliche Liebesgeschichte der verkleideten Frau, die sich in einen Mann verliebt, und des Mannes, der verwirrt ist, weil er sich zu einem vermeintlichen Mann (oder in diesem Fall eben einem Eunuchen) hingezogen fühlt, ist ja nun bei weitem nicht neu und beinahe schon etwas ausgeleiert. Andererseits ist das ein Plot, der mir schon immer gut gefallen hat. Iny Lorentz stellt diese Gefühlswelt recht gut dar; ob es als Szenario realistisch ist, sei mal dahingestellt.

Sehr gut dargestellt finde ich jedoch den Gefühlszwiespalt Giulias/Giulios. Sie ist in die Rolle des Kastraten hineingezwungen worden und wäre lieber die Frau, die sie eigentlich ist. Andererseits wäre es dann vorbei mit dem Singen, das der Inhalt ihres Lebens ist, und ihrem Drang nach dem Singen kann sie nicht widerstehen. Über dem Waschtrog ein Wiegenliedchen zu trällern, reicht ihrem Ehrgeiz einfach nicht, sie will vor Publikum kirchliche Werke schmettern und mit ihrem hohen F das Kristall adliger Herren zerdeppern (übrigens ein Mythos: Die menschliche Stimme ist zu derlei nicht imstande).

Der historische Hintergrund ist gut gezeichnet, ohne dass sich die Autorin zu viel Freiheit den historischen Verhältnissen gegenüber herausnimmt. Dem Leser begegnen einige historische Persönlichkeiten wie Galileo Galilei (noch im Krabbelkindalter) und seine Eltern, Papst Pius IV., Maximilian der II. etc. Die historische Korrektheit eines Buches dieser Klasse steht für mich selbst allerdings auch nicht an erster Stelle, es genügt mir zu wissen, dass der geschichtliche Hintergrund halbwegs glaubhaft dargestellt ist – und das ist hier allemal der Fall.

Nachdem sich das Buch über den größten Teil recht weitläufig hinzieht, erscheint dann plötzlich das Ende so abrupt, dass es wie ein Stilbruch wirkt. Und nicht nur das – es wirkt auch sehr konstruiert und nicht sonderlich überzeugend. Es bleiben ein paar ungelöste Fäden der Geschichte (wie der Verbleib des Vaters), die mich unwillkürlich an eine Fortsetzung denken lassen. Die Geschichte ist – man möge mich nicht falsch verstehen – jedoch in sich abgeschlossen.

Ansonsten muss man für ein Buch dieser Dicke und Erzählfülle nur relativ wenige Längen in Kauf nehmen. Andererseits treibt uns die Spannung aber auch nicht wirklich voran, doch darum geht es meiner Meinung nach auch nicht. Das einzige große Element, das wirklich Spannung erzeugt, ist die Angst Giulias vor einer Entdeckung und dem, was unweigerlich darauf folgen müsste.

Mit „Die Kastratin“ legte Iny Lorentz einen gelungenen ersten historischen Roman vor. Die Story ist gefühlvoll geschrieben, das historische Setting interessant. Einige kleinere Mängel sind für mich die ältlich angehauchte Sprache mit ihren teilweise sehr gewöhnungsbedürftigen Formulierungen und ein dahingehastetes Ende, insgesamt aber ein empfehlenswertes Buch.

http://www.delia-online.de/iny_lorenz.htm