Schlagwort-Archiv: Goldmann

Harry Carmichael – Geflohen aus Dartmoor

Ein flüchtiger Gefangener will nach einem letzten erfolgreichen Coup aussteigen, doch seine Pläne zerschlagen sich sämtlich: Er ist verdammt, sein Schicksal wird ihn richten … – Konventioneller Krimi mit recht penetranter „Crime-doesn’t-pay!“-Moral, der in seinem letzten Drittel eine überraschende Wende nimmt und an Tiefe gewinnt: kein Klassiker, nur angetrocknetes Lesefutter.
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Victor Gunn – Der Tod hat eine Chance

Gunn Tod Chance Cover kleinEin dummer Streich auf Kosten der Polizei verwandelt sich in ein für den Verursacher womöglich tödliches Komplott. Hoffen kann er nur auf zwei Beamte von Scotland Yard, die sich nicht auf die falsche Fährte locken lassen wollen … – Altmodischer und ‚gemütlicher‘ britischer Landhaus-Krimi, der seinen obskuren und realitätsarmen Plot mit einiger Verzögerung aber dann geschickt entwickelt: solide Serienware eines einst sehr beliebten und heute vergessenen Vielschreibers. Victor Gunn – Der Tod hat eine Chance weiterlesen

Seamark – Das Kokainschiff

seamark kokainschiff cover kleinIn London treiben Rauschgiftschmuggler ihr Unwesen. Kopf der Bande ist ein verschlagener Kapitän aus dem Fernen Osten, der vor Entführung und Mord nicht zurückschreckt, bis ihm wackere Polizisten und mutige Bürger das Handwerk legen … Reizvoll naiver Groschen-Krimi, der politisch völlig unkorrekt aber spannend zeitgenössische Klischees in eine schaurig-schöne, rasante Story packt und die Hafenkulisse Londons gut zu nutzen weiß: ein Lesevergnügen aus eindeutig vergangener Zeit. Seamark – Das Kokainschiff weiterlesen

Michael Delving – Satan schreibt Memoiren

_Das geschieht:_

Einmal im Jahr besuchen die US-amerikanischen Antiquitätenhändler Dave Cannon und Bob Eddison England, um dort nach interessanten Stücken für ihren Laden zu stöbern. In Bartonbury, einem kleinen Städtchen in der Grafschaft Glouchestershire, wittern sie eine unerwartete Chance: Dort hat Tristram Vail seinen Altersruhesitz aufgeschlagen. Einst galt er als Hexenmeister und Antichrist, der eine große Anhängerschar um sich versammelte und durch gotteslästerliche und unzüchtige Praktiken von sich reden machte.

Nun ist Vail müde und knapp bei Kasse. Gern würden Cannon und Eddison einige Bände aus seiner legendären Bibliothek okkulter Schriften erwerben. Die Verhandlungen gestalten sich indes schwierig. Vail ist kein reuiger Sünder; im Gegenteil will er seine Memoiren schreiben, was einigen Jüngern, die inzwischen zu Ämtern und Würden gelangten, gar nicht gefallen dürfte. Außerdem geht das Gerücht, dass Vail hinter diversen Einbrüchen in Kirchen der Umgebung steckt, die anschließend auch noch geschändet wurden. Der Verdacht verstärkt sich, als Richard Foss, Vails Sekretär, in der Dorfkirche gefunden wird – scheinbar beim Versuch, einen kostbaren Kelch zu rauben, von einem alten Schwert durchbohrt, das sich wie durch Zauberhand (!) aus seiner Verankerung löste.

Chefinspektor Codd, der mit der Klärung des Falls beauftragt wird, ist ein alter Bekannter von Cannon und Eddison. Er hat deshalb nichts dagegen, dass sich das Duo detektivisch betätigt. Hinter den Kulissen von Bartonbury geht es alles andere als beschaulich zu. Nicht nur der alte Vail hütet düstere Geheimnisse. Schwarze Magie oder simpler Betrug: Was steckt hinter den Ereignissen? Diese Frage gilt es zu beantworten, bevor sich der nächste ‚Unfall‘ ereignet …

_Die Macht der Vergangenheit_

Alte Sünden sterben nicht wirklich, Ohne diese Tatsache gäbe es die meisten Krimis gar nicht. Irgendwann hat man einen Fehler begangen, man verstieß gegen ein Gesetz oder eine moralische Regel, kam davon bzw. wurde nicht zur Rechenschaft gezogen. Das Leben geht weiter, man steigt auf, genießt gesellschaftliches Ansehen. Immer bleibt jedoch die Erinnerung, die von der Angst vor Entdeckung begleitet wird. Irgendwann ist es so weit. Wie wird man reagieren? Das offene Geständnis widerspricht natürlich dem Wesen des Krimis. Genregerecht wird versucht zu vertuschen, man verwickelt sich in Widersprüche, gerät in die Enge, deren Fesseln schließlich durch Gewalt gesprengt werden sollen, was alles nur schlimmer macht.

Dieser Plot ist wahrlich klassisch und zeitlos zugleich. Er wird gern verwendet und kann durch diverse Ausschmückungen individualisiert werden. Das gelingt bedrückend oft besser als in diesem Fall: „Satan schreibt Memoiren“ – der Originaltitel lautet ähnlich knallig „The Devil Finds Work“ – ist einerseits ein grundsolider und andererseits ein ziemlich langweiliger Krimi, was durch die altbackene Übersetzung noch unterstrichen wird. Das Landhaus, das Schloss, der kleine Ort: Ein wirklich inspirierter Autor vermag auch im abgegriffenen Ambiente des englischen „Whodunit?“ Stimmung und Spannung zu schaffen. Michael Delving, der seine schriftstellerischen Erfolge außerhalb des Krimis feierte, bringt nur handwerklich sauberes Mittelmaß hervor.

_Zwei Amerikaner, aber nicht in Paris_

Seltsam fehl am Platz wirken Delvings Serienhelden. Dabei ist der Gedanke, zwei US-Amerikaner in die englische Provinz zu locken, gar nicht abwegig. Viele Krimi-Autoren haben sich des Kunstgriffs bedient, den Ort des Verbrechens quasi durch fremde Augen zu betrachten. Was für die Bewohner von Bartonbury selbstverständlich ist, muss den ausländischen Besuchern – und damit den Lesern – ausführlich erklärt werden. Amerikaner stehen darüber hinaus für eine lockere Lebensart, die gern in reizvollen Kontrast mit den steifen Briten gestellt wird.

Leider sind Dave Cannon und Bob Eddison zwei denkbar farblose Charaktere. Es musste noch ein Vierteljahrhundert verstreichen, bevor Archäologen, Historiker und Antiquitätenhändler zu Helden und die Buchläden mit Mystery-Thrillern geflutet wurden; Nicolas Cage führt in „National Treasure“ (besonders Teil II: „Das Vermächtnis des geheimen Buches“) vor, wie das dann filmisch umgesetzt wird: wesentlich actionreicher.

Dabei hat sich Autor Delving in dieser Hinsicht sogar etwas ausgedacht: Bob Eddison ist ein nordamerikanischer Ureinwohner (= „Indianer“, wie das 1970 noch gesagt werden durfte). Das ist für die Krimi-Handlung völlig unerheblich. Stattdessen baut Delving eine Szene ein, in der Eddison mit Rassenvorurteilen konfrontiert wird, was schrecklich aufgesetzt wirkt, weil es offenkundig nur Vorwand für einen politisch korrekten Anti-Rassismus-Appell an die Leserschaft ist. Womöglich hat sich diese in den turbulenten 1970ern, in denen die Diskussion über Menschenrechte en vogue war, nicht so sehr darüber gewundert wie der Rezensent im 21. Jahrhundert.

Bartonbury wird von der üblichen Schar exzentrischer Engländer bevölkert, die Delving publikumswirksam von Agatha Christie entliehen hat. Die Atmosphäre ist so altertümlich, dass die Erwähnung der Gegenwart des Jahres 1970 beinahe störend wirkt. Viele Zeilen widmet unser Verfasser der Beschreibung historischer Bauwerke und Artefakte; vielleicht wird der kleine Ort deshalb von so vielen Käuzen bewohnt … Bedauerlicherweise sind sie nur seltsam, aber nicht liebenswert und nur in Maßen unterhaltsam.

_Götterdämmerung für einen Magier_

Mehr Mühe hat sich Delving mit der Figur des Tristram Vail gegeben. Er ist in Gestalt, Auftreten und Biografie ein akkurates Ebenbild von Aleister Crowley (1875-1947), dem „Magicker“, Schriftsteller, Maler und Bergsteiger, der eine Zeit lang als „bösester Mensch des Jahrhunderts“ galt und sich selbst als die „Große Bestie 666“ aus den Offenbarungen des Johannes bezeichnete. (Insofern ist es nachvollziehbar, das uns Christopher Lee, der in seiner langen Filmkarriere so manchen gottlosen Finsterling mimte, vom Cover der deutschen Ausgabe bedrohlich anstarrt.) Tatsächlich war Crowley kein simpler Satanist, was seine Gegner, in den östlichen und kabbalistischen Lehren meist wenig bewandert und von Crowley, einem genialen Selbstdarsteller, geschickt manipuliert und gereizt, in der Regel nicht zur Kenntnis nahmen.

Michael Delving präsentiert mit Tristram Vail einen gealterten, von der Welt weitgehend vergessenen Crowley, der aber noch als Schatten seiner selbst eine faszinierende Persönlichkeit ist und von seinen Attitüden nicht lassen mag. Vail meint die Regeln der Selbstvermarktung verinnerlicht zu haben; er ist fest davon überzeugt, dass ihm seine Memoiren den Weg zurück ins Rampenlicht bahnen, denn „sex sells“, wie der alte Zyniker weiß. Zu seinem Pech verlässt er sich nicht darauf, sondern wandelt vorsichtshalber auch auf krummen Pfaden. Sein Schicksal ist nicht tragisch, sondern kläglich. Damit passt es sehr gut ins Finale, das zwar aufklärt, aber nichts von der Spannung der klassischen Kriminalromane aufweist, auch wenn alle Verdächtigen genrekonform zur Auflösung zusammenkommen: Dieser Roman ist keine echte Wiederentdeckung. „Satan schreibt Memoiren“ dürfte schon 1970 als simples Lesefutter gedient haben. Dabei ist es geblieben; nicht hinter jedem angejahrten Krimi verbirgt sich halt ein Klassiker, sondern manchmal nur – Staub …

_Der Autor_

Michael Delving wurde als Jay Williams am 31. May 1914 in Buffalo (US-Staat New York) geboren. Der Sohn eines Vaudeville-Produzenten besuchte in den frühen 1930er Jahren die Universität. In der Zeit der großen Wirtschaftskrise oft arbeitslos, trat er als Komödiant auf.

Ab 1936 arbeitete Williams als Presseagent für die „Hollywood Theatre Alliance“. Der II. Weltkrieg unterbrach diese Tätigkeit. Williams wurde einberufen und diente bis 1945 in der Armee. Schon in dieser Zeit begann er zu schreiben; sein Romandebüt wurde 1943 „The Stolen Oracle“, ein Krimi für jugendliche Leser.

Erfolgreich und berühmt wurde Williams vor allem mit seiner Mystery-Serie um „Danny Dunn“, die es zwischen 1956 und 1977 auf 15 Bände brachte. Neben weiteren Kinder- und „Young Adult“-Büchern verfasste er auch Historienromane und historische Sachbücher für ein erwachsenes Publikum, zahlreiche Science-Fiction-Storys sowie unter dem Pseudonym „Michael Delving“ sieben Krimis, davon sechs um den Antiquitätenhändler Dave Cannon, der mal mit, mal ohne seinen Partner Bob Eddison unfreiwillig in Verbrechen verwickelt wird. Insgesamt veröffentlichte Jay Williams, der am 12. Juli 1978 starb, mehr als 75 Bücher.

Die Cannon/Eddison-Krimis erschienen hierzulande im |Wilhelm Goldmann|-Verlag.

(1967) Smiling the Boy Fell Dead (dt. „Der Tod des Gärtners“) – Nr. 4188
(1970) The Devil Finds Work (dt. „Satan schreibt Memoiren“) – Nr. 4160
(1970) Die Like a Man (dt. „Das Geheimnis der 13 Stühle“) – Nr. 4141
(1972) A Shadow of Himself (dt. „Ein Schatten seiner selbst“) – Nr. 4210
(1975) Bored to Death/A Wave of Fatalities (dt. „Schwer wie Blei“) – Nr. 4538
(1978) No Sign of Life

Catherine Aird – Skelett mit Folgen

aird-skelett-cover-kleinIn einer Kellerruine wird die skelettierte Leiche einer jungen Frau gefunden, die vor Jahrzehnten einem Mord zum Opfer fiel. Der Täter wird erneut aktiv, um im Wettlauf mit der Polizei mögliche Spuren zu verwischen … – Gediegene britische Krimi-Kunst, die mörderischen Ernst mit beachtlichem Witz zu einem exakt ausbalancierten Lesevergnügen mischt.
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Ellis Peters – Falsche Propheten

Das geschieht:

Das kleine Dorf Comerford in der englischen Grafschaft Shropshire gehörte nie zu den Orten, die man als ländlich-beschaulich bezeichnen würde. Hier wird seit Jahrhunderten Kohle gefördert; eine harte, gefährliche Arbeit, die im Tagebau betrieben wird, was ausgedehnte Flächen der Landschaft in Wüsteneien verwandelt hat, die an die Oberfläche des Mondes erinnern. Die Plackerei in den Kohlengruben hat einen harten, schweigsamen Menschenschlag hervorgebracht. Konflikte sind häufig und werden mit den Fäusten oder dem Messer ausgetragen. Im Jahre 1950 ist die Situation explosiver denn je. Ein halbes Jahrzehnt nach dem Ende des II. Weltkriegs sind dessen Folgen auch im siegreichen England keineswegs überwunden. Viele der jungen Männer Comerfords sind gefallen. Wer überlebte, kehrte verletzt und mit bedrückenden Erinnerungen an die Front, womöglich mit Orden geschmückt und als Held heim, um sich plötzlich wieder als gemeiner Grubenarbeiter oder Schafhirte wiederzufinden.

In Comerford gab es ein Lager für deutsche Kriegsgefangene und später für „Displaced Persons“, Vertriebene aus allen kriegsverheerten Ländern des Kontinents. Inzwischen wurde es aufgelöst, doch viele Insassen blieben in England: frei aber fremd und misstrauisch gemieden von den Einheimischen. Sergeant George Felse hat ständig im ehemaligen Lager zu tun, denn dort gibt es täglich Auseinandersetzungen. Bei einem seiner zahlreichen Besuche lernt er den Deutschen Helmut Schauffler kennen, der einen Mitbewohner attackiert hat. Der junge Mann weiß beredt die Schuld von sich zu weisen, doch Felse argwöhnt, dass zutreffen könnte, was Zeugen ihm zutragen: Schauffler war und ist noch überzeugter Nazi, der seinen Privatkrieg mit dem britischen ‚Feind‘ austrägt. Ellis Peters – Falsche Propheten weiterlesen

Howard Berk – Das Zeichen der Lemminge

Das geschieht:

In einer zeitlich nicht definierten, aber nicht allzu fernen Zukunft ist die Welt nach einem Dritten Weltkrieg zerstört, verstrahlt und menschenleer. Die USA existiert zwar noch, hat sich aber in eine Diktatur verwandelt, die streng die wenigen noch vorhandenen Ressourcen verwaltet, die selbst für die wenigen Überlebenden kaum ausreichen.

Für zusätzliche Komplikationen sorgt die steigende Zahl von Menschen, die von einem Moment zum anderen buchstäblich den Verstand verlieren. Im Rahmen eines Regierungsprogramms wurde ein Bundeszentrum gegründet, in dem Wissenschaftler fieberhaft versuchen, der Ursache dieses kollektiven Phänomens auf die Spur zu kommen. Eine Heilung ist unmöglich, die ‚Behandlung‘ deshalb radikal: Das verwirrte Hirn des Kranken wird ‚gelöscht‘ und eine neue, vorgeprägte Persönlichkeit ‚aufgespielt‘. Noch ist das Verfahren in der Erprobungsphase und riskant, die Zahl der Fehlschläge deshalb hoch.

Der Druck auf die Forscher wächst. In der Abteilung von Dr. Korman sorgt der Patient Nr. 27 deshalb für Hoffnung: Alex Parnell hat die Neuprägung glänzend überstanden, und er zeigt auch nicht die übliche geistige Trägheit oder Verwirrung, die der Behandlung normalerweise folgt. Trotzdem entwickelt sich Parnell bald zum Störfaktor, denn er will sich der Disziplin des Zentrums, das er mit einem Gefängnis gleichsetzt, nicht beugen, sondern fordert umfassend Aufklärung über den Zustand der Welt und persönliche Freiheit.

Als man ihm beides nicht zugestehen will, entwickelt sich Parnell zum Rebellen mit einem Einfallsreichtum, der ihn selbst erstaunt, bis er die Wahrheit zu ahnen beginnt: Er erinnert sich an die Person, die er einmal war – ein Mensch, der tief in die tragische Geschichte der jüngsten Vergangenheit verstrickt ist …

_Die Realität am Ende aller Utopien_

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kam der Welt der Optimismus abhanden – ein Optimismus, der sich indes überlebt hatte. Der kalte Krieg zwischen den Supermächten und ihren Alliierten drohte heiß zu werden; man würde ihn atomar führen und fürchtete die Folgen, ohne in den Vorbereitungen für einen gelungen Erst- oder wenigstens Gegenschlag nachzulassen. Zu den weiteren Sünden der Vergangenheit, die plötzlich relevant, weil nicht mehr durch fantastische ‚Technik der Zukunft‘ lösbar schienen, gehörte die Erkenntnis, die eigene Welt rücksichtslos ausgebeutet, zerstört, verschmutzt und überbevölkert zu haben.

Die Zukunft sah nicht mehr utopisch, sondern düster aus – ein Paradigmen-Wechsel, dem sich selbstverständlich auch die Science-Fiction nicht verschließen konnte, wollte und durfte. ‚Ökologische‘ SF hatte es schon früher gegeben, doch aus dem einsamen, gern bespöttelten Rufer in der Wüste wurde nun ein Chor, der sich nicht mehr überhören ließ und der beunruhigten Leserschaft Romane wie „Make Room! Make Room!“ von Harry Harrison (1966; dt. „New York 1999“, verfilmt 1973 als „Soylent Green“/“Jahr 2020 … die überleben wollen“) oder Filme wie „Silent Running“ (1972, dt. „Lautlos im Weltall“) präsentierte, die heute formal altertümlich, aber weiterhin erschreckend aktuell wirken.

_Des Rätsels grausame Lösung_

Howard Berk hieb 1972 mit „Das Zeichen der Lemminge“ ebenfalls in diese Kerbe. Der versierte Autor, der vor allem Drehbücher für TV-Serien schrieb, stellt sich zwar eher unauffällig in die Reihe derer, die den selbstverschuldeten Untergang der Zivilisation darstellten, legt aber eine Geschichte vor, die vor allem in ihren ersten beiden Dritteln fesseln kann (und gewisse gedankliche Assoziationen an Michael Bays „The Island“/“Die Insel“ von 2005 weckt …).

Berk springt mitten in ein Geschehen, für das er uns die Erklärung zunächst schuldig bleibt. Nur langsam enthüllt sich die Hintergrundgeschichte; unser Wissen wächst zusammen mit den Erkenntnissen, die sich Alex Parnell mühsam zusammenreimt. Natürlich ist das ein Trick, um die Spannung zu schüren; ein Trick freilich, für den es eine schockierend logische Erklärung gibt, die den Höhepunkt und Schlusspunkt dieses Romans bildet.

Etwas Schreckliches ist geschehen, das kristallisiert sich schnell heraus. Was kann es sein, und wieso wird es so sorgfältig geheimgehalten? Hier geht offenbar Böses vor, werden Menschen als Versuchskaninchen benutzt. Doch dahinter wird eine Tragödie sichtbar, die zum radikalen Umdenken zwingt. Nichts ist, wie es scheint. Selbst als es Parnell gelingt, sein ‚Gefängnis‘ zu verlassen, wähnt er sich irrtümlich in Freiheit. Die Wahrheit wartet auf ihn, und als er sie, die er so lange gesucht hat, endlich findet, kann er sie aus gutem Grund nicht verkraften.

_Diese Zukunft bleibt Vergangenheit_

„Das Zeichen der Lemminge“ hat als Roman seine Längen. Vor allem das letzte Drittel wirkt aufgesetzt. Parnell hat sein Gefängnis/Refugium verlassen und lernt die reale Außenwelt der atomaren Nachkriegszeit kennen. Natürlich beantwortet dieser ‚Ausflug‘ diverse Fragen, die sich der Leser lange gestellt hat, aber wie üblich kann die Auflösung dem Geheimnis nicht das Wasser reichen – auch wenn Berk uns wie gesagt erneut in die Irre führt: Parnells scheinbare Flucht ist schon missglückt, bevor sie beginnt. Dies zu verraten, ist kein Spoiler, denn zumindest als Leser des 21. Jahrhunderts ist man erfahren genug zu erkennen, dass da noch etwas – des Rätsels eigentliche Lösung – folgen wird. Diese wird auf jeden Fall überraschen, auch wenn mit einer Schockwirkung, wie sie Berk zu erzielen hoffte, wohl nicht mehr zu rechnen ist. Jahrzehnte später sind wir stärkeren Tobak gewöhnt, wenn man uns mit apokalyptischen Szenarien erschrecken will, und dass jeder Regierung alle möglichen Schweinereien zuzutrauen sind, haben wir ebenfalls gelernt …

1972 war der Themenkomplex, den ich hier ‚Öko-Schock‘ nennen möchte, als breitentaugliches Phänomen noch relativ neu. Gesudelt wird auf und mit dieser Erde auch heute noch, aber ein gewisser Lerneffekt lässt sich nicht leugnen: Es wird etwas getan, und es gibt Anzeichen von Besserung. (Die obligatorischen „Ja, aber …“-Gegenargumente erspare ich mir hier – bei Bedarf bitte selbst auflisten.)

_Entschlossen mit dem Rücken zur Wand_

Ein Mann gegen eine ganze Welt; später gesellt sich eine Frau an seine Seite: Die Konstellation ist klassisch und erprobt. Wie man aus ihr die besten Effekte kitzelt, ist ihm als erfahrener Drehbuchautor sichtlich bekannt. „Das Zeichen der Lemminge“ kann man sich durchaus als Film vorstellen. Ist das Buch aus einem nie verwirklichten Drehbuch hervorgegangen? Über Howard Berk ist leider wenig zu recherchieren, sodass diese Frage hier ohne Antwort bleiben muss.

Heiligt der Zweck wirklich alle Mittel? Am Beispiel seiner Figuren spielt Berk die verschiedenen Antworten durch, die sich aus dieser Frage ergeben. Daraus resultieren Reaktionen, die zunächst einmal mehr durch den Leser, der die der Frage zugrunde liegenden Ereignisse nicht kennt, als ’normale‘ Handlungsmuster erscheinen, während sie sich tatsächlich schlüssig aus der Ausgangssituation ergeben. Die Schlussfolgerung ist deshalb vielleicht nicht einmal negativ, sondern einfach nur realistisch: Der Lemming kann dem Zug in den Tod entgehen, wenn sein Ausbruchsversuch nur drastisch genug ausfällt.

„I love thee, I love but thee, / With a love that shall not die,
Till the sun grows cold, / And the stars are old,
And the leaves of the Judgement Book unfold!“

Howard Berk wählte als Romantitel ein Zitat aus dem „Bedouin Song“ (1853) des Reiseschriftstellers und Dichters Bayard Taylor (1825-1878); es wird oft William Shakespeare zugeschrieben, was es adeln soll, aber unzutreffend ist. Es spielt auf einen zweiten Handlungsstrang an, der sich um Alex Parnells Liebe zur mysteriösen Julia dreht, die so intensiv und innig ist, dass sie das Ende der Welt tatsächlich überstand.

_Der Autor_

Über Howard Berk gibt selbst das Internet kaum Informationen her. Darüber hinaus wurde seine Biografie irgendwie & irgendwann mit dem Lebenslauf eines spanischen Drehbuchautors namens José Luis Navarro verzwirbelt, der angeblich unter dem Pseudonym Howard Berk für eine lange Reihe von Spagetti-Western verantwortlich zeichnet – ein Fehler, der seither fleißig wiederholt wird.

‚Unser‘ Howard Berk (geb. 1926), der Autor von „Das Zeichen der Lemminge“, war ein US-amerikanischer Autor, der für TV-Serien wie „Columbo“ und „The Rockford Files“ sowie für Kinofilme wie „Target“ und „Robocop“ schrieb. Laut www.imdb.com ist ein Drehbuchautor Howard Berk am 29. August 1989 an den Folgen einer AIDS-Erkrankung in Los Angeles gestorben, was eine gute Erklärung dafür wäre, dass keine Berk-Drehbücher nach 1987 zu belegen sind.

Taschenbuch: 185 Seiten
Goldmann (1971)

Marcus Sakey – Der Blutzeuge

Das geschieht:

Danny Carter und Evan McGann sind im irischen Viertel der US-Stadt Chicago in Armut aufgewachsen. Dort wurden sie die besten Freunde, dort haben sie gemeinsam manches krumme Ding gedreht. Als sie ein Pfandhaus überfielen und vom Eigentümer überrascht wurden, schoss Evan diesen zum Krüppel. Danny floh entsetzt und entkam, Evan wurde geschnappt und zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Dass Danny sein Partner war, verschwieg er vor Gericht.

Während Evan im Gefängnis endgültig verrohte und jegliches Gefühl für Gesetz und Moral verlor, begann Danny mit seiner Lebenspartnerin Karen, ein neues Leben und schuf sich eine Existenz als Leiter eines kleinen Bauunternehmens. Richard O’Donnell, sein Chef, verlässt sich auf Danny, die Arbeiter achten ihn. Danny und Karen denken an die Gründung einer Familie. Marcus Sakey – Der Blutzeuge weiterlesen

Benson, Ann – Schreckenskammer, Die

_Die Story:_

|Nordfrankreich, Mitte des 15. Jahrhunderts:|

Die Äbtissin Guillemette la Drapière ahnt Böses, als eine Frau in das Kloster kommt und dem Bischof von Nantes berichtet, dass ihr Sohn verschwunden ist. Obwohl sich der Bischof dagegen ausspricht, kann er es nicht verhindern, dass sie Ermittlungen aufnimmt. Dabei erfährt sie, dass in der näheren Umgebung von Nantes unzählige Kinder, überwiegend Jungs, verschwunden sind. Daraufhin übernimmt der Bischof im Auftrag des Herzogs die Ermittlungen, die auf einen Verdächtigen hinweisen: Auf Gilles de Rais, Ritter, Baron der Bretagne, Marshall von Frankreich – ein mächtiger Adliger und zudem fast ein Sohn von Guillemette, die seine Amme war und ihn zusammen mit ihren zwei Söhnen aufgezogen hatte.

Die Äbtissin wehrt sich dagegen, dass der ihr so vertraute Adlige diese Kinder entführt und gefoltert haben soll, doch die Zeugenaussagen, die sich plötzlich häufen, lassen kaum Zweifel zu, und verschwand nicht ihr ältester Sohn, als er mit Gilles zu einem Jagdausflug unterwegs war? Die Unwissenheit über das Schicksal ihres Sohnes hatte sie jahrelang gequält, doch nun kann sie die Wahrheit herausfinden, indem sie die vermissten Kinder aufspürt und Gilles‘ finstere Machenschaften aufdeckt …

|Los Angeles, Gegenwart:|

Die Polizistin Lany Dunbar erhält einen Anruf von einer Mutter, die ihren Sohn vermisst. Eine Zeugin will gesehen haben, wie der Junge morgens in das Auto seiner Mutter eingestiegen ist, doch diese war zu der Zeit bei der Arbeit gewesen. Ihr Vorgesetzter gibt ihr daraufhin die Fälle eines Kollegen, die sich ebenfalls um vermisste Jungs drehen, die angeblich von einem Verwandten oder Bekannten entführt wurden. Doch auch hier hatten die Verdächtigen ein unwiderlegbares Alibi.

Nachdem weitere Kinder verschwinden und Lany ältere ungelöste Fälle hervorholt, ergibt sich ein schrecklicher Verdacht: Da die Opfer sich alle sehr ähnlich sehen und die Umstände der Entführungen ähnliche Muster zeigen, sieht Lany in ihrem Verdächtigen einen Serientäter. Diese Spur führt sie nach New York, wo sich ähnliche Fälle zugetragen haben, und damit zu einem möglichen Täter, der in beiden Städten zur passenden Zeit verweilte: Wilbur Durand, reich, introvertiert, Special-Effect-Macher für Horrorfilme. Sie findet endlich Beweise, um ihn verhaften zu lassen, als der beste Freund ihres Sohnes in die Klauen des Monsters gerät …

_Meine Meinung:_

Die Inhaltsangabe auf der Rückseite des Buches gibt vom Inhalt nicht viel preis, aber eine Äbtissin im Mittelalter und eine Polizistin in der Gegenwart, die jeweils das gleiche Verbrechen aufklären, das klingt für den Anfang schon mal richtig gut.

Das erste Kapitel entführt den Leser ins Frankreich des 15. Jahrhunderts, doch kaum dort heimisch geworden, reißt ihn das zweite Kapitel ins Los Angeles der Gegenwart, um beim dritten Kapitel wieder ins Mittelalter zurückzukehren. So wechselt die Autorin mit jedem Kapitel den Schauplatz, die Zeit und die Hauptfigur. Das stört am Anfang noch nicht so sehr, da die beiden Geschichten ja erst entwickelt werden, doch je mehr der Roman fortschreitet und je mehr der Leser in die beiden Geschichten eintaucht, desto mehr irritiert der immense Sprung, denn wie so gerne praktiziert, erfolgt an fast jedem Kapitelende ein Leckerchen, das den Leser gebannt festhält und zum Weiterlesen zwingt. Und das bei beiden Geschichten!

Ist die Äbtissin gerade noch dabei, Gilles nachzuspionieren, bekommt die Polizistin auf einmal ein neues Indiz, während die Äbtissin an der Gerichtsverhandlung teilnimmt. Das ist verwirrend, aber auch wahnsinnig spannend. Obwohl es schwerfällt, ist man zwischendurch immer wieder gezwungen, den Roman zur Seite zu legen und das gerade gelesene Kapitel zu resümieren, um dann die andere Zeitebene ins Gedächtnis zu holen. Zwei Romane in einem sind halt nicht einfach so hintereinander wegzulesen, aber genau hat durchaus seinen Reiz, denn von Langeweile ist auf diesen 570 Seiten nichts zu finden. Ein Ereignis jagt das nächste, eine neue Entdeckung ist schauriger als die folgende.

Dabei sind sich die zwei ermittelnden Frauen sehr ähnlich in ihrer Art und Weise: Beide verfügen über Lebenserfahrungen; die Äbtissin durch ihr fortgeschrittenes Alter und den frühen Verlust ihres jüngsten Sohnes, und die Polizistin durch ihre Arbeit und die daraus resultierende Konfrontation mit Verbrechen und Gewalt. Während sich die Äbtissin durch ihre enge Beziehung zu dem Täter in einem seelischen Konflikt befindet, muss die Polizistin miterleben, dass der Freund ihres Sohnes in die Hände des Täters fällt. Beide befinden sich somit in einer brisanten Lage, die trotz allem dem festen Willen nach der Ergreifung und Bestrafung des Täters nichts anhaben kann.

An ihrer jeweiligen Seiten glänzen ein Bischof und ein Psychologe, die ebenfalls Parallelen aufweisen. Beide unterstützen die jeweilige Frau nach Kräften, jeder auf seine Art. Der Bischof übernimmt die offiziellen Ermittlungen, der Psychologe die Profilerstellung. Beide nehmen Beschützerstellungen ein, beide werden zum Vertrauten.

Das dritte Zwillingspaar sind natürlich die beiden Täter. Der hochrangige Adlige Milord Gilles de Rais, der so tapfer an der Seite der Jungfrau Jeanne d’Arc gegen die Engländer gekämpft hatte, und der im Filmgeschäft erfolgreiche Wilbur Durand – zwei mächtige und einflussreiche Männer, deren Überführung alles andere als leicht ist. Die Autorin zeichnet einen ähnlichen Hintergrund für die beiden Männer, das typische Bild eines Serientäters: eine schlechte, grausame Kindheit, die aus unschuldigen Kindern solche Monster macht. Was man ihnen antat, geben sie nun weiter. Was ihr säet, das erntet ihr, sagt immerhin schon die Bibel. Und die muss es ja wissen. Was immer man davon hält, Ann Benson hat es zumindest sehr überzeugend dargestellt.

Ebenso überzeugend kommt der gesamte Roman daher. Die amerikanische Autorin Ann Benson verwendet für ihre beiden Ermittlerinnen die Ich-Perspektive, deren Vorteil unbestreitbar das Identifikationspotenzial ist, das dadurch im Leser geweckt wird, zumal die Gefühle der beiden Frauen deutlicher und plastischer dargestellt werden können als in der Erzähl-Perspektive des Allwissenden. Dazu kommen ein ausgewogenes Tempo – die Handlung wird immer stetig vorangetrieben – und gut dosierte Detailbeschreibungen. Die Dialoge sind lebendig, die Figuren entstehen dem Leser vor dem inneren Auge, der Leser sieht, fühlt, riecht und schmeckt. Unterhaltsam und spannend geschrieben!

Zu der historischen Figur Gilles de Rais (Gilles de Montmorency-Laval, Baron de Rais): Ann Benson hat sehr genau recherchiert, um das Leben und vor allem die Taten des Adligen im historischen Teil zum Hauptthema machen zu können. Insofern ist die Lektüre geschichtlich natürlich sehr lehrreich (auch wenn dies ein sehr dunkles Kapitel daraus ist). Da sich die Prozessakten über die Verhandlungen gegen de Rais bis heute erhalten haben und in der Nationalbibliothek von Paris und Nantes aufbewahrt werden, ist der Fall auch gut rekonstruierbar. Die Amme des Adligen hieß tatsächlich Guillemette la Drapière, der Bischof von Nantes (Jean II. de Châteaugiron von Nantes, Jean de Malestroit) hatte den Prozess als Bischof und als Kanzler geführt. De Rais hatte unter Androhung von Foltern die Verbrechen gegen die Kinder, Hexerei und Ketzerei gestanden. Mehr als 400 Kinder sollen auf sein Konto gehen, verurteilt wurde er in 140 Fällen.

Für den Grund seiner Taten habe ich während der Recherche zwei mögliche Gründe gefunden: Zum einen soll sein Großvater, der ihn aufgezogen hatte, ihn sexuell missbraucht haben, daraus soll Gilles de Rais schließlich selbst Lust entwickelt haben, die er später schließlich an Kindern aus der Umgebung, die hauptsächlich zwei seiner Diener ihm zuführten, ausgelassen hat. Andere Quellen geben an, er hätte ein Buch des römischen Historikers Suetonius gelesen, in welchen der römische Kaiser beim Missbrauch von Kindern dargestellt wurde. Während seines Prozesses soll er gesagt haben: „Das Buch war mit Abbildungen versehen, auf denen das Treiben heidnischer Kaiser dargestellt war; und in diesem feinen Buche, wie es Tibenus und Caracalla und andere Kaiser mit Kindern trieben, und es ihnen besonderes Vergnügen bereitete, sie zu quälen. Das erweckte in mir Wunsch, sie nachzuahmen, und noch am gleichen Abend tat ich das, was mir auf den Abbildungen vorgemacht wurde.“ Was es auch immer gewesen sein mag, er missbrauchte die Kinder und tötete sie danach auf grausame Art und Weise.

Ann Benson beschreibt keinen Missbrauch direkt, aber das Grauen und die Gewaltbereitschaft sind beständig zugegen. Das Buch durchziehen diese Gräueltaten, und wenn auch keine davon szenisch dargestellt wird, so reichten mir bereits die erzählten Einzelheiten, um Abscheu zu wecken. Und trotzdem weiß die Autorin, dass solche Abscheulichkeit auch fasziniert. Die Menschen sind sensationslüstern, und in einem Roman darf man dies ausleben. Wie viele Menschen bleiben bei einem Unfall stehen, um zu gaffen? Zu viele, aber Schreckliches ist eben auch anziehend, und ein Mensch, der Schreckliches tut, ist ebenso anziehend. Somit ist de Rais auch eine schillernde, mächtige Präsenz in diesem Roman und seine Taten sind grausam interessant. Wie kann ein Mensch solche Taten begehen, fragt sich der Leser, und taucht immer tiefer in einen – ja! menschlichen – Abgrund hinein, dem er sich morbiderweise nicht entziehen kann. Dass der Täter der Neuzeit nur ein Abklatsch einer so schillernden, mächtigen Figur sein kann, versteht sich von selbst, allerdings haben seine Taten den gleichen entsetzlich faszinierenden Untergrund. Wie kann ein Mensch solche Taten begehen? Und dann auch noch an Kindern?

Zartbesaitete oder auch gerade Mütter mit kleineren Kindern sollten dieses Buch nicht zur Hand nehmen, alle anderen, die makabere Lektüre goutieren oder die Faszination des Bösen fühlen möchten, sollten direkt in die Buchhandlung eilen, um das Buch abzugreifen. Es gibt fürs Geld 570 sehr spannende Seiten, die sogar noch historisches Wissen vermitteln. Ich jedenfalls habe diesen Roman regelrecht verschlungen.

|Originaltitel: Thiefs of Souls
Originalverlag: Delacorte 2002
Aus dem Amerikanischen von Klaus Berr
Taschenbuch, 576 Seiten|
http://www.blanvalet-verlag.de

Weitere Romane der Autorin:
[„Die siebte Geißel“ 18 (1997)
„Die brennende Gasse“ (1998)
„Der Fluch des Medicus“ (2006)

Alan Campbell – Scar Night (Kettenwelt-Chroniken 1)

In Deepgate, der Stadt, die an Ketten über einem tiefen Abgrund schwebt, sorgen Intrigen und Mordanschläge für Unruhen und Aufruhr. Als ein Wahnsinniger einen Privatkrieg gegen die Obrigkeit anzettelt, wird sogar der Höllenschlund unter der Stadt aufgerührt … – „Dark Fantasy“ vom Feinsten: Die an sich bekannte Story wird vor einer grandiosen, ebenso düsteren wie plastisch geschilderten Kulisse entwickelt. Lebendige Figuren fesseln das Interesse zusätzlich.
Alan Campbell – Scar Night (Kettenwelt-Chroniken 1) weiterlesen

Nick Stone – Voodoo

stone-voodoo-cover-kleinPrivatermittler Max Mingus sucht auf der Karibik-Insel Haiti nach dem verschollenen Sohn eines reichen Mannes. Er gerät in eine düstere Welt, in der sich das Verbrechen mit dem Übernatürlichen mischt und ausschließlich das Recht des Stärkeren regiert; lästige Fragensteller werden hier entsetzlich einfallsreich zum ewigen Schweigen gebracht … – Bedrückend realistischer Thriller, der die Hölle in der menschlichen Seele zum Schauplatz hat. Die Story ist spannend, der Spannungsbogen bruchfest, die Figurenzeichnung hervorragend: „Voodoo“ ist ein Roman, der über die gesamte Distanz fesselt.
Nick Stone – Voodoo weiterlesen

Patrick Redmond – Der Musterknabe

England, 1945: Die sechzehnjährige Anna Sidney erwartet ein Kind vom Soldaten Edward, der kurz nach ihrem Kennenlernen in den Krieg gezogen ist. Obwohl er Anna versprochen hat, sie danach zu heiraten, kehrt er nicht mehr zurück. Ein harter Schlag für das Mädchen, das mit 13 die Eltern bei einem Fliegerangriff verlor und jetzt bei Tante Vera und Onkel Stan lebt. Ihr Sohn Ronnie wird zu ihrem Lichtblick im Leben, den sie gegen alle widrigen Umstände behält. Während Onkel Stan ein netter, aber sehr schwacher Mann ist, terrorrisiert Vera Anna unentwegt herum. Ronnie wächst zu einem hübschen, intelligenten Jungen heran, der von Anna vergöttert wird und sie für ihr bisheriges Leid entschädigt. Niemand ahnt etwas von seinem eiskalten Charakter unter der strahlenden Fassade, auch nicht, als er Tante Vera über einen Rollschuh ins Frittierfett stolpern lässt und ihre schwere Armverbrennung wie einen Unfall aussehen lässt.

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Anderson, Jeffrey – schlafende Tod, Der

_Inhalt_

In Los Angeles erkranken mehrere Menschen an einer scheinbaren Virusinfektion, die innerhalb weniger Tage zum Tod führt. Symptome sind Magen-Darm-Krämpfe und massive Blutungen aus dem Unterleib und dem Mund-Rachen-Bereich. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel. Da stündlich neue Patienten gemeldet werden, werden die Katastrophenschutzbehörde und die Seuchenzentrale sowie FBI, CIA und NSA alarmiert.

Der FBI-Agent Alan Thorpe und sein hochkarätiges Wissenschaftler-Team nehmen sich der Sache an, um dem Virus auf die Spur zu kommen. In einem Hochsicherheitslabor untersuchen sie Proben von Erkrankten und finden tatsächlich etwas: Nanoröhrchen – winzigste Bauteile der Nanotechnologie. Die Angst, es mit einer künstlich hervorgerufenen Viruserkrankung zu tun zu haben, steigt extrem an, zumal die Computerprognosen über die Verbreitung der Krankheit eine eindeutige Epidemie hervorsagen.

Zeitgleich wird eine entsetzliche Entdeckung im Internet gemacht: Die Besucher der Pentagon-Seite werden umgeleitet – zu einer Drohung, die ihnen den Nanotod im Namen von Allah ankündigt! Nicht nur in Los Angeles bricht Panik aus, denn der Nanotod schlägt nun auch in anderen Städten gnadenlos zu.

Für Präsident Sutherland ist die Lage prekär, die Weltmacht USA muss auf diesen offensichtlichen Anschlag reagieren. Als der Verdacht aufkommt, dass syrische Terroristen die Urheber der Katastrophe wären, plant er einen militärischen Eingriff. Doch bevor der Krieg ausbrechen kann, gibt es neue Beweise, dass die Terroristen aus dem eigenen Land kommen. Ein Agent, der in die Terroristenbande eingeschleust wurde, bringt nicht nur neue Informationen mit, sondern auch ein Virus, das sehr schnell tötet und gegen das die Wissenschaftler noch kein Mittel haben …

_Meinung_

Das ist längst noch nicht alles, was auf den 412 Seiten dieses Thrillers passiert, aber es reicht, um im Groben zu verstehen, worum es geht: Um Terrorismus, Wissenschaft, Politik und um Menschenleben. Dieser Thriller lässt sich kaum aus der Hand legen, denn er ist verflucht spannend! Bereits die ersten Seiten fesseln den Leser; die Story setzt mit der Erkrankung ein und schnellt damit augenblicklich auf ein hohes Spannungslevel – und das Schöne daran ist, dieses Level wird konstant gehalten!

Viel trägt dazu bei, dass das entworfene Szenario sehr realitätsnah gehalten ist; es spielt zwar nicht in der Gegenwart (das ist nur daran zu erkennen, dass Bush nicht mehr der Präsident der USA ist), allerdings auch nicht in allzu weiter Zukunft. Eine solche Nanotechnologie-Biowaffe könnte tatsächlich in wenigen Jahren bereit sein, fast die gesamte Menschheit innerhalb kürzester Zeit auszulöschen. Die psychologische Angst, die geschickt auf den Leser übertragen wird, begleitet diesen durch die Seiten und lässt ihn mit den Wissenschaftlern mitfiebern, die unter schwersten Bedingungen ein Heilmittel suchen.

Das Debüt von Jeffrey Anderson ist ein Wissenschaftsthriller, und demnach finden sich reichlich wissenschaftliche Ausführungen, die den Laien erklären sollen, was da eigentlich gerade stattfindet. Ich gebe zu, ich habe zwar nicht alles verstanden, aber das, was ich begriffen habe, reichte allemal, um den Roman nachzuvollziehen und zu genießen. Der Autor baut auch nicht einfach einen trockenen Absatz mit Erklärungen ein, sondern bringt dem Leser die Informationen größtenteils mittels Dialogen nahe – eine sehr schöne Variante, da sie gleich auch die Charaktere formt und deren Fachkompetenz als Super-Genies unterstreicht. Ich habe es ihnen jedenfalls abgekauft, dass sie Koryphäen auf ihrem jeweiligen Gebiet sind!

Zur besseren Vorstellung hat der Autor das Biodefense-Team (Alan Thorpe & die besagten Genies) auf der allerersten Seite gesondert vorgestellt. Das hilft natürlich, diese Figuren dem Leser nahezubringen und sie als \“Helden\“ wiederzuerkennen. Nun sind mir diese fünf Charakter nicht unbedingt ans Herz gewachsen, aber unsympathisch kann man sie auch nicht nennen. Doch nur der Agent Alan Thorpe und der Arzt Sam Goldberg konnten meine volle Aufmerksamkeit erreichen, da diese beiden jeweils mitten im Zentrum eines Krisengebietes kämpften: Alan inmitten von hochrangigen Politikern bis hin zum Präsidenten, und Sam inmitten der Infizierten im LA-Krankenhaus. Die restlichen drei kämpfen zwar verbissen um ein Heilmittel, sind mir aber als Figuren nicht so nahegegangen, weil sie doch eher außerhalb der Gefahr stehen. Auch sind ihre Eigenschaften blasser ausgefallen (außer ihrer fachlichen Kompetenz, wie erwähnt) und damit gibt es weniger Identifikationspotenzial für den Leser.

Insgesamt ist das Debüt von Anderson ein gelungener, spannender Wissenschaftsthriller, der gerade durch seine Realitätsnähe besticht und mitreißt. Ich spreche damit eine Empfehlung aus, und zwar nicht nur für Fans von Wissenschaftsthrillern.

_Der Autor_

Jeffrey Anderson, Dr. med. und Dr. phil, ist Neuroradiologe an der Universität von Utah und veröffentlicht seine Forschungsergebnisse in den führenden amerikanischen Fachzeitschriften wie \“Science\“, \“Nature Neuroscience\“ und \“Neuron\“. \“Der schlafende Tod\“ ist sein erster Roman und mit seinem zweiten Werk \“Die Erben der Schöpfung\“ wartet bereits ein neuer Wissenschaftsthriller im Handel.

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Paulus Schotte – Ein Mann verfolgt sich selbst

schotte-mann-cover-kleinEin Mann ist tot, sein eifersüchtiger Nebenbuhler kann sich nicht an die vergangene Nacht erinnern: Hat er einen Mord begangen? Karl Jeß beginnt voller Angst gegen sich selbst zu ermitteln und bringt nicht nur sich, sondern auch eine hilfsbereite Medizinstudentin in Lebensgefahr … – Arg angejahrter deutscher Kriminalroman, was durch den untypischen Plot sowie die Kulisse deutschen Alltags in den frühen 1930er Jahren zum Teil aufgewogen wird: Krimistoff für literaturhistorisch interessierte Leser.
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Mignon G. Eberhart – Der dunkle Garten

Im alten Haus stirbt eine ungeliebte Zeitgenossin, bevor sie einem dreisten Erbschleicher die Maske vom Gesicht reißen konnte. Eine verdächtige Frau erkennt fast zu spät, dass sie als Bauernopfer für ein geschickt eingefädeltes Komplott dienen soll … – Mit altmodischen Grusel-Effekten versehener, klassischer „Whodunit“-Krimi, in dem nicht der Ermittler, sondern die Hauptverdächtige die Hauptrolle spielt. Das übliche Katz-und-Maus-Spiel wird zum spannenden Wettlauf mit dem Mörder, bis in letzter Sekunde die Gerechtigkeit obsiegt: nostalgisches Lesevergnügen der gediegenen Art.
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Isaac Asimov – Die phantastische Reise

asimov phantastische reise cover kleinUm einen ins Koma gefallenen Wissenschaftler zu retten, wird ein Ärzteteam auf Mikrobengröße verkleinert und macht sich im Mini-U-Boot durch die Adern auf den gefährlichen Weg ins Gehirn … – Das Buch zum Kinoklassiker erzählt die spannende Handlung nicht einfach nach, sondern ergänzt sie durch Hintergrundinformationen, liefert ausführliche Charakterisierungen der Figuren und unternimmt sogar den (rührend gescheiterten) Versuch, die krude Story wenigstens ansatzweise plausibel wirken zu lassen: keine simple Beigabe zum Film, sondern ein eigenständiger, sehr lesbarer Science-Fiction-Roman.
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Mark Hebden – Geisterstadt am Amazonas

Hebden Geisterstadt Cover kleinDrei Abenteurer begeben sich auf eine moderne Schatzsuche in den Norden Perus. In einer verfallenen Geisterstadt geraten sie nicht nur aneinander, sondern müssen sich auch vor der gefährlichen Natur in Acht nehmen … – ‚Kleiner‘ aber gelungener Abenteuerroman, der aus dem uralten Plot von der riskanten Suche nach dem versunkenen Schatz spannend das Beste macht.
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Arthur C. Clarke – Inseln im All

clarke-inseln-im-all-cover-1983-kleinJüngling Roy besucht eine Raumstation, lernt den schwerelosen Alltag kennen und erlebt viele lehrreiche Abenteuer … – Aus heutiger Sicht naiver „Roman für die Jugend“, der allzu didaktisch daherkommt, aber sehr interessant die längst verworfene Vision einer Zukunft beschreibt, in der Technik und Wissen für Weltfrieden und Wohlstand sorgen.
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Mignon G. Eberhart – Während der Kranke schlief

Im einsamen Haus lauern verfeindete Verwandte auf den Tod des reichen Familienoberhaupts, bis die Anwesenden sich gegenseitig zu dezimieren beginnen. Eine Krankenschwester betätigt sich als Privatdetektivin und kommt des Rätsels Lösung dabei zu nahe … – Atmosphärisch dichter „Whodunit“ mit wirklich allen Elementen dieses Genres, deren Autorin nach vielen falschen Fährten und Rätselraten den Täter aus dem Kreis der sämtlich verdächtigen Figuren herausfiltert.
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Sauer, Beate – Buchmalerin, Die

_Die Autorin_

Beate Sauer wurde 1966 in Aschaffenburg geboren. Sie studierte Philosophie und katholische Theologie in Würzburg und Frankfurt am Main. Seit 1997 lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Köln. „Die Buchmalerin“ ist ihr zweiter Roman nach „Der Heilige in deiner Mitte“ (1999). Im Februar 2007 erschien bei |Grafit| ihr aktueller Historienkrimi „Der Geschmack der Tollkirsche“.

_Die Geschichte_

Als Junge verkleidet, befindet sich Donata mitten in heftigsten Winterstürmen auf dem Weg von Burgund nach Köln. Sie will dort Arbeit als Schreiber finden und sich gleichzeitig vor der Inquisition verstecken. Vor dieser ist sie aus Burgund geflohen, weil sie zwei Ketzer nicht verraten wollte.

Schwach und mehr als durchgefroren, sucht sie Schutz in der verlassenen Ruine einer alten Kirche und kriecht dort in den hohlen Altar. In der Nacht wird sie Zeuge eines Mordes. Vier Männer befinden sich in der Ruine: ein Dominikaner, ein Adliger, ein Diener und ein weiterer, von Donata nicht einzuordnender Mann. Und genau dieser stößt dem Dominikaner das Messer in den Leib. Nach Abzug der Männer verlässt die junge Frau fluchtartig den Ort des Verbrechens, um kurz darauf dem Diener in die Arme zu laufen. Doch dieser begreift erst später, dass dieser Junge zu dieser Zeit der Ruine zu nahe war und ein Risiko darstellte. Im Auftrag seines Herrn beginnt die Jagd nach dem vermutlichen Zeugen des Mordes …

Inzwischen hat der Kaiser Friedrich einen Kundschafter auf seinen Sohn, den König Heinrich, und den Kardinal von Trient angesetzt. Der Kaiser wittert eine Verschwörung der beiden mächtigen Männer gegen ihn und den Papst. Doch der Kundschafter Roger ist den beiden dicht auf den Fersen. Bei seinen Beschattungen stößt er ebenfalls auf Donata, die inzwischen bei den Beginen in Köln Unterschlupf gefunden hat. Als der Kardinal in die Stadt einzieht, wird ihr klar, dass dieser der Mörder des Dominikaners war und dass der Dominikaner der Inquisitor Gisbert war – ein treuer Anhänger des Papstes.

Ihr gelingt erneut die Flucht vor dem hohen Geistlichen, doch die Beginen und auch die Benedikterinnen müssen einen hohen Preis für ihre Hilfe bezahlen: Der Kardinal sucht unter ihnen den potenziellen Mörder des Inquisitors, dessen Leiche nun auch noch aufgetaucht ist und somit seine Pläne durcheinander bringt.

Als Donata und Roger aufeinander treffen, verbünden sie sich zwangsweise und machen sich auf die Suche nach dem zweiten Zeugen, jenem adligen Mann aus der Kirchenruine. Der weite Weg quer durchs Land beginnt und hält so manche gefährliche Situationen für die beiden bereit …

_Die Hauptcharaktere_

|Donata|

Sie ist bei Albigensern aufgewachsen, bevor deren Glauben als Ketzerei deklariert wurde. Sie hat Lesen und Schreiben gelernt und verfügt über das Talent des Malens – und zwar des naturgetreuen Malens, das zu dieser Zeit nicht gern von der Kirche gesehen wurde.

Donata ist eine junge Frau Anfang zwanzig. Sie ist gezeichnet durch Zähheit und Widerspenstigkeit gegenüber Schicksalsschlägen, aber genauso durch Mitgefühl, Verantwortungsbewusstsein für ihre Umwelt und innere Zerrissenheit. Sie hat Angst vor der Inquisition, geht aber mutig ihren Weg.

Dieser Charakter ist am stärksten ausgearbeitet, und die Autorin lüftet geschickt erst nach und nach die Geheimnisse der jungen Frau. Wie schön – das schafft Spannung!

|Roger|

Der Kundschafter Friedrichs wird dem Leser sehr früh in seinen Aufgaben vorgestellt. Er bleibt als Person sehr lange undurchsichtig und kommt stellenweise blass rüber. Roger wurde von Kaiser als Waisenkind aufgenommen und unterrichtet. Seine Leidenschaft gilt der Medizin – eine vortreffliche Tarnung für einen Spitzel. Als Arzt verdient er sich schnell das Vertrauen der Leser, doch als Donatas Begleiter bleiben Zweifel ob seiner Ehrlichkeit. Erst beim Finale klärt uns die Autorin endgültig auf.

|Der Kardinal und Legat|

Himmel, was für ein Mann! Ich weiß, er ist ein Mörder, aber dieser Charakter strahlt eine Anziehungskraft aus, die es mir unmöglich macht, ihn nicht zu bewundern. Ehrgeiz, Skrupellosigkeit und Intelligenz paaren sich zu einem Bündel an Energie und, ja, irgendwie auch sinnlicher Ausstrahlung, dass ich mir wünschte, einem solchen Mann begegnen zu können. Nun gut, ich hatte immer eine Schwäche für Bösewichte, aber dieser hier scheint schon ein Prachtexemplar zu sein. Extrem gut ausgearbeitet, Frau Sauer! Ich bin begeistert.

_Meine Meinung_

Die Charaktere verdienen also insgesamt Lob. Übrigens: Das Gleiche gilt für die Nebencharaktere, die ich aber nicht im Einzelnen auseinanderklabüsern möchte. Doch wie ist nun die Story aufgebaut? In einem Wort: Megaspannend! Der Spannungsbogen wird von den ersten Seiten an aufgebaut, steigt kontinuierlich leicht an, endet in einen kleinen Höhepunkt, flacht sachte ab und steuert den nächsten Höhepunkt an. Der Leser hängt an der Angel und muss der Strömung des Erzählflusses folgen, den die Autorin doch sehr geschickt mal hierhin, mal dorthin lenkt. Die Stränge nähern sich der saftigen, kolossalen Verschmelzung und dann …

… kommt das Ende. Mein Gott, wie kann man solch eine Spannung aufbauen, um dem Finale, dem eigentlichen Kern der Sache, so wenig Raum zu schenken? Das darf doch nicht wahr sein! Klar, rein inhaltlich ist das Ende sehr befriedigend, aber das hätte die Autorin doch noch viel gewaltiger inszenieren können. Nein, wirklich, ich bin entsetzt! Am liebsten würde ich den Stift nehmen und alles umschreiben.

Das Ende ist also nicht wie gewünscht, doch der Schreibstil ist wunderbar zu lesen. Zwar ist die Sprache der Protagonisten der heutigen Zeit angepasst, aber das empfinde ich nicht als schlimm. Beate Sauer nimmt sich die Zeit, dem Leser die Umgebung vorzustellen, erweckt damit die klirrende Kälte des Winters zum Leben und verleiht ihrem Roman damit eine lebendige und nachvollziehbare Atmosphäre.

Ein weiteres Plus ist das Tempo der Geschichte. Das Buch umfasst über 500 Seiten, aber selten kehrt Ruhe ein, die die Charaktere dann auch bitter nötig haben. In diesen seltenen Momenten erfahren wir auch die Vergangenheit der beiden Flüchtigen und die ganze Hintertriebenheit des Kardinals. Nähe und Verbundenheit werden aufgebaut, Kontakte geknüpft und der Leser in den nächsten Schachzug der Handlungsträger geschickt. Ja, das ist schon gelungen!

Zum Schluss: Sauer hat in ihrem Nachwort die fiktiven und historischen Charaktere und Geschehnisse auseinandergezwirbelt. Wie zu erwarten war, hat der Kardinal nie existiert, doch die versuchte Rebellion des Königs Heinrich gegen seinen Vater hat stattgefunden. Wann was genau geschah, könnt ihr im Nachwort selbst nachlesen.

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