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Stephen Lawhead – Scarlet – Herr der Wälder (Rabenkönig 2)

Die Rabenkönig-Trilogie:

Hood – König der Raben
Scarlet – Herr der Wälder
Tuck (Januar 2009, US-Ausgabe)

Stephen Lawhead (* 1950) setzt seine historisch fundiert recherchierte Fassung der Legenden um Robin Hood auf interessante Weise mit einem erzählerischen Kniff fort:

Der titelgebende Will Scarlet, Vertrauter des Rabenkönigs Rhi Bran y Hud, sitzt im Gefängnis und wartet auf seine Hinrichtung. Nur der Verrat am Rabenkönig und seinen Gefährten könnte ihn vor Abt Hugos Zorn retten. Scarlet diktiert Bruder Odo seine Geschichte, und beide werden allmählich Freunde, denn Scarlet denkt gar nicht daran, Hugo oder den Sheriff mit Informationen zu versorgen. Er schildert Odo, wie sein Thane Aelred entmachtet und er zum Geächteten wurde, wie er sich dem Rabenkönig anschloss und schließlich gefangen gesetzt wurde.

Erst nach dieser Rückschau setzt die weiterführende Handlung des zweiten Bandes ein:

Rhi Brans Männer haben einen an den Papst adressierten Brief erbeutet, dessen Inhalt sie vorerst nicht richtig deuten können. Dieser ist jedoch brisant und grenzt an Hochverrat: Einige der Barone von König Wilhelm Rufus kochen lieber ihr eigenes Süppchen als treu zu ihrem Lehnsherrn zu stehen. Auch die Familie de Braose ist in das Komplott verwickelt, und Bran sieht die lang erwartete Gelegenheit gekommen, sein Erbland Elfael zurückzugewinnen und die Gnade und Gerechtigkeit des Königs zu erlangen.


Meine Eindrücke

Da dies der zweite Band einer Trilogie ist, kann man erahnen, dass Rhi Bran/Robin und der König differierende Auffassungen von ‚Gerechtigkeit‘ haben. Historisch wurde Wilhelm Rufus von dem verirrten Pfeil eines Untergebenen niedergestreckt; nach dem Ende des zweiten Bandes bin ich mir sehr sicher, dass es sich in dieser Trilogie nicht um ein Versehen handeln wird. Aber in „Scarlet“ wird der König überleben; die Eskalation des Kampfes zwischen dem König, dem Sheriff und Robin Hood wird erst im abschließenden Band „Tuck“ stattfinden.

Der erste Teil des Buches behandelt das Leben William Scatlockes, der sich selbst Scarlet nennt – aufgrund seines Namens, nicht wegen einer besonderen Vorliebe für die Farbe. Er wird nie in scharlachroter Montur auftreten, wie dies in diversen Filmfassungen der Fall ist. Diese Romanpassage langweilte mich ein wenig, denn so nett und interessant Scarlets Geschichte auch sein mag, die Erzählung vom brutal durch die Normannen enteigneten Waliser, der daraufhin zum Geächteten wird und in die Wälder flüchtet, wurde im ersten Band bereits erzählt. Robin und Scarlet sind beide erstklassige Bogenschützen, auch sonst sind sie sich sehr ähnlich, sowohl in ihrer Geschichte als auch in ihrem Charakter.

Erst als die Sprache auf den Brief kommt, läuft „Scarlet“ zur Höchstform auf. Mit Sir Guy de Gysburne und Richard de Granville, dem Sheriff, treten notorisch berühmt-berüchtigte Figuren der Legenden um Robin Hood auf. Auffallend ist, dass Granville zwar Sheriff, aber nicht der Sheriff von Nottingham ist. Hier möchte ich daran erinnern, dass Lawhead die Handlung in das walisische Grenzgebiet verlegt hat. Im Gegensatz zu anderen Fassungen sind der Sheriff und Sir Guy auch nicht ein Herz und eine Seele oder Herr und Untergebener. Sir Guy und seine Ritter dienen dem ehrgeizigen Abt Hugo, nachdem sie von Robin überfallen und ausgeraubt wurden, ihren Baron enttäuschten und Guys Karriere in dessen Diensten beendet war. Er ist dem Sheriff nicht direkt unterstellt, obwohl dieser sehr oft nach Gysburne ruft.

Ziemlich zurückgenommen hat Lawhead den Groll, den Gysburne gegen Robin hegt. Er dient jetzt dazu, zwei verschiedene Arten von Grausamkeit und Unrecht zu zeigen, unter denen die Waliser zu leiden haben: So töten die jungen Ritter Guys nach einer frustrierend erfolglosen Jagd ein paar Tiere aus der Herde eines walisischen Hirten. Er lässt sie gewähren und schlägt den ihn um Gerechtigkeit anflehenden Hirten nieder. Er hat keine besondere Beziehung zu den Bewohnern oder dem Land, in dem er jetzt dient und lebt. Sie sind ihm völlig egal. Die Grausamkeit des Sheriffs ist anderer Natur: Er kennt die Regeln der Macht und setzt das Gesetz mit erbarmungsloser Härte durch. Bewusste Abschreckung durch Terror und ein Hang zum Sadismus zeichnen ihn aus, der dem gedankenlos brutalen Guy fehlt. Sir Guy kennt Ritterehre; er nimmt es den Sheriff übel, wenn er Wort bricht und Gefangene trotzdem hängen will, obwohl er ihnen zuvor Versprechungen gemacht hat.

Der weitere Verlauf ist geradezu klassisch: Der Sheriff jagt Robin, doch er erwischt ihn nicht. Robin versucht einmal sogar, den betrunkenen Sheriff zu entführen, und schleppt ihn wie einen nassen Sack über der Schulter mit sich. Verkleidet unter den Männern des Sheriffs, schlägt er ihnen so manches Schnippchen, und es kommt sogar zu einem Bogenschießen mit Sir Guy, obwohl es kein direkter Wettbewerb zwischen den beiden sein wird. Besonders interessant wird die Geschichte, als Robin sich in die Dienste des Königs stellt: Sein Erbland Elfael gegen die Aufdeckung einer Verschwörung gegen Wilhelm Rufus. Dieser ist leider, wie bereits erwähnt, kein edler Richard Löwenherz. So entledigt sich Robin zwar der Familie de Braose, sein Land erhält er dennoch nicht zurück:

|“Nach einer angemessenen Zeit des Nachdenkens ist der König zu dem Schluss gekommen, dass es nicht im besten Interesse der Krone ist, Elfael zu diesem Zeitpunkt wieder unter walisische Herrschaft zu stellen.“ „Und was wird aus uns?“, schrie Bran, der nun sichtlich wütend wurde. „Das ist unser Land – unsere Heimat! Man hat uns Gerechtigkeit versprochen!“

„Gerechtigkeit“, erwiderte der in Seide gewandete Bischof kühl, „habt ihr auch bekommen. Euer König hat ein Urteil gefällt. Sein Wort ist Gesetz.“
(…)

Gysburne war der Einzige, der diese Katastrophe amüsant fand – er und ein paar der nicht ganz so klugen Soldaten bei ihm.| (S. 444/446)

Ich hoffe etwas klüger zu sein als die Soldaten Gysburnes, aber als Leser finde auch ich die Situation köstlich. Erst jetzt wird Robin Hood vom lästigen Räuber zum ernsthaften Problem, eine Eskalation und das Aufeinanderprallen von Sheriff, Gysburne und Robin unvermeidlich. Und auch mit dem König und Abt Hugo wird noch abgerechnet. Viel Stoff also für den abschließenden Band, der wieder von einer anderen Person – dem aufgrund der Ernährung im Wald nicht mehr ganz so dicken Mönch Tuck – erzählt werden wird.

Fazit

Erwähnenswert ist auch das neue Erscheinungsbild der Trilogie: „Scarlet“ verwendet dasselbe moderne und hübsch anzusehende Titelbild wie die amerikanische Fassung. Auch wenn mir dieser Stil persönlich besser gefällt als der des ersten deutschen Bandes „Der König der Raben“, ist es dennoch ärgerlich, dass das Erscheinungsbild der Trilogie verändert wurde. „Der König der Raben“ ist jetzt im neuen Einband unter dem leicht veränderten Titel „Hood – König der Raben“ erhältlich.

Bei der wie üblich lobenswerten Übersetzung von Rainer Schumacher fielen mir einige Schludrigkeiten bei der Namensgebung auf: Baron Neumarché heißt jetzt Baron Neufmarché (im ersten Band Neumarché), das englische William und das deutsche Wilhelm werden wahllos miteinander gemischt und vermischt für ein- und dieselbe Person, und aus Guy von Gysburne wird manchmal auch Guy de Gysburne. Die verschiedenen Stadien der Verballhornung von Rhi Bran y Hud über Rhi Bran Hud zu Riban Hud und schließlich Robin Hood sensibilisieren für die Namensgebung, und es mag gut möglich sein, dass im Original Gysburne von normannischen Adeligen als „de Gysburne“ und von den Walisern als „von Gysburne“ bezeichnet wird, allerdings konnte ich diese mögliche Unterscheidung im Text der deutschen Übersetzung nicht nachvollziehen und die Verwendung erschien mir wie bei William/Wilhelm sehr willkürlich.

Auch wenn mir der Charakter Will Scarlet wie ein schwächeres Abziehbild Robin Hoods erscheint, kompensieren die späteren Auftritte des Sheriffs und die Handlung um den politisch brisanten Brief für diese gewisse Redundanz zum ersten Band. Es wird nicht mehr so viel Hintergrund über die Lage im Land dargelegt, nur wenige, spärlich kurze Passagen werden noch aus der Sicht der normannischen Adeligen erzählt. Das habe ich ein wenig vermisst, dafür gibt es jetzt mehr äußere Handlung – es wird erfrischend viel gekämpft, intrigiert und getrickst.

Zu meiner großen Freude scheint der Abschlussband aufgrund des Cliffhangers, in dem Abt Hugo Sir Guy de Gysburne gezielt auf die Jagd nach Robin schickt, noch mehr davon zu bieten. Stephen Lawhead, obwohl – wie seit Anfang 2007 bekannt ist – an Krebs erkrankt, geht es nach eigenen Angaben wieder besser, und die Ankündigung im Nachwort der deutschen Übersetzung (der abschließende Band könne aufgrund gesundheitlicher Probleme eine Weile auf sich warten lassen) ist somit überholt. „Tuck“ erscheint im US-Original am 10. Februar 2009; über den Erscheinungstermin der Übersetzung ist noch nichts bekannt.

Gebunden: 461 Seiten
Originaltitel: Scarlet
Ins Deutsche übertragen von Rainer Schumacher
ISBN-13: 978-3-7857-2341-8

http://www.stephenlawhead.com
http://www.luebbe.de

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[Hood – König der Raben
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Meyer, Kai – Dschinnland (Die Sturmkönige 1)

Kai Meyers Romane grenzen sich auf angenehme Weise von der klassischen Fantasyliteratur ab. Anstatt auf Elfen, Zwerge und Orks zurückzugreifen und den immer gleichen Kampf Gut gegen Böse lediglich leicht abzuwandeln, setzt der deutsche Autor auf reale oder zumindest in der Realität verwurzelte Sagen, Mythen und Schauplätze und verknüpft sie behutsam mit wenigen, dann aber umso effektiveren fantastischen Elementen.

Nach seinem „Merle“-Zyklus in einem abenteuerlichen Venedig, den „Wellenläufern“ vor dem Hintergrund einer bunten Piratenwelt und der „Wolkenvolk“-Trilogie in einem fremden und zugleich magischen China spielt Kay Meyers neuester Dreiteiler „Die Sturmkönige“ im Orient. Im Zentrum steht Bagdad. Fern des Bildes einer bombardierten und von Terroranschlägen gezeichneten Stadt, wie man die irakische Metropole fast täglich in den Medien zu sehen bekommt, lässt sie Meyer im Glanz vergangener Tage aufleben. So ist es kein Zufall, dass die Welt an die Märchen aus Tausendundeiner Nacht erinnert. „Dschinnland“ hat der deutsche Vielschreiber den Auftaktsband seiner Trilogie betitelt, und eben dort hindurch müssen seine Hauptfiguren, um in die legendäre Stadt und das Zentrum der Welt zu gelangen. Eine Reise, die so manches Abenteuer bereithält.

_Inhalt_

Die Handlung beginnt in Sarmakand, und dort ohne große Vorgeschichte, sondern mitten in einem nächtlichen Rennen auf fliegenden Teppichen – quer durch die engen Gassen und gut bewachten Regierungsgebäude. Tarik al-Jamal ist ein Meister seines Fachs und beherrscht die Kunst des Teppichfliegens wie kein zweiter. Wenn er Geld braucht, meldet er sich kurzerhand bei einem der verbotenen Rennen an. Die Gefahr ist groß, das Preisgeld für den Sieger daher mehr als üppig. Es geht hart zur Sache, die Konkurrenten bedrängen sich gegenseitig und provozieren den Kontrollverlust des anderen, um ein Absturz über den Dächern der Stadt zu erzwingen. Ins Ziel kommen nur wenige. Wer mit samt Teppich in die Tiefe stürzt, hat Glück, wenn ihn nur die Bettler finden und den Besitzer um den kostbaren Teppich bringen. Wer Pech hat, wird von den Soldaten geschnappt und binnen weniger Tage hingerichtet, denn auf die Benutzung fliegender Teppiche steht die Todesstrafe. Gut für Tarik, das er noch nie verloren hat und bisher immer als Sieger aus den Rennen gehen konnte – zumindest bis zur besagten Nacht.

Tarik hat für seine knapp dreißig Jahre ein ereignisreiches Leben hinter sich. Als Schmuggler machte er sich einen Namen, weil er die gefährliche Route zwischen Samarkand und Bagdad etliche Male zurückgelegt hatte – mitten durchs gefürchtete Dschinnland, eine Einöde, in der die Dschinne das Sagen haben. Und die machen kurzen Prozess mit jedem Menschen, der ihr Territorium durchquert. Es war ein Fehler, auf seinem letzten Flug durch die Wüste seine große Liebe Maryam mitzunehmen – sie musste sterben, weil Tarik sie nicht beschützen konnte. Er verließ nach diesem Vorfall nie wieder Samarkand und plagte sich mit Gewissensbissen. Noch einmal würde er solch einen Fehler nicht begehen.

Doch wie es das Schicksal so will, kollidiert Tarik in jener Nacht während des Teppichrennens auf einer Mauer mit dem Mädchen Sabatea und stürzt zu Boden. Sofort sammeln sich zwielichtige Gestalten um sie. Tarik will schon wieder abheben, um das Rennen doch noch zu gewinnen, besinnt sich dann aber eines Besseren und opfert den Sieg, um das Mädchen vor den Straßenräubern zu verteidigen. Sabatea erweist ihre Dankbarkeit auf äußerst frivole Weise – aber sie hat noch mehr im Sinn, als sich ihrer Lust hinzugeben. Denn sie will nach Bagdad und braucht dafür einen einen tapferen Begleiter. Was für ein Zufall, dass sie ausgerechnet mit dem besten Teppichflieger der Stadt zusammengestoßen ist. Doch Tarik lässt sich trotz ihrer weiblichen Reize nicht überreden und lehnt ihr Angebot ab. Den Tod einer Begleiterin im mörderischen Dschinnland will er kein zweites Mal verantworten.

Sabatea hat allerdings ein weiteres Ass im Ärmel. Sie wendet sich an Junis, Tariks jüngeren Bruder, der immer in dessen Schatten gestanden hat und nun beweisen will, dass er eine Reise nach Bagdad auf sich nehmen kann. Als Tarik von dem Aufbruch der beiden erfährt, ist er hin- und hergerissen. Letztendlich entscheidet er sich dazu, Junis und Sabatea zu folgen. So weiß er sich zumindest in ihrer Nähe und muss später nicht vorwerfen, gleichgültig zu Hause geblieben zu sein. Für die zwei ungleichen Brüder und ihre Gefährtin Sabatea beginnt eine Reise voller Gefahren in einem Land, das sich im Aufbruch befindet. Denn den Blick gerichtet auf ihre eigenen Städte, wo sie sich mit genügen Sorgen und Nöten herumplagen müssen, haben die Menschen die Dschinne aus den Augen verloren. Ein Umstand, den sich die Bewohner der Einöde zwischen Bagdad und Samarkand zunutze machen.

_Bewertung_

Die Dreiecksbeziehung zwischen Tarik, Junis und Sabatea steht im Vordergrund der Erzählung. Alle drei haben unterschiedliche Motive, eine Reise durch das Dschinnland zu wagen. Bei allen Unterschieden müssen sie aber zusammenarbeiten, wenn sie den beschwerlichen Weg meistern wollen. Ein Unterfangen, das genügend Konfliktpotenzial bereit hält. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind es, mit denen Kai Meyer seinen Spannungsbogen zieht. Er schafft damit ein solides Grundgerüst, das den Charakteren wesentlich mehr Tiefe verleiht, als wenn der Ansporn ihres Handelns, wie leider im Fantasygenre eher die Regel als die Ausnahme, außerhalb der Personen liegt und über Prophezeiungen oder Visionen an sie herangetragen wird.

Ganz klischeefrei kommt Dschinnland aber nicht daher. Der Leser muss sich damit begnügen, dass Sabatea mit ihren weiblichen Reizen und ihrer geheimnisvollen Art genauso die typischen Rollenmuster bedient wie der große, aber innerlich zerrissene Held Tarik und sein kleiner, gerne aufbegehrender Bruder Junis. Und was die weiblichen Reize schon vermuten lassen: Die „Sturmkönige“-Trilogie richtet sich an ein erwachsenes Lesepublikum. Obwohl ein Großteil der Handlung durchaus jugendbuchkonform ist, schlägt Meyer stellenweise im Stil um. Vor allem eine Sexszene gleich zu Beginn hat es in sich. Das romantische, hübsch aufgemachte Cover des Buches, das „Die Sturmkönige“ ohne Weiteres im Buchhandel einen Platz im All-Age- oder Junge-Leser-Bereich verschafft, sollte darüber nicht hinwegtäuschen.

Verziert wird die in sich plausible Charakterzeichnung des Romans durch eine fantastische Welt. Fliegende Teppiche, Dschinne, weite Wüsten, hängende Städte und groteske Götzen sind die Bausteine, aus denen sich auch die Märchen aus Tausendundeiner Nacht zusammensetzen. Kai Meyer spart nicht damit, auf die bekannten Versatzstücke zurückzugreifen, bewahrt sich jedoch davor, sie nur hier und da als Schmuckstücke zu gebrauchen. Vielmehr verfremdet er das Setting und fügt angenehme Details hinzu, die der Handlung förderlich sind. Teppichrennen ist keine Freizeitbeschäftigung, sondern ein illegales Geschäft, das mit Blut bezahlt wird. Die Dschinne sind ebenso wenig harmlose Wesen und entschlüpfen keinen magischen Flaschen, wenn man nur lang genug an ihnen reibt. Wünsche erfüllen sie schon gar nicht. Stattdessen beschreibt sie Meyer als hagere, knochige Wesen mit dämonoiden Zügen, die für den Kampf geboren und den Menschen in Stärke und Ausdauer weit überlegen sind. So hat man Dschinne fürwahr noch nie erlebt. Doch so grausam sie auch sein mögen, nicht alles im Dschinnland ist den drei Helden feindlich gesonnen.

_Fazit_

„Dschinnland“ bildet den Auftakt der „Sturmkönige“-Trilogie. Was es mit den titelgebenden Sturmkönigen auf sich hat, erfährt der Leser erst im späteren Teil des ersten Bandes und soll hier noch nicht enthüllt werden. Nur so viel: Was mit einem zwar gefährlichen, aber noch verhältnismäßig harmlosen Teppichrennen beginnt, steigert sich im Verlauf der Handlung zu einem Abenteuer, das an den Grundfesten der Welt rüttelt. Zwar fällt der Mittelteil hie und da etwas lang aus, am Ende entschädigt Kay Meyer aber mit einem Cliffhanger, der es in sich hat und das Warten auf den zweiten Teil fast unerträglich macht. Ein spannender Roman, der aber nicht ganz an frühere Bände von Meyer heranreicht. Was nicht ist, kann aber ja noch werden.

|428 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-7857-2336-4|
http://www.sturmkoenige.de
http://www.kai-meyer.com
http://www.luebbe.de

Dübell, Richard – Tochter des Bischofs, Die

[„Der Tuchhändler“ 2750
[„Der Jahrtausendkaiser“ 3003
[„Eine Messe für die Medici“ 3288
[„Die schwarzen Wasser von San Marco“ 3323
[„Das Spiel des Alchimisten“ 3380

Wir befinden uns im Aquitanien des 12. Jahrhunderts. Raymond le Railleur ist ein Vagant, ein Sänger. Und leider mag er auch gerne spöttische Versduelle zum Besten geben, die ihm nicht so gut bekommen. Aufgrund seines letzten, sehr unglücklich verlaufenen Auftrittes befindet er sich nun auf den Weg nach Poitiers, um den mächtigen Bischof Jean Bellesmains aufzusuchen.

Er erhofft sich von ihm die Chance, zu spielen und eine Empfehlung für den Hof des jungen König Henri Plantagenet zu bekommen, um seinem Beruf weiter nachgehen zu können. Doch der Bischof hat von seinem Ruf und auch von seiner letzten Pleite bereits gehört, und um dessen Empfehlung zu bekommen, muss Raymond einen Auftrag erfüllen. Der Assistent des Bischofs, Firmin, ist verschwunden; sollte Raymond ihn zurückbringen, wäre seine Zukunft gerettet. Widerwillig nimmt der Sänger den Auftrag an.

Glücklicherweise folgt der zweite Arbeitgeber auf der Stelle. Der ehrgeizige Ritter Robert Ambitien möchte, dass Raymond für ihn ein Fest ausrichtet, bei dem auch der Bischof eingeladen werden soll. Dankbar, einen Grund zu haben, um in der Gegend zu bleiben und Firmins Spur aufzunehmen, begibt sich Raymond auf Roberts Anwesen und verliebt sich prompt in dessen Frau Suzanne, die nicht nur wunderschön ist, sondern auch über ein scharfes Zünglein – vor allem gegenüber dem Klerus – verfügt.

Raymond, als Sänger natürlich verpflichtet, die Hausherrin anzubeten, schwankt nun zwischen zwei Aufträgen und seinen stetig wachsenden Gefühlen. Zu allem Übel findet er heraus, dass Firmin nicht nur verschwunden, sondern sogar ein Mörder ist. Als er selbst als Mörder gesucht wird, wird eines ganz deutlich: Dieser Auftrag hat es mächtig in sich, und seine Liebesgefühle sind nicht gerade förderlich für seine Situation …

„Die Tochter des Bischofs“ ist nun der fünfte Roman von Richard Dübell, den ich genießen durfte. Zwar stand mir diesmal nicht der Kaufmann Peter Bernward zur Seite, aber Raymond le Railleur ist mir auch ein wenig ans Herz gewachsen. Insgesamt ist der Roman meiner Meinung nach nicht so gelungen wie die Bernward-Romane, aber eine Lektüre wert ist er allemal – unterhaltsam, spannend, flüssig lesbar. Der Plot steuert gradlinig auf den Höhepunkt zu, nur eine Überraschung erwartet den Leser, und das natürlich am Ende der Erzählung.

Sprachlich fasziniert der Autor immer wieder mit pointierten Sätzen, zielgerichteten Beschreibungen und gut gesetzten Metaphern und Vergleichen. Das unterhält und verleitet zum Weiterlesen. Oft habe ich einen Satz ein zweites Mal gelesen – nicht, weil ich den Sinn nicht verstanden hätte, sondern weil der Satz einfach schön und harmonisch klingt. Das weiß zu gefallen!

Die Dialoge sind zum einen sehr spritzig, weil Raymond einen sehr sarkastischen, aber treffenden Humor besitzt, der ihm natürlich bei den Spottversen sehr zugute kommt. Zum anderen dienen die Dialoge aber natürlich auch dem Voranschreiten der Handlung, und auch hier beweist der Autor sein handwerkliches Geschick.

Nur die Charaktere sind mir etwas zu blass geraten. Ich kann noch nicht mal sagen, dass mir etwas an ihnen direkt fehlen würde, aber ich konnte mich bei weitem nicht so intensiv in sie hineinversetzen wie bei den anderen Romanen des Autors. Der bereits erwähnte Humor von Raymond ist die einzige Ausnahme, ansonsten verlaufen sich mir die Figuren doch zu sehr ins Klischee: der mächtige, grollende Bischof, der geifernde Pastor, die wunderschöne und kluge Rittersfrau, die natürlich nicht von ihrem Mann geliebt wird, sondern von dem Held der Geschichte. Ja, klar, Liebe gehört dazu, aber irgendwie hat man das in dieser Form doch schon allzu oft gelesen.

Raymonds Spurensuche kann der Leser gut folgen, durch dessen Gedanken auch gut mitziehen. Das Buch ist zwar in der dritten Erzählperspektive geschrieben, aber eindeutig aus Sicht des Sängers; es gibt auch keinen Moment, der den Leser von Raymonds Seite weichen lässt, dadurch wirkt alles fortlaufend und geradeaus geführt. So entdecken der Sänger und der Leser Stück für Stück das Geheimnis des verschwunden Mönches, und dadurch kommt entsprechende Spannung auf. Man will halt nicht nur wissen, wie Raymond Firmin schnappt, sondern auch, was der Bischof mit seinem abtrünnig gewordenen Untertan anstellt. Und nebenbei kann man dann ja auch noch erfahren, was nun mit den Gefühlen zwischen Suzanne und unserem Held sein wird. Happy End oder gebrochenes Herz auf Lebensende?

Insgesamt lässt sich sagen, dass mir „Die Tochter des Bischofs“ ganz gut, aber eben nicht herausragend gefallen hat. Ich habe das Buch gelesen, werde es aber kein zweites Mal zur Hand nehmen. Es ist zwar eher eines der mäßigeren dieses Autors, dafür aber immer noch deutlich besser gelungen als die vergleichbare Masse auf dem Buchmarkt.

Homepage des Autors: http://www.duebell.de
http://www.bastei-luebbe.de/
http://www.ehrenwirth.de

Hohlbein, Wolfgang – Horus

_Handlung_

Die ägyptische Katzengöttin Bast(et) kommt im Jahre 1888 nach London, um ihre Schwester Isis zu suchen, die sich in der Hauptstadt des britischen Empires aufhalten soll. Doch kaum hat sie das Schiff verlassen, wird sie von einem Falken angegriffen, den sie gerade so abwehren kann. Sind Isis und sie nicht die einzigen ägyptischen Götter in London?

Auf der Suche nach ihrer Schwester gelangt Bast ins Londoner East End. Doch dort treiben nicht nur Gottheiten ihr Unwesen, sondern auch ein Serienkiller: Jack the Ripper. Schon bald findet sich die Katzengöttin in einem Wirbel aus alten Verbindungen, Gefühlen, Verdächtigungen und unbändigem Hunger wieder …
Hohlbein, Wolfgang – Horus weiterlesen

Andreas Eschbach – Ausgebrannt

Markus Westermann ist auf dem speziellen Trip, viel Geld mit »opi & opm« (other people’s ideas and other people’s money) zu machen. Die neue Ölkrise und mit ihr der »Öl-Guru« Block kommen ihm gerade recht. Block ist fest überzeugt von seiner Idee, dort Öl finden zu können, wo die moderne Geologie keines findet. Und er besitzt das Charisma, andere Leute zu überzeugen. Für Markus ist das die Gelegenheit seines Lebens, und er fackelt nicht lange.

Mit Block und seiner Methode im Schlepptau organisiert er eine erfolgreiche Risikoinvestment-Firma, die erste Bohrungen finanziert und – da tatsächlich Öl gefunden wird – die Sache groß aufzieht. Mit einem Schlag ist Markus reich und erfolgreich, findet die Frau seines Lebens und lebt unter den Reichen und Schönen New Yorks ein Leben voll Sex und Drogen. Bis die Firma »Block Explorations« einen Auftrag aus Saudi-Arabien annimmt. Trotz größter Anstrengungen scheitert Block und verschwindet unter mysteriösen Umständen, die Investmentfirma zieht ihr Kapital zurück und Markus versinkt in Schulden. Es ist programmatisch, dass er auf seiner einer Flucht gleichenden Jagd nach den Unterlagen Blocks, um seine Methode zu retten, plötzlich mit leerem Tank auf dem Highway steht und einen schweren Unfall verursacht, der ihn zurück nach Deutschland in eine spezielle Reha-Klinik bringt.

Die globale Lage spitzt sich zu, Saudi-Arabien steht vor den Ruinen seines Ölreichtums und muss das Versiegen der größten Quellen offenbaren, die Weltwirtschaft bricht ein. Erste militärische Schläge von China, USA und Russland versuchen, die übrigen Ölvorkommen zu verstaatlichen, Terroranschläge erschweren ebenso wie offizielle Beschränkungen den Ölhandel. Es ist absehbar, dass die industrialisierte Welt im Chaos versinken wird, wenn keine Alternativen entwickelt werden.

Block bleibt weiterhin verschwunden, Markus wird nun auch in Deutschland polizeilich gesucht, und eigentlich bleibt nur die Block-Methode als rettender Strohhalm. Markus plant seine Flucht nach Amerika, um nochmals zu versuchen, der Unterlagen habhaft zu werden, die vielleicht die Welt retten können …

Andreas Eschbach schaffte mit dem vorliegenden Roman erstmals den Sprung in die Top10 der Spiegel-Bestsellerliste. Seine Romane zeichnen sich von jeher durch die hohe atmosphärische Dichte aus, was noch bei seinem Erstling Die Haarteppichknüpfer von vielen Verlegern verkannt wurde. Mittlerweile gehört Eschbach zu den interessantesten Schriftstellern, die in der Romanwelt zu finden sind. Eschbach lebt und arbeitet in Frankreich.

Das Erdöl – weiß doch jeder, dass es nicht ewig reichen wird. In Deutschland wurde der Grüne Punkt eingeführt mit dem Hinweis, an die Kinder zu denken. Damals wurden die Karosserien der meisten Autos noch aus Blech gefertigt. Spätestens 2050, so heißt es im Volksmund, müssten die Erdölvorkommen erschöpft sein. Hat sich mit diesem verbreiteten Wissen irgendetwas in unserem Verhältnis zu diesem Rohstoff getan? Ja. Man sammelt Kunststoffe und führt sie Recyclinganlagen zu. Oder findet sie in der Wüste wieder. Man schafft gläserne Getränkeflaschen ab und trinkt nur noch aus Plastikflaschen. Zwischen den einzelnen Käsescheiben liegt kein Papier mehr, sondern eine Folie. Und die Autos bestehen zu immer mehr Anteilen aus Kunststoff.

Eschbach findet in »Ausgebrannt« noch weit wichtigere und augenöffnendere Beispiele für diese verkehrte Welt, in der das Öl so unglaublich billig und kurz vor dem Versiegen ist. Man macht sich keine Vorstellung davon, wie billig es wirklich ist; man sieht die steigenden Treibstoffpreise und schimpft auf die Ölscheichs. Okay, seit diesem Jahr auch auf die Mehrwertsteuer.

Eschbach selbst hat einmal gesagt, in einem Roman stünde nur die Spitze des Eisberges an Informationen, die der Autor im Laufe seiner Recherche zusammenträgt. Legt man das zugrunde, muss er jetzt eine Bibliothek über wirtschaftliche Zusammenhänge, das Ölgeschäft, die Weltgeschichte in Zusammenhang mit dem Öl und den Standpunkt der alternativen Energien besitzen. Und trotzdem fühlt man sich von diesen Informationen nicht erdrückt, sondern im höchsten Maß unterhalten, man ist gefesselt bis zur letzten Seite und dankt Herrn Eschbach für die Eröffnungen. Einiges ist allgemein bekannt, viel dagegen wird nicht in der Form publik gemacht; es wird viel zu selten mit diesem Thema konfrontiert und viel zu wenig unternommen, was dem Menschen zeigen würde: Wir verschwenden das Öl nicht sinnlos, wir sind auf der Suche nach Alternativen, und zwar ernsthaft.

Ob die Theorie von Block wahre Aspekte haben könnte, werden wir nie erfahren, hoffentlich. Der Gedanke, doch noch mehr Öl finden zu können, klingt faszinierend, führt aber letztlich nur weiter in die Sackgasse. Diese Erkenntnis sammelt Markus Westermann auf seiner Suche nach Reichtum und dem Gefühl, »es geschafft zu haben«, reichlich spät und lässt damit Raum genug, den Leser ein Bewusstsein für die Problematik entwickeln zu lassen. Wenn man nach der Lektüre ein Formel-1-Rennen guten Gewissens anschauen kann, wer nicht die verbrannte Energie fühlt, wenn ein LKW die Straße vorbeidonnert, der hat zu viele Pausen beim Lesen gemacht und sich nicht auf die Thematik und die Geschichte eingelassen.

»Ausgebrannt« beschäftigt sich nicht in ausgelutschter Art mit einer Endzeit voll Mutanten und barbarischen Diktatoren. »Ausgebrannt« verlagert die Probleme, die sich aus dem Thema ergeben, aus der nahen Zukunft in die Gegenwart, führt vor Augen, dass es jederzeit zu dem Zusammenbruch kommen kann, und erklärt auch die Gründe. »Ausgebrannt« erzählt die Geschichte von modernen Ölsuchern und ihrer Habgier, die sie lange die Augen vor der Wahrheit verschließen lässt. Und »Ausgebrannt« breitet sich über die gesamte Zivilisation aus, dringt in jeden Haushalt ein, in jede Regierung, in jede Firma, in das Bewusstsein der Kinder. Eschbach erzählt keine Geschichte über einige wenige Helden, auch wenn die Protagonisten naturgemäß wenige sind.

Im Zusammenhang mit dem Ende des Erdöls kommt man schließlich doch nicht am Weltuntergang vorbei. Eschbach schafft das Kunststück, ein befriedigendes Ende zu liefern, in dem der Protagonist zu einer Erkenntnis gekommen ist, die das Ganze umschlagen lassen könnte in die ultimative Katastrophe. Dabei wird gerade in den Möglichkeiten, die noch erforschbar wären, geschickt die Assoziation zu anderen Erkenntnissen in der Geschichte geweckt, die sich schließlich als Geißel herausstellten.

Die Lektüre des Buchs führt zu einem Punkt: Man macht sich Gedanken. Mission erfüllt. Ein Roman für den Nobelpreis.

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (6 Stimmen, Durchschnitt: 2,33 von 5)

Dübell, Richard – Jahrtausendkaiser, Der

Köln im Jahre 1245 n. Chr.: Der Besuch des Kardinals Giovanni da Uzzano aus Florenz bringt Unruhe auf das Gut Raimunds von Siebeneich. Der Kirchenmann bittet seinen alten Kreuzzuggefährten um Hilfe bei einem etwas heiklen Unternehmen. Raimunds Truchsess (führender Hofangestellter) und Kämmerer Philipp wird mit der Aufgabe betreut, Urkunden für einen Mann zu fälschen, der um seine Anteile an einem Erzvorkommen betrogen wurde, während er im Heiligen Land kämpfte. Als er zurückkehrte, brachte er es angeblich aus Liebe zu seiner Frau nicht über sich, ihre Familie zur Rede zu stellen. Aber nun, nach ihrem Tod, will er das Erbe für seine Tochter zurückgewinnen, allerdings sind seine Ansprüche bereits verjährt.

Philipp – von Anfang an misstrauisch dieser Geschichte des Kardinals gegenüber – macht sich auf den Weg zum Haus des Radolf Vacillarius, immer mit dem Bewusstsein, dass sein Herr die verstorbene Frau, Katharina, einstmals geliebt hatte und nun wünscht, dass der Tochter Dionisia ihr Erbe zurückgegeben wird. Als ehemaliger Novize und Kopist in einem Zisterzienserkloster sollte ihm die Aufgabe nicht allzu viele Schwierigkeiten bereiten. Wenn aber doch etwas schiefgehen sollte, so hatte der Kardinal unmissverständlich klar gemacht, dass mit seiner Hilfe nicht zu rechnen sei, sondern alles auf Phillip und dessen Herrn zurückfiele.

Währenddessen hält das Land eine Diskussion in Atem: Ist der Kaiser oder der Papst der mächtigste Anführer des Volkes? Die Kaiserlichen argumentieren mit der überlieferten Selbstkrönung des Kaisers Karolus Magnus (Karl der Große) und dessen Heiligsprechung, während die Päpstlichen darauf hinweisen, dass nur der Papst einen Kaiser krönen und heiligsprechen kann, da er der von Gott berufene Auserwählte ist. Außerdem sei Karolus Magnus von einem vom Kaiser bestimmten Gegenpapst heiliggesprochen worden und damit diese Heiligsprechung hinfällig. Als auf dem Marktplatz die Rede eines Propheten zur handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien führt, wird deutlich, dass sich die Lage zuspitzt. Die Aggressionsbereitschaft des Volkes wächst und hinterlässt eine desorientierte Hilflosigkeit, die die Tür für Betrug, Überfälle und Mord öffnet. Die einfachen Priester sehen sich über dem Recht des Landesherrn, fällen eigene Gottesurteile. Die Kaiseranhänger verhöhnen die Christlichen, provozieren durch Gotteslästerei und missachten die Gebote der Kirche.

Philipp, der auf seinem Weg zu seiner unangenehmen Aufgabe in Köln den jungen Sänger Minstrel kennen lernt, schenkt diesen Vorgängen wenig Beachtung und auch Minstrels mysteriöses, vom Alkohol entstelltes Gebrabbel vom Untergang der Welt und dem Jahrtausendkaiser, der das Volk in eine neue Ära führen soll, schockt ihn nur kurzfristig. Viel aufgebrachter ist er wegen der Verwüstung seiner Unterkunft durch den Sänger, nachdem er ihm eine Schlafstätte und Geld gegeben hatte, um ihm zu helfen. Was hatte der Sänger bei ihm gesucht? Welche wichtige Persönlichkeit wollte er in Köln treffen und warum?

Bei Vacillarius angekommen, erfährt Philipp, dass der Herr keine Originaldokumente über die Mitgift seiner Frau mehr vorlegen kann. Angeblich sind alle verbrannt. Der Mann lebt mit seiner Tochter alleine in dem heruntergekommenen Haus, nur der Pferdeknecht kommt ab und an mal, um die Tiere zu versorgen. Als Philipp versucht, durch diesen Knecht nähere Informationen über die Familie zu bekommen, stellt sich schnell heraus, dass das gesamte Dorf davon überzeugt ist, der Herr wäre verhext und zwar von seiner verstorbenen Frau. Was Philipp allerdings feststellen kann, ist, dass Radolf ein alkoholabhängiger, verwirrter Mann ist, der den Sinn seines Lebens in seiner Tochter sieht. Diese ist auch in Philipps Augen ein begehrenswerter Grund, um die Fälschung durchzuführen. Doch ohne die Originaldokumente kann er seine Aufgabe nicht durchführen und so begibt er sich auf die verhängnisvolle Suche nach den Heiratspapieren der Familie und gerät dadurch immer mehr in den Sumpf, den die Kirche rund um ihren Machtanspruch angelegt hat.

Als auch noch Minstrels Frau Aude auftaucht, um nach ihrem Mann zu suchen, ahnt Philipp, dass sich ein großes Komplott um Radolf Vacillarius und sogar den Kardinal gesponnen hat. Welchen Umfang dieses Komplott allerdings wirklich hat, erschließt sich Philipp erst, als die ersten Toten seinen Weg kreuzen und er erkennen muss, dass er verraten und verkauft wurde …

_Meine Meinung_

Diese Inhaltsangabe gibt höchstens ein Zehntel davon wieder, was sich alles auf diesen knapp 600 Seiten ereignet: die Suche der Originaldokumente in Philipps ehemaligem Kloster und bei den jüdischen Geldverleihern, die Verhaftung dieser Juden und die Verbrennung ihrer aufbewahrten Unterlagen (die Bewahrer der Vergangenheit), das Auftauchen des Ritters Ernst Guett’heure, dem das Herz von Dionisia gehört und der erfundene Geschichten vom Kreuzzug erzählt, den er angeblich mit Radolf zusammen erlebt hatte. Die sinnlose Ermordung des Hofkaplans Thomas, der Überfall auf eine Bauernfamilie, deren Oberhaupt Lambert Philipp von einem Händler gekauft hatte und der sein Geheimnis eben jenem Kaplan anvertraut hatte. Philipps erwachende Liebe zu Aude, die verzweifelt herauszufinden versucht, was ihr Mann wem erzählen wollte und wo er geblieben ist. Und nicht zuletzt Philipps eigenes Geheimnis, das sich in seiner Jugend im Kloster abspielte und mit dem er nie fertig wurde.

„Der Jahrtausendkaiser“ ist ein groß angelegter, extrem spannender Roman um das ewige Streiten der beiden größten Mächte im Reich: Papst und Kaiser. Wer hat mehr Anspruch auf die Führung des Volkes? Wer hat mehr Macht über die einfachen Leute? Der Papst belegt den Kaiser mit einem Bann, der Kaiser belegt seine Macht mit Karolus Magnus. Das Volk ist hin- und hergerissen und fragt sich ängstlich, ob die Propheten mit ihrer Weissagung Recht haben: Der Drachen wird kommen und jene, die dem rechten Pfad nicht folgen, vernichten. Doch was ist der rechte Pfad? Woran erkennt man den Jahrtausendkaiser, der die Welt in ein tausendjähriges Reich führen wird? Ist es der jetzige Kaiser? Oder der kommende? Hat der Papst vielleicht als Einziger die Macht dazu, den bestimmten Kaiser zu erkennen? So schaukelt sich die Unwissenheit und Ungewissheit so weit hoch, dass sich die Lager an die Gurgel gehen, um ihre Ansichten mit Gewalt durchzusetzen. Das Land versinkt im Chaos und weder der Papst noch der Kaiser scheinen irgendetwas dagegen zu unternehmen.

Mit dieser Kulisse als Hintergrund steht der junge Philipp mit seinem Problem, der Urkundenfälschung, recht alleine da. Er ist ein großartiger Charakter mit seiner Aufrichtigkeit, seinem häufig ausbrechenden Sarkasmus und seiner einerseits total naiven und andererseits immens abgeklärten Lebensauffassung. Sein Aufwachsen in dem Kloster hat ihm seinen Wunsch auf Gemeinschaft gezeigt, aber nie erfüllt. Als Einzelkämpfer fühlt er sich ebenfalls auf dem Hof seines Herrn, der ihn aus dem unglücklichen Klosterdasein befreit hat. Philipps Charakter hat eine sehr besondere Eigenschaft: Er ist fähig zu reifen. Am Anfang des Buches erscheint er als ein Junge, der zwar Verantwortung besitzt, aber nie lernen musste, um die Gunst anderer zu kämpfen. Er verbarg sich hinter Späßen und ironischen Bemerkungen, um sein Selbst nicht zeigen zu müssen. Im Laufe seiner mehr und mehr grauenvollen Suche verwandelt er seinen Zynismus in Standfestigkeit, er erkennt die wichtigen Elemente seines Lebens, er gewinnt an Stärke und Zutrauen. Er wird zum Mann mit allen Stärken und Schwächen eines Mannes. Dübells Talent, seine Charaktere zu echten Sympathieträgern zu machen, erstrahlt durch Philipp (genauso wie bei Peter Bernward aus [„Der Tuchhändler“) 2750 wieder einmal in seiner ganzen Pracht.

Richard Dübell hat den richtigen Ton getroffen. Auch „Der Jahrtausendkaiser“ fesselte mich bis zur letzten Seite. Die einzelnen Handlungsstränge enden erwartungsgemäß im gleichen Strick, doch schenkt uns der Autor eine überraschende Auflösung aller kleinen und großen Rätsel, die am Ende zu einem befriedigenden Finale zusammenprallen. Großes Kino! Aber genau das wäre es: Ich wünschte, dieses Buch würde verfilmt werden – Stoff und Spannung sind ausreichend vorhanden, um einen Kultstreifen à la „Der Name der Rose“ hervorzuzaubern. Aber egal, das Buch ist glasklar empfehlenswert. Es ist Unterhaltung pur und mitreißend bis zum Ende!

Homepage des Autors: http://www.duebell.de
http://www.luebbe.de

Andreas Eschbach – Der Nobelpreis

Bestsellerautor Andreas Eschbach – so nennen ihn Verlage und Fans gleichermaßen begeistert. Mit „Der Nobelpreis“ liegt der neueste Roman vor, der diesmal keinerlei Elemente aus Herrn Eschbachs Ursprungsgenre, der Science-Fiction enthält, sondern ein hochklassiger Thriller ist.

Über Andreas Eschbach gibt es viel zu sagen, aber vor allem zählt, dass er hervorragende Romane schreibt. Er ist gebürtiger Deutscher, wohnt aber seit einiger Zeit mit seiner Familie in der französischen Bretagne. Für seine Romane erhielt er regelmäßig Auszeichnungen, zuletzt schaffte er es mit seinem Romanerstling „Die Haarteppichknüpfer“ über den Großen Teich – die Amerikaner, sehr zurückhaltend, was die Übersetzung fremdsprachiger Romane angeht, veröffentlichten ihn als edlen Hardcover unter dem Titel „The Carpetmakers“.
Weitere Infos unter http://www.andreaseschbach.de.

Der Nobelpreis

Für Hans-Olof Andersson ist der Nobelpreis eine Institution, für deren Glaubwürdigkeit er alles tun würde. Er schlägt ein enormes Bestechungsgeld aus, als er als Mitglied des Nobelkomitees für Medizin für eine bestimmte Kandidatin stimmen soll (was er allerdings ohnehin beabsichtigt hatte). Der Nobelpreis käuflich? Unvorstellbar! Da greifen die Hintermänner der Bestechung zu einer anderen Maßnahme und entführen des Professors Tochter. Hans-Olof versteht diesen Angriff auf den Nobelpreis als unduldbaren Übergriff und geht zur Polizei. Wie er jedoch feststellen muss, ist ein Polizeibeamter direkt involviert – unmöglich kann er sich den Beamten anvertrauen. Bleibt als letzter Ausweg sein ungeliebter Schwager Gunnar Forsberg, der als Industriespion im Gefängnis sitzt.

Auf Bewährung bringt Olof ihn heraus und überträgt ihm die Suche nach seiner Tochter Christina. Hochprofessionell gelingen Gunnar nächtliche Besuche bei wichtigen Personen der verdächtigten Firma (Wer würde wohl am meisten vom manipulierten Nobelpreis profitieren? Doch wohl die Firma, bei der der Träger arbeitet!) und dort selbst, doch auf unglückliche Weise scheint die Polizei einen Riecher für ihn zu besitzen, so dass ihm oft nur knapp die Flucht gelingt. Über Christina lässt sich allerdings wenig herausfinden. Stattdessen kommt Gunnar einer ganz anderen Geschichte auf die Spur.

Für den Leser

Wie Herr Eschbach immer betont, ist auch dieser Roman wieder ganz anders als seine Vorgänger. Für die Geschichte ist ein wunderschöner erzählerischer Trick unabdinglich: Der Perspektivenwechsel zwischen Hans-Olof und Gunnar. Das kommt völlig überraschend und bewirkt außerdem eine Änderung in der Erzählung selbst und ihrem Stil. Man kann in ihrem Ton Teile der Lebenseinstellung der beiden Erzähler erkennen: Olofs gleichmäßige, etwas phlegmatische Stimme gegen Gunnars sprunghafte, aufmerksame und lebensfreudige. Dabei sind beide Personen sehr selbstüberzeugt und sehen Fehler nur bei Anderen, vor allem Gunnar fällt hier auf. Er macht natürlich alles richtig – bis er fast auf die Nase fällt, glaubt er auch daran.

Andreas Eschbachs Kreativität zeigt sich deutlich in einer Szene, in der Gunnar außergewöhnlich knapp der Polizei entkommt: In einer nächtlichen Arztpraxis ausweglos festsitzend, täuscht er den Beamten den Beischlaf mit einer populären Persönlichkeit vor und gibt sich selbst als Arzt aus. Entscheidendes Element ist für die Abwiegelung des Misstrauens der Männer der hastig versteckte, aber lang genug sichtbare triefende Penis des „Arztes“.

So überraschend eine derartige Beschreibung auch kommt, Herr Eschbach versteht sein Fach: Als Bühnenbildner, Regisseur und Schauspieler im Theater der Fantasie benutzt er alle Mittel, um seine Geschichte in die Vorstellung des Lesers zu transferieren.

Was außerdem macht diesen Roman so gut? Wahrscheinlich spielt auch die Technik eine große Rolle, die Flüssigkeit, der Spannungsaufbau, der sich durch die häufigen Rückschläge Gunnars manifestiert. Und Herr Eschbachs professionelle Recherche, denn wenn man den sachlichen Informationen zum Beispiel über den Nobelpreis glauben kann, offenbart sich zu einem großen Medienereignis dieser Monate ein toller „BILD“-Fehler: Der in Kalifornien hingerichtete Gangster. Ob diese Hinrichtung nun moralisch vertretbar oder abzulehnen ist, wurde an anderen Stellen diskutiert. Hier geht es um den Nobelpreis, für den der Gangster gleich mehrfach nominiert gewesen sein soll. Herr Eschbachs Recherche ergab, dass diese Informationen unter Verschluss bleiben. Darauf ist auch ein wichtiger Handlungspunkt zurückzuführen, ohne den die Geschichte so nicht funktionieren würde. Künstlerische Freiheit von Herrn Eschbach oder mediale Fehlinformation? Leicht lässt sich auf Letzteres Tippen.

Die Geschichte lädt zum Miträtseln ein. So erscheint es doch plausibel, dass der vorbildliche Hans-Olof, der ja für die entsprechende Kandidatin stimmen wollte, durch den gescheiterten Erpressungsversuch dazu gebracht werden sollte, ihr seine Stimme zu verweigern. Aber wäre das sinnvoll? Herr Eschbach spinnt ein feines Netz aus falschen Fährten, die zum Teil extra für den Leser angelegt erscheinen, da sie von den Protagonisten missachtet werden, uns jedoch so deutlich vor Augen liegen. Schließlich kommt aber doch alles ganz anders.

Fazit: Andreas Eschbach sagte sinngemäß, wenn man noch ein Buch in diesem Jahr oder Jahrzehnt lesen wolle, solle man Wolfgang Jeschkes „Cusanus-Spiel“ lesen. Diese Aussage trifft weitaus eher auf den „Nobelpreis“, seinen eigenen neuen Roman zu. Das ist garantiertes Lesevergnügen für jedermann.

Andreas Eschbach – Der letzte seiner Art

In einem verschlafenen irischen Fischerdorf erwacht Duane Fitzgerald – blind und bewegungsunfähig bis auf seinen Arm. Obwohl er mit einem Kantholz auf sich einprügelt – eine bisher oft erfolgreiche Methode – bleibt er hilflos. Glücklicherweise berührt er zufällig ein bisher unbekanntes Implantat unter seiner Bauchdecke und ein Zucken lässt seinen Körper erbeben. Dieses ihm neue Implantat (obwohl er doch eigentlich seinen Bauplan auswendig kennt) scheint den Stromausfall zu bewirken, also greift Duane nach dem erreichbaren Taschenmesser, klappt die Ahle heraus (was sich in seinem Zustand als besonders kompliziert erweist) und durchstößt die Bauchdecke. Normalerweise würde ein internes System Enzyme ausschütten, die für Schmerzunempfindlichkeit gesorgt hätten, aber leider ist dieses ja derzeit inaktiv. Duane bleibt nichts anderes übrig, als sich unter Schmerzen mit der Ahle in den Eingeweiden herumzuwühlen, um den Wackelkontakt am Implantat zu beseitigen.

Andreas Eschbach
Geboren am 15.9.1959 in Ulm. Verheiratet, ein Sohn.
Studierte in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik, wechselte aber noch vor dem Abschluss in die EDV-Branche, arbeitete zunächst als Softwareentwickler und war von 1993 bis 1996 geschäftsführender Gesellschafter einer EDV-Beratungsfirma. Nach fast genau 25 Jahren in Stuttgart lebt er seit September 2003 mit seiner Frau in der Bretagne. Quelle: http://www.andreaseschbach.de/

Klar ist Duane Fitzgerald, der Ich-Erzähler des Romans, ein Cyborg – eine kybernetisch-organische Mixtur, fabriziert und entwickelt von amerikanischen Militärs, um als unbesiegbarer Steel-Man mit einigen Gleichartigen eine Sondereingreiftruppe zu bilden. Eschbach verknüpft intelligent die Zeitgeschehnisse mit seiner Geschichte. So wurde der erste Golfkrieg durch die USA nur so in die Länge gezogen, um die Steelmen rechtzeitig einsatzbereit zu machen – bis dato waren sie lediglich gut ausgebildete Marines mit einem künstlichen Arm. Erst als offensichtlich wurde, dass das Projekt nicht mit der nötigen Geschwindigkeit voranschritt, ging die Army zu der bekannten letzten Phase des Krieges über – ohne Steelmen.

Es ist ein absolut geheimes Projekt, über Jahre und mehrere Präsidentenlegislaturen hinweg in der Entwicklung. Ist es vorstellbar, dass sich so etwas – als Projekt, unabhängig vom Detail – durchführen lassen könnte bei den kleinlichen Differenzen verschiedener Machthaber? Eschbach stellt es dar, als habe das Militär seine eigene Forschung betrieben, bis schließlich Clinton die Einstellung anordnete.

Aus der Ich-Perspektive des Cyborgs, der mit Verschleißerscheinungen zu kämpfen hat, erhält die Geschichte trotz der typischen Verschwörung und der Horrorvision von unbesiegbaren Übermenschen einen humorvollen Schlag, denn seine Gedanken sind manchmal so natürlich und sprunghaft, dass man über seine Menschlichkeit lächelt und seinen Charakter sofort akzeptiert.

[…] stand da, wippte auf den Fersen und sah straßauf, straßab. Ich wurde unruhig, je länger es dauerte. Wie lange kann man schon an seinen Schuhen herumfummeln, ehe die Umwelt anfängt, das merkwürdig zu finden? […] Die Frau kam näher. […] Mit etwas Glück waren ihre Augen schlecht genug, dass ihr entging, dass ich Slipper trug […]
-Auszug aus „Der Letzte seiner Art“, S. 58

Es ist auch eine Art von Galgenhumor, die zwischen den Zeilen von Duanes Erzählung durchklingt. Eigentlich ist er natürlich völlig unzufrieden mit seinem Leben, andererseits fühlt er sich an seine Eide gebunden. Er sieht sich als menschliches Wrack, und durch den Verschleiß seines Systems erhält dieser Blickwinkel eine ganz neue, erschreckend reale Bedeutung. Die Geschichte nimmt eine Wendung, die für ihn entweder das endgültige Ende oder einen Neuanfang bedeuten könnte, doch damit einher gehen plötzlich auftretende Gefahren, die selbst für einen Steelman tödlich sein können – sind die Attentäter jetzt von den eigenen Leuten angeheuert oder vom Feind, der in den Besitz der Cyborgtechnik kommen will? Auf jeden Fall ist er gut über das Innenleben und die Möglichkeiten der Cyborgs informiert, so dass Duane nach und nach erfährt, wie seine Gleichartigen unauffällig ausgeschaltet wurden.

Zu diesem Zeitpunkt wird ihm klar, was wir schon länger befürchten: dass es um sein Leben geht, nicht nur um gewisse Annehmlichkeiten wie den frei gewählten Wohnort. Trotzdem wirken seine Gedanken (die eigentlich eine aufgeschriebene Erzählung darstellen, aber das erfahren wir erst später) manchmal in ihrer Analyse wie von einer außenstehenden Person, um dann wieder in das Innerste vorzudringen. Eschbach beginnt jedes Kapitel mit einem Zitat von Seneca, dessen Philosophie für Fitzgerald die einzige Möglichkeit darstellt, sein Schicksal zu ertragen. Er versucht, nach dieser Philosophie zu handeln und betrachtet dabei sein Bemühen skeptisch. Vor allem die Totalität des Endes fasziniert ihn, und so ist nicht verwunderlich, dass sich daraus eine Lösung für ihn selbst entwickelt.

„Der Letzte seiner Art“ ist eine Charakterstudie, die sich mit der ausweglosen Tragik eines Übermenschen befasst und in diesem Gewand ein heikles, gleichwohl sehr oft behandeltes Thema aufgreift. Was kann der Bürger schon von den Machenschaften und Projekten solcher Regierungen oder Militärs wissen? Auf der anderen Seite: Schürt man mit diesen Spekulationen nicht eine gewisse Furcht? In diesen Tagen vielleicht gar nicht so unsinnig.

Der Roman fließt ruhig dahin, unter einer stetigen Spannungssteigerung. Aber Eschbach zeigt trotzdem seine vielfältigen Künste, denn das Tempo erhöht sich schlagartig um ein Vielfaches, als der Cyborg sein System voll aktiviert (und damit schneller als jede menschliche Reaktion agieren kann). Danach fällt es wieder ab und lässt uns unseren Herzschlag beruhigen, um weiter dem Finale entgegenzustreben. Ein düsterer, philosophischer, sehr unterhaltsamer und eindringlicher Roman.

Gentle, Mary – blaue Löwe, Der (Die Legende von Ash 1)

Die Söldnerin Ash verteidigt Burgund vor einer karthagischen Invasion Europas durch die Westgoten. Golems und eine tagelange Sonnenfinsternis über Deutschland inklusive. Mittelalter paradox – Dr. Pierce Ratcliff kann es kaum fassen, sein Manuskript, eine Biographie des Lebens von Ash, widerspricht allem, was bisher über diese Zeit bekannt war. Für ihn noch unverständlicher: Was vor wenigen Monaten als wissenschaftlich gesicherte Historie angesehen wurde, findet sich plötzlich als Heldenepos unter Fiktion einsortiert… und vor Tunis werden Reste seiner Golems bei einer Ausgrabung entdeckt.

Mary Gentle’s DIE LEGENDE VON ASH („Ash: A Secret History“) ist im englischen Original ein Buch von 1120 Seiten – die deutsche und amerikanische Ausgabe wurden jeweils auf vier Bände verteilt. Das britische Original muss sehr kleingedruckt sein, denn auch die amerikanische Fassung kommt auf 1728 Seiten – die deutsche Übersetzung hat 2326 Seiten zu bieten, insofern ist die Entscheidung des Lübbe-Verlags, den Roman aufzuteilen, durchaus nachvollziehbar.

Die Autorin hat einen ungewöhnlichen und vielseitigen Werdegang aufzuweisen; die 1956 in Sussex geborene Mary Gentle arbeite unter anderem in Kinos, für Essen-auf-Rädern und begann erst 1981 mit ihren Studien (kombinierter Bachelor-Studiengang Politik/Englisch/Geographie) – zweifellos gekrönt mit ihren Master-Abschlüssen in Kriegsgeschichte und Geschichte des 17. Jahrhunderts im Jahr 1995. Ihren ersten Roman, „A Hawk in Silver“, schrieb sie schon im Alter von fünfzehn Jahren. Gentle’s Lebensgefährte ist passenderweise Lehrer mittelalterlicher Schwertkampftechniken.

Beste Voraussetzungen für einen Roman über diese Zeit, „Ash“ war ungewöhnlicherweise sogar der Grund für ihr Studium der Kriegsgeschichte, nicht umgekehrt. Mary Gentle hat jedoch weit mehr geschaffen als einen historischen oder Fantasy-Roman: Ash ist ein ungewöhnlicher Mix aus beidem, mit einer Prise Science-Fiction und schwerlich einem bestimmten Genre zuzuordnen – ein perfekter Kandidat für Lübbe’s „Bibliothek der Phantastischen Literatur“. Die Legende von Ash ist in Stil und Inhalt innovativ und nahezu einzigartig.

BAND 1: DER BLAUE LÖWE

Das düstere Mittelalter hatte seine Lichtgestalten: Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orleans, ist noch heute eine französische Nationalheldin.

Umso erfreulicher für Dr. Pierce Ratcliff, dass er einen alten Text über einen der seltenen weiblichen Condottiere (Anführer von Söldnerarmeen) entdeckt hat, der im späten 15. Jahrhundert nur unwesentliche Zeit nach der heiligen Johanna seine Schlachten schlug. Ash oder Esche ist jedoch keinesfalls eine Heilige oder Jungfrau: Schon im zarten Alter von acht Jahren ihrer Unschuld beraubt, schlug sie sich in einem Söldnerhaufen durch, bis sie mit Vierzehn selbst das Kommando über eine eigene Truppe übernahm. Dabei war ihr außerordentlich behilflich, dass sie wie Johanna eine „Stimme“ hört, wobei sich Ash’s Heiligenstimme allerdings auf sehr konkrete taktische Ratschläge im Kampf beschränkt. In Kombination mit ihren Führungsqualitäten ist Ash’s Truppe mit der Standarte eines azurblauen Löwen eine der begehrtesten Söldnereinheiten Europas.

Kaiser Friedrich sieht eine hervorragende Gelegenheit, sich die Dienste der nach Land statt Gold dürstenden Hauptfrau zu versichern: Er vermählt sie mit Fernando del Guiz, natürlich mit dem Hintergedanken, dass ihre Kompanie damit in seinen Besitz übergeht – Guiz ist ein Vasall des Kaisers, und damit auch dessen Ehefrau…

Ratcliff will ein Buch darüber veröffentlichen – doch während der Korrespondenz mit seiner Lektorin Anna Longman wird ihm erst das ganze Ausmaß seines Fundes bewusst: Erst hält er es für Dichtung und Übertreibung, als von einem westgotischen Reich in Karthago, einem „Leeren“ statt „Heiligen“ Stuhl in Rom, einer tagelangen Sonnenfinsternis über Deutschland und lebendigen Golems, Maschinen aus Stein, die Kurierdienste zwischen den karthagischen Truppenverbänden übernehmen, die Rede ist.

Spätestens nachdem er von einer karthagischen Invasion Westeuropas liest, zweifelt auch er: Mailand und Venedig wurden niedergebrannt, während westgotische Truppen unaufhaltsam auf ihr Endziel vormarschieren: Burgund, dem reichsten Herzogtum mit dem größten Ritterheer der Christenheit. Aber warum gerade Burgund? Was interessiert die Karthager so sehr in Burgund, dass sie die reichen Handelsstädte Venedig und Mailand ignorant niederbrennen? Reichtum und Macht scheiden aus – das ist kein gewöhnlicher Krieg, eher ein Kreuzzug, dessen Motivation nach wie vor schleierhaft ist.

Mit dichterischer Freiheit, Übertreibung und ungenauen Zeitangaben kann Ratcliff sich solche Diskrepanzen nicht mehr erklären, auch seine Lektorin Anna meint, so etwas kann man nicht veröffentlichen. Bis Dr. Napier-Grant, eine alte Bekannte von Ratcliff, in Tunesien etwas ausgräbt, das exakt seiner Beschreibung der karthagischen Golems entspricht – mehr noch, Abnutzungsspuren an den Metallgelenken und den steinernen Fußsohlen zeigen, dass diese Maschine sich bewegt haben muss.

Ratcliff bricht sofort nach Afrika auf und übersetzt so schnell er kann weiter seine lateinischen Quelltexte. In diesen ist von Ash’s Widerstand gegen die Heirat mit Fernando die Rede, den sie allerdings sehr attraktiv findet. Ihre Flitterwochen sind jedoch kurz – beide werden getrennt, als sie mitten in den Aufmarsch der Westgoten geraten. Der feige Fernando wird gefangengenommen und schwört seinen neuen Herren Treue, während Ash sich in das deutsche Reich zurückziehen kann, das seit Tagen unter einer an das ewige Zwielicht Karthagos erinnernden Dunkelheit leidet, die für Entsetzen unter der Bevölkerung sorgt. Sie nimmt Kontakt zu der „Faris“, dem kommandierenden General der Westgoten, auf, um eine „Condotta“ (Söldnerkontrakt) auszuhandeln. Die Gerüchte über die karthagische Heerführerin sind befremdend, angeblich hört sie die Stimme einer „machina rei militaris“ aus Karthago, die von ihren Soldaten als der „Steingolem“ bezeichnet wird. Das Aufeinandertreffen der beiden Frauen ist für beide ein Schock: Die Faris ist äußerlich eine vollkommene Kopie von Ash, sie könnte ihre Zwillingsschwester sein, und Ash beginnt zu ahnen, dass sie nicht die Stimme eines Heiligen, sondern die des Steingolems hört… und das wird für Ash zum Problem: Die Faris glaubt ihr nicht, dass sie eine Stimme hört – sie selbst ist das Ergebnis jahrhunderterlanger „Zucht“, eine Sklavin des Hauses Leofric, einem der mächtigsten karthagischen Emire, und nur sie sollte den Steingolem hören können.

Man will Ash in Karthago sehen, aber diese ist nicht gewillt – es kommt zum offenen Bruch und zum Gefecht, der azurblaue Löwe schlägt sich nach Burgund durch und erhält von John de Vere, dem Earl of Oxford, einen neuen Kontrakt. Doch anstatt Ash in England im Konflikt zwischen den Häusern Lancaster und York (Rosenkrieg!) einzusetzen, sieht er sich gezwungen, seine europäischen Besitzungen in Flandern, die dem bedrohten Burgund anhängig sind, zu verteidigen. Herzog Karl (der Kühne) von Burgund zögert nicht, Ash für die geplante Feldschlacht bei Auxonne aufzustellen – erst danach soll sie mit de Vere ihren Plan, Karthago anzugreifen und den Steingolem zu vernichten, durchführen.

Ein echter Knüller – aber zu Ratcliffs Entsetzen teilt ihm Anna mit, dass alle seine Quelltexte unter mittelalterlicher Dichtung eingeordnet sind, ähnlich dem Nibelungenlied – Ratcliff kann das nicht verstehen, vor wenigen Wochen waren sie noch unter realer Geschichte katalogisiert. Nur die Golemfunde in Tunesien stützen noch seine These über eine westgotische Siedlung auf dem Gebiet des alten Karthago…

Die Geschichte als phantastisch zu bezeichnen, wäre schmeichelhaft – absurd, schlicht und ergreifend falsch bringt es auf den Punkt. Karthago wurde schon vor knapp tausend Jahren vollständig zerstört, ebenso gab es zwar kurze Zeit ein Reich der Wandalen in Nordafrika, aber keine Westgoten unter einem König-Kalifen Theoderich, ebenso fehlen Hinweise auf Rom und bemerkenswerterweise existiert ein deutsches Reich, das sich weder heilig noch römisch noch reich nennt, auch der Papst glänzt mit Abwesenheit – man kann Dr. Ratcliffs Unglauben nachvollziehen.

Die Geschichte von Ash wird auf zwei Ebenen erzählt: E-Mail-Dialoge zwischen Dr. Ratcliff und seiner Lektorin Anna Longman sind meist Dispute über die in der Übersetzung von „Fraxinus me fecit“ („Esche/Ash hat mich gemacht“, ihre vermutliche Autobiographie) auftauchenden historischen Ungereimtheiten. Der Leser wird in diesen Dialogen auch auf neue Entwicklungen wie den Golem-Fund und die plötzlich anders klassifizierten Texte hingewiesen.

Die eigentliche Geschichte ist das jeweils anhängende Kapitel, das über die Erlebnisse von Ash berichtet. Interessanterweise nicht aus der Ich-Perspektive, obwohl es sich um eine Autobiographie handeln soll – ein kleiner Lapsus, andererseits liest sich meiner Meinung nach der historische Part so wesentlich besser. Da der Text das Mittelalter wie es war vermittelt, hat Mary Gentle einen gelungenen Kunstgriff angewendet: Begriffe und Zusammenhänge werden von Dr. Ratcliff sehr häufig als Fußnote kommentiert, was auch notwendig ist, denn wer kann schon von sich behaupten, einen Gesamtüberblick über das Europa des späten 15. Jahrhunderts zu besitzen? Die zahlreichen Kommentare Ratcliffs sind nicht nur informativ und lehrreich, sondern auch interessant. Sie vermitteln ein wenig den wissenschaftlichen Umgang mit literarischen Texten des Mittelalters.

Die Welt des Mittelalters wird ungeschminkt und humorvoll betrachtet: Lustige Zitate wie „Der Herr schickte uns Fleisch, und der Teufel einen englischen Koch“ sowie der derbe Humor der Söldner sorgen für Unterhaltung. Von Bewaffnung bis hin zu Sitten und Gebräuchen schöpft Mary Gentle aus ihrem großen Fundus des Wissens über diese Zeit. Einen gefallenen Ritter rammte man einen Panzerstecher durch die Lücken der Panzerung, oder einen Dolch durchs Visier in das Auge, einen hollywoodtypischen Ritter, der sich trotz Plattenharnisch von einem Schwertstreich sofort niederstrecken lässt, wird man hier nicht finden. In der Tat kann Mary Gentle für sich beanspruchen, Expertin auf diesem Gebiet zu sein – welch anderer Autor kann das schon in diesem Umfang von sich behaupten?

Da „Der Blaue Löwe“ nur das erste Viertel der Geschichte darstellt, kommt einiges leider zu kurz: Die Fülle an Daten und Handlungen sorgt dafür, dass die Nebencharaktere wie Ash’s Stellvertreter Robert Anselm, Kanonier Angelotti, ihr begabter Schützling Rickard, sowie ihr Kompaniepriester Godfrey oder ihre lesbische Ärztin Floria(n), die zudem auch noch mit ihrem feigen Möchtegern-Ehemann Fernando verwandt ist und mit ihren „Coming Out“ in einer von Intoleranz geprägten Welt erhebliche Probleme hat, einfach zu kurz kommen. Ash selbst wird sich erst im Folgeband profilieren können, dafür fällt unangenehm auf, wie oft sie zu insbesondere zwei Kraftausdrücken greift: Egal ob Stimmungs-, Situations- oder Zustandsbeschreibung, ein dutzendmal „Scheiße“, „ficken“ oder „gefickte Scheiße“ oder als Ausdruck höchster Wut „Scheiße, Scheiße, Scheiße“ sind für ihr lästerliches Mundwerk Standardrepertoire. Zum Glück legt sich das in den Folgebänden auf ein erträgliches Maß, ich empfand es im „Blauen Löwen“ übertrieben, unnötig und störend.

Die Übersetzung von Rainer Schumacher ist tadellos gelungen, die Gestaltung ist im gehobenen Stil der Bände von Lübbe’s Bibliothek der Phantastischen Literatur. Alle vier Bände haben inhaltlich perfekt passende Titelbilder, die zudem noch sehr schön anzusehen sind. Einzig bei Ash’s Abbildung auf Band 1 hat sich der Künstler Arndt Drechsler eine kleine Freiheit herausgenommen und ihr silberfarbenes Haar in der Farbe ihres Wappentieres, dem azurblauen Löwen, gehalten. Ebenso gelungen ist die Entscheidung, den Einband in einem dazu passenden marmorierten dunklen Blau zu halten – Band 3 „Der steinere Golem“ hat treffenderweise einen steingrauen Einband. Bis auf wenige kleinere Fehler und ein völlig verdrehtes und entstelltes lateinisches Zitat sind Übersetzung und Lektorat von hoher Qualität und nur zu loben.

Die Geschichte ist komplex und durchaus anspruchsvoll, trotzdem für nahezu jedermann geeignet, dank der häufig eingestreuten Kommentare Ratcliffs. Der Beginn ist jedoch relativ holprig und verwirrend, bis man wirklich mit der fantastischen Handlung vertraut ist und diese sich entwickelt. Denn so richtig los geht es trotz aller Schlachten, Belagerungen und Ashs kurioser Hochzeit erst im Folgeband „DER AUFSTIEG KARTHAGOS“. Neben Erkenntnissen über den Schöpfer der Golems, den Rabbi von Prag, und dem heiligen Gundobad wird man mehr über das Zwielicht über Karthago, das sich über Europa ausbreitet, und über die Ziele des karthagischen Kreuzzuges erfahren, ebenso über die Frage, warum „Burgundia est delenda!“ („Burgund muss zerstört werden!“ in Anlehnung an den berühmten Satz des Römers Cato „Im Übrigen bin ich der Meinung, Karthago müsse zerstört werden!“) für den Steingolem in Karthago von so großer Bedeutung ist – und wie es mit der Glaubwürdigkeit von Dr. Ratcliffs Entdeckungen weitergehen wird.

„Der Blaue Löwe“ macht Lust auf mehr – wer ein Faible für das Mittelalter und nichts gegen den ungewöhnlichen Genremix einzuwenden hat, wird mit einem wirklich herausragenden Romanzyklus belohnt. Wer seine Bücher bevorzugt im englischen Original liest, kann übrigens sehr viel sparen: Einmal 16,63 EUR anstelle von viermal 14,90 EUR für die deutschen Bände.

DIE LEGENDE VON ASH

Band 1: DER BLAUE LÖWE (ISBN 3404283384)
Band 2: Der Aufstieg Karthagos (ISBN 3404283406)
Band 3: Der steinerne Golem (ISBN 3404283430)
Band 4: Der Untergang Burgunds (ISBN 3404283457)

Das englische Original:
Ash – A Secret History (ISBN 1857987446)

Ein Interview mit Mary Gentle:
http://www.sfsite.com/10b/mg91.htm

Ihre (Mai 2004) noch nicht vollendete Homepage:
http://www.marygentle.org/

Follett, Ken – Schlüssel zu Rebecca, Der

Afrikafeldzug, 1942:
Nicht nur an der Wüstenfront wird gekämpft, auch hinter den Linien geht der Kampf der Spione weiter. Kaum in Kairo angekommen, begeht der deutsche Spion Alex Wolff einen Fehler und muss einen britischen Soldaten töten. Major William Vandam vom britischen Geheimdienst nimmt zuerst erfolglos seine Spur auf. Wolff dagegen ist sehr erfolgreich: Dank seiner verführerischen Komplizin, der populären Tänzerin Sonja el-Aram, kann er von einem Adjutanten des britischen Oberbefehlshabers Auchinleck regelmäßig geheimste Informationen ausspionieren. Als halber Araber kennt Wolff zudem Bräuche und Sitten der Ägypter und hat hervorragende Kontakte zur Unterwelt Kairos.

Vandam hat mittlerweile allerdings auch schon vieles über Wolff in Erfahrung gebracht und setzt eine frisch rekrutierte Agentin auf ihn an. Die erotische Elene Fontana ist Halbjüdin und möchte nach Israel auswandern – durch ihre Arbeit für den Geheimdienst möchte sie die begehrte Ausreisegenehmigung erhalten. Bald taucht Wolff wieder bei dem Kaufmann Aristopoulos auf – und beißt an. Da er noch eine Gespielin für seine exquisiten Liebespiele mit Sonja sucht, ist die schöne Elene für ihn unwiderstehlich.

Aber nicht nur für ihn. Auch der eher brave Major Vandam hat sich in sie verliebt. Es wird für ihn immer unerträglicher, Elene in der Nähe dieses gefährlichen Mannes zu wissen. Nicht nur um ihr Leben fürchtet er, der Gedanke, dass Wolff Sex mit ihr haben könnte, bereitet ihm schlaflose Nächte.

Die Zeit drängt: Rommel steht nur noch 25 km vor Kairo, bereits einmal haben Wolff’s Informationen die Schlacht zu seinen Gunsten entschieden. Vandam muss handeln. Leider schlägt die Verhaftung Wolffs wiederholt fehl, Elene und Vandam’s Sohn Billy geraten in Lebensgefahr, als Wolff mit ihnen als Geiseln aus Kairo flieht…

Ein sehr spannender Mix aus Agenten- und Detektivgeschichte mit einem ordentlichen Schuss Erotik! In der Tat ist der ausführlich beschriebene Dreier in diesem Buch die wildeste Sexszene, die ich bisher von Follett gelesen habe.

Gewohnt fundierte Sachkenntnis des Spionagegeschäfts beweist Follett bei dem namensgebenden Codebuch: Der Roman „Rebecca“ dient zusammen mit einem Codeschlüssel Wolff zur sicheren Nachrichtenübermittlung. Desweiteren wurde das Verhältnis der ägyptischen Bevölkerung zu Deutschen und Briten differenziert geschildert. Besonders gelungen sind die Charakterisierungen der Hauptpersonen, Vandam und Wolff. Letzterer ist halb Deutscher, halb Araber, taucht gerne mal in einer Moslemverkleidung unter und wird oft von dem schlitzohrigen Abdullah bei seinen schmutzigen Geschäften unterstützt. Ich fand sowohl den intelligenten Wolff als auch seinen smarten Gegner Vandam ausgesprochen sympathisch. Die Frauenfiguren sind ein bisschen nuttig geraten, wobei Sonja eindeutig ein Äquivalent der berüchtigten Mata Hari ist. In Elene erkennt man Charakterzüge späterer weiblicher Hauptfiguren Follett’s, wie auch der Duellcharakter zwischen den beiden Agenten starke Ähnlichkeiten zu Follet’s „Leopardin“ aufweist.

Die Szenerie ist perfekt recherchiert und in Szene gesetzt, sogar historische Persönlichkeiten wie Rommel und Kesselring wurden in die Handlung integriert. Wolff spielt Rommel Informationen zu, dieser siegt. Bei der Entscheidungsschlacht bei El Alamein kann er leider nicht mehr auf dessen Dienste zurückgreifen…

Weniger gelungen ist der „Auftritt“ von Anwar El-Sadat, dem späteren Staatsoberhaupt Ägyptens: Geradezu zwanghaft scheint Follett in seine Romane solche nur kurz und ohne näheren Zusammenhang zur Handlung stehenden Figuren einbauen zu müssen. Wie in „Mitternachtsfalken“ der König von Dänemark, ist auch Sadat für den Handlungsverlauf absolut verzichtbar!

Ein schlimmer Bruch folgt im letzten Drittel des Buches: Ein sehr gut recherchiertes und stimmiges Szenario mit interessanten Charakteren und viel Erotik wird nun mit dem Vorschlaghammer zerstört!

Ich konnte es kaum glauben, auf einmal mutiert Wolff zum perversen Lüstling, der mit Elene einiges anstellt, damit nicht genug, er entführt auch noch Vandam’s Sohn, um mit ihm und Elene als Geiseln seine Flucht abzusichern. Nicht nur bei gegebener Lage zu diesem Zeitpunkt idiotisch, müssen zahlreiche Charaktere sich nun wegen der Notwendigkeit, die Handlung nicht zu gefährden, dämlich anstellen, damit Wolff fliehen und die Geschichte sich weiter entwickeln kann.

Das Happy End macht aus der sich ehemals von ihren Liebhabern haushaltenden Elene eine respektable Mrs. Vandam, die sowohl Sohn Billy als auch Mr. Vandam ausgesprochen glücklich macht. Sehr schön, aber auch sehr schnulzig. Nach erwähntem Bruch lebt das Buch von der Spannung, die durch die tödliche Gefahr, in der Elene und Billy schweben, entsteht. Leider wird das Buch hier auch trivialer als mancher Groschenroman, Follett konnte es wie so oft in seinen Büchern nicht lassen, maßlos zu übertreiben und indirekt Vandam alleine den Sieg bei El Alamein zuzuschreiben. Besonders verärgert war ich über die bestürzende Verwandlung des sehr interessanten Charakters Wolff hin zu einem hirnlosen Nazi mit perversen Gelüsten, war er doch vorher sehr differenziert geschildert worden.

Wer einen Spionagethriller light vor dem Hintergrund des 2. Weltkriegs mit einer wahrlich heißen und erotischen Dreiecksgeschichte sucht, wird „Rebecca“ trotz des verkorksten letzten Drittels lieben. Schade, ohne diese Mängel hätte es auf einer Stufe mit den vergleichbaren Romanen „Die Nadel“, „Die Leopardin“ und „Mitternachtsfalken“ gestanden.

Homepage des Autors: http://www.ken-follett.com

Ken Follett – Das zweite Gedächtnis. Thriller

Ken Follett ist als Autor spannender Agententhriller bekannt geworden. „Das zweite Gedächtnis“ stammt aus demselben Genre und bedient sich recht freizügig bei Robert Ludlum’s Klassiker „The Bourne Identity“: Wie Jason Bourne kennt auch der Raketenforscher Dr. Lucas nicht einmal mehr seinen eigenen Namen, als er im Jahre 1958 kurz vor dem geplanten Start des ersten amerikanischen Satelliten in einer Bahnhofstoilette aufwacht und von einem Penner als „Luke“ angesprochen wird… Er leidet unter einer totalen Amnesie.

Bald bemerkt er jedoch, dass er nicht ist, was er zu sein scheint: Er ist nicht alkoholkrank, er wird offensichtlich von mehreren Männern beschattet und… bemerkt recht schnell, dass er sich zwar nicht an seine Freunde, Bekannten oder seine eigene Identität erinnern kann, aber dafür in Mathematik, Physik und vor allem auf dem Gebiet des Raketenbaus eine echte Kapazität zu sein scheint. Luke schaltet nach und nach seine Verfolger aus, und bringt immer mehr Licht in das Dunkel seiner Vergangenheit… Zu seinem Entsetzen stellt er fest, dass er von seinem Freund Anthony, der für die CIA arbeitet, gejagt wird – ist er gar ein kommunistischer Spion?

Bei seiner Jugendliebe Billie und seinem alten Freund Bern findet er Unterstützung – doch warum jagt Anthony ihn, was für ein Spiel treibt Lukes Frau Elspeth? Luke findet heraus, wer er ist, und was er in der jüngsten Vergangenheit getan hat – und verliebt sich nebenher erneut in Billie. Warum auch immer Anthony Luke jagt – er ist sich sicher, es hat mit dem Start der Jupiter-C-Rakete und des Satelliten „Explorer“ zu tun…

Mein Eindruck

Gleich zu Beginn hatte ich ein Déjà-vu – der Agent oder hier eben hochkarätige Wissenschaftler, der einsam und alleine erwacht und ganz auf sich selbst gestellt ist, das kennt man, wie oben erwähnt, schon – entweder aus dem Kino, „The Bourne Identity“ wurde mit Matt Damon und Franka Potente kürzlich zum zweiten Mal verfilmt, oder aus dem Originalbuch von Robert Ludlum. Follett führt den Part, wie sich Luke langsam erinnert, ähnlich aus, aber handelt ihn zügiger ab, um eigene Wege zu gehen. An dieser Stelle schwand langsam der ständig in meinem Hinterkopf herumspukende Plagiatsgedanke dahin… Es war durchaus spannend zu lesen, warum Luke das alles eigentlich angetan wurde.

Leider kommt Follett nicht an Ludlum heran – auch die Follett-typische Lovestory und ein diesmal überzogenes Beziehungsgewirr der vier Freunde von Luke untereinander geben der Story nicht mehr Würze: Im Gegenteil, Anthonys Motive enttäuschten mich nicht nur, so simpel und konstruiert waren sie, hier hat Follett auch die Gelegenheit verspielt, seiner Story einen über das Triviale hinausgehenden Reiz zu geben.

Wie bei Follett kaum anders zu erwarten, ist das Buch sehr flüssig und angenehm zu lesen, die Aufmachung des Hardcovers weiß auch zu gefallen. Zu der Übersetzung nur ein Wort: Perfekt. Sie liest sich, als ob es die Originalfassung wäre. Nebenbei wird dem Leser zu Beginn eines jeden Kapitels ein wenig die Raketentechnik der 50-er Jahre angenehm und leicht verdaulich näher gebracht. Gelegentliche Rückblenden in die Jugendjahre Lukes und seiner Freunde verleiten den Leser zum Spekulieren und sorgen für Abwechslung.

Dennoch ist „Das zweite Gedächtnis“ nicht das geworden, was es hätte sein können: Der Konflikt zwischen Lukes Frau Elspeth und seiner alten Flamme Billie, die er nach der Amnesie ihr vorzieht, vor allem aber die Verschwörung hinter der Amnesie – all das wird meist nur oberflächlich angerissen und nicht genügend ausgeführt, um dem Thriller etwas mehr eigenen Charakter zu geben.

Unterm Strich

Spannend ist das Buch, ebenso unterhaltsam. Leider enttäuscht der Schluss mit einer einfallslosen und konstruierten Auflösung der vielen Zusammenhänge. Ebenso Lukes Freunde: Die Ex-Geliebte ist zufällig Expertin auf dem Gebiet der totalen Amnesie, Anthony arbeitet beim CIA, Elspeth und Bern… Ich will ja nicht alles verraten. Ein sehr künstliches und nicht sehr überzeugendes soziales Umfeld.

Es bleibt der Eindruck, Follett habe hier die „light“-Version von Ludlums Original-Coke „The Bourne Identity“ abgeliefert. So empfand ich „Das Zweite Gedächtnis“, welches im Original den treffenderen und klangvolleren Titel „Code to Zero“ hat, zwar als spannendes und durchaus unterhaltsames, aber stark vereinfachtes Plagiat von Ludlums anspruchsvollerer Vorlage.

Ken Follett’s Homepage: http://www.ken-follett.com/

Taschenbuch: 448 Seiten
O-Titel: Code to Zero
ISBN-13: 978-3785720592

www.luebbe.de

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