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Stephen King – Der Sturm des Jahrhunderts

Das geschieht:

Das Leben ist entbehrungsreich und hart auf der kleinen Insel Little Tall Island, gelegen vor der Küste des US-Staates Maine. Seit jeher bildet der Fischfang die Lebensader der 200-Seelen-Gemeinde, doch reich ist niemand dadurch geworden. Man kennt seine Nachbarn und kommt miteinander aus, und es gibt wenige Geheimnisse, die tatsächlich geheim bleiben könnten.

Ausgerechnet dieses kleine Dorf am Ende der Welt wird vom Teufel heimgesucht; vielleicht nicht vom Gottseibeiuns persönlich, aber von einem seiner Dämonen. Wie man es aus diversen Märchen kennt, ist dieser Dämon – er trägt hier den Namen Andre Linoge und tritt nicht unerwartet in der Gestalt eines Fischers auf – darauf aus, Unheil und Unfrieden unter den Menschen zu säen, sie ins Verderben zu locken und sich ihrer Seelen zu bemächtigen.

Der Blick auf seinen Stock mit dem Wolfskopf-Knauf weckt das Böse in seinen Opfern. Dann genügt eine sachte Anregung Linoges – der außerdem Gedanken lesen kann -, und schon fallen die verblendeten, aufgehetzten Einwohner von Little Tall Island übereinander her. Sollten Linoges Anregungen einmal nicht auf fruchtbaren Boden fallen, scheut er nicht davor zurück, seinem Gegenüber mit dem Stock den Schädel zu spalten.

Böse Geister treten häufig unter Blitz und Donner auf. Linoge bedient sich wenig einfallsreich aber effektvoll der typischen Winterwitterung dieser Küstenregion: Während er sein tödliches Netz um Little Tall Island spinnt, braut sich der heftigste Schneesturm des Jahrhunderts zusammen. Er wird die Insel auf Wochen von ihrer Umwelt abschneiden – Zeit genug für Linoge, die kleine Gemeinde buchstäblich in die Hölle auf Erden zu verwandeln. Systematisch treibt er die Menschen ihrem Untergang entgegen. Schließlich lässt der Dämon die Maske fallen und stellt den Menschen von Little Tall Island ein Ultimatum: Er fordert ein Opfer, damit er die Stadt verlässt, ohne sie endgültig zu zerstören – und es muss ein Kind sein, das mit ihm geht …

Resteverwertung fürs Fernsehen

Böser Dämon sucht idyllische Kleinstadt heim, bringt die heile Welt zum Einsturz und mästet sich an dem Unheil, das er über die Menschen bringt: Kommt einem diese Geschichte nicht bekannt vor? Kein Wunder, denn schließlich hat Stephen King sie schon einmal (1991) erzählt: „Needful Thing“ (dt. „In einer kleinen Stadt“) hieß sie damals. Die Parallelen sind mehr als auffällig. Man könnte meinen, jener Teufel in Menschengestalt, der 1989 Little Tall Island unter dem Namen Andre Linoge terrorisierte, ist zwei Jahre später auf die Erde zurückgekehrt, um Kings literarische Lieblingsstadt Castle Rock als Leland Gaunt heimzusuchen.

Zwar bedient sich King gern bei eigenen, früheren (und besseren) Werken, aber dies ist dennoch ein starkes Stück. Ist ihm dies selbst aufgefallen, und wählte er deshalb den Weg, den „Sturm des Jahrhunderts“ nicht als ‚richtigen‘ Roman, sondern als Drehbuch niederzuschreiben? Wortgewaltig beschwört der gewandte Autor in seinem Vorwort zum vorliegenden Buch den Moment herauf, als ihn der Blitz der Erkenntnis durchzuckte: Der „Sturm“ ist eine Geschichte, die nur auf dem Bildschirm erzählt werden kann! Das musman ihm glauben – oder lässt es bleiben. Unter dem Strich überwiegen wohl die Argumente für die zweite Entscheidung.

Der „Sturm“ beruht also auf einer bereits bekannten und durchgespielten Idee. Auch die Tarnung als Drehbuch kann die Ähnlichkeiten nicht verschleiern. Wohlweislich hat King es vermieden, seine Geschichte in Romanform zu gießen. Man kann ihn durchaus bewundern für seinen Einfallsreichtum, mit dem er sich unermüdlich bemüht, neue Wege zur Vermarktung seiner Werke zu finden. Man kann ihn aber mit einfach dreist nennen und ihm unterstellen, einen alten Hut zu recyceln.

Unterhaltung als Routine-Job

Um es anders auszudrücken: King hat einen Idee für einen (Fernseh-) Film gehabt, ein Original-Drehbuch dafür geschrieben und dieses anschließend ohne zusätzliche Arbeit als Buch in den Handel gebracht. Er kommt damit durch, denn er ist Stephen King, der sich einmal selbst rühmte, auch eine Liste von Telefonnummern in einen Bestseller verwandeln zu können. Erfolg korrumpiert also wirklich, denn eine dürftige Ansammlung von Regieanweisungen und Dialogen ist definitiv kein Werk, das eine Veröffentlichung verdient hätte!

Werfen wir einen Blick auf die Geschichte. Das ist im Wortsinn möglich, denn der Film bzw. die TV-Mini-Serie zum Drehbuch existiert ja seit 1999: „Stephen King‘s Storm of the Century“. Ignorieren wir zunächst, dass ihn ein konturloser Regie-Routinier (Craig R. Baxley) mit ebensolchen Darstellern (Timothy Daly, Deborah Farentino, Colm Feore u. a. – US-amerikanische TV-Gesichter, die man vergessen hat, sobald sie vom Bildschirm verschwunden sind) in Szene gesetzt hat. Autor King war im Einklang mit dem ausstrahlenden Sender zufrieden mit dem Ergebnis. Ausdrücklich bescheinigte er dem Regisseur, seine Vorlage originalgetreu umgesetzt zu haben. Eine doppeldeutige Äußerung, die den scharfen Blick auf „Storm of the Century“, den TV-Film, geradezu herausfordert.

Dieses Urteil fällt doppelt hart aus: „Der Sturm“ als TV-Movie ist eine vierstündige, lähmend langweilige Angelegenheit, dessen sorgfältige aber einfallslose Inszenierung und einige gute Tricks nicht für die gewaltigen Längen und Löcher entschädigt, die diese Geschichte aufweist und die nun erbarmungslos offengelegt werden. Verantwortlich ist dafür in erster Linie Autor Stephen King, denn er hatte, wie er im bereits erwähnten Vorwort stolz erklärt, weitgehend die Kontrolle über die Verfilmung.

Kein Akt gelungener Selbsteinschätzung

So herausragend er als Schriftsteller in der Regel ist: Der Drehbuchautor Stephen King kann mit dem Romancier nicht mithalten. Das machte er vor dem „Sturm“ bereits mit der TV-Neuverfilmung von „The Shining“ deutlich. King hatte es missfallen, wie Stanley Kubrick 1980 mit der Vorlage umgesprungen war. Die Mini-Serie „The Shining“, bei der endlich er das Sagen hatte, legte 1997 allerdings auf peinliche Weise offen, wie genial Kubrick wirklich war. Sein „Shining“ wird ein Klassiker des (phantastischen) Films bleiben, wenn Kings ehrgeiziges Opus längst zu einer Fußnote geworden ist.

King wäre besser beraten gewesen, eine ganz andere Geschichte verfilmen zu lassen. Er hatte schon einmal das Böse über eine Insel vor der Küste von Maine hereinbrechen lassen: „Home Delivery“ (1989, dt. „Hausentbindung“), erschien u. a. 1993 in der King-Kollektion „Nightmare & Dreamscapes“ (dt. „Albträume“). Sie blieb weitgehend unbekannt; King selbst betrachtete sie als Auftragsarbeit, mit der er dem von ihm verehrten Regisseur George A. Romero seine Reverenz erweisen wollte.

„Hausentbindung“ beschreibt die furchterregende Geschichte einer kleinen Insel („Deer Isle“ geheißen), die von mordlüsternen Zombies belagert wird – eine düstere, mit groben Effekten nicht sparende aber höllisch spannende und mit den typischen King-Momenten überzeugender Menschlichkeit in Zeiten höchster Not veredelte Schauermär.

Das Medium als Hindernis

Für das Fernsehen wäre „Hausgeburt“ freilich kaum zu verwirklichen gewesen. Die vergnüglichsten Momente hat „Der Sturm des Jahrhunderts“, wenn King im Vorwort seine Erfahrungen mit den gestrengen hauseigenen Zensoren des TV-Networks ABC schildert. Die beschämend bigott-prüde Geisteshaltung, welche die nur scheinbar so weltoffenen US-Amerikaner an den Tag legen, wird selten so deutlich offenbart wie durch diese Institution, die ihre oft (und zu Recht) verfluchte deutsche ‚Schwestern‘, die „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“ (FSK) und ihre Ableger, wie Speerspitzen der sozialen Avantgarde aussehen lassen.

Es bleibt das eindeutige Fazit: „Der Sturm des Jahrhunderts“ ist ein überflüssiges Buch, wenn man es denn als solches überhaupt bezeichnen möchte. Von Interesse ist es höchstens für einige Film-Historiker, die sich indes darüber beklagen dürften, dass es weitaus wichtigere Werke gibt, die auf diese Weise gewürdigt werden sollten.

Andererseits tauchte der „Sturm“ sogar in den deutschen Bestseller-Listen auf und hielt sich dort einige Zeit. Ein Mirakel, oder verkauft sich tatsächlich alles wie Schnittbrot, wenn nur der Name King darauf steht? Oder ist eine Lesergeneration herangewachsen, welche – ‚geschult‘ – durch ständige Werbepausen im TV, das Videoclip-Gewitter der Musiksender oder das Internet – die Widernatürlichkeit eines ‚Drehbuch-Romans‘ längst nicht mehr stört?

Autor

Normalerweise lasse ich an dieser Stelle ein Autorenporträt folgen. Wenn ich ein Werk von Stephen King vorstelle, pflege ich dies zu unterlassen, wie man auch keine Eulen nach Athen trägt. Der überaus beliebte Schriftsteller ist im Internet umfassend vertreten. Nur zwei Websites – die eine aus den USA, die andere aus Deutschland – seien stellvertretend genannt: www.stephenking.com und www.stephen-king.de bieten aktuelle Informationen, viel Background und zahlreiche Links.

Taschenbuch: 506 Seiten
Originaltitel: The Storm of the Century (New York : Pocket Books 1999)
Übersetzung: Peter Robert
http://www.randomhouse.de/heyne

Der Autor vergibt: (1.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (8 Stimmen, Durchschnitt: 1,38 von 5)

Stephen King – Christine

Das geschieht:

Es ist Liebe auf den ersten Blick, als Arnie Cunningham, gerade 17 geworden, Christine begegnet – einem feuerrot-weiß lackierten, haifischflossengezierten Plymouth Fury des Baujahres 1958. In Libertyville, einem Städtchen im US-Staat Maine, ist Arnie, der intelligent aber keine Sportskanone ist sowie von heftiger Akne heimgesucht wird, der Prügelknabe seiner Highschool. Nur die Freundschaft zum baumlangen Football-Spieler Dennis Guilder verhindert, dass die Jugend von Libertyville den Außenseiter endgültig ausradiert.

Niemand weiß, dass Arnie hinter einer Maske aus Gleichmut sehr wohl seinen Groll nährt und Rachepläne schmiedet. Das macht sich Christine zunutze, die weniger ein Auto, sondern eine Metall gewordene und von einem bösen Geist beseelte Todesmaschine ist und sich als Instrument der Vergeltung anbietet, die Arnie in Libertyville üben will. Stephen King – Christine weiterlesen

Stephen King – Duddits: Dreamcatcher

Das geschieht:

Das Leben hat sie gebeutelt: Joe „Biber“ Clarendon, den Hippie-Tischler, der zwanghaft Zahnstocher zerkaut; Pete Moore, den alkoholsüchtigen Autoverkäufer; Henry Devlin, den depressiven Psychiater, für den der Selbstmord bereits beschlossene Sache ist, und Gary „Jonesy“ Jones, den College-Dozenten, der sich gerade langsam von einem schweren Autounfall erholt. Seit einem Vierteljahrhundert kennen sie sich und haben sich niemals aus den Augen verloren. Ein unsichtbares Band verbindet sie – und das buchstäblich, denn das Quartett verfügt über gewisse hellseherische Kräfte.

Trotzdem waren Biber, Pete, Henry und Jonesy nur Waisenknaben gegen den Fünften im Bunde: Douglas Cavell, genannt „Duddits“, ihren geistig behinderten, telepathisch begabten Freund aus der Kleinstadt Derry im US-Bundesstaat Maine, Neuengland. Ihn hat das Quartett aus den Augen verloren. Stephen King – Duddits: Dreamcatcher weiterlesen

Stephen King: Wolfsmond (Der Dunkle Turm 5)

Weiterhin ziehen Revolvermann Roland von Gilead und seine Gefährten dem Dunklen Turm entgegen, der Zentrum und Stütze des Universums darstellt. In der Mittwelt – Ort der Handlung – tun sich Dimensionsportale, Zeitfallen u. a. Hindernisse auf. Zusätzlich aufgehalten wird die Gruppe von den Bewohnern eines Grenzdorfes, das von einer Horde maskierter Finsterlinge belagert wird. Gemeinsam nimmt man den Kampf gegen eine gewaltige Übermacht auf … – Der fünfte Band der „Dark-Tower“-Serie ist ein Episoden-Epos mit enormen Längen, das Substanz durch Geschwätz, nur vorgeblich geheimnisvolle Andeutungen und das Recycling früheren King-Werken ersetzt. Zwar gelingen dem Verfasser durchaus fesselnde Szenen, die aber durch generellen Leerlauf entwertet werden: ein Buch für jene, die wissen wollen, wie‘s weitergeht. Stephen King: Wolfsmond (Der Dunkle Turm 5) weiterlesen

Stephen King – Wolfsmond (Der Dunkle Turm V)

Die surreale Jagd des Revolvermanns Roland von Gilead auf den Mann in Schwarz und seine Suche nach dem „Dunklen Turm“ durch die westernähnliche Mitt-Welt begann bereits im Jahre 1982.

Stephen King spukten die Ideen zu seinem selbsterklärten Lieblingswerk schon seit seiner Jugend im Kopf herum. Man kann an der Serie, die alle 5-6 Jahre fortgesetzt wurde, auch gut stilistische Veränderungen Kings erkennen. Verglichen mit dem noch unausgegorenen ersten Band, in dem mit Roland eine der eindrucksvollsten Romanfiguren Kings entstand, ist der 5. Band „Wolfsmond“ („Wolves of the Calla“) bereits ein Brilliant. Die abschließenden zwei Bände werden im Sommer bzw. Herbst 2004 erscheinen.

Stephen King – Wolfsmond (Der Dunkle Turm V) weiterlesen

King, Stephen – Duddits – Dreamcatcher

Stephen King ist ein Phänomen – zum Autor und seiner Bedeutung für die moderne Belletristik muss an dieser Stelle wohl kaum noch ein Wort verloren werden. Phänomenal allerdings finde ich – neben seinen eindrucksvollen, packenden Werken an sich – seine schriftstellerische Entwicklung und die stilistische Experimentierfreudigkeit, die er gerade im letzten Jahrzehnt an den Tag legte. So versucht er sich auch gern in Bereichen, die jenseits dessen liegen, was ihn zum „King of Horror“ machte und verliert sich dadurch nicht in allmählich langweilender inhaltlicher wie formaler Beliebigkeit, so wie dies leider beispielsweise beim deutschen „Pendant“ Wolfgang Hohlbein zu bemängeln ist.

Doch nun zu „Duddits“. Ein zunächst irritierender Titel – zumal die deutsche Übersetzung des Originaltitels „Dreamcatcher“ eigentlich auch niemandem weh getan hätte –, wenn man nicht weiß, dass dies der Spitzname des zentralen Charakters in Kings Meisterwerk aus dem Jahre 2001 ist. Duddits ist ein vom Down-Syndrom benachteiligter Sonderling, so aufgeweckt wie ein Knäckebrot, aber äußerst liebenswert und menschlich. Im Großteil des Buches scheint er eher eine Nebenrolle zu spielen, entwickelt sich aber alsbald zum Zentrum der Geschichte und eines Geflechtes, das durch den die Handlung tragenden Freundeskreis gebildet wird. Diese Freunde sind – als Erwachsene: Der ziemlich abgerissene, vor sich hinvegetierende Biber; Pete, der Autoverkäufer mit einer hellsichtigen Begabung, deren Herkunft und Bedeutung sich im späteren Verlauf noch erklären wird; Henry, seines Zeichens Psychoanalytiker mit einer ähnlichen mentalen Fähigkeit, die ihm nicht immer nur nützlich in seinem Beruf ist; und schließlich ist da noch Jonesy, ein Geschichtsprofessor, mit dem es das Schicksal gar nicht gut zu meinen scheint. Und auch er teilt die jeweils etwas verschieden ausgeprägten speziellen Geistesgaben seiner Kindheitsfreunde. Als Erwachsene bleibt ihnen von ihren gemeinsam verbrachten Jahren und Verbundenheit nur noch ein alljährlicher, geradezu ritueller Jagd-Ausflug in die Berge, der sich diesmal als höchst schicksalsträchtig erweisen soll. Der Kontakt zu Duddits ist mit dem Älterwerden abgerissen, aber auch dies hat seine Gründe, die erst im späteren Verlauf klar werden sollen. Und als Duddits wieder ins Blickfeld des Geschehens rückt, erwachen längst vergessene Erinnerungen und Fähigkeiten bei den Freunden, die Vergangenheit fließt mit der Gegenwart zusammen und Freunde, ebenso wie einzelne, scheinbar unwichtige Details im Erzählverlauf bilden wieder eine Einheit. Im Zentrum des Traumfänger-Netzes sitzt – ein passiver Spielball der Mächte und dennoch der Schlüssel zu allem – der von der Restwelt bemitleidete und belächelte Duddits.

Über den weiteren Verlauf der Geschichte will ich nicht zu viele Worte verlieren, sondern nur als Stichwortgeber anreißen, dass der Trip in die Wälder nach der Begegnung mit dem seltsamen Jäger McCarthy, einer eigentümlichen Infektion und der Quarantäne des gesamten Landstriches durch das Militär – die Charakterzeichnung des Befehlshabers allein ist eine wahre Wonne und Genuss – zu einer stürmischen, atemberaubenden Achterbahnfahrt mutiert, die nicht nur für die Freunde alles verändern wird.

Wie von King gewohnt, widmet sich der Prolog – der auf ein paar neugierig machende und Themen weisende Nachrichtenauszüge von 1947 bis 2000 folgt – der Formgebung der Hauptfiguren; für King ist dieser einführende Part allerdings ungewöhnlich kurz geraten, denn sofort mit Teil 1 des eigentlichen Buches geht es direkt in die Vollen und der Spannungs- und Handlungsbogen setzt ohne weitere Vorwarnung ein, packt den zu diesem Zeitpunkt bereits reichlich neugierig gewordenen Leser und schleift ihn förmlich durch ein Nerven zerfetzendes Abenteuer, das eine Mischung aus Akte-X-Material, Science-Fiction, Actionfilm, Psychothriller und Horror ist, wobei Elemente einfließen, die King bereits bei Werken wie „The Stand“, „Tommyknockers“ und „The Green Mile“ einsetzte, die hier aber zu ganz neuen Höhen aufgefahren, erweitert und perfektioniert werden und keineswegs zu einer unnötigen Wiederaufwärmungskur geraten.

Besonderen Applaus hat sich King für die plastische Charakterformung der tragenden Figuren verdient; die psychologische Komponente des Romans ist erstaunlich und erschreckend zugleich. Der Spannungsbogen sowohl der Handlung als auch der stückweisen Informationsfreigabe reißt keinen Augenblick ab, verliert sich nie in nutzlosen Beschreibungen und selbstverliebter Schriftstellerei – obwohl das schreiberische Niveau des Romans in King-typischem Wälzerformat hoch angelegt ist – und weiß zu überraschen, zu packen und zu begeistern. Es fällt schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen, wenn die Geschichte den Leser einmal in sich aufgesogen hat; man sollte sich also auf schlaflos durchlesene Nächte einstellen und Beruhigungsmittel für die Nerven bereit halten – denn die wird man dringend benötigen. Das ungewöhnlicherweise gänzlich von Hand vorgeschriebene und vielleicht gerade deshalb so ungekünstelt-authentisch und schriftstellerisch überzeugende „Duddits – Dreamcatcher“ kann es als potenzieller Genre-Klassiker in jedem Fall mit dem Format von „Es“ aufnehmen und ist ein Meilenstein in Kings Schaffenswerk geworden.

Homepage des Autors: http://www.stephenking.com